Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um den Zusatzpunkt „Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN" — Einsetzung einer Europa-Kommission des Deutschen Bundestages — auf Drucksache 10/161 erweitert werden. Sind Sie damit einverstanden, daß ich diesen Punkt im Anschluß an den Tagesordnungspunkt 11 aufrufe? — Ich sehe keine Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Schwenk , Bachmaier, Dr. Emmerlich, Fischer (Osthofen), Klein (Dieburg), Dr. Kübler, Lambinus, Schmidt (München), Schröder (Hannover), Stiegler, Dr. de With und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb
— Drucksache 10/80 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Im Ältestenrat ist eine Aussprache von einer Runde verabredet. — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Herr Kollege Schwenk.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist heute gewissermaßen ein Jahresereignis. Denn genau vor einem Jahr haben wir die Debatte schon einmal gehabt. Damals lag dieser Entwurf als Regierungsentwurf vor. Nur mit gewissen Änderungen haben wir die gleiche Besetzung: auf der Bundesratsbank — trotz angeblich starken Drängens des Bundesrates — niemand, auf der Regierungsbank der Herr Parlamentarische Staatssekretär aus dem Bundesjustizministerium
sowie der Parlamentarische Staatssekretär aus dem Arbeits- und Sozialministerium. Seinerzeit ist von der CDU/CSU bedauert worden, daß die Regierung nicht stärker vertreten war. Aber ich muß sagen: Im nachhinein sieht das dann alles doch etwas ruhiger aus.
— Herr Kansy, es kommt leider bis hier nicht durch. — Der einzige Unterschied liegt bloß darin, daß wir hier am frühen Morgen und nicht unter dem Drängen eines kulturellen Ereignisses tagen, für das sich außerhalb des Hauses schon Kollegen „warmliefen", so daß die Besetzung im Haus etwas geringer wurde. Aber sonst kann man sagen: Regierungen gehen und kommen, aber die Probleme sind die gleichen geblieben.Nun sind wir von der Opposition doch ein wenig gespannt darauf, ob Sie sich innerhalb der neuen Koalition einig sind oder ob ich da den Herrn Kollegen Sauter von der CSU zitieren kann, der damals gesagt hat: Na ja, Sie haben das zwar alles vorgebracht, aber Sie sind sich in Ihrer Koalition nicht einig. Nun muß sich einmal zeigen, wieweit Sie sich in Ihrer Koalition einig sind. Herr Sauter hat uns damals vehement zur Brust genommen und gefragt: Wo geht's denn nun eigentlich weiter?In vielen Punkten waren wir uns — wenigstens Herr Sauter und wir — auch damals einig, so z. B. darin, daß Mißbräuche zurückzudrängen sind, daß Wirtschaftsrecht — hier: das Recht des unlauteren Wettbewerbs — ein Recht ist, das fortzuentwickeln ist. Immerhin: Am 7. Juni dieses Jahres hat das UWG seinen 74. Geburtstag gefeiert; es ist wenig geändert worden. Eine wesentliche Änderung wurde 1969 vorgenommen, als Verbraucherschutz, insbesondere die Möglichkeit, Mißbräuche durch Vereine abzumahnen, eingeführt worden ist.Seinerzeit hatte- man sich bemüht, den Verbraucher schon etwas mehr in das Recht des unlauteren Wettbewerbs einzubeziehen; denn das alte UWG, so wie es überkommen ist und wie es viele von uns auf der Universität noch gesehen und studiert haben, war vornehmlich oder ausschließlich ein Recht für Gewerbetreibende, um unter Gewerbetreibenden, unter Anbietern unlauteren Wettbewerb zu be-
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Dr. Schwenk
kämpfen, zurückzudrängen, zugunsten eines lauteren Wettbewerbs. Dabei kann lauterer Wettbewerb durchaus auch dem Verbraucher zugute kommen, da es für den Verbraucher nicht ohne Bedeutung ist, ob er auf Grund von lauteren Wettbewerbsmaßnahmen zum Erwerb veranlaßt, motiviert wird oder ob er unseriösen Anbietern völlig schutzlos ausgeliefert ist. Allerdings reicht der Wettbewerb unter Anbietern selbst zum Schutz von Verbrauchern nun auch nicht aus. Wir wissen, daß der Verbraucher, wenn sich Kartelle bilden, wenn sich Marktmacht bildet und der Konkurrenzkampf weniger wird, derjenige ist, der auf der Strecke bleibt. Deshalb ist es unser Anliegen sowohl bei der Reform von 1969 als auch jetzt gewesen, den Verbraucher stärker in die Gesetzgebung und damit in den Schutz einzubeziehen und das UWG nicht mehr als ein vornehmlich für die Wettbewerber bestehendes Gesetz so zu belassen.Wir haben uns in den vergangenen Debatten zeitweise überaus stark an dem Mißbrauch der Möglichkeiten für Abmahnvereine festgebissen. Wir wissen alle, daß ein gutgemeintes Gesetz auch mißbräuchlich verwendet werden kann. Da kommt der erste darauf, daß man aus der Möglichkeit abzumahnen und damit Aufwand zu kassieren, auch ein Geschäft machen kann, und so sind obskurste Vereinigungen wie Pilze aus dem Boden geschossen. Insbesondere wenn es um Ausverkäufe und Schlußverkäufe geht, wo die Werbung etwas aggressiver wird und etwas schneller vom heutigen auf den nächsten Tag gemacht werden muß, geschehen Fehler, und dann fotografieren diese Leute das und machen es zur Grundlage einer Abmahnung. Oder sie lesen schlicht die Zeitung, und schon passiert es.Klagen und Schimpfen haben wir genug gehört, an Taten hat es aus diesem Hause bislang gefehlt, weil wir nicht über die ersten Lesungen hinausgekommen sind. Nun sollte das endlich einmal weitergehen, damit der Kampf gegen derartige Mißbräuche, die von der Gesetzgebung nicht behandelt worden sind — das sagte ich soeben — und die auch die Rechtsprechung nur teilweise in den Griff bekommen hat, eine bessere Grundlage erhält, damit der seriöse Verbraucherschutz, einschließlich der Möglichkeit, abzumahnen und damit Mißbräuche schnell wieder zu beseitigen, schärfer hervortritt und nicht mit all den eigenartigen Trabanten, die sich daranhängen, in einen Topf geworfen wird. Wir haben in der letzten Lesung auch einige trauriglustige Beispiele gehört, lustig für diejenigen, die so etwas nicht für möglich halten, traurig für diejenigen, die darauf hereingefallen waren und dann gezahlt haben.In früheren Jahren hatten wir parallel zu dem Regierungsentwurf CDU/CSU-Entwürfe. Wir haben den Regierungsentwurf übernommen. Er ist durch die Stellungnahmen des Bundesrates, durch die Gegenstellungnahmen der Bundesregierung weiter ausgefeilt worden. Wir halten ihn jetzt für nahezu verabschiedungsreif. Im Rechtsausschuß, wenn er dahin überwiesen wird, wie wir beantragt haben, werden wir uns noch einmal damit befassen können und müssen. Sicher werden noch Änderungsvorschläge kommen, aber im großen und ganzen sollte das nun endlich durchlaufen. Von der Union haben wir bislang nichts gehört. Nun warten wir, wie sie sich dazu stellen wird.Der neue Vorsitzende des Rechtsausschusses, Herr Kollege Stark von der Union, hat bei seinem Amtsantritt mehrfach verkündet, von jetzt ab sollten dem Plenum vom Rechtsausschuß nur noch solche Gesetzentwürfe zur Annahme vorgelegt werden, die von der Sache erforderlich sind und das Recht nachweislich verbessern.
Deshalb will ich noch einmal besonders hervorheben, daß von der Sache her das, was in der Vorlage enthalten ist, erforderlich ist, um aufgetretene Mißbräuche zu beseitigen, Verbraucherschutz zu verbessern, und daß das Recht damit auch verbessert wird.Es ist durchaus legitim, wenn ich hier einmal auf Herrn Sauter eingehe und zitiere, was er vor einem Jahr gesagt hat:Es muß dringend etwas geschehen, insbesondere auch im Interesse des Mittelstandes.Die Sozialdemokraten sprechen von den Selbständigen, deren Interesse wir innerhalb der Arbeitsgruppe Selbständige der SPD-Fraktion aufgreifen und in unsere Politik einbringen.Herr Sauter fuhr fort:Eine Novellierung ist unbedingt erforderlich, da gerade dieses Rechtsgebiet immer wieder an die tatsächlichen Gegebenheiten im Wirtschaftsleben angepaßt werden muß. Dabei ist dafür Sorge zu tragen, daß Wettbewerber und Verbraucher geschützt und gestärkt werden gegen Mißbrauch und Unlauterkeit.So weit das Zitat.Wie ich aus den weiteren Reden entnommen habe, sind wir uns durchaus nahegekommen. Wenn der damals geäußerte Wille heute auch noch tatsächlich vorhanden ist, müßte es zu entsprechenden Beschlüssen kommen.Damals allerdings gab es Vorschläge, die teilweise in den Bereich des Wünschbaren, aber des nur schwer Machbaren gehören. Ich nenne z. B. Gedankengänge, sogenannte Lockvogel-Angebote zu verhindern. Bei der weiteren Verfolgung derartiger Überlegungen kommt man dann allerdings auf das ganz schwierige Gebiet, wirtschaftliche Kalkulation durch rechtliche Normen in faßbare Bahnen zu leiten und dabei den freien Anbieter-Wettbewerb zugunsten des Kunden nicht einzuschränken. Wir wollen solche Überlegungen dennoch aufgreifen und im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens prüfen, ob praktikable Lösungen gefunden werden können, denn wir wissen seit langem, daß vor allem die kleinen und mittleren Anbieter ganz erheblich unter den wesentlich beweglicheren Kalkulationsmöglichkeiten der Cash-und-Carry-Märkte, der Handelsketten, der Superbazare leiden und sich mit ei-
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ner Restkundschaft begnügen müssen, die das Überleben schwierig macht.Auch bei dieser Debatte kann und darf nicht verschwiegen werden, daß auf der Anbieterseite zusammen mit anderen selbständigen Betrieben der Einzelhandel infolge der Sparwelle ganz erhebliche Einbußen hat hinnehmen müssen, daß die Zahl der Geschäftsaufgaben und Konkurse keineswegs zurückgegangen ist und daß die Konzentration auf wesentlich robustere Großanbieter unübersehbar weiterläuft.Wir wollen nun — ich will noch einmal daran erinnern — nicht aus dem Auge verlieren, daß das UWG auf den Tag genau 74 Jahre alt ist, weitgehend mit Generalklauseln arbeitet und, wie ich eingangs bemerkte, vornehmlich den Wettbewerb unter den Anbietern regeln wollte. Wenn auch nicht zu verkennen ist, daß die Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs auch für den Verbraucher mittelbar Vorteile schafft, indem er davor geschützt wird, schlechte Ware für gutes Geld zu erhalten, gilt das für das Verhältnis zwischen Anbieter und Abnehmer nicht durchgängig.Wenn Werbung und Ware einander nicht entsprechen, mangelt es immer noch am gehörigen Schutz des Verbrauchers. Die Vorschriften über die unerlaubten Handlungen — Herr Kollege Erhard, auch das war Gegenstand der letzten Lesung — reichen nicht aus, selbst dann nicht, wenn man das gesamte UWG für ein Schutzgesetz erklären würde, vor allem aber dann nicht, wenn Werbung und Angebot nicht aus der gleichen Hand kommen.Wir wollen deshalb die Stellung des Verbrauchers dadurch stärken, daß wir in erster Linie ein Rücktrittsrecht für den Abnehmer schaffen, wenn unwahre Werbeangaben zum Erwerb geführt haben. In zweiter Linie soll das Schadensersatzrecht aufgenommen werden, wenn über den reinen Warenerwerb auf Grund unrichtiger Angaben ein Schaden zu verzeichnen ist.Umgekehrt haben von solchen Vorschriften rückwirkend auch diejenigen wieder einen Vorteil, die Werbung wahrheitsgemäß betreiben und dementsprechend unwahrer Werbung gegenüber mindestens zunächst im Nachteil sind. Dem seriösen Anbieter kann es nicht gleichgültig sein, wenn die Hürde für die unsauber arbeitende Konkurrenz höher gehängt wird.Auch hier stoßen wir allerdings an die Grenzen der Möglichkeiten des Gesetzgebers, im Widerstreit der Interessen präzise Formulierungen zu schaffen. Es geht wiederum nicht ohne Generalklauseln wie z. B. „unwahre Werbeangabe", „wesentlich zur Abnahme bestimmt". Das bedeutet, daß die Rechtsprechung dies in der Einzelfallbestimmung und Einzelfallentscheidung ausfüllen muß. Aber wir geben damit den am Recht Tätigen eine Bestimmung an die Hand, mit der sie arbeiten können und die unmittelbaren Auswirkungen bekämpfen können.Mit der Verschärfung und Neuschaffung einiger Strafvorschriften wollen wir ebenfalls einige notwendige Bereinigungen schaffen. Unwahre Werbung soll künftig bereits bei der einfachen Begehungsform strafbar sein. Bereits als strafwürdiges Unrecht muß gelten, wenn unwahre Werbung betrieben wird. Absicht als überschießende Innentendenz ist immer schwer zu beweisen. Es ist auch schwer einzusehen, warum dieses zusätzliche Tatbestandsmerkmal noch aufrechterhalten werden muß. Möglicherweise ist das einfach ein Relikt aus damaliger Gesetzgebungsarbeit, das in die heutige Landschaft nicht mehr hineinpaßt.Bekämpfenswert ist auch das sogenannte Schneeballsystem. Jeder, der sich das genauer betrachtet, weiß, daß die Wirkung der progressiven Warenwerbung nicht unendlich sein kann. Das sollte auch jeder vernünftige Mensch wissen. Allzu viele glauben, sie seien nur Zwischenstation und nach ihnen kämen immer noch welche, die sie einspannen könnten. Aber nach dem alten Sprichwort „den letzten beißen die Hunde" gibt es zum Schluß viele, die gebissen werden oder, mit anderen Worten, die für den Verdienst der anderen in diesem progressiven Werbegeschäft draufzahlen müssen. Je geringer die Chancen am Arbeitsmarkt sind — wir wissen ja, wie es da aussieht —, um so größer ist die Versuchung, in progressive Kundenwerbung einzusteigen und doch noch ein Geschäft zu machen. Um so größer ist die Gefahr, alles bezahlen zu müssen, wenn der letzte an die Reihe kommt. Gerade deswegen sollten wir jetzt daran gehen, die progressive Kundenwerbung zu bestrafen.Über die Notwendigkeit, Tätigkeiten und Grenzen bei der Abmahnung im Wettbewerbsrecht neu zu regeln, ist in früheren Lesungen genug geredet worden. Dazu braucht man nur die Protokolle zu lesen. Ich möchte dazu keine weiteren Ausführungen machen. Nur: Die Versuche, über freiwillige Wettbewerbsregelungen diejenigen zu erfassen, die aus kleinsten Anfängen heraus Kasse machen wollen, haben sich als aussichtlos erwiesen. Es muß nun endlich etwas geschehen.Wir wollen sowohl die Voraussetzungen für die Klagebefugnis verschärfen als auch insbesondere die erste Abmahnung kostenfrei gestalten, so daß der Anreiz, aus dem Hinterzimmer heraus Abmahnungen loszulassen, geringer wird und wir damit von den Gewerbetreibenden nicht Sommer für Sommer, Winter für Winter mit Klagen überzogen werden.
Herr Kollege, Ihre Redezeit.
Es gibt also genug Gründe, jetzt in die parlamentarische Behandlung einzusteigen und dem Parlament baldmöglichst einen entscheidungsreifen Vorschlag vorzulegen. — Schönen Dank.
Das Wort hat der Herr Kollege Sauter.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Erstaunen müssen wir zur Kenntnis nehmen, wie eilig es nun auf einmal die SPD-Bundestagsfraktion
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Sauter
hat, zu Beginn ihrer Oppositionszeit — einer, wie wir alle wissen, sehr langfristigen Etappe —,
das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb zu novellieren. Der SPD-Fraktion ist leider nichts besseres dazu eingefallen,
als den alten Gesetzentwurf — lediglich ergänzt um diejenigen Änderungsvorschläge des Bundesrates, denen die alte Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung seinerzeit zugestimmt hatte — erneut einzubringen.In den zurückliegenden Jahren haben Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, wertvolle Zeit verstreichen lassen. Sie haben Ihre alte Regierungsvorlage seinerzeit über zwei Legislaturperioden hinweg stiefmütterlichst behandelt, und nun tun Sie so, als ob Sie mit großer verbraucherpolitischer Begeisterung auf einmal den großen Wurf bringen würden.Daß Sie es mit der Novellierung des UWG wirklich ernst meinen, kann angesichts Ihrer Untätigkeit in den vergangenen sieben Jahren wohl kaum angenommen werden. Vielmehr scheint auch hier Schaumschlägerei zur politischen Taktik erhoben und Aktivität im Hinblick auf die ernsthafte Absicht zur Lösung der anstehenden Probleme nur vorgetäuscht zu werden.
Sie werden von mir nicht eine erneute Darlegung der Kritikpunkte erwarten, die bereits bei der ersten Lesung des alten Regierungsentwurfs deutlich geworden sind.
— Unsere distanzierte Haltung zu Ihrer nunmehr erneut vorgelegten UWG-Novelle hat sich nicht dadurch geändert, daß wir zwischenzeitlich an der Regierung sind.
— Herr Kollege Duve, wenn Sie früher beim Lernen ein bißchen schneller gewesen wären, sähe heute manches ein bißchen anders aus.
Es ist grundsätzlich richtig, meine sehr verehrten Damen und Herren, dem Verbraucher bei irreführender und unlauterer Werbung unmittelbare Ansprüche und ein Rücktrittsrecht zu gewähren. Eine entsprechende gesetzliche Regelung hinsichtlich eines gesetzwidrig erlangten Mehrerlöses muß aber praktikabel sein. Sie darf nicht die Flut bürokratischer Vorschriften und die Machtfülle der Behörden weiter anschwellen lassen.Ob die Einfügung einer Abschöpfungsregelung in das UWG diese Voraussetzung erfüllt, ist zumindest zweifelhaft. Insbesondere die Möglichkeit einer gebündelten Abschöpfung eines gesetzwidrig erlangten Mehrerlöses durch Einräumung von Verbandskiagebefugnissen erscheint wenig zweckdienlich. Eine solche Befugnis könnte zu dem führen, was wir jetzt abschaffen wollen, nämlich zur Fortführung der Praxis der Abmahnvereine durch Schadenersatzvereine. Ich glaube, es ist nicht unsere Aufgabe, Bagatellverstöße wirtschaftlich so ausschlachten zu lassen, wie dies dann der Fall sein könnte.Entschieden abzulehnen ist die Einführung eines bürokratischen Registrierungs- und Erlaubnisverfahrens für anspruchsberechtigte Verbände.Unsere weiter vorherrschende Zurückhaltung hinsichtlich Ihrer Vorschläge seitens der Opposition wird maßgeblich dadurch begründet, daß Ihr Gesetzentwurf in die falsche Richtung konzipiert ist. Insbesondere wird durch den Entwurf der von uns seit jeher bejahte Verbraucherschutz nicht in seiner Qualität verbessert. Wir brauchen nicht in erster Linie mehr Gesetze, sondern wir brauchen, um den Verbrauchern helfen zu können, bessere Gesetze. Nicht die Vermehrung der Flut von Paragraphen ist dazu angetan, dem Verbraucher zu dienen, sondern der Wettbewerb auf den Märkten. Mehr Leistungswettbewerb auf den Märkten, zwischen Industrie und Handel ist der beste Verbraucherschutz.
— Herr Kollege, Sie haben mich heute dankenswerterweise einige Male zitiert. Sie könnten mich auch weiter zitieren. Ich habe im letzten Jahr zu diesem Punkt das gleiche gesagt. Sie müßten dann alles dazu durchlesen.
— Ich bin doch nicht dazu da, das Protokoll vom letzten Jahr zu verlesen, Herr Duve. Sie können das nachlesen, aber ich werde es doch nicht verlesen.Allein ein funktionsfähiger Wettbewerb nämlich, an dem Groß-, Mittel- und Kleinbetriebe gleichermaßen teilhaben, ist die beste Voraussetzung dafür, daß der Kunde König bleibt. Zu diesen bewegenden Fragen aber sagen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, absolut nichts. Deshalb geht Ihr Gesetzentwurf inhaltlich an den Aufgaben unserer Zeit vorbei und reicht allenfalls dazu aus, Ihre Anwesenheit als Opposition in diesem Parlament aktenkundig zu machen.
Die CDU/CSU kennt die große Bedeutung, die seitens der betroffenen Unternehmen des mittelständischen Bereichs einer Weiterentwicklung des Wettbewerbsrechts beigemessen wird. Sie, meine Damen und Herren der heutigen Opposition, erinnern sich sicher noch an unser Bemühen, Ihnen bei der Beratung der 4. Kartellgesetznovelle eine Vorschrift abzuringen gegen Diskriminierung und Behinderung im Wettbewerb durch eine Erweiterung des § 26 GWB und die Einführung eines § 37 a GWB.
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Sauter
Seinerzeit mußte dies gegen Ihren harten Widerstand durchgesetzt werden. Heute greifen diese neuen Formulierungen Gott sei Dank schon, nicht zuletzt im Hinblick auf die Untersagungsverfahren, die zwischenzeitlich eingeleitet worden sind und bei denen als einer der ersten die Co-op AG erwischt wurde, die im Moment versucht, sich dagegen zu wehren. Wir sind natürlich der Meinung, daß, wenn wir an eine Novellierung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb herangehen, die im Zusammenhang mit dem § 37 a GWB und dem § 26 GWB gemachten Erfahrungen in unsere Beratungen einbezogen werden müssen. Davon läßt sich bei Ihrem Gesetzentwurf leider noch nichts erkennen.Wir sind als CDU/CSU seit je entschieden für die Sicherung des Leistungswettbewerbs eingetreten. Unstrittig ist für uns, daß in vielen Märkten gegen die Prinzipien des fairen Leistungswettbewerbs verstoßen wird. Viele Wettbewerbspraktiken, die wir tagtäglich beobachten müssen, sind mit den Grundsätzen der Preiswahrheit und der Preisklarheit nicht vereinbar.
Täuschungsträchtige Fälle von Mondpreisvergleichen, aber auch unseriöse Lockvogelangebote müssen aus Gründen des Verbraucherschutzes ebenso unterbunden werden wie mißbräuchliche Preisvergleiche, die geeignet sind, den Eindruck von besonders preisgünstigen Angeboten zu erwecken. Empirische Untersuchungen haben ergeben, daß in den meisten Fällen derartige Täuschungsversuche durch entsprechende Mischkalkulation die Verdienstspanne wieder ausgeglichen wird, so daß es sich lediglich um eine scheinbare Verbilligung handelt.In diesem Zusammenhang muß auch die oft praktizierte mengenmäßige Beschränkung des Verkaufs an Letztverbraucher gesehen werden und hiergegen vorgegangen werden.Die Irreführung des Verbrauchers durch unseriöse Praktiken beim Aus- und Räumungsverkauf konnte durch die Rechtsprechung der zurückliegenden Jahre nicht beseitigt werden. Mittlerweile haben die Mißstände im Ausverkaufswesen ein derart unerträgliches Maß erreicht, daß sie so nicht länger hingenommen werden können.Dies sind einige Probleme des Wettbewerbsrechts, die den Beteiligten große Sorgen bereiten, für deren Lösung Sie von der SPD jedoch nichts, aber auch gar nichts anbieten und keinerlei Vorschläge unterbreiten.
— Sie werden in aller Ruhe, Herr Kollege Emmerlich, unsere Vorschläge abwarten können.
uns geht es nicht um Schnellschüsse, wie sie bei Ihnen inzwischen zur Tagesordnung geworden sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie in den letzten acht Jahren sich einmal zum vernünftigen Nachdenken hingesetzt hätten, hätten Sie die Novellierung des UWG vielleicht durchgebracht. Was Sie fabriziert haben, waren jedesmal Pappkameraden, die aufgestellt wurden und dann von den eigenen Leuten abgeschossen wurden. Wir haben nicht vor, dies bei unserer Tätigkeit zum Prinzip zu erheben.Meine sehr verehrten Kollegen von der Opposition, Sie verraten durch die erneute Einbringung Ihres wettbewerbspolitischen und verbraucherpolitischen Ladenhüters nur allzu deutlich, daß Ihnen der Praxisbezug fehlt oder aber daß Sie offensichtlich überhaupt nicht an einer Weiterentwicklung interessiert sind, die den heutigen Erfordernissen entspricht.Sie sollten wenigstens hier zur Kenntnis nehmen, daß die speziell betroffenen Verbände der Wirtschaft, des Handels und der Industrie seit längerem bemüht sind, Wettbewerbsregeln zur Preiswerbung zu erarbeiten und zu verabschieden. Auch die Einrichtung von Schiedsgerichten sowie die Verabschiedung von Schiedsgerichtsordnungen befinden sich in der Diskussion. Diese Diskussion ist erfolgversprechend, allerdings noch nicht abgeschlossen. Die gemeinsame Erklärung zur Sicherung des Leistungswettbewerbs ist als Selbsthilfeaktion von Verbänden der gewerblichen Wirtschaft dazu bestimmt, nicht leistungsgerechte Verhaltensweisen in der Grauzone zwischen Kartell- und Wettbewerbsrecht aufzuzeigen und dazu beizutragen, Wettbewerbsverzerrungen abzubauen. Ich glaube, wir sollten die positiven Ergebnisse einer solchen Selbsthilfeaktion der Wirtschaft, der grundsätzlich der Vorrang vor einer staatlichen Reglementierung zu geben wäre, in unsere Überlegungen einbeziehen. Ich kann mir vorstellen, daß auf manche gesetzliche Neuregelung verzichtet werden kann, allerdings nur dann, wenn Erfolge dieser Aktion möglichst schnell erkennbar werden
und nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden. Gerade dies würde dazu dienen, die Interessen der Verbraucher mit zu schützen, u. a. beim Preis.
Es geht ja wohl darum, daß es seriöser und lauter wird.Ziel unserer künftigen Bemühungen muß es also sein, den lauteren Wettbewerb und die Institution Wettbewerb künftig besser zu schützen. Die heute noch weit verbreiteten Sonderangebotsstrategien mit unlauteren Preisgegenüberstellungen und in der Menge begrenzten Lockvogelangeboten sind seltsame Blüten der Mischkalkulation, durch die der Verbraucher getäuscht wird.Zu unterstützen, meine sehr verehrten Herren Kollegen von der Opposition — es sind im Moment nur Herren da von der Opposition — —
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Eine Sekunde! Wollen Sie einen Zwischenruf machen, eine Zwischenfrage an den Kollegen Sauter stellen?
Frau Kollegin, ich sehe das anders.
Zu unterstützen ist weiterhin der in § 13 — —
Herr Abgeordneter Sauter, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Beck-Oberdorf?
— Verehrte Frau Kollegin, es gehört nicht zu den Usancen des Hauses, daß von dort der amtierende Präsident kritisiert wird. Das können wir im Ältestenrat machen. Außerdem sind hier nicht Parteien anwesend, sondern hier sind Fraktionen anwesend.
Ich gebe zu, hier sind zwei Koalitionsfraktionen, von denen eine aus zwei verschiedenen Parteien besteht, und wir haben hier zwei Fraktionen im Hause, die im Augenblick ungefähr gleich stark präsent sind, soweit es die Opposition betrifft.
Habe ich jetzt alle Auskünfte gegeben? Aber ich würde Sie herzlich bitten, das nicht allzuoft zu machen. Dann müßte ich von anderen Paragraphen der Geschäftsordnung Gebrauch machen.
Ich bitte den Redner fortzufahren.
Zu unterstützen sind weiterhin die in § 13 Abs. 6 des Entwurfs vorgesehenen Maßnahmen gegen die Abmahnvereine. Die Beschneidung des Kostenerstattungsanspruchs bei der ersten Abmahnung ist weiterhin die geeignetste und einfachste, wenn auch radikale Lösung des Problems.
Nur so können die zuhauf auftretenden Mißstände bei der Verfolgung wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche abgestellt werden.
— Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen beim Frühstück.
Diese Lösung ist im übrigen auch mittelstandsfreundlich, da unter der gegenwärtigen Praxis sogenannter Abmahnvereine gerade mittelständische Betriebe besonders zu leiden haben. Es ist bekannt, daß sich gewisse unseriöse Verbände mit Vorliebe auf Bagatellverstöße der Kleinen stürzen. Begeht ein mittelständischer Betrieb, oft ahnungslos, weil er mit den Feinheiten des Wettbewerbsrechts nicht vertraut ist, einen Wettbewerbsverstoß von vielfach ganz geringem Unrechtsgehalt, flattert ihm nicht selten eine große Zahl von Abmahnbriefen aus dem gesamten Bundesgebiet ins Haus, in denen ihm jeweils 120 bis 200 DM abverlangt werden. Ich will damit nicht sagen, daß kleinere Wettbewerbsverstöße toleriert werden sollten. Richtiger als eine juristische und kostspielige Einschüchterung eines Unternehmens wäre hier wohl eine sachgerechte Aufklärung durch die Öffentlichkeitsarbeit der seriösen Verbände.
Ich befürchte nicht, daß die Wettbewerbssitten verrohen, wenn der finanzielle Anreiz für derartige Abmahnungen genommen wird. Wer durch einen Wettbewerbsverstoß ernsthaft geschädigt wird, wird den Gang zum Anwalt nicht scheuen und auch die Gebühr für ein Abmahnschreiben aufwenden, um seinem unlauteren Konkurrenten das Handwerk zu legen.
Für Wettbewerbsvereine gehören Abmahnungen, die in der Regel auch keine besonders hohen Aufwendungen verursachen, zum laufenden Geschäftsbetrieb. Sie erfüllen damit ihren ideellen Vereinszweck. Sofern sie ihn wirklich ernst nehmen, werden sie sich kaum von ihren Aufgaben abhalten lassen, wenn sie die Kosten für eine erste Abmahnung — und nur um diese geht es hier — selber tragen müssen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, Sie machen weiterhin erkennbar den Eindruck, daß Sie sich auf eine lange Phase der Verantwortung in der Opposition eingerichtet haben. Ich kann Ihnen daher nur empfehlen, Ihr Bißchen an rechtspolitischem Pulver nicht gleich in den ersten Monaten Ihrer Oppositionstätigkeit zu verschießen und in Zukunft Ihre Gesetzesvorlagen überlegt und behutsam einzubringen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Kleinert.
Herr Duve, man versucht es oft; es gelingt nicht immer. Ich danke für die Vorschußlorbeeren.Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die rechtspolitischen Unterhaltungen der letzten Monate waren gekennzeichnet von der Frage nach der Kontinuität. Heute morgen haben wir einen großartigen Beweis dafür, daß auf allen Seiten diese Kontinuität hochgradig gewahrt wird. Wir haben hier von der SPD wieder alte Herzenswünsche vernommen. Wir haben die teilweise Zustimmung und teilweise Ablehnung von seiten der CDU, beiderseits ohne Rücksicht auf die inzwischen eingetretenen Wechsel in der Regierungsverantwortung, vernommen. Wir bleiben unsererseits
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Kleinertebenfalls in der Kontinuität, indem wir nämlich ganz besonders ernst nehmen, was heute morgen als eine kürzliche Feststellung von Herrn Stark in einer neueren Formulierung gesagt wurde: Es muß jedesmal bewiesen werden, daß eine neue gesetzliche Regelung wirklich nützlich ist, daß sie wirklich den Nutzen bringt, der den gesetzgeberischen und den mit jedem gesetzgeberischen Aufwand verbundenen verwaltungsmäßigen Aufwand rechtfertigt. Da, wo das nicht der Fall ist, muß man im Zweifel noch länger darüber nachdenken, ob es wirklich notwendig ist, ein Gesetz zu machen, oder wie man es denn so gestalten kann, daß es den eben genannten Voraussetzungen entspricht.
Das aber hat bei diesem Entwurf schon immer gefehlt.Ich möchte jetzt versuchen, eine Bemerkung außerhalb der Kontinuität zu machen, nämlich einmal zu fragen: Gibt es denn angenehmer- und abwechslungsreicherweise irgend etwas, was sich an dem hier schon so oft und im wesentlichen — wie auch heute morgen wieder — in gleicher Formation und mit den gleichen Argumenten diskutierten Problem geändert hat? Da meine ich, Sie in diesem Zusammenhang auf folgendes hinweisen zu sollen. Wir haben sozusagen in anderen Abteilungen, aber immerhin übersichtlicherweise noch im selben Ausschuß uns immer mehr zu befassen mit der Klage über die Überlastung der Gerichte und über die Unmöglichkeit, dieser Überlastung etwa durch Schaffung zusätzlicher Stellen Rechnung zu tragen; dies auch keineswegs nur aus finanziellen Gründen, sondern auch deshalb, weil die Gerichtskörper eine weitere Ausdehnung aus vielen anderen Gründen der Qualität der Rechtsprechung einfach nicht vertragen können. Diese Entwicklung ist während der Diskussion über dieses neue Gesetz immer weiter vorangeschritten.Ich möchte versuchen, eine der Ursachen — es gibt kaum monokausale Vorgänge — dafür zu erwähnen, daß trotz ständig gestiegener Kosten und Gebühren für die Rechtsstreitigkeiten die Zahl der Rechtsstreitigkeiten nicht abgenommen hat, wie wir vor sechs oder acht Jahren anläßlich von Gebührenerhöhungen noch angenommen haben, sondern daß sie stetig zugenommen hat.Ich behaupte, einer der Gründe dafür ist eine zunehmende Kommunikationsunfähigkeit in größer werdenden Kreisen der Bevölkerung und daraus resultierend die Bereitschaft, statt einen gütlichen Ausgleich zu suchen, einen Rechtsstreit zu beginnen und sich richtig ernsthaft auseinanderzusetzen, statt sich auf irgendeine Weise miteinander auszugleichen.Wenn ich mit dieser Behauptung recht haben sollte — die erste Behauptung hinsichtlich der zahlenmäßigen Entwicklung wird j a wohl ohnehin nicht bestritten werden —, dann haben wir allerdings einen neuen Gesichtspunkt in dieser alten wettbewerbsrechtlichen Diskussion, nämlich den, daß es noch viel weniger als in früheren Zeiten verantwortbar ist, wegen eines zweifelhaften oder gar keines Nutzens die Gerichte zusätzlich zu belasten und in der Bevölkerung erneut auf einem neuen Feld Erwartungshaltungen zu wecken, was sie alles von Gesetzes und Rechts wegen etwa an Vorteilen zu erwarten habe, während diese Vorteile gar nicht existieren. Die Folgen sind zusätzliche Prozesse ohne irgendeinen Nutzen für die Beteiligten. Deshalb hat sich tatsächlich die Grundlage unserer Ablehnung in einer Reihe von Punkten — nicht in allen —, die Ihnen auch aus früheren Diskussionen bekannt sind, noch deutlich verschärft. Das ist das, was sich geändert hat. Das spricht aber nur um so mehr für unsere Einstellung zu diesem Gesetzentwurf.Weil die Wiederholung die Mutter des Lernens ist — ich kann das auch auf Latein, aber Sie haben, Herr Duve, mit Ihrer Mahnung recht gehabt; nun ist er gar nicht mehr da —, sage ich Ihnen noch einmal: § 13 a Abs. 2 wird überhaupt nur verständlich durch die Bestimmung in § 13b Abs. 1, wo aus einer an sich völlig überflüssigen Bestimmung nur für einen ganz begrenzten Kreis von Institutionen etwas Nützliches wird, nämlich über die gebündelte Geltendmachung ein zusätzliches Tätigkeitsfeld für Verbraucherverbände im Rechtsbereich erschlossen werden kann, während der einzelne von der in § 13 a vorgesehenen Bestimmung angesichts der hier in Rede stehenden Werte überhaupt nichts haben könnte. Das ist allerdings ein Grund, die ganze Angelegenheit nicht nur noch skeptischer, sondern sehr ablehnend zu betrachten.Es ist j a Mode geworden, in zweifelhaften volkswirtschaftlichen Darlegungen von unserem Übergang zu einer Dienstleistungsgesellschaft zu sprechen. Sicherlich ist es richtig, daß viel weniger mit der Hand geschaffen, weniger — um es deutlicher zu sagen — malocht werden muß. Statt dessen hat der Fortschritt es ermöglicht, daß viel mehr Bürger einer körperlich weniger anstrengenden Tätigkeit nachgehen können.Das bedeutet aber noch nicht, daß jede verwaltende Tätigkeit für unsere Volkswirtschaft von Nutzen wäre. Das Gegenteil ist der Fall. Ich behaupte nämlich, daß für die Volkswirtschaft von Nutzen nur solche Leistungen sind — ob in der Produktion oder im Dienstleistungsbereich —, die auch gegen Entgelt nachgefragt werden, also einen zusätzlichen Nutzen für den nachfragenden Bürger schaffen. Das kann man keineswegs von allen diesen Leistungen sagen.
— Ich will weder die Lehrer noch die Polizei abschaffen, und ich sehe Bereiche hoheitlicher Verwaltungen, an die man mit dem Maßstab nicht herangehen kann.
Ich sehe aber auch, daß mit der Behauptung, hier würden Dienstleistungen erbracht, Dinge in die Welt gesetzt werden, die den Bürger zum Schluß, zum Teil auf sehr verschlungenen Wegen, Geld kosten, ihm ein Mehr an Lebensqualität vorgaukeln, aber tatsächlich — und das nicht nur im finanziel-
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Kleinertlen Bereich — Einbußen an Lebensqualität bringen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schwenk?
Wenn ich diesen Gedanken eben noch zu Ende führen darf, Herr Schwenk.
Genauso verhält es sich hier, wenn Sie eine scheinbare zusätzliche Dienstleistung durch diese gebündelte Geltendmachung eines überflüssigen Schadensersatzanspruches installieren.
Bitte schön.
Herr Kollege Kleinert, sind Sie mit mir nicht auch der Auffassung, daß eine solche gebündelte Abmahn- oder Klagebefugnis einem gebündelten unlauteren Wettbewerb, wie wir ihn kennen, dringend entgegengestellt werden muß?
Dieser Meinung bin ich überhaupt nicht. In diesen Debatten ist schon oft darauf hingewiesen worden, daß das vorhandene Instrumentarium des Wettbewerbsrechts und die darauf fußende Rechtsprechung jedenfalls in dieser Richtung so weit ausgebaut sind — überdies in den den Bürger, den Verbraucher allein interessierenden Fällen auch durch das bürgerliche Recht —, daß es eines zusätzlichen Instruments nicht bedarf.
Ich komme wieder zurück auf die von mir des öfteren erwähnte Sylter Konferenz, auf der die Vertreter der Verbraucherverbände in aller Offenheit über die Möglichkeit zusätzlicher Einnahmen beraten und dabei diesen Schadenersatz erfunden haben, und zwar gezielt — offen und ehrlich angesprochen — für ihre eigene Verbandskasse und nicht für die angeblich vertretenen Verbraucherinteressen. Diese sagenhafte Doppelbödigkeit gerade bei Leuten, die vorgeben, ausschließlich höheren Zielen dienen zu wollen, ist es, die man bei dieser Gelegenheit unter dem vorhin genannten Gesichtspunkt der Wiederholung immer wieder erwähnen muß.
Deshalb sind wir so dagegen!
Sehen wir uns nun an, was für Folgen das hat. Insofern nämlich gibt es in Ihrem Entwurf auch etwas Neues. Es ist — ungehemmt von den Verantwortungen der Regierung, ungehemmt auch von einer zugegeben häufig sehr freundlichen Rücksichtnahme auf einen Koalitionspartner — hier alles, was es an Schrecknissen verwaltungsmäßigen Aufwands gibt, zusammengestellt worden, wenn es darum geht, wie diese Verbände zugelassen werden müssen, wie sie kontrolliert werden und — interessanterweise auch dies — wie sie abrechnen. Die Kosten, die ihnen für die Rechtsverfolgung entstanden sind — und das bei diesen Einzelwerten für die hier früher schon zitierte Flasche Whisky, die nicht so war, wie man es nach der Werbung schon auf der Zunge vorschmecken konnte —, die Differenz, die da geltend gemacht wird, wird zugrunde gelegt, und davon werden die angemessenen Verwaltungskosten abgezogen. Da bleibt natürlich nichts, aber das ist möglich.
Für den Rest, der nach diesem Abzug vielleicht doch übrigbleibt, gibt es hier genaue Rechnungslegungs- und Prüfungsvorschriften. Die Aufsichtsbehörde prüft jährlich, wie diese Pfennige durch den installierten Verband sinnvoll verwendet werden. Das ist eine Orgie an Verwaltungsaufwand und Bürokratismus, das ist das Gegenteil von vernünftig verstandener Verbraucherfreundlichkeit.
Deshalb müssen wir zu diesem Teil des Gesetzentwurfes mit seinen dazugehörigen Bestimmungen weiterhin ein klares Nein sagen.
Ganz anders verhält es sich mit einer Anzahl von Punkten, auf die auch Herr Sauter schon hingewiesen hat, in denen wir auch mit Ihnen, Herr Schwenk, einig gehen können. Es gibt Vorstellungen, die Sie zum Teil in Ihrem Entwurf angesprochen, zum Teil — Herr Sauter hat auch darauf hingewiesen — auch noch nicht angesprochen haben, die einer Verbesserung des Wettbewerbs dienen können, die auch Mißbräuchen des bisherigen Rechts auf sehr unbürokratische Weise — wie z. B. der Verzicht auf die erste Gebühr — zu steuern geeignet wären. Deshalb muß es, so meine ich, Aufgabe der weiteren Beratung sein, zu prüfen, ob sich wegen der verbleibenden wünschbaren Regelungen der gesetzgeberische Aufwand lohnt oder ob die sorgfältig zu beobachtende Entwicklung der Rechtsprechung auch im GWB-Bereich den Verzicht auf weitere Regelungen, etwa auch in Hinblick auf Selbsthilferegelungen der beteiligten Kreise, sinnvoll erscheinen läßt.
Darüber werden wir uns zu unterhalten haben. Wir werden diesen — durchaus nicht unerheblichen — Rest an Gedanken Ihres Vorschlages unter den dargelegten Gesichtspunkten unvoreingenommen prüfen, und wir werden außerdem prüfen müssen, was etwa noch hinzuzufügen ist, um in diesem Bereich endlich einmal zu einer Beruhigung zu kommen.
Wir werden uns aber — um dies zum Schluß zu wiederholen — auch nicht scheuen, wenn die Überlegungen nur wenig Vorteil, aber einen erheblichen Aufwand bedeuten, das ehrlich zu sagen und schließlich auf jede Regelung zu verzichten. Vielleicht kommen wir auf diese Weise zu einem Abschluß der langandauernden Kontinuität in dieser Frage. — Herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/80 an den Rechtsausschuß — federführend — und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft zu überweisen. Wer diesem Vorschlag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe.
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Präsident Dr. Barzel— Enthaltungen? — Die Überweisungen sind beschlossen.Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von den Abgeordneten Bachmaier, Buschfort, Dreßler, Egert, Dr. Emmerlich, Fischer , Glombig, Heyenn, Kirschner, Klein (Dieburg), Dr. Kübler, Lambinus, Lutz, Peter (Kassel), Reimann, Schmidt (München), Schreiner, Schröder (Hannover), Dr. Schwenk (Stade), Frau Steinhauer, Stiegler, Urbaniak, Weinhofer, von der Wiesche, Dr. de With und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Konkursordnung— Drucksache 10/81 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und SozialordnungMeine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu 10 Minuten Dauer für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das Wort hat der Kollege Bachmaier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist heute unbestritten, daß das deutsche Insolvenzwesen dringend einer grundlegenden Neugestaltung bedarf. Praktisch jeder fünfte Arbeitsplatz geht durch Firmenzusammenbruch verloren. Der Konkurs hat sich zum Jobkiller ersten Ranges entwickelt. Das Schlagwort vom „Konkurs des Konkurses" macht die Runde. Dreiviertel aller Insolvenzfälle werden nicht mehr in gesetzlich geordneten Verfahren abgewickelt, ganz zu schweigen von der Vielzahl der sogenannten stillen Insolvenzen. Die Konkursmassen sind in der Regel ausgeplündert, so daß sich die nicht bevorrechtigten Konkursgläubiger, und dies sind häufig mittlere und kleinere Betriebe, mit Miniquoten von einigen wenigen Prozenten zufriedengeben müssen.Der volkswirtschaftliche Gesamtschaden der Insolvenzen nimmt unerträgliche Ausmaße an. Alleine für das Jahr 1982 wurde er auf über 20 Milliarden DM geschätzt. Ernst Jägers Ausspruch vom „Konkurs als einem Wertevernichter der schlimmsten Sorte" ist zu einem geflügelten Wort geworden.Bei dieser wirklich schlimmen Ausgangslage ist der Gesetzgeber zu umgehendem und zügigem Handeln im Interesse der Betroffenen, deren Zahl ständig steigt, gefordert. Anläßlich der Einsetzung der Kommission für Insolvenzrecht im Februar 1978 hat Hans-Jochen Vogel als damaliger Bundesjustizminister das eigentliche Ziel der Reformbemühungen darin gesehen, das Konkursverfahren von einem Liquidationsverfahren zu einem Sanierungsverfahren fortzuentwickeln. Das Ziel hat zu sein, unnötige und wertevernichtende Liquidierungen dadurch zu vermeiden, daß ein sinnvolles Reorganisationsverfahren Produktionsstätten und Arbeitsplätze erhält.Bei der mit Nachdruck zu betreibenden Insolvenzrechtsreform wird gesteigerte Aufmerksamkeit auch der Frage gewidmet werden müssen, wo die Ursachen dafür liegen, daß die in der Rechtsform der GmbH betriebenen Unternehmen überdurchschnittlich, d. h. mit mehr als der Hälfte an den Konkursfällen beteiligt sind. Interessant ist hierbei auch, daß inzwischen ca. dreiviertel der in den Handelsregistern eingetragenen Firmenneugründungen in der Rechtsform eben der GmbH erfolgen und daß gerade relativ junge Unternehmen, also wiederum vorwiegend GmbHs, in der Pleitenstatistik eine weit hervorgehobene Rolle spielen. Hier muß es ja wohl Zusammenhänge geben, die einer näheren, insbesondere gesellschaftsrechtlichen Beleuchtung bedürfen. Im Zuge einer Insolvenzverhinderungsstrategie wird man bei diesen Zusammenhängen wohl auch über gesellschaftsrechtliche Konsequenzen nachdenken müssen.Mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Konkursordnung greifen wir ein Problem auf, das dringend vorab einer gesetzlichen Klarstellung bedarf. Es geht um die Realisierung von Sozialplanansprüchen beim Zusammenbruch von Arbeitgeberfirmen. Der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts hat bekanntlich in einer Entscheidung am 13. Dezember 1978 beschlossen, daß Ansprüche aus einem Sozialplan auf Abfindung für Verlust des Arbeitsplatzes und Ansprüche auf Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes bevorrechtigte Konkursforderungen mit dem Rang vor Nr. 1 des § 61 Abs. 1 der Konkursordnung sind. Mit dieser Entscheidung schien eine Reihe von Streitfragen geklärt zu sein, die bislang in Rechtsprechung und Literatur kontrovers entschieden und beurteilt worden sind.Gegen diese Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts liegen nunmehr zwei Verfassungsbeschwerden von Konkursverwaltern vor, in denen dem Bundesarbeitsgericht insbesondere vorgeworfen wird, den zulässigen Rahmen der richterlichen Rechtsfortbildung überschritten zu haben. Die gegebene Rechtsunsicherheit hat dazu geführt, daß Konkursverwalter in einer erheblichen Anzahl von Fällen unter Hinweis auf die anhängigen Verfassungsbeschwerden Zahlungen an Arbeitnehmer aus abgeschlossenen Sozialplänen zurückhalten, obwohl die entsprechenden Mittel in der Konkursmasse vorhanden sind. Dieses Vorgehen der Konkursverwalter erklärt sich aus deren verständlicher Sorge, im Falle einer negativen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts schadensersatzpflichtig zu werden. Eine Vielzahl von Arbeitnehmern, die durch die Insolvenz ihres bisherigen Arbeitgebers ohnehin in erhebliche Not geraten ist, wird durch dieses Verhalten noch zusätzlich belastet. Es ist daher erforderlich, die durch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts bereits im Jahr 1978 herbeigeführte Rechtslage im Interesse der konkursbetroffenen Arbeitnehmer raschmöglichst gesetzlich festzuschreiben,
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Bachmaierso daß der unhaltbare gegenwärtige Zustand der Rechtsunsicherheit beseitigt wird. — Ich danke sehr.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Klein vom Bundesministerium der Justiz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Anknüpfend an die einleitende Bemerkung, die Herr Kollege Schwenk heute morgen gemacht hat, möchte ich gern darauf hinweisen, daß der Herr Bundesminister der Justiz heute aus gesundheitlichen Gründen gehindert ist, an dieser Beratung teilzunehmen, und Sie deshalb mit meiner Wenigkeit vorliebnehmen müssen. Ich bitte um Nachsicht und Verständnis.Der Entwurf der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei zur Änderung der Konkursordnung, den wir beraten, stimmt wörtlich mit einem Gesetzesantrag der Freien und Hansestadt Hamburg vom 23. Oktober 1981 überein.
Am 26. März des Jahres 1982 hat der Bundesrat diesen Gesetzesantrag abgelehnt. Er hat es abgelehnt, ihn beim Bundestag einzubringen.Die damalige Bundesregierung, meine Damen und Herren, hatte — vielsagend, wie ich meine — davon abgesehen, im Bundesrat zu der Hamburger Initiative Stellung zu nehmen.
Die Ablehnung des Bundesrates war wohlbegründet. Die Gründe, die damals für diese Ablehnung geltend gemacht worden sind, treffen auch heute noch zu.Zunächst ist ein Bedürfnis für eine gesetzliche Regelung, wie sie von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, vorgeschlagen wird, nicht zu sehen. Schon bei den Erörterungen des Hamburger Antrags im Bundesrat ist geltend gemacht worden, daß wegen verfassungsrechtlicher Zweifel Zahlungen auf Sozialplanansprüche eben nicht in nennenswertem Umfang zurückgehalten worden seien. Inzwischen hat eine im Jahre 1982 im Auftrag des Bundesministers der Justiz erarbeitete Untersuchung über den Sozialplan in Konkursunternehmen gezeigt, daß sich zwar Auszahlungen auf Sozialpläne im Konkursverfahren zuweilen erheblich verzögern, diese Verzögerungen aber kaum auf verfassungsrechtliche Zweifel an der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, von der die Rede war, zurückzuführen sind. Nur in zwei von den 40 untersuchten Fällen hat dieser Gesichtspunkt eine Rolle gespielt.Eine gesetzliche Festschreibung jenes von Ihnen, Herr Kollege Bachmaier, erwähnten Beschlusses des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 1978 würde auch nicht die von Ihnen erwartete Rechtssicherheit bringen. Denn die Verfassungsbeschwerden, die gegen Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts, die wiederum auf diesem Beschluß des Großen Senats beruhen, eingelegt worden sind, rügen eben nicht nur, wie Sie es gesagt haben, daß das Bundesarbeitsgericht hier seine richterlichen Befugnisse überschritten habe, sondern sie machen auch geltend, daß der Inhalt des Beschlusses Grundrechte verletze.Eine Umschreibung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in Gesetzesform ließe deshalb gar keine Klärung der Rechtslage erwarten. Denn dann wäre mit neuen Verfassungsbeschwerden zu rechnen, die sich nunmehr gegen das von Ihnen vorgeschlagene inhaltsgleiche Gesetz zu richten hätten.Deswegen kann das vorgeschlagene Gesetz, selbst wenn es der Bundestag beschlösse, das Ziel, die behauptete Unsicherheit in der Abwicklung der Konkursverfahren zu beseitigen, gar nicht erreichen. Im Gegenteil, die Beseitigung von Zweifeln, die man sich von der in absehbarer Zeit zu erwartenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts versprechen darf, würde nur weiter hinausgeschoben werden. Im übrigen ist es, wie ich meine, auch eine Stilfrage, ob der Gesetzgeber der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in einem bereits anhängigen Verfahren vorgreifen sollte.Abgesehen von diesen Bedenken würde Ihr Entwurf für die Arbeitnehmer auch keine wesentliche Verbesserung ihrer Rechtsstellung bringen. In etwa dreiviertel aller Insolvenzfälle kann der Konkurs mangels Masse nicht eröffnet werden.
Solange diese mißliche Lage der Insolvenzpraxis nicht behoben ist, würde die isolierte Regelung über die Sozialpläne, wie Sie sie vorschlagen, weitgehend ins Leere gehen.
Damit bestätigt sich, daß punktuelle Einzelmaßnahmen im Bereich des Insolvenzrechts eben nicht ausreichen, um die unbefriedigende Lage in diesem Bereich zu ändern. Nur eine umfassende Reform kann den Schutz der Gläubiger, insbesondere und gerade auch den Schutz der Arbeitnehmer, beim finanziellen Zusammenbruch eines Unternehmens gewährleisten.An der Vorbereitung dieser Gesamtreform des Konkurs- und Vergleichsrechts arbeitet, wie Sie wissen und ja auch erwähnt haben, eine im Jahre 1978 eingesetzte Kommission für Insolvenzrecht. Die Arbeiten dieser Kommission und auch die begleitenden Vorarbeiten im Bundesministerium der Justiz, die soeben erst durch entsprechende organisatorische Maßnahmen noch beschleunigt worden sind, würden durch die Festschreibung des Beschlusses des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts erheblich erschwert. Der Gesetzentwurf, träte er in Kraft, würde eine ausgewogene Gesamtlösung nicht fördern, sondern behindern. Das kann, wie ich meine, am allerwenigsten im Interesse der Arbeitnehmer liegen.Nur der Vollständigkeit halber sei schließlich angemerkt, daß der Gesetzentwurf auch lückenhaft
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Parl. Staatssekretär Dr. Kleinist. So führt er keine Klärung der Frage herbei, wie sich die Sozialplanansprüche zu den Ansprüchen verhalten sollen, die den Arbeitnehmern nach dem Kündigungsschutzgesetz zustehen. Auch insofern sollte der Gesamtreform des Insolvenzrechts nicht vorgegriffen werden.Die Bundesregierung kann deshalb die Initiative der SPD-Fraktion nicht unterstützen. Auch hier gilt der heute ja schon mehrfach unter Bezugnahme auf den Vorsitzenden des Rechtsausschusses hervorgehobene Grundsatz, daß nicht Gesetz werden sollte, was nicht Gesetz werden muß. — Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Potthast.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde! Grundsätzlich begrüßen wir, die GRÜNEN im Bundestag, die sozialpolitische Richtung dieses von seiten der SPD-Fraktion eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Konkursordnung. Damit greift die SPD-Fraktion eine alte — ich betone: alte — Forderung nach Änderung der Konkursordnung auf, die nicht nur von seiten der Hamburger erhoben, sondern auch auf dem 11. Ordentlichen DGB-Bundeskongreß 1981 beschlossen wurde.Wie aus der Begründung der SPD-Fraktion ersichtlich wird, handelt es sich hierbei lediglich um eine längst fällige Korrektur der derzeitig noch geltenden Konkursordnung, eine Korrektur, die vom Bundesarbeitsgericht bereits vorweggenommen worden ist. Wir begrüßen es grundsätzlich, wenn diejenigen, die durch den Konkurs ihres Arbeitgebers in finanzielle Schwierigkeiten geraten, ohne die noch bestehenden Rechtsunsicherheiten Ansprüche, die sich aus Sozialplänen ergeben, vorrangig geltend machen könnten. Daß Sie, meine Herren und Damen von der CDU/CSU, das ablehnen, ist uns klar.
Was mich allerdings verwundert, ist der Zeitpunkt, zu dem Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, diesen Entwurf einbringen. Denn aus Ihrer eigenen Begründung geht hervor, daß die Rechtsunsicherheit bezüglich der Auslegung des Urteils des Bundesarbeitsgerichts durch die anhängigen Verfassungsbeschwerden seit nunmehr mindestens 1980 besteht, d. h. seit drei Jahren! Ich denke mir, daß es damals für Sie ein leichtes hätte gewesen sein müssen, diesen Entwurf in den Bundestag zu tragen; denn damals stellten Sie die Regierung.
Der Zeitpunkt verblüfft also und läßt die Frage hochkommen, ob Sie es wohl wieder an der Zeit fanden, sich als Arbeitnehmerpartei profilieren zu müssen, indem Sie als Opposition längst überfällige Forderungen des DGB per Gesetzesinitiative in denBundestag tragen. Vermutlich wird die Gewerkschaftsführung wieder einmal, dankbar lechzend, Ihre Bemühungen aufgreifen und propagandistisch verwerten — denn zeigt Ihr wiedererwachtes Engagement für die sozialen Belange der Arbeitnehmerschaft nicht, daß Sie als verlorene Tochter wieder auf den rechten Weg sozialdemokratischer Tugend zurückgefunden haben?Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD- Fraktion, Sie scheinen die Zeichen der Zeit nicht zu sehen bzw. geflissentlich zu übersehen, selbst wenn Sie sie hier immer wieder betonen. Von 1979 bis 1982 hat sich die Anzahl der Vergleiche und Konkurse fast verdoppelt. Das heißt in konkreten Zahlen, daß die Anzahl der Insolvenzen in drei Jahren von 8 319 auf 15 877 gestiegen ist. Glauben Sie wirklich, daß angesichts dieser drastischen Steigerung von Insolvenzen auf dem Hintergrund von andauernder Massenarbeitslosigkeit diese von Ihnen ins Rampenlicht getragene Rechtsunsicherheit — ich zitiere — „die vom Konkurs ihres Arbeitgebers betroffenen Arbeitnehmer erheblich belastet"? Oder ist es nicht vielmehr so, daß diese erhebliche Belastung weniger von der Unsicherheit herrührt, an welcher Stelle die Ansprüche aus den Sozialplänen behandelt werden, denn diese wären ohnehin nur unzureichend gedeckt, wie Sie es auch bestätigt haben, sondern daß diese erhebliche Belastung eher durch die einem Konkurs in dieser Zeit zwangsläufig folgende Arbeitslosigkeit hervorgerufen wird? Das heißt, müssen wir nicht, wenn wir eine Änderung der Konkursordnung anstreben, viel, viel weiter gehen, müssen wir nicht, wenn überhaupt, an die Wurzeln der Problematik vieler Konkurs- und Vergleichsverfahren gehen, indem wir fragen, wie zukünftig verhindert werden kann, daß Unternehmen und vor allem Konzerne Betriebsstätten aus konzernstrategischen Gründen und/oder aus Gründen der Marktaufteilung zugunsten ihrer Profitsteigerung schließen?
— Wohlgemerkt, ich spreche hier von Betriebsschließungen und Massenentlassungen, die aus betriebswirtschaftlichen Gründen keinesfalls notwendig waren, Herr Cronenberg. Ich meine Betriebsschließungen, wie sie z. B. bei der Ulmer Farbbildröhrenfabrik Videocolor strategisch, in diesem Fall von Thomson-Brandt, vorbereitet und ohne Rücksicht auf die Betroffenen durchgeführt wurden. Hier müssen Änderungen ansetzen: bei den Mitbestimmungsrechten der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, bei Kündigungen oder Massenentlassungen, die den Betriebsschließungen vorweggehen.
— Eine Strategie ist kein Wert oder Unwert an sich; sie muß nicht unbedingt schlecht sein. Sollten wir also nicht in erster Linie darauf hinarbeiten, daß die Konkursordnung nicht mehr wie bislang die Schließung des Betriebs zur Folge hat, sondern auf die Erhaltung des Betriebes ausgerichtet ist?
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Frau PotthastWir befürworten also diesen Entwurf der SPD- Fraktion, betrachten ihn allerdings angesichts der wirtschaftspolitischen Situation als einen Tropfen auf den heißen Stein. Wir streben also eine Änderung der Konkursordnung an, die insbesondere die Möglichkeit vorsehen muß, daß die in Konkurs gehenden Betriebe in das Eigentum der Belegschaft übergehen können.
Statt Arbeitslosengeld und Sozialhilfe zu zahlen, wäre es sinnvoller, Betriebe umzustellen und als Belegschaftsbetriebe weiterzuführen.
Unter Wettbewerbsgesichtspunkten bedeutet heutzutage jeder Konkurs, daß immer weniger Betriebe und Unternehmen den Markt unter sich aufteilen. Wer immer die freie Marktwirtschaft betont, der sollte auch dafür sorgen, daß Betriebe auch gerade dann erhalten werden, wenn sie den Belegschaften gehören und die Belegschaften selbst über Arbeit und Produktion bestimmen können,
wobei Produktionsprogramme entwickelt werden sollten, über die nach sozialen und ökologischen Kriterien entschieden wird. — Danke sehr.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eylmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir halten das Insolvenzrecht insgesamt für reformbedürftig, und zwar auch dann, wenn man an den Begriff der Reformbedürftigkeit einen sehr strengen Maßstab anlegt. Wir befinden uns insofern auch in Übereinstimmung mit der Praxis, den Wirtschaftsverbänden, den Gewerkschaften, den Konkursrichtern, der Konkursverwaltern und auch mit der Rechtswissenschaft.Ich habe allerdings Zweifel, ob ich hier trotz der Ausführungen des Kollegen Bachmaier noch eine Übereinstimmung mit der SPD-Fraktion feststellen kann, denn hier fällt das Tun offensichtlich doch ganz anders aus als das Reden. Wir müssen uns doch darüber im klaren sein, daß das, was Sie hier heute vorschlagen, die Gesamtreform gefährdet. Sie schlagen erstens keine Gesamtreform vor, sondern nur eine punktuelle Änderung. Sie wissen zweitens, daß diese punktuelle Änderung die Gesamtreform verzögern, ja sogar gefährden kann, weil sie sie präjudiziert. Sie tun das drittens, obwohl überhaupt keine Eile notwendig ist, denn Sie wollen ja nur durch das Bundesarbeitsgericht geschaffenes Richterrecht in die Form des Gesetzes bringen.Vielleicht ist diese offensichtliche Diskrepanz auch die Ursache dafür, daß die früheren Justizminister Vogel und Schmude hier heute nicht anwesend sind und sich deshalb unbequemen Fragen nicht stellen können.
Warum das Insolvenzrecht im ganzen reformbedürftig ist, kann hier nicht im einzelnen ausgeführt werden. Insolvenzrecht ist Krisenrecht. Das Insolvenzrecht stand sicherlich in den letzten zehn Jahren auf dem Prüfstand. Die gestiegene Zahl der Insolvenzen beweist das.Das geltende Recht weist eine Fülle von Schwachstellen auf. Ich will nur eine erwähnen. Nach der Zielrichtung sieht das Insolvenzrecht, beim Konkurs j a ein Generalzwangsvollstreckungsverfahren vor, das im Grundsatz eine gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger anstrebt. Die tatsächliche Entwicklung ist aber immer mehr dahin gelaufen, daß es für eine Fülle von Gläubigern und Gläubigergruppen Sonderrechte gibt. Da waren einmal die dinglich berechtigten Gläubiger; ich nenne nur die Stichworte Sicherungseigentum und Eigentumsvorbehalt. Die Masseschulden und Massekosten haben in großem Umfange zugenommen. Es gibt schon vier Klassen. Die „normalen" Gläubiger teilen sich auch schon in acht verschiedene Rangstufen auf. So hat die tatsächliche Entwicklung dahin geführt, daß nur einige wenige Gläubiger den Großteil der vorhandenen Masse bekommen, während der größte Teil der Gläubiger im Konkursverfahren leer ausgeht.
Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist allgemeine Meinung, daß eine Gesamtreform erforderlich ist. Sie wissen, daß die Kommission für Insolvenzrecht seit 1978 daran arbeitet. Der Juristentag im letzten Jahr hat wertvolle Vorschläge gemacht. Es gibt auch durchaus schon einen Trend, in welche Richtung die Sache laufen soll. Wir werden ein einheitliches Verfahrensgesetz bekommen; die Doppelgleisigkeit mit Konkursordnung und Vergleichsordnung wird aufhören.Die Arbeit ist sicherlich sehr schwierig, denn die Neugestaltung des Insolvenzrechts wird sich ja nicht auf eine Neuordnung bloßer zivilrechtlicher Fragen beschränken. Wir sind uns wohl darin einig, daß das Insolvenzrecht in viel stärkerem Maße volkswirtschaftliche, betriebswirtschaftliche, gesellschaftsrechtliche, sozialrechtliche, arbeitsrechtliche und steuerrechtliche Gesichtspunkte berücksichtigen muß.Entscheidend wird sein, daß es die Neuregelung in stärkerem Maße als bisher ermöglicht, illiquide Unternehmen, die noch sanierungsfähig sind, zu erhalten, zu reorganisieren,
denn es ist volkswirtschaftlich schädlich, wenn auf diese Weise Betriebsstätten und natürlich auch Arbeitsplätze verlorengehen.Das neue Insolvenzrecht ist kein Allheilmittel — die wirtschaftlichen Grundlagen müssen stimmen —, aber wir müssen immerhin ein Instrumentarium in die Hand bekommen, damit es gelingt,
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Eylmanndieses wirtschaftspathologische Problem besser in den Griff zu bekommen.Nun zu dem hier interessierenden Punkt, zu den Sozialplanansprüchen. Die Kommission ist sich völlig darin einig, daß der Beschluß des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts das Problem keineswegs gelöst hat. Zwar ist weitgehend unstreitig, daß es auch in Zukunft Sozialpläne im Konkursverfahren geben wird. Strittig ist aber, ob und in welchem Umfange die Arbeitnehmerschaft eines Betriebes a) auf die Erhaltung des Unternehmens, was doch das Ziel der Reorganisationsphase sein muß, und b) auf die anderen Unternehmensgläubiger Rücksicht zu nehmen hat. Ein in Schwierigkeiten geratenes Unternehmen wird sich nur dann reorganisieren lassen — das ist jedenfalls die Regel —, wenn auch ein Teil der Arbeitnehmer entlassen wird. Das wird unvermeidlich sein. Also werden wir dann einen Sozialplan haben. Wenn aber die Sozialplanansprüche so hoch sind, daß sie die Masse aufzehren, dann ist das Unternehmen nicht mehr zu erhalten, dann gehen auch die restlichen Arbeitsplätze verloren. Arbeitnehmerschutz darf schon um seiner selbst willen, wenn er sein Ziel nicht aus den Augen verlieren will, die wirtschaftlichen Grundlagen eines Unternehmens nicht zerstören.
Was die Liquidationsphase angeht: Wenn Unternehmer, insbesondere auch Gläubiger eines Unternehmers, damit rechnen müssen, daß im Konkursfall die Sozialplanansprüche die Masse aufzehren, sind notwendigerweise Schwierigkeiten bei der Kapitalbeschaffung die Folge. Der Unternehmer wird in stärkerem Maße zu Rückstellungen gezwungen. Das wiederum führt zu einer yolks- und betriebswirtschaftlich unerwünschten Bindung liquiden Kapitals.Der große Senat des Bundesarbeitsgerichts hat diese Schwierigkeiten durchaus gesehen; denn er hat den Gesetzgeber in den Gründen aufgerufen, diese Ungerechtigkeiten möglichst bald zu beseitigen.Wenn man das alles bedenkt, meine Damen und Herren von der einen Oppositionspartei, dann ist Ihre Gesetzesinitiative doch geradezu unverständlich. Sie wissen, daß die Gesamtreform bevorsteht. 1984 wird die Kommission ihre Leitsätze vorlegen. Der Herr Justizminister hat bereits in seinem Hause eine Arbeitsgruppe gebildet.Sie wissen, daß punktuelle Änderungen des Gesetzes diese Reform in einem wesentlichen Punkt präjudizieren, deshalb verzögern und gefährden werden; denn vielleicht muß die Kommission ihr Konzept ändern oder zurückziehen, wenn hier ein Fixpunkt geliefert würde, über den sie nicht hinauskäme.Sie wissen schließlich, daß eine sofortige vorgezogene gesetzliche Regelung gar nicht notwendig wäre, denn wir haben den Beschluß des Bundesarbeitsgerichts. Es ist nicht richtig, daß die Konkursverwalter in großem Umfange Mittel zurückhalten; das ist hier schon von Herrn Professor Klein ausgeführt worden.Wenn man das alles bedenkt, meine sehr verehrten Damen und Herren, dann drängt sich der Eindruck auf: Entweder wollen Sie ganz bewußt diese Reform präjudizieren und verzögern,
oder aber das, was Sie hier wollen, ist mehr unter der Rubrik des politischen Showbusineß einzuordnen. Es fehlt jedenfalls dem Gesetzentwurf an der notwendigen Seriosität.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Beckmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die FDP-Fraktion hat erhebliche Bedenken, die bevorstehende Reform des Konkursrechts in einem so wichtigen Punkt, wie es der Vorrang von Sozialplänen ist, vorwegzunehmen.Eine wesentliche Ursache für die gegenwärtigen Störungen des Gleichgewichts im Insolvenzrecht ist doch auch ein Übermaß von Privilegien bestimmter Gläubigergruppen. Der gesetzliche Vorrang von Forderungen muß zwangsläufig die nicht kraft Gesetzes bevorrechtigten Gläubiger veranlassen, Mittel und Wege zu suchen, ihre Forderungen so zu sichern, daß sie im Konkurs nicht ausfallen. In der übergroßen Zahl der Konkursverfahren wird doch alles, was an Werten überhaupt da ist, von den bevorrechtigten aussonderungs- und absonderungsberechtigten Gläubigern in Anspruch genommen. Diejenigen, die für ihre Forderungen keine Sicherungen bekommen, gehen leer aus.Diese Entwicklung war ein Grund dafür, die Forderung nach einer Reform des Konkursrechts zu erheben.Ich meine nun, daß wir nicht darin fortfahren sollten, weitere Privilegierungen zu schaffen. Unser Bestreben sollte vielmehr dahin gehen, wieder zu einer weitgehenden Gleichbehandlung aller Gläubiger zurückzukehren.
Was wir nämlich, meine Damen und Herren, einer Gläubigergruppe vorrangig aus der Konkursmasse geben, müssen wir zwangsläufig den anderen Gläubigern vorenthalten. Das sind eben gerade die Gläubiger ohne Sicherungen, meist kleine Handwerksbetriebe und kleine Lieferanten.
Viele dieser kleineren Betriebe werden in ihrer Existenz gefährdet, wenn ihre Forderungen beim Konkurs eines Schuldners in größerem Umfang ausfallen. Sie geraten dann ebenfalls in den Sog der Pleite.
Hierdurch sind dann wieder weitere Arbeitsplätze bedroht. Für die betroffenen Arbeitnehmer greift allerdings der Schutz eines Sozialplanes meist deswegen nicht, weil ihr Unternehmen wegen seiner geringen Größe nicht zum Kreis der sozialplanbe-
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Beckmannrechtigten Unternehmen gehört. Wir würden mit dieser von der SPD-Fraktion vorgeschlagenen Regelung letztlich einen bestimmten Kreis von Arbeitnehmern schützen, keineswegs aber alle Arbeitnehmer. Da sind aber sehr viele vom Verlust ihrer Arbeitsplätze bedroht.Der Entwurf der SPD-Fraktion sagt auch nichts darüber aus, wie sichergestellt werden kann, daß der Sozialplan nicht die Erhaltung der im Betrieb verbleibenden Arbeitsplätze gefährdet. Die Kommission für die Reform des Insolvenzrechts beim Justizminister hat hierzu, wie wir wissen, eine Reihe von konkreten Vorschlägen erörtert. Die Kommission hat z. B. vorgeschlagen, die Mittel, die für den Sozialplan aus der Masse bereitzustellen sind, gesetzlich festzulegen. Die Gesamtsumme des Sozialplanes soll danach einen bestimmten Prozentsatz der freien Teilungsmasse nicht übersteigen. In der Diskussion sind hier 25 oder 50 % der Teilungsmasse. Wir sollten daher die Problematik des Sozialplans im Konkurs nicht isoliert entscheiden, sondern zusammen mit den übrigen Vorschlägen des Justizministers zur Änderung des Konkursrechts beraten.Meine Damen und Herren, wir sind uns j a wohl alle darin einig, daß das Ziel einer Änderung des Konkursrechtes sein muß, ein Verfahren zu entwikkeln, das sowohl die Erhaltung des Unternehmens und damit die Erhaltung von Arbeitsplätzen wie auch, falls erforderlich, eine schnelle und effektive Liquidation ermöglicht oder aber diese beiden Elemente — teilweise Erhaltung bei teilweiser Liquidation — zusammenfaßt. Diesem Ziel scheint uns eine Vorabregelung, wie sie der Entwurf der SPD-Fraktion vorsieht, nicht besonders förderlich zu sein.
Dieser Entwurf festigt lediglich die Strukturen des hergebrachten Konkursverfahrens mit all seinen Mängeln. — Schönen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/81 zu überweisen, und zwar zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung. Wer der Überweisung seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Also ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Wiederherstellung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes in der Fassung der Siebten Novelle
— Drucksache 10/85 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat sind für die Aussprache zwei Runden vereinbart worden. — Ich sehe dagegen keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Kuhlwein.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Fraktion legt Ihnen heute einen Antrag vor, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, einen Gesetzentwurf einzubringen, der das Bundesausbildungsförderungsgesetz in der Fassung der siebten Novelle wiederherstellt und damit auch wieder die Sozialleistungen herstellt, die früher durch das Gesetz garantiert waren. Mit der Vorlage soll gleichzeitig der Einkommensbegriff so gestaltet werden, daß etwaige noch immer vorhandene Mißbrauchsmöglichkeiten, z. B. durch die Reduzierung des steuerpflichtigen Einkommens, weiter abgebaut werden.Der Antrag, den wir Ihnen heute vorlegen, entspricht dem, was meine Partei im Wahlkampf zugesagt hat, und er entspricht dem, was die SPD-regierten Länder zeitgleich im Bundesrat beantragt haben. Wir wollen die Chancengleichheit im Bildungswesen wiederherstellen, die Sie von der Koalition mit dem Kahlschlag vom Dezember 1982 beseitigt haben, und wir wollen von der Bundesregierung auch Klarheit haben, wie sie es in Zukunft mit der Ausbildungsförderung halten will. Dabei sollte in Erinnerung gerufen werden — es ist nützlich, das in alten Protokollen nachzulesen —, welche Grundpositionen am Anfang des Weges gestanden haben, den Sie auf der Rechten mit Ihrer Wende blockiert haben.1968/69 bei den Beratungen des ersten Gesetzes zur Förderung der Ausbildung waren sich noch alle Fraktionen dieses Hauses einig, daß Chancengleichheit nur hergestellt werden kann, wenn alle jungen Menschen unabhängig vom Geldbeutel der Eltern die reale Möglichkeit erhalten, ihre Fähigkeiten frei zu entfalten. Auch die CDU/CSU dachte damals überhaupt nicht daran, nur die fördern zu wollen, die besonders begabt und gleichzeitig auch noch besonders bedürftig sind.Am 6. Dezember 1968 sagte die damalige Bundesfamilienministerin Aenne Brauksiepe im Deutschen Bundestag:Wir erleben, daß wir in unserem Staat mit so vielen Begabten vor allem die Hochbegabten und die sogenannten Eierköpfe mit ihren Königskarrieren immer und überall sichtbar machen. Was aber machen diese Hochbegabten, wenn nicht unten in dieser Pyramide die breite Schicht der ganz einfach gescheiten Menschen auch mit in die Zubringerarbeit genommen wird?Was sie gesagt hat, ist kein sehr elegantes Deutsch,und es ist auch nur zum Teil richtig. Aber dieser
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1983 829
KuhlweinTeil ist richtig. Und dieser Teil wird gegenwärtig von den in der Republik Regierenden verdrängt.
Damals wollten wir gemeinsam alle Begabungen fördern. Heute reden Sie nur noch von den Eliten.Übereinstimmung gab es damals auch in der Frage, daß das Nebeneinander unterschiedlicher Landesregelungen mit unterschiedlichen Kriterien und unterschiedlichen Sätzen mit dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes nicht vereinbar ist. Die Kollegin Frau Pitz-Savelsberg von der CDU/CSU sprach am 26. Juni 1969 bei der Verabschiedung des Gesetzes in diesem Hause von der — ich zitiere wörtlich — „Einleitung einer neuen Richtung in der Bildungspolitik". Sie machte deutlich, daß damals alle Fraktionen eine bundeseinheitliche Regelung für erforderlich hielten. Wörtlich sagte sie:Dem Bund obliegt die Sorge für die Herstellung der Chancengleichheit.— „Chancengleichheit" haben Sie damals noch gesagt! —Die Chancengleichheit hat nicht nur Bedeutung für den jungen Menschen selbst, dem durch dieses Gesetz die Türe zu einer Ausbildung geöffnet wird, die seiner Eignung und seiner Neigung entspricht; sie hat auch Bedeutung für die soziale und wirtschaftliche Zukunft eines Landes. Die Forderung, die wir in erster Linie an dieses Gesetz stellen müssen, geht dahin, daß die bisherige regionale Regelung von einer bundeseinheitlichen Regelung abgelöst werden muß. Die zweite Forderung ist, daß die bundeseinheitliche Regelung für alle Bereiche der Ausbildung in gleicher Weise gilt.Meine Damen und Herren von der Rechtskoalition, Sie haben nach der Wende auch mit diesen Grundsätzen gebrochen. Sie haben mit Ihrem Kahlschlag in der Schülerförderung eine Regelung zerschlagen, die Kindern von Passau bis Flensburg bundeseinheitlich mehr Chancengleichheit gegeben hat. Das haben ja sogar die Koalitionsfraktionen gemerkt, als sie am 16. Dezember 1982 mit einer Entschließung des Deutschen Bundestages zum Haushaltsbegleitgesetz die Bundesregierung aufforderten, in Verhandlungen mit den Ländern darauf hinzuwirken, daß — wörtlich — „Familien mit nicht ausreichendem Einkommen bundeseinheitlich die notwendige Förderung erhalten, damit ihre Kinder den ihrer Begabung entsprechenden Schulabschluß erreichen können".Noch am 11. Januar 1983 hat sich Frau Minister Wilms positiv über die Bemühungen der Bundesregierung geäußert, eine Bund-Länder-Regelung herbeizuführen. Das hat in einigen Ländern dazu geführt, Initiativen zunächst einmal abzublocken und zu sagen: Landesregelungen stellen wir zurück, bis wir Klarheit haben, was die Bundesregierung auf diesem Feld denn nun wirklich tun will.Einen Monat später spricht Frau Wilms in einem „Zeit"-Interview davon, die Bildungsförderung sollte in die beabsichtigte Neustrukturierung desFamilienlastenausgleichs einbezogen werden, weil sie Anfang der 70er Jahre — so hieß es bei ihr wörtlich — „sehr bewußt gegen die Familienpolitik eingeführt worden sei". Das klingt schon sehr komisch, wenn man sich erinnert, daß der Grundstein für die Schülerförderung von einer CDU-Familienministerin im Jahre 1968 in der Großen Koalition gelegt worden ist.Die Rechtskoalition ist erst mit der Planierraupe über das Förderungsgesetz des Bundes gefahren.
— Jeder, der sich angesprochen fühlt. — Dann haben Sie den Ländern gemeinsame Anstrengungen versprochen. Dann haben Sie auf einen künftigen Familienlastenausgleich verwiesen, der ja dann doch wohl bundeseinheitlich geregelt werden soll. Schließlich haben Sie den Ländern eigene Regelungen anheimgestellt.Meine Damen und Herren, Sie haben nicht nur Chancengleichheit zerstört. Sie haben in den Förderungsregelungen in den Ländern auch ein mittleres Chaos angerichtet.
Was sollen die Länder nach Ihrer Auffassung denn nun tun? Sollen sie warten, bis Frau Wilms ihnen Vorschläge für ein revidiertes Bundesgesetz macht? Sollen sie warten, bis die angekündigte Reform des Familienlastenausgleichs kommt, der doch wohl frühestens 1985, wenn überhaupt, über die Bühne dieses Hauses gehen wird? Sollen sie den Landesanteil zusammenkratzen und eigene Förderungsgesetze basteln? Dabei wird doch wohl niemand behaupten, daß man mit 35% der Mittel — das ist der Landesanteil — eine Schülerförderung aufbauen könnte, die auch nur annähernd dem entspricht, was das BAföG bisher geleistet hat.
Niemand von Ihnen wird doch wohl unterstellt haben, daß die Länder bei der gegenwärtigen Finanzlage das Förderungsvolumen von 35% dann wieder auf 100 % auffüllen könnten. Wer das geglaubt hat, der ist einer absurden Vorstellung anheimgefallen.
— Herr Kollege Rossmanith, Sie sind ja gerade am Sanieren, merke ich, bei den Zahlen, die jetzt für den nächsten Haushalt erarbeitet werden.Sie haben in der Ausbildungsförderung ein Chaos angerichtet. Von Bundeseinheitlichkeit kann nicht mehr die Rede sein, von Chancengleichheit sowieso nicht. Einige Länder warten zu Recht auf Vorschläge des Bundes für eine neue bundeseinheitliche und damit auch bundesgesetzliche Regelung. Andere versuchen sich mit einem Teil der Mittel aus dem Landesanteil an eigenen Landesausbildungsförderungsgesetzen, und die Dritten fühlen sich verpflichtet, wenigstens für die bedürftigen Hochbegabten etwas zu tun, weil das so in ihren
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KuhlweinLandesverfassungen gefordert wird. Neue Begriffe machen inzwischen die Runde. Statt „BAföG" gibt es vielleicht „LAföG" oder „NAföG" oder „MiniföG".Der Bundeskanzler hat dann auch noch dieses ganze Chaos in seiner Regierungserklärung ausdrücklich begrüßt.
Was dabei herauskommt, wenn unionsregierte Länder die Sache in die Hand nehmen, ist klar. Da gibt es nicht mehr das angebliche Gießkannenprinzip der alten BAföG-Regelung, sondern jetzt heißt es: Gefördert wird auf Grund der im einzelnen festgestellten Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft und nach Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Schülers. — So der rheinland-pfälzische Kultusminister Gölter bei der Vorstellung eines Konzepts, das er denn auch noch „Modell" genannt hat; eine Inflationierung, die mit diesem Begriff getrieben wird, die wirklich sehr bedauerlich ist und ungeheuer erstaunt.
— Ja, das wird dann ein „GÖföG".
Dabei soll nach rheinland-pfälzischer Vorstellung den Schulen je nach Größe eine Zahl von Stipendien zur Verfügung gestellt werden, zwei, in einigen vielleicht auch fünf; wir werden das mit großer Spannung noch erwarten können, Herr Kollege Immer. Aber die letzte Verantwortung für die Vergabe soll in der Hand des Schulleiters liegen. Damit wird aus dem Rechtsanspruch auf BAföG eine Prämie für Wohlverhalten in der Schule gemacht.
Welche Eltern werden wohl unter solchen Bedingungen den Mut haben, ihre Kinder auf weiterführende Schulen zu schicken, weil j a die Kinder vielleicht dann am Ende doch nicht zu den zwei oder drei oder fünf Auserwählten in der Schule zählen, die so viel Wohlgefallen bei der Leitung der Schule erwecken, daß sie zu den Geförderten gehören?
— Nein, es geht auch um Wohlgefallen. Die Gesamtpersönlichkeit, heißt es, und die, Herr Kollege Rossmanith, soll vom Schulleiter in letztlicher Verantwortung festgestellt werden. Wobei man das Ganze auch noch als Reform im Sinne einer neuen Schule von unten verkauft.Im übrigen ist in Rheinland-Pfalz dieses Modell mit ganzen 2 Millionen Mark dotiert worden. Sehr viele Hochbegabte und gleichzeitig Bedürftige scheint es in dem Land nicht zu geben.
Die Landesschülervertretung in Rheinland-Pfalz hat recht, wenn sie sagt, daß sich künftig nur noch reiche Eltern dumme Kinder leisten können.
Aber Rheinland-Pfalz ist ja auch nur ein Beispiel. In anderen Ländern läuft das ähnlich.Wir erwarten heute eine deutliche Antwort von der Bundesregierung, wie es mit der Ausbildungsförderung weitergehen soll. Wir wollen die Chancengleichheit für Schüler und für Studenten aus einkommensschwachen Familien wiederherstellen. Wir wollen Bildungsschranken wieder wegreißen, die nach der Wende aufgerichtet worden sind,
die nach der Wende deshalb aufgerichtet worden sind, weil die Bundesregierung offensichtlich nicht mehr so viele junge Menschen in den weiterführenden Schulen und in den Hochschulen sehen möchte wie bisher.Wir stellen den Antrag heute hier zur Abstimmung, um für die Eltern, Schüler und Studenten, aber auch für die Bildungs- und Finanzpolitiker in den Ländern Klarheit zu schaffen. Eine Ausschußüberweisung, meine Damen und Herren, insbesondere von der CDU/CSU, machte nur dann einen Sinn, wenn die Bundesregierung hier von diesem Pult aus ernsthaft ankündigte, daß sie mit uns zusammen schnell an einer neuen bundesgesetzlichen Regelung arbeiten wollte.
Wenn das Angebot kommt, werden wir über die Ausschußüberweisung noch reden. Kommt dieses Angebot nicht, dann werden wir heute auf der Abstimmung bestehen. Wir möchten alle bitten, unserem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Rönsch.
Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Die Fraktion der CDU/CSU hat erhebliche Zweifel an der Seriosität des Antrags der SPD-Fraktion zur Wiederherstellung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes in der Fassung der Siebten Novelle — Drucksache 10/85 —; denn zu viele Fragen und Ungereimtheiten knüpfen sich an diese Initiative.Die entscheidendste Verdrehung der Tatsachen, die Sie von der SPD-Fraktion begehen, ist, daß Sie seit Monaten in der Öffentlichkeit immer wieder vom angeblichen Kahlschlag sprechen, zuletzt hier vom Abgeordneten Kahlwein wiederholt.
— Entschuldigung, Herr Kollege. Wenn ich die Ehre gehabt hätte, schon verschiedentlich mit Ihnen im Ausschuß zusammenzusitzen, hätte ich mir Ihren Namen gemerkt. Ab heute weiß ich ihn.
Sie haben dabei jeweils die positiven Fakten des bestehenden BAföG verschwiegen. So machen Sie das auch jetzt wieder in dem vorliegenden Antrag, indem Sie beispielsweise Ihre Behauptungen aus
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Frau Rönschdem letzten Wahlkampf wiederholen, daß die Öffnung des Bildungswesens zurückgenommen und die Chancengleichheit im Bildungswesen beseitigt werde, daß insbesondere der Bildungsanspruch von Mädchen und Frauen gefährdet sei, daß die Situation der Ausbildungsplätze verschärft würde, daß für Eltern unabhängig geförderter Schüler des zweiten Bildungswegs Rechtsunsicherheit bestehe usw.
Das sind alles Behauptungen, für die Sie keinen einzigen Beleg beibringen können.
Im Gegenteil: Wir haben den Eindruck, daß Sie als Kassandra des BAföG in die Innenpolitik eingehen wollen, gleichsam, als wenn Sie durch Beschwörungsformeln alle diese von Ihnen an die Wand gemalten negativen Entwicklungen herbeireden wollten. Der mündige Bürger hat längst begriffen, daß leider schmerzhafte Eingriffe in Sozialgesetze notwendig sind
und damit auch die Ausbildungsförderung vom notwendigen Sparen des Staats nicht ausgenommen werden kann. Die Bürger haben damit wesentlich mehr Einsichtsvermögen an den Tag gelegt als Sie, die SPD-Opposition, weil die Bürger genau begriffen haben, wie sehr die SPD-Bundesregierung über ihre Verhältnisse und über die Verhältnisse der Bürger gelebt hat.
Warum geben Sie von der SPD in der Öffentlichkeit eigentlich niemals zu, wieviel positive Leistungen das BAföG auch in Zukunft noch hat? Ich will Ihnen einige Beispiele ins Gedächtnis rufen.Auch künftig werden die Schüler, die von der Wohnung der Eltern aus eine Ausbildungsstätte unter zumutbaren Bedingungen nicht erreichen können, Leistungen nach dem BAföG erhalten, und zwar in der bisherigen Höhe. Auch Schüler des zweiten Bildungswegs, also von Abendschulen und Kollegs, erhalten weiterhin einer Ausbildungsförderung. Die Bedarfssätze des BAföG und die Elternfreibeträge bleiben für die auf Dauer in der Förderung verbleibenden Schüler unverändert.Sie tun in der Öffentlichkeit auch so, als ob diejenigen, die künftig keine Ausbildungsförderung mehr erhalten, nach den früheren Regelungen den vollen Bedarfssatz in Höhe von 275 DM erhalten hätten. Das ist aber nicht so; denn ein erheblicher Teil dieser Schüler erhielt auch bisher lediglich den Förderungsbetrag zwischen 20 und 150 DM.Auch beim Studenten-BAföG wird jeder bedürftige Student in Zukunft Unterstützung erhalten. Aber angesichts der finanzwirtschaftlichen Gesamtentwicklung der leeren öffentlichen Kassen und angesichts der steigenden Studentenzahlen sowie der Absicht der Bundesregierung, die Hochschulen offenzuhalten, ist es erforderlich, die studentische Ausbildungsförderung mit Beginn des Wintersemesters 1983/84 auf Volldarlehen umzustellen, damit die Studenten ah der Finanzierung ihres Studiums beteiligt werden.Warum verbreiten Sie an den Hochschulen eigentlich ständig die Horrormeldungen und verschweigen, daß auch zukünftig die bisher vom Bund zur Verfügung gestellte Fördersumme für Studenten von 1,35 Milliarden DM weiterhin im Haushalt enthalten ist? Sie kennen doch die Zahlen! Dann verbreiten Sie sie doch auch!
Künftig kann der Student einen Darlehensbetrag bis zu 720 DM erhalten, wenn er sozial bedürftig ist. Daß jeder Student die Rückzahlungsquote seines Darlehens selbst herabdrücken kann, indem er ein besonders gutes Examen macht, indem er sein Studium vier Monate früher abschließt oder indem er, wenn er später gut verdient, sein Darlehen früher zurückzahlt — all das verschweigen Sie dem Studenten.
Noch schlimmer ist, daß Sie den Studenten suggerieren wollen, sie müßten später möglicherweise am Bettelstab gehen. Dabei brauchen der Student und die Studentin, die nach Studienabschluß über kein eigenes Einkommen verfügen, ihr Darlehen auch nicht zurückzuzahlen.Unredlich an dem Antrag der SPD-Fraktion ist aber auch, daß er keinerlei Finanzierungsvorschläge enthält. Sie wollen immer nur Wohltaten über die Bürger ausgießen und verschweigen ihnen, daß sie diese Wohltaten aus dem eigenen Geldbeutel auch selbst finanzieren müssen. Meine Damen und Herren, da vermisse ich ehrliche Politik.
— Ich habe akustisch leider nicht mitgekriegt, was Sie gesagt haben. Aber wenn Sie einen Finanzierungsvorschlag machen wollen, haben Sie j a nachher die Möglichkeit, ihn zu unterbreiten.
Wenn auch die neue Bundesregierung weiter so mißgewirtschaftet hätte, wie es die SPD getan hat, wäre der finanzielle Ruin unseres Staates die konsequente Folge gewesen.
Diese Last wäre voll auf die Schultern der nächsten, der jungen Generation abgeladen worden. Ich stelle deshalb an Sie die eindringliche Frage, ob Sie wirklich eine solche finanzielle Verschuldung des Staates auf die Schultern der jungen Menschen packen wollen oder ob es nicht doch besser ist, jetzt die notwendigen Korrekturen und Einsparungen auch bei den sozialen Leistungen, also auch beim BAföG vorzunehmen, damit die junge Generation auch morgen und übermorgen noch eine Chance hat.
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Frau RönschNatürlich sind diese Einsparungen beim BAföG schmerzlich. Auch die CDU/CSU hätte sie lieber vermieden.
Aber es blieb ihr keine andere Wahl, wenn wir nicht das gesamte System der sozialen Sicherheit für unsere Bürger gefährden wollten.Mit der Rückzahlung der erhaltenen Förderungsmittel tragen beispielsweise die geförderten Studenten zur teilweisen Refinanzierung und damit zur langfristigen Sicherung des Systems staatlicher Ausbildungsförderung bei.
Dadurch wird die Solidarität zwischen der jetzigen und der zukünftigen Studentengeneration hergestellt.
— Sie gestatten, daß ich fertig werde; denn ich habe gemerkt, daß die 15 Minuten nicht ausreichen.Bis heute haben Sie an keiner Stelle unsere Argumente glaubwürdig widerlegen können, daß der bildungspolitische Generationenvertrag auch als Form der Solidarität zwischen den Arbeitnehmern und den Studierenden von großer Bedeutung ist; denn es sind weitgehend die Arbeitnehmer, welche mit ihren Steuern die Hochschulen und Studieneinrichtungen der über eine Million Studenten finanzieren. Soziale Gerechtigkeit im Bildungswesen bedeutet für uns nicht nur eine Pflicht des Staates, sondern auch die individuelle Mitverantwortung des einzelnen Studenten.
Diese politische Maxime ist damit sozialer als alle anderen Regelungen zum Ausgießen sozialstaatlicher Wohltaten, die ohnehin immer vom Arbeitnehmer bezahlt werden müssen.
— Ich komme gleich noch dazu, wer auch von Ihnen diesem Gesetz zugestimmt hat.
Wir wissen doch, daß die Umstellung des BAföG für Studenten auf Volldarlehen auch innerhalb der SPD vorgesehen war;
denn der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt— das werden Sie doch nicht vergessen haben —, hat doch 1982 auch die Umstellung des BAföG auf Darlehensbasis befürwortet.
Er hat das damals übrigens ebenfalls damit begründet, daß es den Arbeitnehmern nicht zugemutet werden könne, das Studium für eine letztlich doch privilegierte Schicht zu finanzieren. Dafür hat Helmut Schmidt in seiner Rede vor der Arbeitsgemeinschaft der SPD für Arbeitnehmerfragen sehr starken Beifall erhalten.
Fragen Sie ihn doch einmal,
wenn Sie ihn in Ihrer Fraktion ab und zu noch sehen. Haben Sie das bereits vergessen, oder haben Sie es aus Ihren Köpfen verdrängt, weil Sie glauben, daß es nicht mehr opportun oder nicht mehr bequem ist, das in der öffentlichen Diskussion zu erwähnen?
Sie reden heute so viel von der Beseitigung von Mißbräuchen beim BAföG. Ich stelle Ihnen einmal die Frage, warum Sie diese Mißbräuche während der 13 Jahre, in denen Sie an der Regierung waren, nicht längst beseitigt haben.
Sie reden in diesem Zusammenhang auch von der Ungerechtigkeit in der Bewertung der Einkommen der Landwirte bei der BAföG-Berechnung.
Auch hier wäre es viel glaubwürdiger, wenn Sie während Ihrer Regierungszeit diese Probleme gelöst hätten. Nun wollen Sie alle Fragen, vor denen Sie letztendlich versagt haben,
der CDU/CSU anlasten.Sie kritisieren uns, wenn wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion die positiven Entwicklungen zu neuen Schülerförderungsregelungen in einzelnen Ländern unterstützen.
Ihnen ist das alles zu wenig.
Dabei berücksichtigen Sie überhaupt nicht, daß Schülerförderung auch in den Ländern auf zweckmäßige und flexible Weise geregelt werden kann.Wie wenig seriös Ihr Antrag ist, geht auch daraus hervor, daß Sie es uns nicht ermöglichen, über Ihre Vorschläge in diesem Antrag noch einmal im Bundestagsausschuß für Bildung und Wissenschaft zu reden und zu verhandeln.
— Selbstverständlich wollen wir das,
aber Sie wünschen überhaupt keine Überweisung in die konkrete Ausschußarbeit. Wir von der CDU/ CSU sind bereit, mit Ihnen noch einmal im Detail über all Ihre Bedenken und über alle Einzelaspekte
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Frau Rönschzu reden und gemeinsam nach besseren Lösungen zu suchen.
Zum Schluß möchte ich Ihnen noch einen anderen Aspekt vortragen, der ein grelles Licht auf Ihre wirklichen Absichten wirft. Seit Wochen sind sehr positive Entwicklungen und Regelungen insbesondere in den unionsregierten Ländern zu beobachten, die darauf abzielen, in den Ländern die Schülerförderung für sozial bedürftige begabte Schüler aufzubauen. Auch gibt es in diesem Zusammenhang mehrere Initiativen der CDU-Landtagsfraktionen, die in Opposition zu einer SPD-Landesregierung stehen. Demgegenüber wird aus den SPD-regierten Ländern fast einhellig berichtet, daß in den Landtagen der Länder mit SPD-Regierungen so gut wie keine Initiativen für eine neue Schülerförderung vorliegen.
Damit besteht doch ganz eindeutig die Gefahr, daß nach Auslaufen der Bundesregelung im nächsten Schuljahr begabte Schüler aus sozial schwachen Familien in den SPD-regierten Bundesländern nicht mehr oder kaum noch gefördert werden.
Wo sind denn die Schüler-BAföG-Mittel geblieben, die in den SPD-regierten Ländern vorhanden waren?
Sind sie bereits für die allgemeine Sanierung der SPD-Landesetats verbraucht worden?
Wo bleibt denn hier die Solidarität mit den Schülern und den sozial schwachen Familien?
Wollen Sie von der SPD in den Ländern, in denen Sie das Sagen haben, mit dieser Blockadepolitik tatsächlich das Risiko in Kauf nehmen, daß ein ganzer Jahrgang von Schülern zum Spielball parteipolitischer Überlegungen gemacht wird?
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert Sie auf, in Ihren Verantwortungsbereichen in den Ländern darauf hinzuwirken, daß in der Schülerförderung diese Verhinderungspolitik, die dort entgegen aller bildungspolitischen Vernunft betrieben wird, jetzt schnell beendet wird; denn sonst müßten wir der SPD mit sehr guter Begründung einen Schülerförderungskahlschlag vorwerfen.
— Ich verstehe Ihre Aufregung!
Die CDU/CSU fordert Sie auf: Treten Sie in den Ländern, in denen Sie die Verantwortung tragen, in einen Wettbewerb mit den CDU/CSU-regierten Ländern um die beste Schülerförderung, denn ein solcher Wettstreit — nicht aber fadenscheinige Polemik — nützt den Jugendlichen und ihren Eltern.
Ich schlage Ihnen deshalb vor, daß wir sachkundig und an Fakten orientiert im Bundestagsausschuß noch einmal in aller Nüchternheit über diesen Antrag sprechen, dabei allerdings auch die positiven Aspekte in unsere Überlegungen einbeziehen, die sich durch die neuen Maßnahmen zur Schülerförderung in einigen Ländern abzeichnen.
Nehmen Sie beispielsweise die großzügigen Regelungen der Schülerförderung, die etwa in den unionsregierten Ländern Bayern und Niedersachsen vorgesehen sind.
Dies kann auch nicht mit einer Handbewegung vom Tisch gewischt werden, wenn man gegenüber den Schülern und den Eltern glaubwürdig bleiben will.
Warum reden wir denn im Ausschuß nicht über solche positiven, für andere Länder nachahmenswerten Vorbilder? Betätigen Sie sich als konstruktive Opposition und nicht als bloße Nein-Sager, indem Sie mit uns und mit den Kollegen von der FDP gemeinsam nach guten Lösungen für die Jugendlichen suchen, Lösungen allerdings, die auch finanzpolitisch verantwortbar sind.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Jannsen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit über 20 Jahren habe ich die Entwicklung im Bereich der Ausbildungsförderung verfolgen können. Die ersten Erfahrungen habe ich machen müssen, machen dürfen mit dem damaligen Honnefer Modell. Gnädig wurde Förderung gewährt, aber immerhin noch als Stipendium, wenn auch in den letzten Semestern und bei Studienzeitverlängerung als Darlehen. Bedürftig mußte man allerdings sein. Ich war damals so bedürftig, daß ich mir nur einmal im Semester oder im Jahr eine Hose leisten konnte.
— Eben, nicht nur ich.
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834 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1983
Dr. Jannsen— Machen Sie sich keine Sorgen über meine Kleidung heute. Die kann ich genauso wie Sie bezahlen. Ich gehe allerdings nicht zur Maßschneiderei.
Allerdings, es war damals, wie es für viele heute noch ist, ein entwürdigendes Gefühl, als bedürftiger Bittsteller in den Kelleretagen der Honnef-Verwaltung auftauchen zu müssen.Später, 1970 etwa, in der öffentlichen Auseinandersetzung um eine Veränderung der Ausbildungsförderung war ich wiederum beteiligt, auch hier in Bonn, allerdings nicht im Parlament, sondern ich gehörte zu den Vertretern der Gruppen, die sich intensiv und stark für eine gesetzliche Regelung der Ausbildungsförderung im Bund, für das gesamte Bundesgebiet, eingesetzt haben. Diese gesetzliche Regelung ist dann endlich 1971 in Kraft getreten. Sie war damals schon ein Kompromiß, obwohl durch diese Regelung das erstemal, soviel ich weiß, in der deutschen Geschichte ein Versuch gemacht worden ist, Ausbildung, nicht nur Schulbildung, zu einem für alle wahrnehmbaren Recht zu machen. Dies ist ein Kompromiß zwischen dem Anspruch bedarfsdeckender Ausbildungsförderung für alle und sparsamen haushaltspolitischen Maßnahmen des Bundes. Allerdings — das bitte ich immerhin zu bedenken — wurde dieser Kompromiß erkauft mit der sozialen Offenbarung der Bedürftigkeit.Meine Damen und Herren, dann aber habe ich, haben wir, haben die Studenten und Schüler feststellen müssen, daß dieses Gesetz von 1971, das als soziales Gesetz in politischen Auseinandersetzungen durchgesetzt und verabschiedet worden ist, ausgehöhlt worden ist, zunächst bis zur Novelle des Jahres 1981, die als die Siebte Novelle hier auf der Tagesordnung steht. Heute, im Jahre 1983, liegt mit der bisher letzten Neufassung vom Juni dieses Jahres eine wirkliche Neufassung vor, in der die andere, die gewendete politische Zielsetzung deutlich wird. Der Bundeskanzler hat es gesagt: Auf Leistungseliten können und dürfen wir nicht verzichten. Die Neufassung des BAföG verfolgt dieses Ziel konsequent und ohne Skrupel vor den sozialen, politischen und ökonomischen Folgen.
Verehrte Frau Kollegin, dieses Gesetz ist — wenn wir hier schon in forstwirtschaftlichen Begriffen reden wollen — kein Kahlschlag. Dieses Gesetz ist ein Ausleseverfahren
zur Herstellung und Entwicklung der vom Bundeskanzler hervorgehobenen Elite.
„Skrupellos" habe ich gesagt, und mir scheint, daß unsere heutige Elite auch nicht allzu viele Skrupel zu kennen scheint.
— Das wage ich zu bezweifeln, daß der Professor
— hören Sie doch erst einmal zu, wenn ich Ihnen etwas antworten soll — unbedingt eine andere soziale Position haben muß
als ein Meister, ein Handwerker, der auch seine Ausbildung gemacht, gelernt und gearbeitet hat.
Das können Sie mir abnehmen. Aber Sie brauchen nicht weiter zu fragen.
— Die Begründung für die besondere Bezahlung und den besonderen Sozialstatus für Professoren, den ja die Bundesregierung fordert, werde ich nicht geben, sondern den wird die Bundesregierung zu geben haben.Ich hoffe allerdings, daß der Bundeskanzler, als er davon sprach, nicht solche Eliten gemeint hat, die so aussehen, wie es uns gestern der Minister für Jugend, Familie und Gesundheit hier mit seiner Äußerung über den Pazifismus der 30er Jahre vorgeführt hat,
die weder qualifiziert noch besonders überdacht war.
Ich greife, um etwas näher auf das BAföG einzugehen, drei Bestimmungen dieses Gesetzes heraus.
— Ich greife sie nicht wahllos heraus.Erstens nenne ich die Streichung wesentlicher Leistungen im Schüler-BAföG. Es hat niemand bestritten, daß das gemacht wird. Es sollen in diesem Jahr 200 Millionen DM und im nächsten Jahr 600 Millionen DM sein. Diese Streichungen sind davon begleitet, daß die sozialen Verpflichtungen des BAföG aufgelöst werden. Den Ländern wird die Förderung mit dem Hinweis überlassen — ich zitiere aus der Regierungserklärung —:Wer sich durch gute Leistungen auszeichnet und aus einer einkommensschwachen Familie stammt, dem muß auch künftig geholfen werden.„Geholfen" heißt Almosen statt Recht.
Was das Stichwort „Leistungen" betrifft, so will ich hier nur auf die Problematik der Leistungsbewertung hinweisen. Die Möglichkeit und Fähigkeit, innerhalb des bundesdeutschen Schulsystems Leistungen zu erbringen, ist bereits von der sozialen Herkunft der Schüler stark beeinflußt. Die bildungspolitische Selektion, die hier angezielt wird,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1983 835
Dr. Jannsenverstärkt die soziale Teilung in Unten und Oben, in zwei Gruppen innerhalb dieser Gesellschaft.
Ich glaube, das ist es, was angezielt wird.
Zweitens komme ich zu der Umstellung auf volles Darlehen bei den Studenten. Es ist, gelinde gesagt, eine Unverfrorenheit, junge Menschen dazu zu zwingen, bewußt und gezielt mehrere Jahre ihres Lebens auf Pump zu leben.
Weisen diese nämlich diese Zumutung zurück, so werden sie ihren Beruf faktisch nicht an einer Hochschule erlernen können; denn arbeiten, um das Studium zu finanzieren, können sie auch nicht mehr. Wo kämen denn die Arbeitsplätze plötzlich alle her!
Und wieder trifft die Maßnahme diejenigen, die sowieso schon Schwierigkeiten haben, eine Ausbildung zu bezahlen.Da wird behauptet, die Leistungen des gesamten BAföG würden nicht gekürzt, auch nicht — ich greife das noch einmal auf — für Schüler. Dazu möchte ich darauf hinweisen, daß in § 15 Abs. 2 festgelegt ist, daß für Schüler, besonders für diejenigen, die sich auf dem zweiten Bildungsweg befinden, ab 1984 etwa der Monat August gestrichen wird.
Das sind immerhin 9 % der Förderung. Eine Kürzung um 9 % wagt die Bundesregierung nicht einmal dem öffentlichen Dienst anzubieten.
Die perfideste Regelung allerdings, meine Damen und Herren, ist der dritte Punkt, den ich hier ansprechen will: der Teilerlaß der Darlehensrückzahlung. § 18b belohnt geradezu den Konkurrenzkampf aller gegen alle, das Strebertum, die Anpassung an vorgegebene und geheime Normen,
und zwar an Normen, die noch niemand kennen kann, wenn er anfängt, zu studieren, weil sie sich aus einer Gaußschen Verteilung des Notenschnitts am Jahresende seines Examens ergeben. Man möge sich einmal vorstellen, was da mit den jungen Menschen gemacht wird!
Das, was auf der Strecke bleibt, meine Damen und Herren, sind Kreativität, Phantasie und Selbständigkeit. Das werden wir nur noch dann bei Studenten finden, wenn sie § 18, nämlich die Rückzahlung des BAföG, nicht zu beachten brauchen und nicht beachten wollen.
Herr Dr. Jannsen, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage von Herrn Abgeordneten Daweke anzunehmen?
Ja, bitte sehr.
Herr Professor Dr. Jannsen, da Sie in ihrer Eigenschaft als Professor schon vorher, bevor Sie in den Bundestag gewählt worden sind, Noten gegeben haben, möchte ich Sie fragen: Wie haben Sie denn diese Art der Benotung der Studenten bisher empfunden?
Ich empfand und empfinde die Benotung von Studenten immer als ein ganz starkes Problem meiner wissenschaftlichen und beruflichen Tätigkeit.
— Das liegt an der Art und Weise der Leistungsbewertung durch Noten; über die können wir diskutieren. Aber ich glaube, das ist hier nicht der richtige Ort. Ich bin aber nie verpflichtet gewesen, darüber zu urteilen, ob ein junger Mensch gezwungen ist, Schulden zu behalten, oder ob ihm die Schulden erlassen werden.
Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetz bürden Sie jungen Menschen, den Studenten, .die maximal 698 DM monatlich gepumpt bekommen — die Sozialhilfe beträgt in der Regel etwa 800 DM, das Studentenwerk rechnet als Versorgungssatz für Studenten 818 DM aus —, Schulden auf, die wiederum nur diejenigen werden bezahlen können, die hinterher auch wirklich einen Beruf ergreifen dürfen. Die, die aber nichts verdienen, die arbeitslos bleiben, bleiben auf ihren Schulden sitzen.
— Die zahlen in dem Moment, in dem sie nicht arbeiten, nicht zurück.
Aber wenn sie Arbeit finden, werden sie auch zurückzahlen müssen;
sie bleiben auf ihren Schulden sitzen.
— Ich möchte keine Zwischenfrage mehr annehmen. — Das sind wiederum diejenigen, die sowieso schlechter dran sind.Die auf diese Art und Weise erzeugte sogenannte Elite ist angepaßt, ist aber auch fein heraus. Aber — das sollten wir nicht vergessen — sie ist immer noch weniger fein heraus als die Elite, die gar keine Förderung brauchte. Denn diejenigen, die keine Förderung brauchten, sind von all diesen Dingen unbetroffen. Sie können leben, wie sie wollen. Sie können, meinetwegen, auf Kosten ihrer Eltern studieren, wie es ihnen Spaß macht, und sind von dieser ganzen Auseinandersetzung nicht betroffen. Sie werden die wahren Eliten sein, die die „offenen Eliten" bilden, von denen der Bundeskanzler in seiner
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836 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1983
Dr. JannsenRegierungserklärung sprach. Damit wird sich das, was ich eingangs sagte, nämlich die soziale Diskriminierung von geförderten Studenten, bis in weitere Jahre — vielleicht sogar Jahrzehnte — fortsetzen, wenn es bei dieser Situation bleibt.
Noch ein Letztes lassen Sie mich sagen: Die so oft zur Begründung angeführte Behauptung — auch heute hier wieder — der finanziellen Entlastung ergibt sich doch nur aus den Streichungen beim Schüler-BAföG in Höhe von — ich habe es vorhin bereits gesagt — 200 Millionen DM in diesem Jahr und 600 Millionen DM im Jahre 1984. Das sind weniger als drei Promille des Bundeshaushalts des nächsten Jahres. Ob dies allerdings die sozialen Folgen, die eine solche Regelung verursacht, rechtfertigt, wage ich zu bezweifeln.
Die Rückzahlung der Darlehen für Studenten und damit die Einnahmen werden frühestens in fünf bis sieben Jahren anfallen und damit den Bundeshaushalt entlasten können, wenn der notwendige Aufwand an Verwaltung zur Rückforderung und Eintreibung dieser Darlehen die dann erreichbare, zurückfließende Summe nicht übersteigt. Das ist nicht geklärt; ich wage dazu keine Aussage.Meine Damen und Herren, hier wurde bereits im Dezember des letzten Jahres eine bildungspolitische Grundsatzentscheidung getroffen, die der Selektion, der Hierarchie, der Konkurrenz Vorrang vor Solidarität, Kooperation und Gleichberechtigung gibt. Die SPD beantragt daher die Wiederherstellung eines Zustandes, den sie selber noch geschaffen hat. Das ist erstens ihr gutes Recht, zweitens aber grundsätzlich immer dann geboten, wenn der bisherige oder der vorherige Zustand besser war als der jetzige ist und der zu befürchtende zukünftige sein wird. Deswegen empfehle ich und empfehlen wir als Fraktion, den Antrag der SPD- Fraktion heute anzunehmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Neuhausen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist in den letzten Jahren nie eine reine Freude gewesen, über BAföG zu sprechen, und das gilt zur Zeit in ganz besonderem Maße. Das gilt auch hinsichtlich der Notwendigkeit, heute über den Antrag der SPD-Fraktion auf Wiederherstellung des BAföG in der Fassung der Siebten Novelle zu beraten. Der, dem es darum geht, daß, wie es der Herr Bundeskanzler in der Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 betont hat, niemand wegen seiner sozialen Herkunft benachteiligt werden darf, der muß mit kritischer Aufmerksamkeit verfolgen, wie dieser Grundsatz erfüllt wird und welche Probleme sich auf dem Weg dorthin ergeben. Es ist nur natürlich, daß er die finanziellen Zwänge bedauern muß, die im Hinblick auf die Ausbildungsförderung ebenso wie auf vielen anderen Feldern der Politik gegenüber früheren großzügigeren Möglichkeiten zu Einschränkungen führen.Wie sehr das gerade für einen Bildungspolitiker meiner Fraktion gilt, zeigt ein Blick in die programmatischen Aussagen der FDP und natürlich auch in die Debattenbeiträge in diesem Hause.
Daß ein Spannungsverhältnis zwischen dem Erwünschten und dem Möglichen besteht, zwischen den Zielvorstellungen und den finanziellen Rahmenbedingungen, ist keine allzu neue Erfahrung. Die Wahrnehmung des Spannungsverhältnisses gebietet einerseits die Berücksichtigung dieser Rahmenbedingungen, entbindet aber andererseits nicht von der Aufgabe, diese beiden Pole einander näherzubringen, und sie bedeutet auch keinen Abschied von den programmatischen Überzeugungen.Daß die Opposition einen Antrag auf Wiederherstellung der früheren Fassung des BAföG vorlegt, ist ihr gutes Recht, aber auch die Opposition wird zugeben müssen, daß es jede Opposition leicht hat, bei kostenwirksamen Gesetzen schöne und in der Zielsetzung durchaus sympathische Anträge zu stellen, die alles Wünschenswerte enthalten und über deren Finanzierung sich die jeweilige Regierung gefälligst den Kopf zu zerbrechen hat.
Ich verkenne nicht, daß der Antrag Fragmente einer Finanzierungshilfe enthält, die aber nicht ausreichen.
Eine frühere Opposition hat es ähnlich gemacht. Gerade im Hinblick auf BAföG gab es anläßlich von Anpassungsnovellen Anträge zur Erhöhung von Bedarfssätzen und Freibeträgen. Einmal — ich sage das in aller Freundschaft — war die Rede von einem Steckrübenwinter für BAföG-Geförderte. Heute kritisiert die SPD die Umstellung der Studentenförderung auf Darlehen. Ich bin mir nicht sicher, ob die SPD vor einigen Jahren nicht genau dies beschlossen hätte, wenn sie allein, ohne die FDP, hätte entscheiden können.
Ich sage das nicht aus polemischen Gründen, Herr Kuhlwein, ich sage das, weil es meine Überzeugung ist, daß sich in diesem Hin und Her ein Hinweis darauf verbirgt, daß in Wirklichkeit zwischen den Parteien dieses Hauses ein Konsens in diesen zentralen Fragen der Bildungspolitik möglich und im Interesse der jungen Menschen auch notwendig ist, ein Konsens, der aber leider unter einem Wust von taktischen Erwägungen, regierungstaktischen, oppositionstaktischen Erwägungen und Polemiken versteckt ist und ausgegraben werden müßte.Die Formulierungen im Antrag der SPD — das wurde hier schon gesagt — sind dem Bemühen um einen Konsens nicht förderlich. Die Behauptung, daß die Öffnung des Bildungswesens zurückgenommen und die Chancengleichheit im Bildungswesen
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Neuhausenbeseitigt werde, verengt doch diese beiden Begriffe auf eine ausschließliche Abhängigkeit von BAföG, so wie es formuliert ist. In Wirklichkeit umfassen diese Begriffe eine Fülle von sehr verschiedenen Maßnahmen und Problemfeldern, bis tief in den pädagogischen Bereich hinein, in die Stärkung des Bildungsbewußtseins, in die Bemühungen um die Überwindung von Milieu- und Sprachschwellen. Die Liste ließe sich fortsetzen. Sie umfaßt methodischdidaktische, curricular-inhaitliche Fragen, selbstverständlich auch soziale Probleme, die durch finanzielle Förderung erleichtert werden müssen. Aber es wäre eine erschreckende Bilanz von zwei Jahrzehnten Bildungsdiskussion, wenn die Öffnung des Bildungswesens und Chancengleichheit ausschließlich auf die finanziellen Aspekte der Einzelförderung, so wichtig sie sind, bezogen werden müßten, wie es der Wortlaut des Antrags erscheinen läßt.
— Lieber Herr Kuhlwein, das ist natürlich nicht der Fall. Das glauben die Kollegen nicht, und das glauben Sie auch nicht.
— Lesen Sie noch einmal nach, was ich hier sage. — Das glauben Sie selber nämlich auch nicht. Sie wissen genau, daß das Offenhalten des Bildungswesens z. B. auch die Bereitstellung einer ausreichenden Zahl von Schul- und Studienplätzen umfaßt. Wir versichern einander doch Tag für Tag, daß wir uns alle nachdrücklich für das Offenhalten des Bildungssystems einschließlich der Hochschulen einsetzen, nicht nur angesichts der besonderen Probleme der geburtenstarken Jahrgänge, sondern auch zur Sicherung der Freiheit der Bildungs- und Lebenswege für die jungen Menschen.Es kann überhaupt keine Rede davon sein, daß die FDP, wie ich Ihren Ausführungen und Zurufen entnehme — ich beziehe mich jetzt auf eine Meldung im Sozialdemokratischen Pressedienst —, „auf die Tradition bildungsfeindlicher Kampagnen" eingeschwenkt sei. Der Bildungsreform der letzten 15 Jahre folge also auch mit Unterstützung der FDP eine Trendwende nach rückwärts in die neokonservative und restaurative Drei-Klassen-Gesellschaft, sagte dort Herr Dr. Vogel. Ich weiß wirklich nicht, was das soll. Ich frage mich in unserem Zusammenhang, wer denn eigentlich auch an der Regierung war, als das Auslaufen der Förderung für die Schüler in den zehnten Klassen berufsbildender Schulen beschlossen und bestätigt wurde.
Meine Damen und Herren, auch darin zeigt sich, daß in den Zielen mehr Konsens vorhanden ist, als es den Anschein hat. Ich sage das trotzdem und gerade deshalb. Aber dieser bildungspolitische Konsens kann natürlich nicht nach Wunschlisten erarbeitet werden, sondern er muß die wirtschaftlichen und finanziellen Rahmenbedingungen berücksichtigen. Diese Rahmenbedingungen sind eben nicht so, daß wir alles — in diesem Falle mit Einschränkungen — gut Begründete und Wünschenswerte realisieren können, sondern nur das, was in der gegenwärtigen Situation zwingend notwendig ist und finanzierbar bleiben muß. Verhielten wir uns anders, meine Damen und Herren, so würden wir keinen Beitrag zur Konsolidierung der Staatsfinanzen leisten, sondern die Voraussetzungen gefährden, die die Finanzierung des gesamten Bildungssystems auch in der Zukunft sichern sollen.Meine Damen und Herren, es besteht im Grunde ein überparteilicher Konsens darüber, daß im Ausbildungsförderungsbereich eine wie auch immer geartete Neuordnung erfolgen muß. Dies ist in der Entschließung des Deutschen Bundestages auch deutlich gemacht worden. Wir haben diesen Entschließungsantrag nicht zu den Akten gelegt. Die darin von der Bundesregierung erbetenen Berichte werden uns beschäftigen, so wie uns die darin aufgeworfenen Fragen ständig beschäftigen. So sehr wir uns der schon mehrfach erwähnten Rahmenbedingungen bewußt sind, so wichtig ist für uns die Frage, ob sich oft geäußerte Befürchtungen, die ja wirklich berechtigt sind, zu bestätigen drohen oder ob sie sich nicht bestätigen, ob und wie sich der, glaube ich, von jedem hier im Hause geteilte Grundsatz sichern läßt, daß die Bildungs- und Berufschancen junger Menschen nicht nach der finanziellen und sozialen Situation ihrer Eltern unterschiedlich verteilt werden.
Ich spreche von Zielen, denn trotz aller Differenzen in Einzelfragen und in Nuancen gehe ich jetzt einmal davon aus, daß niemand eine Auslese nach sozialer Herkunft will. Auch darin stimmen wir eigentlich alle überein.
Interesse, Eignung und Leistung und auch Begabung der jungen Menschen sollen über den Bildungsweg entscheiden. Die Begabung jedoch — jeder, der darüber nachdenkt, sieht es —, sich die richtigen Eltern ausgesucht zu haben, erscheint mir allerdings problematisch.Meine Damen und Herren, der erste Punkt des Entschließungsantrages des Deutschen Bundestages vom 16. Dezember 1982 fordert die Bundesregierung auf, bei den Verhandlungen mit den Ländern darauf hinzuwirken, daß Familien mit nicht ausreichendem Einkommen bundeseinheitlich die notwendige Förderung erhalten, damit ihre Kinder den ihrer Begabung entsprechenden Schulabschluß erreichen können. Über die Ergebnisse dieser Verhandlungen soll die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag berichten. Soweit wir das heute überblicken können, bahnen sich in einzelnen Ländern Regelungen an, die sich des Problems in unterschiedlicher Weise annehmen. Wir verhehlen nicht unsere Besorgnis, daß diese Regelungen den im Entschließungsantrag geäußerten Wunsch nach einer bundeseinheitlichen Förderung nicht befriedigend entsprechen könnten. Ich will das hier nicht vertiefen und auch keine Beurteilung vorweg vor-
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838 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1983
Neuhausennehmen, Besorgnisse sind aber dazu da, wiederlegt zu werden. Eine unübersichtliche Zersplitterung würde der Sache nach unserer Meinung nicht dienen.Daher bitten wir die Bundesregierung auch heute, insbesondere den durch den Entschließungsantrag angeforderten Bericht zu diesem Punkt schnellstmöglich vorzulegen. Er bietet eine Voraussetzung dafür, uns mit dem Thema weiter zu beschäftigen, möglichst ohne öffentliche Effekthascherei, sondern im wohlverstandenen Interesse der Sache.
Es ist kein Geheimnis und bedeutet auch keine Störung des Koalitionsfriedens, wenn sich diese Beschäftigung für meine Freunde und mich vor dem Hintergrund unserer bildungspolitischen Vorstellungen bewegt. Dafür ist auch der in dem Entschließungsantrag erwähnte Wunsch nach bundeseinheitlicher Förderung wichtig.
Aber auch der Zusammenhang mit dem im Entschließungsantrag ebenfalls erwähnten Familienlastenausgleich wird für uns von Belang bleiben.
Die Beurteilung der Möglichkeiten bleibt heute offen. Aber Nachdenken schadet nie. Mindestens darin muß sich unsere bleibende Verantwortung für diesen Teil der Bildungspolitik ausdrücken.
— Und wenn da nur gelacht wird, darf ich nur an die vielen Fälle erinnern, in denen wir früher gemeinsam durch Nachdenken Probleme zu lösen versucht haben. Manchmal ist es gelungen, manchmal nicht. So ist das Leben.
— Herr Kuhlwein, da nützt auch keine Aufregung etwas.Meine Damen und Herren, mit der vom Ältestenrat vorgeschlagenen Überweisung des Antrags an die Ausschüsse sind wir einverstanden. Hier kann man diskutieren. In einer heute hier durchgeführten Abstimmung in der Sache müßten wir den Antrag aus den Gründen, die ich erwähnt habe, ablehnen. Im Interesse der Sache gebe ich der SPD-Fraktion anheim, diese Frage erneut zu überdenken.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Pfeifer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte hier nicht noch einmal im einzelnen die Gründe darlegen, die im vergangenen Herbst die Bundesregierung veranlaßt haben, dem Parlament eine Änderung desBundesausbildungsförderungsgesetzes vorzuschlagen. Ich halte es für entscheidend, daß wir diese Änderung vor der Wahl vorgenommen haben, so daß im Wahlkampf Gelegenheit bestand, dies im einzelnen zu erörtern. Meine Damen und Herren, ich glaube nicht, daß es sehr viel weiterführt, wenn wir diese Diskussion, die wir im Wahlkampf geführt haben, jetzt hier in extenso fortsetzen.
Tatsache ist, daß die Parole „Keine Stimme den BAföG-Streichern" nicht gezogen hat. Meine Damen und Herren, ich führe das in erster Linie darauf zurück, daß das Bundesausbildungsförderungsgesetz in der Fassung, wie Sie sie jetzt wiederherstellen wollen, in den letzten Jahren eben in einem erheblichen Umfange in der Bevölkerung an Akzeptanz verloren hat.
Unsere Politik trägt dazu bei, daß die Ausbildungsförderung wieder an Akzeptanz gewinnt.
Das zweite, was ich sagen möchte, ist: Ich habe Verständnis dafür, daß die SPD vor dem Hintergrund der Aussagen, die sie im Wahlkampf getroffen hat, jetzt einen solchen Antrag stellt, den ich im übrigen genauso qualifiziere, wie das die Frau Kollegin Rönsch getan hat.Ich möchte Sie bitten, nochmals zu überlegen, welche Konsequenzen dieser Antrag, wenn man ihm hier folgte, auch für andere Bereiche der Bildungsfinanzierung hätte. Darauf möchte ich Sie noch einmal besonders hinweisen: Jedem von uns ist wohl bewußt, daß es angesichts der unabweisbaren Einsparungsnotwendigkeiten in den nächsten Jahren darauf ankommen wird, auch im Gesamtbereich der Bildungspolitik die Ausgaben auf das absolut Vorrangige zu konzentrieren. Für uns sind das beispielsweise Lehrlingsplätze, vor allem Lehrlingsplätze für benachteiligte Jugendliche, wofür wir die Mittel des Bundes, verglichen mit dem Haushaltsansatz 1982, in diesem Jahr fast verdoppelt haben. Für uns ist das die überbetriebliche Ausbildung als Ergänzung der betrieblichen Ausbildung. Für uns ist das die Grundlagenforschung, die sich im internationalen Vergleich behaupten können soll. Für uns ist das der Ausbau der Universitäten und der Studienkapazitäten, damit die Hochschulen offengehalten werden können und nicht eine Verschärfung des Numerus clausus mit allen negativen Folgen, auch auf das Gymnasium beispielsweise, eintreten muß.Dazu möchte ich Sie hier auf folgendes aufmerksam machen. Die vorige Bundesregierung hat uns 1980 eine mittelfristige Finanzplanung vorgelegt, in der jährliche Abstriche von 50 Millionen DM vorgesehen waren und damit ein Absinken der Hochschulbaumitttel auf 580 Millionen DM in diesem Jahr. Nicht ein einziger Neubau im Hochschulbereich, der nach 1981 begonnen wurde, ist von der Bundesregierung mitfinanziert worden, wie es im
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Parl. Staatssekretär Pfeifer Hochschulbauförderungsgesetz vorgesehen ist. Die Folge war, daß eine ganze Reihe von Ländern im vergangenen Herbst neue absolute Numerus-clausus-Schranken verlangt hat. Wenn wir uns nicht darangemacht hätten, die Mittel für den Ausbau der Hochschulen massiv nach oben zu korrigieren und die Stabilisierung des Hochschulbaus einzuleiten, wären ab dem kommenden Wintersemester die Hochschulen Stück für Stück wieder geschlossen worden. Dies und nicht die BAföG-Umstellung hätte dann wirklich zu einer Entwicklung geführt, in der die Abiturienten verstärkt in die Ausbildungsplätze im beruflichen Bildungsbereich hineingedrängt hätten.
Alles, meine Damen und Herren, was wir in den letzten Monaten stabilisiert haben, würde aber sofort wieder in Frage gestellt und gefährdet werden, wenn man dem vorliegenden Antrag folgte. Denn dieser Antrag hat — darauf muß ich aufmerksam machen — erhebliche finanzielle Konsequenzen. Er würde bewirken, daß die Mittel für das BAföG von insgesamt 2,4 Milliarden DM im Jahre 1984 auf ca. 4,5 Milliarden DM im Jahre 1989 ansteigen. Das sind 2,1 Milliarden DM mehr. Damit würde der vorliegende Antrag Mittel zur Finanzierung des BAföG binden, die wir dringend an anderer Stelle brauchen, wenn wir die Berufs- und die Bildungschancen der jungen Generation verbessern wollen.
Da bitte ich doch zu überlegen, ob Sie vor diesem Hintergrund mit Ihrem Antrag die richtigen Prioritäten setzen. Ich bin der Meinung, Sie tun das nicht.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, lassen Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Weisskirchen zu?
Herr Staatssekretär Pfeifer, verstehe ich, nachdem Ihre Kollegin aus der CDU-Fraktion signalisiert hat, wir könnten im Ausschuß über diesen Antrag noch einmal diskutieren, Ihre Einlassung jetzt richtig so, daß Sie nicht bereit sind, im Ausschuß darüber zu diskutieren?
Ich bitte Sie, meine Einlassung so zu verstehen, daß ich das Parlament bitten möchte, diesem Antrag, soweit er die Herstellung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes in der alten Fassung anstrebt, nicht zu folgen.
Lassen Sie mich noch etwas sagen. Ich kann überhaupt nicht verstehen, warum Sie die Umstellung der Studentenförderung auf Darlehensbasis wieder rückgängig machen wollen.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kuhlwein zuzulassen?
Herr Staatssekretär, darf man Ihre Antwort auf die Frage des Kollegen Weisskirchen so verstehen, daß Sie in den Ausschußberatungen unter Umständen einer Änderung des Antrags zustimmen würden, wenn in jedem Fall eine bundeseinheitliche Regelung — durch Bundesgesetz — festgelegt würde?
Herr Kollege Kuhlwein, in dem Antrag sind einige Elemente enthalten — sie beziehen sich z. B. auf die Berechnung von Einkommensgrenzen —, die diskutabel sind. Aber wenn Sie das diskutieren wollen, muß ich Ihnen zweierlei sagen.
Erstens. Warum haben Sie das nicht in den zurückliegenden Jahren, als es um die Akzeptanz des Ausbildungsförderungsgesetzes gegangen ist, schon getan? Damals hätte es wirklich noch etwas bewirkt.
Zweitens müssen Sie natürlich auch die Schwierigkeiten verstehen, die wir haben angesichts der Einwendungen mancher Länder, auch sozialdemokratisch regierter Länder, beispielsweise bei der Neuberechnung der Einkommensgrenzen für die Landwirte. Aber bitte schön, das sind Fragen, die man erörtern kann. Nicht erörtern kann man in meinen Augen die Rückkehr zum BAföG in der alten Fassung, wie es der Schwerpunkt Ihres Antrags ist.
Nun lassen Sie mich mit dem fortfahren, was ich soeben gesagt habe. Überhaupt nicht verstehen kann ich, daß Sie die Umstellung der Studentenförderung auf Darlehensbasis rückgängig machen wollen. Die Regierung und, ich meine, auch das Parlament haben die Pflicht, Ausbildungsförderung nicht nur für die jetzige studentische Generation sicherzustellen, sondern die Ausbildungsförderung auch für die nächste studentische Generation zu sichern. Vor dem Hintergrund der Finanzentwicklung, die j a in erheblichem Umfang von der vorherigen Regierung zu verantworten ist und die uns zwingt, uns jetzt auf das Wesentliche zu konzentrieren — ich habe das ausgeführt —, ist es doch richtig, wenn wir sagen, daß derjenige, der heute Ausbildungsförderung erhält, die aus Steuermitteln finanziert wird, der mit dieser Ausbildungsförderung ein Studium abschließen kann, dem nach diesem Studium der berufliche Einstieg gelungen ist und der dann als Naturwissenschaftler, als Diplom-Ingenieur, als Rechtsanwalt, als Akademiker, als Arzt oder als Zahnarzt über ein ordentliches Einkommen verfügt, die Ausbildungsförderung zurückzahlt, damit auch die nächste studentische Generation Ausbildungsförderung erhalten kann.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher?
Bitte schön, Frau Kollegin.
Entschuldigen Sie, Herr Staatssekretär; ich dachte, Ihr Gedanke sei
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840 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1983
Frau Dr. Hamm-Brücherjetzt formuliert. Ich bitte um Entschuldigung. Darf ich im Anschluß an die Frage des Herrn Kollegen Kuhlwein auf sein Anliegen in Form einer weiteren Frage zurückkommen? Ist es nicht entscheidend notwendig, Herr Staatssekretär, im zuständigen Ausschuß über das politische Grundproblem ausführlich zu reden, was geschehen muß, damit die gesamtstaatliche Verantwortung, die der Bund j a für die Gleichheit der Lebenschancen hat, durch den Abbau der BAföG-Finanzierung nicht rückläufig ist und wir nicht in die Kleinstaaterei von einst zurückfallen? Das ist doch das vorrangige Problem. Stimmen Sie da mit mir überein?
Frau Kollegin Hamm-Brücher, es gibt ohnehin eine Gelegenheit, hier im Parlament und, wenn man will, auch in den Parlamentsausschüssen über diesen Punkt zu sprechen, wenn wir den Bericht, den Herr Kollege Neuhausen genannt hat, dem Parlament erstatten. Auf diesen Punkt komme ich gleich zurück.
Ich möchte noch mal sagen, daß es in meinen Augen ein Gebot der Solidarität zwischen den Generationen ist, daß wir an dieser Umstellung auf Darlehensbasis festhalten.
Darf ich auch an dieser Stelle noch mal darauf hinweisen: Wenn ein Handwerksgeselle sich zum Meister weiterbildet und dafür öffentliche Mittel in Anspruch nimmt, dann nimmt er sie doch als Darlehen auf. Wenn jemand als junger Mensch, der über die berufliche Bildung gegangen ist, eine selbständige Existenz gründet, dann ist es normal, daß er dafür ein Darlehen aufnimmt, das in den Konditionen wesentlich ungünstiger ist als die Darlehen, die wir hier vorgesehen haben. Und wenn das Darlehensprinzip für Nichtakademiker gilt, dann kann es doch für die Akademiker nicht so falsch sein, wie Sie es immer darstellen.
Ich bitte Sie, auch an der im Herbst 1982 getroffenen Regelung des Schüler-BAföG festzuhalten. Diese Regelung konzentriert die Schülerförderung auf die mit besonders hohen Kosten belasteten Auszubildenden, also auf auswärts untergebrachte Schüler und auf Auszubildende an Abendschulen und an Kollegs. Das hat meines Erachtens schon deshalb eine gewisse Logik, weil man in der Regel davon ausgehen kann, daß eine Familie, die ihre zu Hause wohnenden Kinder bis zum Ende der 10. Klasse des Gymnasiums führen konnte, in der Lage ist, noch die 11., 12. und 13. Klasse zu finanzieren. Sie dürfen nämlich nicht übersehen, daß diese Familien, beispielsweise eine Familie mit einem Netto-Einkommen von monatlich 1 500 DM und zwei Schulkindern, von denen sich eines im 11., 12. oder 13. Schuljahr befindet, allein durch direkte und indirekte staatliche Leistungen im Rahmen des Familienlastenausgleichs, also durch Kindergeld, Ausbildungsfreibetrag, Wohngeld usw., eine Steigerung des verfügbaren Netto-Einkommens von ca. 3 500 DM im Jahr erhalten. Dabei sind eine ganze Reihe von weiteren Leistungen wie beispielsweise Lernmittelfreiheit, Zuschüsse zu den Schülerfahrkosten gar nicht berücksichtigt.
Ich bin deswegen der Meinung, daß man, wenn man überhaupt über das Thema Ausbildungsförderung in der Zukunft diskutiert — und da bin ich dankbar, daß diese Diskussion in den Ländern so geführt wird —, doch auch diese ganzen Leistungen nach dem Familienlastenausgleich mit sehen muß; ganz abgesehen davon habe ich es nie als eine gute Regelung angesehen, wenn auf der gleichen Schulbank zwei Schüler gesessen haben, von denen der eine, weil seine Eltern knapp unter der Einkommensgrenze lagen, einen Anspruch auf Förderung hatte, die auf sein eigenes Konto gegangen ist, so daß er damit oft über erhebliche Beträge verfügen konnte, die sein Klassenkamerad auf der Bank nebenan nicht zur Verfügung hatte, obwohl seine Eltern nur knapp über der Einkommensgrenze gewesen sind.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Vogelsang?
Bitte sehr, Herr Kollege Vogelsang.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Ausführungen zum Familienlastenausgleich so verstehen, daß die Bundesregierung diesen Familienlastenausgleich so, wie er jetzt besteht, als abgeschlossen ansieht?
Nein. Dazu ist in der Regierungserklärung deutlich etwas gesagt worden. Es ist auch so, daß in dem Beschluß, den der Bundestag im Dezember des letzten Jahres gefaßt hat — Herr Kollege Neuhausen hat darauf hingewiesen —, bewußt dieser Zusammenhang auch zum Familienlastenausgleich wiederhergestellt worden ist. Ich finde, das sind konstruktivere Ansätze für die Zukunft als der Antrag, den Sie heute vorgelegt haben.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Aber darf ich vorschlagen, daß es dann die letzte ist, weil ich sonst mit der Zeit zu sehr überziehe. — Bitte schön.
Herr Staatssekretär, ich möchte auf Ihr Zahlenbeispiel zurückkommen. Glauben Sie denn, daß eine Familie mit einem Monatseinkommen von 1 800 DM zwei Kinder zum Gymnasium schicken kann?
Ja, meine Damen und Herren, darf ich dazu noch einmal auf eine Argumentation zurückkommen: Bei einer Familie,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1983 841
Parl. Staatssekretär Pfeiferdie ein zu Hause wohnendes Kind bis zur 10. Klasse des Gymnasiums geführt hat, kann man doch in der Regel davon ausgehen, daß das auch in der 11., 12. und 13. Klasse noch möglich ist.
Ich verkenne nicht, daß es trotzdem auch in Zukunft Fälle gibt, in denen Familien mit begabten Kindern auf Ausbildungsförderung während der Schulzeit angewiesen sind. Hier sind wir aber der Meinung, daß es möglich ist — und dafür bin ich dankbar, daß die Länder das aufgegriffen haben —, daß die Länder diese Ausbildungsförderung durch ergänzende gesetzliche Regelungen sicherstellen. Ich halte es ausdrücklich auch für richtig — um das zum Ausdruck zu bringen —, wenn die Länder diese Förderung in erster Linie auf begabte Schüler, auf begabte Kinder konzentrieren.Natürlich, Herr Kollege Neuhausen, es ist richtig: diese Regelungen sind in der Tat oft unterschiedlich. Aber diese Unterschiede beruhen in einem nicht geringen Umfang z. B. auch auf unterschiedlichen schulischen Angeboten in den einzelnen Ländern. Es gibt Länder, die dem Berufsgrundschuljahr in einer flächendeckenden Form eine besondere Bedeutung beimessen. Daß diese andere Förderungsschwerpunkte setzen als Länder, die z. B. mehr das kooperative Berufsgrundbildungsjahr in den Mittelpunkt ihrer Politik stellen, ist vernünftig. Aus diesem Grunde bin ich der Meinung, daß man sich hier nicht auf den Standpunkt stellen sollte, es müsse unter allen Umständen hier alles gleich geregelt sein, zumal j a wesentliche Teile der Ausbildungsförderung schon immer unterschiedlich geregelt gewesen sind. Ich denke beispielsweise an den Ersatz von Fahrkosten für Schüler, ich denke an die Lernmittelfreiheit. Daß gerade vor diesem Hintergrund dann einzelne Länder unterschiedliche Förderungsinstrumentarien schaffen, das würde ich zunächst einmal nicht negativ bewerten.Ich halte es für entscheidend, daß bundesweit das Ziel erreicht wird, das in der Entschließung des Bundestags vom Dezember 1978 formuliert ist, nämlich sicherzustellen, daß Familien mit nicht ausreichendem Einkommen die notwendige Förderung gewährleistet erhalten, damit ihre Kinder den ihrer Begabung entsprechenden Schulabschluß erreichen können.Meine Damen und Herren, dieses Ziel ist bundesweit zu erreichen, wenn die SPD-regierten Länder endlich dem Beispiel der CDU-regierten Länder folgen.
Das hat Frau Kollegin Rönsch zum Ausdruck gebracht, und das kann ich nur unterstreichen.
Herr Kollege Neuhausen, den von Ihnen hier wieder angeführten und für den Herbst zugesagten Bericht werden wir dem Parlament erstatten. Wir werden uns Mühe geben, daß er zu einem möglichst frühen Zeitpunkt im Herbst dem Parlament vorliegt. Dann, Frau Kollegin Hamm-Brücher, gibt es j a die Möglichkeit, auch dieses noch einmal im einzelnen und, wie ich sagen möchte, dann auch im Bundestagsausschuß für Bildung und Wissenschaft zu besprechen, falls der heutige Antrag nicht dorthin überwiesen werden sollte.Lassen Sie mich abschließend darauf hinweisen— meine Damen und Herren, das sollte Ihnen in der SPD auch zu denken geben —, daß uns das Deutsche Studentenwerk in der vorletzten Woche einen Bericht über die Ausbildungsförderung in vergleichbaren europäischen Ländern vorgelegt hat. Dieser Bericht — so hat es der Präsident des Deutschen Studentenwerks zum Ausdruck gebracht —, hat zum Ergebnis, daß sich die Ausbildungsförderung in der Bundesrepublik Deutschland auch unter den veränderten Bedingungen im europäischen Maßstab durchaus sehen lassen kann.Meine Damen und Herren, deswegen sollte man diese Ausbildungsförderung hier auch nicht so herabsetzen, wie das zum Teil in den letzten Wochen und vor allem im Wahlkampf geschehen ist. Für die Zukunftschancen unserer Jugend in den nächsten Jahren ist es von entscheidender Bedeutung, daß es genügend Lehrstellen gibt — ich habe das gesagt —, daß benachteiligte Jugendliche eine Ausbildungschance erhalten,
daß eine ausreichende Zahl von Ausbildungsplätzen in überbetrieblichen Ausbildungsstätten zur Verfügung stehen, daß Hochschulen offengehalten werden, daß sich insgesamt die Chancen unserer Jugend nach der Ausbildung beim Übertritt in den Beruf und am Arbeitsmarkt verbessern.Hierauf möchte sich die Bundesregierung auch in ihrem Bildungsetat konzentrieren. Meine Damen und Herren, deswegen möchte ich Sie bitten, daß Sie in der Sache diesen Antrag, der uns heute vorliegt, ablehnen. — Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Unsere Diskussion zu BAföG — ob im Wahlkampf, ob heute hier — ist schon erstaunlich. Leistungselite, Begabungsdefinitionen, Abbau von Mischfinanzierungen— die Journalisten, die leider Gottes nicht sehr zahlreich vertreten sind, staunen, wie umfassend und gebildet wir diskutieren.
— Man darf auch einmal über die Journalisten schimpfen.Wir staunen, was die am nächsten Tag alles Schönes über uns schreiben. Der Bürger zu Hause wird heute abend am Fernsehgerät staunen, wenn er zwei Kinder in Ausbildung hat, und wird überhaupt nichts mehr verstehen.Die junge Studentin und der junge Student staunen ebenfalls; dachten die beiden doch, wir würden
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842 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1983
Frau Schmidt
nach unseren hehren Absichten, niedergelegt im Bericht der Enquete-Kommission „Jugendprotest im demokratischen Staat", wenigstens den Versuch unternehmen, uns ihrer Anliegen ernsthaft anzunehmen.
Auch sie verstehen aus dieser Diskussion überhaupt nichts mehr. Ich will versuchen, das ein ganz klein bißchen verständlicher zu machen.Die staats- und finanzpolitisch interessante Diskussion zum Abbau der Mischfinanzierung bedeutet in diesem konkreten Fall ein Hin- und Herschleben der Verantwortung zwischen Bund und Ländern.
Sie bedeutet garantiert ein „SchlAföG" in Schleswig-Holstein — das finde ich besonders hübsch —, ein „NAföG", ein „HeAföG" — das kommt nämlich garantiert auch in Hessen — und ein „BayAföG", weil viele Länder, meine sehr verehrten Kollegen, schon allein durch ihre Verfassung gezwungen sein werden, hier eine Ausbildungsförderungsregelung vorzulegen, auch wenn es gegen ihre Überzeugungen gehen wird.Frau Kollegin Rönsch, Sie haben uns mangelnde Seriosität dieses Antrags vorgeworfen. Ich muß Ihnen sagen, daß in Ihrer Rede in diesem Punkt sehr wenig Seriosität enthalten war, als Sie den Ländern vorgeworfen haben, sie wollten die Mittel dazu nicht bereitstellen. Denn die vier SPD-regierten Länder haben am Freitag der letzten Woche im Bundesrat einen Antrag eingebracht, der gleichlautend ist mit dem, über den wir heute abstimmen werden.
— Nicht wegen der Hessenwahl. Wir hätten uns gewünscht, daß dieser Antrag angenommen worden wäre, weil uns die Ausbildungsförderung viel zu ernst und viel zu wichtig ist.
Das bedeutet selbstverständlich, daß Hessen, Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Bremen ihren Anteil an der Finanzierung mit eingebracht hätten.
Genauso selbstverständlich ist, daß diese „SchlAföG", „NAföG", „HAföG" — und was es dann so alles geben wird — unterschiedliche Anspruchsvoraussetzungen haben werden. Selbstverständlich bedeutet es, daß es unterschiedliche Leistungen geben wird.Ministerpräsident Albrecht irrte, als er im Bundesrat sagte, der Bundestag habe in seiner Entschließung vom letzten Dezember die Länder beauftragt, sich um dieses Problem zu kümmern. Nein, wir — das waren alle bis auf Sie, liebe Kollegen von den GRÜNEN — haben die Bundesregierung beauftragt, für eine bundeseinheitliche Regelung zu sorgen. Das ist doch ein kleiner Unterschied, wie ich meine.
So erkennt der Bundesbürger am Fernsehapparat, daß er künftig bei einem Umzug für seine Kinder nicht nur andere Schulbücher und andere Lehrpläne vorfinden wird, sondern auch eine andere Ausbildungsförderung.
Er wird sich fragen, mit welchem Recht wir von ihm laufend verlangen, er solle mehr Mobilität zeigen. Das nenne ich mangelnde Seriosität.So müßte der Bundestag inzwischen auch staunen, was aus seinen Entschließungen von dieser Regierung so ganz rasch — indem man nur ein paar Worte ändert — gemacht wird. Frau Dr. Wilms hat in unserer letzten Ausschußsitzung davon gesprochen, die Bundesregierung habe den Auftrag, einen Bericht darüber vorzulegen, wie die Ausbildungsförderung — „nach dem Kahlschlag" hat sie natürlich nicht gesagt; das ist mein Wort — nach der Streichung, der wesentlichen Reduzierung des BAföG verbessert werden könne. Aus dieser Forderung hat sie flugs einen Bericht zur Ausbildungs- und Begabtenförderung gemacht. Einen solchen Bericht wollen wir nicht. Wir wollen einen Bericht darüber, wie die Ausbildungsförderung verbessert werden kann.
Ihn will sie vorlegen, aber auf jeden Fall nach Schuljahresbeginn. Da frage ich: Wem nützt das dann noch etwas?Wollen also kann dieser Bundestag viel, bekommen tut er etwas ganz anderes. Dazu ein paar Beispiele, damit auch alle verstehen — und wiederum vor allem Dingen die, die das zu Hause sehen und hören —, daß es sich nicht um eine akademische Diskussion handelt, sondern um Menschen; um Menschen, in deren Lebensweg wir drastisch eingegriffen haben, drastischer — der Kollege von den GRÜNEN hat das schon ausgeführt — als in allen anderen Bereichen.
Wenn Sie das dann nicht als Kahlschlag bezeichnen, können wir uns gerne über die Definition dessen unterhalten, was noch ein Kahlschlag ist. Ich kann Ihnen versichern: Ich habe für jedes einzelne Beispiel, das ich nenne, einen Beleg. Ich bringe nicht alle; sonst müßte ich den ganzen Tag reden, und das will ich Ihnen nicht zumuten.
— Das fällt mir schwer. Das stimmt, Herr Rossmanith, das gebe ich gerne zu. Jeder hat seine Fehler. Das ist aber einer der geringsten, die man haben kann.Erstes Beispiel. Ein Berufsaufbauschüler, 23 Jahre alt, mit Hauptschulabschluß — hören Sie bitte zu; denn weil sich immer so wenige darunter
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Frau Schmidt
etwas vorstellen können, ist es in meinen Augen wirklich wichtig, daß man einmal die Menschen hinter diesem BAföG sieht, die betroffen sind — und abgeschlossener Schlosserlehre, war zwei Jahre in seinem Beruf tätig. Er wurde dann arbeitslos und entschloß sich nach einem halben Jahr erfolgloser Bemühungen, wieder die Schulbank zu drücken, um mit besserer Qualifikation auch bessere Chancen zu haben. Er ist verheiratet, wohnt mit seiner Frau in einer Altbauwohnung. Seine Frau verdient als Anfangsverkäuferin 980 DM. Seine Eltern sind Rentner und wohnen in derselben Stadt wie er. Die Rente beträgt 1 300 DM im Monat.Mit seiner Entscheidung, noch einmal in die Schule zu gehen, hat er — ich bitte, das Wort „verzichtet" jetzt nicht mißzuverstehen — auf 800 DM Arbeitslosengeld verzichtet und hat dafür 445 DM BAföG bekommen. Dieses BAföG bekommt er nun nicht mehr. Er bekommt überhaupt nichts mehr, weil er mit seinen 23 Jahren am Wohnort der Eltern in die Schule gehen kann und weil die Härteregelung wegen der „Höhe" des Einkommens der Eltern auf ihn nicht zutrifft.
Das zweite Beispiel: Eine Schülerin in Klasse 12 des Gymnasiums bekam bisher 275 DM Schüler- BAföG. Sie wohnt bei ihren Eltern; Einkommen der Eltern: 1 100 DM. Damit man einmal sieht, wie die Härteregelung funktioniert bzw. nicht funktioniert: Die Schule erreicht sie mit dem Schulbus, und für den Schulweg braucht sie mit diesem Schulbus eine Stunde und zehn Minuten, wohlgemerkt: einfache Wegzeit.Auch sie bekommt kein BAföG mehr, weil sie nämlich bei ihren Eltern wohnt und weil sie trotz des niedrigen Einkommens der Eltern nicht unter die Härteregelung fällt, und zwar mit der eigenartigen Begründung, daß sie vom Wohnort der Eltern eine geeignete Schule nicht erreichen kann. Auf gut deutsch: Der Schulweg ist zu lang. Komisch, was wir da gemacht haben!
Wir haben es gemacht; das kann ich belegen, das kann ich Ihnen an Hand der Ausführungsbestimmungen des Landes Bayern zeigen.
Das dritte Beispiel: Eine junge Frau, 28 Jahre alt, wohnt ca. 30 km von Nürnberg entfernt. Sie besucht nach langjähriger Berufstätigkeit ebenfalls die Berufsaufbauschule. Bisher hat sie etwas über 500 DM Ausbildungsförderung einschließlich Mietzuschuß bekommen. Ab Herbst 1983 bekommt auch sie nichts mehr. Warum? Weil ihre Eltern in Hamburg wohnen.Nun können Sie sicherlich mit Recht fragen: Was hat der Wohnort der Eltern, Hamburg, mit einer 28jährigen zu tun, die 30 km von Nürnberg entfernt wohnt? Aber so haben Sie hier dieses Gesetz beschlossen!
Das haben Sie so gemacht!
In Hamburg gibt es eine geeignete Schule. Sie wird also jetzt, mit 28 Jahren, wieder vom Wohnort ihrer Eltern abhängig.
Würden die Eltern nach Kleinkleckersdorf — wobei ich nicht weiß, ob es das in der Gegend von Hamburg gibt — umziehen, würde sie vielleicht wieder Ausbildungsförderung bekommen; da sind sich die Fachleute noch nicht so ganz einig, was auch einiges über die Qualität der Änderungen, die hier vorgenommen worden sind, aussagt.Wenn das, liebe Kollegin Rönsch, kein Kahlschlag ist, dann — ich sage es noch einmal — unterhalten wir uns über den Inhalt des Wortes „Kahlschlag". Ich sage gern auch „Streichung", wenn es Sie irgendwie beruhigt.
Das alles sind noch die harmlosesten Beispiele. Ich könnte Ihnen, wie gesagt, zig andere nennen. Alle diese Beispiele sind bis ins Detail belegbar, alle kann ich Ihnen zeigen, da gibt es Hunderte und Tausende. Leider haben wir Schüler und Eltern in der Größenordnung von 200 000 in diese Situation gebracht.Es gibt keine elternunabhängige Förderung für erwachsene Schüler mehr. Der zweite Bildungsweg ist zum größten Teil abgeschafft. Das ist Kahlschlag! Alles ist vorbei, vergessen, perdu. Das kümmerliche Rest-BAföG ist nicht gerecht, und ich wage — das sage ich noch einmal — zu bezweifeln, daß das juristisch haltbar ist. Wenn ich solche Fälle bei mir in der Sprechstunde habe, werde ich den jungen Leuten raten, zu klagen, und werde notfalls die Kosten übernehmen.
Weil ich gerade beim Stichwort „Gerechtigkeit" bin: Gerecht ist auch die Umstellung auf Volldarlehen in der Studentenförderung nicht. Wenn Sie, Herr Staatssekretär Pfeifer, und auch der Herr Ministerpräsident Albrecht das nicht verstehen, will ich Ihnen gerne helfen; denn Ihre Argumentation wird nicht etwa dadurch richtiger, daß sie immer wiederholt wird.Erstens. Es sind überwiegend die Kinder von Lohnsteuerzahlern, die bisher unter die Förderung fielen. Das werden auch Sie nicht bestreiten.
Zweitens. Die Kinder von Nichtlohnsteuerzahlern, die wegen des hohen Einkommens ihrer Eltern kein BAföG bekommen, nehmen ebenfalls den „irre teuren Medizinstudienplatz", wie Herr Ministerpräsident Albrecht es genannt hat, in Anspruch — vielleicht sollten wir das nicht so ganz aus dem Gedächtnis verlieren —, und zwar beliebig lange
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844 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1983
Frau Schmidt
und ohne mit Schulden ins Berufsleben starten zu müssen.
Drittens. Die bessere Einkommenssituation des künftigen Akademikers beginnt bei einem Monatseinkommen von 960 DM für den Ledigen. Da setzt die Rückzahlungspflicht ein. Vorhin ist hier so euphorisch gesagt worden, was für tolle Rückzahlungsbedingungen wir in diesem Gesetz vorfinden könnten. Hören Sie sich doch einmal an, was die Westdeutsche Rektorenkonferenz dazu sagt! Hören Sie sich doch an, daß sie das als nicht praktikabel bezeichnet, daß das Ganze zu einer Flut von Prozessen führen werde! Ich habe das in der letzten Bundestagsdebatte schon einmal ausgeführt.
Dann, Herr Staatssekretär, verweisen Sie mit Recht auf die sehr gute Ausarbeitung, die eine Reihe von europäischen Ländern gemacht hat. Ich empfehle das allen zur Lektüre. Da müssen wir sagen: Bisher sahen wir nicht schlecht aus. Das bezieht sich auf den Stand 1980. Ich habe das sehr genau gelesen. Darüber können wir uns auch unterhalten. Dann müssen wir erst einmal schauen, was wir jetzt haben. Jetzt haben wir folgendes, daß wir das einzige Land in dieser Gruppe sind, das Studenten ausschließlich über Darlehen fördert. Kein anderes europäisches Land, das in dieser Untersuchung ist, macht so etwas.Die Konsequenzen der Umstellung auf Darlehen sind deutlich. Das, was wir befürchtet haben, tritt ein. Um 58 %, den höchsten Prozentsatz, hat die Zahl der Ausbildungsplatzsuchenden mit Hochschul- und Fachhochschulreife zugenommen. Der Verdrängungswettbewerb ist in vollem Gange. Wenn Sie sagen, Sie setzen andere Prioritäten, muß ich sagen, manche werden vielleicht gar nicht mehr so notwendig sein, weil Sie die Hochschulen nicht mehr in dem Umfang ausbauen müssen, weil Sie durch diese BAföG-Regelung nicht mehr so viel Studenten haben werden.Wenn Sie sagen, daß Sie die Förderung von Behinderten als eine Priorität sehen, dann begrüßen wir das. Nur, mehr Mittel, als sie Finanzminister Lahnstein noch in unserer Regierungszeit zur Verfügung gestellt hat, haben Sie diesem Projekt auch nicht zur Verfügung gestellt.
Dann kommt natürlich, liebe Kollegin Rönsch, wie immer der „liebe Bundeskanzler", der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt. Da sage ich Ihnen folgendes: Selbstverständlich hat er das auf der AfA-Konferenz gesagt. Nun finde ich, daß auch Bundeskanzler — damit sollten Sie ja die besten Erfahrungen haben oder auch die schlechtesten — nicht davor gefeit sind, publizistisch und plebiszitär wirkungsvolle Aussagen an geeigneter Stelle zu machen und nicht durch große Sachkenntnis in so einem Punkt zu glänzen.
Wir haben es bei unserem Bundeskanzler zumindest geschafft, ihm diese Sachkenntnis zu verschaffen. Wir haben es geschafft, daß er diese Meinung zurückgenommen hat. Machen Sie einmal dasselbe bei Ihrem Bundeskanzler!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wie wollen Sie das finanzieren? Das Ganze wird mit „Erblast" garniert und mit den leeren Kassen begründet. Auch dazu ein kleines Beispiel. Nehmen wir einmal meinen „Lieblingsminister", den Herrn Generalsekretär Geißler. Bei zwei Kindern, eins davon in Ausbildung, spart er im Jahr gegenüber einem gleichviel Verdienenden ohne Kinder 1662 DM an Steuern durch Ausbildungsfreibeträge und die neu eingeführten Kinderfreibeträge. Bei einem jungen Beamten im einfachen Dienst, bei einem ungelernten Arbeiter beträgt dies null D-Mark, bei einem Facharbeiter höchstens 500 DM. Wenn wir allein für die Geißlers und natürlich auch für die Schmidts, die hier stehen, nur einen Teil dieser Steuervergünstigungen streichen würden, könnten wir BAföG beinahe finanzieren. Wenn Sie dann noch unserem Antrag folgten, Mißbräuche beim Einkommensbegriff zu beseitigen, ist die Finanzierung annähernd sichergestellt.
Ich meine Mißbräuche, meine sehr verehrten Damen und Herren, wie sie durch Werbungen, wie sie uns alle auf den Tisch geflattert sind, deutlich werden. Da haben wir solche Zettelchen bekommen, darauf steht: „Finanzieren Sie Ihr Hobby durchs Finanzamt", erster Band „Fliegen", zweiter Band „Ferienwohnungen", dritter Band „Jachten", jeder Band für 298 DM, selbstverständlich von der Steuer absetzbar. Das sage ich Ihnen und vor allen Dingen auch dem Herrn Kollegen Stücklen, dem ich das auszurichten bitte: Das sind die wahren Ausbeuter des Staates, die mitverursacht haben, daß BAföG in Mißkredit gebracht worden ist.
Das sind diejenigen, Herr Staatssekretär, die die mangelnde Akzeptanz dieses Gesetzes verursacht haben,
und nicht etwa angebliche Leistungsverweigerer, denen in Wirklichkeit unsere Gesellschaft die Möglichkeit, etwas zu leisten, verweigert.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich kann nicht mehr. Entschuldigung, Herr Kollege. Wenn ich es noch schaffe, werde ich es Ihnen noch sagen.Jetzt bin ich gefragt worden, warum wir denn nichts getan haben.
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Frau Schmidt
— Wollten Sie das fragen?
— Ja, wunderschön. Ich ahnte doch, daß wir noch miteinander ins Gespräch kommen.Warum haben wir denn nichts getan? Ich sage es Ihnen ganz deutlich. Wir haben es ja versucht. Ich kann Ihnen sagen: Wir können in der Steuergesetzgebung, wie Ihnen als erfahrenem Parlamentarier wohl klar ist, allein nichts ändern. Wir haben das bedauert. Ich muß sagen, ich schäme mich manchmal, daß unsere Ansätze zeitweise nicht gerade ausreichend waren.Dann hatten wir auch den Koalitionspartner. Der glaubte, seine Klientel unter denen suchen zu müssen, die Ferienwohnungen und Jachten und Fliegen als Hobby betreiben.
— Sie kommen auch noch dran, Herr Daweke. Keine Panik!
— Das wurde bei Herbert Wehner garantiert nicht über Steuervergünstigungen finanziert. Das möchte ich in aller Deutlichkeit sagen.
Sie waren im Bundesrat in der Mehrheit. Da haben Sie alle unsere Ansätze, solche Schweinereien zu beseitigen — ich bezeichne das an dieser Stelle ganz deutlich als Schweinereien —, nicht zugelassen.
Deshalb haben wir nichts getan.
Meine sehr verehrten Kollegen, ich fordere Sie daher auf: Stellen Sie endlich mit uns gemeinsam Gerechtigkeit wieder her! Schaffen Sie Klarheit und Vertrauen! Erteilen Sie der Kleinstaaterei in der Bildungspolitik, in der Ausbildungsförderung eine Absage! Die Zeit drängt. Wir haben nicht sehr viel Zeit. Nachdem wir heute den Äußerungen des Herrn Staatssekretärs entnehmen konnten, daß unser Antrag in Ausschußberatungen keinerlei Chancen hätte, bin ich der Meinung: Wir sollten heute darüber abstimmen und wenigstens Farbe bekennen. — Danke schön.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Rossmanith.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Schmidt, Sie nehmen es mir sicher nicht übel, daß ich über Ihre ersten Ausführungen gestaunt habe, nämlich über den Vorwurf, daß wir vor dem 6. März, dem Wahltag, die Wahrheit gesagt haben und uns jetzt zu dieser Wahrheit bekennen. Ich muß sagen: Sie scheinen ein sonderliches Verständnis von Demokratie und dem zu haben, was man dem Bürger gegenüber zu sagen hat.Zweitens ist mir sehr negativ aufgestoßen, daß Sie das Fernsehen so ins Spiel bringen. Gott sei Dank, liebe Kollegin Schmidt, haben wir noch eine Demokratie und werden hier im Parlament die Entscheidungen für die Bürger getroffen und nicht auf dem Fernsehschirm. Bedauerlicherweise sind wir heute bereits so weit gekommen, daß wir den Begriff der Telekratie benutzen müssen.
— Ja, Herr Kuhlwein, da haben Sie natürlich einige Erfahrungen, nehme ich an. Aber warten Sie ab! Noch sind wir und bleiben wir in der Demokratie. Auch diejenigen, die jetzt Fernsehfetischismus betreiben, werden wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeführt werden.
Ich sage ein drittes. Auch durch Ihre ständig wiederholten Beispiele
— ach, jetzt hören Sie doch bitte einmal auf! — werden Sie den Begriff des Kahlschlags nie rechtfertigen können. Was wir getan haben, ist, auf Grund der Verantwortung zu handeln, die wir im bildungspolitischen und im gesamtstaatlichen Bereich zu tragen haben. Auch hier hat Frau Minister Wilms mit Recht darauf hingewiesen — aber das hat nicht nur Frau Wilms gesagt, sondern auch ihr Vorgänger, Ihr Minister, Herr Kollege Kuhlwein —, daß keine Regierung an einer Kürzung auch in diesem Bereich vorbeigekommen wäre. Wenn wir diese Sätze so gelassen hätten, wären wir im Endeffekt auf mindestens 4,5 Milliarden DM gekommen.
— Von wegen „Kürzung verhindert"! Er hat gesagt, daß Einschnitte gemacht werden müssen. Es ist Tatsache, daß Ihr Minister und seinerzeit auch Herr Kollege Kuhlwein als Vertreter des Ministers das gesagt haben.Deshalb wundert es mich wirklich, wie heute die SPD-Fraktion mit einer sehr legeren Art den Antrag vorbringt. Ich möchte ihn fast als unschuldignaiv bezeichnen. Es ist abstrus, die Wiederherstellung des BAföG in der Fassung der Siebten Novelle überhaupt wieder in die Diskussion zu bringen.
Denn wir haben uns hier vor der Wende, die wir jetzt haben durchsetzen können, kontinuierlich auf Ihren Schienen bewegt. Engholm hat gesagt — ich zitiere ihn hier wörtlich —, daß das „BAföG bei knappen öffentlichen Mitteln finanziell nicht aus dem Ruder laufen" dürfe.
Die Kollegin Rönsch hat dankenswerterweise schon darauf hingewiesen, was der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt vor der Kommission der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen
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Rossmanithin der SPD unter großem Beifall gesagt hat, nämlich daß eine Darlehensregelung beim BAföG erreicht werden müsse. Dafür gab es damals großen Beifall von der Gruppe der Arbeitnehmer in Ihrer Partei.
Es wundert mich doch sehr, Frau Kollegin Schmidt, daß Sie hier nicht mit einem einzigen Wort auf die Arbeitnehmer eingegangen sind. Sie haben hier weder den Lehrling und den Gesellen noch den Meister erwähnt, auch nicht den Familienvater mit zwei, drei Kindern, der das BAföG letztendlich finanzieren muß.
Ich will aber — das sage ich mit aller Deutlichkeit— mit diesen Hinweisen auf die frühere, an ihrem finanzpolitischen Unvermögen gescheiterte Bundesregierung nicht von der eigenen Verantwortung für die Entscheidung, die wir jetzt getroffen haben, ablenken. Aber ich möchte mich mit aller Deutlichkeit dagegen wenden, daß sich jetzt gerade jene politischen Kräfte in dieser BAföG-Diskussion so stark zu Wort melden und hier vor allem als Ankläger auftreten, die diese Situation durch ihre unverantwortliche Schuldenwirtschaft in den vergangenen 13 Jahren herbeigeführt haben.
— Herr Kuhlwein, darüber brauchen wir letztlich doch nicht zu diskutieren.Im übrigen: Ihr heutiger Antrag lenkt völlig von der Tatsache ab, daß der Bildungsetat, der Einzelplan 31, eine Steigerungsrate von 2,4 % ausweist — trotz der Kürzungen, die wir hier im BAföG-Bereich vornehmen mußten.
Das heißt: Das Finanzvolumen dieses Bildungsetats übersteigt das des Bildungsetats der damals von Ihnen getragenen Bundesregierung noch weit. Nur, die Bildungschancen einer jungen Generation zeigen sich nicht allein darin, ob ich ihr BAföG als Darlehen oder als Zuschuß gebe, sondern die Bildungschancen muß ich schon etwas weiter, globaler sehen. Mit Maßnahmen — ich führe sie Ihnen gern auf — wie Hochschulbau, studentischer Wohnraumbau, Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses haben wir die Bildungschancen der jungen Generation verbessert.
— Warten Sie doch ab! — Herr Kuhlwein, um Ihnen das hier auch einmal zu sagen: Wir haben dadurch letztendlich wieder mehr Vertrauen auch in die Bildungspolitik gebracht, als Sie in 13 Jahren kaputtmachen konnten.
Weil Sie hier danach fragen: Der Ansatz für den Hochschulbau 1983 wurde gegenüber dem bisherigen Ansatz um 230 Millionen DM auf 1,23 Milliarden DM erhöht.
— Ja, das sind die Zahlen.
— Das kommt schon noch in meinen Ausführungen, keine Sorge! Nicht nur vor dem 6. März sagen wir die Wahrheit; wir halten hinterher auch das, was wir versprochen haben.
Nur: 13 Jahre lassen sich hier nicht in sechs Monaten völlig auf die Seite schieben; wir brauchen etwas länger. Es tut uns leid, aber Ihre Bemerkungen zwingen immer wieder dazu, daß wir auf diese Tatsache hinweisen müssen.Nicht minder bemerkenswert sind für mich die Aktivitäten und Bemühungen der Bundesregierung im Bereich der beruflichen Bildung. Hier hat der Bundeskanzler in persönlichem Einsatz — es ist erstmalig, daß sich ein Bundeskanzler derart bemüht hat — dazu beigetragen, daß zu Beginn der neuen Ausbildung im September/Oktober dieses Jahres jeder junge Mensch einen Ausbildungsplatz haben wird.
— Wir sprechen uns da mit Sicherheit im Oktober wieder. Ich habe gewisses Verständnis dafür, daß Sie das jetzt bringen müssen. Ich habe Verständnis dafür, daß es Sie jetzt schmerzt, daß es Ihnen, nachdem Sie im vergangenen Jahr noch den Minister und Staatssekretär stellten, nicht mehr gelingt, hier eine solche Dramaturgie im Hinblick auf die jungen Menschen zu betreiben, die vor der Ausbildung stehen. Wir lassen uns diesen Part von Ihnen nicht aus der Hand nehmen. Wir wissen, was wir den jungen Menschen gegenüber verantworten müssen, ist nicht allein das BAföG, sondern es sind die gesamten Bildungschancen, die verbessert und wieder auf den Stand gebracht werden müssen, den wir vor Ihrer damaligen, leider nicht sehr glücklichen Regierungszeit, hatten.Herr Jannsen, jetzt möchte ich kurz auf Sie eingehen. Eine Behauptung wird durch ständige Wiederholung nicht besser. Ihr nettes Beispiel mit der Hose mag vielleicht für einen mittelmäßigen Krimi herhalten, aber es hat nicht das geringste mit dem zu tun, was uns heute hier berührt. Sie müßten dieses Gesetz einmal durchlesen, das Ihnen in den letzten Tagen zugegangen ist. Dann würden Sie sehen, daß derjenige oder diejenige, die nach ihrem Studium kein Einkommen haben, die Rückzahlung nicht leisten müssen. Ich möchte Sie also bitten, Herr Jannsen, auch hier im Bereich der Wahrheit zu bleiben.
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RossmanithNun will ich noch etwas zu einem Punkt sagen, den Sie, Frau Kollegin Schmidt, angesprochen haben. Die Änderungen im Ausbildungsverhalten der Abiturienten haben mit dem BAföG überhaupt nichts zu tun, sondern das liegt ausschließlich an den Berufschancen. Das ist doch ganz klar: Sie haben in den vergangenen Jahren eine Bildungspolitik betrieben, die uns heute mehr als hunderttausend arbeitslose Akademiker beschert.
Fragen Sie doch diese einmal, wie sie die heutige Situation sehen.
Es ist doch ganz klar, daß Abiturienten hier die entsprechenden Rückschlüsse ziehen.Zum Schüler-BAföG muß ich, in aller Freundschaft, sagen: Wer glaubt, hier die Länderregelungen kritisieren zu müssen, oder wer meint, mit dem Antrag der SPD-regierten Länder im Bundesrat etwas ändern zu können, der irrt. Im übrigen sind es die vier Länder, wobei man das in Hessen, in dem nicht einmal ein Haushalt zustande gebracht werden kann, kaum als Regierung bezeichnen darf. Dort sind derzeit eher Verwalter tätig. Das ist erbärmlich genug, aber das ist nicht das heutige Thema. Durch den Antrag im Bundesrat wird das nicht besser, nicht wahrer und nicht richtiger. Sie müssen handeln. Sagen Sie doch einmal Ihren Parteifreunden in den A-Ländern, wie sie in diesem Moment handeln sollten und daß sie die Schüler nicht in ein Loch hineinfallen lassen dürfen.
Wir haben diese Verantwortung getragen,
und wir müssen langsam wieder auf diesen Stand zurückkommen. Es verwundert mich schon sehr, daß gerade aus Ihrer Ecke plötzlich so ein starker Drang für die Einheitlichkeit des Bildungswesens kommt. Ich brauche Ihnen nicht die Diskussion der letzten Tage vor Augen zu führen, was die Gesamtschule oder die Friedenserziehung an den Schulen anbelangt. Was wollen Sie denn hier, womit streben Sie die Einheitlichkeit des Bildungswesens an? Ich kann Ihnen nur das eine sagen: Daß ein Bildungsföderalismus — dazu bekennen wir uns, dazu stehen wir — konstruktiv betrieben werden muß, daß er konstruktiv gehandhabt werden kann und konstruktiv gehandhabt wird, mögen Sie daraus ersehen, daß der Freistaat Bayern bereits ganz konkrete Pläne für eine verstärkte Förderung begabter Schüler vorgelegt hat. Durch diese Pläne wird sichergestellt, daß jeder begabte und befähigte Schüler unabhängig von seiner sozialen Herkunft gefördert werden kann. Niedersachsen hat ein ähnliches Modell; alle unionsregierten Länder haben ähnliche Modelle.Meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich kann Ihnen nur empfehlen: Setzen Sie sich mit dafür ein, daß diese vorbildliche bayerische Regelung auch in den von Ihnen noch regierten Bundesländern Eingang findet. Dann bräuchten wir uns über Ihren heutigen Antrag an sich gar nicht mehr lange zu unterhalten.Ich möchte deshalb zum Schluß nochmals mit aller Deutlichkeit sagen: Ihr Antrag, so wie Sie ihn heute vorgelegt haben, ist — ich möchte fast sagen —
unredlich zu nennen. Wir werden ihn ablehnen müssen. Wir bieten Ihnen an — Herr Kuhlwein, herzlichen Dank, daß Sie das hier mit angesprochen haben —, im Ausschuß über diese Problematik zu diskutieren. Dort ist der richtige Platz dafür. Wir werden uns dort darüber unterhalten, denn es geht hier tatsächlich um die jungen Menschen, es geht um die Eltern, es geht um die Bildungszukunft in unserem Land. — Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Laermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Ich möchte hier nicht im Detail in die Debatte über das BAföG und seine einzelnen Regelungen einsteigen, sondern mich auf einige wenige ergänzende und grundsätzliche Bemerkungen beschränken.Lassen Sie mich jedoch vorweg vielleicht ein Wort an die Frau Kollegin Schmidt richten, die offensichtlich der Meinung ist, daß Ferienwohnungen, Yachten, Fliegen und so etwas nur Leuten vorbehalten bleibt, die der Klientel der FDP angehören.
Wenn dem so wäre, dann hätten wir sicher ein hervorragendes Ergebnis bei den Wahlen. Nur möchte ich Sie fragen, ob Sie sich nicht vielleicht einmal im Kollegenkreis umhören könnten, wie es denn so aussieht mit dem Motto: links reden und rechts leben und wer vielleicht mehr Yachten hat als wir.
Frau Kollegin Schmidt, Sie haben auch einige Beispiele gebracht. Nun wissen wir, wie das mit Beispielen ist: Beispiele hinken. Wenn ich etwas Bestimmtes darstellen will, suche ich mir die passenden Beispiele heraus. Es gibt natürlich eine Fülle von Beispielen, die man dagegensetzen könnte, um Sie zu widerlegen, um Ihnen das Gegenteil vor Augen zu führen. Das bringt uns überhaupt nicht weiter.Im Zusammenhang mit dem, was der Kollege Rossmanith gesagt hat, möchte ich fragen: Wo bleibt denn eigentlich Ihr Einsatz z. B. für Handwerker, die sich selbständig machen wollen, die die Meisterprüfung ablegen wollen? Auch die müssen das alles über Darlehen finanzieren.
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Dr.-Ing. LaermannIch glaube, daß sie wichtig genug für unsere Gesellschaft sind, daß wir uns auch mit ihnen beschäftigen.
— Ich komme auch noch zu Ihnen, wenn Sie wollen.Meine Damen und Herren, das Thema ist meines Erachtens viel zu problematisch und viel zu wichtig, als daß wir es hier mit Polemik und Hickhack abhandeln könnten. Ich meine vielmehr, daß wir uns einmal den grundlegenden Aufgaben zuwenden sollten, und zwar mit Ruhe und Gelassenheit und nicht in Form eines Antrags, der nur zur Schau eingebracht worden ist. Wenn Sie es ernst meinten, dann wären Sie bereit, daß man das in den zuständigen Ausschüssen ausführlich diskutiert und berät. Wenn Sie es ernst nähmen, dann würden Sie das Angebot der Koalitionsfraktionen annehmen. Wir haben dazu auch unsere Vorstellungen und unsere Meinungen. Der Kollege Neuhausen hat j a schon darüber berichtet.Ich möchte hier auch noch einmal ergänzend darauf hinweisen: Es ist ein liberales Anliegen, daß wir die Grauzonen in der politischen Landschaft einmal aufhellen und für klare Verhältnisse in dem Rechtsverhältnis zwischen dem Bund und den Ländern sorgen und zu klaren Kompetenzabgrenzungen kommen. Aber ich sage auch ebenso unmißverständlich, daß das nicht einen Rückzug des Bundes aus seiner gesamtstaatlichen Verantwortung bedeuten kann.
Dies gilt insbesondere für den bildungspolitischen Bereich.Herr Staatssekretär, es kann auch nicht hingenommen werden — da stimme ich Ihnen zu —, daß diese Verantwortung zwischen Bund und Ländern hin- und hergeschoben wird. Deswegen fällt es in die Verantwortung des Bundes, entsprechend dem Gebot der Verfassung für Vergleichbarkeit der Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik zu sorgen. Es kann dabei keine Rede davon sein, daß wir hier alles vereinheitlichen wollten. Vergleichbarkeit heißt nach meinem Verständnis keinesfalls Gleichheit oder gar Uniformität. Die Verfassung läßt im übrigen doch auch Raum für differenzierte Entwicklungen in den einzelnen Ländern. Aber der Bund — das möchte ich noch einmal nachdrücklich feststellen — muß in der Frage der Ausbildungsförderung doch zumindest gewisse Grundsätze bundeseinheitlich — gemeinsam mit den Ländern, selbstverständlich — festlegen. Meine Fraktion, die der FDP, hält das für unverzichtbar. Es kann nicht hingenommen werden, daß diese Landschaft so auseinanderdriftet, wie wir es bedauerlicherweise schon feststellen müssen. Die Entwicklungen, die jetzt schon eingeleitet bzw. eingetreten sind, gehen nach unserer Auffassung zu weit.Selbstverständlich müssen wir — und dazu brauchen wir eine gewisse Zeit — auch die unterschiedlichen Transferleistungen in den einzelnen Ländern mit in die Überlegungen einbeziehen, Herr Staatssekretär.Ich meine, zwei Beispiele dafür geben zu müssen, an denen wir schon erkennen, daß wir in unserem Verhalten, in unserer Argumentation gar nicht logisch sind. Wenn wir sagen, der Bund sei für die Schülerförderung nicht zuständig, stellt sich logischerweise doch die Frage, warum er sich dann für die Schüler zuständig fühlt, die nicht zu Hause wohnen. Das kann doch keine vernünftige Kompetenzabgrenzung sein. Hierüber müssen wir nachdenken, hierüber müssen wir beraten.
Ich kann das beim besten Willen nicht für eine saubere Trennung von Bundes- und Landesaufgaben ansehen. Das ist eine horizontale Aufgabenverteilung, aber keine vertikale, wie wir sie eigentlich brauchten.Ich möchte das zweite Beispiel nennen. Da geht es um die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Es werden gute Absichten bekundet, es wird ein gutes Programm für eine Nachwuchsförderung in den vom Bund unterhaltenen Forschungseinrichtungen, Forschungsinstituten vorgelegt. Das ist alles hervorragend und sehr zu begrüßen. Aber die Hochschule nebenan trocknet aus, weil dafür das Land zuständig ist, dem diese Mittel nicht in diesem Maße zur Verfügung stehen. Und es darf doch wohl nicht sein, daß wir die Hochschulen aus ihrer originären Augabe, Nachwuchspflege und Nachwuchsförderung zu betreiben, herausholen, die Einheit von Forschung und Lehre aufbrechen und diese Lehraufgaben in einem sozusagen höheren Stadium der Ausbildung allein den Forschungseinrichtungen überlassen. Da diese möglicherweise nur für ihren eigenen Bedarf ausbilden, muß man sich doch fragen: Was wird mit dem allgemeinen Bedarf an qualifiziertem wissenschaftlichen Nachwuchs in der Wirtschaft und in der Verwaltung, in allen anderen Bereichen außerhalb dieser außeruniversitären Forschungseinrichtungen?Ich möchte hier hinzufügen, daß die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses neben der sozialen Komponente vor allen Dingen auch unter dem Gesichtspunkt der Forschungsförderung zu betrachten ist. Und sie gehört mit in die logische Kette der Förderung von Schülern, Studenten, jungen Wissenschaftlern und des hockqualifizierten Nachwuchses. Was wir brauchen, was wir erarbeiten müssen, ist endlich ein schlüssiges Gesamtkonzept für die Struktur der Förderung, durchgängig von unten nach oben. Ich bin der Auffassung, daß das unverzichtbare Daseinsvorsorge ist, Zukunftssicherung im Hinblick auf die Verantwortung für die Entwicklung in unserem Land. Das ist aber auch Verantwortung und Verpflichtung, an der Lösung der globalen Probleme, auch der Probleme in der Dritten Welt, mitzuwirken. Auch aus diesem Grunde, so möchte ich einmal ausdrücklich feststellen, kann der Bund nicht aus der Verantwortung in diesen bildungspolitischen Fragen entlassen werden.
Das Schlimmste, was wir zu befürchten haben, ist Verunsicherung, insbesondere auch in der wissenschaftlichen Landschaft. Aus dem Bereich der Wis-
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Dr.-Ing. Laermannsenschaft werden schon Befürchtungen laut, daß es zu einer Regionalisierung der Forschungs- und Wissenschaftsförderung in unserem Lande kommen könnte. Ich glaube, daß wir gut daran täten, dem von vornherein zu begegnen und klarzustellen: Hier hat der Bund Verantwortung, und hier wird der Bund dieser Verantwortung auch entsprechen.Wir sind deshalb der Auffassung, daß der mit der Entschließung vom Dezember 1982 vom Parlament angeforderte Bericht möglichst bald vorgelegt werden sollte. Herr Staatssekretär, ich bin Ihnen namens meiner Fraktion sehr dankbar für Ihre Zusage, den Bericht möglichst bald nach der Sommerpause vorzulegen. Ich meine, es ist richtig und notwendig, auf der Grundlage dieses Berichts — denn welchen anderen Sinn sollte der Bericht haben — gemeinsam mit den Ländern über die notwendigen Maßnahmen und Neuregelungen zu beraten, damit wir ein ausgewogenes und schlüssiges Konzept finden, auch unter Einbeziehung des Familienlastenausgleichs. Und wenn die Beratungen nicht unter Zeitdruck stehen sollen, müssen wir eventuell auch Übergangsregelungen beraten, damit nicht in der Zwischenzeit, bis es zu einer Neuregelung kommt, alle, die in das „Interregnum" fallen, von jeder Förderung und jeder Entwicklungsmöglichkeit ausgeschlossen werden.Meine Damen und Herren, wir täten gut daran, über den Antrag der SPD nicht hier und heute abschließend zu entscheiden. Es täte mir leid, hier eine Ablehnung erklären zu müssen, wo es doch möglich wäre, auf der Grundlage und auch unter Berücksichtigung der Initiative der SPD in den Ausschüssen die Beratungen über dieses wichtige Thema nach der Sommerpause noch einmal aufzunehmen. Im anderen Fall müßte meine Fraktion diesen Antrag ablehnen. — Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/85 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? —Meine Damen und Herren, hier oben besteht keine Einigkeit über die Mehrheitsverhältnisse. Wer dem Antrag der SPD-Fraktion zuzustimmen wünscht, den bitte ich aufzustehen. — Gegenprobe! —
— Das zweite war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wurde soeben interfraktionell vereinbart, Punkt 7 der Tagesordnung abzusetzen. Er soll in der nächsten Woche behandelt werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Zu der vorigen Abstimmung wurde soeben noch eine Enthaltung nachgetragen.Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNENBericht der Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik" über den Stand der Arbeit gemäß Beschluß des Deutschen Bundestages vom 26. Mai 1981— Drucksache 10/154Wird das Wort gewünscht? Das ist nicht der Fall.Auf Drucksache 10/154 wird beantragt, den Bericht der Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik" — Drucksachen 9/2438 und 9/2439 — zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Forschung und Technologie und zur Mitberatung an den Innenausschuß und den Ausschuß für Wirtschaft zu überweisen. Wer den Überweisungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die Überweisung ist beschlossen.Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Zusatzübereinkommen vom 8. Oktober 1982 zum Übereinkommen vom 9. Dezember 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland, dem Fürstentum Liechtenstein, der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft im Bereich der Sozialen Sicherheit— Drucksache 10/41 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 10/127 —Berichterstatter: Abgeordneter Egert
Wird das Wort als Berichterstatter gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Artikeln 1 bis 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Das Gesetz ist angenommen.Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages— Drucksache 10/96 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. KüblerWird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
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850 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1983
Vizepräsident WurbsWir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 10/96 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen! — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:Beratung der Sammelübersicht 4 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/124 —Das Wort wird offensichtlich nicht gewünscht.Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses, die in der Sammelübersicht 4 enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen?— Die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ist angenommen.Ich rufe den Zusatzpunkt der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNENEinsetzung einer Europa-Kommission des Deutschen Bundestages— Drucksache 10/161 —Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem interfraktionellen Antrag auf Drucksache 10/161 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.In der gestrigen Sitzung sind der Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN — Sofortiger Stopp der Türkeihilfe — auf Drucksache 10/107 und der Antrag der SPD — Türkei — auf Drucksache 10/149 zur federführenden Beratungen dem Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung dem Innenausschuß, dem Verteidigungsausschuß und dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit überwiesen worden. Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses hat gebeten, die beiden Anträge auch dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung zu überweisen.Ist das Haus mit dieser Regelung einverstanden?— Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich unterbreche die Sitzung bis 13 Uhr. Wir fahren dann mit der Fragestunde fort. Die Sitzung ist unterbrochen.
Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
— Drucksache 10/137 —
Ich komme zunächst zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Häfele zur Verfügung.
Die Fragen 28 und 29 sollen auf Wunsch des Fragestellers, des Abgeordneten Lutz, schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 27 der Frau Abgeordneten Weyel auf:
Welche steuerlichen Entlastungsmaßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um die überaus schwierige Einkommensteuersituation der Weinbaubetriebe, in erster Linie verursacht durch den stagnierenden Weinabsatz, zu verbessern?
Frau Kollegin Weyel, ich darf Ihre Frage so beantworten: Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß in der gegenwärtigen Lage der Weinbaubetriebe keine zusätzlichen steuerlichen Maßnahmen in Betracht kommen. Das geltende Steuerrecht bietet schon Hilfen. Neben den Freibeträgen nach § 13 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes und der Steuerermäßigung nach § 34 e des Einkommensteuergesetzes kann den Winzern, die durch ruhigeren Weinabsatz vorübergehend in finanzielle Schwierigkeiten geraten, im Einzelfall durch Steuerstundungen nach § 222 der Abgabenordnung und andere Billigkeitsmaßnahmen nach § 163 der Abgabenordnung geholfen werden.
Eine Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir dann insoweit zu, daß die Möglichkeiten, den Winzern zu helfen, in erster Linie bei den Finanzverwaltungen der Länder liegen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Das muß jeweils das örtlich zuständige Finanzamt auf Antrag entscheiden.
Noch eine Zusatzfrage? — Bitte.
Halten Sie es für angebracht, daß die in Frage kommenden Länder hier in einer Form reagieren, die die Entscheidung nicht dem einzelnen Finanzamt überläßt, sondern doch einigermaßen vergleichbare Verhältnisse innerhalb der Finanzverwaltungen schafft?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Natürlich. Die Oberfinanzdirektionen achten darauf, daß eine gleichmäßige Praxis stattfindet. Auf der anderen Seite wollen wir aber nicht überbürokratisieren. Man darf nicht immer unterstellen, daß jedes Finanzamt von vornherein etwas ganz anders entscheiden will als das andere. Aber die Oberfinanzdirektionen sind gehalten, auf eine einheitliche Praxis zu achten.
Danke. — Keine weiteren Zusatzfragen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1983 851
Vizepräsident Stücklen
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aus Versehen ist hier der Stempel angebracht: Die Fragen 32 und 33 sind vom Antragsteller zurückgezogen. Sind Sie auf die Beantwortung dieser beiden Fragen vorbereitet?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Jawohl.
Dann würde ich sagen, daß wir sie hier behandeln.
— Sie wollen das auch so nicht haben?
— Es geschieht also völlig zu Recht, daß diese Fragen heute nicht behandelt werden. Das ist in Ordnung. Sie sind also nicht zurückgezogen; sie werden heute auf Grund der einschlägigen Vorschrift der Geschäftsordnung nur nicht behandelt.
Nun rufe ich die Frage 30 des Herrn Abgeordneten Gattermann auf:
Mit welcher Begründung fordern einige Länderfinanzverwaltungen, wie z. B. Nordrhein-Westfalen, als Voraussetzung für die Anerkennung der Mehrwertsteueroption bei Vermietungsumsätzen bei den Vermietungsgesellschaften die Erfüllung bestimmter Kriterien wie z. B. Mindestgewinnmargen und Mindestkapitalausstattung, und trifft es zu, daß diese Praxis nunmehr verschärfend vereinheitlicht werden soll?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gattermann, ich darf so antworten: Für die umsatzsteuerliche Anerkennung von Zwischenmietverhältnissen im Einzelfall ist es nach allgemeinen Besteuerungsgrundsätzen u. a. erforderlich, daß nicht nur der Eigentümer einen wirtschaftlich vernünftigen Grund für die Zwischenvermietung hat; vielmehr muß auch der Zwischenmieter ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der An- und Weitervermietung der Wohnungen haben. Da der Zwischenmieter mit seiner Tätigkeit das unternehmerische Risiko, z. B. das Mietausfallrisiko, und die unternehmerischen Gewinnchancen vom Eigentümer übernimmt, muß sein wirtschaftliches Ergebnis zwangsläufig höher sein als das eines bloßen Hausverwalters. Als Anhaltspunkt hierfür wird von einigen Länderfinanzverwaltungen von einer Rohgewinnmarge des Zwischenmieters in Höhe von 10 % der Endmiete ausgegangen. Auf einen bestimmten Gewinn des Zwischenmieters kommt es dagegen nicht an.
Es trifft zu, daß nunmehr eine bundeseinheitliche Regelung getroffen werden soll. Nach dieser Regelung soll von der Prüfung, ob angemessene Gewinnchancen des Zwischenmieters vorliegen, abgesehen werden können, wenn seine Rohgewinnmarge mindestens 10 % der Endmiete beträgt. Hieraus wird ersichtlich, daß mit der bundeseinheitlichen Regelung insoweit keine Verschärfung gegenüber der bisherigen Praxis in den Ländern beabsichtigt ist.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß beispielsweise die Finanzverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen früher von wesentlich geringeren Gewinnmargen ausgegangen ist und erst seit einigen Monaten dazu übergegangen ist, diese höheren Gewinnmargen zugrunde zu legen, so daß die Vereinheitlichung in der Tat eine verschärfende Vereinheitlichung ist?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Man muß zwischen der Gewinnmarge, die in der Höhe nicht beurteilt werden kann — das soll j a gerade das Ergebnis dieser einheitlichen Lösung sein —, und der Rohgewinnmarge unterscheiden. Wir wollen j a mit dieser einheitlichen Regelung — übrigens mit Zustimmung aller Länder; das wird sich auch aus der Antwort auf die zweite Frage, die Sie gestellt haben, ergeben — eine ungleiche Behandlung in der Bundesrepublik Deutschland verhindern.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, die Gewinnmarge von 10 % ist natürlich für den Vermietungsmarkt ein ungewöhnlich interessantes Datum. Darf ich, nachdem die Bundesregierung in anderem Zusammenhang in einem Bericht festgestellt hat, daß der Kostendeckungsgrad für Neubauwohnungen bei 50 % liegt, aus dieser Praxis der Finanzverwaltung schlußfolgern, daß die Bundesregierung der Meinung ist, daß im Vermietungsgeschäft durchschnittlich ein Rohgewinn von 10 % erwirtschaftet werden muß, und was gedenkt denn die Bundesregierung zu tun, um in allen sonstigen Marktbereichen wenigstens in die Nähe oder auch nur in die Hoffnung von vergleichbaren Gewinnmargen zu kommen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung wird einzelnen Branchen nicht vorschreiben, wie hoch die Gewinne sein sollen, sondern sie überläßt es den unternehmerischen Entscheidungen, möglichst vernünftige Gewinne zu erzielen, wobei dabei natürlich auch die Kosten eine Rolle spielen.
Herr Abgeordneter Stiegler.
Herr Staatssekretär, dient die hier beanstandete Regelung nicht vor allem dazu, um beim Bauherrenmodell Mißbräuche möglichst zu unterbinden, und wird die Bundesregierung deswegen gegenüber dieser Kritik standhaft bleiben?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Natürlich. Wir verfolgen eine doppelte Absicht. Zum einen wünschen wir bundesweit eine einheitliche Handhabung, und zum anderen wünschen wir, daß Mißbräuche möglichst verhindert werden.
Keine weiteren Zusatzfragen.Ich rufe die Frage 31 des Herrn Abgeordneten Gattermann auf:Für wie sinnvoll hält gegebenenfalls die Bundesregierung die verschärfende Vereinheitlichung zum jetzigen Zeitpunkt in Anbetracht der Tatsache, daß die seit 15 Jahren bestehende Mehrwertsteueroption bei Vermietungsumsätzen oh-
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852 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1983
Vizepräsident Stücklennehin zum 31. Dezember 1984 ausläuft, und ist die Bundesregierung aus baukonjunkturellen und Rechtssicherheitsgründen bereit sicherzustellen, daß die Option nicht durch die Vereinheitlichung faktisch schon früher als vorgesehen abgeschafft wird?Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Gattermann, Ihre zweite Frage darf ich so beantworten: Die Finanzgerichte haben in zahlreichen Entscheidungen in der Einschaltung gewerblicher Zwischenmieter einen Mißbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten gesehen und den Abzug der auf der Errichtung des Wohngebäudes ruhenden Umsatzsteuern versagt. Gegen diese Entscheidungen ist in der Regel Revision eingelegt worden. Der Bundesfinanzhof hat über diese Revisionen, obwohl ihre Einlegung zum Teil schon zehn Jahre zurückliegt, bisher in keinem Fall entschieden. Hierdurch ist eine erhebliche Rechtsunsicherheit entstanden. Von den betroffenen Wirtschaftskreisen und von den Finanzministern der Länder, insbesondere Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, ist daher der dringende Wunsch geäußert worden, die Frage der umsatzsteuerrechtlichen Anerkennung von Zwischenmietverhältnissen bei Bauherrenmodellen in einem Rundschreiben des Bundesministers der Finanzen bundeseinheitlich zu regeln. Dem entsprechenden Entwurf eines Rundschreibens haben die Finanzminister der Länder kürzlich einhellig zugestimmt. In dem Rundschreiben wird dargelegt, bei welchen Gestaltungsformen in der Einschaltung von Zwischenmietern ein Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten vorliegt. Das Rundschreiben enthält jedoch eine Übergangsregelung. Hiernach ist das Rundschreiben in den Fällen, in denen es zu einer Verschärfung der Besteuerung gegenüber der bisherigen Verwaltungspraxis führen könnte, nicht anzuwenden, wenn der Steuerpflichtige dem Bauherrenmodell vor dem 1. Juli 1983 beigetreten ist. Das ist der Zeitpunkt, zu dem die Verwaltungsanweisung voraussichtlich im Bundessteuerblatt veröffentlicht wird.Durch die bundeseinheitliche Regelung sollen lediglich Mißbrauchsfälle unterbunden werden. Hierdurch ist sichergestellt, daß die Umsatzsteueroption bei der Vermietung von Wohnungen nicht tatsächlich bereits vor dem vom Gesetzgeber vorgesehenen Zeitpunkt, nämlich dem 1. Januar 1985, abgeschafft wird.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Hält es die Bundesregierung für sehr sinnvoll, daß für die Restzeit von knapp anderthalb Jahren nun noch eine bundeseinheitliche Regelung praktiziert wird, nachdem man seit 15 Jahren ohne eine solche bundeseinheitliche Regelung zurechtgekommen ist?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Es war der Wunsch der Länder, der natürlich auch schon einige Zeit zurückreicht. Es vergeht natürlich immer einige Zeit, bis etwas verwirklicht wird. Wenn wir in anderthalb Jahren gewisse Mißbräuche verhindern, ist ein gewisser Zweck damit erreicht.
Eine weitere Zuatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade gesagt, daß diese Regelung, so sie eine Verschärfung beinhaltet, nur für die Zukunft gelten soll, und haben dabei das Kriterium genannt, daß es nicht für Fälle gilt, in denen die Projekte bereits vor dem 1. Juli 1983 gezeichnet worden sind. Halten Sie diese Regelung für ausreichend? Ich kann mir schließlich Projekte vorstellen, die fertig geplant, fertig in den Vertrieb gegeben worden sind, zu Ende kalkuliert sind, zu 50 % oder 60 % gezeichnet sind, während die restlichen 40 % noch nicht gezeichnet sind. Führt dies nicht zu totalen Unverträglichkeiten bei der gesamten Abwicklung des Projekts? Müßte die zukünftige Regelung nicht nur für Projekte gelten, die erst nach dem 1. Juli 1983 aufgelegt werden?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Jede Neuregelung kann gewisse Übergangsschwierigkeiten mit sich bringen. Aber vielleicht trägt auch die heutige Fragestunde dazu bei, daß diejenigen, die davon betroffen sind, noch rechtzeitig vor dem 1. Juli Vorkehrungen treffen und sich entsprechend auf die Neuregelung einstellen können.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stiegler.
Herr Staatssekretär, Sie sagten, es lägen seit zehn Jahren Revisionen unbehandelt beim Bundesfinanzhof. Liegt diese Verzögerung beim Gericht oder liegt es an dem Verhalten der Parteien, und — falls sie am Gericht liegt — was wird die Bundesregierung tun, um diese an Rechtsverweigerung grenzende, j a schon Rechtsverweigerung zu nennende Verzögerung aufzubrechen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Wir machen ja leider seit Jahren die betrübliche Erfahrung, daß die Rechtsprechung wegen der zunehmenden Flut von Klagen gerade auf dem Felde der Finanzgerichtsbarkeit einfach nicht mehr Schritt hält. Die Bundesregierung ist im Augenblick dabei — gerade in diesen Tagen ist ja auch eine Novelle eingebracht worden — zu überlegen, wie wir diese viel zu langen Zeiträume durch geeignete Maßnahmen abkürzen können.
Keine weiteren Zusatzfragen.Ich rufe Frage 34 des Herrn Abgeordneten Schmitt auf:Trifft es zu, daß nach amerikanischen Plänen die Militäranlage in Wiesbaden-Erbenheim wieder als Flugplatz genutzt werden soll. und die Absicht besteht, dort einen großen Hubschrauberverband mit 135 Helikoptern und 26 Starrflüglern zu stationieren?Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schmitt, ich darf Ihnen folgende Antwort geben: Trotz der Stationierung von US-Heereseinheiten in Wiesbaden-Erbenheim wurde die betreffende Liegenschaft als Flugplatz nicht aufgegeben. Freilich war der Flugbetrieb in den letzten Jahren stark eingeschränkt.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1983 853
Parl. Staatssekretär Dr. HäfeleIm ersten Vierteljahr 1983 sind nach Auskunft der amerikanischen Streitkräfte dort 15 Mehrzweckhubschrauber stationiert worden, die leiser sind als Hubschrauber älterer Bauart. Andere Luftfahrzeuge sind dort gegenwärtig nicht stationiert. Die Streitkräfte beabsichtigen, die Liegenschaft wieder stärker als Flugplatz zu nutzen. Die Planungen im einzelnen kann ich bedauerlicherweise nicht offenlegen. Hierfür bitte ich Sie um Ihr Verständnis.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß die hessische Landesregierung Bedenken gegenüber diesen amerikanischen Planungen erhoben hat und daß es innerhalb der Bevölkerung von Wiesbaden erhebliche Bedenken wegen der Lärmbelästigung auf Grund der neuen Hubschrauberstationierung gibt?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Es ist verständlich, daß solche Bedenken geäußert werden. Die amerikanischen Stationierungskräfte haben diese Bedenken zur Kenntnis genommen. Sie müssen trotzdem ihr Vorhaben durchführen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung nicht der Auffassung, daß bestimmte verteidigungspolitische Konzeptionen der Amerikaner in dicht besiedelten Wohnbereichen Widerstände in der Bevölkerung gegenüber Verteidigungsmaßnahmen wecken und daß es sehr schwer sein wird, der Bevölkerung deutlich zu machen, warum unbedingt in Erbenheim eine solche große Zahl von Fluggeräten stationiert werden muß?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Diese Schwierigkeit besteht natürlich häufig bei der Stationierung von Flugzeugen oder bei anderen militärischen Einrichtungen. Aber wir müssen einfach versuchen, die Bevölkerung von der Notwendigkeit zu überzeugen. Ohne die Prüfung der Notwendigkeit ist das nicht erfolgt.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 35 des Herrn Abgeordneten Schmitt auf:
Hält die Bundesregierung die aus dieser Stationierung entstehenden Belastungen der Bevölkerung des dicht besiedelten Rhein-Main-Gebiets für zumutbar, und hat die Bundesregierung inzwischen überprüft, welche Auswirkungen sich aus dieser Hubschrauber-Stationierung für den zivilen Luftverkehr im Rhein-Main-Gebiet ergeben?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Die Antwort darf ich so vortragen: Die Verteidigungszwecken dienenden Einrichtungen und Anlagen können in einem dicht besiedelten Gebiet wie der Bundesrepublik Deutschland leider auch zu Beeinträchtigungen der Umwelt führen. Die Bundesregierung bemüht sich in solchen Fällen jedoch stets um Lösungen, die sowohl den Belangen der Landesverteidigung als auch den Interessen der betroffenen Anwohner Rechnung tragen.
Nach Mitteilung des Bundesministeriums der Verteidigung fliegen Hubschrauber meist in Höhenbereichen, die deutlich unter denen der Düsenverkehrsflugzeuge und anderer Luftraumbenutzer liegen. Das entspricht auch der Erfahrung, die wir alle haben.
Die Frage, welche Auswirkungen eine künftige verstärkte Nutzung der Liegenschaft als Flugplatz auf den zivilen Luftverkehr im Rhein-Main-Gebiet haben wird, wird gegenwärtig von der Bundesregierung noch geprüft.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Auffassung, daß bei der Abwägung militärischer Belange mit Fragen des Umweltschutzes und der Ruhebedürftigkeit der Bevölkerung auch eine Berücksichtigung der zuletzt genannten Belange für die Bundesregierung dringend erforderlich wäre, und sollte die Bundesregierung nicht deshalb gegen die geplante Zahl zu stationierender Hubschrauber Einspruch einlegen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Natürlich, alles muß abgewogen werden, auch die Gesichtspunkte, die Sie hier genannt haben.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Auffassung, daß erhebliche Beeinträchtigungen des zivilen Luftverkehrs, d. h. der Flugbewegungen auf dem Rhein-Main-Flughafen, durch Hubschrauberflüge und Hubschrauberführung mittels entsprechender elektronischer Einrichtungen gegeben sein werden und dies ein weiterer Grund ist, warum die Bundesregierung gegen eine Hubschrauberstationierung in solchem Umfang Einspruch einlegen sollte?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Genau diese wichtige Frage wird deshalb von der Bundesregierung zur Zeit überprüft.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Dr. Czempiel.
Herr Staatssekretär, wann hat die Bundesregierung von den zuständigen amerikanischen Stellen die Informationen über den Umfang der Stationierung von neuen Hubschraubern erhalten, und hält es die Bundesregierung nicht für notwendig, die Bevölkerung darüber rechtzeitig zu informieren?Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen das an Hand der Unterlagen, die ich jetzt bei mir habe, nicht genau sagen. Aber das ist rechtzeitig vor der Stationierung erfolgt, schon im letzten Jahr.
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854 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1983
Keine weiteren Zusatzfragen. —
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Grüner zur Verfügung.
Die Fragen 36 und 37 des Herrn Abgeordneten Müller und die Frage 38 des Herrn Abgeordneten Austermann sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 39 des Herrn Abgeordneten Sieler auf:
Was hat die Bundesregierung bisher getan und was wird sie in den nächsten Monaten unternehmen, um den Stahlstandort „mittlere Oberpfalz" zu erhalten?
Das Bundeskabinett hat in seiner Sitzung vom 14. Juni beschlossen, das bereits bestehende Hilfsprogramm für die Stahlindustrie zu erweitern. Die Investitionszulage „Stahl" soll von 10 % auf 20 % erhöht werden. Zusätzlich sollen die Stahlunternehmen Hilfen erhalten können, die sich nach der Höhe ihrer Umstrukturierungsaufwendungen bemessen. Als Bemessungsgrundlage sollen Teilwertabschreibungen und bestimmte Teile der Aufwendungen im Sozialbereich gewählt werden. Der Fördersatz soll bis zu 50 % betragen. Insgesamt ist dafür ein Gesamtrahmen der öffentlichen Hilfen von 3 Milliarden DM vorgesehen, wobei die Hilfen für die Arbed Saarstahl in diesem Betrag nicht enthalten sind. Die Bundesregierung setzt voraus, daß sich die Länder zu 50 % an diesen Hilfen beteiligen. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß damit den Unternehmen erhebliche Anreize und Unterstützung geboten werden, um sich auf die veränderte Marktentwicklung einzustellen und so wettbewerbsfähige, sichere Arbeitsplätze zu schaffen. Die Maxhütte kann wie jedes andere deutsche Stahlunternehmen an diesen öffentlichen Hilfen partizipieren, sofern das von ihr vorgelegte Konzept tragfähig erscheint. Die Prüfung des Antrags der Maxhütte ist noch nicht abgeschlossen. Auch hinsichtlich der regionalen Auswirkungen steht die Bundesregierung in engem Kontakt mit dem Land Bayern.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, hält denn die Bundesregierung das Konzept der Maxhütte zur Strukturanpassung für tragfähig und akzeptabel, und ist sie bereit, das auch in Brüssel entsprechend zu unterstützen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Aber die Bundesregierung hat das Konzept nach Brüssel weitergeleitet, so daß sichergestellt ist, daß dieses Konzept eingehend auf seine Tragfähigkeit geprüft werden kann. Nach meinem derzeitigen Informationsstand besteht durchaus Aussicht, daß es als tragfähig anerkannt werden wird. Aber ich möchte der endgültigen Entscheidung hier nicht vorgreifen, die ja auch nicht etwa von der Bundesregierung getroffen wird, sondern von der Kommission.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ergibt sich aus der Tatsache, daß die Maxhütte im Koalitionspapier besonders genannt wird, auch eine besondere Verpflichtung für die Bundesregierung? Wenn ja, wie schaut diese Verpflichtung aus?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Daraus ergibt sich keine besondere Verpflichtung, die über das hinausgehen würde, was die Bundesregierung gegenüber allen anderen regionalen Standorten auch erklärt hat, nämlich bei der Lösung unserer schwerwiegenden Stahlprobleme nicht nur die sektoralen, sondern auch die regionalen Auswirkungen in ihr Konzept einzubeziehen.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stiegler.
Herr Staatssekretär, Sie wissen, wie groß die Sorgen der Arbeitnehmer bei der Maxhütte sind, gerade in diesem Raum, der besonders gebeutelt ist. Wie sieht denn nun konkret die Einbindung der Maxhütte in das Stahlkonzept aus? Wir lesen nur, was in Koalitionsvereinbarungen steht, und hören gelegentlich fromme Worte. Aber wie schaut es denn nun konkret aus?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Konkret sieht es so aus, daß es Aufgabe der Maxhütte und der Unternehmensorgane, die dort zuständig sind, ist, ein Konzept vorzulegen. Dieses Konzept ist vorgelegt worden, es ist auch allgemein bekannt und zugänglich. Es geht jetzt darum, ob dieses Konzept von der Kommission als tragfähig angesehen wird und damit in die von mir geschilderten Möglichkeiten der Zuschußgewährung aus den Mitteln des Bundes und des Landes einbezogen werden kann. Die Verantwortung für die Lösung der Strukturprobleme in der Stahlindustrie bleibt bei den dazu berufenen Unternehmensorganen.
Keine weiteren Zusatzfragen.Ich rufe die Frage 40 des Herrn Abgeordneten Gerstl auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Es wird so, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen, verfahren.Ich rufe die Frage 41 des Herrn Abgeordneten Stiegler auf:Bis wann wird die Frachthilfevereinbarung zwischen Bund und Ländern unterzeichnet, und welche Mittel wird die Bundesregierung dem Bundestag zur Frachthilfefinanzierung im Haushaltsjahr 1984 und in der mittelfristigen Finanzplanung vorschlagen?Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Verhandlungen zwischen dem Bund und den vier Zonenrandländern über den Abschluß einer Verwaltungsvereinbarung zur Frachthilfe sind vor kurzem abgeschlossen worden; die förmliche Unterzeichnung ist eingeleitet. Die Bundesregierung geht daher davon aus,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1983 855
Parl. Staatssekretär Grünerdaß die Vereinbarung wie geplant zum 1. Juli 1983 in Kraft tritt.Über den Haushaltsentwurf für das Jahr 1984 und über die mittelfristige Finanzplanung wird die Bundesregierung noch vor der Sommerpause beschließen. Die Mittel für die Frachthilfe werden hierbei nach dem voraussehbaren Bedarf im Rahmen der haushaltspolitischen Möglichkeiten bestimmt werden.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wie sieht die Behandlung der erweiterten Kohlefrachthilfe in diesem Konzept aus? Treffen meine Informationen zu, daß die erweiterte Kohlefrachthilfe auslaufen soll, oder besteht die Bereitschaft, insbesondere mit Rücksicht auf steigende Stromkosten — etwa wenn wir den Waldpfennig und anderes einführen — die erweiterte Kohlefrachthilfe auch über 1984 hinaus zu zahlen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist richtig, daß die erweiterte Kohlefrachthilfe einer besonderen Behandlung bedarf, die auch mit den Ländern besprochen worden ist. Ich möchte darauf hinweisen, daß die erweiterte Kohlefrachthilfe eine Subventionierung der Strompreise darstellt und daß in den Prüfungsbemerkungen des Bundesrechnungshofes auch festgestellt worden ist, daß für eine solche Subventionierung des Strompreises in der bisherigen Form kein Anlaß und keine Rechtfertigung mehr besteht, so daß ein Abbau vorgesehen ist, wenn auch in Stufen. Auch darüber ist mit den beteiligten Ländern Einigkeit erzielt worden. Ab 1. Juli 1983 werden die Fördersätze von zur Zeit durchschnittlich rund 0,6 Pfennig pro Kilowattstunde auf den einheitlichen Satz von 0,4 Pfennig pro Kilowattstunde und ab 1. Januar 1984 auf 0,3 Pfennig je Kilowattstunde gesenkt. Bereits ab 1. Januar 1982 waren die Fördersätze der erweiterten Kohlefrachthilfe von vorher 1,1 Pfennig auf den durchschnittlichen Satz von 0,6 Pfennig herabgesetzt worden. Die weitere Regelung für die erweiterte Kohlefrachthilfe wird ab 1. Januar 1985 gesondert getroffen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie also so verstehen, daß in der Vereinbarung nicht der generelle Auslauf der erweiterten Kohlefrachthilfe vorgesehen wird, sondern daß eine Übergangsregelung mit der Option getroffen worden ist, eine Anschlußregelung zu treffen.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das ist richtig, allerdings mit der Einschränkung, daß die Bundesregierung den Standpunkt vertritt, daß es nach den derzeitigen Informationen keine Grundlage mehr dafür gibt, eine Subvention des Strompreises in diesen Bereichen über den 1. Januar 1985 hinaus vorzusehen. Aber darüber muß selbstverständlich mit den Ländern verhandelt werden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Brück.
Herr Staatssekretär, da Sie sagen, daß es keine Grundlage für eine Subvention des Strompreises mehr gibt, frage ich: Sieht die Bundesregierung in der Kohlefrachthilfe nicht auch ein Instrument zur Diversifizierung der Standorte von Kohlekraftwerken?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege. Dieses Instrument ist geschaffen worden, um ein unterschiedliches Strompreisniveau auszugleichen. Die Nachprüfung hat ergeben, daß die früheren Strompreisunterschiede nicht mehr vorhanden sind, so daß es auch zu Wettbewerbsverzerrungen etwa mit Zonenrandländern kommt, die höhere Strompreise haben als der Bereich, in dem die erweiterte Kohlefrachthilfe als Stromsubvention wirkt.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sieler.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, die Mittel für die Frachthilfe künftig ganz allgemein aufzustocken, zumindest aber in der jetzigen Form und Höhe beizubehalten?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe auf die haushaltspolitischen Entscheidungen hingewiesen, die noch vor der Sommerpause getroffen werden. Ich möchte und kann deshalb hinsichtlich der Höhe noch keine Aussage machen. Es bleibt aber bei dem Instrument der Frachthilfe.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 42 des Herrn Abgeordneten Brück auf:
Wird die Bundesregierung noch in diesem Jahr eine Entscheidung über den Standort einer Demonstrationsanlage zur Kohleverflüssigung treffen, wie dies vom saarländischen Ministerpräsidenten behauptet wurde?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Brück, zutreffend ist, daß weitere Beratungen des Bundeskabinetts über die großtechnische Kohleverflüssigung vorbereitet werden. Unternehmen und Bergbauländer erwarten, daß die Bundesregierung zu Beginn der Legislaturperiode ihre Haltung in dieser Frage festlegt.
Zur Vorbereitung der Kabinettsberatungen haben Wirtschaftsministerium und Forschungsministerium zunächst die beteiligten Unternehmen, nämlich Ruhrkohle und VEBA sowie Saarberg, und die beiden Bergbauländer um Darstellung ihrer Position gebeten. Diese Stellungnahmen sind seit Anfang Juni eingegangen und werden derzeit ausgewertet. In einem zweiten Schritt sollen die Stellungnahmen mit den Beteiligten mündlich erörtert werden.
Der weitere zeitliche Fahrplan bis zu den Kabinettsberatungen hängt entscheidend vom Verlauf und Ergebnis dieser Gespräche ab. Erst recht gilt das natürlich für den Inhalt einer etwaigen Entscheidung.
Eine Zusatzfrage, bitte.
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856 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1983
Herr Staatssekretär, dann treffen also die Behauptungen des saarländischen Ministerpräsidenten vor der Landespressekonferenz nicht zu, voraussichtlich noch in diesem Jahr, vielleicht noch vor der Sommerpause erwarte er in Bonn eine Standortentscheidung über dieses Großprojekt?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Diese Aussage des Ministerpräsidenten trifft nach dem derzeitigen Stand der Verhandlungen durchaus zu. Wenn mit der nötigen zügigen Behandlung der Dinge und den Stellungnahmen gerechnet werden kann, sehe ich nämlich durchaus die Möglichkeit, daß die Entscheidung noch in diesem Jahr getroffen wird.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung über den Standort einer Anlage oder — wie das bisher beabsichtigt war — über die Standorte von zwei Anlagen entscheiden?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, auch hier kann ich einer Entscheidung nicht vorgreifen, solange nicht die Stellungnahmen der Bergbauländer vorliegen. Allerdings möchte ich deutlich machen, daß es angesichts des enormen Subventionsbedarfs, der mit der Errichtung einer solchen Anlage zu Lasten des Steuerzahlers verbunden ist, nach meinem derzeitigen Informationsstand kaum möglich erscheint, etwa zwei Anlagen zu fördern.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Müller.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie denn die Entwicklung bei der Kohleverflüssigung im Ausland?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Es ist sehr schwer für mich, das in allgemeiner Form zu sagen. Ich will mich darauf beschränken, daß der Rückgang der Energiepreise die Bemühungen um die Kohleverflüssigung überall in der Welt zurückgeworfen hat — jedenfalls dort, wo der Einsatzstoff Kohle ein so hohes Preisniveau hat, wie das etwa in den europäischen Bergbauländern der Fall ist. Das gilt aber auch für die Vereinigten Staaten von Amerika. Wichtig ist, daß in der Bundesrepublik Deutschland diese Initiativen wegen ihrer technologischen und industriepolitischen Bedeutung fortgesetzt werden. Das rechtfertigt einen hohen Subventionseinsatz, weil wir auf diese Technologie vorbereitet sein müssen und weil wir j a alle wissen, daß das derzeitige Energiepreisniveau angesichts der politischen Risiken, die wir j a alle kennen, keine verläßliche Grundlage für unsere Zukunftsplanungen darstellt.
Keine weiteren Zusatzfragen. Dann ist dieser Geschäftsbereich abgeschlossen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Gallus zur Verfügung.
Die Fragen 48 und 49 des Herrn Abgeordneten Immer sowie Frage 50 des Herrn Abgeordneten Kirschner sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Frage 51 des Herrn Abgeordneten Kirschner wird vom Fragesteller zurückgezogen.
Ich rufe Frage 43 des Herrn Abgeordneten Schartz auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Es wird wie in der Geschäftsordnung vorgesehen verfahren.
Ich rufe Frage 44 des Herrn Abgeordneten Pfuhl auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß gemäß einer EmnidUmfrage die Mehrheit der Deutschen bereit ist, zum Schutz von freilebenden Tieren beim Waldspaziergang Sperrbezirke in Kauf zu nehmen, und ist die Bundesregierung bereit, daraus Konsequenzen zu ziehen und im Interesse der freilebenden Wildtiere eine Novellierung des Bundeswaldgesetzes zwecks Einrichtung von Sperrbezirken anzustreben?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Pfuhl, der Bundesregierung ist bekannt, daß die Mehrheit der in der Emnid-Umfrage befragten Personen eine entsprechende Bereitschaft bekundet hat.
§ 14 des Bundeswaldgesetzes gestattet das Betreten des Waldes zum Zwecke der Erholung. Die Bestimmung sieht als Rahmenregelung vor, daß die Länder die Einzelheiten regeln und das Betreten aus wichtigem Grund, insbesondere der Wald- oder Wildbewirtschaftung, einschränken können. Einen Überblick über die insoweit ergangenen Landesvorschriften enthält die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage zur Ausführung des Bundeswaldgesetzes durch die Länder, Bundestagsdrucksache 9/1319 vom 3. Februar 1982, Abschnitt IV.
Angesichts des be stehenden Instrumentariums, das eine Einschränkung des Betretungsrechts durch die Länder entsprechend ihrer regionalen bzw. lokalen Bedürfnisse ermöglicht, sieht die Bundesregierung derzeit keine Notwendigkeit, eine Novellierung des § 14 des Bundeswaldgesetzes zwecks Einrichtung von Sperrbezirken anzustreben.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß diese erneute Befragung die Absicht des Bestellers kundtut, daß er für sich im Hinblick auf die Bejagungsmöglichkeiten hier verbesserte Verhältnisse schaffen will?Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Interessen am Wald sind vielfältiger Natur. Wir erinnern uns noch alle der großen Diskussion um das Betretungsrecht, als der Wald geöffnet worden ist. Eines darf natürlich nicht passieren, selbst wenn das Gesetz geändert würde: daß hier alles wieder rückgängig gemacht wird.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1983 857
Keine weiteren Zusatzfragen.
Dann rufe ich Frage 45 des Herrn Abgeordneten Stutzer auf:
Wie hoch sind die Bundesmittel, die in den letzten drei Jahren für die Vorbereitung, Durchführung und Auswertung von Tierversuchen zur Verfügung gestellt wurden, und in welcher Größenordnung hat sich der Bund in dem gleichen Zeitraum an der Entwicklung alternativer Forschungs- und Testmethoden beteiligt?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stutzer, es ist leider nicht möglich, die Frage nach der Höhe der Bundesmittel, die in den letzten drei Jahren für die Vorbereitung, Durchführung und Auswertung von Tierversuchen — einschließlich Bauten und Gehälter — zur Verfügung gestellt wurden, zu beantworten. Die Tierversuche sind in den Bereichen der einzelnen Ressorts integraler Bestandteil vieler einzelner Forschungsvorhaben der unterschiedlichsten Fachrichtungen. Bei der Veranschlagung des Haushalts wird unter haushaltstechnischen Gesichtspunkten lediglich titelspezifisch nach den Hauptausgabegruppen Personalausgaben, Sachausgaben und Ausgaben für Investitionen unterschieden. Eine Veranschlagung der Mittel nach dem Funktionenplan faßt sämtliche Ausgaben für die Forschung, z. B. auf dem Gebiet der Ernährung, der Land- und Forstwirtschaft zusammen.
Die Beteiligung des Bundes an der Entwicklung alternativer Forschungs- und Testmethoden auf Grund gezielter Forschungsanträge könnte ermittelt werden. Dementsprechende Anfragen sind an die Ressorts gestellt worden. Sobald die Ergebnisse vorliegen, werden sie Ihnen schriftlich übermittelt werden.
Zusatzfrage bitte.
Herr Staatssekretär, kann ich dann auch davon ausgehen, daß Sie mir mitteilen, wie groß der Betrag ist, den die Bundeswehr für Tierversuche ausgegeben hat und welcher Betrag von der Bundeswehr für die Entwicklung alternativer Forschungs- und Testmethoden zur Verfügung gestellt wird?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es sind ja nun schon mehrmals Fragen in dieser Richtung gestellt worden. Sie wissen selbst: 1982 haben Sie eine ähnliche Frage hier gestellt, auch sonst in der Öffentlichkeit. Wir können nicht über das hinausgehen, was ich hier gesagt habe. Es ist uns nicht möglich, die Dinge im einzelnen herauszubekommen und dann zusammenzustellen. Das schaffen wir nicht.
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist nach den mit dem Bundesfinanzminister geführten Vorgesprächen im Rahmen der Aufstellung des Haushalts 1984 geplant, den Mittelansatz für die Förderung alternativer Forschungs- und Testmethoden zu reduzieren? Wenn j a, gilt das auch für die Förderung von Forschungseinrichtungen, an denen Tierversuche durchgeführt werden?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Beratungen für den kommenden Haushalt laufen noch zwischen den einzelnen Ressorts. Ich bitte Sie, diese Frage an den Bundesfinanzminister zu stellen.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Schmidt .
Herr Staatssekretär, eine kurze Vorbemerkung. Wir fragen hier die Bundesregierung, und es ist Ihre Sache, das aufzuteilen.
Aber jetzt meine Frage. Beabsichtigen Sie, bei der Novellierung des Tierschutzgesetzes, bei der ich davon ausgehe, daß sie bald ansteht, die Festschreibung von alternativen Forschungen einzubringen? Beabsichtigen Sie auch, den Anteil der alternativen Forschungsmittel im Verhältnis zu den herkömmlichen Forschungsmitteln in diesem Gesetz festzuschreiben?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, das neue Tierschutzgesetz wird, so hoffe ich, im Spätherbst eingebracht werden können, nachdem, wie Sie wissen, drei Entwürfe vorliegen, aus denen wir einen Entwurf zu machen versuchen. Ich kann im Augenblick nicht die Details nennen, die in dem neuen Gesetzentwurf stehen — er ist noch nicht ganz fertig —, was von den vorliegenden Entwürfen übernommen wird und was nicht. Darüber hinaus hat das Parlament die Möglichkeit, alles in den Ausschüssen zu diskutieren und durch Mehrheit selbst Vorschläge in das Gesetz hineinzubringen.
Keine weiteren Zusatzfragen. Wir kommen zu den Fragen 46 und 47 des Herrn Abgeordneten Eigen. Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Es wird wie in der Geschäftsordnung vorgesehen verfahren.
Damit ist dieser Geschäftsbereich abgeschlossen. Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Franke zur Verfügung.
Die Fragen 52 der Abgeordneten Frau Steinhauer und 55 des Abgeordneten Dr. Friedmann sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 53 des Herrn Abgeordneten Collet auf:
Wieviel Überstunden wurden in den Jahren 1981 und 1982 geleistet, und zwar einerseits in der privaten Wirtschaft und andererseits im öffentlichen Dienst?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Collet, der Bundesregierung liegen aus der amtlichen Arbeitszeitstatistik nur Angaben über die Überstunden der männlichen und weiblichen Arbeiter in der Industrie vor. Danach haben die männlichen Arbeiter 1981 im Durchschnitt 2,1 Überstunden je Woche und 1982 1,8 Überstunden je Woche geleistet. Das sind 5 % im Jahr 1981 und 4,4 % im Jahr 1982 der
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858 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1983
Parl. Staatssekretär Frankedurchschnittlichen bezahlten Wochenarbeitszeit. Bei den Arbeiterinnen gingen die Überstunden von 0,4 Stunden im Jahr 1981 auf 0,3 Stunden im Jahr 1982 zurück. Für männliche und weibliche Arbeiter insgesamt belief sich die Zahl der Überstunden auf 1,7 in 1981 und 1,5 in 1982. Das entspricht einem Anteil an der durchschnittlich bezahlten Wochenarbeitszeit von 4,1 % in 1981 und 3,7 % in 1982.Für einen Vergleich der Zahl der Überstunden in der privaten Wirtschaft und im öffentlichen Dienst liegen zur Zeit keine Angaben vor. Im Rahmen des Mikrozensus 1981 wurde im Auftrag des Statistischen Amtes der Europäischen Gemeinschaften nach der Leistung von Überstunden gefragt. Doch stößt die Auswertung dieser einmaligen Erhebung in bezug auf die gestellte Frage auf verschiedene methodische Schwierigkeiten, so daß das Statistische Bundesamt so kurzfristig keine Antwort geben konnte. Das Statistische Bundesamt ist von mir um bestmögliche Auswertung in bezug auf die Fragestellung gebeten worden. Sobald das Ergebnis vorliegt, werde ich es Ihnen natürlich unverzüglich mitteilen.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, nachdem ich vor zwei Jahren nach den Überstunden von 1980 gefragt habe und dort auch die Erfahrung machen mußte, daß im öffentlichen Dienst keine Angaben möglich sind, lautet meine Frage: Halten Sie es nicht für notwendig, daß gerade der öffentliche Dienst, um Vorbild sein zu können, in Zukunft solche Zahlenangaben auch erhebt?
Franke, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe natürlich Ihre Anfragen vom September 1981 und auch die des Kollegen Kirschner vom Dezember 1981 gelesen. Ich glaube, daß wir alle begierig sein sollten, diese Zahlen zu erhalten. Ich bin da mit Ihnen einer Meinung.
Zusatzfrage, bitte.
Da die von Ihnen für die private Wirtschaft angegebenen Prozentsätze, Herr Staatssekretär, Schlüsse auf das hohe Maß an Überstunden nicht zulassen, weil sich die Zahlen auf alle Betriebe, auch auf solche, die Kurzarbeit machen, erstrecken, frage ich: Wäre es nicht möglich, auch Zahlen über massierte Überstunden in bestimmten Branchen zu bekommen?
Franke, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, die Erhebung ist sehr schwierig, weil sie wahrscheinlich mit sehr viel Arbeitsaufwand für die einzelnen Betriebe und für die einzelnen Branchen verbunden wäre. Ich könnte mir vorstellen, wenn das einfach gewesen wäre — ich beziehe mich auf Ihre vielen Anregungen, die Sie schon in der Vergangenheit gemacht haben —, hätten wir sie schon. Aber ich werde Ihre Frage und jetzt meine Antwort zum Anlaß nehmen, dem noch einmal weiter nachzugehen.
Ich bin, ich wiederhole es, auch begierig zu erfahren,
wie es sich in den einzelnen Bereichen entwickelt.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becker .
Herr Staatssekretär, Sie wissen, daß die SPD-Bundestagsfraktion einen Entwurf für ein neues Arbeitszeitgesetz vorgelegt hat. Sind Sie bereit, die Erfahrungen, die Sie jetzt gesammelt haben, bei den Überlegungen zu diesem Gesetz zu berücksichtigen?
Franke, Parl. Staatssekretär: Ich meine, daß Ihre Frage über den vorliegenden Text hier hinausgeht. Aber dennoch, glaube ich, sollte man meine eigene oder auch unsere Neugier hier zum Anlaß nehmen, das zu verfeinern. Ich habe eine andere Statistik. Die geht nicht ganz, glaube ich, auf die Wünsche ein. Ich werde sie Ihnen, wenn Sie mögen, zur Verfügung stellen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 54 des Herrn Abgeordneten Collet auf:
Wie viele abhängig Beschäftigte gab es in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1972, am 30. Juni 1976 und im Jahr 1982?
Franke, Parl. Staatssekretär: Die Zahl der abhängig Beschäftigten lag nach den Angaben aus der amtlichen Statistik im Jahresdurchschnitt 1972 bei 22,6 Millionen und im Jahresdurchschnitt 1982 bei 22,5 Millionen. Für den Stichtag 30. Juni 1976 gibt es keine vergleichbare Zahl der abhängig Beschäftigten aus der amtlichen Statistik. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zum 30. Juni 1976 nach der Beschäftigungsstatistik der Bundesanstalt für Arbeit kann wegen unterschiedlicher Abgrenzung nicht direkt herangezogen werden. Es muß daher auf die Ergebnisse der amtlichen Statistik im zweiten bzw. dritten Quartal 1976 — Quartalsdurchschnitte — zurückgegriffen werden, wobei ein arithmetisches Mittel aus beiden Quartalswerten einer Stichtagszahl zum 30. Juni 1976 am nächsten kommt. Nach dieser Methode ergeben sich, bezogen auf den 30. Juni 1976, 22,0 Millionen abhängig Beschäftigte.
— Im Jahre 1982 22,455 Millionen abhängig Beschäftigte, Erwerbspersonen 27,501 Millionen, Arbeitslose 1,833 Millionen, Selbständige und mithelfende Familienangehörige im Jahre 1982 3,213 Millionen. Interessant ist der Vergleich der Selbständigen und mithelfenden Familienangehörigen für das Jahr 1972 mit 4,111 Millionen.
Zusatzfrage, bitte.
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Wie erklären Sie sich, Herr Staatssekretär, die — ich sage es vorsichtig — fast identischen Zahlen von 1976 und 1982 bei einer so stark gestiegenen Arbeitslosenzahl?
Franke, Parl. Staatssekretär: Wenn ich Ihre Frage richtig verstanden habe, wie ich mir die Zunahme der Erwerbstätigen — —
— Hier müssen Sie die Differenz hinzuzählen. Deswegen meinte ich eben sagen zu müssen, daß 1972 4,111 Millionen Selbständige und mithelfende Familienangehörige da waren und im Jahre 1982 nur noch 3,2 Millionen, also 900 000 weniger. Das ist also ein Erwerbstätigenpotential, aus dem heraus sich diese Differenz bzw. Zahl erklärt.
Noch eine Zusatzfrage.
Kann es dann nicht sein, daß die Investitionsprogramme dazu geführt haben, daß mehr Menschen beschäftigt wurden?
Franke, Parl. Staatssekretär: Wenn Sie jetzt die Zahlen miteinander vergleichen, werden Sie feststellen, daß die Zahlen — das ist der Inhalt Ihrer letzten Frage gewesen — von 1976 und 1982 identisch sind, Herr Kollege Collet.
Hierbei müßten wir noch in eine längere Diskussion über vorzeitige Erwerbsunfähigkeit und Berufsunfähigkeit eintreten. Die Zahlen habe ich hier nicht berücksichtigt. Aber die letzten Zahlen über den vorzeitigen Zugang durch Erwerbsunfähigkeit und Berufsunfähigkeit lassen den Schluß zu, daß ein Teil nach dahin — jetzt gebrauche ich eine Bemerkung — ausgewichen sind. Daß heißt, bei dem Zugang in der Rentenstatistik sind heute bei über 50 % Kriterien der Erwerbsunfähigkeit und Berufsunfähigkeit maßgeblich.
Herr Abgeordneter, ich glaube, Sie müssen sich diese statistischen Zahlen schriftlich geben lassen. So, wie ich den Herrn Parlamentarischen Staatssekretär kenne, ist er dazu gerne bereit.
Damit ist dieser Geschäftsbereich abgeschlossen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Würzbach zur Verfügung.
Die Fragen 56 und 57 des Abgeordneten Berger sollen auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 58 des Herrn Abgeordneten Klein auf:
Treffen Zeitungsberichte zu , nach denen die amerikanischen Stationierungsstreitkräfte beabsichtigen, in der Zeitspanne von 1982 bis 1989 in den Bereichen Darmstadt, Münster und Babenhausen 458 Millionen DM für den Neubau von militärischen Anlagen, hauptsächlich in Babenhausen, auszugeben?
Herr Kollege Klein, die Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika planen in den Bereichen Darmstadt, Münster und Babenhausen eine Reihe von Baumaßnahmen. Dies trifft zu. Es handelt sich dabei im wesentlichen um Maßnahmen für die Unterbringung des Systems Patriot, so in Babenhausen und Münster-Dieburg, um Erweiterung des Depots Münster-Dieburg, um Zubauten in Kasernen und Modernisierung der Wohnsiedlungen in Darmstadt sowie um den Bau von Unterkünften und eine Heizzentrale sowie Instandsetzung in Babenhausen. Die zuständige Finanzbauverwaltung hat die Gesamtkosten für die bis 1986 durchzuführenden Baumaßnahmen auf rund 210 Millionen DM beziffert; davon entfallen auf Vorhaben in Babenhausen etwa 107 Millionen DM. Über die nach 1986 vorgesehenen Maßnahmen wird das Bundesministerium der Verteidigung erst zu einem späteren Zeitpunkt im Rahmen der Programmabstimmung genauer unterrichtet werden.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist es nicht notwendig, daß nun die Bevölkerung, die verständlicherweise über das, was sich nun abzeichnet, sehr beunruhigt ist, einmal von kompetenten Stellen über das informiert wird, was konkret geplant ist und halten Sie es für gut, daß beispielsweise Bürgermeister der genannten Gemeinden schon im Frühjahr unterrichtet worden sind, sie diese Informationen an ihre Bürger aber nicht weitergaben?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, einmal möchte ich feststellen, daß häufig eine so oft geschilderte, ich sage einmal: angebliche Beunruhigung der Bevölkerung übertrieben wird. Die Mehrheit der Bevölkerung in unmittelbarer Nachbarschaft der Liegenschaften ist das Gegenteil: sehr ruhig, zumal die Mehrheit auch weiß, daß die Bereiche des Verteidigungsministeriums, der Finanz- und Bauverwaltungen jeweils in weitem zeitlichem Abstand nach vorne entgegen Ihrer Annahme und Aussage eben doch informiert sind.
Weitere Zusatzfrage.
Gestatten Sie die Bemerkung, Herr Staatssekretär, daß Sie aus Schleswig-Holstein kommen und ich in Hessen zu Hause bin und ich über die Unruhe der Bevölkerung vielleicht etwas mehr weiß als Sie.Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Aufgabe eines Staatssekretärs im Bundesministerium der Verteidigung sollten Sie nicht so eng sehen, daß Sie meinen, daß man seine Erfahrungen nur aus dem Wahlkreis oder aus der Region schöpft, aus der man kommt.
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860 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1983
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe Frage 59 des Herrn Abgeordneten Klein auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, die Bevölkerung konkret und detailliert über die Baumaßnahmen und die dort zu stationierenden neuen Waffen zu informieren?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Nach dem NATO- Truppenstatut sind die Streitkräfte der Vereinigten Staaten für Bauvorhaben in den ihnen überlassenen Liegenschaften zuständig. Die Baumaßnahmen der Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika werden von den Finanzbauverwaltungen der Länder im Auftragsbauverfahren abgewickelt.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie, daß man noch einmal hinterfragt, wer sich zuständig fühlt für die Information, die etwas anderes ist als die reine Abwicklung von Baumaßnahmen. Hier erleben wir sehr oft, daß die eine Stelle auf die andere verweist, die Bevölkerung dadurch aber nicht klüger wird.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich will gerne einräumen und Ihnen sagen, daß das die Erfahrung jetzt nach wenigen Monaten im Amte ist, daß viele Fragen aus dem Bereich der Kollegen wie auch aus kommunalen Bereichen kommen, wo dann oft sehr kompliziert erst abgetastet werden muß: Sind wir zuständig, ist es der Bundesfinanzminister, gerade wo es um Fragen des Lärmschutzes und ähnliches geht? Ich sehe meinen Vorgänger, den Kollegen Penner, dort hinten lächelnd zustimmen. Ich schildere dies, um Ihnen zu sagen, daß wir hier zwischen den beiden hauptbetroffenen Ressorts zu einer noch etwas nahtloseren Abstimmung und Eingrenzung der Zuständigkeiten kommen müssen, auch in unserem Interesse. Ich sage „auch", weil ich weiß, daß der Ansprechpartner hier auch einen etwas kürzeren Weg und klare Auskünfte haben muß.
Noch eine Zusatzfrage.
Kann ich daraus schlußfolgern, wenn diese Abgrenzungsbemühungen zwischen Ihrem Ressort und dem der Finanzen abgeschlossen sind, daß man dann bereit ist, die Öffentlichkeit zu informieren, rechtzeitig und nicht erst dann, wenn Unruhe eingetreten ist?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, in dem Rahmen, bis zu der Grenze, wo nach unserer Auffassung Sicherheits- und Geheimhaltungsbestimmungen nicht überschritten werden, j a. Auf diese Grenze mache ich in diesem Zusammenhang aber sehr deutlich aufmerksam, um nicht irgendwelche falschen Erwartungen oder gar Hoffnungen hier mit angesprochen haben zu wollen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmitt.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Auffassung, daß die Zurückhaltung bei der Information der zuständigen Kommunalpolitiker und der Bevölkerung mit dazu beiträgt, daß die Unruhe und Unsicherheit in der betroffenen Bevölkerung wächst? Wäre es nicht angebracht, daß ähnlich wie in den Vereinigten Staaten die betroffene Bevölkerung rückhaltlos und umfassend über alle geplanten Maßnahmen orientiert wird?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir können nicht die Dinge aus verschiedenen anderen Ländern, auch aus befreundeten und dem Land unseres wichtigsten Bündnispartners auf unsere ganz andere räumliche Struktur und die Gegebenheiten direkt übertragen. Ich räume gern ein, daß wir großes Verständnis dafür haben, daß alle Kommunalpolitiker, und ich gehe einmal weiter: alle Bürger, gern wissen möchten: „Was tut sich da?", gerade deshalb, weil es einige Gruppen gibt, die bei dem geringsten kleinsten Um- und Anbau einer Kantine, einer Instandsetzungshalle oder sonst etwas übertriebene, vielleicht bewußt auf Emotion oder Angst schielende Behauptungen anderer Art aufstellen.
Ich bitte Sie, das Problem aber auch einmal von der anderen Seite her zu sehen. Da es Politik aller Bundesregierungen war, der unseren ist und bleiben wird, bestimmte geheimzuhaltende Einrichtungen nicht bekanntzugeben, würden Sie, wenn wir Ihrer Intention uneingeschränkt folgten, im Reißverschlußverfahren abfragen können: Kaserne, Liegenschaft, Bauvorhaben — eines nach dem anderen. Und dann würde das Ergebnis unten genau herausfallen. Unsere Politik ist jedoch, das nicht mitzuteilen. Hier ist ein Widerspruch, der in einem vernünftigen, vertretbaren Mittelmaß zu lösen ist.
Herr Schmitt, Sie können keine weitere Zusatzfrage stellen.
Zu einer Zusatzfrage Frau Abgeordnete Schmidt .
: Herr Staatssekretär, können Sie mir einmal erklären, vor wem eigentlich was geheimgehalten werden muß? Sind Sie nicht mit mir der Ansicht, daß diejenigen, vor denen Sie hier an und für sich etwas geheimhalten wollen, vor unserem, potentiellen Gegner, diese Information längst haben, wie es auch umgekehrt der Fall ist?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, in dem gleichen Moment, wo der potentielle Gegner, die Sowjetunion, eigene Anlagen, eigene Standorte, eigene Depots und ähnliches bekanntgibt, werden wir dies mit nahtloser Folge sofort auch bei uns tun. Da das nicht der Fall ist, werden wir wie bisher — das ist ja keine neue Erfindung von uns — aus all den hier schon häufig vorgetragenen Gründen bei diesem Verhalten bleiben.
Keine weitere Zusatzfragen.Ich rufe die Frage 60 des Abgeordneten Zander auf:
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1983 861
Vizepräsident StücklenWelche Dienststellen des Bundes sind vor der Schauflugveranstaltung am Pfingstsonntag 1983 auf dem Frankfurter Flughafen informiert bzw. konsultiert worden?Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Zander, vor der Flugvorführung sind die folgenden Dienststellen des Bundes informiert oder konsultiert worden: der Bundesminister für Verkehr, der Bundesminister der Verteidigung, die Bundesanstalt für Flugsicherung. Sie haben nur nach Einrichtungen des Bundes gefragt.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Zander.
Herr Staatssekretär, ich hatte nach deutschen Dienststellen gefragt. Das beschränkt sich nicht auf den Bund. Aber ich möchte gern wissen: Was haben die Bundesdienststellen, von denen Sie eben sagten, sie seien konsultiert worden, in diesen Gesprächen unternommen, um den Schutz der unbeteiligten Zivilbevölkerung bei solchen gefährlichen Schauflugveranstaltungen sicherzustellen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, damit hier kein Mißverständnis zwischen uns herrscht, darf ich noch einmal sagen, daß Ihre mir vorliegende Frage heißt: „Welche Dienststellen des Bundes ... ''. Diese Formulierung liegt mir vor. Deshalb habe ich mich in der Antwort darauf beschränkt.
Aber bevor ich zu dem zweiten Teil komme, darf ich hinzufügen: Außerdem sind der hessische Minister für Wirtschaft und Technik, die Flughafengesellschaft Frankfurt am Main, die Deutsche Lufthansa, der Flugplankoordinator, das Hauptquartier der Amerikaner sowie der Veranstalter selber in diesem Prozeß gewesen. Ich füge das gern hinzu.
Nun fragen Sie: Was ist getan worden? Herr Kollege, hier gab es eine Reihe von Fragen, die zunächst zurückgezogen wurden. Wir können uns aber sehr gern über die bedauerlichen Ergebnisse und Beeinträchtigungen, den Tod und die Verletzung von Menschen unterhalten. Darauf habe ich Ihre Frage heute hier nicht beziehen können.
Die beteiligten Dienststellen, die ich Ihnen hier jetzt noch in Ergänzung aufgezählt habe, sind mehrfach in einer Reihe von Einzelbesprechungen zusammengetreten, um nicht nur das Einhalten aller Sicherheitsbestimmungen noch einmal zu ordnen, sondern um zusätzlich — wegen der Besonderheit und der erwarteten Hunderttausenden von Zuschauern — möglichst alle Risiken auszuschließen. So wurde festgelegt, jedwede Kunstflugvorführung zu unterlassen. So spielte in den Gesprächen sehr viel der Gedanke eine Rolle, jede mögliche Beeinträchtigung des zivilen Luftverkehrs um Frankfurt durch die militärischen Vorführungen zu unterbinden.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Zander, zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung, wenn solche Fälle künftig noch einmal auftreten, bereit, darauf hinzuwirken, daß solche riskanten Veranstaltungen mit Düsenkampfflugzeugen jedenfalls nicht mehr über einem dicht besiedelten Raum stattfinden, wie er um Frankfurt und im Rhein-Main-Gebiet zweifellos gegeben ist?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie sind jetzt bei Ihrer zweiten Frage.
— Ich will hier überhaupt nicht ausweichen. Mit dieser Angelegenheit wird sich nicht nur das Verteidigungsministerium, nicht nur unsere Luftwaffe, die Luftwaffe der jeweiligen Alliierten bei uns zu beschäftigen haben, sondern damit werden sich auch — dessen bin ich sicher — die anderen beteiligten Ressorts sehr gründlich auseinanderzusetzen haben.
Ich nehme einmal — mit Ihrem Einverständnis
— einen Teil meiner Antwort auf Ihre zweite Frage vorweg, weil sich das organisch nun so ergibt: Wir sind der Auffassung, daß dieser traurige Anlaß um Frankfurt noch einmal Grund für uns sein sollte, zu prüfen, welche Flughäfen in welchen Gebieten wir — trotz aller gründlichen Vorbereitung, trotz aller eingehaltenen Sicherheitsbestimmungen —, menschliches Versagen nicht ausschließen könnend, von solchen Veranstaltungen ausschließen sollten; diese Untersuchungen haben wir eingeleitet.
Weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Reetz.
Haben Sie die Erfahrungen, die Sie in den Besprechungen gewonnen haben, auch in die Flugvorführungen der kanadischen Luftwaffe am vergangenen Wochenende in Söllingen bei Baden-Baden einfließen lassen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Meine Antwort ist ein deutliches Ja.
Keine weiteren Zusatzfragen.Ich rufe die Frage 61 des Herrn Abgeordneten Zander auf:Welche Gebiete der Bundesrepublik Deutschland können nach Ansicht der Bundesregierung als dichtbesiedelt bezeichnet werden, wenn das Gebiet um Frankfurt, über dem die Schauflugveranstaltung vom 22. Mai 1983 abgehalten wurde, nach Auskunft der Bundesregierung nicht dazu zählt?Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Zander, die Bundesregierung hat auf Ihre Frage vom 25. Mai mitgeteilt, daß auch bei künftigen Flugvorführungen dichtbesiedelte Gebiete grundsätzlich nicht überflogen werden. Die eigentliche Flugvorführung in Frankfurt fand über dem Gebiet des Flughafens statt. Dazu war es erforderlich, An- und Abflüge wie auch im Linienverkehr ziviler Maschinen, durchzuführen. Die Bundesregierung ist nach dem bedauerlichen Unfall besonders bemüht, Flugvorführungen über vergleichbaren Gebieten — ich
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862 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1983
Parl. Staatssekretär Würzbachhabe dies soeben vorweggenommen — nicht mehr stattfinden zu lassen.
Herr Abgeordneter Zander, wenn ich mich recht erinnere, haben Sie einmal auf dieser Bank als Parlamentarischer Staatssekretär gesessen und kennen also die Spielregeln hier.
Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, hat bei den Überlegungen, die Sie jetzt mitgeteilt haben und die sich etwas von der Haltung der Bundesregierung in der Antwort auf meine Frage vom 25. Mai unterscheiden, auch eine Rolle gespielt, daß der Unfall ja gerade darauf zurückzuführen ist, daß von der vorgesehenen Route, die möglicherweise nicht über dichtbesiedeltes Gebiet führte, durch einen Unfall, durch eine falsche Steuerung oder aus Gründen, die wir alle nicht kennen, abgewichen wurde, und ist nicht der Gesamtraum, über dem eine solche Veranstaltung stattfindet, für die Beurteilung der Frage entscheidend, ob es sich um dichtbesiedeltes Gebiet handelt oder nicht?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe darauf hingewiesen, daß wir mit Überlegungen begonnen haben — zunächst im eigenen Bereich, wir werden aber auch an die verbündeten Armeen herantreten —, um bestimmte Räume — auch solche, in denen der Flughafen etwas außerhalb liegt, die aber durch An- und Abflüge doch tangiert werden — für Ähnliches grundsätzlich auszuschließen. Das, was niemand von uns — weder im militärischen noch im zivilen Luftverkehr noch sonstwo —, so meine ich, ausschließen kann, ist, daß menschliches Versagen im Umgang mit Technik immer wieder auftreten wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmitt .
Herr Staatssekretär, kann ich Ihren Darlegungen entnehmen, daß Sie Ihre Auffassung — entgegen der ersten Presseverlautbarung, in der Sie Schauflüge als absolut notwendige Öffentlichkeitsarbeit der Streitkräfte bezeichnet und als Maßnahmen dargestellt haben, die von breiten Schichten der Bevölkerung gewünscht würden — jetzt korrigieren, und hat dazu auch der mit großer Mehrheit gefaßte Beschluß der Stadtverordnetenversammlung Frankfurt beigetragen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die eingangs von Ihnen formulierte Folgerung können Sie aus meinen Antworten nicht schließen. Es sind viele hunderttausend, die zu einem solchen Flugtag kommen und dies sehen wollen. Die andere Aussage, auf die Sie zurückgreifen, nämlich daß die Bundesluftwaffe wie die anderen Luftwaffen auch in Zukunft ihre Einsatzfähigkeit vor der Öffentlichkeit zeigen würden, wird durch die Anordnung einer Prüfung relativiert — mit all den Vorkehrungen, die man treffen kann —, um möglichst zu vermeiden, daß es zu solchen tragischen Unfällen kommt. Aus meinen Ausführungen ist nicht zu folgern, wir würden bestimmte Regionen von solchen Vorführungen künftig ausschließen. Dies ist nicht etwas, was Sie daraus in der Form, wie Sie es meinten tun zu sollen, schließen können.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Krizsan.
Herr Staatssekretär, könnten Sie mir bitte den Sinn solcher Schauveranstaltungen erklären angesichts der Tatsache, daß beinahe in jedem Gebiet der Bundesrepublik tieffliegende Düsenkampfflugzeuge gehört und gesehen werden können?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn in Frankfurt 400 000 Menschen kommen und sich eine solche Vorführung ansehen, also an einem Ort, wo es eine Massierung an Luftbewegungen wie nirgendwo sonst über der Bundesrepublik gibt, dann ist dies der deutlichste Beweis dafür, daß die Hypothesen, die in Ihrer Frage anklangen, nicht zutreffen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Herr Staatssekretär, die Fragen 62 und 63 des Herrn Abgeordneten Catenhusen sind vom Antragsteller zurückgezogen.
Ich rufe die Frage 64 der Frau Abgeordneten Dr. Czempiel auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß für Mitglieder von Kriegsdienstverweigerungs-Ausschüssen und -Kammern Fragenkataloge im Umlauf sind, die geeignet sind, an der Unbefangenheit der Mitglieder zu zweifeln, und wie beurteilt die Bundesregierung diese Kataloge?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, von Fragenkatalogen, die bei Prüfungsausschüssen und -kammern im Umlauf sein sollen, ist der Bundesregierung nichts bekannt. Vor einigen Monaten jedoch ist einem Mitglied der Bundesregierung von einem Kollegen aus dem Hause eine mehrseitige Zusammenstellung von Fragen zugeleitet worden, deren Verfasser jedoch anonym ist. Die Bundesregierung hat daher weder Anhalt noch Veranlassung, diesem Vorgang nachzugehen. Im übrigen sind die Prüfungsgremien bei der Art der Fragestellung an keinerlei Weisung gebunden.
Zusatzfrage? Frau Dr. Czempiel : Ja.Ich selbst war über Jahre Mitglied einer solchen Prüfungskommission und habe immer wieder feststellen können, daß besonders junge Leute, die gut auftreten konnten und gut in der Sprache waren, eine gewisse Bevorzugung erfahren haben. Ist die Bundesregierung bereit zu versuchen, auch denjenigen, die nicht so gewandt sind, eine Hilfeleistung zu geben?
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1983 863
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Die Erfahrung, die Sie eben schilderten, spricht nicht für das Gremium, von dem Sie berichteten. Denn dies sollte nicht den Ausschlag geben.
Im Gegenteil. Da diese Praxis neben den anderen Elementen, die nicht richtig handhabbar waren, hier und da immer wieder beobachtet wurde, hat die Bundesregierung j a noch in der letzten Periode eine Neufassung des Gesetzes eingeleitet, die zum 1. Januar 1984 in Kraft tritt, so daß Verhandlungen nur noch stattfinden, wie Sie wissen, wenn es sich um Soldaten oder Reservisten handelt.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jaunich.
Herr Staatssekretär, auf welche Art und Weise hat sich denn die Bundesregierung einen Überblick verschafft, daß Fragenkataloge der hier angesprochenen Art nicht Gegenstand der Prüfungen sind?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir haben einen Überblick insofern, als es keine Dienststelle in irgendeinem Ressort gibt, die über die Wehrbereichsverwaltungen an die Kreiswehrersatzämter — oder auf welchem Weg auch immer — solche Fragebögen verteilt, geschweige denn irgend jemandem vorher einen solchen Fragebogen entworfen, autorisiert und mitgegeben hat.
Ich will Ihrer Frage meine Einschätzung hinzufügen. Mein Eindruck beim Lesen dieses Fragebogens ist vielmehr, daß dies eine Art Übungs- und Einstudierleitfaden für junge Männer sein könnte, die vor einem solchen Gremium erscheinen, um sich in einer bestimmten Denkungs-, Reaktions- und Antwortart auf zu erwartende Fragen einstellen zu können. So liest sich dieses mir übergebene anonyme Papier.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lambinus.
Herr Staatssekretär, wie Sie vielleicht wissen, komme ich aus Unterfranken. In Würzburg ist die Ablehnungsquote fast doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Darf ich Sie deshalb fragen, ob die Bundesregierung für die verbleibenden Prüfungsfälle nach dem jetzigen Verfahren beabsichtigt, diejenigen, die als Beisitzer in die Prüfungsausschüsse berufen werden, zunächst einmal in irgendeiner Form darüber aufzuklären, a) was ihre Rechte gegenüber dem Vorsitzenden des Ausschusses sind, und b) welche Fragen gegenüber Wehrpflichtigen oder Verweigerern unzulässig sind?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Alle Beisitzer, Herr Kollege, sind ordnungsgemäß, gründlich und verständlich in ihre Aufgabe und in ihre Rechte eingewiesen. Fragen, die gegen Gesetze verstoßen, sind nicht zulässig. Dazu bedarf es keiner neuen, zusätzlichen Einweisung oder Schulung.
Die Statistik, die Sie soeben in Ihrer Frage erwähnt haben — Sie wiesen auf den Umstand hin, daß die Zahlen in bestimmten Regionen möglicherweise von denen in anderen abweichen —, ist j a von einigen Kollegen aus der Mitte des Parlaments angefordert worden. Daran arbeiten wir zur Zeit noch. Wir werden sie anschließend den Kollegen zuleiten.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Schmidt .
Herr. Staatssekretär, Sie haben vorhin auf die Zusatzfrage meiner Kollegin Czempiel geantwortet, es komme „hie und da" vor, daß Kriegsdienstverweigerer mit geringen Bildungsabschlüssen benachteiligt werden. Wie begründen Sie denn dieses „hie und da", und gibt es Zahlen darüber, wie viele Kriegsdienstverweigerer mit niedrigen, mittleren und höheren Schulabschlüssen anerkannt bzw. abgelehnt worden sind?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich habe nicht gesagt, daß ein niedriger Bildungsabschluß eine Benachteiligung im Ergebnis darstellt. Ich habe gesagt, daß manche ihre Schwierigkeiten bei der Gewichtung der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit haben und daß dies immer wieder zu Unzufriedenheiten geführt hat. Es gibt solche Statistiken; ich erinnere mich, daß dies auch häufig hier eine Rolle spielte. Ich habe sie nicht abrufbereit im Kopf. Ich habe jedoch im Kopf, daß die Anzahl der antragstellenden Abiturienten im Vergleich zu anderen Bildungsgruppen weit überdurchschnittlich hoch ist.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Krizsan.
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß ein Jugendlicher nach Hauptschulabschluß und Berufsausbildung vor einem Prüfungsausschuß die gleichen Chancen hat wie ein Gymnasiast nach dem Abitur?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Dies soll so sein.
Keine weiteren Zusatzfragen.Ich rufe Frage 65 der Frau Abgeordneten Dr. Czempiel auf:Welche Funktion hat die sogenannte Prominentensperre in Zusammenhang mit der Einberufung von Wehrpflichtigen, und ist ausgeschlossen, daß darunter fallende Wehrpflichtige nicht oder verspätet zur Bundeswehr eingezogen werden?Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Dr. Czempiel, eine sogenannte „Prominentensperre", wie Sie es formuliert haben, besteht bei den Wehrersatzbehörden nicht. Es gibt sie nicht. Söhne von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sind wehrpflichtig wie jeder andere. So dient heute beispielsweise der Sohn unsers Bundeskanzlers Helmut Kohl, der des Ministerpräsidenten Strauß,
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864 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1983
Pari. Staatssekretär Würzbachder des Bundesministers Geißler und viele andere.
— Sie kennen die Frage vielleicht nicht; es kommt ja noch, wonach Sie rufen. — In der Wehrpflichtsache von Herrn Strauß junior hatte die Meldebehörde der Stadt München, die für die Erfassung der Wehrpflichtigen zuständig ist, bei der Umstellung ihres Einwohnerdatensystems auf ein anderes Computerverfahren die für die sicherheitsgefährdeten Personen bestehende Auskunftssperre versehentlich als Vollsperre programmiert.
Seine — Straußens — Daten wurden daher dem für die Musterung zuständigen Kreiswehrersatzamt erst übermittelt, nachdem sich der Fehler herausgestellt hatte. Der Sohn des bayerischen Ministerpräsidenten ist inzwischen als Wehrpflichtiger bei der Truppe.Aus der Antwort des früheren Staatssekretärs von Bülow in der Drucksache 8/4502 auf Frage des Kollegen Schöfberger ergab sich übrigens, daß der Fehler entdeckt wurde, nachdem sich der bayerische Ministerpräsident bei der zuständigen Wehrbereichsverwaltung nach der Wehrpflichtangelegenheit seines Sohnes erkundigt hatte. Ich selbst habe — ebenfalls auf eine Frage des Kollegen Schöfberger — am 9. November 1982 hierzu noch weitere Aussagen gemacht.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, sind außer diesem Versehen, was jetzt bei Herrn Strauß vorgekommen ist, noch weitere derartige Sperren, die nicht in der Öffentlichkeit diskutiert wurden, bekanntgeworden?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Mir sind keine solchen weiteren Fehler bekannt. Sie wissen, daß das Entdecken des Fehlers inzwischen schon einige Zeit zurückliegt, und Sie können ganz sicher sein, daß alle zuständigen Stellen dadurch entsprechend sensibilisiert worden sind und dies ausschalten.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lambinus.
Herr Staatssekretär, wenn ich richtig informiert bin, gibt es die sogenannte Wehrerfassung; wenigstens gab es das zu meiner Zeit. Wir mußten uns damals auf Grund eines öffentlichen Anschlages bei unseren zuständigen Gemeindeverwaltungen zur Wehrerfassung melden. Wer sich nicht meldete, wurde bestraft. Ich frage Sie nun: Gelten die Vorschriften für die Wehrerfassung noch, oder sind die aufgehoben, und, wenn sie nicht aufgehoben sind: Was geschieht mit jenen Prominenten, die sich der Wehrerfassung entziehen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es entzieht sich kein Sohn eines Prominenten der Wehrpflicht. Darüber haben wir eben, glaube ich, klar und auch mit einigen Beispielen, auch bei offener Beleuchtung der eingetretenen Panne, geredet.
Vorschrift ist, daß in einem bestimmten Alter nach Erfassung über die Einwohnerdateien der Städte der zur Wehrpflicht Heranstehende vom Kreiswehrersatzamt eine Aufforderung bekommt, sich zu melden. Und diese ist, weil es bei dem Namen XY wegen des Sicherheitsgrades des Vaters klick machte, in verschiedenen Einzelfällen nicht herausgegangen. — Das Verfahren ist anders, als Sie es hier geschildert hatten.
Weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Schmidt .
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer ersten Antwort den Begriff Vollsperre verwendet. Ich hätte gern gewußt, was das ist, auf wen das zutrifft, was das für die Wehrpflichtigen bedeutet und ob darunter auch SPD- und GRÜNEN-Politiker fallen.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, der Begriff Vollsperre heißt, daß beim Computer eine bestimmte Eingabe getätigt wird, so daß, wenn Sie die Wehrpflichtigen eines bestimmten Jahrgangs oder eines durch andere Merkmale bestimmten Kreises abrufen wollen, derart Gekennzeichnete nicht mit herauskommen. Grund dafür kann sein, daß jemand anerkannt ist als Kriegsdienstverweigerer, daß er auf Grund körperlicher Ungeeignetheit, bei der Musterung festgestellt, ausgemustert wurde. — Dies ist fälschlicherweise erfolgt. Und nichts anderes bedeutet dieser Begriff.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Dr. Skarpelis-Sperk.
Herr Staatssekretär, hätten Sie es nicht für richtig gehalten, daß sich der Sohn des betreffenden Prominenten, nachdem er gemerkt hat, daß er nicht erfaßt und eingezogen wird, freiwillig gemeldet hätte?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich gehe davon aus, daß Sohn und Vater — bei der Familie weiß ich es — in einem gesunden engen Verhältnis zueinander stehen und solche Dinge offen diskutieren. Ich darf wiederholen, daß der Vater den Anstoß gegeben hat, nachzufragen, warum der Sohn trotz Erreichens eines bestimmten Alters noch immer seine Aufforderung nicht erhalten habe.Der Sohn ist zunächst wegen seiner Berufsausbildung zurückgestellt worden. Dadurch setzte ohnehin nicht die Automatik ein, wie bei den meisten unserer Wehrpflichtigen, in dem Alter von 19, 191/2 oder 20 Jahren eingezogen zu werden. Ich sehe hier keinen unnormalen Vorgang. Als die Ausbildung abgeschlossen war und sich die Berufsplanung anschloß, wurde hier die Familie — Frau Kollegin, ich wünschte mir, daß dies in allen Familien so der Fall wäre — aktiv und fragte: Warum wird er nicht gerufen? Hier ist die entsprechende Frage gestellt worden.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1983 865
Herr Lambinus, Sie gehen hier immer an die Grenze dessen, was noch erlaubt ist.
Aber wenn ich all das zusammenzähle, was Sie an Grenzfällen schon pexiert haben, müßte eigentlich ein Strafstoß fällig sein.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Kuhlwein, noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie war es denn möglich, daß der Sohn dieses Prominenten wegen Berufsausbildung zurückgestellt werden konnte, wenn er zu dem Zeitpunkt noch gar nicht erfaßt und gemustert war?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kuhlwein, der Sohn Strauß, über den wir reden, geboren am 5. Mai 1961, ist am 25. September 1980 gemustert worden. Dann ist er für seine Berufsausbildung bis März 1983 vom Wehrdienst zurückgestellt worden. Seit 5. April leistet er seinen Grundwehrdienst.
Lassen Sie mich hier hinzufügen, daß bei jedem, der einen Antrag stellt, zurückgestellt zu werden, oder, sofort, wenn es sein soll auch unterhalb der 18-Jahres-Grenze, einberufen zu werden, z. B. weil er im Augenblick arbeitslos ist oder eine andere Anschluß- oder Ausbildungsplanung besteht, die Wehrersatzbehörden angewiesen sind, so beweglich wie irgend möglich, im Interesse des Wehrpflichtigen zu entscheiden. Ich füge dies hinzu, um dem Eindruck entgegenzutreten, den einige möglicherweise hier erwecken wollen, als sei hier, abgesehen von der Panne, die mit dem Computer in München passiert ist und die keiner aus der Welt schaffen kann, eine bevorzugte Behandlung des Sohnes eines Prominenten, in der Öffentlichkeit Tätigen, erfolgt. Dies ist nicht der Fall.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 66, Herr Staatssekretär, des Abgeordneten Gilges soll auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Damit sind wir am Schluß dieses Geschäftsbereichs.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Frau Parlamentarischer Staatssekretär Karwatzki zur Verfügung.
Die Frage 74 des Abgeordneten Gilges soll auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 67 der Frau Abgeordneten Luuk auf:
Teilt die Bundesregierung die wiederholt in der Öffentlichkeit geäußerte Kritik an der Dreimonatsspritze, wonach es sich bei den im Handel erhältlichen Präparaten um „Verhütungsmittel zweiter Wahl" mit „schwerwiegenden Nebenwirkungen" handele, und wenn ja, was gedenkt die Bundesregierung zu tun, damit dieses Verhütungsmittel weder Frauen in der Bundesrepublik Deutschland noch Frauen in der Dritten Welt zugemutet wird?
Frau Staatssekretär.
Frau Kollegin Luuk, wie ich auf eine ähnlich lautende Frage des Abgeordneten Hans Verheyen am 8. Juni 1983 schriftlich mitgeteilt habe, hat das Bundesgesundheitsamt am 23. und 24. März 1983 im Rahmen des Stufenplans zur Beobachtung, Sammlung und Auswertung von Arzneimittelrisiken eine Sondersitzung mit in- und ausländischen Experten zur Nutzen-Risiko-Bewertung von Depot- Kontrazeptiva abgehalten. In der Sitzung wurden auch Sachverständige der Weltgesundheitsorganisation und der Internationalen Gesellschaft für geplante Elternschaft gehört.
Die Anhörung zeigte, daß nach dem gegenwärtigen Wissensstand die Risikoerhöhung bei Anwendung dieser Arzneimittel nicht größer sein dürfte als bei Anwendung der gängigen oralen Kontrazeptiva. Für Sofortmaßnahmen bestand daher keine Veranlassung.
Das Bundesgesundheitsamt ist in eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Analyse eingetreten, um unter Berücksichtigung des Anhörungsergebnisses und aller zur Verfügung stehenden Daten über Nutzen und Risiko einschließlich der Frage einer möglicherweise krebserregenden Wirkung die für den Schutz der Verbraucher notwendigen Maßnahmen zu treffen. Mit einer Entscheidung des Bundesgesundheitsamtes ist noch in diesem Monat zu rechnen.
Das Bundesgesundheitsamt wird seine Entscheidung auch den Dienststellen der Weltgesundheitsorganisation, den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft und anderen Staaten zugänglich machen.
Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretär, ich hätte doch ganz gern gewußt, ob Sie meine Auffassung teilen, daß die entwicklungspolitischen Gruppen in der Bundesrepublik, die sich dieser Frage angenommen haben, berechtigt sind, dies zu tun, weil es sich bei dem betroffenen Personenkreis um Frauen handelt, die praktisch keinen Zugang zu gesundheitlicher Betreuung und auch zur Information haben und somit das gesundheitliche Risiko, das sie eingehen, weniger abschätzen können, als es Frauen hierzulande möglich ist. Ist das Engagement dieser Gruppen nicht berechtigt, die sich dafür einsetzen, daß wir unser besonderes Augenmerk darauf richten, wo diese Medikamente dann verteilt werden? Muß nicht die Frage, wohin diese Medikamente gehen, besonders berücksichtigt werden?Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Das Engagement dieser Gruppen ist berechtigt. Sie müssen aber bitte Verständnis dafür haben, daß ich eine Antwort auf Ihre Frage hier nur insoweit geben kann, als eben Untersuchungsergebnisse auch des Bundesgesundheitsamtes vorliegen.
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866 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1983
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 68 der Frau Abgeordneten Schmidt auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß in der neugestalteten Zeitschrift „Der Zivildienst" die DDR mehrfach in Anführungszeichen gesetzt wird bzw. verschwiegen wird, daß die SPD gegen das neue Kriegsdienstverweigerungsrecht gestimmt hat und das Land Bremen dagegen klagt?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Schmidt, sind Sie damit einverstanden, daß ich die Fragen 68 und 69 gemeinsam beantworte? — Danke schön.
Die Fragestellerin ist einverstanden. Ich rufe also auch noch die Frage 69 der Abgeordneten Frau Schmidt auf:
Wird diese Art der Berichterstattung als parteipolitisch neutral angesehen, und wird die Bundesregierung versuchen, Einfluß zu nehmen, um eine korrekte Berichterstattung zu gewährleisten?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: In der Zeitschrift „Der Zivildienst" wird die DDR in allen Ausgaben durchweg nicht in Anführungszeichen gesetzt. Die einzige Ausnahme ist eine kurze Meldung in einer bestimmten Ausgabe. Allerdings kommt in demselben Heft mehrfach die DDR auch ohne Anführungszeichen vor. Im Heft 1/2-1983 heißt es zur Neuregelung des Kriegsdienstverweigerungsrechts ausdrücklich:
„Die Opposition hat den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen abgelehnt." Eine Klage des Landes Bremen gegen das neue Kriegsdienstverweigerungsrecht liegt bisher nicht vor.
Die Berichterstattung war insofern korrekt. Vizepräsident Stücklen: Zusatzfrage. Bitte.
Frau Staatssekretärin, trifft es zu, daß der Artikel, den Sie hier auch angesprochen haben, von der Leitung des Hauses stammt? Und kann ich, falls das der Fall ist, davon ausgehen, daß zumindest die Regierung, wenn auch nicht die Redaktion dieser Zeitschrift, DDR künftig wieder in Anführungszeichen zu setzen gedenkt?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Letzteres gedenkt die Regierung nicht zu tun. Der Artikel war ein Interview, in dem Herr Dr. Geißler seine Position bezogen hat.
Eine weitere Zusatzfrage?
Dazu nur eine Anmerkung. Ist der Bundesregierung und auch Herrn Geißler bekannt, daß inzwischen auch Springer-Zeitungen von dieser etwas eigenartigen Schreibweise abkommen?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Ob der Bundesregierung dies bekannt ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Ob die Springer-Presse es so oder so handhabt, darauf haben wir, meine ich, keinen Einfluß.
Noch eine Zusatzfrage.
Da die Berichterstattung und die Tendenz dieser Zeitschrift sich seit dem Regierungswechsel insgesamt sehr verändert haben und z. B. über die Friedensbewegung überhaupt nicht mehr berichtet worden ist, die Redaktion aber die gleiche geblieben ist, frage ich: Worauf führt die Bundesregierung diesen abrupten Wechsel in der Meinung der Redaktion zurück?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, vielleicht liegt es daran, daß über das neue Gesetzgebungsverfahren mehr berichtet wurde.
Ihre letzte Zusatzfrage.
Da die Kritik bei den Zivildienstleistenden gegen den Inhalt dieser Zeitschrift sehr zunimmt, frage ich: Wie können sich Zivildienstleistende denn gegen die Zusendung dieser Zeitschrift wehren?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Indem sie sie abbestellen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sielaff.
Frau Staatssekretärin, Sie sagten soeben, daß das Kriegsdienstverweigerungsgesetz so im Vordergrund stand. Meine Frage: Kann man denn damit rechnen, daß eine der nächsten Ausgaben sich intensiver mit der Friedensbewegung und auch mit dem, was im Rahmen der Friedensbewegung z. B. auf dem Evangelischen Kirchentag passiert ist, beschäftigen wird?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sielaff, ich bin gern bereit, Ihren Wunsch weiterzugeben.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lambinus.
Darf ich fragen, ob es zutrifft, daß die Redaktion dieser Zeitschrift Zivildienstleistenden mitgeteilt hat, daß ein Abbestellen dieser Zeitschrift nicht möglich ist?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Wie ich mich gerade sachkundig gemacht habe, heißt es, daß es große Schwierigkeiten macht.
Bevor wir zum Schluß der Fragestunde kommen, muß ich mitteilen, daß die
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Vizepräsident StücklenFrage 105 des Abgeordneten Dr. Lammert zurückgezogen worden ist.Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jaunich.
Frau Staatssekretärin, besteht die Absicht der Bundesregierung, den Zivildienstleistenden die Zeitschrift zur Pflichtlektüre zu machen?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Das sicherlich nicht. Man kann sie ja ohnedies dahin legen, wo man meint, daß sie gut aufgehoben ist.
Keine weitere Zusatzfrage.
Wir schaffen noch ein paar Fragen.
Ich rufe die Frage 70 des Herrn Abgeordneten Sielaff auf:
Stimmt die Bundesregierung der Auffassung des Europäischen Parlaments in seiner Entschließung zur Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen zu, daß kein Gericht oder Ausschuß in der Lage ist, das Gewissen des einzelnen zu prüfen, und wenn ja, welche Folgerungen zieht sie daraus?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sielaff, die Bundesregierung stimmt der Auffassung des Europäischen Parlaments zu. Bereits die geltende Regelung der Anerkennung von Kriegsdienstverweigerern geht davon aus, daß eine unmittelbare Überprüfung des Gewissens nicht möglich ist. In dem Verfahren vor den Prüfungsausschüssen und den Prüfungskammern geht es vielmehr darum, daß die zuständigen staatlichen Stellen aus dem Gesamteindruck von der Persönlichkeit des Antragstellers die Überzeugung gewinnen, daß eine nach dem Grundgesetz anzuerkennende Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe getroffen worden ist. Dieses Verfahren soll auch nach dem neuen Recht in Übereinstimmung mit sämtlichen früheren Reformversuchen der Regierungskoalition von SPD und FDP für Soldaten, Gediente sowie bereits einberufene Wehrpflichtige beibehalten werden.
Wegen der grundsätzlichen Problematik eines jeden mündlichen Prüfungsverfahrens wird die mündliche Verhandlung für die ungedienten Wehrpflichtigen in Zukunft wegfallen. Die Anerkennung wird dann allein auf der Grundlage der eigenen Angaben des Antragstellers vom Bundesamt für den Zivildienst ausgesprochen. Dafür ist nur noch erforderlich, daß der Antragsteller eine Gewissensentscheidung im Sinne von Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes darlegt.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, wie soll dann der zu Prüfende seinen Gewissenskonflikt glaubhaft machen?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Dieses braucht er nicht.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Dann rufe ich Frage 71 des Herrn Abgeordneten Sielaff auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß, wenn die Entschließung des Europäischen Parlaments zur Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen in Nummer 5 davon spricht, daß der zivile Ersatzdienst nicht länger dauern soll als der normale Wehrdienst einschließlich danach erfolgten Übungen, es sich dabei nicht um den gesetzlich möglichen Zeitrahmen solcher späteren Übungen handelt, sondern um die tatsächliche durchschnittliche Inanspruchnahme, und wird sie die Entschließung in diesem Sinn beachten?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sielaff, die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die vom 1. Januar 1984 an geltende Zivildienstdauer mit Ziffer 5 der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen übereinstimmt.
Nach dem Wehrpflichtgesetz kann die Dauer des Grundwehrdienstes und der Wehrübungen zusammen bis zu 24 Monate betragen. Mit einer Dauer von neuen Monaten wird der zeitliche Rahmen für die von dem Wehrpflichtigen bis zur Vollendung des 45. Lebensjahres zu leistenden Wehrübungen gesetzt. In dem Zeitpunkt, in dem der einzelne anerkannte Kriegsdienstverweigerer zum Zivildienst herangezogen wird, läßt sich noch nicht übersehen, in welchem Umfange Wehrpflichtige seines Jahrgangs bis zur Vollendung ihres 45. Lebensjahres tatsächlich zu Wehrübungen herangezogen werden.
Wenn der Zivildienst vom 1. Januar 1984 an um ein Drittel länger ist als der Grundwehrdienst und damit 20 Monate dauert, so ist der Gesetzgeber weit unter der für den Wehrdienst vorgesehenen Höchstdauer von 24 Monaten geblieben. Angesichts der schwächer werdenden Geburtsjahrgänge erscheint es keineswegs unwahrscheinlich, daß ein junger Mann, der in den nächsten Jahren wehrpflichtig wird, als Soldat bis zur Vollendung seines 45. Lebensjahres einschließlich der Wehrübungen ebenfalls zu einem Dienst von insgesamt 20 Monaten herangezogen werden wird.
Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, gibt es keinerlei Zahlen darüber, wie viele Tage an Wehrübungen der dienstleistende Wehrpflichtige durchschnittlich, verteilt auf alle Wehrpflichtigen in der Bundeswehr, zu leisten hat?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sielaff, vielleicht wäre es günstiger gewesen, wenn Sie diese Frage an den Kollegen vom Verteidigungsministerium gerichtet hätten. Ich kann Ihnen das jetzt nicht sagen.
Letzte Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, wäre es möglich, mir die Beantwortung dieser Frage schriftlich zuzuleiten?
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868 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1983
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Ja, ich gebe mir Mühe bei dem Kollegen und gebe Ihnen dann die Antwort.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 17. Juni 1983, 10 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.