Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll Punkt 18 der Tagesordnung um einen weiteren Zusatzpunkt erweitert werden, und zwar um die Beratung des Antrags der Fraktion der SPD, Bericht zur Lage der Natur — Drucksache 10/83 —. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Notprogramm gegen das Waldsterben
— Drucksache 10/35 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Forschung und Technologie
Zusatzpunkt 1 zur Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Programm gegen Luftbelastung und Waldsterben
— Drucksache 10/67 —
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Forschung und Technologie
Zusatzpunkt 2 zur Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN
Sondergutachten „Waldschäden und Luftverunreinigungen"
— Drucksache 10/84 —
Zusatzpunkt 3 zur Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Bericht zur Lage der Natur
— Drucksache 10/83 —
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind eine gemeinsame Beratung des Tagesordnungspunktes 18 sowie der Zusatzpunkte 1, 2 und 3 und eine Aussprache von drei Stunden vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Laufs.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Waldschäden haben sich in den vergangenen zwei Jahren mit beunruhigender Schnelligkeit ausgebreitet. Der fast unvorstellbare Gedanke einer Verödung unserer waldreichen Landschaften bedrückt uns sehr. Es steht für uns alle außer jeder Frage: Unsere Wälder, wie wir sie lieben mit ihren Tannen und Fichten, mit ihren Kiefern, Buchen und Eichen dürfen nicht verlorengehen. Es ist nicht allein eine Frage der Holzwirtschaft, des Naturhaushalts und des Klimas. Hier sind wir unmittelbar in unserem Lebensgefühl angesprochen, hier stehen wir vor einer der größten umweltpolitischen Herausforderungen unserer Zeit, zu erhalten, was zu retten ist, und zu erneuern, was wir in diesen Jahren verlieren. Kein vernünftiges Mittel dürfen wir zu diesem Zweck unversucht lassen. Wir brauchen eine mutige Vorwärtsstrategie zur Erhaltung unserer Wälder.
CDU und CSU und die Bundesregierung Kohl haben es dabei überhaupt nicht nötig, auf Anstöße durch die SPD und die GRÜNEN zu warten. Sie haben gleich nach der Regierungsübernahme entschlossen gehandelt. Ein großer Teil der im SPD-Antrag geforderten Punkte ist daher bereits erledigt.
— Wissen Sie von der SPD und von den GRÜNEN, vor allem Sie von der SPD, wenn Sie Ihren Antrag schon vor Jahren eingebracht und Ihr Notprogramm verwirklicht hätten, als Sie die Regierung
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436 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Mai 1983
Dr. Laufsstellten, hätten Sie heute unsere Hochachtung verdient.
Wenn Sie wenigstens die Große Anfrage der CDU/ CSU vom Mai 1982 zum Thema „Luftverunreinigung, saurer Regen und Waldsterben", in der alle hier zu beachtenden Fragen mit aller Ausführlichkeit und Dringlichkeit gestellt wurden, als die dramatische Entwicklung für jedermann sichtbar wurde, zum Anlaß umweltpolitischen Handelns genommen hätten, wir hätten wertvolle Zeit gewonnen.Es war aber der neuen Bundesregierung vorbehalten, Vorhaben der früheren Regierung, über die lange Zeit erfolglos gestritten worden war, endlich in die Tat umzusetzen. Ich erinnere an die Verabschiedung der Novelle zur TA Luft, die seit spätestens 1978 als vordringlich galt, und ich verweise auf die verabschiedete Großfeuerungsanlagenverordnung, die nun vom Bundesrat, auf Betreiben Baden-Württembergs und Bayerns übrigens, zum Gegenstand weiterer einschneidender Verschärfungen gemacht wurde.Der Bundesinnenminister hat ein Aktionsprogramm zur Luftreinhaltung erstellt, das als weiteren Schwerpunkt die Entgiftung der Kraftfahrzeugabgase enthält und große Anstrengungen vorsieht, um zu einer europaweiten Bekämpfung der Luftverschmutzung zu gelangen. Wir begrüßen ausdrücklich, daß die neue Bundesregierung die fällig gewordenen Maßnahmen im Rahmen unserer technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten beschleunigt durchsetzt. Zu diesem Zeitpunkt besteht überhaupt kein Anlaß zur Kritik.Wir sind davon überzeugt, daß Wissenschaft und Technik uns in die Lage versetzen werden, die entstandenen Umweltschäden wiedergutzumachen. Das Sterben der Bäume ist für uns kein Grund, den Tod der Industriegesellschaft auszurufen. Unser Ziel ist, die Produktionsmethoden zu verfeinern und umweltverträglich zu machen und dabei Wirtschaftswachstum und Umweltbelastung zu entkoppeln. Dazu brauchen wir modernste Technik.Es bleibt z. B. ein Rätsel, wie die Umweltpolitiker der SPD in ihrem Antrag lapidar behaupten können: „Ein Ausbau der Kernenergie ist kein Beitrag zur Rettung des Waldes." Hätten wir unsere Kernkraftwerke nicht, sondern an ihrer Stelle Steinkohlekraftwerke mit modernster Emissionsminderungstechnik, so hätten allein im vergangenen Jahr, 1982, bei 20% Kernkraftanteil an der gesamten Stromversorgung 160 000 t Schwefeldioxid, 130 000 t Stickoxide, 13 000 t Chlorwasserstoff und etwa gleich viel Staub unsere Umwelt zusätzlich belastet.Es kennzeichnet übrigens die Qualität des SPD-Antrages, daß er von den Überlebenschancen der erst in Zukunft gepflanzten Bäume spricht und im gleichen Atemzuge die Kernenergie wegen der bestehenden Planungsfristen verwirft. Meine Damen und Herren, diese Planungsfristen werden nicht mehr auf SPD-Parteitagen bestimmt!
Der Ausbau der Kernenergie wird auch und gerade wegen ihrer Umweltfreundlichkeit im Rahmen des Energieprogramms — und nicht, wie Sie, Herr Kollege Hauff, gesagt haben, zügellos — fortgesetzt und wird sich in den von Ihnen angesprochenen Zeiträumen sehr positiv auswirken.
Mit Technikfeindlichkeit dient man der Umwelt nicht, und fehlende Sachkenntnis erleichtert zwar die Meinungsbildung, dient aber der Umwelt auch nicht.
Der vorliegende SPD-Antrag empfiehlt die verstärkte Förderung von Forschungsvorhaben auf dem Gebiet des Waldsterbens. Dem stimmen wir nicht nur zu, sondern wir haben das auch bereits getan. Der Bundesforschungsminister Riesenhuber hat die Zahl der Forschungsvorhaben verdreifacht.
Er hat nahezu viermal soviel Mittel wie die SPD-geführte Bundesregierung im vergangenen Jahr zur Verfügung gestellt. Auch hier haben Sie die Wende noch nicht ganz kapiert.
Es ist eine bedrückende Erfahrung, daß der Fähigkeit der Natur, sich nach Verschmutzung und Zerstörung selbst wieder zu heilen, oft engere Grenzen gezogen sind, als wir nach ersten Beobachtungen anzunehmen geneigt sind. Es fehlen oft zuverlässige Aussagen der Wirkungsforschung. Die komplexen Abläufe des Waldsterbens, vor allem die Auswirkungen geringfügiger, aber in wechselnder Konzentration und Zusammensetzung ständig vorhandener Luftbelastungen, sind trotz großer Forschungsanstrengungen im einzelnen noch nicht bekannt. Alles deutet darauf hin, daß das gegenwärtige Waldsterben von mehreren Schadensursachen ausgeht, die ineinandergreifen. Es ist bei der verwirrenden Vielfalt der Einflußfaktoren nicht möglich, die unterschiedlichen Krankheitsbilder einer einzigen Ursache zuzuordnen.
— Hören Sie bitte zu!
Unumstritten scheint allerdings zu sein, daß den Luftverunreinigungen eine bedeutende Auslösefunktion bei großflächigen Erkrankungen zukommt. Es besteht die Vermutung, daß eine Kombi-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Mai 1983 437
Dr. Laufsnationswirkung von Schwefeldioxid, Stickoxiden und Photooxidantien besonders schädigend ist. Klimatische, biotische, standortbezogene und waldbauliche Faktoren sind ebenfalls von großer Bedeutung.
Welche Schlußfolgerungen kann der Umweltpolitiker aus dieser unsicheren Lagebeschreibung ziehen? Wenn Schwefeldioxid und Schwermetalle die Hauptursachen für Waldschäden sind, muß bei der Reinigung der Abgase der Feuerungsanlagen, insbesondere der Kohlekraftwerke, angesetzt werden.
Wenn aber Stickoxide und Photosmog die Waldkrankheit auslösen, so müssen vor allem die Kraftfahrzeugabgase entgiftet werden. Beide Vorsorgemaßnahmen sind mit hohen Kosten verbunden.Beide Maßnahmen werden das Problem auf keinen Fall kurzfristig und, wenn sie auf unser Land beschränkt bleiben, auch nicht annähernd lösen können. Es wäre unredlich, den Eindruck zu erwekken, als könnten die vorgeschlagenen Maßnahmen den gegenwärtigen Verlauf der Erkrankung in Kürze positiv beeinflussen und heute absterbende Bäume retten. Die Fristen zur Umstellung von Industrie und Verkehr werden auch bei größter Anstrengung viele Jahre betragen. Die Bereitschaft des Auslandes, aus dem z. B. die Hälfte der Schwefeldepositionen in unserem Lande stammen, zu einer progressiven Luftreinhaltepolitik entwickelt sich sehr zögerlich. Trotzdem werden wir beide Vorsorgemaßnahmen gleichzeitig und zügig in Angriff nehmen.
— Nein, nein; sofort. Wir sind j a auf dem Weg dazu. Wenn Sie das bitte zur Kenntnis nehmen wollten.Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie sich im EG-Umweltrat am 16. Juni mit großem Nachdruck für die Verabschiedung der EG-Richtlinie zur Luftreinhaltung sowie für die Einführung bleifreien Benzins in Europa und die drastische Herabsetzung der Grenzwerte für Kraftfahrzeugabgase einsetzt.
Der SPD-Antrag spricht mit großem Pessimismus davon, daß schnelle Entscheidungen jedenfalls den in Zukunft gepflanzten Bäumen eine Überlebenschance geben könnten. Wir meinen, daß es noch nicht zu spät ist, die Vitalität des heute noch weithin gesunden Waldes zu stärken.
Wir müssen leisten, was in unseren Kräften steht, damit sich die beschädigten Bestände soweit wie möglich erholen können.Der Rat der Sachverständigen für Umweltfragen hat im Zusammenhang mit der Luftreinhaltepolitik die Frage der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit diskutiert. Er empfiehlt, daß sich die getroffenen Vorsorgemaßnahmen auch dann noch rechtfertigen lassen müssen, wenn die heute im Vordergrund stehenden neuartigen Schadensphänomene später eine andere Erklärung finden sollten, als sie in der Öffentlichkeit vielfach als schon gesichert unterstellt sind.Die Immissionsschutzberichte der Bundesregierung weisen jährliche Milliardenschäden durch Luftschadstoffe an Gebäuden, Kunstdenkmälern und bei der landwirtschaftlichen Produktion aus. Gesundheitsschäden müssen vermutet werden. Die beschleunigte Einführung von emissionsmindernden Maßnahmen in der Kraftwirtschaft, in der Industrie und im Verkehr ist deshalb nicht unverhältnismäßig. Es versteht sich von selbst, daß die Kosten vom Verursacher getragen werden müssen.Die Frage nach den industriepolitischen Folgen, insbesondere für unsere heimische Steinkohle, werden wir mit allem Ernst erörtern müssen. Hier liegen die harten Probleme bei der praktischen Umsetzung unserer notwendigen Vorsorgepolitik.
Für einen staatlich eingeführten Waldpfennig und andere Sonderabgaben werden wir uns allerdings nicht erwärmen können. Wir begrüßen die von der Bundesregierung angeregte Einrichtung eines Hilfswerkes „Rettet den Wald" auf freiwilliger Basis.
Lassen Sie mich zum Schluß feststellen: Der Antrag der SPD-Fraktion gibt uns erneut Gelegenheit, die nach dem Regierungswechsel verstärkten umweltpolitischen Aktivitäten darzustellen. Er enthält keine neuen Gesichtspunkte. Seine Anliegen sind, soweit sie vernünftig sind, von der Bundesregierung schon zuvor energisch angepackt worden und dort in guten Händen. — Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hauff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der deutsche Wald stirbt. Mit ihm sterben nicht nur die Bäume, sondern es stirbt der Lebensraum für Pflanzen, für Tiere und für Menschen. Jetzt, wo der Wald stirbt, wo er von den Auswirkungen unserer Industriegesellschaft bedroht ist, regen sich bei vielen Menschen, für die Umweltschutz bisher eher eine Sache von Spinnern oder fortschrittsfeindlichen Menschen war, plötzlich Betroffenheit und Angst: ein Fluß kippt um, eine Landschaft wird zerstört, aber der Wald stirbt. Schon dieser sonst nur auf Menschen bezogene Begriff „sterben", die breite Diskus-
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Dr. Hauffsion und die Betroffenheit von dieser Art der Umweltverschmutzung zeigen, daß da mehr im Spiel ist als nur ein erwachtes Umweltbewußtsein.Der Präsident des Deutschen Forstwirtschaftsrates, wahrlich nicht einer Institution von Aussteigern, hat es vor wenigen Tagen auf die Formel gebracht: „Wenn der Wald stirbt, stirbt der Mensch." Die Verschmutzung der Luft, die die Ursache ist, verursacht viel Unheil: Asthma und Krebs beim Menschen, Sterben von Bäumen, von Pflanzen, von Tieren und enorme Schäden auch an Bauwerken.Diese Entwicklung — das ist neu — verschärft sich mit rasanter Geschwindigkeit. Von vielen Forstleuten wird von einer schlagartigen Zunahme der Erkrankungen berichtet; unsere Wälder sind erheblich betroffen. Mindestens 10 %, so sagen uns die Experten, maximal 30 % sind schon jetzt zum Sterben verurteilt. Sie sind nicht „im wesentlichen in Ordnung", Herr Laufs, sondern zwischen 10 % und 30 % sind bereits zum Sterben verurteilt. Der Bayerische Bauernverband sagt beispielsweise: „Das Waldsterben hat sich in Bayern in den letzten Monaten so dramatisch ausgebreitet, daß man von einer Umweltbedrohung ungeheuren Ausmaßes sprechen muß."Meine Damen und Herren, das Entscheidende ist: Diese Bedrohung ist keine Naturkatastrophe, sondern das ist eine Zerstörung der Natur durch den Menschen, eine Zerstörung, die eben nicht nur die Natur kaputt macht, sondern auch die Gesundheit von Menschen. Sie belastet die Volkswirtschaft mit gewaltigen Summen; es fehlt uns allen an frischer Luft. Eine Studie des amerikanischen Kongresses — für die Bundesrepublik gibt es keine Zahlen — schätzt, daß in den Vereinigten Staaten von Amerika — man muß sich das wirklich durch den Kopf gehen lassen — jährlich 51 000 Todesfälle von Menschen auf Schwefeldioxidemissionen zurückzuführen sind. Die Schäden der Forstwirtschaft der Bundesrepublik, in unserem eigenen Lande, werden von Experten auf etwa 1,5 Milliarden DM geschätzt. Die Schäden, die an Bauwerken, an historischen Denkmälern, an Brücken und an Stahlbauwerken entstehen, wurden vom Umweltbundesamt auf jährlich 3 Milliarden DM beziffert.
So, meine Damen und Herren, kann es nicht weitergehen. Es muß gehandelt werden, und zwar schnell. Denn wir haben zuviel Zeit verloren, weil wir alle — ich sage das deutlich und klar — das Problem unterschätzt haben.
— Wenn Sie bereit sind, zuzuhören, merken Sie, daßich das durchaus selbstkritisch sage, und zwar andie Adresse aller politisch Verantwortlichen in diesem Lande. Für Selbstzufriedenheit ist da überhaupt kein Anlaß!
Wir dürfen dem Problem jetzt nicht mehr ausweichen. Das ist ein Gebot sowohl ökonomischer als auch ökologischer Vernunft.Im übrigen ist das Waldsterben auch ein sehr gutes Beispiel dafür, wie unsinnig die Behauptung ist, Ökologie und Ökonomie seien sich ausschließende Prinzipien. Meine Damen und Herren, auf die Dauer ist nichts so teuer wie der Verzicht auf Umweltschutz, wie die rücksichtslose Zerstörung der Natur.
Wir alle müssen endlich wieder lernen, in Frieden mit der Natur zu leben. Oder lassen Sie es mich anders formulieren: Wer in der Lage ist, auf den Mond zu fliegen, muß in der Lage sein, den Wald unseren Kindern zu erhalten, und das geht auch.
Allerdings gehört dazu Mut zur Wahrheit. Vor zwei Wochen hat der Deutsche Forstwirtschaftsrat uns allen etwas ins Stammbuch geschrieben, das keinen von uns ruhig lassen kann. Er hat nämlich formuliert: Die bisher ergriffenen Maßnahmen — einschließlich all derjenigen, die Sie, Herr Laufs, erwähnt haben — reichen in keiner Weise aus.
Das ist die Einschätzung. So lautet das Urteil. Sie reichen in keiner Weise aus: ein hartes Urteil. Es trifft uns alle, die wir in den letzten Jahren politische Verantwortung getragen haben. Deswegen gibt es keinen Grund, hier in kleinkarierter Polemik zu machen oder ein Schwarzer-Peter-Spiel zu betreiben.
Wenn das so ist — Sie rufen: „So ist es!" —, um so unverständlicher ist und bleibt Ihre Entscheidung, Herr Bundesinnenminister, im Umweltschutz das zu verwässern, was die sozialliberale Koalition am 1. September letzten Jahres auf Vorschlag von Herrn Baum beschlossen hat.Ich nenne z. B. Ihren Vorschlag zur Großfeuerungsanlagen-Verordnung.
Wir haben Sie deswegen kritisiert, vor allem wegen der langen Übergangsfristen für Altanlagen und wegen der zahlreichen Schlupflöcher, die Sie neu in die Verordnung eingeführt haben.
Wir haben gesagt: Wenn es erst 1993 zur Entschwefelung kommt, dann ist der Wald tot, dann kommt jede Hilfe zu spät.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Mai 1983 439
Dr. HauffSie, Herr Zimmermann, haben das alles zunächst für falsch gehalten. Noch Ende Februar hielten Sie stur an Ihrem Entwurf fest und behaupteten, ein Mehr würde aber zur Zeit „zuviel des Guten" sein, so Zimmermann wörtlich im Februar.
Sie haben eine Politik nach dem Motto gemacht: Tue möglichst wenig, aber sprich möglichst ausführlich darüber.
Unser heutiger Antrag ist notwendig, weil die Bundesregierung es an dem politischen Willen fehlen läßt, das Waldsterben wirklich zu bekämpfen.
Die Großfeuerungsanlagenverordnung ist ein beschämendes Beispiel für eine von der Bundesregierung vertane Chance, tatsächlich alles technisch Mögliche zur Luftreinhaltung zu tun.
Es waren doch Ihre eigenen Parteifreunde, die den Entwurf der Bundesregierung im Bundesrat kritisiert haben, die in 26 Punkten Veränderungen, Verschärfungen durchgesetzt haben; denn es hat nicht ausgereicht, was der Herr Zimmermann vorgelegt hat. Das ist die Wahrheit.
Aber auch diese Meinungsbildung im Bundesrat hat den Bundesinnenminister überhaupt nicht beeindruckt, und wie immer war er auch um Worte nicht verlegen. Nachdem er im Februar gesagt hat, ein Mehr sei ein zuviel des Guten, hört sich das bei ihm folgendermaßen an — nach der Entscheidung im Bundesrat —:Der Bundesinnenminister als Umweltminister hat mit den Änderungen, die der Bundesrat beschlossen hat, überhaupt keine Probleme.Nur: Herr Bundesinnenminister, das ist doch Wortgeklingel. Wir wollen jetzt endlich wissen: Was ist richtig? Das, was Sie im Februar gesagt haben, oder das, was der Bundesrat jetzt beschlossen hat?
Was ist Ihre Position?
Werden Sie im Kabinett für die Veränderungen eintreten, oder werden Sie Herrn Lambsdorff zustimmen, der sagt, das alles sei viel zu weitgehend? — Nein, meine Damen und Herren, die Lage ist ernst.Da ist kein Platz für Ausflüchte, für Taktik und für leere Worte.
Wir brauchen Entscheidungen, wir brauchen Lösungen, wir brauchen ganz konkrete Maßnahmen.Weil die bisherigen Maßnahmen, wie die Forstleute sagen, bei weitem nicht ausreichen, brauchen wir neue Lösungen. Bei der Suche nach neuen Lösungen sind einige Schlaumeier auf den Gedanken verfallen, man sollte einfach schadstoffresistente Bäume züchten, denn dann sei das Problem im wesentlichen gelöst.
Das ist dann die schöne neue Welt unseres Forschungsministers Riesenhuber, die er anstreben will.
Wir Sozialdemokraten sind uns da einig mit der Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft, die dazu gesagt hat — ich darf mit Genehmigung des Präsidenten zitieren —:Die Resistenzforschung muß zur Lösung des Problems abgelehnt werden. Bei so drastischen Umweltveränderungen laufen Lösungsansätze über eine Resistenzforschung nur darauf hinaus, daß eines Tages ein resistenter Mensch gezüchtet werden muß.
Soweit die Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft. — Nein, ein Herumbasteln an den Symptomen genügt nicht. Wir müssen die Ursachen beseitigen.
Wir dürfen nicht davon ausgehen, das Problem sei mit Resistenzforschung zu lösen.
Zu den vielfachen Ursachen des Waldsterbens müssen wir sicher sagen, daß diese im einzelnen noch nicht zweifelsfrei erforscht sind.
Aber nach Ansicht der überwiegenden Zahl der Fachleute steht heute fest, daß Luftverunreinigungen — vor allem durch Schwefeldioxid und Stickoxid, durch aus diesen Stoffen mittels Sonneneinwirkung entstehende neue Stoffe und durch Schwermetalle, die über die Luft emittiert werden — dabei eine ganz entscheidende Rolle spielen. Diese Belastungen stammen zum überwiegenden Teil aus Kraftwerken, aus dem Verkehr, aus der Industrie und — zum geringeren Teil — aus Haushalten.In all diesen Fällen handelt es sich um Prozesse zur Umwandlung von Energie, vor allem in Kraftwerken, im Verkehr und in der Industrie. Deswegen kommt bei der Bekämpfung des Waldsterbens einer veränderten Energiepolitik eine ganz entscheidende Bedeutung zu. Sparsame und rationelle
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440 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Mai 1983
Dr. HauffEnergieverwendung, verstärkter Einsatz von Wärmekraftkopplung, Ausbau der Fernwärme und regenerative Energiequellen sind dafür die wichtigsten Stichworte. Den Dreck, der gar nicht entsteht, braucht man auch nicht zu beseitigen. Das ist das Entscheidende, wenn wir über die Energiepolitik nachdenken.Gleichzeitig müssen wir die Schadstoffbelastung verringern: in Kraftwerken, im Verkehr und in der Industrie —, und auf allen diesen Gebieten müssen wir gleichzeitig ansetzen. Wir dürfen nicht mit Gegenmaßnahmen warten, bis alle Fragen wissenschaftlich abschließend geklärt sind. Das geht nicht.
Forschungslücken sind kein Grund, die Hände in den Schoß zu legen. Wir müssen die Forschung intensivieren — da sind wir uns offensichtlich einig —, und wir müssen gleichzeitig die Vorschriften verschärfen.Wir haben unsere Vorstellungen im vorliegenden Notprogramm im einzelnen zusammengestellt. Unser Maßstab war: Das, was heute technisch möglich ist, muß so rasch wie möglich verwirklicht werden, um die Katastrophe abzuwenden.Aus diesem Notprogramm möchte ich drei besonders kontroverse Punkte herausgreifen,
die zum Teil auch der Kollege Laufs angesprochen hat.Das erste: Immer wieder hört man den Einwand, der Wald könnte am besten geschützt werden, wenn Kohlekraftwerke — so auch Sie heute morgen — durch Kernkraftwerke ersetzt würden. Das ist falsch, und zwar — bitte hören Sie genau zu — unabhängig von der Frage, wie die Grundeinstellung zur Kernenergie aussieht, unabhängig davon, ob man grundsätzlich eher ja oder eher nein zur Kernenergie sagt.Abgesehen davon, daß der Zubau weiterer Kernkraftwerke — wir reden ja von heute — in den nächsten zehn Jahren — das ist der Planungs- und Bauzeitraum — keine Senkung der Emissionen aus Kohlekraftwerken bewirkt, könnten auch langfristig — wenn man sagt: gut, in den nächsten zehn Jahren nicht — die Emissionen aus Kohlekraftwerken durch Kernkraftwerke nur in bescheidenem Maße gesenkt werden. Denn es geht nur — und dieser Diskussion müssen Sie sich stellen —, wenn Kernenergie die Braunkohle aus der Grundlast und die Steinkohle aus der Mittellast verdrängt. Als Kosten für eine solche Strategie werden von den Experten etwa 200 Milliarden DM genannt. Das ist doch absurd. Auf jeden Fall aber würden die Entlastungen erst in der zweiten Hälfte der 90er Jahre wirksam werden, und dann ist es zu spät, dann ist der Wald tot.Nein, wir brauchen die Entschwefelung der Kohlekraftwerke jetzt, damit die deutsche Kohle in denKraftwerken auch langfristig eingesetzt werden kann.
Der Jahrhundertvertrag zum Kohleeinsatz in Kraftwerken darf nicht angetastet werden.Die Kosten der Entschwefelung aller Kohlekraftwerke in unserem Lande sind hoch. Man muß für die Finanzierung neue Möglichkeiten suchen und darf sie nicht nur auf ein Bundesland abwälzen. Aber die Finanzierung darf uns auch nicht schrekken, denn sie liegt nach Auffassung der Experten in derselben Größenordnung wie der Bau eines einzigen Kernkraftwerks.
Wer das Waldsterben benutzt, um die Kernenergie durchzusetzen — was ich und wir nie getan haben —, der streut der Öffentlichkeit Sand in die Augen.
Der zweite Punkt ist das Schwefelabgabengesetz des Landes Hessen. Der Grundgedanke dieses Gesetzes ist es, die Luftverschmutzer finanziell so zu belasten, daß die Nichtanwendung vorhandener, verfügbarer umweltfreundlicher Luftreinhaltetechniken unwirtschaftlich wird. Das ist doch ein einfacher und klarer Gedanke: Wer den Dreck macht, soll auch bezahlen. Ich verstehe nicht, warum Sie, warum insbesondere die Bundesregierung dieses Gesetz ablehnen. Es entspricht doch den Aussagen der Union.Ich möchte dafür einen einzigen Zeugen zitieren, den Generalsekretär der Union, der CDU, nicht den anderen Generalsekretär, nicht also den, der für Sie, Herr Zimmermann, zuständig ist. Herr Geißler hat im August letzten Jahres folgendes ausgeführt:Die Belastung der Umwelt muß teurer werden. Der Preis für die Belastung der Umwelt war bisher zu billig. Je höher der Preis ist für die Belastung der Umwelt, desto lohnender ist die Erfindung und Anwendung umweltschonender Technologien. Der Staat muß die Anreizeffekte so setzen, daß sich die menschliche Erfindungskraft zugunsten der Umwelt auswirkt.
Ich sage, daß das richtig ist. Aber dann sollten Sie endlich dem Schwefelabgabengesetz zustimmen, weil das genau diesen Gedanken verwirklicht.
Der dritte Punkt betrifft die internationale Zusammenarbeit, vor allem innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Wir brauchen diese Zusammenarbeit in der Gemeinschaft und in Europa.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Mai 1983 441
Dr. HauffDarin stimmen wir überein. Nur muß der, der das will, auch etwas tun.Sie, Herr Zimmermann, haben in der Zeit der deutschen Präsidentschaft innerhalb der Gemeinschaft die Chance dazu gehabt, etwas gegen das Waldsterben zu tun, aber Sie haben diese Chance nicht genutzt. Zur Zeit der deutschen Präsidentschaft hat sich nichts verbessert, was diese Fragen angeht, obwohl Sie auch hier wie auf vielen anderen Gebieten viel angekündigt haben.Bei aller Notwendigkeit, so viel internationale Zusammenarbeit wie irgend möglich zu organisieren, muß eines klar sein. Dort, wo wir auf unüberwindliche Hindernisse stoßen, darf dies kein Alibi für Nichtstun sein. Wir dürfen uns zur Abwehr einer Katastrophe nicht hinter der Europäischen Gemeinschaft verstecken. Es steht einem Land wie der Bundesrepublik gut an, auch einmal Vorreiter zu sein, möglichst zusammen mit vielen anderen Ländern, wenn das geht, beispielsweise bei der Senkung der Schadstoffe in den Abgasen der Autos.
Die Fraktionsvorsitzenden der Landtagsfraktionen aus der CDU und CSU haben vor kurzem in Konstanz eine Entscheidung gefaßt, die noch sehr, sehr viel weiterging.
— Hören Sie es sich doch einmal in Ruhe an, was Ihre eigenen Parteifreunde beschlossen haben! Sie haben gesagt: „Die Abgasgrenzwerte der Automobile müssen drastisch gesenkt werden, notfalls im nationalen Alleingang."
— Sie sagen „richtig". Zur FDP kann ich sagen, daß Herr Morlock wörtlich das gleiche gefordert hat. Nur lehnt der Bundesinnenminister das ab. Wir teilen die Auffassung, daß notfalls, wenn wirklich nichts anderes geht, auch dieser Weg beschritten werden muß. Was in den Vereinigten Staaten von Amerika und in Japan zum Schutz der Umwelt möglich ist, muß auch bei uns verwirklicht werden.
Wenn es bis Ende 1983 nicht zu einem Beschluß in der Gemeinschaft kommt, muß nach unserer Auffassung die Bundesrepublik Deutschland die Rolle eines Vorreiters übernehmen.
Bei alledem dürfen wir nicht vergessen, daß der Bau von umweltfreundlichen Autos, daß der Bau von Entschwefelungsanlagen, von Filteranlagen auch dazu führen wird, daß unsere Industrie auf diesen Gebieten leistungsfähig und wettbewerbsfähig wird. Diese Art von Industrie — man hat sie auch Öko-Industrie genannt — ist eine Zukunftsindustrie, und deswegen müssen wir versuchen, die Nase wirklich vorn zu haben. Das sind zukunftssichere Arbeitsplätze, und es sind Wachstumsfelder.Es ist richtig, wenn gesagt wird: Es gibt für uns in der Bundesrepublik keine Alternative zur Industriegesellschaft. Es ist auch richtig, wenn in der Regierungserklärung gesagt wird: Es gibt Alternativen in der Industriegesellschaft.
Nur darf man von diesen Alternativen nicht nur reden, sondern man muß auch etwas dafür tun, daß sie verwirklicht werden, daß sie sich auch durchsetzen, und zwar auch gegen Widerstände, auch gegen den Bundesverband der Deutschen Industrie, und zwar, um es noch einmal zu sagen, sowohl aus ökonomischen als auch aus ökologischen Gründen.
Sie, meine Damen und Herren von der CDU, sprechen mit Vorliebe sehr intensiv und sehr gern immer wieder — ich finde, im Prinzip auch mit Recht — von unseren Pflichten gegenüber der nachfolgenden Generation. Meine Bitte, meine Aufforderung an Sie ist: Nehmen Sie doch Ihre eigenen Ansprüche ernst, und tun Sie etwas, damit unseren Kindern und Enkeln eine lebendige Umwelt erhalten bleibt! Wir Sozialdemokraten sind bereit, auch Maßnahmen mitzutragen, die uns zunächst unpopulär erscheinen, von deren Notwendigkeit wir aber überzeugt sind.
Sie müssen sich jetzt entscheiden, ob Sie zu den großen Worten bezüglich der Verantwortung vor den kommenden Generationen, die Sie immer wieder gebrauchen, wirklich stehen und bereit sind, mit uns zusammen auch Unpopuläres durchzusetzen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zuerst ein paar Sätze über die Auffindung der verschwundenen Seveso-Giftfässer sagen.
Bereits in den letzten Wochen hatten sich die Hinweise verdichtet, daß die in Frankreich verschwundenen Fässer — die Spur verlor sich bei St. Quentin — nicht über die Grenze in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sind, sondern in Frankreich illegal deponiert worden sind.
Das Bundesinnenministerium hat in Zusammenarbeit mit den Bundesländern, den Grenzstellen und allen in Frage kommenden privaten Firmen nach intensiven Nachforschungen zweifelsfrei festgestellt, daß es keinerlei Hinweise für eine Lagerung der Fässer in der Bundesrepublik Deutschland
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442 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Mai 1983
Bundesminister Dr. Zimmermanngab und auch ein Transit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen war.Dessenungeachtet haben wir alle Anstrengungen unternommen, um die Kontrolle von Gifttransporten vorsorglich noch weiter zu verschärfen, obwohl der Vorsprung der Bundesrepublik Deutschland auf diesem Gebiet international ohnehin beträchtlich ist.Gleichzeitig haben wir alle Möglichkeiten auf nationaler und internationaler Ebene genutzt, um den Verbleib der Fässer aufzuklären. Es war stets meine Auffassung, daß giftige Stoffe in dieser Größenordnung in Westeuropa nicht einfach spurlos verschwinden dürfen.Unser Bemühen um Aufklärung ist dankenswerterweise auch von den betroffenen Firmen Hoffmann-La Roche und der deutschen Mannesmann unterstützt worden, wobei Mannesmann seinen Einfluß auf die italienische Tochterfirma Mannesmann Italiana geltend gemacht hat.Die konkreten Hinweise auf den illegalen Lagerort der Dioxin-Fässer im französischen Anguilcourt haben gestern nachmittag die Regierung Frankreichs mit Recht alarmiert. Die endgültige Beseitigung ist nun eine organisatorisch-technische Frage; ein Problem, das Frankreich sicher in rascher Zusammenarbeit — auch nach den Angeboten der Regierung der Schweiz und der betroffenen Firmen — lösen wird.Meine Damen und Herren, zum eigentlichen Thema: Bei einer Waldzustandsermittlung im Sommer letzten Jahres haben wir festgestellt, daß 8 % der Waldbestände in Deutschland mehr oder weniger stark geschädigt sind. In diesem Sommer — darüber gibt es jetzt schon keinen Zweifel — wird eine neue Erhebung die Zahlenwerte mit Sicherheit deutlich ansteigend registrieren müssen.
Das ist eine dramatische Entwicklung. Sie vollzieht sich in allen Teilen der Bundesrepublik mit einer explosionsartigen Geschwindigkeit. Ich habe mir selbst an vielen Stellen vor Ort von den zuständigen Forstleuten sagen lassen, daß in diesem und jenem Waldbestand vor neun Monaten überhaupt noch keine Schäden feststellbar waren, aber auf einmal traten sie wie eine Explosion auf.
Das heißt, das Waldsterben ist in diesem Ausmaß, in dem es heute registriert wird, erst seit sehr kurzer Zeit feststellbar.
— Ich sagte: In dieser explosionsartigen Ausbreitung ist es erst in den letzten 24 Monaten feststellbar.
— Ich bin erst sieben Monate im Amt; machen Sie mich also nicht für die letzten 30 Jahre verantwortlich.
Auch das im März übergebene Gutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen über „Waldschäden und Luftverunreinigungen" vermag immer noch keine eindeutige Ursachenzuweisung vorzunehmen. Alle Erklärungsversuche deuten jedoch darauf hin, daß der Luftverunreinigung eine maßgebliche Rolle zukommt. Wer die Wälder aus dem Hubschrauber betrachtet, sieht, daß besonders die Randpartien und die herausragenden Bäume betroffen sind. Wir haben gestern in der Ministerpräsidentenkonferenz an einer Reihe von Beispielen gesehen, daß die Einwirkung der Emissionen außerordentlich stark von der Windrichtung abhängt. Je nachdem, woher im wahrsten Sinne des Wortes der Wind weht, steigen die Werte bis zum Hundertfachen an. Damit möchte ich an dieser Stelle keinerlei geographische Schuldzuweisung vornehmen. Die Aussagen, die wir bisher von der Wissenschaft haben, reichen der Bundesregierung aus, um ungeachtet der Notwendigkeit der weiteren Erforschung der Ursachen und Zusammenhänge vorsorglich und schnell zu handeln. Und wir haben das durch die Novellierung der TA Luft und der Großfeuerungsanlagen-Verordnung bewiesen.
Die heutige Opposition — und das, was Herr Hauff gesagt hat, war meiner Meinung nach von einer beträchtlichen Unverfrorenheit —
hätte ausreichend und lange Gelegenheit gehabt, die beiden genannten grundlegenden Vorschriften auf den Weg zu bringen. Das hat die frühere Regierung nicht vermocht. Die Widerstände, die vor allem Nordrhein-Westfalen hatte, konnten nicht ausgeräumt werden. Bei der lezten Umweltministerkonferenz habe ich von NRW ungeheure Töne gehört — das war noch vor den Wahlen —, was da alles an Verschärfung gemacht werden müsse. Was man dann allerdings bei den Beratungen im Bundesrat gehört hat, war weniger deutlich.
Da haben andere Länder, nämlich Baden-Württemberg und Bayern, eine viel klarere Position bezogen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hauff?
Ja. Vizepräsident Stücklen: Bitte sehr.
Herr Bundesminister, wollen Sie ernsthaft bestreiten, daß Ihr Entwurf gegenüber dem Entwurf und den Vorschlägen, die der Kollege
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Mai 1983 443
Dr. HauffBaum im Bundeskabinett vorgelegt hat, in mindestens vier entscheidenden Punkten zu einer Verwässerung geführt hat, nämlich bei den Grenzwerten für Stickoxide, bei den Ausnahmeregelungen, bei der Aufsplitterung von Anlagen und bei der Strafandrohung?
Herr Kollege Hauff, Sie gehören zu den ungeduldigen jungen Leuten.
Ich komme doch noch auf die Großfeuerungsanlagen-Verordnung. Zu jedem einzelnen Punkt gebe ich Ihnen Auskunft.
— Ich setze da sehr großzügige Maßstäbe an, Herr Duve. Für mich sind 40jährige noch junge Leute.Jetzt, nach 13 Jahren Regierung, legt die damals führende Regierungspartei ein Notprogramm gegen das Waldsterben vor. Diese Bundesregierung bedarf dazu keines Ansporns. Ich nenne in Stichworten, was in den sieben, acht Monaten unserer Regierungszeit geschehen ist: die Novellierung des wichtigen Teils III der TA Luft — das ist eine Forderung; die Arbeiten sind längst im Innenministerium angelaufen —, Herabsetzung der Kfz-Emissionen im Rahmen der EG — das ist einer der wichtigsten Punkte des Umweltministerrats am 16. Juni dieses Jahres unter meinem Vorsitz in Luxemburg —, bleifreies Benzin — auch das ist einer der wichtigsten Punkte am 16. Juni. Bei mir war die Mineralölindustrie, bei mir war die Automobilindustrie, alle durch ihre Vorstandsvorsitzenden vertreten. Beides ist technisch möglich. Nur, die Vereinigten Staaten von Amerika sind ein Kontinent mit einem Minimum an grenzüberschreitendem Verkehr. Japan ist eine Insel. Und die Bundesrepublik Deutschland ist ein Durchgangsland in Europa.
Wollen Sie eigentlich den Leuten, wenn bleifreies Benzin eingeführt ist und Katalysatoren eingebaut sind, während das rundum nicht geschieht, sagen, daß sie ihr Auto am Brenner stehenlassen und von dort aus zu Fuß nach Italien gehen sollen? Oder wie stellen Sie sich das vor?
Das ist dann nur etwas für die reichen Leute, die das eine Auto an der Grenze stehenlassen und mit einem anderen weiterfahren können. Ist das Ihre Klientel?
Mein Gott, sowas von Weltfremdheit, wie hier zum Ausdruck gekommen ist, habe ich selten gehört.
Wir haben doch ermutigende Zeichen. Großbritannien hat eine Königliche Kommission eingesetzt, und die kam zu dem Schluß, der Regierung das zu empfehlen. Und die Regierung macht mit. Wenn wir außer Großbritannien und der Bundesrepublik Deutschland am 16. Juni noch einen weiteren wichtigen Partner — das muß aber einer von den großen sein — finden, fangen wir sofort an. Nur ganz alleine geht es nicht. Ich wäre gespannt, was die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland, als Touristenland Nr. 1 weltweit ausgewiesen, sagen würde, wenn Sie ihr zumuteten, ab den Grenzstationen zu Fuß zu gehen oder vom Auto auf die Eisenbahn umzusteigen. Also so einfach geht das nicht, und so schnell natürlich auch nicht.
Viertens. Abfallbeseitigungsgesetz: Noch im Sommer wird eine Novelle vorgelegt.Fünftens. Verabschiedung der Grundsatzrichtlinie Luftreinhaltung in Brüssel: Ich hoffe, daß sie in diesem halben Jahr unserer EG-Präsidentschaft verabschiedet werden kann. Die Zeichen sehen gut aus.ECE-Konvention: Bei der Sitzung am 7. bis 10. Juni in Genf wird der deutsche Standpunkt — Emissionsbegrenzung an der Quelle — mit Nachdruck vertreten werden.Jeder, der Europa kennt, weiß, daß dort nichts von heute auf morgen geht, sondern daß das alles ein langer und manchmal quälender Prozeß ist. Aber über eines gibt es keine Zweifel.
In all diesen Punkten ist die Bundesrepublik Deutschland die treibende Kraft.
Herr Schily, Ihnen sage ich nur einen Satz. Wer einen Antrag vorlegt in dem sich die Formulierung findet:Atomtechnische Anlagen sind unverzüglich stillzulegen, da sie wegen ihrer geringen Bedeutung für die Energieversorgung keinen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung des Waldsterbens leisten können,und wer auf der darauf folgenden Seite die schrittweise Stillegung von hundert Kohle- und Ölkraftwerken verlangt, der hat jedes Recht, ernst genommen zu werden, verwirkt. Jedes!
Damit bleiben in dem gesamten Antrag der Opposition — von den GRÜNEN gar nicht zu reden — nur einige wenige plakative Thesen übrig, die in der vorliegenden Form weder haltbar noch durchführbar sind.
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444 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Mai 1983
Bundesminister Dr. ZimmermannBei der Großfeuerungsanlagen-Verordnung hatte ich nur folgende Alternative: Entweder sie so schnell wie möglich ins Kabinett zu bringen oder, wie vorher, in einem jahrelangen Prozeß mit Ländern, Verbänden und anderen zu versuchen, sie so oder so zu verändern. Ich habe mich für das erste entschieden. Es hat sich gezeigt, daß ich richtig gehandelt habe. Denn die Verabschiedung im Kabinett erfolgte rasch. Ich erklärte, daß wir allen weiteren Vorschlägen gegenüber aufgeschlossen seien. Es sind ganz wichtige, entscheidende Vorschläge zur Veränderung — ich sage: Verbesserung — von der Mehrheit des Bundesrats gekommen. Ich, der Bundesinnenminister, kann jede dieser Verbesserungen und Verschärfungen — das ist ein großes Wort, das ich da sage; nicht alle Länder, vor allem nicht SPD-regierte Länder, werden damit einverstanden sein; das hat sich gestern in der Ministerpräsidentenkonferenz gezeigt — mitmachen. Ob auch Sie dann mitmachen werden, werden wir j a sehen. Ich bin ziemlich sicher, daß ich sie auch in dieser Form durch das Bundeskabinett bekomme.
Und jetzt sage ich Ihnen noch etwas: Erstmals sind die Emissionswerte für Staubausstoß in meiner Vorlage verschärft worden. Erstmals wurde eine Verpflichtung zur Entschwefelung unterhalb von 400 MW vorgesehen. Erstmals wurde ein Endtermin für die Stillegung alter Anlagen in meinem Entwurf genannt, während in dem bis damals vorliegenden Entwurf überhaupt kein Termin für das Auslaufen der alten Anlagen vorhanden war, sondern sie auf unbestimmte Zeit weitergelaufen wären.Bund und Länder haben gestern in der Ministerpräsidentenkonferenz eine einstimmige Entschließung zum Waldsterben gefaßt, eine außerordentlich weitgehende. Ich glaube, wir befinden uns hier auf einem guten Weg der Zusammenarbeit mit dem Bundesrat, mit seiner Arbeit in den letzten Wochen zu dieser Verordnung. Ich bin ihm dankbar dafür.Jetzt schlagen Sie eine Novellierung des BundesImmissionsschutzgesetzes vor, um angeblich ernst zu nehmende Zweifel hinsichtlich der Großfeuerungsanlagen-Verordnung auszuräumen und ein sich abzeichnendes Prozeßrisiko zu beseitigen. Mein Ziel ist das baldige Inkrafttreten der Großfeuerungsanlagen-Verordnung in der Fassung des Bundesrats, damit sie möglichst schnell ihre Wirkung entfalten kann. Zweifel hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Verordnung bestehen jetzt nicht mehr. Das Prozeßrisiko hält sich jetzt, nachdem die vom Bundesrat beschlossenen Änderungsvorschläge deutlich hinter manchen Ausschußempfehlungen zurückgeblieben sind, in normalen Grenzen. Sonst wäre es möglicherweise beträchtlich gewesen. Ich sehe daher zur Zeit keine Veranlassung zu einer Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes.Gleichzeitig erhebt die SPD die Forderung, nach dem Beispiel des von der hessischen Landesregierung im Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurfs den Entwurf eines Schwefelabgabegesetzes vorzulegen.Der Bundeskanzler hat in der Regierungserklärung deutlich gemacht, daß der verstärkte und konsequente Einsatz marktwirtschaftlich wirkender Instrumente ein Schwerpunkt unserer zukünftigen umweltpolitischen Überlegungen sein muß. Unter diesem Gesichtspunkt haben wir die Sanierungsklausel der TA Luft verbessert. Die Möglichkeiten für einen Ausbau dieser flexiblen Konzeption werden wir nicht nur für den Bereich der Luftreinhaltung prüfen. Wir werden alle ernst zu nehmenden Vorschläge auf ihre Verwirklichbarkeit prüfen. Zu weitgehende modelltheoretische Überlegungen, wie sie in Teilen der Wissenschaft noch vorherrschen, helfen uns allerdings nicht weiter. Wir müssen uns auf die Lösung der wesentlichen Probleme konzentrieren. Wir müssen jetzt das Machbare tun und das Mögliche vorbereiten. Nach dieser Maxime richten wir unsere Umweltpolitik aus.
Ein Wort zum Waldpfennig. Die vorige Bundesregierung ist nicht müde geworden, bei jeder Gelegenheit auf das Verursacherprinzip als eine der tragenden Säulen der Umweltpolitik hinzuweisen. Diesem Prinzip stimme ich zu. Es muß jedoch auch dann angewandt werden, wenn von einem Verursacher erhebliche Aufwendungen verlangt werden, wie dies bei der Großfeuerungsanlagen-Verordnung in der Tat der Fall ist. Es bedeutet eine ungeheure Kraftanstrengung für die Betreiber, für die deutsche Kraftwerkwirtschaft, was dort verlangt wird. Es darf nun, wie ich finde, unter dem wohlklingenden Namen „Waldpfennig" nicht eine Abgabe von jedem Bürger erhoben werden, die letztlich nur den Großverursachern zugute kommen würde. Wieso denn? Im übrigen ist bei mir niemand von der deutschen Wirtschaft in dieser Frage vorstellig geworden. Von dem Bürokratieaufwand, der mit einer solchen Abgabe erneut verbunden wäre, will ich gar nicht erst reden. Wir brauchen keine neuen Bürokratien. Wir brauchen wirksames Handeln, Kooperation der Wirtschaft, neue Erkenntnisse der Forschung und Unterstützung unserer Bevölkerung. Das ist das, was wir brauchen.
In diesem Sinn betrachte ich auch die heutige Debatte als einen Schritt auf dem richtigen Weg. Ich glaube, daß wir alle das Beste wollen.
Davon bin ich wirklich überzeugt. Wenn Sie mich bei meinem Bemühen um einen wirksamen Umweltschutz unterstützen, wenn mich darin auch die Opposition unterstützen würde, würde ich mich darüber freuen, denn dem Umweltschutz kann dies nur guttun.
Das Wort hat der Herr Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte gern für Bundesländer, speziell für BadenWürttemberg, einige Anmerkungen zu diesem
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Mai 1983 445
Ministerpräsident SpäthThema machen. Zunächst möchte ich dem Herrn Bundesinnenminister widersprechen. Er sagte vorhin im Blick auf den Kollegen Hauff, dieser sei ein ungeduldiger junger Mann. Diesen Eindruck hatten wir während der Zeit nicht, in der er Verantwortung für dieses Thema trug, zu dem er heute hier gesprochen hat.
Ich muß ihm aber bestätigen: Er ist lernfähig.
— Das ist richtig. Wir sind alle lernfähig. Sie sind es aber in besonderer Weise. Sie haben nämlich besonderen Grund dazu. Wer bei der Lösung eines Problems 13 Jahre lang geschlafen hat, muß anschließend schon ein Notprogramm vorlegen, wenn er nicht mehr die Verantwortung trägt.
Dieses Notprogramm ist zwar ein Versuch — —
— Das ist richtig. Herr Hauff, mir kommt das Ganze, was Sie hier machen, so vor — ich verdeutliche es mit einem schwäbischen Spruch, der sicher auch für andere ganz interessant ist; ich sage es nachher in Hochdeutsch —: Es wirft jemand die Oma die Treppe hinunter und ruft ihr nach: Oma, warum hast du es denn so eilig?
Das kann man auch ins Hochdeutsche übersetzen. Es heißt nämlich: Zunächst einmal wird ein Problem vernachlässigt — —
— Ich komme gleich darauf, Herr Kollege Hauff. Ich weiß gar nicht, warum derjenige, der zuständig ist, dann, wenn er nicht mehr zuständig ist, dauernd die anderen fragt, was ihre Initiativen gewesen seien.
Fangen wir einmal mit Ihren nachträglichen Entdeckungen an. Ich will jetzt gar nicht mehr davon reden, daß Sie nichts getan haben. In Ihrem Notprogramm stehen eine Reihe von Gemeinplätzen. Denen kann ich zustimmen, aber das sagt nichts. Weiter stehen eine Reihe von Dingen darin, die wir eigentlich schon erreicht haben. Schließlich stehen darin Forderungen, mit denen wir übereinstimmen, wo wir aber jetzt erst einmal festlegen müssen, wie das ganz konkret weitergeht.
Fangen wir einmal bei der Frage der europäischen Initiativen an. Ich finde es interessant, wenn ein Bundesinnenminister dieses Thema zum erstenmal sofort auf die europäische Tagesordnung bringt.
— Sie können uns nachher vielleicht erklären, wie das dann weitergegangen ist. — Auf dem Stuttgarter Treffen wird das Thema Waldsterben und Luftreinhaltung ja Gegenstand der Beratung auf höchster europäischer Ebene sein. Sie hätten doch sicher nicht zu warten brauchen, bis Sie die Präsidentschaft gehabt hätten. Vielmehr hätten Sie 13 Jahre lang in Europa Druck ausüben können.
— Ich glaube j a, daß Sie 1981 etwas getan haben. Aber das reichte eben nicht aus, wie Sie selber in Ihrem Notprogramm feststellen.
Während Sie viel darüber geredet haben, werden wir es jetzt tun. Wir wollen Ihnen klarmachen, wie wir das systematisch machen.
— Ich weiß gar nicht, warum Sie so aufgeregt sind. Bei uns in Baden-Württemberg — —
Herr Ministerpräsident, ich muß Sie einen Augenblick unterbrechen. Ich bitte herzlich darum, durch Zwischenrufe nicht so zu stören. Wir haben Mikrophone. Eine Zwischenfrage klärt manches viel besser als diese häufigen Zwischenrufe.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vielen Dank, Herr Präsident. Für mich ist das ein ganz interessanter Lernprozeß. Wir hören uns im Landtag von Baden-Württemberg noch gegenseitig zu.Ich will im einzelnen zu der Frage kommen: Was ist geschehen, und was muß jetzt geschehen? Fangen wir bei der TA Luft an. Sie können über die TA Luft streiten, aber die neue Bundesregierung hat sie jetzt erst einmal vorgelegt, und wir haben eine erste Entscheidung getroffen.Das zweite ist die Großfeuerungsanlagen-Verordnung. Sie können darüber streiten, welche Werte im Zusammenhang mit der Großfeuerungsanlagen-Verordnung erforderlich sind. Aber Tatsache ist, daß die neue Bundesregierung, kaum in der Verantwortung, dieses Thema jetzt auf den Tisch gelegt, ihre Vorschläge gemacht und den Ländern die Möglichkeit gegeben hat, — —
— Entschuldigung, hätten Sie sie nicht so lange in der Schublade gelassen, hätte die neue Regierung sie nicht herausnehmen müssen.
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446 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Mai 1983
Ministerpräsident Späth
Ich kann ja nichts dafür, daß Sie das Zeug so lange haben herumliegen lassen. Aber dann beschweren Sie sich doch bei uns nicht dauernd darüber. Diese Regierung hat sofort die Schubladen gelüftet, die Sie verschlossen hatten, weil Sie sich nicht einigen konnten, hat die Dinge herausgenommen, hat gesagt: Das gibt viel Arger, aber damit beginnen wir gleich, sonst kommen wir nicht voran. Das ist doch in Ordnung.
— Nein, wir schmücken uns auch lieber mit unseren eigenen. Wir halten von den Federn anderer nicht soviel. So schön sind deren Federn nicht.
Aber Tatsache ist doch, daß wir im Bundesrat endlich die Möglichkeit hatten, unsere Vorstellungen zu äußern. Da gab es ja einen ganz interessanten Prozeß. Im Bundesrat wurden zunächst weitergehende Anträge von Baden-Württemberg und Bayern eingebracht. Dann gab es noch ein paar andere Anträge
— auf Hessen komme ich gleich zu sprechen —, u. a. ziemlich retardierende, z. B. von Nordrhein-Westfalen.
Ich habe dafür sogar Verständnis.
— Jetzt lassen Sie mich doch einmal über die Abwägung reden.Wir haben gesagt, wir wollen weitergehen. Unsere Vorschläge, die wir jetzt im Bundesrat mehrheitlich durchgesetzt haben, gehen über das, was die Bundesregierung schon als wichtigen Schritt erreicht hatte, noch einmal um etwa 30 % hinaus. Wir wollten eigentlich um 60% darüber hinaus. Wir haben im Bundesrat jedoch auch auf das gehört, was andere Länder zu sagen hatten.Zum Schutz von Nordrhein-Westfalen will ich jetzt einmal sagen: Wir hätten in Baden-Württemberg aus unserer Sicht gleich noch einen Schritt weitergehen können. Ich sage Ihnen auch gleich, wie wir uns das vorstellen. Aber wenn Sie noch weitergehen, als der Bundesrat es jetzt mit seinen Entscheidungen getan hat, kommt Nordrhein-Westfalen hinsichtlich der Arbeitsplatzsituation ganz schnell in große Gefahr. Nun könnte ich in BadenWürttemberg sagen: Das ist nicht mein Problem. Aber es ist doch interessant, daß diejenigen, die derselben Partei angehören wie die Mitglieder der Regierung von Nordrhein-Westfalen, hier eine Position einnehmen, die gerade in dem Land nicht durchsetzbar ist. Demnächst muß ein CDU-Ministerpräsident noch die Regierung von NordrheinWestfalen in Schutz nehmen.
So machen Sie Politik. Deshalb glaubt Ihnen die Bevölkerung nichts mehr, weil Sie an jedem Platz das erzählen, was gerade paßt.
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hauff?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Natürlich.
Bitte.
Herr Ministerpräsident, hätten Sie die Liebenswürdigkeit, eine vergleichbare Würdigung des Verhaltens des Landes Rheinland-Pfalz vorzunehmen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, das will ich gerne tun. Rheinland-Pfalz hat uns in einigen Punkten nicht zugestimmt, in anderen Punkten hat es uns zugestimmt. Entscheidend ist aber, daß sich für Rheinland-Pfalz die Frage nicht so fundamental stellt wie für die Energieindustrie in Nordrhein-Westfalen. Fangen Sie doch nicht immer an, auf Nebenkriegsschauplätze zu gehen, sondern lassen Sie uns darüber reden, wie wir in Nordrhein-Westfalen Lösungen finden, um die Arbeitsplätze zu sichern und die Umwelt in Ordnung zu bringen! Das ist doch unsere politische Aufgabe.
Ich sage Ihnen sogar, warum mir das so wichtig ist. Ich will nicht nur, daß unser Schwarzwald eine Erholungslandschaft bleibt, sondern daß die Menschen in Nordrhein-Westfalen ihre Arbeit behalten, damit sie dort auch noch im Urlaub hingehen können, um es einmal ganz praktisch zu sagen.
Wenn Sie mich als Ministerpräsident von BadenWürttemberg fragen, dann will ich rasch noch weitergehen und Ihnen sagen, wie wir das in unserem Land machen. Ich war im Bundestagswahlkampf einmal in den Braunkohlerevieren. Ich muß sagen, wenn ich mir dort die Landschaft ansehe, dann möchte ich eigentlich ganz schnell die Vorschriften immer noch strenger machen. Wenn Sie aber dann mit den Menschen zusammensitzen, die um ihre Arbeitsplätze zittern, dann können Sie doch als Politiker nicht einfach sagen: „Was interessieren mich die Menschen, heute rede ich von Umwelt, und morgen rede ich dann wieder von Arbeitsplätzen."
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vogt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gern.
Herr Abgeordneter Vogt.
Herr Ministerpräsident, ist Ihnen bekannt, daß in Rheinland-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Mai 1983 447
Vogt
Pfalz durch das Kohlekraftwerk Bexbach auf den Pfälzer Wald Belastungen zukommen, die mindestens den Belastungen, die bereits im Schwarzwald und im Bayerischen Wald festzustellen sind, nicht nachstehen werden, und daß es die Landesregierung dort bisher versäumt hat, die notwendigen Auflagen für den Einbau der an sich technisch möglichen Filteranlagen durchzusetzen? Ist Ihnen dies bekannt, und wären Sie bereit, das Land RheinlandPfalz genauso zu exkulpieren, wie Sie es eben getan haben, wenn Sie dies berücksichtigen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann Ihnen zunächst helfen, denn Sie haben da etwas verwechselt: Bexbach liegt im Saarland und muß dort genehmigt werden.
— Ja, das ist so. Der Wald ist in Rheinland-Pfalz, aber das Kraftwerk liegt im Saarland, und ich bin sehr dafür, daß wir dort die Auflagen verschärfen, um die Reinigungsgrade zu erhöhen. Wir haben aber im Saarland eine vergleichbare Problematik wie in Nordrhein-Westfalen. Darum müssen wir miteinander reden. Es hilft aber nichts, wenn wir jetzt das Kraftwerk vorübergehend nach Rheinland-Pfalz verlegen, weil auch dort die CDU regiert.
Herr Ministerpräsident, der Abgeordnete Vogt wollte gerne noch eine Zusatzfrage stellen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja. Vizepräsident Stücklen: Bitte sehr.
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zusatzfrage?
Gehen Sie mit mir davon aus, daß Umweltbelastungen keine Grenzen kennen,
auch keine Grenzen zwischen Ländern, die gleichermaßen von der CDU regiert werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich stimme mit Ihnen ausdrücklich überein. '
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter Vogt. — Herr Abgeordneter Vogt, es ist eine Übung, daß man dann auch die Antwort noch am Mikrophon entgegennimmt.
Bitte sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich kann es Ihnen leicht machen: Ich stimme voll mit Ihnen überein. Ich komme auch gleich noch darauf, daß das nicht nur ein Problem der Ländergrenzen ist, sondern ein Problem der europäischen Grenzen.Ich wäre aber sehr dankbar, wenn ich jetzt — ich mag ja diese Art der Auseinandersetzung — noch ein paar konzeptionelle Überlegungen vortragen könnte. Ich würde sagen, statt daß wir jetzt global über Notprogramme reden, sollten wir jetzt einfach einmal die Dinge festzurren. Da können wir alle miteinander viel tun. Wenn wir aufhören, nur zu rechten, sondern sagen, was wir gemeinsam tun wollen, kommen wir weiter.Der erste Punkt: Die TA Luft ist da.Der zweite Punkt: Die GroßfeuerungsanlagenVerordnung ist da.Der dritte Punkt: Wir haben uns gestern unter den Ministerpräsidenten geeinigt, daß wir die Bundesregierung bitten — ich möchte mich hier ausdrücklich bei dem Herrn Bundesinnenminister bedanken, der gestern bei dem Gespräch beim Bundeskanzler erklärt hat, er für seinen Teil sei dazu bereit —, auf die Linie des Bundesrates zu gehen. Er ist bereit, das, worüber wir uns in den Ländern geeinigt haben, als verschärfte Auflagen in die Verordnung aufzunehmen.
Das ist ein Schritt. Wenn wir das durchsetzen, dann haben wir mehr erreicht als mit vielen Resolutionen, dann haben wir im Grunde einen ganz gewaltigen Schritt zur Reduzierung der Abgase getan.Nun bleiben für die Länder unterschiedliche Probleme übrig. Ich habe gesagt, daß ich ein gewisses Verständnis dafür habe, daß Nordrhein-Westfalen nicht in dem Tempo wie wir in Baden-Württemberg vorankommen kann. Das hängt einfach mit der Struktur zusammen. Aber ich will Ihnen sagen, was wir in Baden-Württemberg machen und was die Bayern machen; und ich möchte vorschlagen, daß alle Länder das machen.Wir haben jetzt gesagt: Für die Altanlagen werden wir gesetzlich — über die Großfeuerungsanlagen-Verordnung — die Stillegungen und die Umrüstungen nicht in dem Tempo durchsetzen. Wir haben eine Arbeitsgruppe mit allen Kraftwerksunternehmen zusammen mit Wissenschaftlern unserer Hochschulen unter dem Vorsitz eines Mitglieds des Club of Rome gebildet und haben diese Gruppe — nur damit die Kontrolle der Lobbyisten klar ist; denn daran zweifeln ja viele — gebeten, uns bis zum Herbst eine genaue Konzeption vorzulegen, wann sie welche Anlage stillegen können. Wir sind bereit, unsere Genehmigungspolitik daran auszurichten, daß wir nach unseren Vorstellungen in zwei Dritteln bis zur Hälfte der Zeit die Altanlagen freiwillig stillegen oder freiwillig umrüsten.Wir haben erreicht, daß bei allen Genehmigungsprojekten des letzten halben Jahres die Kraftwerksunternehmen freiwillig die Quoten, die jetzt Vorschrift werden sollen, aber noch nicht Vorschrift sind, entgegengenommen haben, und es ist uns gelungen, durch Einfluß auf die Unternehmen sicherzustellen, daß alle Einsprüche zurückgenommen wurden.
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448 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Mai 1983
Ministerpräsident Späth
— Wie viele Kraftwerke? Vier! Es sind vier Kraftwerke, deren Betreiber jetzt freiwillig — im Einvernehmen — im Grunde auf die neuen Zahlen gegangen sind und ihre ursprünglichen Einwendungen gegen die Auflagen zurückgenommen haben.Wenn alle Länder das machen und wenn wir bei den Stillegungen rascher vorangehen, dann kommen wir mit all diesen Dingen viel schneller voran, als wenn wir immer nur diskutieren. Das ist im Grunde das, was in den letzten Jahren versäumt worden ist. Wir haben es jetzt systematisch begonnen. Wenn alle mitmachen, kommen wir mit diesem freiwilligen Verfahren zusätzlich voran.
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wolfram?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gerne.
Herr Ministerpräsident, darf ich davon ausgehen, daß Sie im Zusammenhang mit freiwilligen Absprachen über die Stillegung alter Kohlekraftwerke darauf drängen werden, daß als Ersatz neue, umweltfreundliche Kohlekraftwerke und nicht Kernkraftwerke errichtet werden, und wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß wir schon bei den Verstromungsgesetzen diesen Gedanken immer in die Beratungen eingebracht haben und daß Ihre politischen Freunde es waren, die da nicht mitgezogen haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu der Frage, wer da zieht, will ich zunächst ganz klar folgendes sagen.
Ich will sehen, wer auf Grund seiner Mehrheiten die Unterschriften unter die Gesetze setzt, und ich will sehen, wer die Unterschriften unter die Auflagebescheide setzt. Das ist für mich entscheidend. Gedanken gibt es viele. In der Politik ist nicht entscheidend, wer welchen Gedanken hat, sondern wer was durchsetzt. Diese Bundesregierung wird mit uns zusammen eine neue Reinhaltesystematik durchsetzen. Das ist der erste Punkt.Jetzt komme ich zum zweiten Teil der Frage, zum Kohlevertrag. Wir ersetzen in einem hohen Maße alte Kohlekraftwerke durch neue, und wir in Baden-Württemberg haben unsere Kohlebezüge in einem enormen Maß gesteigert. In Klammern füge ich hinzu: Da kommt Bexbach, und 35% kommen aus dem Produktionsgebiet Nordrhein-Westfalen. Wir haben eine Mischkonzeption; wir wollen noch zwei Kernkraftwerkseinheiten hinzubauen.
— Das ist ja nun kein Geheimnis, aber ich kann sie Ihnen gern noch einmal aufzählen. Wir haben Philippsburg I in Betrieb, wir haben Neckarwestheim I in Betrieb, wir haben Obrigheim in Betrieb, wirhaben Neckarwestheim II am Baubeginn — ohne große Probleme —, Philippsburg II ist im Bau und geht 1985 ans Netz, und dann haben wir — mit großen Problemen — Wyhl in der Vorbereitung des Baus.
— Wissen Sie, einiges verstehe ich nicht ganz. Ideologisch verstehe ich es j a, daß man den Gedanken, jetzt die Kernkraft ins Spiel zu bringen, weglassen muß, weil er überhaupt nicht in die Konzeption, gegen beides zu sein, paßt. Aber klar ist doch, daß eine Zeitlang die Begründung hieß: Die Kernkraft ist zu teuer, weil man die Folgekosten — im Verhältnis zur Kohle — nicht mitgerechnet hat. Jetzt fangen wir endlich an, über die Folgekosten der Kohle zu diskutieren. Das muß natürlich auch in die Berechnungen hinein.Wir brauchen beides. Wir können den Kohleanteil halten, können den Verstromungsvertrag einhalten. Wir dürfen die Kosten, die zur Entsorgung der Kernenergie gehören, nicht scheuen, aber genausowenig die Kosten, die wir für die Entschwefelung aufwenden müssen.Es wird immer gesagt, wir müssen zugunsten der Umwelt ein bißchen auf Konsum verzichten. Ich kann nur sagen, da fängt es an. Dann zahlen alle ein bißchen mehr für den Strom und sparen woanders, damit wir unsere Wälder unseren Kindern erhalten können. Das ist die ganz einfache Rechnung!
Ich sage dazu: Wenn Sie die Dinge volkswirtschaftlich überlegen, dann können Sie nicht übersehen, daß auch die Schäden an den Gebäuden inzwischen groß sind. Wir sollten nicht nur vom Wald reden. Das gilt vor allem im europäischen Raum. Wir sollten — etwa dort, wo die Wälder nicht so zahlreich sind, wie bei unseren Nachbarn — auch davon reden, daß auch die Gebäudesubstanz, die Denkmäler, die Seen und eine ganze Reihe anderer Systeme, vor allem ökologischer Systeme, bei dieser Umweltbelastung kaputtgehen.
— Dazu gehört auch das Abwasser.
Damit will ich noch etwas zur volkswirtschaftlichen Größenordnung sagen. Ich bin nun ganz bestimmt nicht verdächtig, etwas gegen Industrie und moderne Technologien zu haben. Ich bin sogar der Meinung, daß wir eine große Chance für die Technologie und für neue Arbeitsplätze haben bei der Entwicklung moderner Umwelttechnologien. Wenn wir aber die volkswirtschaftliche Problematik der Investitionen in die Kraftwerke besprechen, dann sollten wir uns auch einmal klar sein, was wir beim Wasser bereits hinter uns haben.Wenn vor zwanzig Jahren jemand die volkswirtschaftlichen Kosten der Kläranlagen, die wir jetzt alle gebaut haben, zusammengezählt und gesagt hätte, dieses müssen wir bewältigen, dann wären
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Mai 1983 449
Ministerpräsident Späth
sehr viele Stimmen gekommen, die gesagt hätten: Das ist volkswirtschaftlich überhaupt nicht zu verkraften.Ich bin gegen beides. Ich bin dagegen, daß man jetzt sagt: Das ist nicht zu verkraften. Ich bin aber auch dagegen, daß man jetzt in der falschen Hektik alles mögliche durcheinanderbringt. Wir müssen ein System hineinbringen. Die erste Erkenntnis heißt: Wir wissen noch nicht alles über diese Schäden. Aber wir wissen, daß Schwefeldioxid und die Stickoxide mit Hauptverursacher sind. Diesen beiden Elementen können wir jetzt den Kampf ansagen, während wir weiterforschen, was wir noch wissen müssen über weitere Beeinträchtigungen der Luftumwelt. Und das werden wir merken.
Uns sollte Mut geben, was beim Wasser war. Beim Wasser haben wir angefangen mit mechanischen Kläranlagen. Dann haben wir festgestellt, daß wir biologische brauchen. Dann haben wir festgestellt, daß wir chemische brauchen. Eine ganze Reihe Entdeckungen, wie die Schädlichkeit von Kadmium und anderer Schwermetalle und andere Probleme, haben wir im Grunde erst gemacht, indem wir mit diesen Problemen gearbeitet haben. Das sollte uns den Mut geben. Genauso systematisch wie an die Wasserreinhaltung müssen wir jetzt an die Luftreinhaltung gehen.
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Conradi?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte.
Herr Ministerpräsident, haben Sie und Ihre Landesregierung nicht jahrelang gegen das Abwasserabgabengesetz nicht nur polemisiert, sondern entschiedenen Widerstand geleistet?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Doch, da bin ich jetzt noch sehr dieser Meinung. Ich will gleich erklären, warum. Wir können das vielleicht gleich drannehmen, weil das mit dem Schwefelabgabegesetz zusammenhängt.
Beim Abwasserabgabengesetz haben wir jetzt Erfahrungen. Das heißt, daß wir eine Riesenbürokratie haben. Wahrscheinlich werden so ab dem nächsten Jahr die Einnahmen aus der Abwasserabgabe die Verwaltungskosten decken. Ich kann nur sagen: Wenn es einen Unsinn gibt, dann den, den wir dort gemacht haben.
Denn was wir nicht brauchen, ist, dauernd die Leute zu belasten für mehr Verwaltung. Wir brauchen Ergebnisse. Und damit komme ich gleich zum Waldpfennig.
— Das Wasser wird durch die Abgabe nicht sauberer, ich kann es Ihnen versprechen.
Es wird weder durch Diskussionen noch durch Verwaltung sauber, sondern durch die Technologie, die wir vorschreiben müssen, damit es sauberer wird. Oder noch einfacher — damit kann ich gleich zum Waldpfennig etwas sagen —: Sie können in der Ordnungspolitik entweder den Mut haben, zu sagen: Das darfst du noch rauslassen!, dann kommen die Kosten für die Reinigung automatisch. Wenn Sie sagen, wir gehen mit den Schwefelwerten noch weiter herunter, dann werden die Produkte noch teurer, einfach durch die Auflage. Sie aber sagen: Wir trauen uns nicht so ganz, das richtig festzulegen; aber wenn ihr euch an das haltet, was wir eigentlich wollen, dann braucht ihr nichts zu bezahlen; sonst müßt ihr etwas bezahlen. Ich will den Schwefel nicht in der Luft, egal, ob dafür etwas bezahlt worden ist oder nicht. Das ist meine Position.
Mit anderen Worten: Wenn ich den Rauch im Kamin sehe, dann ist es für mich kein Unterschied, ob der bezahlt ist oder nicht bezahlt ist. Deshalb brauche ich keinen „Pfennig" dafür, sondern ich sage: Die Regierung und die Verantwortlichen müssen den Mut haben — das ist auch gegen das hessische Gesetz —, ordnungspolitisch die Grenzen festzulegen, und die Grenzen, die eingehalten werden, werden Produktkosten.
Schauen Sie, darüber muß man einmal reden. Das klingt alles so prima: Wasserpfennig, Waldpfennig, Schwefelpfennig, Bodenseepfennig. Sie sammeln doch nur ein. Das sind Sie seit 13 Jahren gewohnt. Das ist schon richtig. Aber das wollen wir nicht.
Wir wollen den Leuten sagen, welche Bedingungen für die Produktion in Deutschland gelten. Dann müssen die Leute mit ihren eigenen Erfindungen und Kalkulationen sehen, wie sie die Bedingungen einhalten, unter denen wir sie produzieren lassen. Das ist die Problematik.
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie weitere Zwischenfragen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, gern. Ich weiß aber nicht, ob ich dann noch zeitlich zurechtkomme. Ich würde einerseits gern noch ein paar Bemerkungen machen und zum Schluß kommen. Andererseits aber bin ich gern bereit, die Diskussion fortzusetzen. — Vielleicht noch die Zwischenfragen der zwei Abgeordneten, die sich gerade melden.
Bitte sehr, der Herr Abgeordnete Schwenninger.
Herr Ministerpräsident, geben Sie zu, daß Sie mit dem Ausbau von Neckar-
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450 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Mai 1983
Schwenningerwestheim einen starken Eingriff in die Landschaft vornehmen, daß der Bau der geplanten Kühlwasserbecken beim Bühler Stausee, beim Waldachtal und auch beim Staffeltal einen ganz massiven Eingriff in Landschaften darstellt? Gestehen Sie das zu?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich räume Ihnen ein, daß wir bei allen großen Bauwerken das Problem haben, daß wir Landschaftseingriffe vornehmen. Wir haben Neckarwestheim deshalb gewählt, weil wir das Kernkraftwerk dort in einen alten Steinbruch einbauen konnten. Der Eingriff in die Landschaft ist beim Kernkraftwerk Nekkarwestheim, verglichen mit allen anderen Kernkraftwerken, vielleicht am geringsten. Aber ich bestreite nicht, daß es ein Eingriff in die Landschaft ist.
Eine Zwischenfrage, Frau Abgeordnete Beck-Oberdorf. — Moment, Herr Schäfer, wir sind jetzt bei den Zwischenfragen. Andauernde Zurufe, Herr Schäfer, sind jetzt unangebracht. Wenn schon ein Redner wie der Ministerpräsident Zwischenfragen zuläßt, dann sollte man sich auch an diese Ordnung halten.
Herr Späth, Sie gehen davon aus, daß das Problem des Umweltschutzes der letzten Jahre gewesen ist, daß man nicht immer vorhersehen konnte, welche Schäden sich letztlich bei irgendwelchen Maßnahmen ergeben: Können Sie jetzt mit Sicherheit davon ausgehen, daß die durch den Zubau von Kernkraftwerken zunehmenden radioökologischen Belastungen keine Schäden, z. B. für das genetische Material der Menschen, mit sich bringen? Können Sie das jetzt sagen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir müßten wirklich die Zeit haben, dieses Thema zu vertiefen. Ich räume Ihnen ein: Wir sind in der Politik bis zu einem gewissen Grad wahrscheinlich immer von dem abhängig, was die Wissenschaft uns sagt und zugänglich macht. Ich räume z. B. ein, daß ich, wenn ich eine solche Entscheidung zu treffen habe, auf das angewiesen bin, was die Wissenschaft mir dazu sagt. Am Schluß aber muß man natürlich in eine sehr grundsätzliche Diskussion über diese Frage eintreten, die über die Wissenschaft hinausgeht und sehr fundamentale Fragen, z. B. ethische Fragen, berührt. Am Schluß muß man sich dann zu einer Position bekennen: entweder zu der, daß die Wissenschaft — mindestens die Mehrheit der Wissenschaftler; es gibt natürlich Einwendungen — aufzeigt, daß es heute für das z. B. von Ihnen angesprochene Problem keine Anzeichen gibt, oder zu der, daß es solche Anzeichen gibt. Aber ich glaube nicht, daß wir dieses Problem im Zusammenhang mit unserem jetzigen Diskussionsthema erörtern können; darüber müssen wir im Zusammenhang mit Kernkraftwerken diskutieren. Aber eins wissen wir sicher: daß wir bei dem Problem der Luftreinhaltung mindestens das in Ordnung bringen können, von dem die Wissenschaft erklärt, daß es machbar sei. Das ist mein Punkt.
Mir tut es leid, daß wir auf dieses Thema nicht stärker eingehen können. Ich muß es jetzt hier zu unserem heutigen Thema abgrenzen, da ich zeitlich sonst nicht zurechtkomme. Lassen Sie mich also jetzt im Zusammenhang noch ein paar Bemerkungen zu unserem heutigen Thema machen.Ich wiederhole: Erstens. Wir sind mit der TA Luft ein gutes Stück vorangekommen. Zweitens. Die Großfeuerungsanlagen-Verordnung ist auf den Weg gebracht. Drittens. Wir müssen neue Technologien entwickeln; dazu will ich ausdrücklich auffordern. Herr Kollege Hauff, warum haben wir in den vergangenen zehn, zwölf Jahren die Forschung im Umweltbereich nicht so vorangetrieben, daß wir heute die Entschwefelungstechnologien haben, die Japan heute in 1000 Anlagen eingebaut hat mit dem Ergebnis, daß der Schadstoffausstoß 25% von dem ausmacht, was in unseren Anlagen anfällt?
— Ich kann aus Zeitgründen — ich habe noch drei Minuten — keine Zwischenfragen mehr zulassen; tut mir leid.
— Ich nenne Ihnen ganz konkret das, was wir tun und was Sie unterstützen können: Wir haben jetzt in Baden-Württemberg alle Forschungsinstitute, die umweltrelevante Forschung betreiben, zusammengefaßt. Wir werden noch in diesem Jahr — unter der Federführung des Forschungszentrums Karlsruhe — eine Absprache mit dem Bund treffen, einen Teil der Forscher aus dem Kernforschungsbereich in Karlsruhe herauszunehmen — ich verkrafte es, wenn 200, 300 Forscher nicht mehr im vorgenannten Bereich, sondern im Luftreinhaltungsbereich tätig sind — und sie der Technologieforschung der Universität Karlsruhe, der Forstwirtschaft in Freiburg, der Polymerforschung und Werkstofforschung in Freiburg und Stuttgart zusammenzufassen. Wenn wir das tun und Sie uns dabei helfen, daß wir dort einen europäischen Forschungsschwerpunkt hinbekommen, dann werden wir in wenigen Jahren nach großen Anstrengungen eher wissen, was wir tun müssen. Das müssen wir vorantreiben; das ist der nächstwichtigste Punkt in der ganzen Sache.
Wenn es uns dann gelingt, mit diesem Ergebnis Produkte zu entwickeln, die umweltfreundlich sind, dann ist das die beste Arbeitsplatzbeschaffung für die Zukunft; denn das, was wir heute haben, wird weltweit das Problem Nr. 1 werden. Deshalb lassen Sie uns dort unser Geld investieren; dann haben wir
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Ministerpräsident Späth Exportartikel für die Zukunft, die die anderen dringend brauchen.
Damit Sie sehen, wie ernst wir das meinen, sage ich Ihnen, daß der Landtag von Baden-Württemberg ein Sonderprogramm der Regierung vorgelegt bekam, mit dem die Regierung 44 Millionen DM aus dem Behördenbauprogramm umschichtet. Damit wollen wir die Heizkraftwerke, die das Land betreibt, sofort auf schwefelarmen Betrieb umstellen. Wir erheben also nicht nur Forderungen, sondern zeigen auch beispielhaft im kleinen, wie das geht.
Jetzt müssen wir noch darangehen, mit der Industrie zu verhandeln — auch dies geht —, damit wir nämlich nicht Abschläge bei der Emission bei Heizkraftwerken machen müssen, weil uns sonst gesagt wird, die Heizkraftwerke könnten nicht mehr rentabel betrieben werden. Wir müssen darauf drängen, daß in den Raffinerien der Schwefelgehalt aus dem Heizöl genommen wird, und zwar so weit — das kostet auch etwas — daß wieder eine Rentabilität erzielt wird. Dabei werden beide Seiten belastet werden, aber die Luftreinhaltung wird verbessert werden. Wir sollten nämlich nicht unterschätzen, in welchem Ausmaß auch Kleinfeueranlagen die Umwelt belasten.
Da wir das Geld hatten, als die Ölscheichs uns die Preise erhöht haben, müssen wir jetzt auch das Geld haben, um unsere eigenen Umweltbedingungen zu verbessern. Das geht.Noch ein Wort zum Auto. Wir wissen, wie weit wir sein könnten. Es ist doch kein Geheimnis, daß die Autoindustrie für Amerika die anderen Motoren schon produziert. Daimler-Benz hat einen solchen Export nach Amerika und nach Japan, daß man im Grunde zwei Motoren baut. Der Motor, der mit bleifreiem Benzin betrieben wird, hat allerdings noch einen höheren Verbrauch an Kraftstoff, während bei den mit bleihaltigem Benzin betriebenen Motoren weniger Probleme bestehen. Aber auf die Dauer kann es doch nicht im Interesse unserer Industrie liegen, daß wir in Europa mit der Entwicklung von neuen Motoren kaum weiterkommen, während die umweltfreundlichen Motoren in Amerika und in Japan entwickelt werden. Dort können Sie eben an jeder Tankstelle die verschiedenen Benzinarten kaufen.
Nur: Jetzt kommt natürlich das europäische Problem. — Die Raffinerieindustrie sagt: Wir können das Blei herausnehmen, das geht technisch,
und die Autoindustrie sagt: Wir können die Katalysatoren einbauen. — Der Preis — das sage ich hier ganz offen — ist verkraftbar. Denn wenn wir das Geld künftig statt für Metalliclackierung, ein Kurbeldach oder für diese komischen vierten Rückleuchten oder sonst etwas für Umweltfreundlichkeitaufwenden, dann schaffen wir das auch. Das ist volkswirtschaftlich vertretbar, das geht auch.
Das einzige Problem ist — darauf sollten Sie jetzt nicht mit Polemik antworten —, daß wir in Europa sind, von Europa leben und die Schwierigkeiten haben, daß wir in Europa so eng aufeinandersitzen. Deshalb ist noch gar nicht garantiert, daß der Versuch der Schweiz auch funktioniert. Wenn nämlich die Autofahrer das eine Benzin nicht bekommen, Fahren sie mit dem anderen Benzin, und damit gehen die ganzen Einrichtungen kaputt. Außerdem ist dann die Belastung durch Abgase noch viel höher.Wir müssen wirklich erreichen — das ist eine Forderung, die wir in Europa mit Nachdruck erheben müssen —, daß die Europäer insgesamt so vernünftig sind, daß sie diese Geschichte miteinander in Angriff nehmen. Das muß doch möglich sein. Wir sollten nicht nur über Agrarpreise oder über Bürokratie diskutieren. Wie sollen wir der jungen Generation Europa nahebringen, wenn wir eine 16seitige Traktorsitzbeschreibung haben, uns aber nicht einmal auf Abgaswerte in Europa einigen können?
Davon gibt es kein Zurück. Wir müssen das europaweit durchsetzen, und es geht auch.Wir müssen nur aufpassen, daß wir jetzt nicht sagen: Wir machen schnell einen nationalen Alleingang. — Das klingt ungeheuer dramatisch. Aber fast alle Leute wissen, daß er a) nicht funktioniert und daß b) einige unserer Nachbarn nur darauf warten, bis wir den ankündigen. Das wäre ein nicht tariffähiges Handelshemmnis. Deshalb muß man sich eben auch ein paar andere Dinge bei der Entwicklung Europas überlegen.Interessant ist eines — und das müssen wir jetzt einmal für die Industrie sagen —: Die europäische Autoindustrie hat bereits jetzt die Abgaswerte erreicht, die die EG für Ende 1984 vorgesehen hat. Deshalb dürfen wir nicht aufhören, dieses Thema in Europa zu behandeln. Wir müssen jetzt mal die Termine festlegen. Wenn Sie der Autoindustrie sagen: ihr könnt ab 1990 keine Autos mehr verkaufen, wenn sie nicht mit bleifreiem Benzin fahren, dann werden Sie sich wundern, in welchem Tempo sich Innovation, Forschung und Produktion auf diese Werte konzentrieren. Das müssen wir in Europa durchsetzen.Auch mit den osteuropäischen Ländern müssen wir über diese Fragen reden. Es ist ja ganz gut, wenn wir in Europa außer der Sicherheitspolitik noch ein paar andere Themen haben. Vielleicht ist ein solches Thema geeignet, die Not der Europäer in bezug auf die Sicherung ihrer Umwelt gemeinsam zu zeigen. Deshalb müssen wir jetzt an den Dingen arbeiten: statt mit Notprogrammen und Deklarationen mit nüchterner Tagesarbeit. Die Länder sind zusammen mit der Bundesregierung dazu bereit.
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452 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Mai 1983
Das Wort hat der Herr Minister für Landesentwicklung, Umwelt, Landwirtschaft und Forsten des Landes Hessen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Geredet wird über das Waldsterben neuerdings viel.
Mein verehrter Vorredner ist ein lebendes Beispiel dafür.
Über die Dramatik der Entwicklung sind wir uns, glaube ich, alle einig. Einigkeit — jedenfalls in den Reden — besteht auch darüber, daß wir ohne durchgreifende Maßnahmen gegen die Luftverschmutzung einer Umweltkatastrophe entgegenlaufen. Dies gilt in erster Linie für die Wälder; aber auch die Folgen der Luftverunreinigung für die Menschen und für die Sachgüter in den Ballungsgebieten sollten dabei nicht übersehen werden.Wenn wir für den Wald und die Verbesserung der allgemeinen Luftqualität wirklich etwas tun wollen, dann kommt es vor allem darauf an, dies schnell zu tun und mit durchgreifenden Maßnahmen. Der Erwartungsdruck der Öffentlichkeit gegenüber der Politik ist zu Recht groß. Dieser Erwartungsdruck ist auch mit ein Grund dafür gewesen, daß der von der Bundesregierung Anfang des Jahres vorgelegte Entwurf der Großfeuerungsanlagen-Verordnung kritisiert worden ist, wie ich meine, zu Recht, und im Bundesrat zahlreiche Änderungen erfahren hat. Nicht nur durch CDU/CSU-Länder, sondern auch durch sozialdemokratische Länder sind Verschärfungsanträge eingebracht worden, und die Mehrheiten waren in der Tat wechselnd.Aber Herr Bundesinnenminister Dr. Zimmermann, der sich in der Öffentlichkeit gern als entschiedener Kämpfer gegen das Waldsterben darstellen läßt, hat bei der Großfeuerungsanlagen-Verordnung als passiv Zuwartender eine eher unrühmliche Rolle gespielt. Zuerst, Herr Bundesinnenminister, haben Sie sich den Wirtschaftsinteressen gebeugt und Verschlechterungen des bereits von der sozialliberalen Bundesregierung erarbeiteten Entwurfs hingenommen.
— Herr Dr. Dregger, ich weiß nicht, ob Sie sich mit dem Gang der Beratungen über die Großfeuerungsanlagen-Verordnung so intensiv beschäftigen konnten. Wer dies getan hat — wir haben es auf der Umweltministerkonferenz wiederholt getan —, hat dies in der Diskussion unwidersprochen so hinnehmen müssen. Es gab entscheidende Entschärfungen. Der Bundesinnenminister hat ja bereits im Februar dieses Jahres auf der Umweltministerkonferenz erklärt, daß er nicht nur bereit sei, zusätzliche Verschärfungswünsche der Länder zu berücksichtigen, sondern diese sogar unterstütze. Und nachdemder Bundesrat dies beschlossen hat, hat er geäußert, er sei bereit, dies zu akzeptieren. Damit hat er die Korrekturbedürftigkeit seines schlechten Entwurfs selber eingestanden.
Nur dürfen wir nach den Ankündigungen jetzt gespannt sein, was aus den Veränderungen der Bundesratsmehrheit dann in der Bundesregierung wird. Denn die Bundesregierung hat diese Verordnung ja noch nicht endgültig verabschiedet. Ich lese in den Zeitungen nur, daß der Herr Bundeskanzler den Herrn Bundesinnenminister und den Herrn Bundeswirtschaftsminister zu sich bestellt habe, um erneut über Kompromißformeln zu reden. Lassen wir uns überraschen, was am Ende herauskommt!
Wir wissen auch, daß auch im Bundesrat — auch das möchte ich hier noch einmal mit Nachdruck sagen — nicht nur das Land Nordrhein-Westfalen aus seiner Interessenlage heraus eine abweichende Position eingenommen hat, sondern daß auch die Länder Saarland, Schleswig-Holstein, RheinlandPfalz und Niedersachsen einer Reihe von Verschärfungsanträgen ihre Zustimmung nicht gegeben haben.
Meine Damen und Herren, Ministerpräsident Späth hat in einem Interview festgestellt — ich zitiere —: „Nirgendwo spielt für den Politiker der Zeitfaktor eine so entscheidende Rolle wie im Umweltschutz, und deshalb muß so schnell wie möglich etwas geschehen". Ich unterstreiche das. Aber das Handeln darf sich nicht darin erschöpfen, eine unzureichende Verordnung zu erlassen, die vor allem den Nachteil hat, erst in zehn Jahren zu wirken, und im übrigen, wie der Ministerpräsident Vogel von Rheinland-Pfalz, nach einer Stiftung zur Rettung des Waldes zu rufen.
Dies kann doch nicht die Antwort sein, die die Bürger uns Politikern bei einer so dramatischen Entwicklung abnehmen.Hessen hat mit Unterstützung anderer Länder eine Verschärfung angestrebt. Ich stelle hier mit Zufriedenheit fest, daß Hessen und Baden-Württemberg in allen Verschärfungspunkten von sicherlich unterschiedlichen Ausgangspositionen aus übereinstimmende Positionen vertreten haben.
Das Land Hessen hat nicht nur einen großen Wald, sondern es hat auch Industrie und sogar Braunkohlekraftwerke, die von diesen Verschärfungsmaßnahmen entscheidend betroffen sind.Diese Verschärfungen der Großfeuerungsanlagen-Verordnung sollen bewirken, daß auf der Basis
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Staatsminister Schneider
des rechtlich Zulässigen eine Regelung erreicht wird, die eine schnelle und wirksame Verbesserung bei der Schadstoffimmission aus Großfeuerungsanlagen ermöglicht. Auf den rechtlichen Aspekt hat Herr Dr. Zimmermann vorhin hingewiesen, und da gab es auch Grenzen für die Verschärfungsmaßnahmen bei der Großfeuerungsanlagen-Verordnung. Das muß man korrekterweise hinzufügen. Deshalb ist die Frage der Änderung des Bundesimmissionsschutzgesetzes für mich, Herr Kollege Zimmermann, nicht so von vornherein beiseitezuschieben, wie Sie das hier getan haben. Ich bin da grundsätzlich anderer Auffassung.
Es ist auch — lassen Sie mich das als zweites hinzufügen — die erklärte Absicht des Landes Hessen, dabei die Zukunft der Kohle als dem wichtigsten heimischen Energieträger zu sichern. Das ist ein wichtiger Punkt. Aber nur eine umweltverträgliche Kohletechnik hat Zukunft, und wer sich gegen die dafür notwendigen schnellen und technisch möglichen Anpassungen der Kohlenutzung wehrt, gefährdet bewußt oder unbewußt deren Rolle als Energieträger Nr. 1 in der Bundesrepublik.Die von der CDU mehr oder weniger offen verfolgte Politik, das Waldsterben durch eine verringerte Kohlenutzung und durch vermehrten Kernenergieeinsatz bekämpfen zu wollen, wird von uns nicht unterstützt. Herr Kollege Späth, ich habe hier ein Interview aus der „Wirtschaftswoche" vom Januar vor mir liegen, das etwas anderes als das besagt, was Sie hier vorhin zum Schutz von Nordrhein-Westfalen vorgetragen haben.
Da haben Sie von der Frage der Aufkündigung des Jahrhundertvertrags gesprochen, um der Kernenergie stärkeren Vorschub zu leisten, und Sie haben nicht die Kohle in Ihre Betrachtungen einbezogen.
Wer dies tut, kann vielleicht einige wirtschaftliche Probleme der Kernenergie lösen, mit Sicherheit aber nicht den Wald retten. Das ist die entscheidende Frage, die in diesem Zusammenhang ausgesprochen werden muß.
Eine solche Haltung gefährdet langfristig die Sicherheit unserer Energieversorgung, weil sie die Kohle mit falschen Argumenten aus dem Strommarkt drängt.
— Wir in Hessen brauchen nicht, wie Herr Späth, immer wieder zu sagen, was auf diesem Gebiet getan werden soll. Sie wissen, daß in Hessen gegen einige Widerstände auf diesem Gebiet schon etwas getan worden ist. Wir können uns in dieser Frage durchaus der Diskussion stellen.Wir fordern demgegenüber den Kampf gegen das Waldsterben mit der Kohle und nicht gegen sie.
Wir brauchen dafür Instrumente, die kurzfristig wirken, nämlich konkret weit vor dem Auslaufen des Jahrhundertvertrages und dem Wirksamwerden der Großfeuerungsanlagen-Verordnung in den 90er Jahren. Wir müssen die Betreiber von Feuerungsanlagen, insbesondere die Kraftwerke, zur Anwendung umweltfreundlicher Kohlefeuerungstechnologien bringen. Vorschläge dafür liegen auf dem Tisch. Es gibt Gott sei Dank solche Technologien.Herr Kollege Späth, Sie haben vorhin von dem jungen unruhigen Mann, dem Herrn Hauff, gesprochen. Gerade in seiner Zeit sind eine ganze Reihe von Vorgaben für die technologische Forschung erstellt worden, die jetzt auf dem Tisch liegen und angewandt werden können und müssen.
Wir machen es Ihnen zum Vorwurf, daß das, was in der Vergangenheit geleistet wurde, von Ihnen unter den Teppich zu kehren versucht wird. Statt dessen weisen Sie auf anderes hin.Wie gesagt: Die Großfeuerungsanlagen-Verordnung und der Einsatz der technischen Möglichkeiten sind das Entscheidende. Die hessische Landesregierung ist davon überzeugt, daß die Instrumente der Großfeuerungsanlagen-Verordnung und die Technische Anleitung Luft allein die überfällige Wende in der Luftreinhaltepolitik nicht bringen können, jedenfalls nicht schnell genug. Wir halten, um es zu wiederholen, diese beiden Instrumente für wichtig und dringlich. Das ist unbestritten. Wer meint, mit diesen Vorschriften allein seien die dringend notwendigen schnellen Verbesserungen herbeizuführen, täuscht sich selbst und die Öffentlichkeit.Deshalb ist es notwendig, zusätzlich ein rechtliches Instrument anzuwenden, das dem Betreiber einerseits eine Flexibilität bei der Anlagenumrüstung beläßt, andererseits aber das ökonomische Interesse daran weckt. Das ist der Punkt, Herr Ministerpräsident Späth, nicht die Frage, ob wir die Entschwefelung mit oder ohne Abgabe, mit oder ohne Geld erreichen. Wir müssen vielmehr mit einem marktwirtschaftlichen Mittel dafür sorgen, daß das Interesse, die entsprechenden Technologien einzusetzen und anzuwenden, unterstützt und forciert wird.
Das ist der entscheidende Punkt, um auf diese Art und Weise binnen kurzem dazu zu kommen, daß so wenig Schadstoffe wie möglich emittiert werden. Ein solches die Wirkung der Großfeuerungsanlagen-Verordnung beschleunigendes und verstärkendes Instrument ist die Abgabe auf Schadstoffemissionen. Deshalb ist unser Vorschlag eines Schwefelabgabengesetzes als ein sinnvoller Ansatz mit umgehender Wirkung zu verstehen. Dies ist nicht, Herr Kollege Dr. Zimmermann, ein modellwissenschaftlicher Vorschlag. Dies ist auch nicht — um das hier
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454 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Mai 1983
Staatsminister Schneider
noch einmal zu sagen — etwas, was Beschäftigungsmöglichkeiten für Bürokratien schafft und zusätzliche Bürokratien überhaupt erst nötig macht.Ich kann bezüglich der Abwasserabgabe aus Hessen etwas anderes berichten als Herr Ministerpräsident Späth. Wir haben im vergangenen Jahr 19 Millionen DM eingenommen. Davon haben drei Großeinleiter 15 Millionen DM zahlen müssen. Meine Damen und Herren, das ist die Realität.
Wir haben von diesen 19 Millionen DM 75 % unmittelbar als Beihilfe zur Abwasserreinhaltung an die Kommunen zurückgeben können. Ich glaube schon, daß sich das als Beweis anführen läßt.
Daß man noch mehr einnehmen und noch höhere Abgaben erheben könnte, ist zumindest aus der Sicht der Umweltpolitik unbestritten. Es gibt aber noch ein paar andere Momente, die man mit in die Betrachtung einbeziehen muß.
Es wurde gesagt, die Schwefeldioxidabgabe sei bürokratisch und aufwendig. Wir haben in Hessen nach dem Schwefelabgabengesetz die Emittenten erfaßt. Sie sind ja alle durch die Angaben über die Emissionsabgaben, die sie selbst zu erstellen haben, erfaßt. Dabei haben wir festgestellt, daß von den etwa 150 000 Tonnen Schwefeldioxid, die jährlich in Hessen emittiert werden, acht Großanlagen 70 emittieren. Sie zu erfassen und in eine Abgabe einzubeziehen bedarf keines bürokratischen Aufwands. Das ist relativ einfach und schnell ohne große kostenintensive Verwaltung möglich, weil die Zahlen auf dem Tisch liegen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Fischer?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, bitte.
Herr Minister, Sie führten gerade den Betrag an, der vor allen Dingen von Großeinleitern zu zahlen ist. Ist Ihnen auch der Betrag bekannt, den einer der Großeinleiter, nämlich die Hoechst AG, durch die Großeinleitung in den Untermain gespart hat? Ist Ihnen bekannt, daß der Untermain immer noch ein biologisch toter Fluß ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wie die Situation am Untermain ist, braucht mir niemand zu sagen; ich bin mit diesen Dingen täglich konfrontiert. Ich kann nur sagen, daß in diesem konkreten Einzelfall das Ziel der Abgabe nicht nur war, Einnahmen für die Landeskasse zu erzielen, um sie sofort als Investitionsbeihilfe für entsprechende Anlagen an finanzschwache Kommunen weiterzuleiten — nicht an Hoechst —, sondern daß man auch bewirkt hat, daß die Firma Hoechst AG imZusammenhang mit der Abgabe bereits Investitionen in einer Größenordnung von 350 Millionen DM für die Reinhaltung in Gang gesetzt hat. Und das ist es, was wir wollen.
Wir wollen doch nicht zusätzliche Einnahmen für den Staat durch diese Abgabe erzielen, sondern wir wollen mit diesem Instrumentarium die Reinhaltung der Luft bzw. die Verbesserung der Wasserqualität erreichen. Anschließend wollen wir gerne auf die Abgabe verzichten — wenn das Ziel erreicht ist. Das ist das, worum es geht. Deshalb kann ich diese Eiertänze — um das hier mal offen zu sagen —, die bisher von CDU- und CSU-regierten Ländern und auch vom Herrn Bundesinnenminister zu der Schwefelabgabe vorgeführt worden sind, beim besten Willen nicht begreifen.Herr Bundesinnenminister, Sie haben bei der Einbringung gesagt, Sie hätten „wenig Sympathie für eine Schwefelabgabe". Es geht hier, Herr Dr. Zimmermann, nicht um Sympathie oder Antipathie, es geht hier darum, daß die eigentlich unvorstellbare Vision einer baumlosen Bundesrepublik nicht Wirklichkeit wird und die Entwicklung dorthin mit wirksamen Gegenmaßnahmen bekämpft wird. Das ist es, was wir hier und heute wollen, nicht erst 1993, nicht erst, wenn es der Energiewirtschaft gerade genehm ist, in ihre Konzeption paßt.Die verbalen Eiertänze, im Prinzip ja, aber nicht so und jetzt nicht — so ungefähr hat sich der frühere Berliner Umweltsenator Dr. Hassemer zur Abgabe in der Umweltministerkonferenz geäußert — oder, so der CDU-Umweltminister Geil in Rheinland-Pfalz, „ein Vorschlag zur Unzeit", haben doch nur ein Ziel: der Öffentlichkeit Sand in die Augen zu streuen und den Widerspruch zwischen vollmundigen Reden und kleinmütigem Handeln zu verschleiern. Das ist die Wahrheit, die Realität, wie sie sich aus meiner Sicht darstellt.
Diese Eiertänze setzt die Bundesregierung auch in anderen Bereichen fort. Lassen Sie mich das an einem anderen Beispiel unterstreichen. Der hier mehrfach zitierte Bundesforschungsminister Riesenhuber, der erst vor kurzem — das ist schon gesagt worden — durch einen besonders menschenfreundlichen Vorschlag, nämlich schadstoffresistente Bäume zu züchten, aufgefallen ist, betrachtet in einer Studie, die mir vorliegt, die Wirbelschichtfeuerung als eine ausgezeichnete Technik zur Verringerung von Luftemissionen nicht nur bei Schwefeldioxid, sondern auch bei Stickoxiden. Das wissen wir alle. Nur, wenn es darum geht, meine Damen und Herren, eine solche Anlage einzusetzen, und zwar in Frankfurt, in der Stadt, aus der Sie, Herr Dr. Riesenhuber, kommen, in der Stadt, in der es ein renommiertes Unternehmen gibt, das eine solche Technologie anbietet, bestätigen Sie der Stadt Frankfurt Ihr „Verständnis, daß die Stadtwerke, Energieversorgungsunternehmen und Kraftwerksbetreiber heute noch lieber auf die ausgereiften
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Staatsminister Schneider
Verfahren der Rauchgasentschwefelung zurückgreifen". So ist das wörtliche Zitat.
Das ist es, was wir Ihnen vorzuwerfen haben. Dies ist eigentlich etwas, was den Forschungsminister nach meiner Überzeugung disqualifiziert und ihn nicht als denjenigen, der neue Dinge in Gang setzt, ausweist.
Wo, Herr Dr. Riesenhuber, sollen denn Technologien, die nach Ihren eigenen Aussagen bereits ausgereift sind, von der deutschen Industrie erprobt werden, wenn dies in Deutschland nicht mehr möglich ist? Ihre Exportmöglichkeiten werden doch dadurch geschmälert, denn die potentiellen ausländischen Käufer sagen: Wir wollen erst einmal gucken, wo das in der Bundesrepublik Deutschland schon angewandt wird.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Riesenhuber?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja.
Herr Kollege, ich bin leider nicht imstande, hier eine technische Detaildiskussion zu führen, aber sind Sie bereit, zu akzeptieren, daß erstens die Rauchgasentschwefelungsanlagen, die ebenfalls mit der Unterstützung früherer Forschungsminister entwickelt worden sind, eine exzellente Luftreinhaltung erlauben und daß zweitens bei der Frage, welche Technik jeweils an einem Platz einzusetzen ist, die präzisen Gegebenheiten dieses Platzes einschließlich der Möglichkeiten und Notwendigkeiten von Wärmekraftkoppelung, einschließlich der Fernwärmeversorgung — in diesem Fall — der Messe, die mit dranhängt, einschließlich der Standortkriterien, des begrenzten Platzangebots, zu berücksichtigen sind, und sind Sie bereit, nach den technischen Kriterien, die sachlich gerechtfertigt sind, jeweils den Verantwortlichen die Entscheidung darüber zu überlassen, welche technisch-wirtschaftlichen Lösungen unter Berücksichtigung des bestmöglichen Umweltschutzes in einem dichtbesiedelten Ballungsgebiet angemessen sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundesforschungsminister, ich kann Ihrer ersten Feststellung zustimmen, daß die Rauchgasentschwefelung, was Schwefeldioxid anbelangt, eine hervorragende und erprobte Technologie ist. Sie wissen aber genau so gut wie ich, daß bei dem zentralen Problem Frankfurt die Stickoxide davon überhaupt nicht berührt werden und damit überhaupt nicht in den Griff zu kriegen sind.Was die Entscheidungsfreiheit des jeweiligen Betreibers anbelangt, ist es in der Tat so. Die Frage ist nur, ob die, die von ihren fachlichen Vorgaben und ihrem fachlichen Wissen her hier eine Position zu beziehen haben, dies in der konkreten Frage nicht deutlicher machen können. Das ist in Frankfurt das Stickoxid-Problem. Frankfurt nimmt hier die Spitzenreiterposition der Städte in der Bundesrepublik Deutschland ein. Hier kommt es nicht nur auf die Schwefeldioxid-Problematik, sondern noch viel entscheidender auf die Reduzierung von Stickoxiden an. Das ist es, worum es bei dieser Frage geht.
Lassen Sie mich zum Schluß noch etwas zur Verminderung der Emissionen beim Verkehr sagen. Auch darüber ist j a eine Menge ausgeführt worden. Es ist unbestritten, daß unter den Emissionsquellen die Stickoxide aus dem Verkehr an der Bodenversauerung einen Anteil von 30 % haben und daß sie zum Entstehen vor allem von Photooxidantien beitragen, von denen j a auch angenommen wird, daß sie eine Hauptursache des Waldsterbens sind. Hierzu haben wir heute zu dieser Stunde im Bundesrat durch den Ministerpräsidenten ein Initiativgesetz eingebracht, um eine schnelle Reduzierung der Abgaswerte für Kraftfahrzeuge mit einer nationalen Regelung zu erreichen. Genau das ist hier ja als unrealistisch und falsch dargestellt worden; der Weg führe hier nicht an Europa vorbei. Dies wird unabhängig von der Frage vorgebracht, die bisher im Mittelpunkt stand: ob das rechtlich überhaupt möglich ist. Nach der neuen Initiative, die wir unternommen haben und die sich mit der Mineralölsteuer beschäftigt, wird das rechtliche Argument nicht mehr in den Vordergrund gestellt, sondern es wird — wie es vorhin auch der Herr Bundesinnenminister getan hat — davon gesprochen, dies sei utopisch, weil es den Menschen ihre Bewegungsmöglichkeiten innerhalb Europas verbaue. Nun, Sie haben von dem Kontinent Amerika gesprochen, wo das alles anders sei. Die Schweiz, die auf diesem Weg ebenfalls ein nationales Vorgehen angekündigt hat, ist sicher kein Kontinent. Ich meine, Herr Dr. Zimmermann, daß die Frage des nationalen Vorgehens durchaus ein wichtiger Punkt ist, inwieweit wir durch diese Vorreiterposition andere veranlassen können, ihre Verhandlungen mit der EG voranzutreiben. Das ist der eine Punkt.Der zweite Punkt. Lassen Sie mich hier noch einmal deutlich sagen: Es ist schlicht falsch, daß die Bundesbürger dann mit ihrem Auto an der Grenze haltmachen müßten und nicht mehr über die Grenze fahren könnten, wenn auf der anderen Seite kein bleifreies Benzin angeboten wird. Sie wissen von Ihren Gesprächen mit der Mineralölwirtschaft sicher genau so wie ich, der ich sie ebenfalls seit langem führe, daß die Herstellung von bleifreiem Benzin nicht nur möglich, sondern bereits existent ist. Es ist ja vorhanden.
Es ist j a auch in der Bundesrepublik vorhanden. Die Automobile, die von der deutschen Industrie nach Amerika exportiert werden, brauchen ja zur Erprobung dieses Benzin.
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456 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Mai 1983
Staatsminister Schneider
Was die Grenzprobleme anbelangt, lassen Sie mich hier doch nochmals wenigstens auf ein bereits untersuchtes und technisch beantwortetes Problem hinweisen. Erstens. Es ist unbestritten, daß der Drei-Wege-Katalysator, auf bleifreies Benzin eingestellt, ohne Schaden 4 000 bis 5 000 km übersteht, auch wenn er mit bleihaltigem Benzin gefahren wird. Zweitens. Eine Studie von General Motors besagt, daß sich dieser Katalysator erfreulicherweise sogar voll regeneriert, wenn er anschließend wieder mit bleifreiem Benzin gefahren wird. Das Argument, die Leute müßten an der österreichischen Grenze aussteigen und mit dem Zug zu ihrem Urlaubsort gelangen, um mit dem Auto zurückfahren zu können, stimmt einfach nicht und ist zu widerlegen.Mir kommt es darauf an, im Entscheidenden darauf hinzuweisen, daß das nationale Vorgehen mit Sicherheit Bewegung in die anderen europäischen Länder brächte, um die technischen Möglichkeiten, die vorhanden sind, sowohl im Automobilbereich als auch im Benzin- und Mineralölbereich endlich einzusetzen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Zimmermann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gern. Vizepräsident Stücklen: Bitte sehr.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß die gegenwärtig weltweit verwendeten Katalysatoren sich nicht von selbst reinigen, wenn das Fahrzeug nach Einsatz von verbleitem Benzin wieder mit bleifreiem Benzin gefahren wird, und daß an der Studie von General Motors, die Sie erwähnt haben, noch gearbeitet wird, wobei man hofft, zu Erfolgen zu kommen? Wollen Sie weiterhin den Leuten, die dann eventuell nach 4 000 oder 5 000 km einen kaputten Katalysator haben — so stellt es sich beim derzeitigen Stand der Technik in Europa dar —, zumuten, den Katalysator auszubauen und durch einen neuen, der 1 500 DM kostet, zu ersetzen? Glauben Sie nicht auch, daß wir in Europa nur eine Chance haben, wenn in allen wichtigen Urlaubsländern bleifreies Benzin angeboten wird? Nur dann ist die Chance gegeben, daß Wagen, die Katalysatoren besitzen, auch wirklich so bedient werden, daß der Wagen keinen Schaden erleidet.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundesinnenminister, zunächst einmal gibt es überhaupt keine Meinungsverschiedenheiten darüber, daß es optimal wäre, auf europäischer Ebene zu einem gemeinsamen Vorgehen zu kommen. Das ist unbestritten. Die Frage ist nur, ob man diesen Prozeß beschleunigen kann und ob es notwendig ist, ihn zu beschleunigen. Das ist der Punkt.
In dieser Hinsicht bin ich in der Tat anderer Auffassung. Ich bin in der Tat der Auffassung, daß dieser
Prozeß durch ein nationales Vorgehen beschleunigt werden könnte. Wir befinden uns hier ja nicht mehr ganz allein auf weiter Flur. Andere Nationen haben ähnliches angekündigt. Ich denke an die Engländer, die erst einmal die europäischen Werte erreichen müssen, aber auch schon darüber reden, diese zu unterschreiten und zum Einsatz von bleifreiem Benzin zu kommen. Man sollte also diesen technologischen Möglichkeiten nicht nur den Weg ebnen, sondern man sollte darüber hinaus gleichzeitig erreichen, daß mehr Druck in Richtung auf europäische Verständigung ausgeübt wird. Das ist das Entscheidende.
Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage? Ich freue mich natürlich, wenn die Redner am Rednerpult Zwischenfragen zulassen. Ich mache allerdings darauf aufmerksam, daß der Beschluß, den wir gefaßt haben, nämlich diese Debatte auf drei Stunden zu begrenzen, unter diesen Umständen natürlich nicht eingehalten werden kann.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Hauff.
Herr Kollege Schneider, ist Ihnen bekannt, daß wir es früher mit einem durchaus vergleichbaren Problem zu tun hatten, und zwar insofern, als es in den Niederlanden in großer Anzahl Autos gab, die mit Flüssiggas betrieben wurden, daß Touristen dann mit diesen Autos in die Bundesrepublik gekommen sind. Aus diesem Grunde haben sich, obwohl die Niederlande vergleichsweise ein kleines Land sind, einige Tankstellen für Flüssiggas in der Bundesrepublik gebildet. Ist insofern nicht davon auszugehen, daß auch das hier angesprochene Problem lösbar ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann das nur unterstreichen. Ich möchte noch hinzufügen, daß man, wenn man sich nicht mit zum Vorreiter einer solchen Möglichkeit des Einsatzes von neuen Technologien macht, in der Tat auch Gefahr läuft, daß die deutsche Industrie, die solche Technologien entwickelt, ins Hintertreffen gerät. Das ist ein wirtschaftspolitischer Gesichtspunkt, der nicht vernachlässigt werden sollte.
Ich möchte in diesem Zusammenhang fragen: Müssen denn die Verantwortlichen — dies richte ich in erster Linie an die Bundesregierung — so lange warten, bis die betroffene Industrie uns in Werbesprüchen auf unsere Handlungs- und Regelungsdefizite aufmerksam macht? Dies tut Mercedes im Augenblick in großen Werbeanzeigen hinsichtlich der technischen Möglichkeiten beim Abgaskatalysator.
Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich komme gerade zum Schluß, Herr Präsident.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Mai 1983 457
Staatsminister Schneider
Ich glaube, daß wir uns dies nicht leisten können und Grund hätten, auf diesem Gebiet eine Vorreiterposition zu übernehmen — wir sollten also nicht auf andere warten —, um damit auch andere zu drängen, daß sie sich im Interesse der Gesundheit unserer Menschen, im Interesse unseres Waldes und im Interesse unserer Natur dem Notwendigen nicht verschließen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß Ihnen sagen, daß ich über den Verlauf der Debatte etwas überrascht bin. Wenn man sich nämlich die Anträge ansieht, wobei ich den Antrag der GRÜNEN ausnehme, der letztlich eine Art Ausstieg aus unserer Industriekultur bedeutet
— Sie gehen sehr weit, Sie sind sich über die Folgen wahrscheinlich nicht ganz im klaren —, ergibt sich, daß die Ziele ziemlich gleichgerichtet sind. Die Anträge unterscheiden sich nur in ganz wenigen Punkten. Über diese Punkte streiten wir uns. Wir sollten hier, wie ich meine, also nicht in eine gegenseitige Polemik verfallen, sondern sollten sehr sachlich und ruhig über die Punkte reden, in denen wir uns unterscheiden.
Wir, die Freien Demokraten, sind beispielsweise der Meinung, daß die Politik der Bundesregierung, die eine Fortsetzung der Politik, Herr Hauff, ist, die wir früher zu verantworten hatten, unserer Unterstützung bedarf. Auch wenn wir nicht in allen Punkten einig sind, ist das eine Fortsetzung der alten Politik.
Auch wir Freien Demokraten haben natürlich andere Positionen.
Wir setzen uns für eine Waldabgabe ein; ich komme gleich darauf zu sprechen. Ich halte das nicht für ein Horrorgemälde, sondern für ein marktwirtschaftlich sinnvolles Instrument, das sich bewährt hat.
Wir werden mit der Bundesregierung auch sehr intensiv über den nationalen Alleingang beim Auto reden. Ich persönlich, meine Partei und meine Fraktion sind nicht bereit, von dem Alleingang Abstand zu nehmen. Er hat überhaupt erst zu dieser Diskussion geführt. Der Anspruch einer nationalen Vorreiterrolle hat überhaupt erst die Bewegung in die Diskussion mit der Automobilindustrie gebracht.
Herr Kollege Zimmermann, Sie haben j a gerade erst mit den Vertretern der Automobilindustrie und Mineralölwirtschaft gesprochen. Ich habe das 1981 getan. Das ist sehr schwer. Sie haben j a gesehen, daß Sie keine Fortschritte haben machen können, weil die Automobilindustrie nach zwei Jahren
kommt und sagt: Wir haben nichts entwickeln können, wir sind nicht weitergekommen. Ich bin nicht dafür, jetzt auszuweichen und allein auf Blei zu setzen. Vielmehr sind hier alle Kräfte gefordert, einen Weg zu suchen, der unsere Gesundheit und die Wälder schützt. Die Automobilindustrie muß sich darüber klar sein, daß wir im Interesse des Schutzes unserer Wälder, der Gesundheit der Menschen eben auch eigene, nationale Regelungen treffen, wenn das im Rahmen des langsamen Geleitzuges Europa nicht möglich ist.
Herr Abgeordneter Baum, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Matthöfer?
Bitte sehr.
Herr Kollege Baum, ist mein Eindruck falsch, daß die von Herrn Dr. Zimmermann beklagte Verzögerung der Vorlage der Verordnung auf einen Streit zwischen Ihnen und Herrn Graf Lambsdorff zurückzuführen war, daß die Koalition deshalb nicht handlungsfähig war, weil sich Graf Lambsdorff in der FDP immer wieder durchsetzte?
Herr Matthöfer, das entspricht einem landläufigen Klischee. Dieser Eindruck ist falsch.
Herr Matthöfer, Sie saßen ja auch im Kabinett. Wir hatten viele Jahre lang gemeinsam Umweltpolitik zu verantworten. Ich kann mir keine Situation in Erinnerung bringen, wo wir hätten beklagen müssen, daß sich letztlich der Wirtschaftsminister, der j a ganz andere Interessen zu vertreten hat, entscheidend durchsetzen konnte.
— Nein. Er hat seine Argumente eingebracht, und das sind j a auch Argumente. Auch in diesem Falle müssen wir uns j a mit den Folgen der Großfeuerungsanlagen-Verordnung auseinandersetzen, etwa im Ruhrgebiet bezogen auf die Kohle. Aber er hat den umweltpolitischen Drive auch der damaligen Koalition nicht behindert.Herr Späth, Sie haben ja eine sehr griffige Rede gehalten.
Ich bitte Sie, jetzt einmal zuzuhören. Herr Späth, wir sollten die Schuldzuweisungen doch etwas in Grenzen halten. Sie wissen doch ganz genau, daß wir, als ich noch im Amt war, mit Ihren Beamten monatelang über die Großfeuerungsanlagen-Verordnung gesprochen haben. Sie wissen ganz genau, daß die Fristen, die Herr Kollege Zimmermann jetzt dankenswerterweise im Zusammenhang mit der TA Luft und der Großfeuerungsanlagen-Verordnung eingehalten hat, genau dieselben sind, die wir
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458 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Mai 1983
Baumam 1. September 1982 im alten Kabinett festgelegt hatten.
Es gehört doch zur Versachlichung der Diskussion, daß man das in Ruhe feststellt.Wenn Sie jetzt sagen, das sei alles verschlafen worden — das klingt wunderbar und trifft ja auch auf eine entsprechende Stimmung draußen —, möchte ich Sie in Ihrer Verantwortung einmal fragen — Sie haben uns in beeindruckender Weise erklärt, daß Sie die Kraftwerksbetreiber zusammenführten, daß Sie Ausschüsse gründeten, daß Sie Sofortprogramme vorbereiteten —: Herr Kollege Späth, warum haben Sie das nicht vor zwei, drei, vier Jahren gemacht?
Ich kann Ihnen sagen, warum Sie das nicht gemacht haben — ich nehme Sie jetzt in Schutz —:
weil wir alle über Art und Ausmaß des Waldsterbens nicht so informiert waren, wie wir das heute sind. Das ist die Wahrheit.
Ich muß mich überhaupt wundern, wobei das, was ich jetzt sage, nicht nur an Ihre Adresse gerichtet ist. Ich könnte Ihnen noch einige Beispiele aus Debatten im baden-württembergischen Landtag bringen. Sie haben noch vor zwei Jahren Anträge meiner Kollegen dort, der Kollegen Morlok und Schött, abgelehnt, die in eine Richtung zielten, die Sie heute vertreten. Ich mache Ihnen das gar nicht zum Vorwurf, ich sage nur: Wir sollten bei dieser Diskussion nicht so selbstgerecht sein.
Wir sollten nicht so selbstgerecht sein, meine Damen und Herren. Ich kenne kaum ein Kraftwerk, das nicht im Eigentum eines Bundeslandes oder zumindest der Gemeinden steht. Es wäre doch, Herr Kollege Späth — da spreche ich Sie wirklich nur stellvertretend an, Herrn Schneider müßte man auch ansprechen, alle, ich spreche mich selbst an, Herrn Bäumer, Herrn Farthmann —, möglich gewesen, den eigenen Kraftwerken Auflagen zu machen. Das tun Sie jetzt, ich sehe das. Aber Sie können uns doch nicht vorwerfen, wir hätten das Problem verschlafen, wenn Sie früher selber Ihren eigenen Kraftwerken diese Auflagen nicht gegeben haben.
Also bitte eine Versachlichung der Diskussion! Ich sage noch einmal, ich unterstütze — und hier unterscheide ich mich von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD — die Politik der Bundesregierung, denn ich sehe hier eine Kontinuität, die ich begrüße und die ich auch unterstütze.Ich möchte darauf hinweisen, daß auch die Wissenschaft Defizite zu verantworten hat. Bis heute steht nicht fest, in welcher Weise die Schadstoffezusammenwirken. Ich bin der Meinung, daß dennoch gehandelt werden muß, denn es ist gerade der Sinn des Vorsorgeprinzips, dort, wo eine hinreichende wissenschaftliche Bestimmung der ökologischen Eckwerte nicht möglich ist, den später nicht mehr zu behebenden Schäden vorzubeugen. Man muß eben im Umweltschutz handeln, bevor man Gewißheit hat, und das tun hier alle.Dieser Fall Wald zeigt, daß unsere Industriegesellschaft mit Gefährdungen lebt, die wir im letzten eben nicht ausgelotet haben und auch nicht ausloten können. Hier hat die Kollegin Beck-Oberdorf eine Frage gestellt, die in die gleiche Richtung ging. Wir leben mit Gefahren, die wir letztlich nicht ausloten können.
Deshalb bin ich der Meinung, daß der Maßstab „Natur" zu einem politischen Maßstab werden muß. Darüber sind wir uns wohl einig. Ich bin der Meinung, daß die „Zukunft" immer noch kein durchgängiges Thema der Politik ist, obwohl dies wichtiger wäre als je. Aber wir begreifen allmählich, daß das Überleben der Menschheit entscheidend abhängt vom Überleben und vom Funktionieren unserer Natursysteme, vom Wasserhaushalt, vom Weltklima. Wenn wir nicht freiwillig umdenken, werden uns die Folgen dieser Zerstörung dazu zwingen. Es gibt eben keine Umweltbelastung zum Null-Tarif. Wir müssen Umweltschäden in die volkswirtschaftlichen Bilanzen einbeziehen, nicht nur hier beim Wald, wo das jetzt geschieht und wo das auch relativ einfach ist, weil Wirtschaftsinteressen gegen Wirtschaftsinteressen stehen, sondern überall.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vogt ?
Kollege Baum, sind Sie mit mir der Meinung, daß die Gefährdung der menschlichen Zellsubstanz durch atomare Strahlung mindestens genauso alarmierend ist wie die Gefährdung der Natur, so wie Sie Natur hier verstanden haben, und daß der Weiterbau von Atomkraftwerken und von atomaren Anlagen auch unter dem Aspekt des Verhinderns, des Eindämmens des Waldsterbens nichts anderes ist, als den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben?
Ich bin nicht der Meinung, Herr Kollege, daß man das Problem jetzt löst, indem man an Stelle der Kraftwerke, die Kohle und 01 verfeuern, einfach Kernkraftwerke setzt — aus Gründen, die ich jetzt gar nicht ausbreiten will.
Ich bin auf der anderen Seite nicht Ihrer Meinung, daß die Gefahren so sind, wie Sie sie beschrieben haben. Darüber müßte man länger diskutieren.
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BaumWir Liberalen streben bei der Lösung dieser Probleme keine andere Gesellschaftsordnung an. Wir wollen diese Prozesse innerhalb unserer freien Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung bewältigen, die wir reformieren wollen, nicht abschaffen wollen. Wir wollen gerade die innovative Kraft der Wirtschaft nutzen und sie anreizen. Wir wollen mit allen kooperieren und nicht kommandieren. Wir kennen die komplizierten Abhängigkeiten unserer Industriegesellschaft. Es ist eine Illusion, aus dieser Industriekultur auszubrechen. Es gibt kein Zurück in die vorindustrielle Idylle.
Unser Verhalten ist nicht von Technikfeindlichkeit bestimmt. Wir haben aber auch kein blindes Vertrauen in den technologischen Fortschritt.In diesem Zusammenhang steht die Komplexkrankheit Waldsterben. Dies ist ein Fall, und das bekenne ich selbstkritisch, in dem unsere Vorsorgepolitik nicht ausgereicht hat.
— Sicher, sie hat nicht ausgereicht; das ist, Herr Ehmke, die Tatsache. Wir haben es so nicht vorhersehen können; ich werde daraus gleich eine Konsequenz ziehen.
— Nein! Es ist selbstgerecht, wenn Sie sagen, daß Sie es so haben vorhersehen können. Ich bestreite das.
Wir wußten immer von Schäden in der Natur, wir wußten auch von Schäden im Wald. Mir hat jemand die „Leipziger Zeitung" vom 13. März 1896 gegeben. Dort wird über einen Teil meiner Heimat, des Erzgebirges, geschrieben:„Dort ist der Wald zum Teil vollständig vernichtet, und der frühere Waldboden bringt nur einige wenige ärmliche Gewächse, harte Gräser, hervor."Da waren damals die Rauchschäden in unmittelbarer Umgebung der Hütten.Wir wußten allerdings auch, Frau Kollegin, frühzeitig über die Folgen der Fernschäden Bescheid, allerdings eben nicht, was das Ausmaß angeht. In der ersten Konferenz, der berühmten Umweltkonferenz in Stockholm 1972, hatten wir das Thema auf der Tagesordnung, allerdings mehr unter dem Gesichtspunkt des Sterbens der skandinavischen Seen als unter dem Gesichtspunkt des deutschen Waldsterbens.Als der Prozeß sichtbar wurde, habe ich — es war Anfang 1982 — namhafte Vertreter der Forstwirtschaft ins Bundesinnenministerium eingeladen, und dabei stellte sich etwas heraus, was jetzt auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen bestätigt. Er sagt:Art und Ausmaß der seit Mitte der 70er Jahre beobachteten Waldschäden sind von überlieferten forstlichen Erfahrungen her nicht mehr zu erklären. Die seitdem aufgetretenen Schadbilder sind neuartig und ergreifen immer mehr Waldbestände, die ganz unterschiedliche Lebensbedingungen aufweisen. Die Gefahr großflächiger Waldzerstörung ist nicht mehr von der Hand zu weisen.So das Sachverständigengutachten von diesem Jahr: „nicht mehr von der Hand zu weisen"!Wir haben dann die Maßnahmen, die wir vorbereitet hatten, beschleunigt, die Maßnahmen, über die wir heute reden. Ich sage noch einmal: Die Bundesregierung steht hier in der Kontinuität unserer bisherigen Bemühungen. Ich widerspreche aber erneut den Vorwürfen, die besagen, daß erst die neue Bundesregierung kommen mußte, um diese Dinge aus der Schublade zu nehmen. Dies ist eine Legende.Im übrigen kam dem Herrn Bundesinnenminister etwas zugute, worum ich ihn beneide: Er hat jetzt eine ganz andere öffentliche Meinung auf seiner Seite. Viele Gegner, die ich ihm alle benennen könnte und die überall sitzen,
wagen sich jetzt nicht aus der Deckung.
Ich kann ihn nur ermuntern, diese günstige Gelegenheit recht kräftig zu nutzen.
— Wissen Sie, ich könnte so viele nennen, aber der Katalog wäre doch unvollständig.
— Ja, gut, es gibt eine ganze Sammlung von Pressestimmen, auch jetzt.
— Ja, das gibt es natürlich, aber es gibt auch Lernprozesse.
Ich freue mich ja über jeden, der lernt. Wenn das „Handelsblatt" lernt und auch die „Bild"-Zeitung lernt, Herr Kollege Duve, dann können wir uns freuen.Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch etwas tun, was vielleicht ungewöhnlich ist. Ich möchte zwei früheren Mitarbeitern danken, die gerade an diesen Projekten erheblich mitgearbeitet haben, nämlich Herrn Dr. Hartkopf und Herrn MenkeGlückert.
Die FDP-Fraktion ist der Meinung, es muß jede Lösung eingesetzt werden, die schädliche Emissio-
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Baumnen verhindert, und zwar an der Quelle nach dem Stand der Technik, der heute erreicht ist. Die TA Luft war ein erster Schritt, die Großfeuerungsanlagen-Verordnung ein zweiter Schritt. Ich sage hier für meine Partei und für meine Fraktion: Wir stimmen auch im Kabinett den Verschärfungen des Bundesrates zu. Auch der Wirtschaftsminister stimmt dem zu. Aber es ist das gute Recht des Wirtschaftsministers, auf die ökonomischen Folgen dieser Entscheidung hinzuweisen. Das ist sogar seine Pflicht, denn wir müssen wissen, was diese Großfeuerungsanlagen-Verordnung bedeutet, und wir müssen dann bitte auch so mutig sein, die Folgen, die andernorts eintreten, gemeinsam zu tragen.
Wir setzen auf eine weitere Novellierung der Technischen Anleitung Luft in bezug auf die Emissionen. Dies ist schon in meiner Amtszeit in die Wege geleitet worden. Wir sind für fristenverkürzende Regionalabkommen mit den örtlichen Energieunternehmen. Sie gibt es ja schon, jedenfalls in einigen Ländern.Wir sind für die Fortsetzung und Intensivierung der Forschungsprogramme.Wir setzen uns für eine nachdrückliche weitere Abgasreduzierung beim Auto ein, notfalls im nationalen Alleingang; ich komme darauf noch zurück.Wir setzen uns ein für die Einführung einer Waldabgabe, d. h. einer Abgabe, die beim Verursacher als flankierende Maßnahme erhoben wird, die also nicht dem Bürger unmittelbar abgenommen wird. Das Aufkommen soll zur Entwicklung neuer Technologien für Demonstrationsvorhaben und für forstökologische Vorhaben verwendet werden.Ich möchte, Herr Kollege Späth, daß wir in einen sachlichen Dialog darüber eintreten: Was hat das Abwasserabgabengesetz gebracht? Es liegt ein Bericht beim Bundesinnenministerium, so wurde mir gesagt, ein Bericht der Länder. Wir haben die Stimmen von zwei Ländern gehört. Herr Schneider hat einen positiven Bericht gegeben, Sie einen negativen. Ich stehe zu diesem Gesetz, das wir j a gemeinsam verabschiedet haben.
Ich halte es für wichtig, daß wir Anreize gegeben haben, marktwirtschaftlich konforme Anreize. Am liebsten wäre es mir, wenn wir keine Abgabe bekämen, wenn nämlich alles in Ordnung wäre.Für die Übergangsfristen, die wir jetzt haben und die für viele Leute zu lang sind, wäre es wichtig, einen zusätzlichen ökonomischen Anreiz in Form einer Waldabgabe zu geben. Auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen, der ja ein sehr sachliches und abgewogenes Urteil hat, fordert uns in seinem neuesten Gutachten auf, über eine solche Waldabgabe intensiv nachzudenken.Ich weise auch nicht von vornherein, Herr Kollege Zimmermann, das Projekt von der Hand, sich in Zukunft einmal — nicht jetzt, aber in Zukunft — über das Bundes-Immissionsschutzgesetz zu unterhalten. Auch das gehört zur Vergangenheitsbewältigung: 1979 hatte ich eine Novelle vorgelegt. Sie ist dann am Bundesrat gescheitert aus Gründen, die sehr differenziert zu betrachten sind. Sie sollte ein Schritt nach vorne sein zur Luftreinhaltung, und das ist beim Bundesrat damals leider gescheitert. Ich glaube, wir werden unsere Luftreinhaltepolitik auf Dauer nur bewältigen können, wenn wir uns auch das Bundes-Immissionsschutzgesetz ansehen.Wir setzen uns ein für die Stimulierung der Nachfrage nach umweltfreundlichen Verfahren. Wir setzen auf eine Energiepolitik, die weitere Einsparungen und eine bessere Nutzung von Energie erreicht, bis hin zu der Überprüfung des Energiewirtschaftsgesetzes, das unter ganz anderen Gesichtspunkten, nämlich der Energiefreundlichkeit und nicht der Umweltfreundlichkeit, vor dem Kriege konzipiert wurde.Ich möchte sagen, Herr Kollege Späth — ich weiß nicht, ob Sie daran beteiligt waren —: Die Streichung des Fernwärmebonus jetzt durch den Bundesrat halten wir für ausgesprochen umweltfeindlich.
Zur Ehrlichkeit der Diskussion gehört, daß wir feststellen, meine Damen und Herren, daß wir alle Verursacher sind. Das beginnt, wenn wir jetzt draußen in unsere Autos steigen. Zur Ehrlichkeit der Diskussion gehört auch, zu sagen, daß alle noch so hohen Anstrengungen, wie wir sie jetzt unternehmen, nur nach und nach greifen werden.Ich möchte jetzt noch einige Bemerkungen zum Thema Auto machen. Im Jahre 1981 hatte die damalige Bundesregierung ein Gespräch mit der deutschen Automobilindustrie mit dem Ziele, Lärm und Emissionen beim Kraftfahrzeug zu senken. Wir haben damals die bisherigen Anstrengungen der Automobilindustrie zur Kraftstoffeinsparung gewürdigt. Die Bundesrepublik Deutschland — das muß hier festgestellt werden — nimmt beim Abgasverhalten der Autos eine Vorreiterrolle im Rahmen Europas, im europäischen Vergleich ein. Das muß man auch . einmal positiv feststellen. Aber dies reicht nicht aus. Die Automobilindustrie hatte vor zwei Jahren zugesagt, die Kraftfahrzeuge mit dem Ziel weiterzuentwickeln — so heißt es da —, „die Schadstoffmengen noch weiter abzusenken". Unser Ziel haben wir klar genannt, und Herr Zimmermann hat es jetzt bestätigt. Das sind die ECE-Werte der Serie 05 im Memorandum der Bundesregierung in der EG vom Jahre 1981, das heißt also eine weitere 50prozentige Reduzierung der Abgase, wie es in Schweden und in der Schweiz jetzt vorgesehen ist.Diesem Ziel, das müssen wir nüchtern feststellen, sind wir nicht wesentlich nähergekommen, weder national noch international. Wir sind jetzt der Meinung, wir dürfen nicht allein auf Blei setzen — da könnten sich durchaus positive Perspektiven auftun —, sondern müssen alle Möglichkeiten untersuchen, auch die des Motorkonzepts, um zu einer Reduzierung zu kommen. Wir lassen nicht ab, zu sa-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Mai 1983 461
Baumgen: Wenn international alles scheitert, machen wir das allein.
Wir wollen internationale Bemühungen in noch verstärktem Umfang. So ein Thema, wie wir es heute behandeln, meine Damen und Herren, gehört, weil es weltweit ist, auf den Gipfel in Williamsburg.
Wir bitten Sie — und damit komme ich zum Schluß —, ein Bodenschutzkonzept zu entwickeln, Herr Bundeslandwirtschaftsminister; die Landwirtschaftsklausel im Naturschutzgesetz muß novelliert werden, die Verbandsklage ist einzuführen. Über alles müssen wir reden.Nutzen wir jetzt, meine Damen und Herren, die Zeit; der Wald hat viel Umweltbewußtsein mobilisiert. Aber blicken wir nicht nur auf dieses Thema. Es gibt im Umweltschutz noch eine ganze Fülle zu tun. Tun wir es gemeinsam!
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ehmke .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde! Zunächst möchte ich Ihnen erläutern, warum die GRÜNEN einen eigenständigen Antrag zum Thema Waldsterben kurzfristig eingebracht haben. Die Positionen der SPD und der anderen Parteien sind seit langem bekannt. Genauso war seit einigen Wochen bekannt, daß die SPD ein Programm zur Bekämpfung des Waldsterbens vorlegen will.Die GRÜNEN haben im Dezember 1982 eine umfangreiche Luftreinigungsstrategie entwickelt. Nachdem man nun schon einiges an Vorschußlorbeeren für das SPD-Programm in der Presse lesen konnte, die SPD uns also gewissermaßen überholen wollte,
wobei die Frage ist, ob rechts oder links — das dürfte Ihnen ein bißchen schwerfallen, weil die GRÜNEN bekanntermaßen weder rechts noch links stehen, sondern vorn —,
setzten wir einige Erwartungen in das SPD-Papier. Und dann kam dieser Antrag! Wir halten ihn nicht für ein Notprogramm, um das einmal ganz klar zu sagen, sondern für einen Appell an die Regierung, ein Notprogramm zu erstellen.
Abgesehen davon, daß Ihr Appell doch recht allgemein gehalten ist, greift er auch inhaltlich viel zu kurz, Herr Duve, weil er die Luftreinhaltung als rein technisch zu lösendes Problem betrachtet. Weder die Struktur noch die sozioökonomischen Folgen der jetzigen Energieversorgung und deren Auswirkungen auf die Luftqualität werden im SPD-Antrag hinterfragt.
Sie scheinen die Zusammenhänge zwischen Großkraftwerken mit Hochschornsteinen, Monopolstellung der Energieversorgungsunternehmen, Großabnehmer begünstigender Strompreisgestaltung, massiver Werbung für Stromverbrauch einerseits und dem Waldsterben andererseits nicht zu sehen.
Deshalb spielen das Energiesparen und die rationelle Energienutzung in Ihrem Notprogramm auch eine völlig untergeordnete Rolle. Erneuerbare Energiequellen sind überhaupt nicht erwähnt — ein Rückschritt selbst hinter die Regierungserklärung des Bundeskanzlers, der allerdings, wie wir alle gehört haben, einige Schwierigkeiten mit dem Wort „regenerierbar" hatte.
Ich vermute aber, daß Sie von der SPD den Überholvorgang mit angezogener Handbremse abbrechen mußten, weil Sie — wie die anderen Parteien auch — Rücksicht auf Parteifreunde nehmen müssen, die in Aufsichtsräten von Industrie- oder Energieversorgungsunternehmen sitzen
und dabei keinerlei Interessenkonflikte mit ihren Staatsämtern verspüren, oder weil Sie, wie der Kollege Adolf Schmidt von der IG Bergbau und Energie, vor allem an die angeblich gefährdeten Arbeitsplätze im Kohlebereich und in der Energiewirtschaft denken, während wir im Sinne einer gesamtheitlichen Betrachtungsweise die weitaus größere Zahl von Waldbaubetrieben, von holzverarbeitenden Betrieben, von Fremdenverkehrsbetrieben, um nur einige zu nennen, mitberücksichtigen, die bei halbherzigen Bekämpfungsmaßnahmen auf der Strecke bleiben werden, ganz zu schweigen von den schwer kalkulierbaren sonstigen Schäden in unserer Umwelt und an unserer Gesundheit, die wir in irgendeiner Form früher oder später auch noch bezahlen müssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich bitte, dies nicht falsch zu verstehen. Ich möchte hier nicht belehrend auftreten;
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Dr. Ehmke
auch unsere Vorschläge sind sicher noch verbesserungsfähig. Ich will nur einmal deutlich machen, wo sich unser Verständnis von Energiepolitik und vielleicht von Politik generell grundsätzlich von Ihrem unterscheidet und weshalb wir uns veranlaßt sahen, ein eigenes Programm gegen Luftbelastung und Waldsterben einzubringen, zumal die SPD nach Bekanntwerden des Waldsterbens selber keinen vernünftigen Vorschlag zur Bekämpfung in die Tat umgesetzt hat.
Meine Damen und Herren, welche Lehren sind nun aus dem Waldsterben zu ziehen? Welche politischen Maßnahmen müssen ergriffen werden? Dies sind zwei der vielen Fragen, denen wir uns angesichts der heraufziehenden ökologischen Katastrophe hier im Bundestag stellen müssen. Spätestens während des Wahlkampfes haben wir doch wohl alle die große Betroffenheit und zum Teil auch Empörung gespürt, die bei unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern angesichts des Waldsterbens und der Untätigkeit der verschiedenen Bundesregierungen aufgekommen ist. Ich nehme an, daß auch Sie mit Briefen besorgter Forstleute, Landwirte, Umweltschützer überhäuft werden. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich bedauern, daß wir wegen der über uns hereinbrechenden Woge an Post noch nicht auf alle Wünsche und Anregungen antworten konnten.Jeder weiß inzwischen, daß diese Besorgnis, Betroffenheit und Empörung nicht übertriebener Naturfrömmelei und ideologischer Verklemmung entspringt, wie es interessierte Kreise auch hier im Hause gern und oft darstellen, sondern daß sie auf knallharten Tatsachen beruhen.Nach den mir vorliegenden Trendmeldungen, insbesondere aus Süddeutschland, dürfte die geschädigte Waldfläche in der Bundesrepublik inzwischen bereits über 10 % betragen; die im SPD-Antrag enthaltenen Zahlen sind nach Ihrem eigenen Eingeständnis inzwischen überholt. Wöchentlich kommen neue Schadensmeldungen hinzu. Auch die jüngst vom BBU veröffentlichte Karte der durch sauren Regen geschädigten Waldgebiete ist in Teilen bereits wieder veraltet.Meine Damen und Herren, wir können nicht mehr Schritt halten mit der ökologischen Katastrophe, weder die Behörden beim Kartenzeichnen und die Forstleute beim Abholzen der kranken Bäume, ganz zu schweigen von den Politikern, die seit Jahren wie das Karnickel auf die Schlange starren, ohne wirksame Gegenmaßnahmen zustande zu bringen.
Die entscheidende Frage, die wir uns zu allererst stellen müssen, lautet deshalb: Wie können wir den Wald noch retten? Angesichts der drängenden Probleme glaube ich nicht, daß dem Wald gedient wäre, wenn wir uns lange bei den Versäumnissen von gestern aufhalten würden. Man kann fast sagen: Die Regierungen kommen und gehen, aber das Waldsterben wird immer schlimmer. — Nein, meine Damen und Herren, diese ökologische und bald auch ökonomische Katastrophe trifft nicht nur die Forstleute und die Waldbesitzer — wenn ich an die vielen Schäden in den verschiedenen Bereichen denke —, sie trifft uns alle. Sie trifft uns viel zu schwer, als daß wir lange in einem kleinlichen Streit über das Gestern verharren können, während der Wald weiter stirbt. Es muß heute, es muß sofort gehandelt werden, um zu retten, was noch zu retten ist.Ich muß auch dem Kollegen Laufs ganz entschieden widersprechen, wenn er hier wieder den Eindruck zu erwecken versucht, als seien die Ursachen für das Waldsterben noch völlig unbewiesen.
— Das haben Sie so gesagt. Sie haben gesagt, es seien noch keine endgültigen Beweise dafür gefunden worden, warum das Waldsterben tatsächlich existiert.
— Herr Kollege Laufs, es gibt überwältigende Hinweise dafür, daß der Komplex Luftschadstoffe tatsächlich das Waldsterben auslöst. Demnach gibt es auch schon seit Jahren entsprechende Unterlagen und genügend Erkenntnisse, um sofort politisch handeln zu können.
Dafür gibt es keine Entschuldigung. Die Forstleute merken ganz genau, wer hier in diesem Hause dazu etwas sagt.Bei den Sofortmaßnahmen treffen wir uns in einigen Punkten mit den Sozialdemokraten, wenngleich ich nochmals betonen muß, daß dieses sogenannte „Notprogramm" wenig Wirksamkeit zeitigen wird, solange es allgemeine und lange schon bekannte Forderungen wiederholt.Die Forderungen der GRÜNEN, von denen ich jetzt nur eine ausführlich erläutern kann, sind dagegen wesentlich konkreter. Die Antwort auf unsere Forderungen wird der Öffentlichkeit schonungslos zeigen — und da helfen auch medienträchtig hochgepowerte Notprogramme und kraftvolle Sprüche vor dem Parlament nichts —, wer sich hier in diesem Haus wirklich für Wald und Bäume, für Luft und Wasser, für Tiere und Menschen einsetzt.
— Ich möchte keine Zwischenfragen zulassen, weil wir in der Zeit doch schon relativ fortgeschritten sind. — Solange aber solche Dreckschleudern — ich kann es nicht anders sagen — wie das Kraftwerk Buschhaus bei Helmstedt noch Rechtens sind, sind die Verordnungen nicht so viel wert wie die Berge an Papier, auf denen sie geschrieben stehen.Aber auch sozialdemokratische Minister betreiben ungeheure Verschwefelungstaktiken. Vorhin
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Mai 1983 463
Dr. Ehmke
war der Minister Farthmann hier; er ist jetzt leider nicht mehr anwesend.
Der Minister Farthmann feierte einen Vertrag mit den RWE über die Entschwefelung ihrer Braunkohlekraftwerke als entscheidende umweltpolitische Weichenstellung der 80er Jahre. Und wie sehen die harten Tatsachen dort aus? Frimmersdorf, ein Braunkohlekraftwerk bei Köln: Senkung von 108 000 t Schwefeldioxid pro Jahr auf 103 000 t; Neurath von 97 000 t auf 80 000 t; Weisweiler von 81 000 t auf 71 000 t; Niederaußem von 46 000 t auf 36 000 t. Diese klägliche Emissionsminderung um etwa 13 % als großen Fortschritt darzustellen, kann man doch wohl bloß als Volksverdummung bezeichnen.
Meine Damen und Herren, in unserem Antrag ist ein Stufenplan für die Verminderung des Schwefeldioxidausstoßes enthalten. Mit einem Aufwand von ca. 30 Milliarden DM, der überwiegend aus den Einnahmen des von uns geforderten Schadstoff- und Abwärmeabgabengesetzes finanziert werden soll, könnten die Emissionen bis zum Jahre 2000 auf 1,9 % — ich wiederhole: 1,9 % — der Emissionen des Jahres 1983 gesenkt werden.In der Phase 1 ist ein Rückgang der Schwefeldioxidemission auf fast die Hälfte der Menge von heute durch vollständige Entschwefelung vorgesehen, und zwar zunächst aller Kohlekraftwerke mit einer Nettogesamtleistung von über 300 MW elektrische Leistung. Dies betrifft 31 Anlagen mit Steinkohle- oder Steinkohle-Öl-Mischfeuerung mit ca. 19 000 MW Leistung insgesamt und acht Anlagen mit Braunkohlefeuerung mit ca. 12 000 MW Leistung. Außerdem soll ein Drittel der Industriefeuerungsanlagen entschwefelt werden, vor allem beim Einsatz von schwerem Heizöl in Raffineriefeuerungsanlagen. Dazu sollen Rauchgasentschwefelungsanlagen nach einer Bauzeit von zwei bis drei Jahren 1985/86 in Betrieb gehen. Diese können eine S02-Emission von 100 mg/m3 erreichen. Das ist Stand der Technik, und wir fordern das auch in unserem Antrag. Zusätzlich werden Rohgas-Reingas-Wärmetauscher eingesetzt. Beide Anlagen haben sich bereits in der Praxis bewährt.In der Phase 2 von 1986 bis 1989 soll die SO2-Emission um 860 000 t zurückgehen. Das entspricht etwa 29 % der Gesamtemission von 1983. Dazu müssen alle öffentlichen Kohle- und Ölkraftwerke mit einer Nettogesamtleistung von 100 MW und mehr entschwefelt werden. Das sind 55 Anlagen im Steinkohle-Braunkohle-Mischfeuerungsbereich, ca. 11 000 MW elektrische Leistung, und 35 Anlagen mit Heizölfeuerung, ebenfalls 11 000 MW elektrische Leistung. Zusätzlich soll ein weiteres Drittel der industriellen Großfeuerungsanlagen wie Stahlerzeugung, Kokereien und sonstige Verbraucher von Kohle oder schwerem Heizöl für Prozeßwärme entschwefelt werden. Der Energieverbrauch dabei entspricht etwa 15 Millionen t Steinkohleeinheiten pro Jahr.Dies hat natürlich auch arbeitsmarktpolitische Effekte. Pro Phase werden etwa 40 000 bis 60 000 Arbeitsplätze bei den Herstellern von Filteranlagen geschaffen. Darin sind die Arbeitsplatzzahlen, die zusätzlich in der Zulieferindustrie erzeugt werden, noch gar nicht enthalten.In der Phase 3, von 1989 bis 1992, soll der Ausstoß von SO2 noch einmal um ein Fünftel zurückgehen und beträgt dann zum Schluß nur noch 5 % des Ausstoßes von 1983.In der Phase 4 — ich möchte das jetzt nicht im einzelnen alles ausführen —, von 1992 bis zum Jahre 2000, wird die Restemission dann noch einmal heruntergedrückt durch Erhöhung des Wirkungsgrades der Rauchgasentschwefelungsanlagen und beträgt dann nur noch 1,9 % der Schwefeldioxidemission von 1983.Meine Damen und Herren, das verstehen wir unter Sofortmaßnahmen: bis 1993 eine Reduktion der Schwefeldioxidemission um 95 % und nicht um ein klägliches Drittel, wie es die Großfeuerungsanlagen-Verordnung des Herrn Bundesinnenministers vorsieht.
Ich denke, daß es schneller und wirksamer wohl nicht geht, es sei denn, man wollte sofort alle Kraftwerke auf der Grundlage von fossilen Brennstoffen abschalten. Das ist mit Sicherheit utopisch, denn wir können den Energieverbrauch nicht sprunghaft vermindern, ohne gewaltige wirtschaftliche und soziale Umbrüche zu riskieren. Und wenn der Bundesinnenminister uns vorwirft, wir wollten hundert Kohlekraftwerke stillegen — zusätzlich zu den Atomkraftwerken —, dann muß ich feststellen, daß er entweder nicht lesen kann oder hier bewußt die Unwahrheit sagt. Das ist in unserem Antrag gar nicht enthalten. Mit dieser Demagogie — —
Herr Kollege, ich bitte Sie, sich in der Wortwahl zu mäßigen.
Mit dieser Meinung wollen Sie doch bloß die GRÜNEN in die Ecke der Chaoten und der Unrealisten drängen.
Ich glaube, Sie sehen nicht die Brücke vom Heute zum Morgen. Bei diesen Techniken beginnt die Ökologie nämlich ihre Unschuld zu verlieren — um einen modernen Ausdruck zu gebrauchen —, zu ihrem Vorteil, indem sie sich angepaßter sozial- und umweltverträglicher Technologien wie der Wirbelschichtfeuerung, der Pyrolyse oder der Solarenergie bedient. Was wir allerdings genau aus diesen Gründen nicht haben wollen, und sofort stillegen oder gar nicht erst bauen sollten, sind Atomkraftwerke, Wiederaufbereitungsanlagen und Endlagerstätten.
Solche atomtechnischen Anlagen sind zu teuer, zu gefährlich und schaffen weniger Arbeitsplätze im Energiewirtschaftsbereich als andere Konzepte.
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464 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Mai 1983
Dr. Ehmke
Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit darauf richten, daß die Atomkraftwerke in der Bundesrepublik bald noch gefährlicher werden. Das Bundesinnenministerium hat einen Entwurf der Störfall-Leitlinien erstellt, der überwiegend eine Verschlechterung der bisherigen Sicherheitsvorschriften für Atomkraftwerke zur Folge hätte,
wenn er in der jetzigen Form verabschiedet werden würde. Er soll für alle neuen Kraftwerke, aber rückwirkend auch für die im letzten Sommer begonnenen Reaktoren der Baulinie 80 gelten. Wenn dieser Entwurf einer Störfall-Leitlinie durchkommt — und ich rufe von hier aus alle Bürger unseres Landes auf, sich mit Protesten und Aktionen dagegen zu wehren —,
dann weist die Bundesrepublik unter den Industrienationen die geringsten Sicherheitsanforderungen für Atomstörfälle auf. Nicht nur die USA, Großbritannien und sogar Frankreich haben dann schärfere Vorschriften für neue Anlagen, nein, selbst die COMECON-Staaten stellen in manchen Punkten höhere Sicherheitsanforderungen als dann die Baulinie 80.
Hier wird mit einer gefährlichen Sorglosigkeit an die Beurteilung von Störfällen herangegangen, ohne daß die Bevölkerung in irgendeiner Form die Möglichkeit hätte, mitzubestimmen, welches Risiko sie zu tragen bereit ist.Ich sagte bereits, daß wir auch an morgen denken müssen. Sofortmaßnahmen allein reichen nicht aus. Hier liegt auch der entscheidende Unterschied zum Notprogramm der SPD, ganz zu schweigen von den Vorstellungen der Regierungskoalition. Langfristig kann die Belastung durch Luftschadstoffe nur verringert werden, wenn der Energieverbrauch insgesamt und der Anteil fossiler Energiequellen gesenkt werden.
Nur eine nachhaltige vorsorgeorientierte Luftreinhaltung kann den Wald und unsere gesamte Ökosphäre auf Dauer erhalten. Hierauf legen wir GRÜNEN den Schwerpunkt unserer Luftreinigungs- und Energiepolitik.Unsere Gegenstrategie gegen Waldsterben und Luftbelastung beinhaltet ein Bündel abgestimmter Maßnahmen, die auch realistisch sind, weil das wirtschaftliche, finanzielle und technische Potential dafür vorhanden ist. Sie fußt letzten Endes auf drei Prinzipien: erstens rationellere Energienutzung und Energieeinsparung, also Senkung des Energieverbrauchs, zweitens verstärkter Einsatz von umweltschonenden, erneuerbaren Energiequellen, also im wesentlichen Zurückdrängung von Fossilenergie, und drittens technische Rückhaltung der noch verbleibenden geringen Restemissionen durch neue Technologien, also andere Verteilung derSchadstoffe. Die, die bisher in der Luft waren, sollen dann auf die Deponie kommen.Mit letzterer Bemerkung möchte ich andeuten, daß Emissionsminderung allein, wie sie etwa die hochgelobte Großfeuerungsanlagen-Verordnung erbringen soll, das Problem nur verlagert, aber nicht endgültig löst.
Unsere Mülldeponien sind auch ohne die Filterrückstände der Kraftwerke schon gefährliche Giftbomben, wie ein Blick in jede Zeitung zeigt. Technische Schadstoffrückhaltung kann nur kurzfristig helfen und langfristig bei steigendem Energieverbrauch die Schadstoffbelastung nur weniger stark ansteigen lassen. Eine grundsätzliche Lösung des Problems ist nur durch eine Kombination der drei genannten Prinzipien und somit durch eine grundsätzlich neue Energiepolitik möglich.
Die wichtigste Rolle in unserem Energiekonzept spielt die Energieeinsparung, weil sie relativ leicht zu verwirklichen ist und den größten Nutzen erbringt. Unsere sauberste und billigste Energie ist die gesparte Energie.
Volkswirtschaftliche Vernunft und umweltpolitische Erfordernisse verlangen zwingend, das knapp gewordene Kapital in die bessere Energienutzung und nicht in den Ausbau der Stromerzeugung zu investieren. Strom darf nur dort eingesetzt werden, wo er nicht ersetzbar ist, also vor allem für Licht und Elektromotoren. Ihn zur Erzeugung von Niedertemperaturwärme zu verwenden bedeutet, Energieverschwendung zu betreiben.
Trotzdem, meine Damen und Herren, sorgt die etablierte Energiepolitik dafür, daß weiterhin nicht in die Energieeinsparung, sondern in den Ausbau der Stromerzeugungskapazitäten investiert wird. Die mächtigste Lobby der Bundesrepublik, die Energieversorgungsunternehmen und die Kraftwerksindustrie, verdient nämlich kräftig am erhöhten Stromabsatz.
Wer am Verkauf von Strom verdient, wird unter allen Umständen seinen Stromabsatz erhöhen wollen. Er wird aber kein Interesse daran haben, daß der Energieverbrauch durch verbesserte Energienutzung verringert wird.
Hier liegt ein wesentlicher Schlüssel zum Problem auch des Waldsterbens. Auch die Struktur der Energiewirtschaft ist ein Verursacher des Waldsterbens.Wir fordern daher, die Monopolstellung der Energieversorgungsunternehmen aufzuheben und endlich die von der Enquete-Kommission 1980 aufge-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Mai 1983 465
Dr. Ehmke
stellten 62 Sofortmaßnahmen zur besseren Energienutzung in die Tat umzusetzen.
Bezeichnend ist aber, daß die Bundesregierung die Förderung der Wärmedämmung nach dem Bund-Länder-Programm zugunsten anderer Technologien, insbesondere der elektrischen Wärmepumpe, radikal einschränken will. Auch im Forschungsprogramm der Bundesregierung liegt der Schwerpunkt der Förderung nach wie vor bei der Stromerzeugung in zentralen Großkraftwerken.
Herr Kollege, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
Ich komme sofort zum Schluß.
Von 1973 bis 1982 wurden 75 % der staatlichen Fördermittel für die nukleare Energieforschung ausgegeben. Nur 4,2 % wurden zur Erforschung erneuerbarer Energiequellen wie Wind, Biogas, Solarenergie usw. eingesetzt.
Es weiß also jeder, um was es geht. Wenn jetzt nicht bedeutend mehr geschieht als das wenige, was die Bundesregierung vorhat, wenn die Wälder weiter sterben, wenn die Bronchitis und Krebswelle weiter zunehmen und die Verantwortlichen immer noch nicht das Erforderliche unternehmen, gibt es keinerlei Entschuldigung mehr.
Herr Kollege, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
Ich bin beim Schlußsatz, Herr Präsident.
Deshalb richte ich den eindringlichen Appell an die Regierung, an die Koalition, an den ganzen Bundestag: Zerreden Sie unseren Antrag nicht in den Ausschüssen; handeln Sie sofort. Stellen Sie die Weichen für die Zukunft. Unsere Nachwelt braucht eine bessere Luft als unsere sterbenden Wälder. — Danke schön.
Herr Kollege, das war ein Satz für sieben.
Ich möchte zunächst mitteilen, daß für diese verbundene Debatte eine Redezeit von drei Stunden verabredet war. Mir liegt eine interfraktionelle Vereinbarung vor, diese Redezeit um 40 Minuten zu verlängern. Dazu bedarf es der Zustimmung des Hauses. Ich weise darauf hin, daß wir dann noch zu Tagesordnungspunkt 19 kommen, zu dem eine sehr kurze Debatte vorgesehen ist. Ich denke, daß wir bis gegen 13 Uhr zu verhandeln haben. — Ich sehe keinen Widerspruch.
Der nächste Redner ist Herr Dr. Blens.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Hauff, Sie haben eben an die gemeinsame Verantwortung der Fraktionen für die Zukunft appelliert. Sie haben
gesagt: Wir müssen gemeinsam in die Zukunft sehen.
Das ist richtig; das wird nicht bestritten. Das wird uns als CDU/CSU aber nicht davon abhalten, auch in die Vergangenheit zu sehen, für die Sie Verantwortung zu tragen haben. Das Waldsterben, Herr Hauff, hat nicht im Oktober 1982 begonnen. Das Tannensterben hat in der ersten Hälfte der 70er Jahre begonnen. Das Fichtensterben hat in der Mitte der 70er Jahre begonnen. In der zweiten Hälfte der 70er Jahre sind Laubbäume hinzugekommen.
Es hat in der zweiten Hälfte der 70er Jahre eine Reihe internationaler Konferenzen über den sauren Regen gegeben. Heute, 1983, stehen wir vor der Situation, daß die Forschung noch nicht so weit ist, daß wir die Ursachen des Waldsterbens genau erkennen können.
Ich muß Sie, Herr Hauff, als ehemaligen Minister für Forschung und Technologie fragen: Wie steht es denn mit Ihrer Verantwortung für die Forschung in Sachen Waldsterben in den 70er Jahren? Diese Verantwortung haben Sie sträflich vernachlässigt.
Wenn Sie damals schon die nötigen Mittel eingesetzt hätten, um die Forschung auf diesem Gebiet voranzutreiben, wären wir heute erheblich weiter. Dann brauchten wir heute vielleicht kein Notprogramm der Sozialdemokraten gegen das Waldsterben.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Matthöfer?
Bitte schön.
Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Kollege, würden Sie, bevor Sie diesen Vorwurf weiter erheben, so liebenswürdig sein, sich zu erkundigen, was in meiner Amtszeit und in der Amtszeit von Herrn Hauff, von Herrn Riesenhuber in seiner Zwischenfrage eben freundlicherweise erwähnt, auf dem Gebiet der Rauchgasentschwefelung, Wirbelschichtfeuerung usw. getan worden ist?
Ich glaube, die Frage paßt nicht hierher.
Es geht doch um die Frage, was an Forschungsmitteln für die Erforschung der Ursache des Waldsterbens aufgewandt worden ist. Die Frage kann ich Ihnen allerdings für die letzten beiden Jahre beantworten. In den Haushalten der zuständigen Ministerien, des Innenministers, des Forschungsministers und des Landwirtschaftsministers, ist im Jahre 1982, unter Ihrer Verantwortung, ein Betrag von 1 330 000 DM für dieses Forschungsvorhaben ausgewiesen worden. In diesem Jahr stehen unter
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466 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Mai 1983
Dr. Blensder Verantwortung der CDU/CSU und der FDP 4,8 Millionen DM zur Verfügung. Das sind gegenüber dem, was 1982 von Ihnen dafür ausgegeben worden ist, 260 % mehr. Daran, meine Damen und Herren, zeigt sich, wer etwas tut und wer über das Waldsterben nur redet.
Herr Kollege, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Herr Kollege Matthöfer.
Herr Kollege, können Sie sich vorstellen, daß es dem Kollegen Hauff und mir evident und keines weiteren Beweises bedürftig war, daß der Ausstoß riesiger S02-Mengen auch den deutschen Wald schädigt und wir deshalb die Technologien entwickelt haben, die den S02-Ausstoß vermindern sollten?
Ich glaube, es ist unumstritten, daß auch SO2 zu den Verursachern des Waldsterbens gehört. Das sagen alle Wissenschaftler; „mit einiger Wahrscheinlichkeit" sagen sie dazu. Aber es ist auch unumstritten — und das steht in Ihrem eigenen Antrag —, daß wir heute noch nicht wissen, welche anderen Ursachen dazukommen. Da liegen eben die Versäumnisse Ihrer Forschungspolitik.
Herr Hauff, Sie haben ein Zweites gesagt. Sie sagten, die CDU/CSU müsse entscheiden, ob sie bereit sei, mit der SPD auch Unpopuläres durchzusetzen. Zunächst einmal kann ich Ihnen die Frage einfach beantworten: Wir sind dazu bereit. Ich glaube, es hat in der Vergangenheit kaum eine Mehrheit, kaum eine Regierung gegeben, die so bereit gewesen ist, Unpopuläres nicht nur zu sagen, sondern auch zu tun, wenn es im Interesse der Gesamtheit notwendig ist. Da können Sie sich auf uns verlassen.
— Sie können nachher noch reden.Allerdings muß ich Ihnen dazu sagen: Wir sind nicht bereit, Dinge mitzumachen, nur weil sie unpopulär sind.
Wir machen nur das mit, auch wenn es unpopulär ist, was wir für richtig halten. Falsches, was Sie vorschlagen, werden wir nicht mitmachen.
Deshalb komme ich jetzt zu zwei Dingen, die wir für bedenklich halten, Herr Hauff. Das ist einmal das Schwefelabgabegesetz, das Sie fordern, und zum anderen der Waldpfennig. Das stammt zwar beides nicht von Ihnen — Sie haben es abgeschrieben, diesmal nicht von der Bundesregierung —, sondern von der hessischen und von der nordrhein-westfälischen Landesregierung. Aber warum sollten Sie von denen nicht abschreiben, solange Sie dort noch die Regierungen stellen.
Lassen Sie mich zu dem Schwefelabgabegesetz etwas sagen, einige Bedenken formulieren. Sie erreichen mit der Schwefelabgabe nur dann einen wirtschaftlichen Anreiz zum Einbau von Entschwefelungsanlagen, wenn die Abgabe höher ist als die Kosten, die einem Unternehmen beim Betreiben einer Entschwefelungsanlage entstehen.
— Dazu komme ich nachher noch. — Ist sie niedriger, wird es der Betreiber vorziehen, die Abgabe zu zahlen, den Schwefel weiter in die Luft zu blasen, und für den Umweltschutz hätten Sie überhaupt nichts erreicht.
Wenn Sie aber die Schwefelabgabe höher als die Kosten der Entschwefelung ansetzen, nehmen Sie dem Betreiber einer Anlage unter Umständen genau diejenigen finanziellen Mittel, die er nötig hätte, um die erforderliche Entschwefelungsanlage einzubauen.
Die Abgabe zu zahlen und zu investieren wird in vielen Fällen wirtschaftlich nicht möglich sein. Auch dann hätten Sie für den Umweltschutz nichts erreicht.
— Sie können sich doch hier zu Wort melden. Dann können Sie reden, solange Sie wollen. Sie sollten aber nicht immer dazwischenreden. Das stört doch.
Nun können Sie natürlich sagen — und das werden Sie tun —: Aus dem Aufkommen der Schwefelabgabe wird demjenigen, der die Schwefelabgabe zunächst zahlen muß, später, wenn er investieren will, eine staatliche Subvention gezahlt. Und da muß ich nun fragen: Ist es eigentlich ein sinnvoller Weg so zu verfahren? Man muß sich das ganz praktisch vorstellen. Da zahlt ein Betreiber einer Anlage 100 DM Schwefelabgabe. Um sie einzuziehen und um sie als Subvention zu vergeben, braucht man natürlich einen bürokratischen Apparat — Herr Späth hat j a schon darauf hingewie-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Mai 1983 467
Dr. Blenssen. Der kostet Geld. Da müssen Sie von den 100 DM die Verwaltungskosten — sagen wir 50 DM — abziehen. Dann werden die restlichen 50 DM als Investitionshilfe für den Einbau von Entschwefelungsanlagen ausgegeben. Da bleiben von den 100 DM Abgabe noch 50 DM für den Umweltschutz und 50 DM für den Aufbau und die Finanzierung zusätzlicher staatlicher Bürokratien.Da muß ich Ihnen sagen: Wir halten es für sinnvoller, die 100 DM direkt in vollem Umfang dem Betreiber zu belassen, es ihm zu ermöglichen und ihn auch durch die Großfeuerungsanlagen-Verordnung zu veranlassen, diese 100 DM in Entschwefelungsanlagen zu investieren. Dann haben Sie mehr für den Umweltschutz getan und haben Sie weniger staatliche Bürokratie.
Es mag sein, daß Sie das an dem ganzen Verfahren und unserem Vorschlag stört.Schließlich: Die Schwefelabgabe würde gerade jene Altanlagen finanziell besonders treffen, die im Ruhrgebiet stehen und dort Steinkohle verfeuern. Der Steinkohlestrom, der ohnehin schon zu teuer ist, würde durch die Schwefelabgabe noch mehr verteuert. Da stellt sich die Frage, wie Sie die Kohlevorrangpolitik, die j a auch Sie beibehalten wollen, wirtschaftlich weiter durchsetzen wollen.Wir jedenfalls sind der Meinung, daß das Schwefelabgabegesetz kein geeignetes Instrument für den Umweltschutz und gegen das Waldsterben ist.Lassen Sie mich ein Letztes zum Waldpfennig sagen. Zunächst einmal ist das Etikettenschwindel. Es geht nicht um den Wald. Es geht um die Kohle. Der Waldpfennig ist kein Waldpfennig. Der Waldpfennig ist ein Kohlepfennig. Denn grundsätzlich ist es so, daß die Kohlekraftwerke und die Betreiber dieser Anlagen nach dem Verursacherprinzip auch die Umrüstung der Anlage und den Einbau von Entschwefelungsanlagen zahlen müssen.
Diese Zahlungsverpflichtung, die sie sicher hart trifft, besonders in Nordrhein-Westfalen, soll ihnen durch eine Subventionierung über den Verbraucher, über den Waldpfennig abgenommen werden. Es geht um die Subventionierung der Kohle und nicht um die Subventionierung des Waldes. Das sollte man um der Klarheit willen sagen.
Man sollte dazusagen, daß der Kohlepfennig, die Schwefelabgabe und die Kosten aus der Großfeuerungsanlagen-Verordnung zusammen
zu einer Kostenerhöhung beim Strom um mindestens drei Pfennig pro Kilowattstunde führen. Dasist eine Kostensteigerung um etwa 20 %. Wenn Sie20 % Kostensteigerung beim Strom haben und einmal fragen, wie Zink- und Bleihütten oder die chemische Industrie das verkraften sollen, dann kommen Sie zu dem Ergebnis: Die können das nicht verkraften; die werden im internationalen Wettbewerb wettbewerbsunfähig. Da werden Hunderttausende von Arbeitsplätzen gefährdet. Wir sehen unsere Verantwortung nicht nur für den Umweltschutz. Wir sehen unsere Verantwortung nicht nur für den Wald. Wir sehen unsere Verantwortung auch für die Erhaltung von Arbeitsplätzen in der Bundesrepublik und nicht zuletzt in NordrheinWestfalen und an der Saar.
Wir werden uns weder durch Ihre Anträge noch durch die öffentliche Meinung abbringen lassen,
diese Verantwortung für die Arbeitsplätze und für die Beseitigung der Arbeitslosigkeit zurückzustellen.
Wir wollen Umweltschutz und Arbeitsplätze. Wir werden mit unseren Vorschlägen und Methoden beides erreichen; seien Sie sicher.
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfram .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung an die Adresse der Sprecher der CDU/CSU: Laufs, Zimmermann, Späth und jetzt auch noch des Kollegen Blens. Sie hätten gar keinen Anlaß gehabt, zu polemisieren. Denn Sie haben doch auf vielen der heute zur Diskussion stehenden Gebieten in den letzten zehn Jahren im Bremserhäuschen gesessen.
Ich will die Einzelbeispiele gar nicht anführen. Sie sind ja schon andeutungsweise erwähnt worden. Ich nenne die Stichworte Luft, Wasser, Abwässer. Ich könnte den Katalog erweitern. Wenn Sie dem Kollegen Hauff und uns den Vorwurf machen, daß wir heute ein Notprogramm gegen das Waldsterben vorlegen, dann frage ich Sie: Warum haben Sie denn in Ihrer Oppositionszeit, wenn Sie die Dringlichkeit und die Problematik gesehen haben, nicht ein solches Notprogramm vorgelegt? Das hätten Sie doch tun können.
Wir hätten mit Ihnen ein solches Programm ganz konstruktiv beraten.Im übrigen ist heute eines klargeworden — jeder Ihrer Redner, auch der letzte, hat es offenbart —: Sie benutzen diese Debatte, um einen Vorwand zu finden, die Kernenergie nach vorn zu puschen.
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468 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Mai 1983
Wolfram Das machen wir nicht mit.
Keiner Ihrer Redner — Sie haben den Kollegen Gerstein und andere Kollegen hier j a nicht an das Pult gelassen — hat ein Wort dazu gesagt: Wie halte ich es denn mit der Kohle, mit den Arbeitsplätzen im Bergbau und mit dem Kohlevorrang?
Darauf sind Sie die Antwort bis zur Stunde schuldig geblieben.Ich bin dem Kollegen Baum sehr dankbar für seine sehr objektive Schilderung. Ich leugne gar nicht: Auch in unseren Reihen gab es den einen oder anderen, der bei manchem Vorhaben den einen oder anderen Einwand hatte. Wir wären unredlich und würden unglaubwürdig, wenn wir das nicht zugeben würden.
Wir sind aber lernfähig.
Wir versuchen jetzt, eine konstruktive Opposition zu betreiben, indem wir Sie auffordern, auf der Basis dieses Programms und auch auf der Basis der Vorschläge der neuen Kolleginnen und Kollegen in diesem Hause mit uns gemeinsam zu überlegen, wie wir schnellstens der Gefahren, die sich j a gerade in den letzten Monaten und Jahren radikal verstärkt haben, Herr werden können.Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Thema ist zu ernst — wir alle sind hier herausgefordert —, als daß man es überwiegend auf polemischer Ebene behandeln könnte. Ich muß ganz ehrlich sagen: Hätte der Kollege Späth im ersten Teil seiner Rede so gesprochen wie im zweiten Teil, hätten wir ein hohes Maß an Konsens zumindest mit diesem Sprecher der Opposition feststellen können.
Ich betone, daß das, was die SPD-Fraktion vorlegt, keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Es handelt sich aber um eine Initiative, die Anlaß zu Überlegungen gibt: Was kann sofort geschehen? Was muß geschehen? Ich fordere Sie auf, mit uns in den Ausschußberatungen sachlich zu klären: Wo sind wir gefordert? Welchen Entscheidungs- und Handlungsspielraum haben dieses Parlament und diese Regierung? Wir sind bereit, mit Ihnen konstruktiv nach Lösungen zu suchen, die der akuten Gefahr begegnen.
Das, was wir vorschlagen, steht im übrigen in der Kontinuität unserer Energiepolitik. Verehrter Kollege Dr. Ehmke von den GRÜNEN, wir freuen uns natürlich über jeden neuen Energiepolitiker in diesem Hause. Wir sind gern bereit, mit Ihnen über die Einzelheiten, die sich für die Energiepolitik ergeben, zu reden.Das, was wir hier vorschlagen und fordern und was in den Ausschußberatungen noch angereichert werden wird, deckt sich mit unseren energiepolitischen Zielvorstellungen, nämlich einerseits die Energieversorgung langfristig zu sichern und die Importabhängigkeit zu verringern und andererseits alles zu tun, damit Energie gespart wird, regenerative Energiequellen erschlossen werden, ein Höchstmaß an Umweltschutz und die Erhaltung einer gesunden Umwelt gesichert sind und der Kohlevorrang nicht gefährdet wird.
Die Sozialdemokraten in diesem Hause haben immer in diesem Sinne gehandelt, und unsere sozialdemokratischen Freunde in den Länderparlamenten und in den Länderregierungen unterstützen dies.Wir haben die Zielkonflikte, die es bei dieser Problematik gibt, nie geleugnet. Wir haben sie offen angesprochen. Ich will das an wenigen Beispielen erläutern.Bei allen Beratungen über die Verstromungsgesetze haben wir Sozialdemokraten darauf gedrängt, daß neue, umweltschonende Kohlekraftwerke mit scharfen Auflagen gebaut und gleichzeitig alte, umweltbelastende Kohlekraftwerke stillgelegt werden. Wir konnten dafür allerdings nicht immer eine Mehrheit finden.Wir Sozialdemokraten haben der Fernwärme immer einen hohen Stellenwert eingeräumt und tun das auch heute noch. Wir fordern Sie auf, verehrte Kollegen von den Regierungsparteien, dafür zu sorgen, daß diese umweltfreundliche Energie nicht auch über die Wupper geht.
Wir müssen jetzt die Mittel im Haushalt bereitstellen. Sie haben unsere entsprechenden Anträge, seitdem Sie an der Regierung sind, abgelehnt.
Ich will ein Wort zum Kohlevorrang sagen. Wir stehen ohne Wenn und ohne Aber dazu. Wir sagen aber ebenso deutlich, daß die Verwirklichung einer Kohlevorrangpolitik, wie wir sie verstehen und vertreten, nicht im Gegensatz zu der Notwendigkeit steht, das Sterben des Waldes zu verhindern.
Oder anders ausgedrückt: Wir können mit gutem Gewissen auf dem Kohlevorrang bestehen, wenn sichergestellt ist, daß Braun- und Steinkohle so umweltfreundlich wie möglich und für die menschliche Gesundheit unbedenklich eingesetzt und verwendet werden. Das ist unsere Formel.Für uns Sozialdemokraten gibt es keinen Gegensatz zwischen der Erhaltung von Arbeitsplätzen einerseits und der Verwirklichung einer gesunden Umwelt andererseits.
Beide Ziele müssen durch die Politik angestrebt,verwirklicht und sichergestellt werden, d. h. wir
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Wolfram
sind dafür, daß das sozial Notwendige, technisch und finanziell Machbare auch geschieht. Wir sind aber auch gegen voreilige Verallgemeinerungen. Gesundes darf nicht krank gemacht werden, ohne daß Krankes gesund wird. Wir sind für strengste Auflagen, aber wir sind auch dagegen, daß leichtfertig Auflagen gefordert werden, die Arbeitsplätze zerstören können. In der Beurteilung dieser Frage sind wir uns mit den deutschen Gewerkschaften, vor allem auch mit der in der letzten Zeit dann und wann kritisierten IG Bergbau und Energie, einig.Gerade die hart arbeitenden Menschen im Bergbau und in der Stahlindustrie haben doch wohl am ehesten Anspruch auf eine gesunde Umwelt. Wäre der Ministerpräsident von Baden-Württemberg noch hier, würde ich ihm sagen: Zwischen seiner Forderung, den Schwarzwald gesund zu erhalten oder gesund zu machen, und unseren Zielsetzungen gibt es überhaupt keinen Widerspruch. Beide Ziele müssen gleichrangig gesehen werden.Ohne daß ich bei der Einbringung unseres Antrags die Gelegenheit habe, zu sehr in Einzelheiten zu gehen — das wird im Ausschuß geschehen —, stelle ich fest, daß zur Vermeidung weiterer Schäden sofortiges Handeln, national wie international, geboten ist. Wir gehen davon aus, daß das Waldsterben auf verschiedene Ursachen zurückzuführen ist. Ich will jetzt gar nicht beurteilen und bewerten, welche anderen Faktoren als die hauptsächlich genannten — Schwefeldioxid und Stickoxide — eine Rolle spielen. Ich will nicht beurteilen, wie groß der Anteil der Schäden durch Photooxidantien und andere Schadstoffe sein mag. Das wird sicherlich den Ausschußberatungen und Sachkundigeren vorzubehalten sein. Aber sicher ist, daß es eben eine Fülle von Faktoren gibt, und wir tun gut daran, die Ursachen nicht einäugig zu sehen. Vielmehr müssen wir möglichst alle Ursachen und Verursacher in ihrer Kombinationswirkung berücksichtigen.Ich halte es mit dem Sachverständigenrat für Umweltfragen, der in seinem Sondergutachten „Waldschäden und Luftverunreinigungen" im März 1983 ausgeführt hat, daß eine verläßliche Diagnose die Voraussetzung für eine erfolgversprechende Therapie sei.
Deshalb muß natürlich die Ursachenforschung koordiniert und möglichst bei einer über alle Zweifel stehenden wissenschaftlichen Organisation angesiedelt werden. Luftreinhaltemaßnahmen können und dürfen sich natürlich nicht auf die Bundesrepublik Deutschland beschränken. Aber wir müssen an der Spitze und nicht am Ende des Geleitzuges stehen.
Wir unterstützen deshalb eine baldige Luftreinhaltekonferenz für ganz Europa, für Ost- und West-, für Süd- und Nordeuropa. Wir wünschten natürlich, daß der EG-Umweltrat am 16. Juni 1983 konkrete Beschlüsse faßt. Der gute Wille allein genügt nicht, Herr Kollege Zimmermann, sondern Sie sind gefordert, sich mit Hartnäckigkeit durchzusetzen. Dabei werden Sie unsere politische Unterstützung haben.Ich frage die Bundesregierung, ob es stimmt, daß auf Einspruch einer oder mehrerer Regierungen der EG-Partnerländer das Thema Umweltschutz von der Tagesordnung des Stuttgarter Gipfeltreffens abgesetzt worden ist. Ich wäre dankbar, Herr Kollege Kiechle oder Herr Kollege Riesenhuber, die Sie nachher ja noch sprechen, wenn Sie diese Frage beantworten würden; denn der Kollege Späth hat hier so getan, als stünde das Thema auf der Tagesordnung des Stuttgarter Gipfels. Ich bin anders informiert. Sagen Sie, wie es wirklich ist. Sagen Sie vor allem, was Sie konkret zu tun gedenken, um mit allen Nachbarländern zu konkreten Handlungen und Entscheidungen zu kommen.Ich möchte noch einmal unterstreichen, daß wir natürlich wissen, daß die Kraftwerke bedeutende Emittenten sind, aber es gibt auch noch andere. Sie sind hier angesprochen worden. Ich klammere auch nicht den Bereich der Einzelfeuerungen mit seinen 5 % aus. Ich bin der Meinung, wir müssen alle Emittentengruppen gleichrangig und gleichgewichtig behandeln und die Schäden, die dort entstehen, auch möglichst gleichrangig und gleichzeitig bekämpfen. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, neben der Verschärfung der GroßfeuerungsanlagenVerordnung und der Anpassung der TA Luft an den neuen Stand der Technik gesetzliche Schritte in Richtung bleifreies Benzin, Einbau von Katalysatoren usw. usf. einzuleiten. Was bei deutschen Kraftfahrzeugen, die in die USA geliefert werden, möglich und notwendig ist, sollte ja wohl auch für europäische Automobile gelten, die auf deutschen und europäischen Straßen fahren.Ich betone noch einmal, daß wir uns zum Einsatz der Fernwärme, erzeugt auf dem Wege der KraftWärme-Kopplung, bekennen. Es wäre absurd, wenn diese auf dem Wärmemarkt umweltfreundlichste Energie in ihrem Bestand gefährdet oder in ihrem weiteren Ausbau behindert würde. Deshalb fordern wir von der Bundesregierung, im nächsten Etat, im Nachtrag und im 84er Etat, zusätzliche Mittel bereitzustellen. Wir werden garantiert mit entsprechenden Anträgen kommen. Ich freue mich jetzt schon auf Ihre Unterstützung.Meine Damen und Herren, ich fordere in diesem Zusammenhang die Bundesregierung auf zu erklären, warum sie die aus dem EG-Nachtragshaushalt vor wenigen Monaten zugeflossenen über 200 Millionen ECU — das sind fast 500 Millionen DM — nicht vorwiegend oder überwiegend zur Modernisierung von Kohlekraftwerken und zur Bekämpfung von Waldschäden eingesetzt hat. Die sozialistische Fraktion im Europäischen Parlament hat dies gefordert, aber keine Mehrheit gefunden. Herr Innenminister und Herr Dr. Riesenhuber, meinen Sie eigentlich, es war richtig, daß Sie den größten Teil dieser Mittel nicht für die von mir genannten Zwecke eingesetzt haben, sondern daß Sie den größten Teil in das Faß ohne Boden, den Schnellen Brüter, schütten?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr gern würde ich mich auch noch mit der Frage der
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470 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Mai 1983
Wolfram
Kosten und des Nutzens der notwendigen und geplanten Maßnahmen beschäftigen. Leider fehlt dazu die Zeit. Das muß man aber behandeln. Man kann sich an der Beantwortung dieser Fragen nicht vorbeidrücken. Wir werden das im Ausschuß tun. Ich will nur feststellen: der volkswirtschaftliche Aufwand für die Bekämpfung der Schadensursachen ist sicherlich wesentlich geringer als die ökologischen und ökonomischen Folgen einer Zerstörung unserer Wälder. Unter diesem Gesichtspunkt werden wir handeln. Wir werden den Bürgern sagen, daß wir, die wir alle letztlich mitverantwortlich sind für Schäden, auch für ihre Verhinderung und Beseitigung finanzielle Opfer bringen müssen. Nur, wir werden darauf achten, daß die Lasten nicht einseitig, sondern gerecht verteilt werden.Ich komme zu einem Punkt, der mich besonders berührt. Vieles, was heute in der Diskussion stand, wird bestenfalls mittel-, eher langfristig wirken. Wir brauchen aber sofortige Maßnahmen. Ich hätte mir gewünscht, daß der Herr Innenminister gesagt hätte, was er denn sofort zu tun gedenkt. Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf, gemeinsam mit den Länderregierungen ein Sofortprogramm zur Bekämpfung auch bereits vorhandener Schäden vorzulegen. Wir müssen die Ursachen an der Quelle bekämpfen, wir müssen aber auch bekämpfen, was schon an Schäden da ist. Wir müssen vor allem versuchen, das mit unseren Nachbarn durchzusetzen, insbesondere auch mit der DDR und der Tschechoslowakei. Meines Erachtens sollte sofort bundesweit mit einer Aktion begonnen werden, um z. B. die Nährstoffversorgung der Böden zu verbessern, um zu prüfen, ob das Besprühen der Baumkronen mit Magnesiumsulfat und viele andere Maßnahmen geeignet sind zu helfen. Es gibt wissenschaftliche Erkenntnisse darüber; sie müssen erprobt werden. Nur: Das alles kostet Geld und Arbeitskraft, und die müssen bereitgestellt werden. Da genügt es nicht, wenn man zu einer Stiftung „Rettet den Wald" auf freiwilliger Basis aufruft, sondern das setzt voraus, daß dann auch die personellen und die finanziellen Konsequenzen gezogen werden, wie Minister Schneider das hier in vorbildlicher Weise für das Land Hessen dargelegt hat.
Ich bin der Meinung, Herr Minister Zimmermann, es wird viel finanzieller Aufwand notwendig sein, und Sie und Ihre Bundesregierung kommen nicht daran vorbei, sich an der Finanzierung dieser Maßnahmen zu beteiligen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich stelle zusammenfassend fest:Erstens. Wir bitten Sie, unser Notprogramm gegen das Waldsterben konstruktiv mit uns zu beraten und schnellstens in die Tat umzusetzen.Zweitens. Wir fordern ein Sofortprogramm zur Bekämpfung bereits vorhandener und zur Verhinderung entstehender Schäden.Drittens. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß die Forschung national und, wenn möglich, international koordiniert wird.Viertens. Für uns heißt „Kampf gegen das Waldsterben" nicht Abkehr von der Kohlevorrangpolitik. Im Gegenteil!Fünftens. Wir werden nicht zulassen, daß die Debatte über den sauren Regen — wie seitens des bayerischen Ministerpräsidenten Strauß und anderer CDU/CSU-Politiker bereits geschehen — zur Abkehr von der Kohlevorrangpolitik und zu einer Wende hin zum verstärkten Einsatz der Kernenergie mißbraucht wird.Sechstens. Mehr denn je gelten unsere bewährten Grundsätze, weiter und konsequent Energie einzusparen, alternative Energien so weit wie möglich einzusetzen, die umweltfreundliche Kohlennutzung zu verstärken und den Umweltschutz auf allen Feldern, national und international, weiter offensiv zu entwickeln.Das Waldsterben ist eine Gefahr für uns alle. Die ökologischen Folgen eines weiträumigen Waldsterbens können zu einer irreversiblen Zerstörung unserer natürlichen Grundlagen führen. Wir alle sind herausgefordert. Lassen Sie uns gemeinsam handeln!
Meine Damen und Herren, ich begrüße den Minister für Industrie und Energie von Irland, der auf der Diplomatentribüne Platz genommen hat. Er ist zugleich Leader of the House und hat den Auftrag, unsere Parlamentsreform zu studieren. Ich wünsche ihm einen angenehmen und interessanten Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.
Das Wort hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Wald ist die Lebenslunge für Menschen und Tiere, und dieser Wald ist in Not. Er ist in großer Not. Das erkennen wir alle jetzt in Klarheit,
und wir sind alle gemeinsam bereit zu handeln.Wenn es hier im Hause Kollegen gibt, die das schon vor zehn Jahren oder vor fünf Jahren wußten, so sind sie klüger als wir; mögen sie sich das ruhig einbilden. Ich bekenne mich dazu: Wir haben dieses Ausmaß der Schäden vor zwei, drei Jahren nicht erkannt, wie einer der Kollegen heute auch schon gesagt hat.
Aber wir sind bereit, jetzt zu handeln.Wir werden zusammenstehen, und wir werden gemeinsam alle Möglichkeiten nutzen müssen, um diesem Waldsterben Einhalt zu gebieten. Es nützt überhaupt nichts, wenn wir uns hier gegenseitig die Schuld zuweisen. Allerdings gilt das für alle. Diejenigen, die 13 Jahre an der Regierung waren, dürfen nicht hierher kommen und polemisieren und gleich-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Mai 1983 471
Bundesminister Kiechlezeitig sagen: Aber wir wollen jetzt nicht weiter polemisieren; seid ihr lieber freundlich und sachlich, nur wir nehmen die Polemik in Anspruch. — So geht es dann auch nicht!
Wenn Sie diese Zusammenarbeit wollen, müssen Sie auch selbst auf die Polemik verzichten.Meine Damen und Herren, denken Sie bitte daran, daß Sie für die Bekämpfung gerade dieses Waldsterbens die Förster und die Bauern brauchen und daß Sie eine vorsorgliche staatliche Walderhaltungspolitik brauchen, die es übrigens auch in der Vergangenheit schon gegeben hat. Förster und Bauern haben die deutschen Wälder gepflanzt. Ohne sie hätten wir vielleicht Verhältnisse wie in manch anderem, mittlerweile stark verkarsteten europäischen Land.
Sie werden sie auch wieder brauchen, um Schädenheilen zu können und um dort, wo diese nicht mehrheilbar sind, den Wald wenigstens zu regenerieren.Förster und Bauern sind allerdings nicht gewillt, ihre Bereitschaft auf Mithilfe dabei nach der Mengenlehre anzustellen,
sondern sie rechnen nach Mark und Pfennig. Es nützt gar nichts, pfennigweise gescheit zu sein und markweise dumm, weil dann am Ende die Rechnung nicht stimmt.
Es gibt immer noch Leute, die nur dann selig sind, wenn sie irgendwelche Abgabepfennige erfinden. Ich bin nicht der Meinung, daß uns diese Art von Klugheit bei Pfennigen dem Ziel näherbringt.
Wenn, dann werden wir andere Finanzierungsmöglichkeiten finden als die, die einen mit Pfennigbeträgen belasten zugunsten anderer.
Ich möchte Sie auch darauf aufmerksam machen, daß es nicht nur darum geht, die Kosten für die Verhütungsmaßnahmen zu berechnen, sondern daß es auch darum geht, die Schäden zu berechnen, die in der Zwischenzeit denen entstehen, die an diesen Waldschäden nichts mehr ändern können. Wir werden unseren Beitrag dazu leisten, daß auch hier gerechnet wird. Wir müssen über die materiellen Schäden hinausdenken, denn die ökologischen Folgewirkungen sind schwerwiegender als nur die materiellen Schäden allein. Der Wald erbringt ja für uns unverzichtbare Schutzwirkungen für Boden, Wasser, Luft und Lebewesen. Gerade ein hochindustrialisiertes Land wie das unsere muß die Folgen auf diesem Sektor mit großer Sorgfalt berechnen und alles tun, um nicht nur jetzt diese Schäden wieder abzuwenden, sondern auch denen, denen sie entstanden sind — das sind wir alle, nicht nur dieWaldbesitzer —, die Schäden zu ersetzen, soweit das möglich ist.Wir müssen dabei im übrigen von der Betrachtungsweise abgehen, daß wir sagen: Hier kommt es darauf an, der Ökologie Vorrang zu geben und die Ökonomie zurückzustellen. Ich meine, hier geht es darum, daß wir unseren Wald aus ökologischen und ökonomischen Gründen in vollem Umfang erhalten müssen. Beides muß nach Möglichkeit zueinander in Einklang gebracht werden.Aus Zeitgründen möchte ich heute hier nicht mehr auf die kleineren Maßnahmen eingehen, die etwa auch im Bereich der geänderten Bewirtschaftungsmethoden getroffen werden können. Wir werden dazu bei anderen Beratungen Gelegenheit haben. Ich glaube, daß wir, um die Schäden etwas hinausziehen zu können, um die Schäden mildern zu können, um die Spanne für die Beseitigung der Luftbelastung durch Schadstoffe bis zu dem Zeitpunkt vergrößern zu können, wo diese Maßnahmen dann wirksam werden, auch durch Maßnahmen wie Düngung in bestimmten Fällen, die sicherlich in der Regel nicht die Wirkung der Luftschadstoffe aufheben können, aber immerhin mithelfen können, daß diese Spanne verlängert wird, den Zustand des Bodens verbessern und Versuche machen sollten, geschädigte Bestockung durch resistentere Baumarten zu ersetzen.Sie brauchen zu diesem Punkt überhaupt nicht spöttische Bemerkungen zu machen, denn resistentere Pflanzen haben uns schon oft in der Welt geholfen, irgendwelche Einwirkungen von außen zu korrigieren. Gott sei Dank hat die Natur auch Selbstheilungskräfte. Wir sollten sie aufspüren. Wir sollten auch auf diesem Gebiet alles tun, diese Selbstheilungskräfte zu finden und ihnen nachzuhelfen, wo es sie gibt, um eine Verzögerung des Schadenverlaufs zu erreichen.Meine Damen und Herren, die Verfahren des Waldbaus sowie die räumliche und zeitliche Ordnung von Waldverjüngung, Pflege und Holzernte, die sich am Prinzip der Nachhaltigkeit orientieren, müssen in vielen Fällen an die durch die Waldschäden verursachte neue Situation angepaßt werden. Wir müssen überlegen, wie die Betriebe des Privat- und Körperschaftswaldes bei der Vorbereitung ihrer diesbezüglichen Entscheidungen die notwendige Unterstützung erhalten können. Hier müssen alle Mittel, auch die steuerlichen, eingesetzt werden.Ich möchte einen letzten Satz sagen. Wenn Sie etwa glauben sollten, neben den Pfennigbelastungen auch noch durch erhöhte Klageberechtigungen diesem Übel beikommen zu können, dann kann ich Sie davor nur warnen. Viele Klageberechtigungen sind des Zweckes Tod. Hier wird dann nur palavert.
Jeder sorgt aus seiner Richtung dafür, daß über den Rechtsweg Maßnahmen verhindert werden, die vielleicht von der Mehrheit bereits als richtig erkannt wurden. Ein gewisses Risiko, bei der Bekämpfung dieses Schadens Fehler zu machen, müs-
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Bundesminister Kiechlesen wir auch in diesem Fall in Kauf nehmen. Die Natur und insbesondere der Wald sind ein Gut, das in hundert Jahren erst zeigt, wie es vor hundert Jahren behandelt worden ist. Das dürfen Sie einem Waldbesitzer, der den Wald kennt, in diesem Wald auch tätig ist, ihn pflegt und daher weiß, wie ein Wald wächst, durchaus einmal abnehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Duve.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche zu der Drucksache 10/83 „Bericht zur Lage der Natur". Es war vereinbart worden, daß wir dies hier in verbundener Debatte diskutieren.
Es ist jetzt mehr als zehn Jahre her, daß ein internationaler Bericht des Club of Rome viele von uns — leider nicht alle, meine Damen und Herren Christdemokraten — aufgeschreckt hat. Es ist drei Jahre her, daß wir einen amerikanischen Bericht bekommen haben: GLOBAL 2000. Beides sind globale Berichte, beides sind Berichte, die Warnsignale in unserem Bewußtsein hätten auslösen müssen. Das, was wir nicht haben, sind nationale Berichte zur Lage der Natur; wir fordern das. Wir greifen hier eine Anregung des Publizisten Horst Stern auf, der dies vor anderthalb Jahren einmal in einem Leitartikel gefordert hat; wir hatten das in unserem Regierungsprogramm aufgenommen. Ich meine, es ist sinnvoll, wenn wir noch in diesem Jahr einen Bericht zur Lage der Natur bekommen.
Ziel ist es — erstens —, daß hier bestimmende Vorgaben für alle relevanten Politikbereiche festgelegt werden. Denn es ist langsam so, daß jedes einzelne Ministerium auch einmal für sich Umweltverträglichkeitsprüfungen durchführen müßte.
Wir brauchen — zweitens — eine Darstellung der erkennbaren Belastungssituation. Auch die soll sich aus einem solchen Bericht zur Lage der Natur ergeben.
Wir müssen — drittens — Folgerungen für gesetzliche und organisatorische Maßnahmen ziehen können. Vor allem hoffe ich, daß wir dann auch hier im Deutschen Bundestag eine Debatte haben, die dem Ernst der Lage der Natur bei uns entspricht. Es wäre schön, wenn die Union vieles von dem, was ihre Sprecher hier heute angekündigt haben, daß sie nämlich die Probleme mit dem Wald ernst nehmen, in der praktischen Arbeit berücksichtigt und vielleicht auch einmal darüber diskutiert wird, warum Vertreter Ihrer Partei und Ihrer Richtungen die engagierten Umweltschützer der 70er Jahre jahrelang verteufelt und denunziert haben.
Vielleicht können wir uns für die nächsten Jahre darauf einigen, daß wir denen Dank sagen, die außerhalb des Parlaments, außerhalb der offiziellen Medien dafür gesorgt haben, daß wir alle heute dieses heute auch von Ihnen behauptete Problembewußtsein haben. — Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Bundesminister für Forschung und Technologie.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, daß diese Debatte in einer weitgehenden Einmütigkeit in den Zielen verlaufen ist; der Streit über die Wege ist legitim und notwendig. Dabei möchte ich allerdings doch ganz gerne, Herr Kollege Wolfram, daß wir die gemeinsame Arbeit dann nicht verleugnen, wenn die Rollen vertauscht sind.
Die wesentlichen Gesetze der Umweltpolitik sind von allen Fraktionen dieses Hohen Hauses gemeinsam verabschiedet worden.
Ich würde mich freuen, wenn dies auch in Zukunft der Fall wäre und wenn wir Vorwürfe, der eine oder andere hätte gebremst, angesichts dieser Tatsache wegließen; sie treffen nicht zu.Es ist gesagt worden, daß wir hier in der Vergangenheit vieles verschlafen hätten. In der Tat, dies ist wahr, noch bis in die jüngste Zeit hinein. Nun ist es einerseits so, daß der Bundestag nur ein Minimum an Instrumenten hat. Wir haben hier oft beklagt, daß uns das Instrument zur Technologiefolgenabschätzung von den damaligen Mehrheiten im Deutschen Bundestag trotz mehrerer Anträge verweigert worden ist. Das ist auch ein Grund für Versäumnisse in der Vergangenheit Andererseits: Die erste große parlamentarische Unterlage, die hier in den Bundestag kam, war unsere große Anfrage zum sauren Regen/Waldsterben vor einem Jahr. Wenn ich das mit dem vergleiche, was das Umweltbundesamt noch zwei Jahre vorher in einem Riesenbericht in wenigen Zeilen geschrieben hat, daß nämlich auch Wälder geschädigt — im Konjunktiv — werden könnten, dann stelle ich fest, daß die Wissenslage damals noch nicht so war, wie sie sein mußte.Der Kollege Schneider aus Hessen hat hier in seiner Rede dargelegt, wie schlecht das jetzt alles sei. Die Hessische Landesregierung hat noch im vergangenen Jahr eine Große Anfrage der SPD mit dem Hinweis beantwortet, Waldschäden durch Ferntransport von emittierten Schadstoffen in Hessen seien noch nicht eindeutig nachgewiesen worden usw. Das war noch vor einem Jahr. Jetzt geht es doch darum — das ist der Kern der Sache —: Wie organisieren wir einen Denkprozeß so, daß wir hier rechtzeitig zu vernünftigen Ergebnissen kommen?Der Kollege Blens hat zu Recht darauf hingewiesen, daß die Forschung einerseits bei den Techniken anzusetzen hat, daß andererseits die Wirkungsforschung weder aus der Grundlagenforschung noch aus dem Markt entsteht. Wirkungsforschung ist eine Sache, die der Staat in einer vernünftigen Kooperation über die Disziplinen hinweg zu organisieren hat. Genau das haben wir mit unseren Ta-
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Bundesminister Dr. Riesenhubergungen in Neuherberg und in Jülich begonnen. Wir haben neue Projekte verabschiedet — gut, dort, wo wir weiße Flecken auf der Landkarte gesehen haben. Wir haben neue Projekte für 5 Millionen DM verabschiedet, und wir werden in diesen Wochen noch mehr verabschieden. Aber der Kern der Sache ist, daß wir die Wissenschaftler mit ihrer Fachkunde, mit ihrer Initiative so zusammenführen, daß sie gemeinsam auf das Ziel der Probleme hinarbeiten. Das haben wir hier begonnen, und wir verlassen uns da nicht auf die Intelligenz der Apparate, sondern auf das Problembewußtsein der Wissenschaftler.Meine Damen und Herren, es ist verschiedentlich darauf hingewiesen worden, daß wir nicht genug wissen. Wir setzen an den verschiedensten Stellen an: bei der Wirkungsforschung; bei der Ursachenforschung; bei dem Zusammenspiel von Stickoxiden, von Schwefeldioxiden und von Schwermetallen; bei der Frage, ob das das Blattwerk oder die Wurzel angreift; bei der Frage, was helfen kann; bei der Frage, ob Düngung sinnvoll ist. Zu den Witzen über die Züchtung von Pflanzen: Das ist einer der Vorschläge der Wissenschaftler, die wir in Jülich bei der größten Tagung zu diesem Thema beisammen hatten. Sie sagten: Auch hier muß man ansetzen. — Es ist unverantwortlich, wenn wir irgendeinen der Ansätze, die wir sehen, auch die Düngung, unberücksichtigt ließen, solange wir die Chance haben, ihn zu nutzen.
Ich möchte hier nicht von Staats wegen irgend etwas ausschließen.Wir gehen die Fragen in Europa gemeinsam an. Dies ist richtig. Ich habe bis jetzt — ich versuche, das zu klären — überhaupt keinen Hinweis darauf, daß das Thema Waldsterben vom Gipfel abgesetzt worden ist.Herr Kollege Wolfram hat die Frage gestellt, warum die Rückflüsse aus der EG nicht auch für die Bekämpfung des Waldsterbens verwendet worden sind. Ich möchte es hier einmal sehr behutsam sagen: Bitte sprechen Sie mit Ihrem Kollegen, dem ehemaligen Finanzminister, über den Sachverhalt. Dies ist ein außerordentlich komplexer Sachverhalt. Sie werden feststellen, daß hier nur begrenzte Möglichkeiten vorhanden sind und nicht mehr.Wir haben die Sache in Europa angefaßt. Im Forschungsministerrat — —
— Herr Kollege Genscher. — Entschuldigung, ich habe hier nicht das Wort zu erteilen.
Ich wollte Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Genscher erlauben, Herr Bundesminister.
Bitte sehr, Herr Kollege.
Herr Kollege Genscher.
Herr Kollege, sind Sie bereit zur Kenntnis zu nehmen, daß das Thema Waldsterben auf dem Gipfel behandelt werden wird?
Ich bin bereit dazu, Herr Kollege.
Ich bedanke mich. — Das geht bei uns ganz schnell, das klappt, das Ergebnis ist auch noch richtig, und alle drei Dinge zusammen, das ist ungewöhnlich erfreulich.
Meine Damen und Herren, wir haben im Forschungsministerrat die Sache in Angriff genommen und denen das Gegenteil bewiesen, die gesagt haben: So ein Ministerrat findet sich nicht zusammen. Wir haben gesagt, daß wir alle europäischen Kenntnisse und Initiativen zusammenwerfen. Wir werden im September in einem gemeinsamen Symposion eine Bestandsaufnahme darüber machen, was wir über die Wirkungen und was wir über die Techniken wissen. Wir werden dort darüber diskutieren, welche gemeinsamen Normen es geben kann, denn wir können es nur über Europa machen. 50 % dessen, was hier niedergeht, kommt aus Europa; die anderen 50 % kommen aus heimischen Quellen. Aber das heißt, daß wir es gemeinsam angehen müssen. Das können wir nur aus einem gemeinsamen Problembewußtsein und einer gemeinsamen Kenntnis von Möglichkeiten, Wirkungen und Gefährdungen heraus. Diese Gemeinsamkeit ist gegeben.
Meine Damen und Herren, ich darf hier wegen der Kürze der Zeit, der ich mich auch gern unterwerfe, nur eine letzte Bemerkung anfügen. Ich freue mich, daß die GRÜNEN den Zusammenhang zwischen Energie und Umwelt hergestellt haben, denn dies ist ein essentieller Zusammenhang. Unser altes Energieprogramm war ein Programm zu Energie und Umwelt, weil wir den Zusammenhang gesehen haben, sosehr man über die einzelnen Aussagen streiten kann. Unsere Position hierzu ist: Die Verantwortung und Aufgabe des Staates ist es, strikte und verpflichtende und rigide Auflagen an die Industrie zu erteilen, an die sie sich zu halten hat. Er hat sie mit äußerster Strenge innerhalb des Rahmens des Standes der Technik zu erteilen. Er hat sie durchzusetzen. Aber er hat dann auch in diesem Rahmen zu garantieren, daß Technik gebaut werden kann und nicht über Jahre Techniken verhindert werden, weil die Entscheidungen nicht hinreichend klar sind. Beides gehört zusammen für eine moderne Industrienation, die auch umweltfreundlich sein will.
Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Duve?
Ja, trotz des gelben Lichts.
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474 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Mai 1983
Herr Dr. Riesenhuber, stimmen Sie mir darin zu, daß das Gutachten und der Report der Enquete-Kommission ja gerade diesen Zusammenhang zwischen Energie und Umwelt seinerzeit hergestellt haben und daß es der Herr Minister Lambsdorff war, der versucht hat, durch seine Einwirkung sowohl auf die Ausschüsse als auch auf die Bundesregierung die Ergebnisse dieser Enquete-Kommission zu mißachten und nicht einzubeziehen in seine energiepolitischen Planungen?
Herr Kollege Duve, ich möchte hier, weil das rote Licht leuchtet, über die alte Regierung gar nichts sagen, obwohl das ein ergiebiges Thema wäre.
Ich möchte hier abschließend nur eine Berner-kung festhalten. Mir scheint es notwendig zu sein, daß wir die Fragen Energie und Umwelt im Zusammenhang sehen. Und wenn der Staat den Rahmen setzt, können wir die Probleme im Zusammenhang bewältigen, können wir die neuen Techniken einsetzen, die wir brauchen, und in einer rationalen Diskussion den besten Weg finden, die modernste und industriefreundlichste Nation zu werden, die wir zu sein haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Hecker.
Meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich einmal feststellen, daß das Waldsterben zwar 50% oder mehr des Waldes betrifft — der Wald ist vielleicht nicht mehr zu retten —, daß dieses Waldsterben aber nicht einmal 10% der Mitglieder dieses Hauses zu interessieren scheint.
Sie haben recht: Wir wissen nicht, wie es um unseren Wald wirklich steht. Hier ist vorhin gesagt worden, daß der ganze Umfang des Problems vor einem Jahr überhaupt noch nicht zu sehen war. Heute meinen Sie, daß Sie den Umfang übersehen. Ich sage Ihnen, daß Sie in einem Jahr wieder hier stehen und uns erzählen werden, im Mai 1983 sei immer noch nicht zu übersehen gewesen, wie weit der Wald eigentlich geschädigt gewesen sei.
Der Herr Bundesinnenminister hat gesagt: Das Machbare tun, das Mögliche vorbereiten. Meine Damen und Herren, wir GRÜNEN sagen: Dazu ist es jetzt zu spät. Wir müssen das Mögliche tun, und wir müssen das Unmögliche vorbereiten.
Ich möchte das näher erläutern.
Wer sagt Ihnen eigentlich, daß die Fachleute nicht morgen feststellen werden, die geplante Reduzierung der Stickoxide sei völlig ungenügend, die Verwendung bleifreien Benzins bringe also auch
nichts. Vielleicht stehen wir dann vor der Frage: Autoverkehr oder Wald?
Sind wir auf eine solche Frage vorbereitet? Wo sind die Forschungsprogramme, die uns die Möglichkeiten zeigen, was wir dann tun könnten?
Herr Minister Riesenhuber, leider teile ich auch Ihren Optimismus nicht, was die Technologiefolgenabschätzung angeht. Ich glaube nicht, daß uns die Technologiefolgenabschätzung, wenn sie auf einem solchen Gebiet gemacht worden wäre, vor dem Waldsterben bewahrt hätte. Technologiefolgenabschätzung ist etwas, was ich der mehr technokratischen Seite zuordnen würde. Ich meine, daß man die ungeheuer komplizierten Vorgänge, die in der Natur ablaufen — daß wir nicht wissen, woher das Waldsterben eigentlich kommt, wo es wirklich seine Ursache hat, ist der beste Beweis dafür —, einfach nicht abschätzen kann.
Zum Schluß ein Wort zur Atomenergie. Ich möchte dazu feststellen, daß die Milliarden, die sinnlos für den Schnellen Brüter in Kalkar, den Hochtemperaturreaktor in Schmehausen und für viele andere Projekte der Atomindustrie verschwendet wurden und werden, sinnvoller für andere Programme hätten verwendet werden können und verwendet werden könnten.
Mich würde z. B. interessieren, ob der Verdacht begründet ist, daß über die Kette Tritium-SpaltstoffeKatalysatoren-säurehaltige Umweltgifte die Atomenergie teilweise, wesentlich oder gar überwiegend am Waldsterben schuld ist.
Das Wort hat der Kollege Rumpf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon gut, daß nach beinahe vierstündiger Debatte hier im Bundestag auch einmal ein Forstmann zu Wort kommen darf,
ich würde sagen, ein echter Grüner zu Wort kommen darf.
Der Wald ist in aller Munde, wenn es ihm schlecht geht. Wenn es ihm gut geht, wird er in Gedichten usw. besungen, und wenn es ihm schlecht geht, ist die Presse voll davon. So war es bei den Katastrophen in Niedersachsen, so war es bei anderen Katastrophen auf der Welt. Es ist in der Tat so, wie hier schon zitiert wurde: Zuerst stirbt der Wald, dann der Mensch. Dies wird in geradezu tragischer Weise in den Ländern Afrikas und Südamerikas jetzt deutlich, wo der Wald abgeholzt wird
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Dr. Rumpfund der Mensch durch die Ausbreitung der Wüste stirbt.
Man könnte beinahe sagen, daß die Kultur vom Wald abhängig ist. Die Kulturen haben sich von dort hinweggeschoben, wo der Wald vorher abgeholzt war, z. B. im Mittelmeerraum.Das Phänomen des Baumsterbens ist der Forstwirtschaft und der Forstwissenschaft aber seit längerer Zeit bekannt. Die Ursachen sind so komplex, daß man wirklich Schwierigkeiten hat, zu sagen: Dies oder jenes ist allein der entscheidende Faktor, wie Standorte, Eiszeit, Kulturlandschaft, Trockenperioden, Wassermangel der Bäume. Wir hatten in den letzten 10 Jahren eine Trockenperiode mit der Spitze im Jahre 1976, und auch das letzte Jahr war ein trockenes Jahr. Es wird immer gesagt: Gute Weinjahre sind schlechte Tannenjahre. Das ist ein altes Sprichwort bei uns Forstleuten. Selbstverständlich kommen weitere Faktoren dazu: eingeführte Baumarten, eingeschleppte Schädlinge. Es gibt auch ganz aktuelle Ursachen.
— Meine sehr geehrten Herren von der sogenannten Grünen-Fraktion, Sie sollten ruhig auch einmal zuhören.
— Grüner als ich können Sie wirklich nicht sein.
Es geht nicht nur um vordergründige Schäden, sondern es geht auch um die Folgeschäden, wenn der Wald wirklich stürbe. Mit 1,5 Milliarden DM, Herr Hauff, ist es, glaube ich, nicht getan, sondern es dürfte noch dramatischer sein, wenn man die ganzen Folgeschäden zusammenfassen würde.Mindestens zwei Faktoren sind bekannt und deshalb auch in erster Linie anzugreifen: Schwefeldioxid und Stickoxide. Ich meine, hier ist auch der Ansatz. Es gilt noch immer das Vorsorge- und das Verursacherprinzip und nicht etwa das Erforschungsprinzip.
Der internationale Verband Forstwissenschaftlicher Versuchsanstalten hat auch festgestellt, daß Langzeitwerte von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft für den Wald die höchste Grenze sind. Auf der anderen Seite ist der Verkehr Hauptverursacher der Stickoxide.Wie wollen wir es also machen? Nach liberaler Auffassung muß es auf jeden Fall durch ein marktwirtschaftliches Instrumentarium angepackt werden. Der Gesetzgeber legt die Grenzwerte fest, und der Wirtschaft bleibt es überlassen, wie sie es erreicht. Eine politische Perspektive könnte es sein: Verminderung der Werte um 10% pro Jahr, in den nächsten sieben Jahren also um 70%, und die Verursacher werden gezwungen, dieser Vorgabe nachzukommen. Wer schneller als in sieben Jahren auf 70% kommt, bekommt ein Zertifikat, einen Bonus. Wer es allerdings aus technischen Gründen oder aus anderen Gründen nicht macht, der müßte einen Malus bezahlen, eine Waldabgabe, einen Waldpfennig.Ich könnte mir auch vorstellen, daß man die Kraftfahrzeugsteuer eines Tages nicht mehr nach dem Hubraum, sondern nach den Emissionen berechnet. Das Stichwort Waldpfennig hat mir zu denken gegeben. Ich kann für mich in Anspruch nehmen, daß ich den Waldpfennig schon vor Jahr und Tag gefordert habe, nicht um von jedem Bürger einen Pfennig einzusammeln, sondern um die Symbolkraft dieser Abgabe klarzumachen. Die Symbolkraft der Abgabe heißt doch: Wenn der Verursacher etwas gegen die Emissionen tut, dann müssen wir alle es bezahlen, wir alle müssen für Energie oder den Kraftstoff dann einen Pfennig mehr bezahlen. Das ist eigentlich der Waldpfennig.
— Es ist doch sehr eigenartig, daß Sie noch nicht einmal zuhören können. Offensichtlich fällt Ihnen das sehr, sehr schwer.
Meine Damen, meine Herren, das Waldsterben muß an mehreren Fronten angegriffen werden. Auf nationaler Ebene sollte es, meine ich, mit Augenmaß so gemacht werden, wie die Regierung es jetzt vor hat und wie sie es mit ihren Gesetzesvorlagen im Bundesrat und im Bundestag auch durchsetzen will. Die Fraktionen dieses Hohen Hauses werden dem sicher zustimmen, auch wenn es nicht so schnell geht, wie der eine oder andere meint, weil man auch hier das Kind nicht mit dem Bad ausschütten kann.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stratmann?
Das kann ich wirklich nicht, da ich statt 15 Minuten nur noch sieben Minuten reden darf.Wir müssen ein Waldforschungsprogramm anstreben. Zur Zeit besteht die Gefahr, daß das Geld, das zur Verfügung steht, um diese Schäden zu erforschen, vertröpfelt wird. Wir müssen es konzentrieren. Auf europäischer Ebene höre ich zu meiner großen Freude, daß Außenminister Genscher sagt: Auf dem Gipfel in Stuttgart wird auch das Waldsterben ein Thema sein.Darüber hinaus regen wir an, daß ein europäisches Institut geschaffen wird, und zwar möglichst dort, wo heute schon wissenschaftliche Institute bestehen. Es ist die Frage, ob es nach Karlsruhe oder nach München kommt. Darüber müssen sich die beiden Ministerpräsidenten Späth und Strauß irgendwann einigen.
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476 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Mai 1983
Dr. RumpfSchließlich hat das Waldsterben auch noch eine globale Dimension. Das möchte ich zum Schluß ansprechen. Wir brauchen eine Überwachung der globalen Ökosysteme, auch der Wald-Ökosysteme, mit Hilfe der Satelliten und anderen — auch militärischen — Know-hows.
Die Bundesregierung wird deshalb aufgefordert, vor der UNO initiativ zu werden. Eine Welt-Sauerstoffbilanz und eine Welt-Kohlenstoffbilanz wären das, was wir in Zukunft brauchen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte Sie alle warnen, insbesondere Sie, die sogenannten Grünen,
vor dem deutschen Volk mit Hysterie und Emotionen an dieses Waldsterben heranzugehen. Das nützt weder dem Wald noch dem deutschen Volk.
Die wichtigste Feststellung hier war, daß etwas getan werden muß. Aber es konnte auch festgestellt werden, daß etwas getan werden kann, und es wird etwas getan.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Sauter als letzter Redner in dieser Debatte.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir stehen am Ende einer umfangreichen Sitzung. Es wurde viel gesprochen; es hat Schuldzuweisungen und eine Vergangenheitsbewältigung gegeben. Aber die Tagesordnung lautet „Waldsterben". Dies ist ein Problem, das in seiner Dringlichkeit in den letzten Wochen und Monaten zugenommen hat.Zwischendurch eine kurzes Wort zu den Anträgen. Herr Duve, ich bin mit der Überweisung an die zuständigen Ausschüsse einverstanden. Ich habe — das füge ich persönlich hinzu — ein bißchen Bedenken wegen der Berichte, die Sie zusätzlich anfordern. Wir haben so viele Berichte; jetzt ist der Zeitpunkt zum Handeln gekommen. Trotzdem werden wir uns darüber unterhalten.Wir haben das, was Sie angemahnt haben, getan, indem wir das Thema „Global 2000" von unserer Fraktion aus aufgegriffen haben. Sie wissen, daß wir eine Debatte geführt haben. Vielleicht wird manchmal vergessen, daß die Christlich Demokratische Union den Präsidenten des „Club of Rome", Herr Peccei, bei sich auf einem Parteitag gehabt hat. Keine Partei kann für sich allein dieses Umweltthema reklamieren.Das Waldsterben, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe es gesagt, hat in erschreckender Weise zugenommen. Ich meine allerdings nicht— der Kollege Wolfram ist ja auch hier —, daß wir die Arbeitsplätze bei der Kohle gegen die Arbeitsplätze in der Wald- und Forstwirtschaft ausspielen dürfen. Wir dürfen das Waldsterben nicht gegen das Zechensterben ausspielen. Wir brauchen hier einen vernünftigen Kompromiß.Weil wir viel über die Vergangenheit gesprochen haben, möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich ein Wort des Dankes an den leider nicht mehr anwesenden Bundesinnenminister Zimmermann — er hat jetzt andere Verpflichtungen — sagen. Ich möchte ihm Dank für seinen entschiedenden und entschlossenen Einsatz für den Umweltschutz sagen. Nach der Bundestagswahl, als er sich massiv für den Umweltschutz eingesetzt hatte, hat es geheißen, jetzt habe er Kreide gefressen. Was sagen Sie denn jetzt? Er betreibt diesen Umweltschutz konsequent weiter. Ich glaube, wir alle stehen in der Pflicht, ihn zu unterstützen, ihm zu helfen, damit wir auch dieses schwierige Problem, das heute auf der Tagesordnung steht, meistern können.
Dies ist ein Problem, das die Ökologie in besonderer Weise betrifft, aber auch ein Problem, das volkswirtschaftliche Bedeutung hat. Ich bitte auch dies zu beachten: 800 000 Arbeitsplätze sind vom Wald und vom Holz direkt oder indirekt abhängig. Wir haben in diesem Bereich einen Umsatz von 80 Milliarden DM jährlich zu registrieren.Ich möchte aber auch auf die andere Komponente aufmerksam machen. Beim Landwirtschaftsminister ist das ganz kurz angeklungen. Wenn wir uns den Waldbesitz einmal ansehen, meine sehr verehrten Damen und Herren, dann stellen wir fest, daß der Waldbesitz in der Bundesrepublik Deutschland
— Herr Duve, ich hätte ebenfalls gern noch ein bißchen mehr, aber die Eigentumsverhältnisse sollten wir nicht anrühren — unter insgesamt 500 000 Waldbesitzer aufgeteilt ist. Vielen davon gehören nur kleine Wälder, und sie sind dringend auf diese Existenz angewiesen. Ich denke vor allem an den Bauernwald, wie er im Schwarzwald bezeichnet wird, wo die Existenz der Familie von diesem Wald abhängig ist.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir brauchen doch die Landwirte, wenn wir den Wald sanieren wollen. Das können doch nicht staatliche Kolonnen machen. Dazu brauchen wir vielmehr diese Gruppe. Ich meine, daß wir in diesem Zusammenhang gerade auf diese hinweisen müssen. Daß wir darüber hinaus alles unterstützen, was dazu hier gesagt worden ist, ist selbstverständlich. Wir haben gemeinsam die Pflicht, in den Ausschüssen
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Mai 1983 477
Sauter
des Bundestages die aufgeworfenen Probleme konsequent und schnell anzupacken.Lassen Sie mich noch eines sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Eines darf bei aller Sorge, bei allen Problemen, die uns hier beschäftigen, nicht aufkommen, nämlich Resignation. Wer resigniert, hat vor dem Problem kapituliert.
Meine Damen und Herren, gestern hat es in diesem Hohen Hause eine Debatte über die Probleme der Jugend gegeben. Da haben wir gespürt und erfahren, in wie starkem Maße die junge Generation im Umweltschutz engagiert ist.
Das ist gut so, und ihre Sorgen sind begründet. Nur dürfen wir nicht kapitulieren, sondern müssen entschlossen handeln.Ich will zum Schluß ein Beispiel nennen: Im Jahre 1947 wurde die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald gegründet. Im Jahre 1947 hatten wir im Schwarzwald — der eine oder andere Kollege, der hier ist, weiß das vielleicht noch — eine katastrophale Situation. Wir hatten noch in großem Umfang Reparationen zu leisten, und im gleichen Jahr hat der Borkenkäfer in unvorstellbarem Maße grassiert. Viele — und ich habe das damals miterlebt — wollten erst resignieren. Aber dann haben sie nicht resigniert, sondern gehandelt.Die Landwirte und die Förster und, wie ich hinzufügen möchte, alle Bürger müssen mit handeln, damit wir den Wald für uns und vor allen Dingen für künftige Generationen erhalten können. — Ich bedanke mich.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende dieser Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe zunächst den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/35 und den Antrag der Fraktion der GRÜNEN auf Drucksache 10/67 auf. Es ist vorgeschlagen, diese beiden Anträge zu überweisen zur federführenden Beratung an den Innenausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und den Ausschuß für Forschung und Technologie. Sind Sie mit diesem Vorschlag einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU, der SPD und der FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/84 auf. Wer diesem interfraktionellen Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.
Wir kommen zum Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/83. Der Ältestenrat schlägt vor, diesen Antrag zur federführenden Beratung dem
Innenausschuß und zur Mitberatung dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu überweisen. Sind Sie mit dem Vorschlag einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe als letzten Punkt den Punkt 19 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Abgeordneten Dr. Ehmke und der Fraktion DIE GRÜNEN
Einfuhr von Meeresschildkröten und -produkten
— Drucksache 10/31 —
Im Ältestenrat ist Einvernehmen darüber erzielt worden, daß ein Beitrag von höchstens zehn Minuten je Fraktion geleistet werden kann.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste hat für die Fraktion DIE GRÜNEN die Frau Kollegin Dr. Bard das Wort zur Begründung.
Meine Damen und Herren! Ich denke, Sie haben wahrscheinlich gefeixt, daß wir am Ende einer langen Woche mit so einem Pipifax wie Schildkröten ankommen. Ich hoffe aber, nach diesem Wettstreit hier heute morgen, wer die grünste Partei in diesem Hause ist, werden Sie unserem Antrag einmütig zustimmen können.
Die Roten Listen mit den vom Aussterben bedrohten Tierarten werden in einem erschreckenden Ausmaß immer länger. Es kann auch kein Einwand sein, zu sagen: Es sind schon immer Tierarten ausgestorben. Dabei wird auf die Dinosaurier verwiesen. Was jetzt stattfindet, ist etwas ganz anderes. Mit dem Aussterben von Tierarten ist früher zugleich eine größere Vielfalt neuer Tierarten entstanden. Heute haben wir diese Situation nicht.
Das Aussterben führt zu einer Verengung und Verarmung der Artenvielfalt.
Dies hat ganz erhebliche Bedeutung für unseren Lebensraum. Zweierlei möchte ich dazu noch einmal anführen. Erstens. Die Vielfalt der biologischen Arten ist ein ganz wesentlicher Faktor für die Stabilität der Ökosysteme überhaupt. Vielfalt bedeutet, daß unsere Umwelt auf Veränderungen des Klimas usw. noch reagieren kann. Wenn nur wenige Arten vorherrschen und wenn es zu immer stärkeren Monokulturen kommt — das gilt für Pflanzen genau so wie für Tierarten —, kann eine einzige Veränderung biologischer Verhältnisse plötzlich zu einer großen Gefahr werden und zum Umkippen ganzer Ökosysteme führen.Der zweite Grund, warum wir die Vielfalt der Arten erhalten sollten, ist das Reservoir an biologischen Rohstoffen. Wir wissen noch gar nicht, welche Bedeutung verschiedene Pflanzen und Tiere für unsere eigene Gesundheit haben können.
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478 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Mai 1983
Frau Dr. BardZwei Vorgänge sind, denke ich, wesentlich dafür, daß es in unserer Umwelt zu einer Artenverarmung kommt. Da müssen wir eingreifen. Das Wesentliche, was wir auch vorhin in der Debatte über das Waldsterben erörtert haben, ist, daß der Mensch seine Umwelt systematisch vergiftet und daß die natürlichen Lebensräume immer enger werden.Das zweite — und das ist jetzt das Beispiel mit den Schildkröten — ist die kommerzielle Nutzung bestimmter Tierarten, die zur Ausrottung verschiedener Tierarten, z. B. der Nashörner, der Elefanten und eben auch der Schildkröten führt.Die Meeresschildkröten, bei denen es sich um sieben verschiedene Arten handelt, sind eine sehr alte, biologisch gesehen erfolgreiche Tierart, die 80 Millionen Jahre überlebt hat. Sie ist jetzt in Gefahr, innerhalb von etwa fünf Jahren ausgerottet zu werden, wenn wir der kommerziellen Nutzung dieser Tierart nicht sofort Einhalt gebieten. Die Eiablageplätze sind inzwischen verwaist. Zu Küstenstreifen in Mexiko, wohin vor zehn Jahren noch 400 000 zur Eiablage kamen, kommen jetzt nur noch 400. Diese Tiere sind inzwischen nach dem Washingtoner Tierartenschutzabkommen geschützt worden. Aber dieser Schutz wird unterlaufen.Der politische Skandal besteht für uns darin, daß die Bundesrepublik dadurch, daß sie Hauptabnehmer dieser Produkte ist, darin verwickelt ist.Die Bundesregierung hat diese Gefahr offensichtlich nicht erkannt, oder sie versucht, sie zu verharmlosen. Die Antwort des Staatssekretärs Gallus auf eine Anfrage der SPD kann man überhaupt nicht anders interpretieren. In dieser Stellungnahme wird gesagt: 1981 wurden noch 125,8 t Fleisch von Meeresschildkröten importiert, 1982 gar nichts mehr. Wenn das wahr wäre, stünde einem Importverbot doch eigentlich überhaupt nichts mehr im Wege.
Tatsächlich geht es aber nicht nur um das Fleisch, sondern auch um Schildpatt und Schildkrötenleder. Dabei geht es wirklich um Millionenbeträge. Man muß sich vorstellen, daß für ein Kilo Schildpatt auf dem Markt zur Zeit Preise bis zu 10 000 DM erzielt werden. In der Bundesrepublik wird Schildpatt noch laufend verarbeitet. Man fragt sich wirklich, wieso es trotz der Unterschutzstellung im Jahre 1979 immer noch soviel Material in der Bundesrepublik gibt. Es kann doch nicht sein, daß sich all dieses Material schon vor 1979 hier befunden hat.
Das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft hat offensichtlich kein Interesse daran, die Echtheit von Begleitpapieren zu überprüfen, und geht recht fahrlässig mit den Einfuhrgenehmigungen um. Das gilt für Schildkrötenleder und das Schildpatt der Karettschildkröte. Auch das Problem des Imports von Schildkrötenfleisch ist heute noch nicht gelöst. Es gibt Schildkrötenfarmen, die von der Überwachungsbehörde nach dem Washingtoner Artenschutzübereinkommen genehmigt wurden. Die Auflagen, die mit der Genehmigung verbunden worden sind, werden aber unterlaufen. Es ist heute inzwischen wohl klar, daß das Fleisch eben nicht nur von den auf den Farmen gezüchteten Tieren stammen kann, sondern daß diese Farmen Tausende von Eiern aus der freien Wildbahn entnehmen, was ein Unterlaufen des genannten Artenschutzübereinkommens bedeutet. Ich finde, es ist ziemlich peinlich, wenn wir, soweit ich informiert bin, von deutscher Seite zur Zeit den Vorsitz in der internationalen Überwachungsbehörde nach dem Artenschutzübereinkommen haben und das Abkommen in der Bundesrepublik zugleich unterlaufen wird.
Weil es eben so ist, daß wir nicht richtig kontrollieren können und wohl auch niemand gewillt ist, richtig zu kontrollieren, welches Fleisch von Tieren aus irgendwelchen Farmen stammt und welches nicht, sind wir der Meinung, daß wir sofort ein Importverbot erlassen sollten, um nicht Möglichkeiten und Handhabe zu bieten, das Artenschutzübereinkommen in dieser Weise zu unterlaufen. Es sollte auf internationaler Ebene auch — dies ist eine Aufforderung an die Bundesregierung — darauf hingewirkt werden, daß jene Farmen nicht weitergeführt werden. Es ist nämlich auch so, daß die Tiere dort unter katastrophalen Verhältnissen gehalten werden.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär von Geldern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung spricht sich nicht gegen das Anliegen des Artenschutzes, das in dem Antrag der GRÜNEN zum Ausdruck kommt, aber gegen den Antrag in der Form, wie ihn die GRÜNEN hier eingebracht haben, aus.
— So ist es.Es ist bedauerlich, daß Sie, Frau Kollegin Bard, diesen Antrag nun noch zusätzlich mit einer Reihe von falschen Behauptungen befrachtet haben. Sie haben gesagt, die Bundesrepublik Deutschland sei ein Hauptabnehmer von Schildkrötenprodukten. Das ist objektiv falsch. Sie haben von einem Skandal gesprochen und die Tatsache, daß wir den Vorsitz in der Überwachungsbehörde nach dem Artenschutzabkommen haben, als Peinlichkeit bezeichnet. Ich meine, das ist eine Auszeichnung, die zeigt, welcher Rang der Bundesrepublik Deutschland in diesem internationalen Gremium zugewiesen wird.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Mai 1983 479
Parl. Staatssekretär Dr. von GeldernAlle Meeresschildkröten sind seit 1976 als vom Aussterben bedrohte Tierarten im Anhang I des Washingtoner Artenschutzübereinkommens aufgenommen.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Würtz?
Bitte.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Strafverfolgungsbehörden in Bremen gegen Firmen ermitteln, die auf illegale Weise Turtlefleisch in die Bundesrepublik Deutschland bringen?
Mir ist dieser Fall aus Bremen nicht bekannt. Wenn das geschieht, zeigt das aber, daß wir dabei sind, alle Maßnahmen zu ergreifen, um einen solchen illegalen Handel zu unterbinden.
— Selbstverständlich, gerne.
Alle Meeresschildkröten sind in das Washingtoner Artenschutzübereinkommen aufgenommen. Das bedeutet, daß der internationale Handel mit diesen Tieren sowie mit den Produkten aus ihnen grundsätzlich verboten ist.
Das Übereinkommen läßt den Handel mit Arten, die in Anhang I des Washingtoner Abkommens aufgeführt sind, nur dann noch zu, wenn es sich um Tiere aus Zuchtbetrieben oder um Tiere handelt, die vor ihrer Unterschutzstellung durch das Artenschutzübereinkommen der Natur bereits entnommen worden waren.
Der Antrag, den Sie eingebracht haben, verkennt nun, daß die geltenden Regelungen des Washingtoner Artenschutzübereinkommens voll ausreichen, um die illegale Einfuhr von Meeresschildkröten und daraus gewonnenen Produkten zu verhindern. Die Vollzugsbehörden der Bundesrepublik Deutschland — das hat ja eben auch die Frage gezeigt, die den Bremer Fall betrifft — weisen unrichtige oder gefälschte Dokumente aus anderen Staaten über Zucht oder Vorerwerb von Schildkrötenprodukten zurück und verhindern so die Einfuhr. So wurde nach 1981 kein Schildkrötenfleisch mehr in die Bundesrepublik Deutschland importiert.
Die Bundesregierung hat aber nicht die Absicht — lassen Sie mich das in aller Deutlichkeit sagen, weil ja auch diese Forderung in Ihrem Antrag enthalten ist —, sich international für ein Verbot von Schildkrötenfarmen einzusetzen. Ein solches Verbot stünde im Gegensatz zu den Beschlüssen der Konferenzen zum Washingtoner Artenschutzübereinkommen, die den Handel mit Schildkrötenprodukten aus Farmen ausdrücklich zulassen, wenn hierdurch eine Gefährdung der Art nicht zu befürchten ist.
So haben die Vertragsstaatenkonferenzen zum Artenschutzübereinkommen festgelegt, unter welchen Voraussetzungen in der Gefangenschaft gezüchtete oder aufgewachsene Tiere und daraus gewonnene Produkte vermarktet werden dürfen. Danach gelten ab 1979 als „in der Gefangenschaft gezüchtet" im Sinne des Übereinkommens nur solche Tiere, die von in Zuchtbetrieben gezeugten und geborenen Elterntieren stammen, d. h. es muß sich um die sogenannte F2-Generation handeln. Daneben kann auch der Handel mit Schildkrötenprodukten aus anerkannten Aufzuchtbetrieben gestattet werden, die unter strenger Kontrolle Eier aus der Natur entnehmen dürfen, diese ausbrüten und einen Teil der Jungtiere wieder aussetzen, was letzten Endes der Arterhaltung und nicht der Gefährdung der Art dient. Das ist auf der Grundlage des Artenschutzübereinkommens so festgelegt.
Es ist weltweit anerkannt, daß die Vermarktung der so gewonnenen Schildkrötenprodukte dem Überleben der Meeresschildkröten in keiner Weise abträglich ist; im Gegenteil, die Arbeit der Aufzuchtbetriebe trägt in besonderer Weise zum Überleben der hochgradig gefährdeten Meeresschildkröten bei.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Ehmke ?
Ich habe noch eine Minute. Ich möchte das zu Ende führen.
Nach allem ist also nicht zu befürchten, daß die Bundesrepublik Deutschland als Abnehmerland zum Aussterben der hochgradig gefährdeten Meeresschildkröten beiträgt. Es muß vielmehr festgestellt werden, daß wir in vorbildlicher Weise im Sinne des Washingtoner Artenschutzübereinkommens handeln. Übrigens ist das auch von internationalen Naturschutzbehörden, auf die Sie sich ja sonst auch gerne beziehen — ich nenne einmal Green Peace oder World Wildlife Fund —, gerade im Hinblick auf die bedrohten Meeresschildkröten ausdrücklich anerkannt worden. Die Delegation der Bundesrepublik Deutschland hat sich auf der 4. Vertragsstaatenkonferenz im April 1983 in Botswana mit besonderem Nachdruck und mit Erfolg für die Beibehaltung des strengen Schutzes der Meeresschildkröten eingesetzt. Dies ist von den Naturschutz- und Tierschutzorganisationen ausdrücklich als eine besonders erfreuliche Haltung der Bundesregierung anerkannt worden. — Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Paintner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP-Fraktion betrachtet mit Sor-
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Paintnergen die kritische Bestandssituation der Meeresschildkröten. Sie begrüßt, daß sich die Bundesregierung dafür eingesetzt hat, daß alle Meeresschildkröten als unmittelbar vom Aussterben bedrohte Tierarten in Anhang I des Washingtoner Artenschutzübereinkommens aufgenommen worden sind.Durch diese Entscheidung ist der internationale Handel mit Schildkrötenprodukten grundsätzlich verboten. Lediglich der Handel mit Produkten, die nachgewiesenermaßen aus Zuchten oder Vorerwerb stammen, ist noch zugelassen. Entscheidend ist die Frage, ob es gelingt, durch ausreichende Kontrollmöglichkeiten der Zollbehörden den Vollzug des Abkommens sicherzustellen. Tatsache ist, daß für die Einfuhr entsprechender Produkte des .Washingtoner Artenschutzübereinkommens nur noch bestimmte wenige Zollstellen zugelassen sind. Dadurch ist die Möglichkeit gegeben, alle im Zusammenhang mit dem Washingtoner Artenschutzübereinkommen zu beachtenden Bestimmungen zu vollziehen.Nach allem, was wir bisher wissen, haben sich bei uns die gehandhabten Regelungen bewährt. Tatsache ist, daß, wie vorhin Staatssekretär von Geldern schon erwähnt hat, im Jahre 1981 noch 125 828 kg Schildkrötenfleisch in die Bundesrepublik Deutschland eingeführt wurden und 1982 die Einfuhr total zum Erliegen kam. Die Einfuhr von Produkten aus Schildkrötenleder von in Gefangenschaft gehaltenen Schildkröten hält sich in engen Grenzen.Die FDP-Fraktion ist trotzdem der Auffassung, daß der Antrag an den Ernährungsausschuß überwiesen werden soll, jedoch Beratungen dieses Antrags erst nach einer Anhörung von Fachleuten erfolgen sollten, damit wir Abgeordnete die Gewißheit haben können, daß die Maßnahmen der Bundesregierung ihren Zweck erfüllen.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ehmke?
Nein, ich bin gleich fertig.
Sollte das nicht der Fall sein, werden wir uns für einen totalen Stopp der Einfuhren von Produkten auch aus in Zucht lebenden Schildkröten aussprechen.
Das Wort hat Frau Kollegin Dr. Hartenstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Meeresschildkröten — ich bitte noch um einige Minuten Aufmerksamkeit — stehen hier heute stellvertretend für viele andere Arten, die vom Aussterben bedroht sind. Ich möchte insbesondere die Bundesregierung bitten, Herr Staatssekretär, Ihre soeben ausgesprochene glatte Ablehnung noch einmal zu überprüfen. Die Dinge sind doch leider nicht so rosig, wie sie sich nach Ihren Ausführungen offensichtlich darstellen.
Die geltenden Regelungen reichen leider nicht voll aus. Warum wollen wir uns denn das verhehlen? Ich hoffe, wir können uns im Ausschuß darüber unterhalten.Meine Damen und Herren, es ist der Spezies Mensch gelungen, innerhalb der letzten 100 Jahre rund 2 000 Tierarten auszurotten. In den letzten 30 Jahren schreitet diese Entwicklung mit atemberaubendem Tempo fort. Inzwischen sind allein in der Bundesrepublik weitere 5 000 Arten gefährdet oder vom Aussterben bedroht. Der Bericht „Global 2 000" prognostiziert sogar, daß bis zur Jahrtausendwende weltweit eine halbe bis zwei Millionen Tier- und Pflanzenarten von dieser Erde verschwunden sein werden, wenn wir uns nicht bald eines besseren besinnen.Es sieht bis jetzt allerdings nicht so aus, als ob der Mensch begriffen hätte, was er damit anrichtet. Er macht nicht nur die Erde ärmer, sondern beraubt sich auch selbst, indem er ein riesiges biologisches Kapital verschleudert, das für seine eigene Zukunft lebenswichtig wäre: Neue Reserven für die Ernährung, neue Hilfsmittel gegen Krankheit, neue Rohstoffe könnten daraus gewonnen werden. Vier Fünftel der Weltnahrung stammen von weniger als zwei Dutzend Pflanzen- und Tierarten.Hauptgründe für den Artenschwund sind — darauf ist schon kurz hingewiesen worden — die Zerstörung der Lebensräume, insbesondere der tropischen Wälder, die Verschmutzung der Meere, aber auch die blindwütige Bejagung und das massenhafte Abschlachten.
Gerade darum handelt es sich bei der Tragödie der Meeresschildkröten. Meine Damen und Herren, diese Tragödie ist wirklich nur die Spitze eines Eisberges. Das ist keine billige Dramatisierung!
Den Walen geht es nicht besser. Das gleiche gilt für Elefanten und Antilopen, für die Robben, die Krokodile, die Greifvögel und für viele andere mehr.Nun ist erfreulicherweise im letzten Jahrzehnt eine positive Gegenbewegung in Gang gekommen. Daß es das Washingtoner Artenschutzabkommen gibt, ist eine gute Sache. Es ist der erste umfassende internationale Versuch, die Erhaltung der Arten zu gewährleisten.Auf der Umweltkonferenz der Vereinten Nationen in Stockholm wurde 1972 beschlossen, internationale Maßnahmen zu ergreifen, weil man erkannt hatte, daß — wie es so aufschlußreich heißt — als Folge von Handelsinteressen immer mehr Arten gnadenlos vom Erdboden getilgt werden. Schon 1973 kam es zum Abschluß des Washingtoner Abkommens, dem die Bundesrepublik übrigens als erster EG-Staat beigetreten ist. Inzwischen sind 76 Länder Vertragspartner — ohne Zweifel ein großer Schritt voran —, aber die internationale Durchsetzung läßt zu wünschen übrig.
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Frau Dr. HartensteinTatsache ist leider, daß trotz des Washingtoner Abkommens und trotz nationaler Artenschutzvorschriften der Ausverkauf der wildlebenden Pflanzen- und Tierarten weitergegangen ist, ja, sogar ein ungeahntes Ausmaß angenommen hat. Zur Durchsetzung gehört eben nicht nur die Einsicht in die Notwendigkeit von Regelungen, sondern auch ein ausreichend starker politischer Wille, der vor dem Dickicht der oben erwähnten Handelsinteressen nicht zurückschreckt.
Es gibt ja nicht nur die ominösen Aufzuchtstationen, es gibt auch nicht wenige Länder besonders in Amerika und in Asien, die großzügigst Exportgenehmigungen ausstellen, selbst wenn die betreffenden Arten bei ihnen gar nicht vorkommen. Ich nehme nicht an, Herr Staatssekretär von Geldern, daß Ihnen dies nicht bekannt sein könnte. Vor allem aber gibt es skrupellose Händler, die alle krummen Touren nutzen, um sich die nötigen Papiere zu beschaffen, und die bei diesem Geschäft selbstverständlich einen kräftigen Profit machen. Denen muß das Handwerk gelegt werden!
Da sind aber, meine Damen und Herren, auch noch die Abnehmerländer, und das sind wir. Weisen wir bitte nicht gleich mit dem Finger auf die Eingeborenen in Indonesien oder in der Karibik, die sich oft aus nackter Not an dem wüsten Massaker beteiligen. Nein, nein, die Industrieländer sind bei diesem Geschäft wenn schon nicht die Verursacher, so doch die Veranlasser der globalen Plünderungsaktionen.
Denn hier sitzt das Geld, hier ist der Markt. Gäbe es keinen Abnehmermarkt mehr, könnten die langen Listen des Washingtoner Abkommens erheblich gekürzt werden.
Leider macht die Bundesrepublik nicht gerade eine rühmliche Ausnahme. Sie gehört sogar mit einer Jahreseinfuhr von Waren im Wert von über 100 Millionen DM zu den Großimporteuren. Dies muß ich hier sagen, Herr Staatssekretär, denn so bin ich vom Sekretariat des Washingtoner Artenschutzübereinkommens in der Schweiz unterrichtet worden.Nach der Jahresstatistik 1979 wurden an geschützten Tieren oder daraus gewonnenen Erzeugnissen beispielsweise 20 000 Felle von brasilianischen Flußottern, nicht weniger als 150 000 Felle von gefleckten Katzen, 870 000 kg Elfenbeinerzeugnisse, 160 000 Krokodilhäute und 30 000 Pythonschlangenhäute eingeführt, und dies alles ganz legal.
Von der Dunkelziffer wollen wir gar nicht reden.Unsere Zollbehörden übrigens haben sich redlich bemüht — redlich bemüht —, entsprechend denVorschriften strikt zuzugreifen, wenn verdächtige Waren ankamen. Aber sie sind nach dem Washingtoner Abkommen gehalten, die Ware durchzulassen, wenn die Dokumente des Ausfuhrlandes in Ordnung sind. Eine Ausnahme machen nur die Arten, die in Anhang I des Washingtoner Abkommens aufgenommen sind. In diesem Fall ist auch eine ausdrückliche Einfuhrgenehmigung des Importlandes erforderlich.Herr Präsident, ich darf um eine Verlängerung bitten. Es waren 10 Minuten angemeldet; es wurden nur 7 Minuten eingegeben. — Danke schön.In diesem Anhang, Sie haben es schon gesagt, sind alle 7 Arten der Meeresschildkröten enthalten. Das bedeutet, der internationale Handel mit Schildkrötenprodukten ist grundsätzlich verboten. Hier muß nun gefragt werden — das muß ich um der Wahrheit willen tun —, und diese Frage richtet sich an das Bundesernährungsministerium als oberste Aufsichtsbehörde: Wie konnte es geschehen, daß eben 1981 nicht weniger als 125 828 kg Schildkrötenfleisch — es handelt sich übrigens um die Antwort von Herrn Staatssekretär Gallus auf meine parlamentarische Anfrage — in die Bundesrepublik eingeführt wurden, eine Menge, für die allein 30 000 Tiere sterben mußten? Haben Sie oder haben die Ihnen unterstellten obersten Bundesbehörden wirklich geglaubt, daß diese Massen aus der einzigen existierenden sogenannten Aufzuchtstation auf den britischen Cayman-Inseln stammen könnten? Wer hat die Einfuhrgenehmigungen erteilt? Was wurde nachgeprüft?Schon in der Schule, Herr Staatssekretär, haben zumindest wir gelernt, daß Schildkröten besonders langsam wachsende Tiere sind. Nach Aussagen von Wissenschaftlern könnten Schildkrötenprodukte aus Zuchtfarmen frühestens in den 90er Jahren auf den Markt kommen, wenn die sogenannte F2-Vorschrift des Washingtoner Abkommens wirklich eingehalten würde.
Wenn es so weitergeht, schaffen wir es wirklich noch, eine Art in kurzer Zeit auszurotten, die immerhin 250 Millionen Jahre auf dieser Erde überdauert hat. Es sage keiner, der Mensch könne nicht leben, ohne Schildkrötensuppe zu essen oder eine Brille mit Schildpattgestell auf der Nase zu haben.
Aber Alarmrufe allein helfen nicht. Was muß geschehen?Erstens. Die Kontrollen müssen erheblich verstärkt, die Schulung der Zollbeamten muß weiter verbessert, die Genehmigungspraxis muß verschärft werden.Zweitens. Sanktionen, die schon heute bis 50 000 DM möglich sind, müssen häufiger durchgesetzt, und, wenn nötig, erhöht werden.
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Frau Dr. HartensteinDrittens. Die Regelungen auf internationaler Ebene sind neu zu fassen. Die Ausfuhrgenehmigung des Exportlandes darf nicht mehr automatisch bindend für das Importland sein.Viertens. Da das Washingtoner Abkommen nationale Sondergesetze zuläßt, die schärfer sind als die Bestimmungen des Übereinkommens, ist entsprechend dem amerikanischen Vorgehen ein Bundesgesetz zu schaffen, das einen wirksameren Schutz besonders bedrohter Arten gewährleistet.Fünfter und letzter Punkt. Die Auswirkungen der ab 1. Januar 1984 in Kraft tretenden Übernahme des Washingtoner Abkommens in EG-Recht sind genau zu beobachten. Denn nicht alle EG-Länder sind Vertragsstaaten des Abkommens. Es dürfen keine neuen Schlupflöcher geschaffen werden.Schließlich ist durch bessere Aufklärung an der Bewußtseinsbildung der Bevölkerung mitzuwirken. Es darf eben nicht mehr schick sein, meine Damen und Herren, abgehackte Elefantenfüße als Barhokker zu benutzen oder einen der 3 000 Schildkrötenpanzer, die jährlich auf dem Frankfurter Flughafen eintreffen, als Obstschale zu präsentieren. Auch sollte es in der Gesellschaft — das muß ich noch loswerden — nicht als Vorzug, sondern als Makel betrachtet werden, wenn sich weibliche oder auch männliche Luxusgeschöpfe in die Felle der letzten gefleckten Wildkatzen hüllen.
Frau Kollegin, jetzt haben Sie aber die 10 Minuten erheblich überzogen.
Ich danke Ihnen.
Dies festzustellen ist nicht Sache des Präsidenten. Ich habe dafür zu sorgen, daß alle gleiche Rechte und Pflichten haben.
Ich bitte Sie sehr herzlich, zum Schluß kommen zu dürfen.
Der Brief, meine Damen und Herren, des Indianerhäuptlings Seattle aus dem Jahre 1855 wird zur Zeit häufig zitiert. Mag es für moderne Ohren allzu pathetisch oder auch sentimental klingen, wenn er sagt: „Wir sind ein Teil der Erde, und die Erde ist ein Teil von uns." — Und er hat doch Recht! —„Wenn wir also die Erde und ihre Geschöpfe vernichten, vernichten wir uns selbst." Es ist so viel von der Verantwortung gegenüber den kommenden Generationen die Rede. Die schlimmste Mißachtung dieser Verantwortung wäre, wenn wir ihnen eine ausgeplünderte, unbewohnbare Welt hinterließen. Lassen Sie uns dafür Sorge tragen, daß das nicht so wird. Noch haben wir die Chance dazu!
Meine Fraktion stimmt dem Überweisungsvorschlag zu und unterstützt eine rasche Beratung des Antrags.
Mit sehr herzlichem Dank für die Nachsicht des Herrn Präsidenten danke ich auch Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Es kann sich hier nur um die Nachsicht der Kolleginnen und Kollegen handeln.
Das Wort hat der Abgeordnete Herkenrath als letzter Redner in dieser Debatte.
— Ganz sicherlich nicht. Der Präsident hat das letzte Wort in diesem Hause.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, Sie sind damit einverstanden, wenn ich es kürzer mache und einen Teil der mir zur Verfügung stehenden Redezeit Frau Hartenstein nachträglich abtrete.Ich möchte gleich anmerken, Frau Hartenstein, daß Ihr Engagement von der CDU/CSU-Fraktion ganz ohne Zweifel geteilt wird. Allerdings gehört aber dann dazu auch, daß man korrekt und objektiv informiert. Und dann hätten Sie sagen müssen, daß der Parlamentarische Staatssekretär Gallus Ihnen auch mitgeteilt hat, daß 1982 kein Fleisch von Meeresschildkröten mehr in die Bundesrepublik eingeführt worden ist. Das gehört mit zu der Gesamtinformation.
Das muß hier einmal gesagt werden, nachdem Sie die Horrorzahlen von 1981 vorgetragen haben.
— Es tut mir leid, ich lasse keine Zwischenfragen zu. Wir müssen uns jetzt langsam auf Pfingsten vorbereiten. Ich weiß nicht, ob bei den Zwischenfragen der Heilige Geist immer mitspielt; also keine Zwischenfragen. —Meine sehr verehrten Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion ist auch gern bereit, diese Problematik im Rahmen der Gesamtaufgabe der Artenerhaltung, der Erhaltung seltener, vom Aussterben bedrohter Tierarten im Agrarausschuß sehr gründlich, sehr ausführlich zu behandeln. Wir werden da alle Informationen zusammentragen und dann zu prüfen haben, ob nicht beispielsweise Zuchtfarmen für Meeresschildkröten — ich gehöre vielleicht zu den wenigen hier im Hause, die solche Farmen in der Karibik oder in Indonesien schon einmal gesehen haben — gerade Garanten dafür sind, daß seltene Arten erhalten bleiben; das werden wir prüfen müssen.Die Frage, ob man hier mit Verboten arbeiten könne, ist für mich schon dadurch beantwortet, daß ich glaube, daß Verbote dieses Problem nicht lösen
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Herkenrathwerden. Genausowenig wird ein Verbot des Imports in die Bundesrepublik Deutschland die Gesamtproblematik lösen können. Denn was hilft es, wenn wir hier auf unsere Schildkrötensuppe verzichten, sie uns aber z. B. im Grenzverkehr mit Frankreich oder anderswo verschaffen können? Ich persönlich erkläre, daß ich gern bereit bin, auf die Schildkrötensuppe, die ich schätze, zu verzichten
— ich glaube, ich kann das für die ganze Fraktion erklären —, wenn dann garantiert ist, daß die Meeresschildkröten nicht mehr vom Aussterben bedroht sind.Ich glaube, umgekehrt ist es richtig: Weil Nachfrage danach herrscht, werden sich die Kräfte rühren, die diese wertvollen, seltenen Tiere am Leben halten wollen, Tiere, die — nebenbei bemerkt — nicht nur 80 Millionen, sondern die nach Auffassung einer ganzen Reihe von Wissenschaftlern schon 250 Millionen Jahre alt sind, also die Dinosaurier einige Millionen Jahre überlebt haben. Ich bin sicher, wir haben heute die Möglichkeit, diese seltenen Arten weiter zu erhalten. Darum werden wir uns im Fachausschuß, dem Agrarausschuß, bemühen.Ich wünsche Ihnen nun fröhliche Pfingsten und dem einen oder anderen, daß er den Appetit an der Schildkrötensuppe nicht verloren haben möge.
Meine Damen und Herren, die Aussprache ist beendet. Wir kommen zur Abstimmung.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag auf Drucksache 10/31 dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu überweisen. Sind Sie mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Meine Damen, meine Herren, wir sind am Schluß der Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages für Mittwoch, den 8. Juni 1983, 13 Uhr ein.
Ich wünsche Ihnen ein frohes Pfingstfest. Die Sitzung ist geschlossen.