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    1. tocInhaltsverzeichnis
      Plenarprotokoll 18/86 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 86. Sitzung Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 16: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vier- ter Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung des Aktionsplans „Zivile Kri- senprävention, Konfliktlösung und Frie- denskonsolidierung“ – (Berichtszeitraum: Juni 2010 bis Mai 2014) Drucksache 18/3213 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8141 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Agnieszka Brugger, Dr. Franziska Brantner, Tom Koenigs, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Mehr Anerkennung für Peacekeeper in internationalen Friedenseinsätzen Drucksachen 18/1460, 18/3931 . . . . . . . . . . . 8141 B Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8141 C Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 8143 C Dr. Franz Josef Jung (CDU/CSU) . . . . . . . . . 8145 D Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8147 D Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD) . . . . . . . . . . . . 8150 C Thorsten Frei (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 8152 A Josip Juratovic (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8153 B Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 8154 B Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8155 D Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 8156 A Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 8157 B Tagesordnungspunkt 17: Unterrichtung durch die Bundesregierung: 13. Sportbericht der Bundesregierung Drucksache 18/3523 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8158 D Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8159 A Dr. André Hahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 8161 A Detlev Pilger (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8162 C Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8163 C Eberhard Gienger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 8165 A Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 8166 C Michaela Engelmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . . 8167 D Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8169 D Johannes Steiniger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 8171 A Jeannine Pflugradt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 8172 C Gudrun Zollner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 8173 D Matthias Schmidt (Berlin) (SPD) . . . . . . . . . . 8175 B Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 8176 D Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Nationales Konversionsprogramm entwi- Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 ckeln – Umwandlung der Militärwirtschaft in eine Friedenswirtschaft ermöglichen Drucksache 18/2883 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8178 C Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 8178 D Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 8180 A Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8181 D Bernd Westphal (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8183 A Ingbert Liebing (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 8184 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8185 C Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) . . . . . . . . . . . . 8186 B Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Abgeordneten Daniela Ludwig, Barbara Lanzinger, Klaus Brähmig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gabriele Hiller- Ohm, Hiltrud Lotze, Burkhard Blienert, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Kulturtourismus in den Regionen weiter- entwickeln Drucksache 18/3914 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8187 C Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 8187 D Kerstin Kassner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 8188 D Barbara Lanzinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 8190 A Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8191 C Iris Gleicke, Parl. Staatssekretärin BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8192 C Daniela Ludwig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 8193 C Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Ulle Schauws, Katja Keul, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Provenienzforschung stärken – Bessere Rah- menbedingungen für einen angemessenen und fairen Umgang mit Kulturgutverlust schaffen Drucksache 18/3046 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8195 A Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8195 A Ansgar Heveling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 8196 B Sigrid Hupach (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 8198 A Burkhard Blienert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 8198 D Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) . . . . . . . 8200 A Metin Hakverdi (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8201 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8202 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 8203 A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8204 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 8141 (A) (C) (D)(B) 86. Sitzung Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 Beginn: 9.00 Uhr
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      Guten Morgen! Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 sowie Zusatz- punkt 4 auf: 16 Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- gierung Vierter Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung des Aktionsplans „Zivile Krisen- prävention, Konfliktlösung und Friedenskon- solidierung“ (Berichtszeitraum: Juni 2010 bis Mai 2014) Drucksache 18/3213 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Innenausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ZP 4 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Dr. Franziska Brantner, Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mehr Anerkennung für Peacekeeper in inter- nationalen Friedenseinsätzen Drucksachen 18/1460, 18/3931 Zu dem Bericht der Bundesregierung liegt je ein Ent- schließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundes- minister des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des Auswärtigen: Guten Morgen, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In ungefähr drei Stunden werde ich in Richtung München zur Münchner Sicherheitskonferenz abreisen, wo wir – Sie ahnen es – eine Debatte über die Lage in der Welt und über die Vielzahl und Gleichzeitig- keit ernsthafter Krisen rund um den Erdball führen wer- den. Natürlich werden wir über die ganz akuten Krisen diskutieren, die uns alle miteinander beschäftigen: Syrien, Irak, Libyen, und über die, die uns geografisch am nächsten ist, die in der Ukraine. Ich sage das, weil wir in München vermutlich nicht über die Vielzahl der verhinderten Krisen reden werden. Aber das macht die Arbeit der Krisenprävention, über die wir heute Morgen reden, nicht weniger wichtig. Das Paradox der Prävention ist: Am erfolgreichsten ist sie immer dann, wenn sie niemand bemerkt, wenn eben keine Bilder von Krieg und Gewalt die Fernsehbild- schirme zu Hause erreichen. Vielleicht hat sich gerade dann aktive Außenpolitik in diesem Sinne für Krisenprä- vention gelohnt. Deshalb sage ich zu Anfang: Wir dürfen gerade inmit- ten von Krisen nicht nachlassen, den Krisen von morgen vorzubeugen. Das ist meine Überzeugung, und dafür müssen wir arbeiten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Viele im Hause erinnern sich – das dürfte inzwischen mehr als zehn Jahre her sein –, dass die damalige Bun- desregierung den Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ auf den Weg gebracht hat. Das war schon damals dringend not- wendig, und ich freue mich darüber, dass das Engage- ment für diesen Bereich der Außen- und Sicherheitspoli- tik zugenommen hat. Allein die Haushaltsansätze im Auswärtigen Amt haben sich seit der Zeit – ich habe die- ser Tage einen Blick darauf geworfen – ungefähr ver- zehnfacht. Im laufenden Haushalt stehen ungefähr 150 Millionen Euro zur Verfügung, die wir hoffentlich 8142 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (A) (C) (D)(B) im Laufe der Legislaturperiode mit Ihrer Hilfe mindes- tens verstetigen können. Damit wird etwas möglich – deshalb ist mir das wich- tig – jenseits des aktuellen Krisenmanagements. Dies wird zwar weiter erforderlich sein, aber es wird zudem etwas möglich, was ich gerne unter der Überschrift der vorsorgenden Außenpolitik zusammenfasse. Das ist nicht nur die passende Überschrift für den Aktionsplan Zivile Krisenprävention, sondern auch, wie ich finde, für den mutigen Dienst der vielen Hundert zivilen Experten aus Deutschland in Friedensmissionen rund um den Glo- bus, für das Engagement des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze und auch für die Arbeit der Friedens- forschungsinstitute, die Krisenfrüherkennung und zivile Lösungsansätze erforschen. Deshalb möchte ich in die- ser Rede all denjenigen, die hier genannt sind, auch ein- mal meinen Dank und den Dank des Hohen Hauses sa- gen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Damals vor zehn Jahren – ich erinnere mich zurück – haben wir durchaus bewusst mit dem Begriff der vorsor- genden Außenpolitik Anleihe an manche innen- und so- zialpolitische Diskussionen genommen, die wir hier im Lande auch vor ungefähr zehn Jahren – ein bisschen län- ger ist es her – geführt haben. Damals haben wir gesagt: Lieber früh ins Bildungssystem investieren als später zu viel in Arbeitslosengelder. Oder: Lieber früh in die so- ziale Stadt investieren als später in eine dann notwendige Kriminalitätsbekämpfung. Genau aus diesem Ansatz bzw. dieser Annäherung ist auch der Begriff der vorsorgenden Außenpolitik entstan- den, bei dem man immer vorneweg sagen muss: Natür- lich gibt es keine Garantie für den Erfolg. Es gibt natür- lich keine Garantie dafür, dass immer da, wo wir mit vorsorgender Außenpolitik unterwegs sind, auch tatsäch- lich keine Krisen ausbrechen. Nur eines bleibt, glaube ich, richtig: Man sollte lieber vorsorgend, gezielt und flexibel in Stabilität und Frieden investieren, um nicht spät oder zu spät eingreifen zu müssen. Deshalb müssen wir auch die Debatte fortführen, die seit dem letzten Jahr mit größerer Intensität über Verantwortung in der Au- ßenpolitik in Deutschland läuft. In München wird das ganz sicher geschehen; sie wird dort – wie aber auch hier und in anderen öffentlichen Foren – geführt werden. Sie wissen: Ich stehe für einen Instrumentenkasten der Außenpolitik, den man tatsächlich auch in seiner ganzen Bandbreite anwenden sollte. Dieser Werkzeug- kasten ist viel reichhaltiger gefüllt, als das in der öffent- lichen Debatte immer wieder gesagt wird. In München oder anderswo könnten jetzt wieder Stimmen laut wer- den, welche die Außenpolitik auf die Ultima Ratio ver- kürzen und deshalb die Alternativen „entweder endloses fruchtloses Geschwätz“ oder „Auslandseinsätze der deutschen Bundeswehr“ aufmachen. Das sind die fal- schen Alternativen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dazwischen gibt es viel mehr Instrumente, denen wir uns zuwenden müssen. Worum geht es wirklich bei vorsorgender Außenpoli- tik und Krisenprävention, liebe Kolleginnen und Kolle- gen? Dabei geht es vor allen Dingen um die Stärkung von Staatlichkeit. Das ist ein mühsames Geschäft, und manchmal sieht man nach fünf oder zehn Jahren den Er- folg, den wir uns wünschen, immer noch nicht. Diese mühsame Arbeit bleibt aber notwendig, weil wir wissen, dass die fragilen Staaten von heute – da, wo staatliche Strukturen zu erodieren drohen – die Krisenstaaten von morgen werden. Deshalb müssen wir diese Staaten im wahrsten Sinne des Wortes ertüchtigen. Das können wir nicht in erster Linie mit Waffenlieferungen machen, son- dern vor allen Dingen durch Stärkung von staatlichen Funktionen wie Justiz, Verwaltung, Gesundheit und Bil- dung. Das ist der Grund dafür, weshalb wir – das wird in der deutschen Öffentlichkeit nicht diskutiert – zum Bei- spiel in Tunesien, Burundi und Niger sowie im Tschad in Polizeiausbildung investieren. Wir wollen ein Mindest- maß an Sicherheit für die dortige Bevölkerung erreichen. Gernot Erler ist jetzt nicht hier. Er könnte sich aber gut erinnern, dass wir vor wenigen Jahren mit einer früh- zeitigen Investition – durch Beratung bei der Koalitions- bildung in Kenia nach der damaligen Wahl – vielleicht sogar eine bürgerkriegsähnliche Situation verhindert haben, indem wir zu verhindern halfen, dass der selbst- ernannte Gewinner und der vermutete Verlierer der da- maligen Präsidentschaftswahl in eine gewaltsame Aus- einandersetzung miteinander gerieten. Wir kümmern uns auch weiterhin um Kenia – ein Land, in dem die Lage, wie Sie wissen, immer noch nicht einfach ist. Wir bauen in diesem Land jetzt eine Kammer für Völkerstrafrecht am Obersten Gerichtshof auf. Das ist Stärkung von staat- lichen Institutionen. Es ist Einübung in justizielle Ver- fahren sowie in Verlässlichkeit von Verwaltung. Das braucht unendlich viel Zeit und Geduld. Wir müssen hoffen, dass sich das lohnt. Diese Stärkung von staatlichen Funktionen versuchen wir auch bei der Bewältigung der Folgen der syrischen Flüchtlingstragödie zu berücksichtigen. Warum? Weil wir auf die Flüchtlinge achten müssen, denen wir huma- nitäre Hilfe zuteilwerden lassen müssen. Das ist klar, und dafür steht dieses Hohe Haus auch. Dafür haben wir Mittel zur Verfügung gestellt – mehr als andere Staaten. Außerdem müssen wir immer wieder auch sehen, dass die Nachbarstaaten, insbesondere Jordanien und der Li- banon, unter dem Ansturm der Vielzahl der Flüchtlinge zusammenzubrechen drohen. Im gemeinsamen Interesse der Flüchtlinge und der Region, aber auch in unserem Interesse, muss uns des- halb daran gelegen sein, die staatlichen Funktionen dort zu erhalten und den Staaten auch jenseits von humanitä- rer Hilfe zu helfen, mit diesen Sonderbelastungen in die- sen Jahren der Syrienkrise fertigzuwerden. Das tun wir, indem wir neben der humanitären Hilfe Mittel dafür be- reitstellen. Ein weiterer Schwerpunkt unserer Arbeit ist die Stär- kung regionaler und multilateraler Strukturen. Im Rah- men der Stärkung der Zusammenarbeit zwischen uns Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 8143 Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (A) (D)(B) und der Afrikanischen Union zum Beispiel bilden wir afrikanische Polizisten für Peace-Keeping-Operationen aus. Daneben unterstützen wir die Afrikanische Union bei einem ganz wichtigen Großprojekt, das nicht sehr bekannt ist: Die Afrikanische Union hat vor, bis zum Jahre 2017 umstrittene Grenzverläufe in Afrika zu iden- tifizieren, die Grenzen zu markieren und sie möglichst zwischen den Staaten zu vereinbaren. Das verlangt tech- nische Unterstützung, aber auch eine Umsetzungshilfe, an der wir uns ebenfalls beteiligen. Ein dritter Schwerpunkt ist die Friedensmediation, damit Gesellschaften in Post-Konfliktstaaten nicht er- neut in Gewalt abgleiten, wenn der eigentliche Konflikt vorüber ist. Dazu zwei Beispiele: Erstens. In der nächsten Woche werde ich, wenn die Dinge so laufen, wie ich mir das wünsche, in Südame- rika sein – am Schluss der Reise auch in Kolumbien. Bei dem Versöhnungsprozess, der in Kolumbien jetzt hof- fentlich ansteht, stehen wir auf Bitte des Präsidenten Santos Calderón, der vor wenigen Wochen hier in Berlin war und um Unterstützung gebeten hat, beratend zur Seite. Wir nehmen ganz konkrete Projektvorschläge dorthin mit, die wir gemeinsam mit der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen entwickelt haben. Darüber hinaus haben wir gemeinsam mit der Max-Planck-Stif- tung für Internationalen Frieden und Rechtsstaatlichkeit eine Zusammenarbeit beim Thema Übergangsjustiz vor- bereitet. Auf diese Weise versuchen wir, auch präventiv etwas gegen das Wiederaufflammen der Auseinanderset- zungen in Kolumbien beizutragen. Auch das ist Krisen- prävention. Zweitens. Wenn diese Debatte vorbei ist, werde ich eine Delegation aus Korea treffen, mit der wir bereits im November gesprochen haben und die ein neues Interesse an den deutschen Erfahrungen mit der Wiedervereini- gung hat. Wir werden heute Mittag gemeinsam mit den koreanischen Kollegen darüber debattieren und später in einer zweiten Sitzung mit der deutsch-koreanischen Be- ratergruppe – Hartmut Koschyk und Markus Meckel sind dabei – zu diesem Thema tagen. Gemeinsam mit dieser deutsch-koreanischen Beratergruppe werden wir dann zum zweiten Mal zum Thema Wiedervereinigung zusammensitzen. Sie haben gestern hier im Deutschen Bundestag über die Ausbildungsmission in Mali diskutiert. Das ist gut und richtig. Richtig finde ich auch, dass die breite Unter- stützung des Deutschen Bundestages gewährleistet ist. Ich sage das nur, weil viel weniger häufig zur Kennt- nis genommen wird, wie breit unser politisches Engage- ment in Mali wirklich ist. Wir unterstützen dort zum Beispiel auch ein neugeschaffenes Ministerium für Ver- söhnung. Die Versöhnungsarbeit kann dort noch nicht richtig laufen, weil der Konflikt noch heiß ist, aber wir versuchen, jetzt die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Versöhnungsprozesse später schnellstmöglich anlaufen können. Ich nenne Ihnen diese wenigen Beispiele auch, um den falschen Eindruck zu vermeiden, dass die Außen- politik in diesen Tagen nur mit den vier, fünf Großkrisen rund um die Welt beschäftigt ist. Darauf müssen wir uns sicherlich konzentrieren. Die Öffentlichkeit hätte wenig Verständnis, wenn wir uns davon abwenden. Aber Kri- senprävention, Friedenskonsolidierung oder Versöh- nungsprozesse sind auch Teil meiner täglichen Arbeit bzw. des Auswärtigen Amts genauso wie Friedensmedi- ation. Dazu haben wir gerade im letzten Spätherbst in Berlin eine große Konferenz durchgeführt. Wir wurden gebeten, noch mehr in die Ausbildung von Friedensver- mittlern zu investieren. Das ist wichtig, keine Frage. Mit einem letzten Blick auf die vielen Krisen der Welt sage ich noch einmal: Nicht überall gelingt zivile Kri- senprävention. Aber ich glaube fest daran: Vorausschau- ende Außenpolitik ist jeden Euro wert. Ihre Rendite zahlt sich zwar heute nicht in Geldscheinen aus, aber vielleicht morgen in vermiedenen Konflikten, und das ist viel wert. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort Kathrin Vogler. (Beifall bei der LINKEN) Kathrin Vogler (DIE LINKE): Liebe Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Vor 35 Jahren habe ich als Jugendliche die Grundsatzerklärung der Deutschen Frie- densgesellschaft unterschrieben. Da heißt es: Der Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit. Ich bin daher entschlossen, keine Art von Krieg zu unterstützen und an der Beseitigung aller Kriegsur- sachen mitzuarbeiten. Deswegen bin ich ausgesprochen stolz und froh, einer Fraktion in diesem Haus angehören zu dürfen, die kei- nem Militäreinsatz im Ausland zustimmt. (Beifall bei der LINKEN) Uns ist es wichtig, Gewalt, Krieg und Bürgerkrieg durch eine aktive Friedenspolitik im Vorfeld zu verhindern. Menschen, die von Krieg und Gewalt betroffen sind, wollen wir ohne Waffen wirksam helfen. Dafür setzen wir voll auf die zivile Konfliktbearbeitung. (Beifall bei der LINKEN) Herr Steinmeier, es ist gut, dass Sie sich heute selbst an dieser Debatte beteiligen. Es ist auch gut, dass der Bundespräsident in der nächsten Woche aktive und engagierte Menschen aus der zivilen Konfliktbearbei- tung in das Schloss Bellevue zu sich einlädt. Das sind wichtige Symbole. Aber wir wollen, dass die zivile Kri- senprävention und Konfliktbearbeitung endlich über Symbolpolitik hinauskommen. (Beifall bei der LINKEN) (C) 8144 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 Kathrin Vogler (A) (C) (D)(B) Worüber reden wir hier? Zivile Konfliktbearbeitung bedeutet, mit zivilen, das heißt mit nicht militärischen Mitteln Gewalt zu verhindern oder zu beenden. Das fin- det etwa statt, wenn Friedensverhandlungen vereinbart oder überwacht werden, wenn Kindersoldaten durch Verhandlungen befreit und zu ihren Familien zurückge- bracht werden oder wenn Journalisten lernen, wie man der Verbreitung von Hass und Angst durch eine ausge- wogene Berichterstattung entgegentreten kann. Das fin- det statt, wenn Kriegsverbrecher in rechtsstaatlichen Verfahren verurteilt werden und ihre Opfer Gerechtig- keit erfahren. Ich freue mich, dass wir heute auf der Besuchertri- büne Menschen begrüßen können, die sich dieser großen Aufgabe leidenschaftlich widmen. Stellvertretend begrü- ßen möchte ich Ramy Lakkis und Assem Shraif aus dem Libanon. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der CDU/CSU) Sie bauen dort mit Unterstützung des Zivilen Friedens- dienstes aus Deutschland Friedensnetzwerke auf und ar- beiten so gegen die wachsenden Spannungen zwischen den Religionsgruppen, aber auch – Herr Steinmeier, Sie haben das angesprochen – zwischen syrischen Flüchtlin- gen und Einheimischen an. Diese Arbeit ist schwierig, aber notwendig. Diese müssen wir noch mehr unterstüt- zen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das Grundgesetz verlangt in seiner Präambel von uns allen, dem Frieden in der Welt zu dienen. Das bedeutet doch, dass Frieden die Leitschnur unseres Handelns in allen politischen Bereichen sein muss. Genau dafür gibt es seit 2004 den Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“. Wenn Sie einmal draußen auf der Straße fragen, ob die deutsche Politik in den letzten zehn Jahren nach Einschätzung der Menschen friedlicher geworden sei: Was meinen Sie, was Sie dann zu hören bekommen? Das ist beileibe nicht nur ein Vermittlungsproblem; denn die Menschen erle- ben das Tag für Tag. Sie müssen nur die Nachrichten verfolgen. Obwohl wir in einer Zeit leben, in der Krisen und Konflikte immer häufiger in Gewalt münden, bleibt doch der Beitrag Deutschlands und dieser Bundesregie- rung zur zivilen Krisenprävention und Konfliktbearbei- tung auch nach zehn Jahren Aktionsplan beschämend gering. Das beginnt schon bei den Begrifflichkeiten. Bei Ihnen findet sich unter der Überschrift „Zivile Krisen- prävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ ein buntes Sammelsurium an Maßnahmen, auch Polizei- einsätze, die Aufrüstung und Ausbildung von Armeen und sogar Militäreinsätze mit Kampfauftrag. Das hat doch mit ziviler Krisenprävention nichts, aber auch gar nichts zu tun. (Beifall bei der LINKEN) Ein Beispiel: Sie wollen die Kapazitäten der eigen- verantwortlichen zivilen Krisenprävention in Afrika stärken. Gut, aber welche Maßnahmen führen Sie dafür an? Die Ausbildung von Soldaten in Mali. Was, bitte, hat das mit ziviler Krisenprävention zu tun? Nichts, aber auch gar nichts. (Beifall bei der LINKEN) Man kann unterschiedlicher Meinung sein, welche Rolle Militär und Polizei in der Konfliktvorbeugung oder -beilegung haben können, aber wir sollten doch bitte zivile, polizeiliche und militärische Maßnahmen or- dentlich trennen, genau wie wir das aus gutem Grund auch im Inland tun. (Beifall bei der LINKEN) Ja, wir haben auch Fortschritte zu verzeichnen. Der Zivile Friedensdienst ist mit 230 Fachkräften in 36 Kon- fliktregionen im Einsatz und unterstützt dort Friedens- prozesse. Er hat sich ganz hervorragend entwickelt. Aber es gibt viel mehr Bedarf, gerade dort, wo die Konflikte zwar auf der Straße liegen, aber noch nicht offen ausge- brochen sind, wie zum Beispiel in den Flüchtlingslagern des Libanon. Im Libanon kommt mittlerweile auf jeden Einwohner ein syrischer Flüchtling. Deswegen will die Linke den Zivilen Friedensdienst auch deutlich besser ausstatten. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Auch die Ausbildung ziviler Fachkräfte kommt in kleinen Schritten voran. Das Förderprogramm ifa zivik des Auswärtigen Amtes war wichtig. Auch da könnte man noch mehr tun. Aber was den Kern des Aktionsplans eigentlich be- trifft, da hat sich meiner Ansicht nach zu wenig bewegt; denn eigentlich sollten doch alle Ministerien hinterfra- gen, was sie vielleicht unbeabsichtigt zu den Konflikten in der Welt beitragen. Es ist doch der Kern des Aktions- plans, dass sich zum Beispiel das Wirtschaftsministe- rium vor dem Abschluss des nächsten Freihandelsab- kommens einmal Gedanken darüber macht, ob das Abkommen vielleicht zur Verschärfung von Konflikten in dem entsprechenden Partnerland beitragen könnte, oder dass es dann, wenn es um Erdölimport aus Nigeria geht, die Auswirkungen auf die Konfliktlage in den För- dergebieten im Nigerdelta berücksichtigt. Ich würde mir wünschen, Herr Steinmeier, dass die Bundesregierung diese Perspektive wieder aufgreift. (Beifall bei der LINKEN) Das Bild von der Bundesrepublik als Vorreiter der zi- vilen Krisenprävention, das die Bundesregierung so gerne zeichnet, ist schon deshalb schief, weil Deutsch- land selbst inzwischen Partei in allzu vielen Kriegen und Konflikten ist. Das kommt daher, dass Sie vor allem auf die Karte des militärischen Eingreifens setzen. Deswe- gen wird unser Land mehr und mehr unfähig, die zivilen Möglichkeiten, die es gibt, auch wirklich zu nutzen. Wenn Sie, Herr Steinmeier, oder der Bundespräsident von Deutschlands Verantwortung in der Welt reden, dann ist es vor diesem Hintergrund doch kein Wunder, Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 8145 Kathrin Vogler (A) (C) (D)(B) dass viele Menschen das als Ankündigung von noch mehr Militäreinsätzen wahrnehmen. Diese Regierung benutzt die zivile Krisenprävention als Feigenblatt für eine militärinterventionistische Politik, und das zeigt sich doch schon an den finanziellen Mitteln. Meine Fraktion hat die Bundesregierung gefragt, was sie denn für die Umsetzung des Aktionsplans in den ein- zelnen Ressorts ausgibt. Das Wirtschafts- und das Um- weltministerium haben dafür nach eigenen Angaben in den letzten zehn Jahren keinen einzigen Cent ausgege- ben. In vielen Ministerien ist noch nicht einmal klar, was dieses Zivile eigentlich ist, das gefördert werden soll. Die jährlich etwa 1,2 Milliarden Euro, die für die zivile Krisenprävention nach Ihren eigenen Angaben ausgege- ben werden – die Angabe ist überhöht –, sind einfach lä- cherlich gering, wenn man überlegt, dass allein die Bun- deswehr 32 Milliarden Euro im Jahr verschlingt. Dann haben wir konkret nachgefragt, welche Rüs- tungsexporte diese Bundesregierung in Länder geneh- migt hat, für die sie gleichzeitig Maßnahmen der Krisen- prävention bewilligt hat. Die Antwort darauf haben Sie uns verweigert. Das war selbst Ihnen wohl doch zu pein- lich. Also haben wir das selber zusammengestellt, und der Befund ist erschreckend. Herr Steinmeier – Sie ha- ben über Kolumbien gesprochen –, im Jahr 2013 hat die Bundesregierung Rüstungsexporte nach Kolumbien im Wert von über 50 Millionen Euro bewilligt. Gleichzeitig hat das Auswärtige Amt Projekte zur Konfliktbewälti- gung im Wert von 1,5 Millionen Euro gefördert, unter anderem Projekte für den Kampf gegen Korruption. Sie liefern also Waffen an eine korrupte Regierung. Ist das „vorsorgende Außenpolitik“? Indien und Pakistan: Beide Länder haben Maßnah- men der Krisenprävention ergriffen. Gleichzeitig haben Sie nach Indien 2013 Waffenexporte im Wert von 107 Millionen Euro, nach Pakistan Waffenexporte im Wert von 47 Millionen Euro bewilligt. Beide Länder sind seit langen Jahren im Streit um Kaschmir. In beiden Ländern gibt es bewaffnete Auseinandersetzungen. Jetzt erklären Sie mir doch einmal, was das für eine Krisen- prävention ist, die Sie da betrieben haben, und wie man zwei Länder aufrüsten kann, die sich miteinander im Dauerkonflikt befinden? (Beifall bei der LINKEN) Das können Sie nicht erklären. Entschuldigen Sie, das ist doch reiner Etikettenschwindel. Militäreinsätze und Waffenlieferungen sind nämlich nicht Teil der Lösung; sie sind Teil des Problems. (Beifall bei der LINKEN) Wir müssen feststellen: Bei nahezu jedem größeren be- waffneten Konflikt, der heute über unsere Fernsehbild- schirme flimmert, gab es in der Vergangenheit Waffen- lieferungen, missglückte Interventionen. Außerdem gibt es eine Politik der Spaltung auf diesem Planeten, die im- mer mehr Menschen arm und sehr wenige Menschen da- für sehr reich macht. Wenn etwa im Südsudan die Vieh- züchter und die Ackerbauern wie Kain und Abel um die letzten Wasserressourcen kämpfen, dann nützt ihnen auch keine noch so große Militärpräsenz. Diese Kon- flikte können sie nur beilegen, wenn es einerseits genug Wasser gibt und andererseits Streitbeilegungsmechanis- men, die von allen Seiten akzeptiert sind. (Beifall bei der LINKEN) Wenn alle Ministerien überprüfen müssten, was sie zur Eskalation von Konflikten beitragen, dann gilt das natürlich auch für das Verteidigungsministerium. Ich bin der festen Überzeugung, dass dann kein einziger der der- zeitigen Bundeswehreinsätze mehr Bestand hätte. (Beifall bei der LINKEN) Aber leider ist der Irrglaube an den Nutzen militäri- scher Interventionen nicht nur in der Bundesregierung verbreitet; in Ihrem Entschließungsantrag zur heutigen Debatte fordern Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Deutschlands Fähigkeiten im militäri- schen Bereich nach dem „do no harm“-Ansatz zu über- prüfen, also dahin gehend, wie sie sich auf gewaltsam ausgetragene Konflikte auswirken. Das klingt so ähnlich wie etwas, was auch wir fordern. Es klingt also erst ein- mal nicht schlecht; aber es wirft doch die Frage nach den Konsequenzen auf. Welcher der von den Grünen in den letzten Jahren unterstützte Militäreinsatz hätte denn Ihrer Meinung nach diesen Anspruch erfüllt? Der Kosovo- Krieg? Der Afghanistan-Krieg? Die westliche Interven- tion in Libyen, für die auch in Ihrer Fraktion geworben wurde? Nein, ich sage Ihnen eines: Sie müssen diese militäri- sche Logik überwinden. (Beifall bei der LINKEN) Deutschland braucht ein Gesamtkonzept für eine zivile Außenpolitik, die sich von den Regeln des Völkerrechts, dem Prinzip des Gewaltverzichts und vom Gedanken des frühzeitigen, vorbeugenden Handels leiten lässt. Dafür brauchen wir auch eine Umverteilung im Bundeshaus- halt. Denn, meine Damen und Herren, würden Sie einen einzigen Eurofighter weniger kaufen, könnten Sie mit dem eingesparten Geld die Mittel für den Zivilen Frie- densdienst für fünf Jahre mehr als verdoppeln. Das wäre mehr als ein Symbol, und damit könnte Deutschland wirklich dem Frieden in der Welt dienen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Franz Josef Jung, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Franz Josef Jung (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine liebe Kolleginnen und Kolle- gen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Be- ginn der Debatte möchte ich unserer Bundesregierung herzlich für den Beitrag danken, den sie zur zivilen Kri- senprävention, zur Konfliktlösung und zur Friedenskon- solidierung leistet. Frau Vogler, wenn Sie das als Sym- bolpolitik bezeichnen, dann kann man das nur mit Nachdruck zurückweisen. Das Gegenteil ist der Fall. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) 8146 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 Dr. Franz Josef Jung (C) (D)(B) In diesem Bericht wird, denke ich, sehr klar zum Aus- druck gebracht, welchen Beitrag wir zur nachhaltigen Friedensförderung in Europa und in dieser Welt leisten; der Außenminister hat auf sehr konkrete Maßnahmen hingewiesen. Gerade auch in Ansehung der heute begin- nenden Münchner Sicherheitskonferenz – der Kollege Ischinger hat verdeutlicht, dass die Frage des fortlaufen- den Krisenmanagements (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Mit Waffenliefe- rungen!) mit an zentraler Position der Diskussion stehen wird –, wird deutlich, dass man sich hier sehr konkret der Frage nach den Ursachen und der konkreten Frage der Präven- tion zuwenden muss. Zunächst muss man natürlich feststellen, dass sich die Konfliktsituationen in der Welt verändert haben. Wir ha- ben eine Situation des globalen Terrors; ich erwähne nur ISIS, Boko Haram und natürlich auch al-Qaida. Es gibt eine Zunahme an radikalen und islamistischen Extremis- ten. Wir haben – darauf hat der Bundesaußenminister zu Recht hingewiesen – die sogenannten Failing States, die fragilen Staaten. Wir haben transnationale organisierte Kriminalität und das Problem der Ressourcenkonflikte. Ich denke, darauf müssen wir zunächst eine Antwort im Rahmen ziviler Krisenprävention zu finden versuchen; denn das sind die Instrumente, die im Vorfeld unabding- bar sind, um letztlich eine friedliche Entwicklung in un- serer Welt zu befördern. Deshalb ist genau dieser Ak- zent, den die Bundesregierung hier setzt, richtig. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir sind mit diesen Maßnahmen auch führend in Eu- ropa. Ich finde aber, es gehört auch dazu, dass wir über das reden, was wir damals im Weißbuch 2006 als vernetzte Sicherheit bezeichnet haben. Es geht darum, dass wir au- ßen- und entwicklungspolitische, zivile, polizeiliche Instrumente einsetzen, dass wir aber auch nicht aus- schließen, als Ultima Ratio militärische Fähigkeiten ein- zusetzen nach dem Grundsatz: Ohne Sicherheit keine Entwicklung, aber ohne Entwicklung auch keine Sicher- heit. – Dies ist zu einem Kennzeichen deutscher Außen- und Sicherheitspolitik geworden und hat mit einen Bei- trag dazu geleistet, dass wir in einigen Regionen unserer Welt zu einer friedlichen Entwicklung gekommen sind. (Beifall des Abg. Dr. Johann Wadephul [CDU/ CSU]) Da dies immer wieder bestritten wird, will ich nur in Erinnerung rufen: Was wäre denn gewesen, als es die Massenhinrichtungen – Stichwort „Srbrenica“ –, die Massenvergewaltigungen, das menschenverachtende Vorgehen in den ehemaligen Balkanstaaten gegeben hat? Ohne dass die NATO dort eingegriffen hätte, wäre es nicht zu einer stabilen und friedlichen Entwicklung ge- kommen. Auch das gehört dazu, wenn wir über Krisen- bewältigung und Friedenssicherung in unserer Welt sprechen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Meine sehr verehrten Damen und Herren, leider müs- sen wir feststellen, dass es letztlich oft des letzten Mit- tels bedarf – ich nehme jetzt zu dem aktuellen Thema der Bekämpfung des ISIS-Terrors Stellung –, nämlich des Einsatzes militärischer Fähigkeiten. Wenn man sieht, in welcher brutalen Art und Weise ISIS vorgeht – ich erin- nere an den Piloten und ich erinnere an im Grunde ge- nommen Kinder, die hingerichtet werden; Menschen werden abgeschlachtet –, dann erkennt man: Dort ist lei- der Gottes alleinige zivile Krisenprävention nicht die Maßnahme, die zu einer friedlichen Entwicklung führt. Dort ist es richtig, beispielsweise die Peschmerga mit Waffen zu unterstützen und eine Ausbildungsleistung im Irak zu erbringen, um dazu beizutragen, dass derartiges menschenverachtendes Vorgehen einer Terrororganisa- tion zurückgedrängt wird und dass es in dieser Region wieder zu einer friedlichen Entwicklung kommt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und des Abg. Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Saudi-Arabien!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich ist es richtig, dass die zivile Krisenprävention weltweit an Bedeutung gewonnen hat. Dadurch wird vorsorgend in Frieden und Stabilität investiert: durch Förderung von Rechtsstaatlichkeit, durch die Unterstützung guter Re- gierungsführung, durch Ausbildung von Polizei- und Si- cherheitskräften, durch die Stärkung der Zivilgesell- schaften, durch die Förderung von Bildungs- und Gesundheitssystemen, aber auch durch die Gewährleis- tung der Grundbedürfnisse der Bevölkerung. Ich habe zu oft – beispielsweise in Afghanistan, um ein konkretes Beispiel zu nennen – erlebt, dass Men- schen, die überhaupt keine Perspektive hatten, dass ihre Familien überleben, die in Not und Elend lebten, viel empfänglicher für radikale Werbeaktionen – beispiels- weise der Taliban – waren als diejenigen, deren Grund- bedürfnisse gesichert waren. Deshalb gehört auch die Förderung der Grundbedürfnisse der Menschen in diesen Regionen dazu, um zur Stabilität und zur friedlichen Entwicklung beizutragen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein solcher vorsorgender und ressortübergreifender Ansatz ist das Markenzeichen der deutschen Außen- und Sicherheits- politik. Damit übernehmen wir – das zeigen die Unter- stützungsmaßnahmen, die auch in diesem Jahr vorge- nommen werden – mehr Verantwortung in der Welt, wie es sowohl der Bundespräsident als auch der Außen- minister und die Verteidigungsministerin auf der letzten Sicherheitskonferenz in München deutlich gemacht ha- ben. Aber es gilt auch, die Instrumente der Krisenprä- vention fortzuentwickeln. Dazu gehört der Review-Pro- zess im Auswärtigen Amt, wo unter Einbeziehung von Fachleuten, von Bürgerinnen und Bürgern ein gesell- (A) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 8147 Dr. Franz Josef Jung (A) (C) (D)(B) schaftlicher Diskurs in dieser Richtung vorangetrieben wird. Dazu gehört das Eintreten des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit für eine passgenaue Krisenprävention und zivile Konfliktberatung. Dazu ge- hört in der Perspektive auch der vernetzte Ansatz, dass beispielsweise Ausbildungsunterstützung und Unterstüt- zung bei Polizeimaßnahmen geleistet werden und auch durch die Teilnahme an UN-Missionen zur Friedenssi- cherung beigetragen wird. Wenn Sie sich die UN-Mis- sionen sowohl im Libanon als auch in Mali, im Sudan, in Darfur, in Afghanistan und im Kosovo anschauen, dann sehen Sie: All dies sind Beiträge, mit denen Deutsch- land, wie ich finde, einen wichtigen Beitrag zur Krisen- prävention, zur Krisenbewältigung und damit zur Frie- denssicherung in unserer Welt leistet. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Meine Damen und Herren, wir haben eine Verantwor- tung, wenn es darum geht, Völkermord, Kriegsver- brechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verhindern bzw. zu bekämpfen. Dies hat der Bundesprä- sident vor ein paar Tagen von diesem Pult aus – wie ich finde, zu Recht – noch einmal deutlich gemacht. Wir wollen mit diesen Maßnahmen unseren Beitrag für eine friedliche Entwicklung in Europa und darüber hinaus leisten. Es ist es auch wichtig, dass unsere Bundeskanz- lerin gemeinsam mit Staatspräsident Hollande sowohl in Kiew als auch – heute – in Moskau ist, um dazu beizu- tragen, dass wir endlich zu dem kommen, was einst ver- einbart worden ist, nämlich dass die Waffen in der Ukraine schweigen und es dort wieder zu einer friedli- chen Entwicklung kommt. Auch dies ist ein Beitrag zur Friedenssicherung, der von unserer Bundesregierung ge- leistet wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich füge hinzu: Es war erst am 21. Januar, als unter Verantwortung unseres Bundesaußenministers sowohl der Außenminister der Ukraine als auch der Außen- minister Moskaus – der Außenminister Frankreichs war ebenfalls dabei – vereinbarten: Die Demarkationslinie wird anerkannt. Die schweren Waffen werden abgezo- gen. – Und was ist passiert? Das Gegenteil! Es wurde eine Großoffensive mit all den bekannten Geschehnissen gestartet, beispielsweise der Rakete, die dort zu 30 Toten und zur weiteren Verschärfung der Situation geführt hat. Deshalb müssen wir alles tun, unseren Einfluss gel- tend zu machen, um hier zu einer friedlichen Entwick- lung beizutragen, um dazu beizutragen, dass das, was einmal als Grundlage in Minsk vereinbart worden ist – und zwar von der Ukraine und Russland unter Beteili- gung der OSZE –, umgesetzt wird: dass nicht nur die Waffen schweigen, sondern auch eine humanitäre, eine wirtschaftliche Entwicklung erfolgt, dass die lokale Selbstverwaltung eingerichtet und auch in dieser Region mehr Autonomie gewährleistet wird, um letztlich dazu beizutragen, dass diese kriegerischen Auseinanderset- zungen mitten in Europa endlich beendet werden und wir wieder zu einem Zusammenleben in friedlicher Ko- existenz in Europa kommen. Das ist eine Grundvoraus- setzung für Frieden. Deshalb ist es so wichtig, dass unsere Bundeskanzlerin und der Staatspräsident Frank- reichs heute hoffentlich einen Erfolg in Moskau erzielen können. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Meine Damen und Herren, ich will noch eines hinzu- fügen, weil dies aus meiner Sicht in der Öffentlichkeit immer sehr einseitig dargestellt wird: Gerade fand die NATO-Verteidigungsministerkonferenz statt. Der NATO- Generalsekretär hat noch einmal unterstrichen, dass wir eine Zusammenarbeit mit Russland wollen, dass die NATO-Russland-Grundakte gilt, die von Moskau aller- dings verletzt wurde, weil sie die territoriale Integrität der Ukraine nicht akzeptiert hat. Aus meiner Sicht ge- hört dies aber elementar zur friedlichen Koexistenz und zum friedlichen Zusammenleben. Seit dem Zweiten Weltkrieg war es die gemeinsame Grundlage der Staaten in Europa, dass die Integrität der Grenzen der Staaten anerkannt und nicht infrage gestellt wird. Das muss in Zukunft wieder für alle Beteiligten gelten, damit Frieden und ein friedliches Zusammenleben in Europa und da- rüber hinaus möglich sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Meine Damen und Herren, ich sage zusammenfas- send: Wir wollen unseren Beitrag zur zivilen Krisenprä- vention, zur Konfliktlösung und zur Friedenskonsolidie- rung leisten. Wir sind aber auch im äußersten Fall bereit, militärische Mittel einzusetzen, (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Wenn das der äußerste Fall ist: Warum reden Sie dann nur über Militär?) um Frieden zu sichern bzw. zu ermöglichen. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zum Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen. Besten Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Dr. Franziska Brantner, Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Gäste auf der Tribüne! Schön, dass Sie heute gekommen sind. Es ist ja der dritte Versuch; Sie waren schon zweimal eingeladen. Dass es beim dritten Mal geklappt hat, ist wirklich einen Applaus wert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) 8148 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 Dr. Franziska Brantner (A) (C) (D)(B) Heute beginnt in München die alljährliche Sicher- heitskonferenz. Im letzten Jahr wurde diese Tagung von Bundespräsidenten Gauck mit dem Plädoyer eröffnet, Deutschland solle mehr Verantwortung übernehmen. Tage zuvor hatten Sie, Herr Außenminister Steinmeier, im Bundestag appelliert, die Bundesrepublik dürfe keine Kultur des Heraushaltens üben. Häufig wurde diese De- batte verengt geführt, rein auf die militärische Kompo- nente abgestellt. Auch wenn es von Ihnen nicht immer beabsichtigt war, hat zu dieser Verengung sicherlich bei- getragen, dass für das Nichtmilitärische, das Zivile kaum neue Vorschläge oder Ansätze in die Debatte eingebracht wurden. Dadurch verengt sich die Debatte auf das Mili- tärische. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ein Jahr nach diesen Reden – und es waren einige – dürfen Fragen gestellt werden: Hat Deutschland mehr Verantwortung im zivilen Bereich übernommen, und wo hat es dies getan? Hat es seine Möglichkeiten genutzt? Verfügt es überhaupt über diese Möglichkeiten? Auf der Habenseite der Regierung stehen eindeutig die deut- schen Vermittlungen im De-facto-Krieg zwischen der Ukraine und Russland ebenso wie Vorhaben im Bereich der Mediation. Wir haben es als Bundestag geschafft, die Gelder für ZIF und ZFD zu erhöhen. Zivile Krisenprävention ist kein Selbstläufer. Die Er- folge sind nicht einfach zu messen. Das ist ein Umstand, der vielen Aktiven ständig widerfährt: Man verhindert Konflikte und hat keine Fotos, die in den Zeitungen ver- öffentlicht werden oder über CNN laufen. Deswegen fragt man vielleicht, wofür sie eigentlich da sind. Außer- dem bietet die zivile Krisenprävention durchaus Anlass für sehr schwierige Fragen, über die sich trefflich disku- tieren lässt: Kann man Konflikte überhaupt verhindern? Geht es nicht eher um Konfliktbearbeitung und Konflikt- transformation? (Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Und wenn es das ist: Können wir wirklich verlässliche Staatlichkeit aufbauen und voranbringen? Sind wir da nicht häufig gescheitert? – Selbst wenn wir es könnten: Können wir denn die Konflikte voraussehen? Woran ma- chen wir das fest? – Ich glaube, dass wir viel davon kön- nen. In diesen Bereichen müssen wir endlich mehr tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber es gibt eben auch vieles, was wir noch nicht oder nicht gut genug können. Wir müssen das ehrlich aner- kennen und dann eben auch massiv investieren – in Wis- sen, in Konzepte, in weitere Instrumente und eben auch in Menschen. Beispiele für Gelungenes finden wir im Vierten Be- richt über die Umsetzung des Aktionsplans „Zivile Kri- senprävention“. Er ist übrigens zum ersten Mal lesbar; das ist wirklich ein Unterschied zu den vorherigen Be- richten. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Das geht auch auf die Arbeit des Unterausschusses für Zivile Krisenprävention in der letzten Legislaturperiode zurück, der jedes Mal moniert hat, man möge doch bitte einen lesbaren Bericht erhalten. Es gibt viele Beispiele in diesem Bericht, etwa aus Sri Lanka: 20 000 Menschen wurde mit der Ausstellung gültiger Dokumente geholfen, an der Wahl teilzuneh- men. Es ist ein ganz wichtiger Faktor, ob sich die Men- schen vor Ort beteiligt fühlen, ob sie die Möglichkeit ha- ben, an einem demokratischen Prozess teilzunehmen, oder eben ausgeschlossen sind. Ein weiteres Beispiel – das wurde erwähnt – sind die Grenz- und Polizeistatio- nen in Afrika, die man zivil aufbaut und mit denen man Grenzkonflikten vorbeugt. Es gibt ganz viele Beispiele, und wenn sie noch so klein und noch so weit entfernt von uns sind, sollten sie nicht unterschätzt werden. Sie sind ein wirklicher Beitrag dazu, diese Welt friedlicher zu machen. Ein Dank gilt all jenen, die diese schwierige Arbeit vor Ort leisten. Ihnen möchte ich wirklich dan- ken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Wenn wir aber anerkennen, dass wir damit wirklich erfolgreich sein können, stellt sich doch die Frage, ob es nicht auch mehr Geld für diese Projekte gibt. Da spre- chen die Haushaltszahlen, Herr Steinmeier, leider eine andere Sprache. Sie hatten vorhin den Betrag von 150 Millionen Euro erwähnt. Dabei haben Sie die Bei- träge für die internationalen Organisationen und das, was wir in der Klimaaußenpolitik machen, mit einge- rechnet. Der Ansatz für die rein zivile Krisenprävention liegt in den letzten Jahren, seit 2013, bei 95 Millionen Euro. Der Haushaltsansatz für dieses Jahr war sogar niedriger und lag bei 93 Millionen Euro – das wurde zum Glück korrigiert –, obwohl der tatsächliche Bedarf 2013 bei 133 Millionen Euro lag. Der Bedarf sollte doch das Minimum sein, wenn wir die Zahlen für das nächste Jahr veranschlagen, zumal es so viel mehr Krisen in die- ser Welt gibt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In der Süddeutschen Zeitung stand gestern, der Unter- schied zwischen SPD, CDU/CSU und den Grünen sei nur, dass die Grünen in dem Bereich mehr Geld wollten. Da sage ich Ihnen: Ja, aber das ist ein ganz wichtiger Unterschied. Wer von uns ist denn gegen zivile Krisen- prävention? – Ja wohl keiner. Deswegen kommt es da- rauf an, nicht nur Worte zu finden, sondern auch bereit zu sein, dafür mehr Geld zur Verfügung zu stellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir entsenden neben Soldatinnen und Soldaten auch viele zivile Fachkräfte ins Ausland: Polizistinnen und Polizisten, Juristinnen und Juristen, Ingenieurinnen und Ingenieure, Frauenrechtsexperten und viele weitere Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 8149 Dr. Franziska Brantner (A) (C) (D)(B) Expertinnen und Experten. Sie versuchen – oft unter schwierigen Bedingungen –, vor Ort für Versöhnung, Wiederaufbau und nachhaltige Entwicklung einzutreten. Über 1 000 Deutsche sind derzeit im Rahmen der Mis- sionen der Vereinten Nationen, der EU und der OSZE aktiv. Hinzu kommen viele Fachkräfte von Nichtregie- rungsorganisationen, zum Beispiel 230 Expertinnen und Experten des Zivilen Friedensdienstes in 36 Ländern. Dieses Engagement wird viel zu selten anerkannt und gewürdigt; aber dies zu tun, ist eine Aufgabe, die wir alle gemeinsam haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Rolf Mützenich [SPD]) Ich darf Ihnen aber einmal die Frage stellen: Warum stellt Deutschland von insgesamt mehr als 12 400 Poli- zeikräften in UN-Missionen derzeit gerade einmal zwei Dutzend? Unter den 12 400 Polizeikräften sind 24 Deut- sche. Ist das Ausdruck von mehr deutscher Verantwor- tung im Rahmen der Vereinten Nationen? – Ich sage Ih- nen klar: Nein. Da kann und muss Deutschland mehr für die Vereinten Nationen leisten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch da gilt – weil die Verhandlungen mit den Bundes- ländern manchmal eine schwierige Angelegenheit sind –: Ohne zusätzliches Geld vom Bund wird das nicht funk- tionieren. Wir müssen uns auch fragen: Können wir Staatlich- keit, können wir die Rule of Law und Reformen im Si- cherheitssektor vorantreiben? Es kommt vor, dass wir den Aufbau einer unabhängigen Justiz fördern, aber dann die Richter höchst korrupt sind und es gar nieman- den mehr gibt, der sie kontrolliert. Es kommt auch vor, dass Rechtsstaatsmissionen selber in Korruption verwi- ckelt sind, keinerlei rechtsstaatliche Kontrollmechanis- men haben und deswegen vor Ort jegliche Glaubwürdig- keit verlieren. Es kommt auch vor, dass wir eine demokratisch legitimierte Armee vorantreiben wollen, aber die Missionen nicht mit den Parlamenten vor Ort zusammenarbeiten, zum Beispiel im Kongo. – Das sind Situationen, in denen unsere Arbeit ad absurdum geführt wird, weil wir nicht die richtigen Konzepte und Instru- mente haben. Es gibt in diesem Bereich Grenzen, Misserfolge und Rückschläge; aber das ändert nichts an der Notwendig- keit der Arbeit. Es geht darum, mehr zu wissen und bes- ser zu werden. Deutschland führt keine kontinuierlichen, systematischen, fortlaufenden und unabhängigen Evalu- ierungen der Projekte durch. Wir müssen in Forschung und Wirkungsanalysen investieren; hier gibt es ein gro- ßes Manko. Zehn Jahre nach dem Aktionsplan ist es dringend an der Zeit, zu schauen: Wo stehen wir? Was können wir? Wo müssen wir etwas verbessern? – Das müssen wir ehrlich angehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir schon nicht überall für Staatlichkeit sorgen können – ich glaube, man muss auch die Grenzen aner- kennen –, dann müssen wir wenigstens dazu beitragen, dass die betroffenen Gesellschaften und Staaten nicht weiter wirtschaftlich destabilisiert werden. Davon sind wir aber noch weit entfernt. Wenn die Handels-, die Fi- scherei- und die Agrarpolitik nicht im Dienste des Frie- dens stehen, sondern dazu beitragen, dass Gesellschaften destabilisiert werden, dann müssen wir uns nicht wun- dern, wenn diese Staaten weiter zerfallen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wer Waffen nach Saudi-Arabien exportiert, braucht sich auch nicht die Augen zu reiben, wenn diese eines Tages zu falschen Zwecken eingesetzt werden. Eine verant- wortungslose Klimapolitik trägt mit dazu bei, dass mehr Menschen zur Flucht gezwungen sind. Sie haben erwähnt, dass Deutschland ein Vorreiter ist, was die notwendige Abstimmung unter den Ressorts an- geht. Es tut mir schrecklich leid, aber das ist Deutsch- land eindeutig nicht. Deutschland ist noch längst nicht wirklich gut, wenn es darum geht, die unterschiedlichen Ressorts abzustimmen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Aber besser als andere!) Wir haben zwar den Ressortkreis „Zivile Krisenpräven- tion“; aber er ist weder personell noch finanziell stark genug ausgestattet. Ich würde mir von Ihnen, Herr Steinmeier, wünschen, dass Sie hier ein richtiges Zei- chen setzen und ihn aufwerten und stärken, damit dieses Nebeneinanderher endlich beendet wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn Frau von der Leyen jetzt ein neues Weißbuch will, dann kann ich nur sagen: Wir brauchen nicht ein Weißbuch für einen Bereich. Wir brauchen in der Au- ßenpolitik endlich friedenspolitische Leitlinien für den gesamten internationalen Bereich. Das wäre ein Prozess, den es sich lohnt anzustoßen – nicht wieder Bereich für Bereich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben auch die schwierigen Punkte angesprochen – IS, Boko Haram – und die Frage gestellt, ob wir da überhaupt etwas machen können. Häufig hat man das Gefühl, eigentlich machtlos zu sein. Aber ich glaube, man darf nicht aufhören, auch dort nach zivilen Ansät- zen zu suchen. Das reicht nicht immer aus; wir wissen alle, dass man auch die militärische Komponente braucht. Klar ist aber, dass man immer zivile Möglich- keiten suchen muss. Die Austrocknung von Finanzie- rungsquellen und die Stabilisierung der Nachbarstaaten sind hier wichtige Punkte. Entwicklungsminister Müller hat 1 Milliarde Euro zusätzlich gefordert. Ich hoffe, Ihre Regierung wird das Geld zur Verfügung stellen; denn es ist eindeutig notwendig für Syrien und die Nachbarstaa- ten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Erlauben Sie mir, am Ende meiner Rede auf die Frage zurückzukommen, ob wir überhaupt Konflikte erkennen können. Hierzu gibt es Indikatoren der Vereinten Natio- nen, der Europäischen Union und von zivilgesellschaftli- chen Akteuren. Im Bericht werden in diesem Bereich Verbesserungen angekündigt – das ist positiv –; aber wir 8150 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 Dr. Franziska Brantner (A) (C) (D)(B) alle wissen, dass ein Indikator die Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen bzw. die Diskriminierung eines Teils der Bevölkerung ist. Es geht hier um Menschen- rechtsverletzungen. Die Zunahme von Menschenrechts- verletzungen ist ein guter Indikator für kommende ge- walttätige Auseinandersetzungen; denn sie sind schon Gewalt. Im Bericht wurde der Zusammenhang zwischen Menschenrechten und Frieden aufgegriffen. Aber in der Praxis erleben wir leider immer wieder ein Entwe- der-oder: entweder Menschenrechte oder Stabilität. Un- terdrückung und massive Menschenrechtsverletzungen stehen aber nicht für Stabilität. Sie sind einfach Unter- drückung und massive Menschenrechtsverletzungen. Punkt! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ägypten ist momentan ein trauriges Beispiel. In die- ser Woche gab es wieder Hunderte Urteile, die für viele Kinder, Demokratieaktivisten und Muslimbrüder den Tod bedeuten. Selbst trauernde Menschen werden ein- fach erschossen, zum Beispiel eine junge Frau, die zur Erinnerung Blumen niedergelegt hat. Al-Sisi sagt der Bundesregierung, dass er die deutschen Gelder für die Zivilgesellschaft einzeln kontrollieren werde. Die Bun- desregierung stellt daraufhin vorzeitig die Zahlung neuer Gelder für zivilgesellschaftliche Projekte in Ägypten ein. Es gibt also kein neues Geld für zivilgesellschaftli- che Projekte in Ägypten aus Deutschland. Und als Dank wird al-Sisi nach Berlin eingeladen. – Dazu kann ich nur sagen: Wer glaubt, dass diese Politik für Stabilität in der Region sorgt, wer glaubt, dass al-Sisi, der 20 Prozent seiner Bevölkerung massiv unterdrückt und in Bezug auf Libyen keine positive Rolle spielt, ein Garant für Stabili- tät und Frieden ist, denkt in den Mustern der alten, fal- schen Politik. Wir müssen endlich eine ehrliche und vor- sorgende Außenpolitik betreiben und aufhören, an die falschen Stabilitätsvisionen des letzten Jahrhunderts zu glauben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin Brantner, kommen Sie bitte zum Schluss. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Vorsorgende Außenpolitik, Krisenprävention hat ei- nen Preis. Fangen wir an, die Sache ernst zu nehmen und diesen Preis zu zahlen: Mehr Verantwortung – das wün- sche ich mir. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Dr. Ute Finckh- Krämer, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Gäste auf der Tribüne! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von dem rus- sischen Schriftsteller Marschak gibt es ein Gedicht über ein vermutlich fiktives Gespräch zwischen ihm und sei- nem Enkel, das er 1957 veröffentlicht hat. Er fragt in diesem Gedicht seinen Enkel, was dieser gerade spielte. Er erhält die Antwort: U-Boot-Krieg. Als er dem Enkel vorschlägt, nicht Krieg, sondern Frieden zu spielen, läuft der Enkel los, kommt aber schnell wieder zurück: Groß- vater, wie spielt man Frieden? In der letzten Strophe des Gedichts schreibt Marschak, dass man aufhören müsse, mit dem Krieg zu spielen, damit die Kinder lernen könn- ten, Frieden zu spielen. Wir wissen alle: Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg, und zum Frieden gehörten nicht nur die Stär- kung rechtsstaatlicher Strukturen und Prinzipien und die Förderung von politischen Versöhnungsprozessen, die Außenminister Steinmeier in seiner Rede eben ausführ- lich beschrieben hat, sondern auch das friedliche Zusam- menleben der Menschen vor Ort. Es geht darum, diejeni- gen zu unterstützen, die sich innerhalb ihrer Gesellschaft für Frieden und Versöhnung und für die gewaltfreie Aus- tragung von Konflikten einsetzen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Dazu gibt es seit 2001 das Förderprogramm zivik – Zivile Konfliktbearbeitung –, das aus dem Haushalt des Auswärtigen Amtes finanziert und vom Institut für Auslandsbeziehungen, ifa, inhaltlich und organisatorisch getragen wird. Zivik fördert Projekte, die von oder zu- sammen mit ausländischen Projektpartnern entwickelt werden. Eines der Glanzlichter von zivik ist die Ausstel- lung „Peace Counts“ über Friedensstifter. Diese Ausstel- lung wurde unter anderem in Sri Lanka, in Mazedonien, in der Elfenbeinküste, auf den Philippinen, in Russland, mehrfach in Indien, in Kolumbien, in Jordanien, in Afghanistan und in Armenien gezeigt – jeweils organi- siert zusammen mit lokalen Partnerorganisationen und verbunden mit einem Begleitprogramm, auch und ge- rade für Schülerinnen und Schüler. Auch Theaterwork- shops, Film- und Kunstprojekte mit Jugendlichen, die auf diese Weise lernen, sich aktiv für den Frieden in ih- rem Land und die gewaltfreie Austragung von Konflik- ten einzusetzen, werden von zivik gefördert, zum Bei- spiel in Armenien. Es werden auch Organisationen unterstützt, die das oft hohe Gewaltniveau in Familien und Gemeinden nach Ende eines Bürgerkriegs senken wollen, zum Beispiel in Südafrika und Kolumbien. Das ifa bietet im Rahmen von zivik an, Abgeordneten vor ih- ren Reisen mit Ausschüssen oder Parlamentariergruppen Informationen zu Projekten in den Reiseländern zu ge- ben und Projektbesuche zu ermöglichen. Dieses Ange- bot sollten wir alle nutzen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) Auch die Menschen, die Projekte des Zivilen Friedens- dienstes durchführen, würden sich über Abgeordneten- besuche freuen, zum Beispiel das Projekt im Libanon, Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 8151 Dr. Ute Finckh-Krämer (A) (C) (D)(B) von dem Kathrin Vogler eben gesprochen hat. Die Pro- jektverantwortlichen wünschen sich darüber hinaus eine verlässliche mittelfristige Unterstützung. Nach Einschät- zung der für das Libanon-Projekt Verantwortlichen sind fünf bis zehn Jahre notwendig, unabhängig davon, wie sich der syrische Bürgerkrieg entwickelt. Wir wissen aus anderen Konflikten, dass Kriegsflüchtlinge auch nach Kriegsende nur sukzessive in ihre jeweilige Heimat zu- rückkehren können. Die Konflikte, die sich im Libanon derzeit wieder verschärft haben, erledigen sich auch nicht von selbst. Dafür müssen wir daher eine Möglich- keit finden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Eine weitere wichtige Institution, die in den letzten zehn Jahren aufgebaut wurde, ist die Arbeitsgemein- schaft Frieden und Entwicklung, FriEnt. Sie ist eine Pub- lic-private-Partnership besonderer Art, ein Zusammen- schluss von staatlichen Organisationen, kirchlichen Hilfswerken, zivilgesellschaftlichen Netzwerken und politischen Stiftungen. Hier wird Krisenprävention und Friedensförderung fast tagtäglich weiterentwickelt, wer- den Ideen und Erfahrungen zwischen Politik und Praxis ausgetauscht, zum Beispiel zu so vielfältigen Themen wie Landkonflikten, Transitional Justice oder der Frage, welche Ansätze in der Friedensarbeit sich als wirksam erwiesen haben und welche nicht. Regelmäßig finden runde Tische zu Krisenregionen statt, zum Beispiel zu aktuellen Konfliktgebieten wie Syrien, Ägypten und Mali, aber auch zu den vergessenen Konflikten in Kenia, in Indonesien, in Nepal und im Südkaukasus, die derzeit nicht im Fokus der öffentlichen Debatte stehen. Wir haben darüber hinaus eine aktive deutsche zivil- gesellschaftliche Fachöffentlichkeit wie die Plattform Zivile Konfliktbearbeitung, die den Aktionsplan gefor- dert hat, im Beirat zum Aktionsplan mitarbeitet, Stel- lungnahmen zu den Umsetzungsberichten formuliert und im ständigen Dialog mit dem Unterausschuss für Zivile Krisenprävention steht. Erstmals haben wir eine gemein- same Stellungnahme von vier zivilgesellschaftlichen Netzwerken erhalten: der Plattform Zivile Konfliktbear- beitung, dem Verband Entwicklungspolitik und Humani- täre Hilfe, VENRO, dem Forum Menschenrechte und dem Konsortium Ziviler Friedensdienst. Außerdem liegt uns eine Stellungnahme der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung, GKKE, und des Beirats zum Aktionsplan vor. Wir als Unterausschuss haben alle diese Stellungnahmen aufmerksam gelesen. Mehr Auf- merksamkeit für die Bedrohungen, denen Zivilgesell- schaft in Konfliktländern ausgesetzt ist, können wir auch im Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe geben. Die Stärke des Aktionsplans von vor zehn Jahren ist, dass er deutlich gemacht hat, dass Friedensförderung eine Querschnittsaufgabe ist, zu der alle Ministerien et- was beitragen können. Seine Schwäche damals war, dass in 161 Einzelpunkten mögliche Aktionen vorgestellt wurden, aber keine übergreifende Strategie enthalten war. Insofern haben wir, Frau Brantner, tatsächlich noch eine große Aufgabe vor uns, eine deutsche Strategie für Friedensförderung und Konflikttransformation zu entwi- ckeln. Die Rolle des Parlaments wurde schon angesprochen. Es ist für die Finanzierung verantwortlich. Wir haben nicht nur mehr Geld für den Zivilen Friedensdienst er- reicht, sondern wir haben auch mehr Geld für humani- täre Hilfe in den aktuellen Haushalt eingestellt. 2014 wurde zudem ein neuer Titel für Projekte in Ländern der östlichen Partnerschaft eingerichtet, (Beifall bei der SPD) der übrigens zu den 150 Millionen Euro dazuzurechnen ist, die Frank-Walter Steinmeier vorhin erwähnt hat. Auch gibt es Mittel für das ZIF und für die Transforma- tionspartnerschaften in Nordafrika. Wir haben Anfang November im Unterausschuss ge- meinsam mit dem Innenausschuss eine Anhörung zu Polizeimissionen durchgeführt. Am 2. März werden wir uns im Unterausschuss ebenfalls öffentlich mit der Ver- besserung der Rahmenbedingungen für ziviles Personal im Ausland befassen. Bei der Anhörung zur Polizeimis- sion wurde deutlich, dass Deutschland zu internationalen Polizeimissionen eher qualitativ als quantitativ beitragen kann, weil es bei uns aus guten Gründen keine militä- risch organisierten bzw. dem Militär unterstehenden Polizeieinheiten wie die französische Gendarmerie oder die italienischen Carabinieri gibt. Wir können und sollen zukünftig mehr Fachleute, die ihr Praxiswissen weiterge- ben können, in Einsätze der Vereinten Nationen und der Europäischen Union entsenden, aber keine Hundert- schaften der Bereitschaftspolizei. Bei der Anhörung wurde auch deutlich, dass in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Internationale Polizeimis- sionen“ die Einsätze kompetent vorbereitet, begleitet und ausgewertet werden. Uns wurden konkrete Vor- schläge vorgestellt, darunter relativ einfach zu erfüllende wie eine regelmäßige Unterrichtung des Deutschen Bun- destages über die internationalen Polizeimissionen und eine Verankerung in der polizeilichen Aus- und Fortbil- dung, insbesondere der Führungskräfte. Ich hoffe, dass wir in der Anhörung am 2. März dieses Jahres weitere konkrete Vorschläge für den gesamten Bereich der zivi- len Fachkräfte in internationalen Einsätzen erhalten. Deutschland übernimmt 2016 den OSZE-Vorsitz. Das ist ein weiterer Aspekt von „mehr Verantwortung über- nehmen“. Die OSZE hat eine entscheidende Rolle in der Ukraine-Krise gespielt. Sie ist derzeit der einzige Rah- men, in dem die Staaten in und um Europa über Sicher- heitsthemen und vertrauensbildende Maßnahmen disku- tieren und verhandeln können. Deswegen ist es gut, dass Deutschland 2016 den Vorsitz übernimmt und schon jetzt im Rahmen der Troika-Konstruktion der OSZE Mitverantwortung übernimmt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die heutige Debatte leistet einen Beitrag zu dem, was sich die Fachöffent- lichkeit lange gewünscht hat: zivile Konfliktbearbeitung und Friedensförderung öffentlich sichtbarer zu machen. „Mission Frieden“ hat die Süddeutsche Zeitung gestern 8152 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 Dr. Ute Finckh-Krämer (A) (C) (D)(B) in Vorschau auf unsere heutige Debatte getitelt. Das neh- men wir gerne auf. Danke schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Thorsten Frei, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Thorsten Frei (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute den aktuellen Bericht der Bundesregie- rung über die Umsetzung des Aktionsplans „Zivile Kri- senprävention“ diskutieren und beraten, dann ist das, glaube ich, in der Tat eine starke und überzeugende Ant- wort auf die Debatten, die wir in den vergangenen zwölf Monaten rund um die Frage, welche Rolle Deutschland in der internationalen Politik spielen kann, soll und muss, geführt haben. Ich glaube, es ist richtig, dass wir dabei auf eine um- fassende Verantwortung Deutschlands in der Welt set- zen. Es kommt eben auf alle Komponenten an; das ist in dieser Debatte deutlich geworden. Es kommt auf Diplo- matie und Verhandlungen an – so wie es die Bundes- kanzlerin und der Bundesaußenminister seit Monaten mit hoher Energie in der Ukraine und im Russland-Kon- flikt tun. Es kommt auf Entwicklungszusammenarbeit und wirtschaftliche Aufbauarbeit an. Immer wieder wird man in Situationen kommen, in denen man im Sinne des vernetzten Ansatzes auch militärische Mittel und Mög- lichkeiten einsetzen muss. (Beifall bei der CDU/CSU) Aber klar ist, dass die zivile Krisenprävention und Konfliktbearbeitung in den vergangenen Jahren zuneh- mend an Bedeutung gewonnen haben. Das kommt nicht von ungefähr. Das hat mit der Veränderung der Kon- fliktszenarien, mit denen wir konfrontiert sind, zu tun. Während früher vorwiegend starke, souveräne, funktio- nierende Staaten gegeneinander Krieg geführt haben, etwa um Land, Rohstoffe oder politische Einflusssphä- ren, sind die Konfliktschemata, mit denen wir derzeit konfrontiert sind, völlig andere. Zu finden sind sie in der Regel in fragilen, gescheiterten Staaten ohne staatlichen Ordnungsrahmen. Deshalb, glaube ich, müssen wir an exakt diesem Punkt ansetzen. Das war in Afghanistan so, und es ist beispielsweise im Krisenbogen rund um Eu- ropa der Fall, angefangen bei Mali über Darfur, den Südsudan, Somalia, Syrien bis hin zum Irak. Ich glaube, vor diesem Hintergrund war es im Jahr 2004 eine wegweisende Entscheidung der Bundesregie- rung, den Aktionsplan „Zivile Krisenprävention“ auf den Weg zu bringen. Zum einen hat er die Erfahrungen der Zeit und die Rahmenbedingungen sortiert und einge- ordnet, zum anderen hat er die wesentlichen Marksteine für die Politik der Zukunft formuliert, nämlich erstens den Vorrang des Zivilen vor dem Militärischen, zweitens die Einbindung Deutschlands in eine multilaterale Di- mension und drittens die Hilfe zur Selbsthilfe. Es geht nicht darum, anderen Staaten etwas zu oktroyieren, son- dern es geht darum, die lokalen und regionalen Akteure zu befähigen, die Herausforderungen selbst zu bewälti- gen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wenn wir die Erfolge der letzten zehn Jahre Revue passieren lassen, stellen wir fest: Sie sind ganz maßgeb- lich darauf zurückzuführen, dass es gelungen ist, die In- stitutionen – die staatlichen wie die zivilen – zu stärken und weiterzuentwickeln. Ich denke dabei zum Beispiel an das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze, aber auch an die Bundesakademie für Sicherheitspolitik, an den Beirat für Zivile Krisenprävention beim Auswärti- gen Amt und an den Unterausschuss hier in unserem Hause. Das sind die Institutionen, mit denen wir erfolg- reich arbeiten konnten und mit denen darüber hinaus auch eine Vernetzung der unterschiedlichen staatlichen und nichtstaatlichen Akteure möglich war. Auch in puncto Geld ist viel passiert – der Außen- minister ist darauf eingegangen –: Heute stehen zehnmal mehr Mittel für die zivile Krisenprävention zur Verfü- gung als im Jahr 2004. Dahinein fällt auch, was wir im Rahmen von internationalen Organisationen leisten, da- hinein fällt auch, was wir im Bereich des Klimaschutzes machen; denn wir sind der Meinung, dass zivile Krisen- prävention letztlich ein umfassendes Thema ist, das man nicht in einzelne Ressorts filetieren kann, sondern das man in der Gesamtheit betrachten muss. Wenn man den Summenstrich zieht, können wir, so glaube ich, sagen: Es ist viel passiert. Da waren wir sehr erfolgreich. Immer wieder wird in der öffentlichen Debatte da- rüber diskutiert, dass wir mehr Aufmerksamkeit für die Arbeit im Bereich der zivilen Krisenprävention brau- chen. Das ist richtig; davon bin ich überzeugt. Wer hat denn schon auf dem Schirm, dass durch diese Arbeit bei- spielsweise im Jahr 2001 in Mazedonien ein Bürgerkrieg zwischen zwei Ethnien verhindert werden konnte? Wer hat denn beispielsweise die Alphabetisierungsoffensive in Afghanistan auf dem Schirm oder die Ausbildung der Sicherheitskräfte dort, wodurch es möglich wird, dass sie selbst ihren Ordnungsrahmen definieren und ausfül- len können? Wer hat das alles im Bewusstsein? Deshalb wäre es richtig und gut, wenn wir es schaffen würden, einmal im Jahr eine außenpolitische Generalde- batte hier im Bundestag zu führen, um jenseits von kon- kreten Einsatzmandaten den Blick für die Herausforde- rungen zu schärfen, mit denen wir konfrontiert sind, und um die Aufmerksamkeit der Menschen auf das zu len- ken, was wir hier tun. Es ist im Übrigen ja nicht so, dass wir altruistisch un- terwegs wären, dass das alles ein Selbstzweck wäre, um den es hier geht, sondern wir verfolgen unsere Interes- sen. Das gilt zum einen auf der negativen Seite: Wir sind konfrontiert mit internationalem Terrorismus; wir sind konfrontiert mit organisierter transnationaler Kriminali- tät; wir sind konfrontiert mit Flüchtlings- und Migra- tionsströmen nach Europa und Deutschland. Im Positi- ven sind wir aber auch die Volkswirtschaft, die mehr als Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 8153 Thorsten Frei (A) (C) (D)(B) alle anderen internationalisiert und globalisiert ist. Nie- mand außer uns hat ein so großes Interesse an einer freien, offenen und weitestgehend sicheren Welt. Des- halb geht es um unsere eigenen Interessen. Wir müssen deutlich machen, dass wir deutsche und europäische In- teressen in der Welt vertreten und dass es uns darum geht, einen guten Ordnungsrahmen nicht nur in unserem Land, sondern auch darüber hinaus zu schaffen. Darum geht es, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich glaube darüber hinaus, dass wir uns auch im Be- reich der zivilen Krisenprävention ähnlich wie beim Ein- satz der militärischen Fähigkeiten auf bestimmte Weltre- gionen konzentrieren müssen. Wir müssen unsere Interessen definieren und unsere Möglichkeiten danach ausrichten. Deshalb ist es, glaube ich, auch richtig, nicht als eine Art Weltpolizei oder als eine Art Weltentwick- lungswerk unterwegs zu sein, sondern klare Schwer- punkte in der östlichen und südlichen Nachbarschaft Eu- ropas zu setzen. Es geht darum, lokale und regionale Akteure zu stärken, etwa die Afrikanische Union. Das können wir in vielfältiger Art und Weise tun. Es geht, glaube ich, auch darum, dass wir es schaffen, eine noch stärkere Integration der europäischen Staaten in diesem Bereich zu erreichen. Damit sind die Frage der Wirk- samkeit und auch die Frage der Glaubwürdigkeit ver- bunden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden uns in diesen Wochen ganz intensiv damit auseinander- setzen, wie wir es schaffen können, ein Missverhältnis umzukehren. Deutschland tut viel; wir sind der dritt- größte Geber der UN. Gemeinsam mit den anderen EU- Staaten, den USA und Japan finanzieren wir etwa 80 Prozent des Peacekeeping-Budgets der Vereinten Na- tionen. Umgekehrt haben wir im Moment beim Personal die Situation, dass 70 Prozent der Einsatzkräfte, egal in welchem Bereich, aus Staaten Afrikas, Zentral- und Süd- asiens kommen. Uns geht es darum, Personal und perso- nelle Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Ich glaube, dass wir unsere Kompetenzen insbesondere im Bereich der zivilen Experten und der Polizeikräfte noch stärker und besser einsetzen können und müssen. Dafür wollen wir in den nächsten Wochen die Voraussetzungen schaffen. Dann sind wir, glaube ich, in der Tat auf einem guten Weg. Herzlichen Dank, auch für Ihr Verständnis, Frau Prä- sidentin. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Josip Juratovic, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Josip Juratovic (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Wir leben in konfliktreichen Zeiten: Es brennt in der Ukraine, es brennt in Syrien, und es brennt an vielen anderen Orten. Es hat den An- schein, als gäbe es kein Mittel, diesen Konflikten vorzu- beugen. Aber es gäbe noch viel mehr Konflikte, wenn nicht zivile Experten zivile Krisenprävention betreiben würden. Das Problem ist: Das bekommt kein Mensch mit. Nachrichten gibt es nur, wenn es Konflikte gibt bzw. wenn sie ausbrechen. Zivile Krisenprävention ist ein immens wichtiges Thema. Leider diskutieren aber außerhalb des Hohen Hauses nur wenige Experten darüber. Das muss sich än- dern. Deshalb begrüße ich, dass der heute diskutierte Be- richt neben anderen Aufgaben vor allem die Sichtbarkeit der zivilen Krisenprävention als eigenes Aufgabenfeld festhält. Es ist auch unsere Aufgabe als Abgeordnete. Wenn wir in unseren Wahlkreisen über Außenpolitik re- den, müssen wir dieses wertvolle zivile Engagement hochhalten. Es ist ein großartiges Engagement, das wir mit Stolz vermitteln sollten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Ich bin mir sicher: Es ist kein Zufall, dass Deutschland eine führende Rolle bei der zivilen Krisenprävention spielt. Die Menschen in unserem Land wollen Konflikte nicht militärisch lösen. Sie wissen, dass eine militärische Intervention immer nur die allerletzte Lösung sein kann. Lassen Sie mich auf zwei Punkte des Berichts beson- ders eingehen: erstens den Ansatz der Regionalität und zweitens die Nachhaltigkeit. Unsere Umsetzung – erstens – der zivilen Krisenprä- vention ist richtig; denn sie folgt einem regionalen An- satz. In der Empfängerregion kann nur regionale Zusam- menarbeit die Grundlage für dauerhafte und bessere Beziehungen und Stabilität legen. Zu begrüßen ist auch, dass Deutschland die zivile Krisenprävention nicht allein betreibt. Wir wollen sie gemeinsam mit unseren Partnern voranbringen: in der EU, in der OSZE und in der UNO. Zweitens möchte ich Sie auf einen Fakt hinweisen, der mir im Bericht besonders gefällt. Ich blicke dabei auch durch die Brille der Entwicklungszusammenarbeit. Im Bereich der zivilen Krisenprävention wird endlich einmal nachhaltig gearbeitet. Wir bauen nicht nur Leuchttürme, sondern wir bauen auch dauerhafte Struk- turen auf; denn wir wissen: Frieden wird zwar schnell zerstört, aber nur mühsam und mit viel Einsatz wieder aufgebaut. Deswegen ist es gut, dass wir langfristig wir- kende Strukturen schaffen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich denke dabei an den Ressortkreis Zivile Krisenprä- vention, den Beirat Zivile Krisenprävention, das Zen- trum für Internationale Friedenseinsätze, den Zivilen Friedensdienst, die Deutsche Stiftung Friedensforschung und das Programm zivik des Instituts für Auslandsbezie- hungen, ifa. Die Nachhaltigkeit sieht man auch an den investierten Finanzmitteln: Waren es 2004 noch rund 14 Millionen Euro, so steht heute dem Auswärtigen Amt die zehnfa- che Menge an Euro zur Verfügung. 8154 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 Josip Juratovic (A) (C) (D)(B) Trotzdem gibt es noch einiges zu tun. Erstens sollten wir uns verstärkt dafür einsetzen, dass Deutschland zu- künftig mehr Personal für vereinte Missionen zur Verfü- gung stellt. Zweitens sollten wir die ressortübergreifende Vernetzung weiter verstärken. Drittens sollten wir die Kooperation und Koordination mit den internationalen Partnern Deutschlands weiter ausbauen. Wir brauchen stärkere internationale Organisationen, das heißt eine Stärkung der sicherheits- und friedenspolitischen Kon- zepte und Kapazitäten von Europäischer Union und Afrikanischer Union, aber auch von Organisationen wie der OSZE. Ganz besonders brauchen wir eine Stärkung der Führungsrolle und der Autorität, aber auch der Handlungsfähigkeit der Vereinten Nationen. Wenn wir bedenken, welche menschlichen Tragödien und materiellen Schäden verhindert werden, ist die Ar- beit der zivilen Krisenprävention von unschätzbarem Wert. Deswegen danke ich allen Akteuren der zivilen Krisenprävention für ihre großartige, ausdauernde und mutige Arbeit. Zum Schluss lassen Sie mich noch in Richtung Linke etwas sagen. Hier wird sehr stark pointiert, dass Sie ge- gen Krieg und Militäreinsätze sind. Das ist ehrenwert. Ich aber war in der Friedensbewegung vom Westbalkan. Ich war mit vielen Freunden vernetzt, zum Beispiel im Kosovo. In den 90er-Jahren ist einer meiner besten Freunde aus der Friedensbewegung, Agim Hajrizi, Vor- sitzender der Metallgewerkschaft im Kosovo, von Milosevics Milizen, er war der Dritte auf ihrer Liste, li- quidiert worden. Ich habe einfach die Bitte: Wenn Sie sagen: „Wir sind gegen Militäreinsätze“ – oder sonstige Dinge, die Sie hier propagieren –: Verlieren Sie den ei- nen oder anderen Gedanken auch an die Opfer. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Dagmar Wöhrl, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Herr Juratovic, herzlichen Dank für Ihre letzten Worte. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Dass ein Ak- tionsplan, der 2004 beschlossen worden ist, jetzt auch für die vierte Koalitionsregierung gilt, zeugt von der Weitsicht dieses Plans, zeigt aber auch seine Notwendig- keit. Es ist schon damals in diesem Plan richtig erkannt worden, dass es wichtig ist, die Krisenprävention als politische Querschnittsaufgabe zu sehen. Inzwischen hat sich das Konfliktgeschehen vollstän- dig gewandelt. Die Anforderungen an das internationale Krisenmanagement verändern sich fast jährlich, man kann sogar sagen: fast täglich. Es gibt immer mehr be- waffnete Konflikte. Man spricht von über 40 Krisen und Kriegen in der Welt. Dabei werden die Konflikte immer komplexer und die Kriege immer asymmetrischer. Wir haben weltweit Gewaltausbrüche. Es gibt Men- schenrechtsverletzungen in vielen Staaten, egal ob in Syrien, in der Ukraine, in Nigeria, in der Zentralafrikani- schen Republik oder im Irak, um nur einige zu nennen. Wir sehen Bilder von Gräueltaten, die uns schockieren und von denen wir uns nicht vorstellen können, dass sie so auf der Welt überhaupt passieren. Damit ist im Laufe der letzten Jahre der Stellenwert, den wir einer zivilen Krisenprävention zumessen, gestiegen. Wir müssen überlegen: Wie bauen wir Strukturen auf, um zu verhin- dern, dass in fragilen Staaten bewaffnete Konflikte ent- stehen? Wie können wir zielgerichteter vorgehen? Wie können wir in diesem Bereich lösungsorientierter han- deln? Das Entwicklungsministerium hat die Zukunftscharta „EINEWELT – Unsere Verantwortung“ auf den Weg ge- bracht. Darin wird richtig gesagt, dass die Ursachen von Gewalt, Fragilität und Unsicherheit nicht allein inner- staatlicher Natur sind, sondern dass viele andere Dinge von außen hineinwirken, dass der „Do No Harm“-An- satz über die Grenzen der Entwicklungszusammenarbeit hinaus angewendet werden muss. Dafür brauchen wir permanent eine umfassende Akteursanalyse. Wir brau- chen immer eine umfassende Konfliktanalyse für jedes Land und jede Region. Wir müssen uns auch mit anderen Themen beschäftigen, egal ob das in diesem Zusammen- hang die Handelspolitik, die Agrarpolitik oder die Roh- stoffpolitik ist. (Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Ich glaube, wir haben mit unseren Institutionen – das ist angesprochen worden – gute Vorarbeit geleistet: Zivi- ler Friedensdienst, Zentrum für Internationale Frie- denseinsätze, Deutsche Stiftung Friedensforschung, der Beirat für Zivile Krisenprävention, der Ressortkreis Zi- vile Friedensprävention. Aber hier ist es, wie auch in an- deren Bereichen, wichtig, eine bessere Koordinierung der Akteure zu erreichen. Manchmal hat man das Ge- fühl, jeder arbeitet ein bisschen für sich. Wir müssen die Zusammenarbeit stärker vernetzen. Wir müssen schauen, dass mehr gemeinsam in eine Richtung gear- beitet wird. Wir machen sehr viel. Die Frage ist, ob es immer ge- nug ist. Genug kann es nie sein. Das Entwicklungsminis- terium gibt jedes Jahr 500 Millionen Euro aus, um Kon- flikte, Fragilität und Gewalt zu verhindern. Wir sind auch froh, dass die entsprechenden Titel immer wieder eine Erhöhung erfahren. Aber wir müssen trotzdem schauen – das ist von Ihnen angesprochen worden –: Wie schaffen wir es, zu einem friedenspolitischen Leit- bild zu kommen? Ich bin froh, dass das alle Kollegen des Hauses angesprochen haben. Wir müssen uns aber auch fragen: Wie schaffen wir es, zu einem besseren Krisen- management und zu einem Frühwarnsystem, das wir mit aufbauen müssen, zu kommen? Das erinnert mich immer an Mali. Da hat man die Warnzeichen zwar erkannt, aber Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 8155 Dagmar G. Wöhrl (A) (C) (D)(B) nicht rechtzeitig. Als dann 2012 die Tuareg zu den Waf- fen gegriffen haben, war es zu spät. Ich glaube, eine richtig angewandte und nachhaltige Entwicklungspolitik ist auch für die Krisenprävention das Wichtigste. Wir müssen schauen, dass wir zu einer guten Regierungsführung kommen, die die politische Teilhabe aller ermöglicht und nicht nur das nackte Über- leben sichert und dabei die Lebensgrundlagen nicht maßlos zerstört. Bildung, Ausbildung, Gesundheitsver- sorgung, Ressourcen- und Klimaschutz sowie der Auf- bau funktionierender Strukturen sind dabei wichtige Aspekte. Ebenfalls wichtig ist der Aufbau von Sicherheit. Sie ist genauso wichtig wie stabiles und rechtsstaatliches Verwaltungshandeln. Wir müssen effektive und demo- kratische Strukturen bei der Polizei und beim Militär, an- gefangen bei der Ausbildung, sicherstellen. Das darf man nicht ausblenden. Das ist alles eins. Diese Bereiche müssen ineinandergreifen. Wichtig ist auch, Maßnahmen zur Achtung von Men- schenrechten zu ergreifen. Die Zivilgesellschaft vor Ort muss stärker eingebunden und stärker als in der Vergan- genheit gefördert werden. Ich möchte noch Folgendes ansprechen: Das schwächste Glied in der Kette sind meist die Frauen und die Kinder. Sie sind von Konflikten am stärksten betrof- fen, sind aber die wichtigsten Wegbereiter von Frieden. Denken Sie an die erste Friedensnobelpreisträgerin Afri- kas, Wangari Maathai, eine wunderbare Frau, die sich friedlich dafür eingesetzt hat, ihr Kenia nach vorne zu bringen. Sie hat mehr erreicht als irgendjemand sonst. Die Erziehung durch die Mütter legt den Grundstein für Frieden und Sicherheit. Deshalb muss dieses Thema in der Entwicklungszusammenarbeit und in der Krisenprä- vention stärker gewürdigt werden. (Beifall des Abg. Josip Juratovic [SPD]) Erfolgreiche Gewaltverhütung ist hoch angesehen, aber meist unsichtbar und wenig öffentlichkeitswirksam. Viele Krisen werden im Hintergrund aus dem Weg ge- räumt, bevor sie für uns überhaupt sichtbar sind oder wir sie spüren. Wer ist denn überhaupt bereit, 1 Euro oder 1 Cent dafür auf den Tisch zu legen? Man spürt es nicht. Man merkt nicht, dass Krisen im Hintergrund beseitigt werden. Es muss erst wehtun. Man wird erst wach, wenn die Flüchtlinge bei uns vor der Tür stehen. Erst dann be- ginnen wir, über die Situation und deren Ursachen nach- zudenken. Aber dann ist es für die Ursachenbekämpfung zu spät. Dann können wir nur noch die Symptome lin- dern. Wir wissen, dass es kein Allheilmittel gibt. Deutsch- land kann die Aufgabe auch nicht allein bewältigen. Deswegen ist es wichtig, dass alle staatlichen, nichtstaat- lichen, internationalen und nationalen Akteure ein best- mögliches Zusammenwirken erreichen. Es ist eine ge- samtgesellschaftliche Aufgabe, und als diese muss sie auch erkannt werden. Es gilt, unsere Regionalorganisationen – die AU und die OSZE sind bereits angesprochen worden – in der Zu- kunft zu stärken. Wir haben die Chance dazu, wenn wir 2016 die OSZE-Präsidentschaft übernehmen. Es müssen dann teilweise Reformen durchgeführt werden; auch das muss man in diesem Zusammenhang sehen. Wenn wir von Übernahme von Verantwortung Deutschlands und darüber, was wir alles wollen, spre- chen, dann stellt sich die Frage: Kann man nicht noch mehr tun? Damit beziehe ich mich insbesondere auf die Tatsache, dass 70 Prozent des Personals in der Friedens- sicherung aus Staaten Afrikas und Zentral- und Südasien kommen; Herr Frei hat das vorhin angesprochen. An dieser Stelle ist noch viel zu tun. Wir haben die Möglich- keit, uns in diesem Zusammenhang noch viel aktiver einzubringen. (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- ten der SPD) Entwicklungszusammenarbeit und zivile Krisenprä- vention, ob auf europäischer, internationaler oder lokaler Ebene, sind Teamarbeit. Wir kennen die notwendigen In- strumente zur Sicherung von Frieden und Sicherheit. Es geht nun darum, sie effektiv einzusetzen. Es geht aber auch darum, dass wir sie weiterentwickeln, und zwar je- des Jahr, weil jedes Jahr neue Herausforderungen auf uns zukommen. In diesem Sinne bedanke ich mich für das Zuhören. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Bevor ich der Kollegin Pfeiffer das Wort gebe, erteile ich der Kollegin Marieluise Beck das Wort zu einer Kurzintervention zum Redebeitrag des Kollegen Juratovic. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herzlichen Dank, Frau Präsidentin! – Neben dem, wo wir uns alle einig sind – Friedensarbeit, auch Prävention und vorausschauendes Handeln im Hinblick auf mögli- che Konflikte; das alles ist wichtig –, hat der Kollege Juratovic – dafür bin ich ihm sehr verbunden – festge- stellt, dass es dennoch Situationen geben kann, in denen auch der Einsatz von Gewaltmitteln bzw. militärischen Mitteln ethisch legitim oder sogar notwendig sein kann. Ich finde, gerade wir in Deutschland müssen darüber nachdenken. Wir in Deutschland haben gelernt: Nie wieder Krieg. Ich gehöre zu der Generation, die deswegen politisch ge- worden ist. Sie hat erst später begonnen, darüber nachzu- denken, was denn mit den Opfern ist. Wenn wir „nie wieder Krieg“ sagen – und damit meinen, dass es nie, nie, nie erlaubt sein darf, eine Waffe in die Hand zu neh- men –, delegitimieren wir damit, dass sich die Polen, die sowjetische Armee, die Franzosen, die Amerikaner und die Briten mit Waffengewalt gegen den deutschen Fa- schismus zur Wehr gesetzt haben. 8156 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 Marieluise Beck (Bremen) (A) (C) (D)(B) Ich habe diesen Gedanken erst gehabt, als ich gesehen habe, wie die Menschen in Bosnien eingeschlossen wa- ren. Sie stellten die Fragen der Opfer, nämlich: Seid ihr bereit, uns zu schützen? Oder gebt ihr uns die Möglich- keit, uns selbst zu schützen und selbst zu verteidigen? Die Beantwortung dieser Fragen sollte für uns gerade die Schlussfolgerung aus der Verantwortung sein, die dieses Land hat, nachdem es im letzten Jahrhundert Europa zweimal ins Verderben gestürzt hat. Diese Fragen der Opfer müssen uns deshalb genauso bewegen. Deswegen darf es nicht eine ethisch höherwertige, moralisch bes- sere und manchmal auch etwas selbstgerecht vorgetra- gene Gewissheit geben, dass jeder Einsatz von Waffen ethisch nicht gerechtfertigt sei. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. Das ist dann so angenommen. – Die Kollegin Pfeiffer von der CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ungemein schwierig, Konflikte zu lösen, wenn sie ausgebrochen sind. Deshalb lohnt sich in jedem Fall der Ansatz, die Konflikte gar nicht erst stattfinden zu lassen. Es ist darum wichtig, dass wir diese Debatte heute füh- ren. Ich glaube, es war vor allen Dingen in den letzten Jahren auch Sache der Großen Koalition, über Konflikt- prävention zu reden. Das scheint – wenn wir uns einmal umschauen und sehen, wie die Welt aus den Fugen gerät – aktueller denn je. Auf diesem Feld müssen wir arbeiten, um das ein wenig in den Griff zu bekommen. Ich möchte anhand von drei Beispielen – nachdem wir darüber jetzt schon relativ lange diskutieren – auf Einzelheiten eingehen. Zum Beispiel nenne ich das Thema „Integration von Minderheiten als Krisenpräven- tion“. In diesem Zusammenhang führe ich die Ukraine an. Man kann natürlich trefflich darüber streiten, wer wann welche Schuld auf sich geladen und welchen Feh- ler gemacht hat. Der große Teil dieses Hauses ist sich aber doch einig, dass der Konflikt maßgeblich von Russ- land befeuert und in die Region hineingetragen wurde. Das geschah mithilfe von russischen Minderheiten, die den bewaffneten Kampf gegen Kiew – mit direkter, aber auch indirekter Unterstützung des Militärs aus Moskau – suchten. Was können wir daraus für die Zukunft lernen? Wir können daraus lernen, dass es sehr gut funktionieren würde, wenn es uns gelänge, durch gute Arbeit – auch durch gute Entwicklungszusammenarbeit – Minderhei- ten zu integrieren. Wir haben gelernt, dass verschiedene Ethnien, Religionsgruppen oder Stämme Quelle für Konflikte sein können, aber nicht müssen. Wenn wir in den Irak schauen und uns den Konflikt zwischen Sunni- ten und Schiiten ansehen, stellen wir fest, dass wir dort genau dasselbe Problem haben. Ein wichtiger Punkt für mich in diesem Zusammen- hang: Gut integrierte Minderheiten sind weniger emp- fänglich für Avancen von Akteuren, die Konflikte befeu- ern. Das ist ein wichtiges Thema unserer Arbeit. Es hat eine politische, eine kulturelle und auch eine religiöse Dimension, und es ist zielführend, das in die Konfliktbe- arbeitung einzubeziehen. Zweiter Punkt. Welche Möglichkeiten haben wir als externe Akteure eigentlich, in Konflikten oder in der Krisenprävention tätig zu sein? Mit Ihrer Genehmigung, Frau Präsidentin, zitiere ich gerne einmal Rainer Nolte. Er ist Referatsleiter im Ministerium für Integration des Landes Baden-Württemberg und hat 2010 gesagt: Für die Krisenprävention verantwortlich sind in ers- ter Linie die Konfliktparteien selbst. … Aufgabe externer Akteure ist es, subsidiär friedenserhaltende oder friedensschaffende Prozesse zu unterstützen und zu begleiten. Was heißt das für uns? Das heißt, dass wir nie zu einer echten Konfliktpartei werden dürfen. Wenn wir ehrliche und neutrale Makler sein wollen, dann dürfen wir nur die Konflikte begleiten und versuchen, sie zu lösen. Wir dürfen sie aber nie zu unserem eigenen Konflikt machen, weil wir aus diesem Spannungsfeld dann nicht mehr he- rauskommen würden. Es ist nicht immer einfach, das durchzuhalten. Das gilt vor allen Dingen für die Neutralität, weil wir natür- lich für Werte wie Menschenrechte, Demokratie, Rechts- staatlichkeit und Ähnliches stehen. Wenn die Konflikt- seiten einseitig ihre Rechte geltend machen, ohne auf diese Werte zu achten, dann ist es manchmal extrem schwer, auch Neutralität zu wahren. Aber genau das ist unsere Aufgabe. Das sage ich vor allen Dingen in dem Wissen, dass die Konflikte nicht von uns gelöst werden können, und ich wiederhole mich: Immer nur die Par- teien selber haben die Konflikte zu lösen. Wir können nur unterstützen. Das bringt mich zum dritten Punkt, den ich anspre- chen möchte, nämlich zur zivilen Konfliktlösung. Wir haben es oft erlebt, dass uns die Öffentlichkeit gerade in aufkeimenden oder aktuellen Konflikten unglaublich un- ter Druck setzt. Sowohl die Bundesregierung als auch wir Bundestagsabgeordnete werden zum umgehenden, aber auch zielführenden Handeln aufgefordert. Es ist manchmal nicht leicht, das zu erfüllen, da die zivile Kri- senprävention und die Konfliktlösung eher nachhaltige, langfristige Akte sind, die in der Regel nicht von heute auf morgen möglich sind. Um den Konflikt in eine bestimmte Richtung zu lei- ten, muss man dann unter Umständen auch einmal mili- tärische Unterstützung anfordern, und mit sanftem Druck, wie im Falle Russlands, muss man den Willen auch einmal durch Sanktionen – auch Wirtschaftssank- tionen – deutlich machen. Im Prinzip brauchen wir aber Zeit, um Konfliktlinien aufbrechen, Diskussionen in Gang setzen und unterstützend und nachhaltig tätig sein zu können. Ich bin sehr froh, lieber Franz Josef Jung, dass schon 2006 in das Weißbuch des Verteidigungsministeriums Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 8157 Sibylle Pfeiffer (A) (C) (D)(B) aufgenommen wurde – ich zitiere noch einmal mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin –: Nicht in erster Linie militärische, sondern gesell- schaftliche, ökonomische, ökologische und kultu- relle Bedingungen … bestimmen die künftige si- cherheitspolitische Entwicklung. Liebe Freunde, das heißt für mich und auch für die Politik, dass zuallererst die zivilen Instrumente einge- setzt werden müssen, bis sie greifen; denn nur sie sind nachhaltig und langfristig, nur sie greifen die gesell- schaftlichen, ökonomischen, ökologischen und kulturel- len Bedingungen der einzelnen Ethnien in den Ländern auf und wirken in der schnelllebigen Zeit langfristig. Obwohl wir den Konflikten schnell entgegenwirken müssen, müssen wir an Nachhaltigkeit und Langfristig- keit arbeiten. Das ist präventive Arbeit. Präventive Arbeit können wir als Entwicklungspoliti- ker sehr leicht betreiben; denn wir versuchen schon im Ansatz, die Ursachen zu bekämpfen. Die Ursachen sind beispielsweise Armut, fehlende Gesundheitsversorgung und mangelnde Bildung. All das betrifft das, was wir in der Entwicklungspolitik als Grundlage unserer Basisar- beit ansehen. Als Entwicklungspolitiker betreiben wir im Rahmen der Entwicklungspolitik per se – egal in wel- chem Bereich wir tätig sind – aktiv und grundsätzlich zivile Krisenprävention. Das dokumentiert sich zum Beispiel in unserem Haushaltsansatz zur Stabilisierung der Entwicklung Nordafrikas. Wir kennen aber auch die Transformationspartnerschaften. All das ist Entwick- lungspolitik auf höchstem Niveau, aber gleichzeitig auch nachhaltige und langfristige zivile Krisenprävention auf allen Gebieten. Es gibt beste Beispiele, die belegen, dass das wirkt. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesord- nungspunkt ist der Kollege Dr. Egon Jüttner, CDU/CSU- Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Deutschland beteiligt sich derzeit mit etwa 4 500 Soldaten, zahlreichen zivilen Experten und rund 300 Polizeibeamten an internationalen Friedenseinsät- zen. Dies ist eine beachtliche Entwicklung seit dem ers- ten deutschen Friedenseinsatz 1989/90. Damals wurden 50 Beamte des Bundesgrenzschutzes als Teil der UNTAG- Mission zur Sicherstellung fairer und freier Wahlen nach Namibia entsandt. Heute erfolgt der Einsatz Deutsch- lands in vielen Konfliktregionen dieser Welt, sei es in Mittelamerika, im Nahen Osten oder auf dem afrikani- schen Kontinent. Das wiedervereinigte Deutschland wird durch diese Einsätze seiner außenpolitischen Be- deutung und seiner Rolle in der Welt gerecht. Wir sollten im Rahmen der heutigen Debatte den Zivilisten, den Polizisten und den Soldaten danken, die sich häufig un- ter schwierigsten Bedingungen und teilweise sogar unter Einsatz ihres Lebens für Frieden, Demokratie, Rechts- staatlichkeit und Menschenrechte einsetzen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Der Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung des Aktionsplans „Zivile Krisenprävention, Konfliktlö- sung und Friedenskonsolidierung“ zeigt eine bemerkens- werte Bandbreite der zivilen Krisenprävention Deutsch- lands. Ziel der Krisenprävention ist, gewaltsame Konflikte im Vorfeld ihres Entstehens zu verhindern und zum Erhalt von Frieden und Freiheit beizutragen. Deutschland unterstützt dabei seine Partner beim Aufbau funktionsfähiger staatlicher Strukturen und bei der Frie- denskonsolidierung durch Rechtsstaatsaufbau, Demo- kratieförderung, die Förderung unabhängiger Medien, die Wahrung der Menschenrechte und die Schaffung von Lebensgrundlagen. In all diesen Bereichen gibt es zahl- reiche bilaterale und multilaterale Projekte, die von der Bundesregierung unterstützt und finanziert werden. Lassen Sie mich einen Aspekt besonders hervorhe- ben, nämlich die Menschenrechte, die tagtäglich welt- weit verletzt werden. In vielen Ländern, in die wir Sol- daten, Polizisten und Zivilisten entsenden, werden Menschenrechte oft mit Füßen getreten. Morde und Fol- ter sind an der Tagesordnung. Politische Partizipation und persönliche Freiheiten sind entweder stark einge- schränkt oder gänzlich unbekannt. Es ist deshalb eine wesentliche Aufgabe der zivilen Krisenprävention, Men- schenrechtsorganisationen zu unterstützen und sie in die Lage zu versetzen, Menschenrechtsverstöße in ihren Ländern zu thematisieren und ihre Ursachen zu bekämp- fen. Die Bundesregierung, hier insbesondere das Bundes- ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, steht in regelmäßigem Kontakt mit zivil- gesellschaftlichen Organisationen, um die lokale Men- schenrechtslage zu verbessern, Regierungen für Men- schenrechte zu sensibilisieren und Gremien zum Schutz der Menschenrechte zu schaffen. Über das Instrument des zivilen Friedensdienstes fi- nanziert das Ministerium den Einsatz von Friedensfach- kräften, die sich im Kontext der Friedensentwicklung und der Krisenprävention für den Schutz von Menschen- rechten engagieren. Hierbei spielt auch der Schutz von Menschenrechts- verteidigern eine wichtige Rolle; denn in vielen Ländern gehen Menschen enorme Risiken ein, wenn sie die Ver- letzung von Menschenrechten bekannt machen oder sich gegen Straflosigkeit einsetzen. Durch ihren Einsatz wer- den sie häufig das Ziel von Angriffen und Bedrohungen. Sie brauchen Sicherheit und Schutz. Die Bundesregie- rung fördert deshalb Projekte für Menschenrechtsvertei- diger, indem sie diese beispielsweise auf diplomati- schem Wege schützt und finanziell unterstützt oder Seminare und Sicherheitstrainings anbietet. Der Schutz von Menschenrechtsverteidigern ist Teil des menschen- rechtlichen Aktionsplans der Bundesregierung. 8158 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 Dr. Egon Jüttner (A) (C) (D)(B) Um dies zu verwirklichen, ist eine kontinuierliche Be- obachtung der Lage von Menschenrechtsverteidigern er- forderlich. Dabei kooperiert die Bundesregierung eng mit anderen Staaten der Europäischen Union auf der Grundlage der EU-Leitlinien zum Schutz von Men- schenrechtsverteidigern, wonach die Situation von Men- schenrechtsverteidigern in Zusammenarbeit mit den Ver- einten Nationen weltweit nachhaltig verbessert werden soll. Deutschland war gemeinsam mit Dänemark federfüh- rend, die Global-Values-Initiative auf den Weg zu brin- gen, mit der Menschenrechte, Demokratie und Rechts- staatlichkeit im außenpolitischen Handeln der EU stärker verankert wurden. Dies war die Grundlage für die im Juni 2012 verabschiedete erste EU-Menschen- rechtsstrategie, die für alle Bereiche des Außenhandelns der EU gilt. Schließlich gipfelte dieses kontinuierliche Engagement im selben Jahr in der Ernennung des ersten EU-Sonderbeauftragten für Menschenrechte. Damit setzte die EU ein Zeichen, die Menschenrechte zu einem ihrer strategischen Schwerpunkte zu machen und in Menschenrechtsfragen mit einer Stimme zu sprechen. Die Bundesregierung setzt sich, wie ihr Bericht zeigt, vorbildlich für einen höheren Stellenwert des Menschen- rechtsschutzes ein. Dabei kann sie sich auf die Koali- tionsvereinbarung berufen, in der klar zum Ausdruck kommt, dass Verstöße gegen die Menschenrechte nicht nur die Würde des jeweils Betroffenen verletzen, son- dern auch den Frieden und die internationale Sicherheit bedrohen können, weshalb die Bundesregierung auch die neue Strategie der EU-Menschenrechtspolitik unter- stützt. Der Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD zur zivilen Krisenprävention anerkennt die im Bericht der Bundesregierung beschriebenen Maß- nahmen und begrüßt das ressortübergreifende Handeln der Bundesregierung ebenso wie das Engagement zivil- gesellschaftlicher Organisationen. Wir stimmen deshalb dem Entschließungsantrag der CDU/CSU und der SPD zu. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/3213 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen nun zu den Entschließungsanträgen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Inter- fraktionell ist vereinbart, über die Entschließungsanträge abweichend von der Geschäftsordnung sofort abzustim- men. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann verfahren wir so. Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksa- che 18/3926. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der SPD gegen die Stim- men der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Entschließungsantrag der Fraktion die Linke auf Drucksache 18/3927. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsan- trag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion die Linke abgelehnt. Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3928. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ent- schließungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, Linken gegen die Stimmen der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen abgelehnt. Zusatzpunkt 4. Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Mehr Anerkennung für Peacekeeper in internationalen Friedenseinsätzen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3931, den An- trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa- che 18/1460 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- gierung 13. Sportbericht der Bundesregierung Drucksache 18/3523 Überweisungsvorschlag: Sportausschuss (f) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 8159 Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) (C) (D)(B) Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die noch Ge- spräche führen müssen, das vor den Türen des Plenar- saals zu tun. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Bundes- minister Dr. Thomas de Maizière. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In- nern: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Anlass für die heutige Debatte ist die Vorlage des 13. Sportberichts der Bundesregierung; er liegt Ihnen vor. Er zeichnet ein umfassendes Bild der Sportförderpo- litik des Jahres 2013 und nimmt auch noch die Ergeb- nisse der Olympischen Winterspiele von Sotschi 2014 in den Blick. Das waren solide sportliche Erfolge auf der Basis einer soliden Finanzierung. Die Arbeit für den Sport ist auch ein Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sport verbindet und schafft gemeinsame Ergebnisse. Richard von Weizsäcker, an den wir in diesen Tagen denken und der bis weit in die 1980er-Jahre hinein immer noch das Sportabzeichen abgelegt hat, hat einmal gesagt: Der Sport ist der stärkste Antrieb für das, was un- sere demokratische Gesellschaft vor allem braucht: nämlich nicht einfach den privaten, kritischen Rückzug, sondern die aktive Bürgergesellschaft. Sport ist ein Imageträger für unser Land. Deutschland ist eine in der Welt hochangesehene Nation, auch wegen seiner Spitzenleistungen im Sport – und nicht nur im Fußball. Im Spitzensport muss der Platz auf dem Podest aber immer wieder neu verteidigt werden. Die Bilanz der Olympischen Winterspiele in Sotschi war, wenn wir ehr- lich sind, letztlich enttäuschend. Am Ende von Olympi- schen Spielen und Weltmeisterschaften werden nun ein- mal Medaillen gezählt, und Spitzensportförderung aus dem Bundeshaushalt ist Spitzen-Sportförderung. Der Vorstandschef der Stiftung Deutsche Sporthilfe, Michael Ilgner, hat jüngst einmal gesagt: Der deutsche Leistungssport kommt nicht mehr durch den TÜV. – Eine harte Analyse. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Und richtige!) Die Olympiaanalysen von DOSB und IAT zeigen, dass wir Gefahr laufen, den Anschluss an die absolute Weltspitze zu verlieren. Ich habe es schon bei der Mit- gliederversammlung des DOSB gesagt: Wir stehen am Scheideweg. Entweder wir gehen allmählich immer mehr ins Mittelmaß, mit sinkender Tendenz, überdeckt durch einige herausragende Einzelsportler, oder wir fin- den den Weg zurück in die Spitzengruppe der großen Nationen der Welt, wo wir als Spitzensportnation hinge- hören. Ich habe mit dem Präsidenten des DOSB vereinbart – der DOSB hat das so beschlossen –, die Strukturen der Spitzensportförderung auf den Prüfstand zu stellen und, wo nötig, neue Wege zu beschreiten. Bis zu den Olympi- schen Spielen in Rio 2016 soll ein Konzept stehen. Im März beginnen wir mit der ersten Arbeit des sogenann- ten Lenkungsausschusses. Diesem Lenkungsausschuss sitzen Herr Hörmann und ich persönlich vor. Wir wollen die Sache jetzt in Angriff nehmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Was wir auf internationaler Ebene erleben, ist eine zu- nehmende Fokussierung vieler Nationen auf wenige Dis- ziplinen und ihre Stärken. Dazu hat es schon eine Anhö- rung im Sportausschuss gegeben. Wir wollen nicht das holländische Modell nachahmen, wo man sozusagen ganz viele Medaillen mit einer Disziplin erreicht, näm- lich dort mit Eisschnelllauf. Wir wollen auch nicht Lon- don 2012 kopieren. Wir haben unsere eigene Sporttradi- tion. Die ist stark von Vielfalt geprägt. „Ohne Breite keine Spitze“, das ist die griffige Formel; das ist auch richtig. Dennoch wird darüber zu diskutieren sein: Was be- deutet denn „Breite“ genau in einem System Spitzen- sport? „Breite“ kann nicht bedeuten, alles gleichmäßig zu fördern und alles zu machen. Dieser Weg wird Deutschland nicht an den Platz zurückführen, an den es als Sportnation gehört. Vieles wird zu analysieren sein: Welche Verbände sind besonders erfolgreich, welche weniger, und warum ist das so? Eine solche Analyse wird schmerzhaft sein, aber sie ist unumgänglich. Wie sieht es mit den Rahmen- bedingungen – Trainer, Übergabe von Nachwuchstrai- nern an Spitzentrainer, Stützpunkte, Nachwuchsarbeit – aus? Wie sieht es mit der sportwissenschaftlichen Unter- stützung aus? Ist das vernünftig? Wie arbeiten Köln und Leipzig zusammen? Ist es wirklich schon richtig gut? Wie ist die Rolle von IAT und FIS? Wir wollen uns Zeit lassen für die Analyse. Unser Blick geht über Rio 2016 hinaus. Unser Zeitplan für die Umsetzung zielt auf die Jahre 2024/28, nicht nur wegen der Olympiabewerbung, auf die ich gleich komme, son- dern auch wegen der Auswirkungen von Ergebnissen ei- ner Neustrukturierung der Spitzensportförderung; das geht eben nicht über Nacht, sondern dauert 5, 10, 15 Jahre. Deswegen hängt die Strukturveränderung in der För- derung des Spitzensports, die wir gemeinsam mit dem DOSB betreiben wollen, eng mit der Olympiabewer- bung zusammen. Jedes Gastgeberland will zeigen, was es kann; das liegt in der Natur der Sache. Es geht bei der Neustrukturierung also auch darum, uns für unsere Gast- geberrolle optimal aufzustellen. Der 13. Sportbericht, den wir heute diskutieren, führt uns noch einmal die gescheiterte Olympiabewerbung München 2018 und München 2022 vor Augen. Vor al- lem die eindeutigen Bürgervoten im November 2013 ge- gen eine Bewerbung waren enttäuschend. Sie sind aus- zuwerten. Es ist zu klären, warum das so war. Es ist daher richtig, dass der DOSB gemeinsam mit Hamburg und Berlin frühzeitig entschieden hat: Ohne 8160 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 Bundesminister Dr. Thomas de Maizière (A) (C) (D)(B) eine deutliche und frühe Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger wird es ein zukünftiges Projekt Olympia in Deutschland nicht geben können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Deshalb muss es darum gehen, die Bevölkerung in der jeweiligen Bewerberstadt, aber auch darüber hinaus zu begeistern. Jeder und jede sollte sich bewusst ma- chen: Die Chance, Olympische Spiele in der eigenen Stadt oder im eigenen Land zu haben, hat man vielleicht nur einmal im Leben oder jedenfalls nicht häufig; sie kommt so schnell nicht wieder. Ich glaube, Olympische Spiele sind eine einmalige Möglichkeit und Chance, der Welt unser Land so zu prä- sentieren, wie wir sein wollen: fröhlich, leistungsorien- tiert, patriotisch und weltoffen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wo sonst finden Menschen aller Altersgruppen, Natio- nen, Schichten, Religionen so zusammen? Wo sonst gibt es Ereignisse, bei denen ein solches Wir-Gefühl erlebbar wird? Jeder weiß noch, wie es war, als wir im Sommer 2006 Gastgeber waren, wie stolz wir als Gastgeber wa- ren, wie viel Freude, Mut und Zuversicht wir aus diesen Wochen gewonnen haben – sogar ohne Weltmeister zu werden. Es geht deshalb bei der Entscheidung, die in den nächsten Wochen – im März – ansteht, nicht in erster Li- nie um Berlin oder Hamburg, sondern es geht um eine deutsche Bewerbung, auch wenn am Ende nur eine Stadt den Zuschlag bekommt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die Bundesregierung unterstützt den Weg einer Olym- piabewerbung für Deutschland mit ganzer Kraft. Ein weiterer Punkt. Unsere Position sollte sich nicht darin erschöpfen – das können wir Deutschen besonders gut –, das IOC und andere für die Vergabeverfahren der Vergangenheit zu kritisieren, die Gastgeberstädte zu kri- tisieren oder auf unhaltbare Zustände in einzelnen Aus- tragungsorten hinzuweisen. Das kann man alles machen. Besser wäre es, wir machten es besser und zeigten, wie es anders geht in einer Demokratie. Selbst antreten und besser machen: Das ist die Devise. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die guten Konzepte von Hamburg und Berlin sind dafür geeignet. Abkehr vom Gigantismus. Dieser Ansatz hat sich – da- rauf hat Hans-Jochen Vogel vor einiger Zeit hingewie- sen – auch in München 1972 bewährt und war Teil des Konzepts. Deshalb passen die Konzepte von Hamburg und Berlin auch gut in die IOC-Reformen, die unter Füh- rung des deutschen Präsidenten dort in Gang gesetzt worden sind. Wir brauchen womöglich einen langen Atem. Sie wissen, was ich meine: Nicht jede Bewerbung gelingt beim ersten Mal. Es gibt eine starke Konkurrenz. Aber das ist dann so. Auch die Reise der deutschen Fußballnationalmann- schaft zum WM-Titel 2014 begann nicht erst im Trai- ningslager in Südtirol 2014. Der Anfang dieser Erfolgs- geschichte ist sogar noch vor dem Sommermärchen 2006 zu suchen. Joachim Löw hat in seiner Rede anläss- lich der Auszeichnung mit dem Deutschen Medienpreis sehr eindrucksvoll beschrieben, welch langer strategi- scher Weg vom DFB eingeschlagen worden ist, um schließlich viele, viele Jahre später einen solch großen Erfolg zu landen. Das war ein langer, auch hürdenreicher Weg mit viel Kritik, sogar mit Personalwechsel, wie wir wissen. Aber die Strukturen blieben gleich. Die Zielrich- tung, eine Vorstellung davon, wie der deutsche Fußball der Zukunft aussehen sollte, stand am Anfang. Deswegen ist für den Sport außerhalb des Fußballs jetzt die Zeit für einen solchen Anfang und auch Zeit, sich zu fragen: Wo wollen wir 2024, 2028 sein? Welche Schritte brauchen wir bis dahin, und wie gehen wir das strategisch an? So sollten wir also in Sachen Olympia mit Mut und Zuversicht am Startblock stehen. Wir wis- sen nicht, wie das IOC 2017 entscheiden wird, aber wir sollten uns gut darauf vorbereiten. Was wir also brauchen, ist nicht eine Bewerbung nur von Hamburg oder Berlin und nicht nur eine Bewerbung des DOSB, sondern wir brauchen eine Bewerbung des gesamten Sports, einschließlich des Breitensports. Wir brauchen eine Bewerbung und die Begeisterung ganz Deutschlands. Möglichst alle sollten sagen: Ja, wir wol- len die Spiele. Wir sind stolz darauf, sie zu bekommen, und wir freuen uns darauf, wieder Gastgeber sein zu dür- fen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und jetzt zurück zum Sportbericht der Bun- desregierung!) Dann gibt es noch etwas anderes. Wir haben ja nun nicht so ganz viele großartige Erfolge mit der Organisa- tion von Großprojekten. Hier liegt eine Chance, nicht nur der Welt, sondern auch uns selber zu beweisen, dass wir imstande sind, ein solches Großprojekt fristgerecht, termingerecht, rechtsstaatlich, mit Bürgerunterstützung und vernünftig – mit nachhaltiger Nutzung – hinzube- kommen. Das wäre ein Erziehungsprojekt weit über Olympia hinaus, auch nach innen; das fände ich gut. Meine Damen und Herren, wenn ich in die Reihen hier schaue, sehe ich viele, die dem Sport mit Begeiste- rung verbunden sind. Das ist gut so, reicht aber nicht aus. Deswegen müssen wir ab heute und insbesondere in den Tagen nach der Entscheidung des DOSB nicht nur in diesem Haus, sondern überall eine Welle der Begeiste- rung auslösen, die lange anhält. Das ist schwer. Es ist je- denfalls Zeit, dass wir Deutschland mit seinem Spitzen- sport wieder gemeinsam in die Spitzengruppe der Welt führen und dass wir es schaffen, die Olympischen Som- merspiele im nächsten Jahrzehnt nach Deutschland zu holen. Daran sollten wir arbeiten. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 8161 (A) (C) (D)(B) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge- ordneten André Hahn, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. André Hahn (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sport ist nicht nur, wie es manchmal heißt, die schönste Nebensa- che der Welt, sondern für immer mehr Menschen ein ganz wichtiger Bestandteil ihres Lebens, und das zum Teil von der Kindheit bis ins hohe Alter. Der Deutsche Olympische Sportbund hat derzeit knapp 28 Millionen Mitglieder in 90 000 Vereinen. Was dort von den Akti- ven aller Altersklassen, von den Trainern und Übungs- leitern, von den Sportfunktionären der verschiedenen Ebenen und nicht zuletzt auch von den Schieds- und Kampfrichtern Jahr für Jahr geleistet wird, verdient al- lerhöchste Anerkennung. Dafür möchte ich mich auch im Namen meiner Fraktion ganz herzlich bedanken. (Beifall bei der LINKEN, der CDU/CSU und der SPD) Leider spielt der Sport in den Debatten des Bundesta- ges nur selten eine Rolle. Schon deshalb ist der 13. Sportbericht der Bundesregierung wichtig. Er enthält durchaus viele wertvolle Informationen, er krankt aller- dings an einem zentralen Punkt, dem völlig fehlenden Problembewusstsein. Die Lage wird in fast allen Berei- chen schöngefärbt. Eigentlich unübersehbare Defizite werden verschwiegen. Auf der Hand liegende offene Fragen bleiben unbeantwortet. Der Minister – das will ich gerne einräumen – war in seiner Rede schon etwas differenzierter. Ich komme gleich noch auf einzelne Punkte zurück. Zuvor will ich an den 12. Sportbericht erinnern, zu dem der Bundestag im Januar 2011 eine Entschließung verabschiedet hatte. Vieles von dem, was vor vier Jahren beschlossen wurde, ist nicht erfüllt worden. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: In der Tat!) Die Olympiabewerbung von München für 2018 ist ge- scheitert. Ein Anti-Doping-Gesetz ist immer noch nicht beschlossen; es gibt jetzt immerhin einen Referentenent- wurf. Der Zugang von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen, mit Migrationshintergrund sowie aus sozial schwachen Familien zum Vereinssport liegt weiter deutlich unter dem Durchschnitt. Die sportliche Infra- struktur und die Situation der Sportstätten sind kaum besser, sondern vielerorts sogar noch schlechter gewor- den. Nach wie vor – auch das will ich sagen – gibt es einen enormen Unterschied bei den in Sportvereinen organi- sierten Menschen zwischen Ost- und Westdeutschland. Im Westen liegt der Organisierungsgrad bei durch- schnittlich 30 Prozent, im Osten nur bei 15 Prozent. Da- mit sollten wir uns nicht zufriedengeben. (Beifall bei der LINKEN) Das gilt im Übrigen auch für den Leistungssport. Der erfreuliche Gewinn der Fußballweltmeisterschaft hat ei- niges überdeckt; denn die Resultate der Olympischen Spiele in Sotschi waren wirklich nicht berauschend. Das erfordert auch Konsequenzen. Der Sportausschuss hat sich damit wiederholt beschäftigt. Wenn es um die künf- tige Förderung des Spitzensports geht, müssen wir sorg- fältig abwägen, wofür wir Steuergelder in die Hand neh- men. (Beifall bei der LINKEN) Im Kern gibt es für Deutschland zwei Alternativen: entweder eine absolute Konzentration der zur Verfügung stehenden Mittel auf einige wenige ausgewählte und me- dienträchtige Sportarten – diesen Weg haben zum Bei- spiel die Holländer beim Eisschnelllauf eingeschlagen – oder die Fortsetzung einer differenzierten Sportförde- rung in allen für Deutschland traditionellen olympischen und paralympischen Sportarten. Die Linke ist für die zweite Variante, wobei uns klar ist, dass es perspekti- visch zu veränderten Prioritätensetzungen kommen muss. Beim Sport für Menschen mit Behinderungen gab es positive Entwicklungen. Trotzdem bleibt noch viel zu tun. Ein Basketballer braucht nicht nur Sportkleidung. Wenn er im Behindertensport tätig ist, braucht er auch einen teuren Sportrollstuhl. Der Weitspringer Markus Rehm benötigt nicht nur Turnschuhe, sondern eine teure Spezialprothese. Hinzu kommen Ausgaben für Assistenz und für den Transport zum Training. Für all das gibt es in der Regel keine Zuschüsse. Auch Sponsoren stehen bei den Behindertensportlern nicht Schlange. 1950 stiftete Bundespräsident Theodor Heuss das Sil- berne Lorbeerblatt als höchste staatliche Auszeichnung im Sport. Es dauerte sage und schreibe 43 Jahre, ehe Bundespräsident Richard von Weizsäcker erstmals auch Sportlerinnen und Sportler mit Behinderungen mit dem Silbernen Lorbeerblatt ehrte. Es vergingen noch einmal zwei Jahrzehnte, bis auch die von den Linken immer wieder geforderte Gleichbehandlung der Medaillenge- winner bei Olympischen und Paralympischen Spielen hinsichtlich der Prämierung durch die Deutsche Sport- hilfe endlich realisiert wurde. Das ist gut und richtig, aber die Trainer werden bei der Prämierung weiter un- gleich behandelt. Hierfür ist die Bundesregierung zu- ständig; sie sollte das endlich ändern. (Beifall bei der LINKEN) Übereinstimmung gibt es auch bei der Notwendigkeit der Bekämpfung von Doping. Die Linke hat dazu bereits im August letzten Jahres in einem Antrag Eckpunkte für das längst überfällige Anti-Doping-Gesetz vorgelegt. Wir wollen die bestehenden Strafvorschriften für den Handel mit Dopingmitteln erweitern und auch einen neuen Straftatbestand Sportbetrug einführen, der es künftig ermöglichen würde, beteiligten Trainern die Li- zenz und beteiligten Ärzten die Approbation zu entzie- hen sowie gegen gedopte Athleten harte Geldbußen und bei Wiederholungstätern auch Freiheitsstrafen zu ver- hängen. Zudem hoffe ich, dass wir fraktionsübergreifend möglichst noch in diesem Jahr eine Lösung für die Ent- 8162 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 Dr. André Hahn (A) (C) (D)(B) schädigung von Dopingopfern in Ost und West finden; sie haben eine angemessene Lösung verdient. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD] und Monika Lazar [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Zum Schluss nur noch einige wenige Stichworte. Der Sport ist keine Spielwiese für Rechtsextremisten und Gewalttäter, für Ausländerfeindlichkeit und Rassismus. (Beifall im ganzen Hause) Im Gegenteil: Der Sport leistet einen wichtigen Beitrag zur Integration von Menschen mit Migrationshinter- grund, Asylbewerbern und Flüchtlingen. Die diesbezüg- lichen Aktivitäten müssen wir noch stärker unterstützen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auch als langjähriger Kapitän des FC Landtag Sach- sen und jetziger Aktiver beim FC Bundestag sage ich: Der Fußball darf in der Berichterstattung der öffentlich- rechtlichen Sender nicht alles dominieren. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Es gibt im Spitzensport sowie im Breitensport viele Sportereignisse, über die es zu berichten lohnt. Es war inakzeptabel, dass die Spiele der Handballweltmeister- schaft in Katar hierzulande nur im Pay-TV verfolgt wer- den konnten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der SPD) Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich für das Zusammenwirken mit dem DOSB bedanken. Präsident Alfons Hörmann leistet hier in schwieriger Zeit eine sehr gute Arbeit. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie des Abg. Detlev Pilger [SPD]) Ich wünsche seinem Vorgänger, Thomas Bach, viel Er- folg bei seinem Bemühen, die längst überfälligen Refor- men im verkrusteten, überalterten und in Teilen wohl auch korrupten IOC tatsächlich umzusetzen. (Beifall bei der LINKEN) Und ich wünsche mir eine FIFA ohne Sepp Blatter an der Spitze. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Sven Volmering [CDU/CSU] – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da klatsche ich doch glatt mit!) Meine Damen und Herren, ich wünsche mir abschlie- ßend, dass wir bei allen Verweisen auf die Zuständigkei- ten von Bund, Ländern und Kommunen die Situation im Breitensport nicht aus dem Blick verlieren. Wir haben dort viel zu tun. Packen wir es gemeinsam an! Sport frei! (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge- ordneten Detlev Pilger, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Detlev Pilger (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Gäste! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege André Hahn hat gerade ein sehr gutes Beispiel dafür genannt, wie integ- rativ der Sport sein kann, nämlich beim FC Bundestag, wo wir uns alle hervorragend verstehen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit – so der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Volker Kauder. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Starker Auftakt der Rede! – Heiterkeit bei der CDU/CSU) Damit hat er recht. Betrachten wir doch einmal die Wirklichkeit der Sportvereine in Bezug auf den Mindestlohn! Grundsätz- lich gilt es festzuhalten, dass Angestellte von Vereinen nun für ihre getane Arbeit fair bezahlt werden, und das – da sind wir uns sicherlich einig – ist auch gut so. (Beifall bei der SPD) Das, was für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in anderen Branchen gilt, muss auch im Sport gelten. Hierbei ist zu betonen, dass das Ehrenamt von der Mindestlohnregelung nicht betroffen ist. Die Frauen und Männer, die sich ehrenamtlich engagieren, leisten einen ungeheuren volkswirtschaftlichen Beitrag und tragen maßgeblich zum Gelingen des gesellschaftlichen Mitei- nanders bei. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch wenn der Ehrenamtler für seine Aufwendungen und Kosten eine Aufwandsentschädigung erhält, trifft auf ihn der Arbeitnehmerstatus nicht zu. Er fällt somit nicht unter die Mindestlohnregelung. Ebenfalls ist denkbar, dass ein Verein jemanden auf Minijobbasis anstellt, zum Beispiel zur Führung des Ver- einsheims. Hierfür stehen ihm richtigerweise 8,50 Euro pro Stunde zu. (Zuruf von der SPD: Mindestens!) Dies schließt jedoch nicht aus, dass er weiterhin für die- sen Verein ehrenamtlich tätig ist und dafür auch eine Aufwandsentschädigung erhalten kann, etwa wenn der- jenige, der das Vereinsheim führt, eine Jugendmann- schaft trainiert. Also – und nun hingehört! –: Arbeitneh- mer ist nur, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages weisungsgebundene Arbeit leistet, und darun- ter fällt das Ehrenamt mit Aufwandsentschädigung ein- deutig nicht. (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 8163 Detlev Pilger (A) (C) (D)(B) Kommen wir zum Monster der Dokumentations- pflicht von Arbeitszeiten. Es wird teilweise so getan, als hätte es diese bisher nicht gegeben. Diejenigen von uns, die schon einmal in einer Fabrik gearbeitet haben, wer- den sich an die berühmte Stechuhr erinnern, die Beginn und Ende der Arbeitszeit registriert hat. Nach dem Arbeitszeitgesetz müssen die geleisteten Arbeitsstunden festgehalten und Überstunden ausgeglichen werden. Dies macht Sinn und schützt Arbeitnehmer vor Ausbeu- tung. Wie kann die Dokumentationspflicht von Arbeitszei- ten für Sportvereine denn nun aussehen? Recht einfach: Man trägt handschriftlich den Beginn und das Ende der Arbeitszeit in eine Liste ein, und dies bei einem Zeitauf- wand unter einer Minute. (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Sehr wahr!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist sicher zu leis- ten. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Vereine haben das auch schon in Bezug auf die Re- gistrierung der Übungsleiterstunden getan, da ansonsten eine Bezuschussung durch den jeweiligen Landessport- bund nicht erfolgen kann. Es ist also ein Prozedere, das in den Vereinen durchaus üblich ist. Es handelt sich bei der Kritik an der Dokumentationspflicht also um einen Scheinriesen, ähnlich Herrn Turtur aus der Augsburger Puppenkiste, der bei näherem Betrachten immer kleiner wird. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Ein schönes Bild!) Eine Schwierigkeit – Kollege Gienger und ich haben es thematisiert – ist der Status der sogenannten Vertrags- amateure, (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: So ist es!) jener Sportlerinnen und Sportler, die sich vertraglich an einen Verein binden und dafür ein geringes Entgelt er- halten; im Bereich des Fußballs häufig 250 Euro pro Monat. Das Problem ist erkannt und bei unserer Arbeits- ministerin Andrea Nahles in den besten Händen. (Beifall bei der SPD – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Dann ist ja gut!) Ich darf Beispiele nennen. Sie hat für die Angestellten des Schaustellergewerbes und für die Mitarbeiterinnen – ich hätte fast gesagt: der Pfälzer Bergdörfer – der Pfäl- zer Berghütten eine Lösung gefunden. (Eberhard Gienger [CDU/CSU]: Da bin ich gespannt!) – Sie können gespannt sein. – Sie wird ein gutes Ergeb- nis liefern, weil Andrea Nahles mit den Menschen, den Organisationen und Vereinen spricht. Bleiben Sie also bitte alle ganz entspannt. (Beifall bei der SPD) Zwei kurze Bemerkungen seien mir noch erlaubt. Der Kollege Hahn hat es eben schon angesprochen: Der Sport trägt beispielhaft zur Integration von Menschen bei, unabhängig von ihrer Religion, ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe oder ihrem sozialen Status, und muss alle er- denkliche Unterstützung hierfür erhalten; gerade in die- sen Tagen! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Eberhard Gienger [CDU/CSU]) Ein Letztes. In Bezug auf die Olympiabewerbung von Berlin und Hamburg möchte ich erwähnen, dass die Ak- zeptanz der Bevölkerung davon abhängen wird, ob sie erkennt, dass das Großereignis eine nachhaltige Bedeu- tung für unser Land bzw. eine Region hat. München, London und Warschau an der Weichsel haben es uns vorgemacht. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge- ordneten Özcan Mutlu, Bündnis 90/Die Grünen. Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr ge- ehrter Herr Minister, zunächst möchte ich einen Satz zu Ihrer Rede sagen. Ich habe mich in den zwölf Minuten wirklich gefragt: Reden Sie hier zu Olympia, oder reden Sie hier zum 13. Sportbericht der Bundesregierung? Diese Frage habe ich mir die ganze Zeit gestellt. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Olympia hat mit Sport ein bisschen was zu tun!) – Ja, aber im Sport geht es um mehr als um Olympia, lie- ber Herr Grindel, und auch um mehr als Fußball. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Aber sei’s drum: Im Sportausschuss bestehen über Parteigrenzen hinweg viele Gemeinsamkeiten. Neben diesen Gemeinsamkeiten gibt es natürlich auch Differen- zen und Unterschiede, und das ist auch gut so, weil der Sport die politische Debatte braucht. Leider diskutieren wir im Sportausschuss ohne Öffentlichkeit, hinter ver- schlossenen Türen. Daran möchte die Große Koalition leider nichts ändern. Das ist der falsche Weg. (Dieter Stier [CDU/CSU]: Eine Geschäftsord- nung, die Sie mitbeschlossen haben!) Lassen Sie uns wieder zu öffentlichen Sitzungen des Sportausschusses zurückkehren. Nicht weniger, sondern mehr Transparenz und damit mehr Demokratie – das sollte unser Gebot sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) 8164 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 Özcan Mutlu (A) (C) (D)(B) Meine Damen und Herren, der 13. Sportbericht der Bundesregierung, über den wir heute diskutieren, gibt vertiefte Einblicke in die Sportpolitik. Es gibt vielleicht keinen anderen Bericht in dieser Form und mit dieser Tiefe; das ist auch gut so. Der Sportbericht macht deut- lich, wie vielfältig der Sport ist und welche wichtigen gesellschaftlichen Aufgaben und Funktionen er erfüllt. Jedoch frage ich mich öfter – auch bei den Reden heute –, ob die Politik im Deutschen Bundestag dieser Vielfalt im Sport tatsächlich gerecht wird. Nun zwei Sätze zu der Olympiabewerbung. (Zurufe von der CDU/CSU: Aha!) Es ist nicht verwerflich, wenn man eine Olympiabewer- bung begrüßt. Aber es ist schon komisch und eine abso- lute Missachtung des Bürgerwillens, wenn im Bericht verschwiegen wird, dass die letzten Bewerbungen an fehlenden Mehrheiten vor Ort und an einem fehlenden Bürgerwillen gescheitert sind, weil die Bürgerinnen und Bürger eben nicht mitgenommen wurden. Diese Tatsa- che gehört hier unbedingt erwähnt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Immer wieder wird die Autonomie des Sports betont. Wir haben an dieser Stelle keinen Dissens. Autonomie im Sport ist wichtig. Ich kritisiere aber, dass man in der Vergangenheit zu häufig auf die Autonomie verwiesen hat und die Sportverbände einfach hat machen lassen. Eine gute Sportpolitik lässt die Sportverbände aber nicht alleine, vor allem nicht mit den gesellschaftlichen The- men und Anforderungen, die Kollege Hahn vorhin auf- gezählt hat. Ich nenne als Beispiel nur ein Stichwort: In- klusion. Eine gute Sportpolitik setzt eigene Akzente. Nehmen wir zum Beispiel Sportgroßveranstaltungen: Ist Olympia heute tatsächlich noch eine Botschaft des friedlichen Wettstreits der Nationen? Ich habe da Zweifel – siehe Sotschi. (Beifall der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Olympia wurde zu einer Marke und zu einem Hoch- glanzprodukt weiterentwickelt, in dessen Pflege das IOC mehr Eifer steckt als in die Bewältigung der sportlichen Aufgaben und Herausforderungen des Verbandes. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Politik hat zugeschaut. Daran wird auch die IOC- Agenda 2020 nicht viel ändern. An dieser Stelle sage ich: Papier ist geduldig; wir brauchen Taten. Gleiches gilt für die Fußball-WM und die FIFA. Die FIFA ist ein Weltsportverband, der zu einem Symbol für Intransparenz, Vetternwirtschaft und Korruption ver- kommen ist. Das ist doch die traurige Realität. Damit wird der Sport kaputtgemacht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Schauen wir uns die jüngste Handball-WM in Katar an: gekaufte WM, gekauftes Image, gekaufte Fans, ge- kaufte Journalisten. Ist das die Zukunft des Sports? Soll das die Zukunft des Sports sein? Wir sagen klar Nein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Wir müssen uns die Frage stellen: Wie weit darf die Kommerzialisierung des Sports gehen? Es ist doch of- fensichtlich, dass der einseitige Fokus auf Einnahmen und Gewinne unter Aufgabe der moralischen Werte den organisierten Sport selbst schädigt und kaputtmacht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dabei geht es nicht nur um Fairplay, Moral und Integri- tät. Es geht um Menschenrechte, um Nachhaltigkeit im Sozialen, im Wirtschaftlichen und um Fragen der Um- welt. Dies wird der Sport alleine nicht schaffen. Die Politik und damit wir alle gemeinsam müssen den Sport dabei unterstützen. Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass wir eine solche grundsätzliche Debatte auch zum Anti-Doping- Gesetz hier führen werden. Ihr Referentenentwurf setzt sich nur mit den Symptomen, jedoch nicht mit den Ursa- chen von Doping auseinander. Sie entkleiden die Sport- lerinnen und Sportler von ihren Bürgerrechten. Wir da- gegen lehnen den gläsernen Athleten ab. Ein weiteres Thema, das in dem Bericht zu kurz kommt, ist die Manipulation im Sport. Ich vermisse eine konkrete Initiative der Bundesregierung gegen Wettbe- trug, gegen Korruption. Wir alle wissen doch, dass wir hier bisher nur die Spitze eines Eisbergs sehen. Der organisierte Sport braucht nicht nur die finan- zielle Unterstützung durch die Politik, vielmehr braucht er auch unsere Anregungen und Denkanstöße. Die Er- gebnisse der Weltsportministerkonferenz MINEPS, die hier in unserer Hauptstadt stattgefunden hat, sind dafür eine gute Basis. Nun muss die Bundesregierung auf die- ser Grundlage weniger reden und mehr handeln. Es hilft überhaupt nicht, wenn die Bundesregierung den Sport als Faustpfand gegen die Bundesländer einsetzt. Die Er- pressung der Bundesländer über die geplante Kürzung der Mittel bei „Jugend trainiert für Paralympics“ und „Jugend trainiert für Olympia“ war Ihrer nicht würdig und beschämend. Mit dieser Aktion haben Sie dem Sport einen Bärendienst erwiesen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich komme zum Schluss. Ich habe den Eindruck, dass sich der Sport zu sehr auf Einnahmen durch den Leis- tungssport und auf Hochglanzevents konzentriert. Des- halb – da bin ich bei Ihnen, Herr Minister – gehört die Spitzensportförderung in der Tat auf den Prüfstand ge- stellt. Wir Grüne wollen eine Politik, die Bewegung und Sport in der Gesellschaft und die Sportverbände fördert, in der Spitze wie in der Breite. Hier sollten wir als Poli- tik vorangehen. Ich lade Sie herzlich ein, mitzulaufen, und hoffe sehr, dass Ihnen unterwegs nicht die Puste aus- geht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 8165 (A) (C) (D)(B) Vizepräsident Peter Hintze: Dieser sportpolitische Appell kam unter leichter Überziehung der Redezeit zustande, aber immerhin. – Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeord- neten Eberhard Gienger, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Eberhard Gienger (CDU/CSU): Herr Präsident! Lieber Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe sportinteressierte Zu- schauer oben auf den Rängen! Im 13. Sportbericht der Bundesregierung werden für die Jahre 2010 bis 2013 die zahlreichen Maßnahmen und Initiativen der Bundesre- gierung im Bereich der Sportförderung zusammenge- fasst. Auf ungefähr 140 Seiten wird dargestellt, wie ein- zelne Bundesministerien den Sport unterstützen und vorangebracht haben. Die Maßnahmen der einzelnen Ministerien reichen dabei über verschiedene Aktionsfel- der vom Familiensport bis hin zur Förderung des Spit- zensports. Für den Sport ist der Bundesinnenminister zuständig. Ich möchte an dieser Stelle Herrn Bundesinnenminister Thomas de Maizière ganz herzlich dafür danken, dass er dem Sport und dem Spitzensport eine große Förderung hat zuteilwerden lassen, nicht zuletzt dadurch, dass wir im laufenden Jahr eine Erhöhung des Sporthaushaltes von 15 Millionen Euro erhalten haben. Wir haben ja ge- rade gehört, wie wichtig es ist, den Spitzensport auf neue Ebenen zu heben; denn die Ergebnisse der Olympischen Spiele von Sotschi waren tatsächlich nicht berauschend. Die Sportberichte der Bundesregierung sind mittler- weile eine Art Standardwerk geworden. Hier können sich Bürger und Sportinteressierte umfassend informie- ren, was in der Sportförderung alles unternommen wird, welche Fördergrundsätze gelten und was zukünftig für und mit dem Sport bewegt werden soll. In diesem Sinne bietet der 13. Sportbericht zweierlei: eine Rückschau in die Vergangenheit – das ist hier eine durchaus positive sportpolitische Bilanz der Bundesregierung und der Ko- alitionsfraktionen in der 17. Wahlperiode – und, das ist noch viel wichtiger, einen Blick in die Zukunft, also auf die vielen Vorhaben und sportpolitischen Ziele in der 18. Wahlperiode. Letzteres wirft ein Schlaglicht auf die sportpoliti- schen Ziele im Koalitionsvertrag und auf das, was wir bereits auf den Weg gebracht haben, zum Beispiel das Anti-Doping-Gesetz, das wir bis zum Herbst dieses Jah- res beschließen wollen. Ich glaube, wir sind hier auf ei- nem guten Weg und werden ein gutes Gesetz hinbekom- men. Wir wollen weiterhin die Konflikte im Bereich Sport und Lärm entschärfen. Des Weiteren wollen wir zusam- men mit den Gesundheitspolitikern ein Präventionsge- setz auf den Weg bringen; dieses wird heute im Bundes- rat beraten. Wir wollen zudem die wissenschaftliche Forschung unterstützen und die Sportförderung weiter reformieren. Ich bin sehr dankbar, dass der Innenminis- ter und der Präsident des Deutschen Olympischen Sport- bundes, Herr Hörmann, dies zur Chefsache gemacht ha- ben. Wir wollen auch weiterhin die Sportvereine stärken und von bürokratischen Hürden befreien, Stichwort Min- destlohn; ich darf mich bedanken, dass Detlev Pilger dieses Thema schon angesprochen hat. Ich freue mich besonders, dass es am 23. Februar dieses Jahres ein Ge- spräch geben wird, zu dem sich die Ministerin Andrea Nahles und Vertreter des BMAS mit dem Deutschen Olympischen Sportbund und dem Deutschen Fußball- Bund treffen werden, um insbesondere die Probleme der von Detlev Pilger angesprochenen Athletinnen und Ath- leten, der Vereine und der Mitglieder des Ehrenamtes ei- nem guten Konsens zuzuführen. Meine Damen und Herren, aufgrund der begrenzten Zeit möchte ich mich hier auf wenige Aspekte konzen- trieren. Beginnen möchte ich mit der 5. Weltsportminis- terkonferenz, die im Mai 2013 hier in Berlin durchge- führt wurde. Das BMI hat zusammen mit dem organisierten Sport und zahlreichen Organisationen der Zivilgesellschaft sowie diversen Sportministerien die Berliner Erklärung erarbeitet. Die von den Staaten unter- zeichnete Selbstverpflichtung listet auf über 20 Seiten konkrete Punkte auf, um den Sport weltweit voranzu- bringen. Es geht um Themenblöcke wie den freien Zu- gang zum Sport, Investitionen in Sportprogramme oder auch die Wahrung der Integrität des Sports. Dabei wurde nicht nur national ein Meilenstein in der Sportpolitik gelegt, sondern es wurden auch internatio- nal neue Maßstäbe gesetzt. Offenbar hat die Berliner Er- klärung auch bei internationalen Sportverbänden große Beachtung gefunden. Unter anderem hat das Internatio- nale Olympische Komitee im Dezember 2014 die Reform- agenda 2020 verabschiedet und dabei gleichzeitig ge- zeigt, dass sich der Sport weiterentwickeln muss. Auf 40 Punkte ist man dabei gekommen. Die IOC-Reform- agenda 2020 weist auch zahlreiche Schnittstellen mit der Berliner Erklärung auf. Sie können daher in einem Kon- text gesehen werden. Der Sport muss sich wandeln, gerade weil die interna- tionalen Sportverbände vor allem in den westlichen Ge- sellschaften an Vertrauen und Glaubwürdigkeit einge- büßt haben. Gründe dafür sind – das wurde heute schon mehrfach erwähnt – Gigantismus, fehlende Nachhaltig- keit, Verschwendung und Korruption, Umweltzerstörung und nicht zuletzt auch massive Menschenrechtsver- letzungen. Das IOC hat in seiner Agenda 2020 einen neuen Kurs eingeschlagen. Mitverantwortlich hierfür ist Thomas Bach, der Präsident des Internationalen Olympi- schen Komitees, der diesen Kurswechsel im internatio- nalen Sportgeschehen eingeleitet hat. Nicht ohne Grund wird dieses Reformvorhaben ein bisschen Zeit in An- spruch nehmen. Es ist auf das Jahr 2020 datiert. Das IOC wird sich an der Umsetzung messen lassen müssen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Genau!) Der 13. Sportbericht der Bundesregierung geht auch auf die misslungenen, gescheiterten Bewerbungen um die Olympischen Winterspiele 2018 und 2022 ein. Die 8166 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 Eberhard Gienger (A) (C) (D)(B) Ablehnung vieler Bürger gründet häufig in einer großen Skepsis gegenüber den internationalen Verbänden. Die Bewerbungskonzepte von Hamburg und Berlin für die Sommerspiele 2024 und 2028 stehen dagegen auch im Zeichen der IOC-Agenda. Mit beiden Städten können wir zeigen, dass wir es – auch im Vergleich zu anderen Nationen – anders und in nicht wenigen Kritikpunkten besser machen können. Es hilft nicht weiter, sich über Großsportereignisse in anderen Ländern zu beschweren, sondern wir müssen, ähnlich wie beim Fußball, zeigen, dass wir nachhaltige, freundliche und vor allem an den Menschen ausgerichtete Großsportereignisse umsetzen können. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Natürlich müssen wir auch die Bürger mitnehmen; sie müssen dafür begeistert werden. Bei der eigenen Mei- nung über die Austragung von Olympischen Spielen steht – nicht zu Unrecht – häufig die Frage im Raum: Wem nutzt das Großsportereignis eigentlich? Was bringt es mir persönlich, meinen Kindern, meiner Familie, mei- nem Verein, meinem Umfeld? Diese Frage lässt sich am besten mit Blick auf die Olympischen Spiele 1972 in München beantworten. Viele für uns heute selbstver- ständliche Voraussetzungen im Breiten- und im Spitzen- sport bilden das Erbe der Olympischen Spiele 1972. Vie- les wurde eigens für die Spiele ins Leben gerufen oder weiter befördert: der Schulsport, „Jugend trainiert für Olympia“, die anschließende Olympische Erziehung, die Jugendlager bei Olympischen Spielen, die Bundesleis- tungszentren, die Olympiastützpunkte, zahlreiche Trai- ningsstätten, die nun auch vom Breitensport genutzt werden können. Weitere infrastrukturelle Errungen- schaften abseits des Sports wurden eingeführt. Deshalb: Lassen Sie uns alle zusammen die Spiele nach Deutschland holen! Die Chancen und die Vorteile wird auch der Breitensport nutzen können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Meine Damen und Herren – – Vizepräsident Peter Hintze: Das wäre jetzt ein toller Schluss gewesen, zumal auch die Redezeit abgelaufen ist. Es kamen ein schöner Bei- fall und ein schöner Schlussgedanke. (Heiterkeit) Eberhard Gienger (CDU/CSU): Ich bin auch so gut wie fertig. – In diesem Jahr wer- den wir die Zusammenarbeit mit dem organisierten Sport bei vielen Vorhaben deutlich voranbringen kön- nen. Im Sportausschuss werden wir gemeinsam mit der Opposition für die Reform der Leistungssportförderung eintreten, sie eng begleiten und nach Kräften unterstüt- zen. Jetzt, Herr Präsident, haben Sie es geschafft und ich auch. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Ich bitte, liebevoll mit der Geduld des Präsidiums um- zugehen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sportlich!) Gerade in dieser Debatte haben wir viel Zeit zur Aus- sprache. Deshalb sollten wir uns auch aus Fairnessgrün- den an die Redezeiten halten. Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge- ordneten Frank Tempel, Fraktion Die Linke. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Beim Sport ist es schöner als im Untersuchungsaus- schuss!) Frank Tempel (DIE LINKE): Das ist richtig. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir sind uns in diesem Haus sehr schnell darin einig, dass nur ein gut funktionierender Breiten- sport zu Spitzenleistungen im Sport führt; der Breiten- sport ist das Fundament des Spitzensports. Auseinander gehen die Meinungen allerdings dann, wenn es um die Schaffung von Rahmenbedingungen und die Finanzie- rung des Breitensports geht. Sie verweisen darauf, dass der Bund hierfür nicht zuständig sei. Ich meine, das ist falsch; denn wenn es politisch gewollt wäre, dann könnte auch der Bund seinen Beitrag zur Entwicklung des Breitensports leisten, und zwar mehr als bisher. (Beifall bei der LINKEN) Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, wei- gern sich seit Jahren beharrlich, ein Sportfördergesetz auf den Weg zu bringen, in dem beides geregelt werden könnte. Für den Breitensport sind – darauf möchte ich verwei- sen – zum Beispiel Schwimmbäder und Sportstätten existenziell. Um beides ist es aber seit Jahren schlecht bestellt. Viele Schwimmbäder sind gegenwärtig sanie- rungsbedürftig. 30 bis 40 Prozent dieser Anlagen stam- men aus den 60er- und 70er-Jahren. Vor dem Hinter- grund des demografischen Wandels muss uns bewusst sein, dass wir hier auch Maßnahmen hinsichtlich Barrie- refreiheit und Zugänglichkeit ergreifen müssen. Es sollte für uns ein Alarmzeichen sein, dass immer weniger Schülerinnen und Schüler nach Abschluss der Grundschule schwimmen können. Sage und schreibe 50 Prozent der Grundschüler gelten heute als keine si- cheren Schwimmer. Die Linke meint, wie Lesen und Schreiben sollte jedes Kind auch schwimmen können. Schwimmen ist ein unverzichtbarer Bestandteil des Bil- dungsauftrages. (Beifall bei der LINKEN) Einen Sanierungs- und Investitionsstau gibt es auch bei allen anderen Sportstätten. Dabei möchte ich festhal- ten, dass die Konjunkturpakete I und II natürlich ein Er- folg waren und von vielen Kommunen genutzt wurden. Über 4 500 Sportstätten konnten gebaut und saniert wer- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 8167 Frank Tempel (A) (C) (D)(B) den. Dadurch konnte das Problem aber nicht gelöst wer- den. Der Verfall der Sportstätten schreitet weiter voran, wie auch Sie, meine Damen und Herren, das alle von Be- sichtigungen vor Ort selber wissen werden. Im Jahr 2014 betrug der Investitionsrückstand im Bereich der Bäder und Sportstätten 12 Milliarden Euro. Mit einer Trend- wende ist gerade in finanzschwachen Kommunen nicht zu rechnen, sicherlich auch, weil finanzschwache Kom- munen das Problem hatten, die Mittel aus den Konjunk- turpaketen nicht in dem vorgesehenen Maße nutzen zu können, weil der notwendige Eigenanteil fehlte. Da ha- ben Bürgermeister fertige Konzepte für notwendige Pro- jekte in der Schublade, können sie aber nicht umsetzen, weil die erforderlichen Eigenmittel im kommunalen Haushalt nicht vorhanden sind. Das berichte ich nicht vom Hörensagen, sondern aus meiner Erfahrung als Ge- meinderat und Mitglied eines Kreistages. Diese Problematik findet im Sportbericht der Bundes- regierung keine Erwähnung. Wenn ich zu Hause im Wahlkreis Sportvereine besuche, werde ich aber genau mit dieser Frage konfrontiert, auch von Bürgermeistern, die etwas für ihre Vereine und den Breitensport in ihrer Gemeinde machen wollen. Darunter, meine Damen und Herren, sind nicht wenige Mitglieder von CDU und SPD, die es im Übrigen nicht lustig finden, wenn ich ih- nen berichte, dass man auf Bundesebene die Situation ei- gentlich ganz toll findet und man der Meinung ist, dass die Bundespolitik hier keine Verantwortung trägt. Auch die sportpolitischen Sprecher der CDU aller Landtage sowie der CSU haben anscheinend das Pro- blem erkannt. Sie fordern ein Investitionsprogramm. Auf ihrer Beratung im März 2014 betonten sie, dass die Kommunen nicht allein gelassen werden dürften. Der Sanierungsstau bei Sportstätten und Bädern könne nicht mehr länger ignoriert werden; Bund, Land und die Sportverbände müssten gemeinsam diese Probleme an- gehen. Recht haben sie. Die Linke unterstützt ihre For- derung und erwartet, dass Sie Ihre Kolleginnen und Kol- legen aus den Landtagen und Kommunen endlich ernst nehmen. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke fordert in diesem Sinne die Auflage eines neuen Sportstättenförderprogramms. (Beifall bei der LINKEN) Nehmen Sie sich ein Beispiel an Thüringen; das darf ich als Thüringer ganz kurz hier sagen. Die rot-rot-grüne Regierung stellt erheblich mehr finanzielle Mittel für den Sport zur Verfügung. Statt 10 Millionen Euro wer- den nun 20 Millionen Euro für die Sportförderung be- reitgestellt. So kann man handeln statt reden. (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte auch noch auf ein weiteres Problem ver- weisen. Es gibt ja Sportanlagen, die sich durchaus in ei- nem halbwegs guten Zustand befinden. Sie können in vielen Regionen aber nur eingeschränkt genutzt werden, weil es Bürgerinnen und Bürger gibt, die wegen unzuläs- sigen Lärms klagen und recht bekommen, (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: So ist es! Das ist richtig!) weshalb dann die Sportanlagen zu bestimmten Zeiten geschlossen bleiben. Der Sportausschuss beschäftigt sich damit regelmäßig. Ich bin seit 2009 im Bundestag. Seitdem höre ich von Prüfaufträgen zur Lösung dieses Problems. Dass sich wirklich etwas ändert, werde ich erst glauben, wenn ein konkretes Programm – es soll ja kommen – auf dem Tisch liegt. Dieses werden wir dann auch diskutieren. Wir hoffen, dass wir hier dann gemein- sam möglichst schnell eine Änderung herbeiführen kön- nen. (Eberhard Gienger [CDU/CSU]: Das ist schon in der Pipeline!) Einen letzten Punkt möchte ich noch ansprechen. In der Auswertung des 12. Sportberichtes wurde die Bun- desregierung aufgefordert, gesellschaftliche Teilhabe insbesondere mit Blick auf Kinder und Jugendliche aus sozial schwachen Familien im Sport zu gewährleisten. Im Sportbericht ist hierzu wieder nichts zu finden. Aller- dings wissen wir aus dem aktuellen Bildungsbericht, dass hier akuter Handlungsbedarf besteht. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke fordert erneut: Alle Kinder und Jugendli- chen müssen unabhängig vom Geldbeutel der Eltern Zu- gang zum Sport haben. In diesem Sinne, Herr Minister, möchte ich einen Vorschlag machen: im künftigen Sport- bericht der Bundesregierung in einem eigenen Kapitel die Zugangsmöglichkeiten von Kindern und Jugendli- chen zu sportlichen Angeboten, insbesondere zu Sport- vereinen und weiterführenden Sportschulen, darzustel- len. Machen Sie den Sportbericht ganz einfach zum Wegweiser für künftige Aufgaben. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge- ordneten Michaela Engelmeier, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Michaela Engelmeier (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bun- desminister! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren auf den Rängen! Ich freue mich ausdrücklich und außerordentlich, dass wir heute in der Kernzeitdebatte 96 Minuten über den Sport diskutieren, die schönste Nebensache der Welt und, wie ich finde, auch eine der wichtigsten Nebensachen der Welt. Im 13. Sportbericht werden auf über 140 Seiten alle Facetten des Sports beleuchtet. Es gibt viele Anregun- gen. Ich habe mir einmal drei Punkte herausgesucht, die ich Ihnen gerne heute hier vortragen möchte. Ich fange einmal mit der Rolle der Frau im Sport an; das wird Sie 8168 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 Michaela Engelmeier (A) (D)(B) jetzt vielleicht überraschen. Ich komme aber auch noch zu Olympia und zum Anti-Doping-Gesetz. Lassen Sie mich mit einem Blick auf das Thema „Frauen im Sport“ beginnen. Ich möchte hier den gerin- gen Anteil von Frauen auf der Führungsebene des orga- nisierten Sports ansprechen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Leider muss man über den viel zu geringen Anteil von Frauen in den Spitzenverbänden reden, weil nur etwas mehr als 10 Prozent aller Führungskräfte im deutschen Sport weiblich sind. Als Vizepräsidentin des Deutschen Judo-Bundes, einer männlich dominierten Sportart, weiß ich, wovon ich rede. Obwohl man sich im Sport dieses Problems durchaus bewusst ist, fruchtet die viel be- schworene Selbstverpflichtung für das Werben um mehr Frauen in besonderen Positionen nicht. Ich denke, wir müssen da neue Wege gehen, Barrieren in den Köpfen überwinden und möglicherweise, ohne dass Sie jetzt ei- nen Schrecken kriegen, einmal über eine Quote nach- denken. (Beifall bei der SPD und der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Genau! Super!) So würde es Frauen ermöglicht, zu beweisen, dass sie diese Funktionen ebenso gut erfüllen, ohne dafür kämp- fen zu müssen, besser zu sein als Männer oder nur min- destens genauso gut wie ihre männlichen Kollegen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich verweise auf aktuelle Forschungsergebnisse aus der Psychologie: Frauen erhöhen die kollektive Intelli- genz einer Gruppe. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Nicht nur im Sport!) Insofern können sich die männlichen Kollegen glücklich schätzen, Frauen im Team zu haben. Aber zur Ehrenret- tung, meine Herren, es gibt da eine wesentliche Ein- schränkung: Reine Frauengruppen weisen auch keine höhere Schwarmintelligenz auf, das heißt, gemischte Gruppen sind am stärksten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Was will ich damit zum Ausdruck bringen? Ich mache dem organisierten Sport ausdrücklich keinen Vorwurf. Ich sehe die Bemühungen im organisierten Sport für Frauen und unterstelle niemandem eine Absicht. Aber wenn im Sport der Anteil der Frauen in der Gesellschaft nicht repräsentiert ist, dann, finde ich, stimmt da etwas nicht. Da geben Sie mir doch sicherlich recht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vielleicht sind es aber immer noch verkrustete Struk- turen, die es nicht erlauben, dass Frauen in diese Füh- rungspositionen aufrücken können. Ich weiß es nicht, aber wir müssen wirklich dranbleiben. Darum bitte ich auch meine Kolleginnen in den Führungsgremien des DOSB und in den Spitzenverbänden: Wir müssen wirk- lich mehr dafür arbeiten. Es läuft gut im deutschen Sport, keine Frage. Aber mit mehr Frauen in Führungs- positionen liefe es vielleicht noch etwas besser. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Eberhard Gienger [CDU/CSU]: Ich bin dafür!) – Das dachte ich mir. Kommen wir zum zweiten Punkt: zur Bewerbung für die Olympischen und Paralympischen Spiele in unserem Land. Wir haben für die Spiele 2024 oder möglicher- weise 2028 mit Hamburg und Berlin bzw. Berlin oder Hamburg zwei richtig gute deutsche Bewerberstädte. Ungeachtet der noch ausstehenden Entscheidung des deutschen Sports, der sich in einer außerordentlichen Mitgliederversammlung des DOSB am 21. März in der Paulskirche in Frankfurt für eine der beiden Städte aus- sprechen wird, steht bereits jetzt fest, dass wir die deut- sche Bewerbung Berlins oder Hamburgs bzw. Hamburgs oder Berlins unterstützen wollen. Ich möchte zwei Vorteile der deutschen Bewerber- städte bzw. zwei Vorzüge, die unser Land für die Bewer- bung um die Olympischen Spiele und Paralympischen Spiele aufzuweisen hat, besonders hervorheben. Da wäre einmal – das haben wir heute schon mehrfach gehört – „Jugend trainiert für Olympia“ und „Jugend trainiert für Paralympics“. Das sind mit fast 800 000 Schülern nicht nur die größten Schulsportwettbewerbe weltweit, son- dern auch mögliche Talentschmieden für Olympia und Paralympics. Die Finalwettkämpfe der Schulen bieten gute Chancen, junge Talente zu entdecken, und stellen eindeutig einen Pluspunkt der deutschen Bewerbung dar. Als dritter Punkt ist hier natürlich unser Anti-Doping- Gesetzentwurf zu nennen, den die Koalition auf den Weg gebracht hat. Der von Thomas de Maizière und Heiko Maas vorgelegte Entwurf, für den übrigens – das muss an dieser Stelle einmal gesagt werden – die SPD-Bun- destagsfraktion schon seit Jahren gestritten hat, (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Wir auch!) bietet die gesetzliche Grundlage im Kampf gegen Do- ping für einen fairen Sport. (Beifall bei der SPD) Mit dem Gesetz unterstützen wir die vielen Athletin- nen und Athleten, die einen ehrlichen Wettkampf führen. Damit schützen wir die Integrität des sportlichen Wett- bewerbs und kämpfen für einen fairen und sauberen Sport sowie gegen Doping und gegen Manipulation. Ein nationales Anti-Doping-Gesetz ist ein weiterer Vorteil und ein Alleinstellungsmerkmal der deutschen Bewer- bung für die Olympischen Spiele. Unsere Initiative für ein Anti-Doping-Gesetz zeigt, wie wichtig uns in Deutschland ein fairer und sauberer Sport ist und wie wichtig es ist, für faire und saubere Sportveranstaltungen und Sportwettbewerbe zu sorgen. Ich möchte es nicht versäumen, an dieser Stelle die Ausrichtung von Olympischen und Paralympischen (C) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 8169 Michaela Engelmeier (A) (C) (D)(B) Spielen in Deutschland hervorzuheben. Aus Sicht der Athletinnen und Athleten ist es das Größte, das eigene Land bei der prominentesten Sportveranstaltung, den Olympischen Spielen, zu vertreten. Es ist oftmals die Er- füllung eines lebenslangen Traums, für den Schweiß und Tränen vergossen wurden. Der bundesweite Nutzen von gelungenen Olympi- schen und Paralympischen Spielen besteht meiner Mei- nung nach in erster Linie in der positiven Außenwir- kung. Wir erinnern uns alle an das Sommermärchen 2006. Die Deutschen waren kollektiv in Jubelstimmung. Wir hatten eine wunderbare Gemeinschaft; das war ein- fach großartig. Aber auch unser Sieg bei der Fußball- weltmeisterschaft im vergangenen Jahr und das überzeu- gende Fair Play haben das Bild der Deutschen in der Weltöffentlichkeit, wie ich denke, nachhaltig verändert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das war die Multikultimann- schaft von Löw!) Darüber hinaus erfahren Sportvereine gerade in den Austragungsländern regen Zulauf, und zwar in allen Al- tersklassen. Jeder in unserem Land hat etwas von Sport- großveranstaltungen, sei es der besondere Spirit von Olympischen Spielen, die ansteckende Begeisterung der Menschen oder einfach nur die vermehrte Sanierung von Sportstätten. Das ist gut für dich, für mich, für uns alle und eben auch für unsere Vereine. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aus den genannten Gründen ist es nur konsequent, dass die Bundesregierung auch künftig deutsche Bewer- bungen befürwortet. Das stärkt den Standort Deutsch- land als Sportnation und ein bisschen auch als Wirt- schaftsnation. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das wage ich zu bezweifeln!) Zusammen mit dem organisierten Sport will sich die Bundesregierung für faire und nachhaltige Standards bei der Vergabe von internationalen Sportgroßveranstaltun- gen einsetzen. Dazu will ich eine grundlegende Anmerkung machen, die trivial scheinen mag, aber zentral für das Verständnis ist. Das Problem der Vergabe von internationalen Sport- großveranstaltungen, wie wir es mit Sotschi erlebt haben oder aktuell mit Katar erleben, wo man es mit den Men- schenrechten, mit fairer Arbeit und mit Umweltschutz nicht so genau nimmt, ist ein internationales. Unsere poli- tische Handlungskompetenz beschränkt sich logischer- weise nur auf Deutschland; vereinfacht gesagt: internatio- nale Problemlage und nationale Handlungsmacht. Nun könnte man den Schluss ziehen, dass zum Bei- spiel eine internationale Initiative wie die aktuelle Re- formagenda 2020 des IOC das Problem bei der Vergabe internationaler Sportgroßveranstaltungen lösen könnte. Diese Reform ist sicherlich ein erster und wichtiger Schritt für die Glaubwürdigkeit des organisierten Sports. Ich glaube aber fest daran, dass auch eine nationale Stra- tegie eine positive Wirkung entfalten kann. Ein gutes Konzept für eine nachhaltige Veranstaltung kann ein Vorbild sein, dem andere Staaten folgen, ge- nauso wie eine transparente und nachvollziehbare Be- werbung für eine Sportgroßveranstaltung. Die Nutzung der vorhandenen Infrastruktur zum Beispiel bei unserer hoffentlich erfolgreichen deutschen Bewerbung – und ich bin fest davon überzeugt, dass sie erfolgreich sein wird – ist dafür ein gutes Mittel. Aber der mögliche Neu- bau von Sportstätten und Wohnquartieren ist mindestens genauso wichtig. Das alles muss aber in einem sozialen Kontext stehen und – unter der Prämisse sozialer Ge- rechtigkeit und der Förderung des Sports für alle Bevöl- kerungsgruppen – der Gemeinschaft zur Verfügung ste- hen. (Beifall bei der SPD) Da meine Redezeit abgelaufen ist, komme ich zum Schluss. Ich finde es sehr wichtig, darauf hinzuweisen, dass es nur demokratischen Staaten möglich ist, Demo- kratie und Sport zusammenzubringen und Sportgroßver- anstaltungen wirklich gut auszurichten. Ich drücke beiden Städten die Daumen, wer auch im- mer sich am 21. März durchsetzt. Sie sind beide gute Be- werber. Für uns alle gilt – das ist mein Schlusssatz –: Wir müssen auch im Sport ein bisschen mehr Demokratie wagen, und dann werden wir sehen, was dabei heraus- kommt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge- ordneten Monika Lazar, Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen. Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Sportbericht bietet die schöne Gelegenheit, in der gan- zen Breite über die Sportpolitik zu reden, quasi vom Fußball bis zum Paddeln. Stichwort „Fußball“: In den Diskussionen sollte man nicht so tun, als ob wir persön- lich letzten Sommer in Jogis Truppe mittrainiert hätten. (Eberhard Gienger [CDU/CSU]: Natürlich!) Freude ist zwar schön, aber man sollte nicht allzu dick auftragen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir sind alle viel zu alt, um mitzutrainieren und mitzu- spielen. (Eberhard Gienger [CDU/CSU]: André, hast du das gehört? – Gegenruf des Abg. Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Habe ich überhört!) Auf den 150 Seiten des Sportberichts werden ver- schiedene Aspekte genannt, die nicht ständig im Ram- 8170 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 Monika Lazar (A) (C) (D)(B) penlicht stehen. Auch das Thema Zivilgesellschaft spielt eine wichtige Rolle. In diesem Zusammenhang werden auch Programme wie „Zusammenhalt durch Teilhabe“ oder die Kampagne „Sport und Politik verein(t) gegen Rechtsextremismus“ aufgeführt, und es ist viel von Netzwerken, Dialog und gegenseitiger Unterstützung die Rede. Das hört sich erst einmal gut an. Fast könnte man meinen, in dem Berichtszeitraum wäre alles prima ge- laufen. Wenn aber alle Akteure gerade im Bereich des Rechtsextremismus so viel unternommen haben wie dar- gestellt, dann stellt sich die Frage, wie es sein konnte, dass am 26. Oktober letzten Jahres fast 5 000 Hooligans und Neonazis die Kölner Innenstadt fast auseinander- nehmen konnten. Da war das Entsetzen groß. Dabei mahnen Szenekenner schon seit langem, dass rechte Ein- stellungen bei einem Teil der Hooligans nicht zu unter- schätzen sind. Selbst die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze, ZIS, schätzte die Schnittmenge der sogenannten Gewalt- täter Sport mit bekannten Rechtsextremisten direkt vor den Kölner Krawallen auf nur 400 ein. Ich denke, dass an dieser Stelle dringend Korrekturen nötig sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Es waren übrigens auch Hooligans bei den Pegida- und Legida-Demonstrationen unterwegs. Mehrfach wur- den in Dresden Hools von Dynamo Dresden gesehen. Erst vor einer Woche dankte ein Redner auf der Legida- Kundgebung in Leipzig den Hools euphorisch für ihre Unterstützung. Das war absurd, und die Reaktion er- folgte prompt: Jubel und Applaus von den Angesproche- nen. So kann es auf alle Fälle nicht weitergehen. Wir müs- sen uns auch in diesem sehr speziellen Fall Gedanken machen, wie wir uns dieser Thematik weiter annehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- KEN) Eine weitere Leerstelle im Bericht bildet die sexuali- sierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen im Sport. Weder gibt es ein eigenes Kapitel im Sportbericht, noch geben Sie dort, wo das Thema ab und zu zur Sprache kommt, Auskunft über gegenwärtige Planungen und Perspektiven. Stattdessen wird nur Altbekanntes aufge- zählt. Neuigkeiten sind leider Fehlanzeige. Erst in dieser Woche lief ein Beitrag in der WDR-Sendung sport in- side. Hier wurde berichtet, dass allein in den letzten zwei Jahren 58 Kinder und Jugendliche in 300 Fällen Opfer sexualisierter Gewalt wurden. Das sind nur die Zahlen, die durch Gerichtsurteile aktenkundig geworden sind. Wir alle wissen, dass der Sportverein ein sensibles Um- feld für junge Menschen ist. Trainerinnen und Trainer sind Vertrauenspersonen. Der Beauftragte für Fragen des Kindesmissbrauchs, Herr Rörig, hat noch im November 2013 dringenden Handlungsbedarf auch bei diesem Thema im Sport fest- gestellt. Ich hätte mir gewünscht, dass auch dieser Be- reich im Sportbericht noch Niederschlag gefunden hätte und damit dem Wunsch von Herrn Rörig nach Hand- lungsempfehlungen Rechnung getragen worden wäre. Zum Thema Doping möchte ich eine Lösung für die Opfer des DDR-Dopings anmahnen. Das Thema be- schäftigt uns schon seit vielen Jahren. Auch wir Grüne machen dazu regelmäßig Vorschläge. Es ist gut, dass sich alle Fraktionen weiterhin um eine Lösung bemühen und dass wir uns bald im Sportausschuss intern erst ein- mal mit den Vorschlägen, die von der aktuellen Bundes- regierung auf den Tisch gelegt wurden, befassen werden. Mein persönlicher Wunsch und der meiner Fraktion ist, dass wir in diesem Jahr – 25 Jahre nach der Wieder- vereinigung – zu einer Entschädigungsleistung für die damals minderjährigen Opfer des Zwangsdopings in der DDR kommen werden. Vielleicht bekommen wir es ja hin. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Es gab auch im Westen Doping!) – Aber in der DDR gab es spezielle Fälle. Herr Hahn, das wissen Sie mindestens genauso gut wie ich. Insgesamt hinterlässt der Sportbericht deshalb für mich doch eher einen faden Beigeschmack. Schon beim letzten Mal wurde beschlossen, dass es im Sportbericht einen Ausblick geben soll. Statt tragfähiger Konzepte, wie dies Kollege Gienger vorhin angesprochen hat, fin- den sich meiner Meinung nach aber eher Andeutungen, Ankündigungen und Ausflüchte. Auch warten wir noch auf den großen Wurf des In- nenministers hinsichtlich einer Reform der Spitzensport- förderung. Sie haben heute wieder angekündigt, dass es jetzt langsam losgeht. Das ist gut. Bis 2016 sollen dann auch die Konzepte auf dem Tisch liegen. Wir sind schon sehr gespannt darauf und erwarten selbstverständlich, dass Sie uns auch im Sportausschuss eng miteinbezie- hen. In den großen Linien sind wir uns in vielen Fällen einig. Deshalb wäre es gut, wenn das Parlament mitein- bezogen werden könnte. Ansonsten sind wir gehalten, dazu vielleicht noch eine Ausschussanhörung durchzu- führen. Es wäre aber gut, wenn wir da gemeinsam an ei- nem Strang ziehen würden. Es ist uns allen sehr wichtig, in diesem Bereich gute Dinge hinzubekommen; denn so etwas macht man nicht alle Jahre. In diesem Sinne: Schauen wir einmal, was passiert. Die Grünen werden die Sportpolitik auch weiterhin kri- tisch begleiten. (Eberhard Gienger [CDU/CSU]: Wir machen mit euch mit! – Gegenruf des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] Haupt- sache, ihr vergesst den Breitensport nicht!) Vizepräsident Peter Hintze: Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag erteile ich das Wort dem Kollegen Johannes Steiniger, CDU/CSU-Fraktion. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 8171 Vizepräsident Peter Hintze (A) (C) (D)(B) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Johannes Steiniger (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Lazar, zu alt zum Trainieren bin ich nicht. Allerdings gebe ich durchaus zu, dass es nur zur Be- zirksliga reicht. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sie sind ja noch jung!) Aber zurück zum Spitzensport, mit dem wir uns hier beschäftigen. Der Hochleistungssport ist die Marketing- abteilung für den gesamten Sport in Deutschland. Lassen Sie mich das kurz erläutern. Wenn wir auf den Sommer 2014 und den WM-Titel zurückblicken, so ist uns heute noch die Faszination für den Fußball präsent. Was das für die Vereine vor Ort und den Nachwuchs bedeutet, ist schnell beschrieben. Als langjähriger Jugendtrainer meines Heimatvereins Rot-Weiß Seebach weiß ich, dass die Kinder- und Ju- gendmannschaften immer dann einen guten Zulauf hat- ten, wenn die Nationalelf stark war. Genauso verhält es sich nicht nur im Fußball, sondern auch in vielen ande- ren Sportarten – überall dort, wo erfolgreiche Spitzen- sportler Vorbilder sind. Im Übrigen gilt umgekehrt das gleiche Prinzip: Die beste Basis für den Spitzensport ist eine große Basis im Breitensport. Die Kinder und Jugendlichen, die heute be- geistert trainieren, können – wenn auch nicht alle – die Weltmeister von morgen sein. Das ist, meine Damen und Herren, also ein guter Grund, dass wir heute den 13. Sportbericht der Bundesregierung diskutieren. Dabei lässt sich festhalten: Die Sportwelt hat sich seit dem 1. Sportbericht vor 44 Jahren stark verändert: „Schneller, höher, weiter“ ist die Devise. Man kann sa- gen, dass die internationale Konkurrenz mittlerweile größer geworden ist. Festzuhalten ist bei allen Heraus- forderungen, die der Minister beschrieben hat, aber auch: Die Sportnation Deutschland steht insgesamt gut da. Vor allem im Berichtszeitraum der vergangenen vier Jahre hat die Bundesregierung viel für den Sport im Land getan. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Axel Schäfer [Bochum] [SPD]) Basis war, ist und bleibt die positive Strahlkraft des Sports besonders auf junge Menschen. In welche Rich- tung die Reise jetzt geht, hängt daher ganz wesentlich von der Weichenstellung bei der Talentförderung ab. Der aktuelle Sportbericht der Bundesregierung zeigt: Das System der deutschen Olympiastützpunkte ist vor- bildlich. Der Bund engagiert sich aus diesem Grund an den Olympiastützpunkten in Form der bewährten Trai- nermischfinanzierung. Derzeit werden auf diese Weise 176 Trainerstellen finanziert. Genauso wichtig sind die bundesweit 41 Eliteschulen des Sports. Hier werden rund 11 500 Talente ausgebildet und betreut. Sie bilden ein solides Fundament für den Spitzensport. Dabei ist klar: Leistungssportler brauchen eine klare und sichere Perspektive – im Übrigen auch über ihre aktive Laufbahn hinaus. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zentral ist dabei die Möglichkeit der dualen Karriere, die der Bund bei Polizei, Zoll und Bundeswehr bietet. Es gilt, das weiter zu sichern. Gerade bei den Nachwuchstalenten ist das Zusam- menspiel von Ausbildung und Leistungssport entschei- dend für die Karriere und außerordentliche Leistungen; denn die jungen Sportler müssen sowohl die Hürden in der Schule als auch im Sport meistern, also Schule und Spitzensport miteinander vereinbaren. An dieser Stelle leisten die Laufbahnberater an den Olympiastützpunkten eine hervorragende Arbeit. Das alles trägt Früchte: Bei Olympia 2012 in London waren über 100 nominierte Sportler – das waren fast 30 Prozent – Absolventen einer Eliteschule des Sports. Neben dem Blick auf den Nachwuchs müssen wir Sportpolitiker aber vor allem auch die Potenziale, Trends und Entwicklungen im Sport im Fokus haben. Genau mit diesen Chancen beschäftigt sich die Sportwissenschaft. Wenn wir sehen, dass sich der aktuelle Sportbericht auf fast 20 Seiten allein mit der Sportwissenschaft befasst, dann wird deutlich, was hier für den Sport drinsteckt. Lassen Sie mich beispielhaft zwei Institute nennen, die im Wissenschaftlichen Verbundsystem Leistungs- sport eng verzahnt miteinander arbeiten: das Institut für Angewandte Trainingswissenschaft, IAT, in Leipzig, und das Institut für Forschung und Entwicklung von Sportge- räten, FES, in Berlin. Das IAT entwickelt präzise abgestimmte Trainings- methoden für Athletinnen und Athleten. Diese Optimie- rung des Trainings ist für die Sportler von sehr großem Wert, aber ebenso komplex. Es bedarf nämlich einer ganzheitlichen Analyse des sportartspezifischen indivi- duellen Belastungs- und Trainingsniveaus. 2013 konnten beim IAT erstmals über 1 000 solcher spezieller Kom- plexuntersuchungen durchgeführt werden. Das IAT er- hält jetzt nach den Haushaltsaufwüchsen jährlich eine Förderung von rund 7 Millionen Euro aus dem Haushalt des BMI. Gemeinsam mit dem FES entwickeln wir für materi- alabhängige Sportarten innovative Sportgeräte, um den Athleten einen Materialvorteil zu verschaffen. Ich habe vorhin erwähnt, dass die weltweite Konkurrenz immer größer wird. Genau dieser Materialvorteil kann hier die nötigen Zehntel oder Hundertstel für die Goldmedaille bringen. Es war deshalb eine nachhaltige Entscheidung, das FES im aktuellen Haushalt mit knapp 5 Millionen Euro – das ist ein Budgetaufwuchs um 1,4 Millionen Euro – auszustatten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland gilt als Land der Ingenieure. Wir sind Weltmeister bei Patenten und Innovationen. Es ist daher richtig und gut, dass auch unsere Athletinnen und Athleten von dem jeweils neues- ten Stand der Technik profitieren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) 8172 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 Johannes Steiniger (A) (C) (D)(B) Das tun sie auch: Die Hälfte der 44 in London gewonne- nen Medaillen konnte mit Unterstützung von FES-Tech- nologien errungen werden. Nach dem enttäuschenden Abschneiden der Bobpi- loten in Sotschi – auch das wurde heute erwähnt – gab es auch Kritik. Die Ursachen wurden gefunden und im Übrigen auch bei uns im Sportausschuss ehrlich analy- siert. Bei der EM in La Plagne am vergangenen Sonntag holte der Zweierbob Gold und der Viererbob Bronze. Wir sehen also: Die Tendenz ist wieder klar steigend. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) In den vergangenen Jahren haben wir im Hinblick auf große Sportveranstaltungen im eigenen Land eine stolze Bilanz vorzuweisen: von der WM im Rennrodeln in Al- tenberg bis zum Kanurennsport in Duisburg. (Beifall der Abg. Jeannine Pflugradt [SPD]) Wir haben immer wieder eindrucksvoll gezeigt, dass wir eine Sportnation sind. Mit erfolgreichen Athleten und ei- nem großartigen Publikum ist für mich eines klar: Wir können Olympia! Viele stellen an ein solches sportliches Megaevent zu- recht Anforderungen in puncto Nachhaltigkeit und Transparenz. Das Ende vom Lied kann aber nicht sein, dass wir keine Olympischen Spiele mehr in Europa ha- ben und diese nur noch dort stattfinden, wo wir tatsäch- lich ein großes Fragezeichen hinter Nachhaltigkeit und Transparenz setzen müssen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Dann können Sie unserem Antrag ja zustimmen!) Daher kann ich es kaum nachvollziehen, dass wenige, je- doch sehr aggressiv, sowohl in Hamburg als auch in Ber- lin die Bewerbung um die Olympischen und Paralympi- schen Spiele torpedieren. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Was?) Eingangs habe ich von der großen positiven Kraft des Sports, Frau Künast, besonders für junge Menschen ge- sprochen. Aus diesem Grund brauchen wir die Olympi- schen Spiele in Deutschland. Der Minister hat vorhin da- rauf hingewiesen, dass wir dafür auch Begeisterung wecken können. Gerade die Talente sind hierfür die rich- tigen Adressaten. Die Talente, die heute in den Nach- wuchskadern trainieren, werden diejenigen sein, die 2024 im eigenen Land um Medaillen kämpfen. Was für eine tolle Perspektive! Was für ein toller Ansporn für junge Sportler! Lassen Sie uns deshalb gemeinsam wer- ben, um die Sommerspiele 2024 nach Deutschland zu holen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Lieber Herr Kollege Steiniger, im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag. Ich hoffe, dass noch viele mun- tere und interessante Reden darauf folgen werden. (Beifall) Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge- ordneten Jeannine Pflugradt, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Jeannine Pflugradt (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Sport war und ist ein immer wichtiger werdender Bestandteil unseres gemeinschaftlichen Lebens. Wer Sport treibt, lernt, Spielregeln zu akzeptieren, zu tolerieren und mit Siegen und Niederlagen umzugehen. Wer sich sportlich in ei- nem Verein betätigt, erlernt den Umgang mit seinen Sportkameraden und somit auch den Umgang innerhalb unserer Gesellschaft. Gerade in der heutigen Zeit, einer Zeit voller Veränderungen, voller Orientierungspro- bleme und Schnelllebigkeit, sind Sport sowie Sportver- eine wichtige Stabilisatoren und ein Garant für Kame- radschaft und Geselligkeit. (Beifall bei der SPD) Ehrenamtliches Engagement ist das Fundament eines jeden Vereins und im Grunde das Fundament unserer funktionierenden Gesellschaft. Sportvereine können al- len Menschen, jeder Zielgruppe den Bewegungsdrang ergänzende Angebote machen und sind darüber hinaus ein gesellschaftlicher Anlaufpunkt für die soziale Inte- gration. Jeder Mensch sollte daher freien Zugang zu al- len sportlichen Angeboten erhalten. (Beifall bei der SPD) Vor ganz anderen Herausforderungen stehen Leis- tungs-, also Spitzensportlerinnen und Spitzensportler, die aus ihrem Sport kaum finanziellen Gewinn erzielen können. Sie erreichen zwar Spitzenplätze bei hochkaräti- gen Veranstaltungen, können aber den dazugehörigen fi- nanziellen Aufwand nicht ausgleichen. Diese Sportlerin- nen und Sportler stehen häufig vor der Entscheidung, ihre sportliche Karriere abzubrechen oder sie im besse- ren Fall mit einer beruflichen Karriere zu verbinden, um zusätzlich Möglichkeiten zu schaffen, nach Karriereende auf eigenen Füßen zu stehen. Sie wissen sicherlich, dass ich hier nicht von Fußball und Tennis rede, sondern eher von Leichtathletik, Kanurennsport oder Eisschnelllauf. Es darf nicht sein, dass sich Sportler zwischen beiden Karrierewegen entscheiden müssen. Vielmehr muss die Option bestehen, beides optimal und zielgerichtet sowie erfolgreich zu verknüpfen. Das Ziel, im Leistungssport erfolgreich zu sein, macht intensives Training und Wett- kämpfe im In- und Ausland notwendig. An dieser Stelle möchte ich einen kleinen, aber sehr eindringlichen Gruß an die Verantwortlichen im Innen- ministerium senden, die im Rahmen der vergangenen Haushaltsplanungen versucht haben, die finanziellen Mittel für die Projekte „Jugend trainiert für Olympia“ Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 8173 Jeannine Pflugradt (A) (C) (D)(B) und „Jugend trainiert für Paralympics“ zu kürzen. Das sind genau die Leute, die einen Wettkampf vor dem Fernseher verfolgen und über einen nur fünften oder sechsten Platz meckern, ohne jeglichen Fachverstand für den Leistungssport. (Beifall bei der SPD) Wer so etwas versucht, hat nicht die geringste Ahnung von den Belastungen und Entbehrungen angehender Spitzensportler und der Notwendigkeit, sie über solche Projekte zu motivieren. Gerade solche Projekte sind für die Breite gedacht. Ohne Breite gibt es keine Spitze. Das haben Sie, Herr Minister – leider ist er nicht mehr anwe- send –, vorhin in Ihrer Rede gesagt. Bitte versuchen Sie nicht noch einmal, die Mittel zu kürzen. Wir passen auf. Es müssen geeignete Rahmenbedingungen für duale Laufbahnen geschaffen werden, die unbedingt über die Maßnahmen des Bundes hinausgehen. Ich meine hier ei- nen angemessenen rechtlichen und finanziellen Rahmen sowie einen maßgeschneiderten Ansatz, der den ver- schiedenen Sportarten Rechnung trägt. Zwar fördert der Bund via Bundeswehr, Bundespolizei und Zoll zweite Karrierewege deutscher Sportler, aber wir müssen auch an diejenigen denken, die sich keine Zukunft bei Bun- desbehörden vorstellen können. Wir sollten zusammen mit Unternehmern Programme und Initiativen erarbei- ten, die es den Sportlern in Deutschland ermöglichen, Sport und Beruf oder Ausbildung gleichsam zu absolvie- ren. Teilzeitstudiengänge oder Teilzeitarbeit sind gute Beispiele. Ausbildungszeiten könnten verlängert wer- den, oder das Alter bei der Erstausbildung für diese Fälle könnte angehoben werden. Vielleicht empfiehlt sich aber auch die zusätzliche Einrichtung eines runden Tisches, um spezielle Pro- gramme und Projekte so sportlernah wie möglich zu ent- wickeln und die Umsetzung beider Laufbahnen effektiv zu steuern. Ich auf jeden Fall wäre dabei. Die Deutsche Sporthilfe leistet mit ihren fünf privaten Förderern einen bedeutenden und überaus wertvollen Beitrag bei der finanziellen Unterstützung unserer Athle- tinnen und Athleten. Das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich betonen. 3 800 deutsche Sportlerinnen und Sportler werden in über 50 Sportarten mit circa 12,5 Millionen Euro jährlich finanziell sowie beratend gefördert – und das nicht mit Bundesmitteln, sondern ausschließlich über Spenden oder Wirtschaftskooperati- onen. Jetzt zu uns Amateuren. So nenne ich uns jetzt einmal hier im Hause. (Heiterkeit) – Ich möchte niemandem zu nahe treten; ich gehe nur von mir persönlich aus. – Einen Großteil des Sports trei- ben wir, auch als Nichtleistungssportler, in der freien Natur. Wir gehen spazieren, laufen, wandern, wir pad- deln und schwimmen, fahren im Winter Ski oder, oder. Die Umwelt ist dabei für den Sport nicht nur Ressource, sondern vor allem Partner. Ein umweltbewusster Sport begründet sich in dem rationalen Interesse an einer nachhaltigen Nutzbarkeit des Raumes für das Sporttreiben. Ein umweltbedachter Sport begründet sich zudem auch in der Idee von gegen- seitiger Achtung und Fair Play als Werte zwischen Sportlern sowie der eigenen Person in deren Lebenswelt. Damit man einander im Sport begegnen kann, bedarf es eines nachhaltigen Gleichgewichts zwischen Nutzung und Schutz von Natur und Umwelt. In diesem Sinne werden schon seit langem zahlreiche Anstrengungen durch die Bundesregierung in Koopera- tion mit den Sportverbänden, den Vereinen und den Sporttreibenden unternommen. Diese Anstrengungen heißt es weiter zu unterstützen und voranzubringen. Mit verschiedenen Leitprojekten wird der organisierte Sport in Kooperation mit den zuständigen Ministerien sowie weiteren wichtigen Partnern schon jetzt in vielen Berei- chen seiner Verantwortung gerecht. Der organisierte Sport in Deutschland setzt mit seinen Programmen zu Umwelt- und Klimaschutz und mit sei- nem Engagement für internationale Sportgroßveranstal- tungen zukunftsweisende Maßstäbe, um einen Sport im Einklang mit der Natur zu ermöglichen. Dies wurde ins- besondere bei der Bewerbung Münchens um die Austra- gung der Olympischen und der Paralympischen Winter- spiele 2018 mit dem umfangreichen Umwelt- und Nachhaltigkeitskonzept deutlich. Sportorganisationen sind beim Umwelt- und Klima- schutz auf die Unterstützung und die aktive Begleitung durch die Politik angewiesen. Eine nachhaltige Sportent- wicklung in Deutschland kann nur mit allen Beteiligten gemeinsam verfolgt werden. Eine dem Grundsatz der Wahrung des Naturerbes folgende Sportpolitik unter- stützt den organisierten Sport auch künftig kraftvoll bei den gemeinsamen Herausforderungen, um den Klima- und Umweltschutz im und durch den Sport weiter voran- zubringen. Sport frei! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten Gudrun Zollner, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Gudrun Zollner (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! „Deutschland bewegt sich!“ Diesen Trailer kennen wir wahrscheinlich alle. Jeder von uns ist hof- fentlich in einem Sportverein Mitglied. Sport ist zentra- ler Bestandteil des sozialen Lebens und Bindeglied der Gesellschaft. Er inkludiert, integriert und induziert. Er eint die Nationen und verbindet Menschen, ohne dass es eine Sprache braucht. Mehr noch: Sport ist für mich auch ein Synonym für Frieden und Völkerverständi- gung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich spreche heute nicht nur als Sportpolitikerin, son- dern auch als Familienpolitikerin zu Ihnen. Viele Pro- 8174 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 Gudrun Zollner (A) (C) (D)(B) jekte, die im vorliegenden Sportbericht der Bundesregie- rung aufgelistet sind, beziehen sich auf Familien, Senioren, Frauen und Jugend. Auf diese Bereiche möchte ich besonders eingehen. Generationenübergreifend einander begegnen, ge- meinsam aktiv sein, das ist Familiensport. Um die Fami- lienfreundlichkeit im Sport bundesweit voranzubringen, hat das Bundesfamilienministerium zusammen mit dem DOSB 2011 und 2012 das Modellprojekt „Sport bewegt Familien – Familien bewegen den Sport“ durchgeführt. Durch die gemeinsamen sportlichen Aktivitäten und die dadurch miteinander verbrachte Zeit wurde der Zusam- menhalt in den Familien gestärkt – ein Erlebnis für alle. Für unsere Kinder ist Sport für die körperliche, kogni- tive, emotionale und soziale Entwicklung unerlässlich. Als Einzel- oder Mannschaftssport vermittelt er Kompe- tenzen, was das Internet oder eine Playstation nie errei- chen können. Laut einer Studie zur Gesundheit von Kin- dern und Jugendlichen in Deutschland sind 28 Prozent der 3- bis 17-jährigen Kinder und Jugendlichen täglich eine Stunde körperlich aktiv. Das heißt im Umkehr- schluss, dass 72 Prozent die Empfehlung der WHO nach Alltagsaktivität oder sportlicher Aktivität nicht umset- zen. Im Vorschulalter folgt noch die Hälfte der Kinder der WHO-Empfehlung, im Jugendalter zwischen 14 und 17 Jahren sind es nur noch 12 Prozent (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Erwachsenenalter noch weniger!) Das sollte für uns alle ein Alarmzeichen sein. Der vorlie- gende Sportbericht zeigt viele Möglichkeiten auf, um diesem Trend entgegenzuwirken. Auch in der zweiten Lebenshälfte ist Sport mit seinen vielfältigen Angeboten ein wichtiger Bestandteil zur Aufrechterhaltung der körperlichen, aber auch geistigen Leistungsfähigkeit. Er ist eine wichtige Gesundheitsvor- sorge. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Der Seniorensport sichert eine längere Mobilität für eine selbstständige Lebensführung und hilft, die Lebens- qualität im Alter zu erhalten und zu fördern. Der vorlie- gende Bericht zeigt viele Anregungen für die sogenannte Generation 50 plus auf, zur Nachahmung sehr zu emp- fehlen. Ein für mich sehr wichtiger Punkt im Sportbericht ist der Abschnitt „Frauen und Mädchen im Sport“. Die Ak- tion „Gewalt gegen Frauen – nicht mit uns!“ wurde zu- sammen mit den Kampfsportverbänden im DOSB durch- geführt. Gewaltprävention ist unerlässlich und kann Frauen und Mädchen wirkungsvoll vor möglichen Über- griffen schützen. Hier setzt auch das bundesweit einge- richtete Telefon „Gewalt gegen Frauen“ an, um einen niedrigschwelligen Zugang für eine erste Anlauf- und Kontaktstelle zu garantieren. „Gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Män- nern“, kommt Ihnen diese Formulierung bekannt vor? Passend zur derzeitigen Debatte um die Frauenquote fin- det man auf Seite 103 des Sportberichts: „Frauen an die Spitze“. Das damit verbundene Projekt fördert gezielt das zivilgesellschaftliche Engagement von Frauen, um ihnen Wege in die Führungsgremien des Sports zu eb- nen. Aber keine Angst, es wird keine 30-Prozent-Quote gefordert und eingeführt. Aber was wäre unser Sport ohne die vielen Millionen Ehrenamtlichen, denen ich an dieser Stelle ein großes Dankeschön zurufen möchte. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Mit der Nationalen Engagementstrategie reagiert die Bundesregierung auf die wachsende Bedeutung des bür- gerschaftlichen Engagements in Deutschland. Mit der Initiative „Junges Engagement im Sport“ wurden unab- hängig von Geschlecht, Alter, Herkunft, Religion oder Kultur chancengerechte Zugänge zum Engagement im Sport eröffnet. Neue Formen wurden erprobt, um ver- stärkt auch jungen Menschen in besonderen Lebenslagen Wege aufzuzeigen, sich in Strukturen der Zivilgesell- schaft zu integrieren. Gerade im Hinblick auf die ak- tuelle Debatte über das Ehrenamt und den Mindestlohn müssen wir aber darauf achten, den freiwilligen Einsatz nicht durch Überbürokratisierung und zusätzliche Doku- mentationspflichten zu ersticken. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Eine Ausnahme vom Mindestlohn für als gemeinnützig anerkannte Vereine würde ich deshalb sehr begrüßen. Auch für eine Vereinfachung bezüglich der Vorlage des erweiterten Führungszeugnisses setze ich mich ein. Eine zentrale Abfragemöglichkeit beim Bundeszentral- register könnte die Kommunen enorm entlasten. Wir müssen den Ehrenamtlichen dankbar sein für die vielen Tausend Stunden, die sie in ihrer Freizeit für das Gemeinwohl einbringen. Der Bund nimmt seine Verantwortung aber nicht nur national wahr; er engagiert sich auch gezielt in der Ent- wicklungszusammenarbeit. Auf Initiative unseres Bun- desministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dr. Gerd Müller, (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Guter Mann!) werden unter anderem Kinder und Jugendliche unter- stützt, deren Leben von Armut, Unsicherheit und Angst geprägt ist. Besonders Mädchen sollen neue Lebensper- spektiven entwickeln können. Aufbauend auf dem Fuß- ballsport, werden gewaltfreie Räume für sie geschaffen. Ein besonderes Augenmerk des BMZ liegt aktuell auf der Initiative „Mehr Platz für Sport – 1 000 Chancen für Afrika“. Als Wohlstandsland sehe ich uns hier in der Pflicht, dabei zu helfen, Life Skills zu vermitteln. Das Scheitern der Bewerbung meiner Landeshaupt- stadt München gemeinsam mit der Marktgemeinde Gar- misch-Partenkirchen und dem Landkreis Berchtesgade- ner Land um die Ausrichtung der Olympischen und Paralympischen Winterspiele 2018 habe ich persönlich sehr bedauert. Den Ausgang der Bürgerentscheide für die weitere Bewerbung für 2022 müssen wir akzeptie- ren. Ich sehe es allerdings als verpasste Chance, der Welt zu zeigen, dass Olympische Spiele auch im Einklang mit Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 8175 Gudrun Zollner (A) (C) (D)(B) der Natur veranstaltet werden können, nämlich nachhal- tig und ohne überbordenden Pomp. (Beifall bei der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was zu be- weisen ist!) Ich durfte als Kind die Sommerspiele 1972 miterle- ben – ein für mich immer noch beeindruckendes Erleb- nis. Auch heute ist das Olympiastadion ein einzigartiges Wahrzeichen von München, das von Menschen als Erho- lungs- und Eventort Sommer wie Winter gern genutzt wird. Vizepräsident Peter Hintze: Apropos Eventort: Die Redezeit ist abgelaufen. (Heiterkeit) Gudrun Zollner (CDU/CSU): Letzter Satz. – Gerade vor dem Hintergrund des ak- tuellen Weltgeschehens möchte ich meine Rede mit dem olympischen Gedanken beenden, mit der Friedensbot- schaft und dem Aufruf zur Waffenruhe. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge- ordneten Matthias Schmidt, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Matthias Schmidt (Berlin) (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- ren auf den Zuschauertribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man in so einer Debatte als zwölfter von 13 Rednern dran ist, (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ganz schlecht! Das sollten wir unbe- dingt ändern!) dann ist es wahrlich eine sportliche Herausforderung, jetzt noch Punkte zu finden, die bisher niemand erwähnt hat. Ich will mich ihr trotzdem stellen. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Aber Herr Grindel kommt ja noch! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können ja verzichten!) – Kollege Grindel hat als 13. Redner zum 13. Sportbe- richt natürlich den Vorteil, dass er sagen kann: So ein Glück, dass heute nicht Freitag, der 13., ist, sondern Freitag, der 6.! Freitag, den 13., haben wir erst nächste Woche. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Schade eigentlich!) Ich habe trotzdem eine Sache gefunden, die ich gern sagen möchte und die mir sehr am Herzen liegt. Ich möchte nämlich, Herr Kollege Krings, der Sportabtei- lung herzlich danken. Sie ist momentan in einer schwie- rigen Situation, kurz vor dem Umzug nach Berlin, was für alle persönlich sehr schwierig ist. Ihr ist es trotzdem gelungen, sehr sauber, sehr sachlich einen umfassenden 13. Sportbericht zu erstellen. Ich würde mich freuen, wenn Sie den Dank aller Fraktionen an die Sportabtei- lung weitergeben würden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN) An die Zuhörerinnen und Zuhörer gerichtet: Im Sportbericht ist wirklich alles drin. Ich gehe davon aus: Einige von Ihnen sind auch Mitglied in einem Sportver- ein, sind aktive Sportler, manche vielleicht sogar im Vor- stand oder an anderer Stelle ehrenamtlich tätig. Wenn Sie einmal etwas für den Überbau brauchen: Ein Blick in den Sportbericht der Bundesregierung lohnt immer! Es ist alles drin. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Bis auf die Selbstkritik! – Weitere Zurufe) – Bis auf die Selbstkritik; sehr gut. Die Kollegen sind heute sehr erfinderisch. Ich möchte etwas zur Weltsportministerkonferenz sa- gen. Ich möchte den Gedanken aufgreifen, den die Kol- legen Mutlu und Gienger auch schon aufgenommen ha- ben. Die Bundesregierung scheint mit den Ergebnissen der Weltsportministerkonferenz sehr zufrieden zu sein. Die Weltsportministerkonferenz findet sich in diesem Bericht an zwölf verschiedenen Stellen. Ich denke, die Bundesregierung kann zu Recht mit den Ergebnissen zu- frieden sein, die sich am Ende in der Berliner Erklärung in 19 Punkten finden. Ich möchte trotzdem auf etwas hinweisen, was sich in der letzten Sportausschusssitzung abgespielt hat. Wir hatten die Gewinner der „Sterne des Sports“ in der Sport- ausschusssitzung. Gewonnen hat der Fußballverein „Ba- nanenflanke“ (Gudrun Zollner [CDU/CSU]: Aus Regens- burg!) aus Regensburg – zu Recht –, der eine Fußballliga für Kinder mit geistiger Behinderung organisiert. Ein Vater sagte uns dann im Sportausschuss, er hätte es sehr viel lieber gesehen, wenn sein Sohn in einen inklusiven Sportverein hätte gehen können, und fragte, was wir da- für täten, damit dies künftig möglich sei. Herr Krings, Sportabteilungsleiter Böhm hat mit der Weltsportminis- terkonferenz geantwortet. Er hat völlig richtig geantwor- tet – das stimmt schon –, aber in den Augen des Vaters konnte man sehen, wie weit die Sportpolitik von der Realität entfernt ist. Manchmal ist das so, und dieser Hinweis richtet sich an uns alle, nicht nur an die Bundes- regierung, schon gar nicht an den Abteilungsleiter. Er richtet sich an uns alle, immer daran zu denken, die Sportpolitik für die Vereine, für die Menschen in unse- rem Land, die Sport treiben, zu machen. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Ein zweites Beispiel, das in die gleiche Kerbe haut, haben wir als Sportausschuss vorgestern in Brüssel gese- hen, als wir dort mit dem Sportkommissar und den EU- 8176 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 Matthias Schmidt (Berlin) (A) (C) (D)(B) Parlamentariern gesprochen haben, die das Programm Erasmus plus sehr lobten, (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bürokratiemonster! – Michaela Engelmeier [SPD]: Ja, genau!) ein mit einer Förderung von 265 Millionen für die nächsten sieben Jahre sehr groß angelegtes Programm. Es ist als ein Programm annonciert, das den Vereinen und dem Ehrenamt helfen soll. Aber die Hürden sind in der Tat so hoch, dass es für die Vereine extrem schwer ist, überhaupt daranzukommen. Auch das ist ein Bei- spiel, das uns daran erinnern sollte, dass wir die Politik für die Menschen im Land machen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Natürlich gibt es auch sehr, sehr gute Beispiele, wo die Sportpolitik genau das macht, und das ist für mich ausdrücklich im Bereich des Sports von Menschen mit Behinderungen. Dort ist jeder Euro, den wir als Haus- haltsgesetzgeber investieren, gut investiert. Die Men- schen, die dort Sport treiben, sind nicht nur sportliche, sondern auch menschliche Vorbilder. Ich finde, da kön- nen wir nicht genug tun. Pierre de Coubertin, der Grün- der der Olympischen Spiele der Neuzeit, würde – ich wage die Prognose – heute bei den Paralympics auf der Tribüne sitzen, weil dort die Werte, die er für den Sport seinerzeit ausgerufen hat, vorbildlich gelebt werden. Diese Unterstützung müssen wir weiterführen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diese Unterstützung schließt das Ehrenamt ausdrück- lich ein. Im Bereich des Sports von Menschen mit Be- hinderungen gibt es vier Verbände: den Deutschen Behindertensportverband, den Deutschen Gehörlosen- Sportverband, den Deutschen Blinden- und Sehbehin- derten-Schachbund und Special Olympics Deutschland. Sie werden von zwei männlichen und zwei weiblichen Präsidenten geleitet: von Herrn Beucher und Herrn Wiencek, Frau Reymann und Frau Krajewski, die alle hervorragende Arbeit mit ihren Vorständen leisten und den Sport ehrenamtlich vorantreiben. Dies ist die Stelle, Herr Krings, wo folgender Neben- satz zu „Jugend trainiert für Olympia“ und „Jugend trai- niert für Paralympics“ gestattet sein muss: Es war un- glücklich, wie sich das Ministerium an dieser Stelle in dem Versuch verhalten hat, das eine gegen das andere auszuspielen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das war beschämend!) Ich bin froh, dass wir als Haushaltsgesetzgeber zweimal standhaft geblieben sind und „Jugend trainiert für Olym- pia“ und „Jugend trainiert für Paralympics“ sowie den Deutschen Behindertensportverband weiter fördern. (Beifall bei der SPD – Özcan Mutlu [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Dazu musste er ge- trieben oder getragen werden!) Das letzte Thema, das ich gern ansprechen möchte – Kollege Tempel von den Linken hat es schon ge- streift –, ist das Thema Sport und Lärm. Es findet sich nur ein kleiner Absatz im Sportbericht, auf Seite 130. Dort ist – Herr Krings, dafür sind übrigens Ihre Kollegen vom Umweltministerium zuständig; das richtet sich nicht direkt an das Innenministerium – die Sportanlagen- lärmschutzverordnung, kurz SALVO, zitiert. Das ist ein schöner Name, er kommt aus dem Lateinischen, hat auch etwas mit „gesund“ zu tun. Zu der SALVO schreiben die Autoren, sie habe sich grundsätzlich bewährt, weil es ei- nen Ausgleich zwischen den Interessen des Sports und anderen Interessen gebe. Da – so habe ich den Eindruck – ist dem Autor etwas die Feder ausgerutscht; denn wir alle wissen aus unseren Wahlkreisen: Sport und Lärm- schutz sind, wenn sie aufeinandertreffen, ein massives Problem. Wir müssen dafür eine neue Lösung finden. Wir haben im Sportausschuss darüber debattiert. Wir haben sehr gute Vorschläge, beispielsweise des Deut- schen Städtetages, erhalten. Er hat das ganz sauber auf- gelistet: Muss es sonntags von 13 bis 15 Uhr eine Mit- tagspause geben? Ich meine: Nein. Wie lange darf man Sport werktagsabends treiben? Ich denke: bis 22 Uhr. Wie werden Altanlagen geschützt? Das ist ein Auftrag an uns alle hier im Parlament, im Jahr 2015 etwas zu be- wegen. In diesem Sinne würde ich mich freuen, wenn wir das gemeinsam mit der Bundesregierung angehen und für den Sport etwas tun. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als letztem Redner dieser Aussprache erteile ich das Wort dem Abgeordneten Reinhard Grindel, CDU/CSU- Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Reinhard Grindel (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Ehrenamt ist hier völlig zu Recht immer wieder in den Reden erwähnt worden. Man muss daran erinnern, wenn man sagt: „Ohne gute Breite keine gute Spitze“, dass in den Vereinen, an der Basis, die Nachwuchs- und Talent- förderung stattfindet, die Weichen gestellt werden. Das machen die Ehrenamtlichen. In diese Richtung geht die große Kritik, die wir von den Vereinen hören. Nehmen wir zum Beispiel den Sportentwicklungsbericht der Sporthochschule Köln. Vereine wurden gefragt: Was sind eure größten Risiken? Das mit Abstand größte Ri- siko für die Vereine ist, keine ehrenamtlichen Mitarbei- ter mehr zu gewinnen. Warum? Weil sie unter der Last der Bürokratie ächzen. Also hören wir auf, die Vereine zusätzlich mit Bürokratie zu belasten. Lassen wir sie nicht allein im Dschungel des Steuerrechts, sonst werden wir Probleme haben, Menschen zu finden, die sich gerne im Ehrenamt engagieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich bin dem Kollegen Pilger außerordentlich dankbar, dass er, als Rheinland-Pfälzer sicherlich nicht ohne Rücksprache mit einem prominenten Mitglied seiner Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 8177 Reinhard Grindel (A) (C) (D)(B) Landesgruppe, angedeutet hat, dass wir für die Auswir- kungen des Mindestlohns auf den Sport eine Lösung finden wollen. Wir reden hier nicht über Wirtschaftsun- ternehmen, wir reden über gemeinnützige Vereine, die nicht Gewinne erzielen wollen, sondern alles Geld für den Sport verwenden. Denen wollen wir helfen. Ein Problem stellen in diesem Zusammenhang die Ver- tragsspieler dar. Der Vertragsspieler steht nicht in einem Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis. Die Konstruktion des Vertragsspielers ist gewählt worden, damit ein Spie- ler in der Winterpause nicht einfach den Verein wechselt. Zudem müssen Vereine die Chance haben, für die Ent- wicklung von Talenten, die zu größeren Vereinen wech- seln, eine Ausbildungsentschädigung zu bekommen. In- sofern ist meine herzliche Bitte, gerade auch an die Kollegen der Sozialdemokratie, dieses Thema pragma- tisch zu betrachten und nicht ideologisch. Das Kernproblem ist – Kollege Pilger hat es ange- sprochen –, dass die Vereine aus Gründen der einfache- ren Abwicklung diese Vertragsspieler bei den Minijob- zentralen angemeldet haben. Sie wollen steuer- und sozialversicherungsrechtliche Abgaben auch leisten. In- sofern wäre es nicht gut, wenn wir mit einer bürokrati- schen Regelung die Bemühungen der Vereine, ehrlich zu sein und Steuern und Sozialabgaben zu leisten, infrage stellen würden. Ich will keine zusätzliche Bürokratie. Ich will nicht, dass Bargeld in der Umkleidekabine gezahlt wird. Das müssen wir alle verhindern, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist auch richtig, dass der Kollege Schmidt das Thema Sport und Lärm angesprochen hat. Ein großes Thema, das zunehmend wichtiger wird – auch das steht im Sportentwicklungsbericht –, ist die Vereinbarkeit von Schule und Verein. Durch die Ganztagsschulen – eine bildungspolitisch sicherlich gute Einrichtung – werden die Möglichkeit für unsere Sportvereine, mit den Kin- dern und Jugendlichen zu trainieren, verkürzt, werden die Trainingszeiten verkürzt. Deswegen brauchen wir an dieser Stelle bessere Rahmenbedingungen. Mancher Verein wandelt seinen Grandplatz in einen Kunstrasen- platz um, weil er bessere Trainingsbedingungen bieten will. Wenn der Verein als Folge davon weniger Sport- stunden anbieten könnte, weil es dann eine Neuanlage ist, für die andere Lärmimmissionswerte gelten, und der Altanlagenbonus weggefallen ist, dann wäre auch das zusätzliche Bürokratie, und die Ehrenamtlichen würden sagen: Meine Güte, was macht die Politik da? Lasst uns doch in Ruhe unser Training durchführen, wenn wir schon immer schwierigere Rahmenbedingungen haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wenn wir Kinder für den Sport gewinnen wollen, dann – so steht es im Sportbericht völlig zu Recht – die- nen erfolgreiche Athletinnen und Athleten als Vorbilder, denen man nacheifert und auf deren Integrität man ver- traut. Der Sport hat eine große gesellschaftspolitische Bedeutung. Er hat eine große Integrationskraft, übrigens auch, wenn es um die Arbeit mit Flüchtlingskindern geht, die von zentraler Bedeutung ist. Deswegen betont der Sportbericht: Nur der saubere Sport vermag seine gesellschafts- politisch wünschenswerte Wirkung zu entfalten und auf diese Weise die finanzielle Unterstützung des Sports durch die öffentliche Hand zu legitimieren. Gleichzeitig ist uns im Sportausschuss die Studie mit dem etwas sperrigen Titel „Dysfunktionen des Spitzen- sports: Doping, Match-Fixing und Gesundheitsgefähr- dungen aus Sicht von Bevölkerung und Athleten“ vorge- stellt worden. Nur 53,4 Prozent der befragten Athleten sagten glasklar Nein zum Dopingmissbrauch. 5,9 Pro- zent räumten die Einnahme von Dopingmitteln ein. Gut 40 Prozent haben die Antwort auf die entsprechende Frage verweigert. Nun soll man die Ergebnisse dieser Studie nicht dramatisieren; aber man kann wohl auch nicht behaupten, dass im Kampf gegen Doping unter ge- neralpräventiven Gesichtspunkten alles in bester Ord- nung sei. Die Maßnahmen des bestehenden Dopingkontrollsys- tems des organisierten Sports mit seinen verbandsrecht- lichen Sanktionsmöglichkeiten stellen einen wichtigen Grundpfeiler in der Dopingbekämpfung dar. Besonders ist hier die gute Arbeit der NADA zu erwähnen, die wir von der Koalition noch einmal mit zusätzlichen Finanz- mitteln gestärkt haben. Aber angesichts der von mir be- schriebenen hohen gesellschaftspolitischen Bedeutung des Sports muss auch der Staat seine Mittel zum Schutz der Integrität des sportlichen Wettbewerbs in vollem Umfang nutzen. Deshalb ist es richtig, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir in Deutschland ein Anti-Do- ping-Gesetz bekommen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) mit dem wir übrigens auch die Sportgerichtsbarkeit und die Schiedsvereinbarungen auf eine klare gesetzliche Grundlage stellen wollen. Wenn dazu kartellrechtliche Ergänzungen des entsprechenden Gesetzes notwendig sind, dann wollen wir sie vornehmen. Wir brauchen eine Reform des CAS. Der Sportaus- schuss wird diese Fragen im April bei seinem Besuch in Lausanne vor Ort ansprechen. Aber wir brauchen doch wohl tatsächlich eine weltweit gültige Sportgerichtsbar- keit. Es darf doch nicht sein, dass am Ende Gerichte in Kasachstan, in Russland oder in Jamaika darüber ent- scheiden, ob Sportler bei internationalen Sportereignis- sen tatsächlich starten dürfen oder nicht. Das kann auch nicht im Interesse unserer Spitzensportler sein. Deswe- gen bin ich über manche Äußerung von Spitzensportlern etwas überrascht. Wir brauchen eine Reform der Sport- gerichtsbarkeit und ein Anti-Doping-Gesetz, weil wir gerade die Chancen unserer Sportler im internationalen Wettbewerb schützen und hier für Fair Play sorgen wol- len, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Als was sprechen Sie denn jetzt: als Schatzmeister des DFB oder als MdB? – Gegenruf des Abg. Eberhard Gienger [CDU/ 8178 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 Reinhard Grindel (A) (C) (D)(B) CSU]: Das war eine unqualifizierte Frage! – Gegenruf des Abg. Özcan Mutlu [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das ist wich- tig!) Es ist angesprochen worden, dass wir im Koalitions- vertrag nicht nur ein Anti-Doping-Gesetz angekündigt haben, sondern auch ein Gesetz gegen Spielmanipulatio- nen. Dazu sagt der Sportbericht: Die Integrität des Sports wird zwar in erster Linie durch das Regelwerk der Sportverbände gewähr- leistet. Allerdings zeigen Phänomene wie die Mani- pulation von Sportwettbewerben, dass staatliche In- terventionen und Sanktionen notwendig sind … Insofern will ich persönlich anfügen, dass ich es richtig finde, dass wir nicht nur ein Anti-Doping-Gesetz, son- dern auch ein umfassendes Gesetz zum Schutz der Inte- grität des sportlichen Wettbewerbs schaffen, in dem es klare Regelungen gegen Spielmanipulationen gibt. Die Menschen werden sich vom Sport abwenden, wenn sie den Glauben an das, was den Sport ausmacht, verlieren und die Ungewissheit des sportlichen Ergeb- nisses nicht mehr gegeben ist. Deshalb gilt auch hier, dass der Staat seine Schutzpflicht mit den Mitteln des Strafrechts wahrnehmen muss. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Am Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein letzter Gedanke. Wir reden viel von den sozialen Netz- werken und denken dann an unseren Laptop, unser Handy oder iPad. Ist es wirklich richtig, hier von sozia- len Netzwerken zu reden? Einmal Stromausfall, und alle Freunde sind weg! (Heiterkeit bei Abgeordneten im ganzen Hause – Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Schö- nes Bild!) Wäre es nicht richtig, wenn wir bei sozialen Netzwerken an den Sportverein um die Ecke denken? Erleben wir nicht dort das wirklich Soziale im Leben: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) miteinander gewinnen und verlieren, sich für andere ein- setzen und dankbar Unterstützung entgegennehmen? Kabinenschweiß riechst du nicht auf Facebook. (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Da musst du schon selber auf den Platz, in den Sportver- ein gehen und mitmachen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Dafür gute Rahmenbedingungen zu schaffen, ist Auf- gabe der Sportpolitik. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mein Facebook! Yeah!) Vizepräsident Peter Hintze: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/3523 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin Kunert, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Nationales Konversionsprogramm entwickeln – Umwandlung der Militärwirtschaft in eine Friedenswirtschaft ermöglichen Drucksache 18/2883 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Verteidigungsausschuss (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Haushaltsausschuss Federführung strittig Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- nerin der Abgeordneten Katrin Kunert, Fraktion Die Linke, das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Katrin Kunert (DIE LINKE): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- gen! Deutsche Sturmgewehre sind bei jener mexikani- schen Polizeieinheit aufgetaucht, die mit dem Mord an 43 Studenten in Verbindung gebracht wird; das berich- tete vor kurzem der Spiegel. Deutsche Waffen sind leider ein Exportschlager und finden immer ihren Weg. Die Bundesrepublik ist nach den USA und Russland weltweit der drittgrößte Expor- teur von Waffen und Rüstungsgütern. 2013 hat die Bundesregierung Rüstungsexporte im Wert von 8,34 Milliarden Euro genehmigt. Während deutsche Rüstungskonzerne sich eine goldene Nase ver- dienen, wird in anderen Teilen der Welt mit ihren Waffen gekämpft und getötet. Der dritte Platz bei den Waffen- exporten ist für uns kein Grund zur Freude; im Gegen- teil: Er sollte uns zutiefst beschämen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen endlich politische Konsequenzen daraus ziehen. Wir fordern ein generelles Verbot von Waffen- und Rüstungsexporten, und wir fordern, dass keine Waf- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 8179 Katrin Kunert (A) (C) (D)(B) fen und Rüstungsgüter mehr in Deutschland produziert werden. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke schlägt Ihnen heute vor, gemeinsam ein na- tionales Konversionsprogramm zu erarbeiten. Wir schla- gen Ihnen vor, schrittweise die militärische Produktion in eine zivile Produktion umzuwandeln. Zudem wollen wir militärische Liegenschaften, also Kasernen, Schieß- plätze und Waffenlager, künftig nur noch für zivile Zwe- cke nutzen. (Beifall bei der LINKEN) Wir sind davon überzeugt: Konversion kann gelingen. Seit 1990 gab es gerade im Osten Hunderte Schließun- gen von Militärliegenschaften der Sowjetarmee und der NVA. Oft wurden die Kommunen bei der weiteren Nut- zung der Liegenschaften alleingelassen. Das wollen und müssen wir ändern. (Beifall bei der LINKEN) Die Kommunen müssen finanziell unterstützt und Konversionspartnerschaften müssen geschlossen werden. Die Stadt Stavenhagen in Mecklenburg-Vorpommern ist ein gutes Beispiel für eine solche Partnerschaft. In Sta- venhagen werden ehemals militärische Gebäude und Flächen zivil genutzt. In einem neu entstandenen Gewer- bepark gibt es unter anderem metallverarbeitende Indus- trie, Lebensmittelindustrie und einen der größten Solar- parks im Land. Wir wollen, dass dieses Beispiel Schule macht. (Beifall bei der LINKEN) Bisher wurde mit der wirtschaftlichen Bedeutung von Bundeswehrstandorten und der Rüstungsindustrie Poli- tik gemacht. Arbeitsplätze und Steuereinnahmen, die als Argument genannt werden, sind bis heute heilige Kühe, mit denen die Menschen und die Kommunen in eine ge- wisse Abhängigkeit gedrängt werden. Alternativen zur militärischen Nutzung werden in der gesellschaftlichen Debatte durch politische Mehrheiten unterdrückt. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, seit Anfang der 90er-Jahre hat Deutschland einen tiefen Struktur- wandel erlebt. So hat es EU-Förderprogramme gegeben, um den wirtschaftlichen Umstellungsprozess in Deutsch- land abzusichern. Mithilfe der Programme KONVER I und II wurden in den Bundesländern Nordrhein-Westfa- len und Rheinland-Pfalz Unternehmensansiedlungen gefördert. Den Programmen fehlte damals der friedens- politische Aspekt. Es ging immer nur um reine Struktur- politik, und es gab auch nie ein Konzept zur Einbindung des Bundes. Und genau hier setzt unser Antrag an. Wir fordern ein nationales Konversionsprogramm. Alle möglichen Akteure wie die Menschen in den Kom- munen, Friedensorganisationen, Kirchen und Gewerk- schaften sind in die Erarbeitung einzubeziehen. Der Bund, die Länder, die Kommunen, die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben und die Bundeswehr müssen kon- krete Aufgaben übernehmen. (Beifall bei der LINKEN) Wir schlagen vor, dass auf Bundesebene ein Konver- sionsfonds eingerichtet wird. Der Fonds soll zunächst mit 2,5 Milliarden Euro Startkapital aus dem Reingewinn der Bundesbank ausgestattet werden. Zusätzlich soll die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben ihre Gewinne aus Immobilienverkäufen in den Fonds einspeisen. Das Geld soll die Umwandlung der Militärwirtschaft in die zivile Wirtschaft sozialverträglich absichern. Um eines klarzustellen: Im unmittelbaren Kernbe- reich der wehrtechnischen Industrie, also für die Herstel- lung von Waffen und Munition, sind lediglich circa 17 000 Menschen beschäftigt. Die Konversion dieser Arbeitsplätze sollte doch möglich sein. (Beifall bei der LINKEN) Die über 80 000 Beschäftigten in der Sicherheitsindus- trie arbeiten bereits jetzt in Bereichen, die rein zivil nutz- bar sind. Das betrifft die Aufklärungstechnik, IT-Sys- teme, das Einsatzmanagement sowie die technische Ausrüstung zum Schutz von Infrastruktur. Der Erhalt von qualifizierten und gut bezahlten Ar- beitsplätzen ist Kernstück des Konversionsprogramms. Wir wollen nicht über die Köpfe der Betroffenen hinweg entscheiden. Die Linke unterstützt deshalb die Forde- rung der IG Metall nach einem Branchenrat „Wehr- und Sicherheitstechnik“. Die Gewerkschaften und Betriebs- räte sollen die Umstrukturierung in ihren Unternehmen aktiv mitgestalten. Die Möglichkeiten für Konversionsprojekte sind viel- fältig. Verkehr, Maschinenbau, Elektrik, Technik, Um- weltschutz, Raumfahrt oder Schifffahrt bieten hierfür ein riesiges Potenzial. Ein Konversionsprozess ist kein nor- maler und selbstverständlicher Prozess, sondern ein ex- trem notwendiger Prozess. Jeder Technologiepark an- stelle eines Munitionsdepots bedeutet Innovation statt Stillstand, (Beifall bei der LINKEN) und jede neue Wohnanlage mit einem Naherholungs- gebiet anstelle einer Halle für Kampfflugzeuge bedeutet mehr Lebensqualität für die Menschen, und jedes For- schungsprojekt mit Blick auf die Konversion an den Universitäten bedeutet Friedensperspektiven. Die Linke will, dass Deutschland zur Friedensmacht wird. Wir wollen aus der Militärwirtschaft aussteigen. Lassen Sie uns darüber ordentlich in den Ausschüssen streiten. Schönen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge- ordneten Klaus-Peter Willsch, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) 8180 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 (A) (C) (D)(B) Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Frau Kunert, um es gleich vor- weg zu sagen: Wir wollen das nicht. Wir wollen, dass wir eine starke Bundeswehr haben. Ich bin stolz auf un- sere Bundeswehr und die Leistungen, die sie vollbringt. (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Und auf die Rüstungsindustrie sind Sie auch stolz!) Wir wollen, dass unsere Bundeswehr auch mit den tech- nologischen Fähigkeiten, die in Deutschland entwickelt und weiterentwickelt werden, kämpfen kann, wenn es notwendig ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD – Zuruf von der LINKEN: Ohne Sinn und Verstand!) Uns liegt – in neuem Gewand – ein Antrag vor, der sich eigentlich um den Export von Rüstungsgütern dreht. Einmal mehr versuchen Sie hier, ein Bild zu zeichnen, als würden wir leichtfertig in der ganzen Welt Waffen und technologische Fähigkeiten verbreiten. (Zuruf der Abg. Karin Binder [DIE LINKE]) Sie wissen ganz genau, dass das Gegenteil der Fall ist. (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Ja, ja!) Wenn Sie im westlichen Bündnis bündnisfähig blei- ben wollen – das ist notwendig für Deutschland, weil wir die Sicherheit alleine nicht gewährleisten können –, dann müssen Sie natürlich auch technologisch etwas zu bieten haben, gerade als Hochtechnologiestandort, der Deutschland ist. (Katrin Kunert [DIE LINKE]: A400M! Jäger 90! Wie die hochtechnologisch ausgestattet sind!) Es ist abenteuerlich, hier eine Deindustrialisierung zu fordern, zu fordern, dass man in irgendeinen Kuschel- zustand kommt. Wenn wir technologisch spitze sind und im Bereich der Sicherheits- und Wehrindustrie über Können verfü- gen, dann müssen wir das fördern. Wir müssen der In- dustrie auch gelegentlich beim Export helfen, weil die Abnahme im eigenen Land nicht hinreichend ist, um Kernfähigkeiten zu erhalten. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Die Frage ist nur: Wohin? – Katrin Kunert [DIE LINKE]: A400M ist ein Export- schlager?) Sie wissen genau, dass alle Entscheidungen über den Export von Rüstungsgütern Einzelfallentscheidungen sind, dass sie in einem dichten Netz rechtlicher Regulie- rungen gefällt werden und dass wir weder in Gebiete lie- fern, in denen ein Angriffskrieg droht, noch in Länder, bei denen ein hinreichender Verdacht besteht, dass die Güter zum Zwecke der Repression oder für sonstige Menschenrechtsverletzungen eingesetzt werden. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Saudi-Arabien!) – Wenn Sie ein bisschen Dinge zur Kenntnis nehmen und aufpassen würden, könnten Sie klüger reden. Sie wissen, dass wir in Saudi-Arabien mit den Rüstungs- gütern im Wesentlichen dafür Sorge tragen, dass die Grenzen gesichert werden können, was ein selbstver- ständliches Recht eines jeden Staates ist. Das hat eine ausgesprochen friedensstiftende Wirkung. Viele der Konflikte, die wir gegenwärtig in Afrika erleben, hängen damit zusammen, dass Grenzen nicht kontrolliert wer- den können und nicht geachtet werden, dass Grenzen dort willkürliche Linien sind, die nicht vernünftig kon- trolliert werden können. Wenn Sie weiter aufgepasst hätten, wüssten Sie auch, dass wir mit der Verstärkung des Schiffseinsatzes im Be- reich der Küstenwacht einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass die internationalen Handelswege, der inter- nationale Seeverkehr, vor Bedrohungen durch Piraten, Salafisten und allen möglichen anderen Hasardeure und Verbrecher, die dort unterwegs sind, geschützt sind. Das ist für Deutschland natürlich ein ganz wesentlicher Punkt. Als eine führende Welthandelsnation sind wir auf freie Handelswege angewiesen. Dazu müssen wir einen Beitrag leisten. Wenn das mit deutscher Technologie ge- schehen kann – deutsche Technologie wird nachgefragt; wir drängen sie niemandem auf –, dann bin ich als deut- scher Abgeordneter stolz darauf. Genauso wie wir in an- deren Hochtechnologiebereichen weltweit führend sind und deshalb die Produkte, ob Autos oder Werkzeugma- schinen, einen reißenden Absatz finden, sind wir auch in dem Bereich gut. Dass wir in der Handelsstatistik nur Dritte sind, zeigt, dass wir sehr zurückhaltend damit um- gehen. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Uns kommen die Tränen!) Sonst würden wir den Kampf um Platz eins und zwei mit den USA und der Sowjetunion sicher leicht aufnehmen können. (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Russland! Russ- land! Das ist Russland!) Die politischen Grundsätze, nach denen wir das alles handhaben, sind übrigens in rot-grüner Regierungszeit aufgestellt worden. Diese gelten nach wie vor. Sie wis- sen, dass es in diesem Bereich wie auch generell in der Außenpolitik bei uns eine bemerkenswerte Kontinuität gibt. (Zuruf von der LINKEN) Es geht um Ihr grundsätzliches Nein zum Militär, zu- mindest für Deutschland. Ob Sie das in anderen Teilen der Welt genauso sehen, weiß ich nicht. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Unverschämt- heit!) Ich erinnere mich noch an viele Äußerungen von Ihren Vorgängerorganisationen – die man ohne Probleme als fünfte Kolonne der Sowjetunion hier im Land bezeich- nen konnte –, die alles Mögliche, was an Interventionen, an Menschenrechtsunterdrückung seitens der Sowjet- union in der Welt stattfand, fröhlich bejubelt haben und Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 8181 Klaus-Peter Willsch (A) (C) (D)(B) ansonsten hier das Geschäft im ideologischen Kampf für die falsche Seite besorgt haben. (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Reden Sie mal zum Antrag!) Ich will Ihnen zeigen, wie weit wir mit unserer Zu- rückhaltung gehen. Nehmen Sie als Beispiel die Repu- blik China, Taiwan – ein freies Land, ein Leuchtturm der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Asien. Wir liefern nicht dorthin. Die USA tun es, und zwar – das will ich dazu sagen – glücklicherweise; denn sonst hätte Taiwan wahrscheinlich schon das gleiche traurige Schicksal wie Tibet ereilt. Ich will Sie, wenn Sie hier im Bundestag immer wie- der diese Platte auflegen, auch daran erinnern, was Ihre Kollegen vor Ort in Wolgast dazu gesagt hätten, wenn der Auftrag für die Grenzpatrouillenschiffe für Saudi- Arabien nicht gekommen wäre. Dann wären dort die Lichter ausgegangen, und die Werft wäre heute ge- schlossen. (Karin Binder [DIE LINKE]: Darum geht es ja! Um Konversion! Damit die Lichter nicht ausgehen!) – Natürlich geht es darum. – Sie müssen sich einfach da- ran gewöhnen, dass die Wirklichkeit – auch wenn Sie sie immer wieder abstreiten – mächtiger ist als Ihr Gerede. Sie müssen den alten Grundsatz beherzigen: Schauen Sie sich die Wirklichkeit an, dann sehen Sie, was nottut. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Ihre Wirklichkeit ist auch ein bisschen schief!) Wir haben gegenwärtig eine Situation, in der wir uns über einen Mangel an außenpolitischen Brennpunkten nicht beklagen können. (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Wissen Sie ei- gentlich, was Sie da reden?) Es gab einen Angriff auf die Ukraine mit der Annexion der Krim, und es gibt eine anhaltende Destabilisierung der Ostukraine. Dort kämpfen russische Kräfte. Dies wäre wahrscheinlich nicht passiert, wenn sich die Ukraine seinerzeit nicht darauf eingelassen hätte, gegen Garantie auf die eigenen Atomwaffen zu verzichten. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Ach!) Dann wäre solch ein Angriff nicht so leicht erfolgt. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Atomwaffen für alle, oder was ist das?) Wir erleben, dass wir vor gewaltigen Herausforderun- gen in puncto Sicherheit und Verteidigung stehen. Wenn wir nach Afrika schauen, wenn wir in den Mittleren Osten schauen, sehen wir, mit welcher Brutalität und Ri- gorosität dort Kräfte wie IS, Boko Haram und andere vorgehen, die – wie hat es Cem Özdemir gesagt? – wahr- scheinlich nicht in einem Stuhlkreis zu bewegen sind, sondern nur mit Waffengewalt. Sie können weiter Ihre Träume von Pflugscharen und Winzermessern träumen. Sie werden dort mit Pflugscharen und Winzermessern nichts erreichen. Sie werden das Schwert und das Feuer brauchen, um das zu beenden. Ich will, um das Thema noch etwas auszuweiten, sa- gen, dass wir uns überlegen müssen, ob wir eigentlich für die Verteidigung genug tun. Ich bin den Kollegen von der CSU – leider ist in dieser Debatte kein CSU- Redner angemeldet – dankbar, dass sie auf ihrer Klau- surtagung dieses Thema in den Mittelpunkt gerückt ha- ben. Wir sind von unserer Verpflichtung, die wir in der NATO eingegangen sind, 2 Prozent des BIP für Verteidi- gung auszugeben, weit entfernt. Wir erleben, dass Län- der wie Schweden und Finnland, die immer der klassi- sche Inbegriff von sogenannten Friedensländern waren, die wenig Wert auf militärische Stärke gelegt haben, da- rüber nachdenken und auch schon darangehen, die Ver- teidigungsausgaben zu erhöhen, weil die Bedrohung in der Welt größer geworden ist. (Karin Binder [DIE LINKE]: Ja, die Russen kommen!) In einer solchen Situation kommen Sie mit dem Vor- schlag, dass wir unsere Rüstungsindustrie abschaffen sollen. Wir sind stolz und froh, dass wir sie haben. Wir versuchen, ihr zu helfen, wo wir können. (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Das kriegen wir mit im Ausschuss!) Wir dürfen nicht zulassen, dass wir schutzlos werden und dass wir keine Bündnisfähigkeit mehr haben. Letzter Gedanke. Wir alle miteinander haben im Ja- nuar des 70. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz gedacht. Auch diese Befreiung ist nicht mit Pflugscharen oder was weiß ich was durchgeführt worden, sondern von einer kampfkräftigen Armee. Da schlägt es dem Fass den Boden aus, dass von Ihnen, wenn wir sehen, wie der französische Präsident Hollande und unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel momentan versuchen, eine Friedenslösung für die Ukraine hinzubekommen, der Vorschlag kommt, dass Putin zum 70. Jahrestag des Kriegsendes vor diesem Haus reden soll. Das schlägt dem Fass wirklich den Boden aus und zeigt, dass Sie nichts aus der Geschichte gelernt haben, sondern – im Gegenteil – so wie Ihre Vorgängerpartei nach wie vor als fünfte Kolonne Moskaus zu bezeichnen sind. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD – Widerspruch bei der LIN- KEN – Zurufe von der LINKEN: Oh, super! – Sehr originell! – Törö!) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten Katharina Dröge, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Linken zur Rüstungskonver- sion wirft einige Fragen auf, über die wir hier im Bun- destag tatsächlich diskutieren sollten. Allerdings – das 8182 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 Katharina Dröge (A) (C) (D)(B) muss ich vorwegschicken –: Ihre Antwort in diesem An- trag überzeugt mich so nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Richtig ist, dass wir hier im Bundestag darüber disku- tieren müssen, dass es auf dem europäischen Rüstungs- markt veränderte Rahmenbedingungen gibt. Seit langem ist der Trend festzustellen, dass sowohl die europäischen Staaten als auch die NATO-Staaten insgesamt ihre Ver- teidigungsetats konsolidieren wollen und angekündigt haben, ihre Militärausgaben zu kürzen. Aus grüner Sicht ist das eine gute und richtige Entwicklung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Frage ist nur: Wie lautet die Antwort der Bundes- regierung darauf? In keinster Weise – weder sicherheits- politisch noch menschenrechtlich – wäre es verantwort- lich, wenn die deutsche Rüstungsindustrie, weil der Umfang ihrer Ausfuhren gegebenenfalls stagniert, ihre Ausfuhren in sogenannte Drittstaaten, insbesondere in autoritäre Regime im Nahen Osten, steigern würde. In keinster Weise wäre es verantwortlich, wenn der Bun- dessicherheitsrat diese Exportpolitik durch eine gezielte Missinterpretation der Rüstungsexportrichtlinien auch noch unterstützt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Genau diese Entwicklung ist bei Genehmigungen des Bundessicherheitsrates jedoch immer wieder zu be- obachten. Erst diese Woche hat die Bundesregierung im Wirtschaftsausschuss die neueste Ausfuhrliste des Bun- dessicherheitsrates vorgestellt. Auf dieser Liste stehen Radargeräte, Software und Technologien für Grenz- sicherungssysteme, Zieldarstellungsgeräte und Schieß- simulationssysteme, die nach Saudi-Arabien geliefert werden. Herr Willsch, Sie haben hier gesagt, dass all die Gü- ter, die wir nach Saudi-Arabien liefern, nicht zum Zwe- cke der Repression gegenüber der eigenen Bevölkerung eingesetzt werden. Schauen Sie sich die Schießsimula- tionssysteme, die zur Ausbildung von Scharfschützen eingesetzt werden können, einmal an. Können Sie mir wirklich mit Sicherheit sagen bzw. mir garantieren, dass diese Ausbildung nicht auch für Repressionen im eige- nen Land genutzt werden kann? Die Bundesregierung konnte mir diese Frage im Wirtschaftsausschuss nicht klar beantworten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Zur Bilanz Ihrer noch sehr kurzen Regierungszeit ge- hört auch – das muss man einfach so feststellen –, dass die Lieferung einer Panzerfabrik nach Saudi-Arabien ge- nehmigt wurde, ebenso die Lieferung Tausender Klein- waffen in den Jemen, nach Saudi-Arabien, Indonesien, in den Oman und in die Vereinigten Arabischen Emirate, sowie die Bürgschaft für Patrouillenboote für Saudi-Ara- bien. All das gehört zur Bilanz Ihrer Regierungszeit. Da helfen auch die Berichte von vor zwei Wochen nicht, dass Sie einen Stopp für Rüstungsexporte nach Saudi- Arabien verhängen wollen. Die Zahlen, die Sie uns im- mer wieder präsentieren, sprechen eine andere Sprache, und nur die können wir interpretieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Aus meiner Sicht missachten Sie mit Ihrer Politik in verantwortungsloser Weise Ihre eigenen Rüstungsexport- richtlinien, zu deren Einhaltung Sie sich im Koalitions- vertrag verpflichtet haben. Ich kann Sie nur daran erin- nern: Rüstungsexporte in Drittstaaten müssen eine Ausnahme bleiben. Solche Exporte dürfen keinesfalls genehmigt werden, wenn die Sorge besteht, dass diese Güter im Landesinneren für Repressionen gegen die eigene Bevölkerung oder in einer bedenklichen Men- schenrechtslage genutzt werden. Ich muss Sie ganz ernsthaft fragen: Wollen wir wirklich miteinander über die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien diskutieren? Besteht für irgendwen in diesem Parlament ein Zweifel an der Menschenrechtslage in Saudi-Arabien? Aus meiner Sicht passiert hier etwas anderes. Aus meiner Sicht stellen Sie, obwohl es Ihre eigenen Grund- sätze ausschließen, doch Wirtschaft und Arbeitsplatzef- fekte vor menschenrechtliche Erwägungen. Dabei hat selbst Ihr Wirtschaftsminister gesagt, diese Argumente dürften im Kern nicht Leitlinie unserer Außen- und Si- cherheitspolitik sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb kann ich wirklich nur an Sie appellieren: Entwi- ckeln Sie eine vernünftige Gesamtstrategie für die Rüs- tungspolitik und die europäische Rüstungswirtschaft! Analysieren Sie: Welche sind die betroffenen Industrien und die Zulieferunternehmen, die von einem Absatz- rückgang gegebenenfalls betroffen wären? Welche In- dustrien und welche Technologien sind in der Europäi- schen Union sicherheitspolitisch relevant? Wo ergeben sich auch auf europäischer Ebene Synergieeffekte? Denn wir brauchen mit Sicherheit nicht in jedem EU-Mitglied- staat eigene Werften, um den begrenzten Bedarf an Schiffen und Marine innerhalb der EU zu befriedigen. Wenn Sie all das analysieren, dann ergibt sich daraus, dass man auch den Umbau der Rüstungsindustrie in zi- vile Wirtschaftszweige fördern kann. Darüber reden wir selbstverständlich – das hat die IG Metall ja auch gefor- dert – mit den Gewerkschaften und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in diesen Betrieben. Den Vorschlag der Linken, hierfür 2,5 Milliarden Euro an öffentlichen Geldern in die Hand zu nehmen, halte ich allerdings für völlig verfehlt. Wir können das Geld der Steuerzahler schon für sinnvollere Investitio- nen in Deutschland ausgeben. (Zuruf von der LINKEN) Wichtig ist, die Rüstungsindustrie selbst in die Verant- wortung zu nehmen, einen entsprechenden Umbau zu gestalten. Dazu braucht es endlich klare Signale von der Bundesregierung, dass wir die eigenen Rüstungsexport- richtlinien ernst nehmen. Dann hat nämlich auch die Rüstungsindustrie Planungssicherheit, weil klar ist, dass es keine neuen Absatzmärkte in Drittstaaten geben wird Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 8183 Katharina Dröge (A) (C) (D)(B) und somit auch ein entsprechender Umbau dieser Be- triebsteile notwendig ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Bernd Westphal für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bernd Westphal (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie schön wäre es, wenn man auf der Welt Frieden ohne Waffen schaffen könnte. Die Realität sieht leider oft an- ders aus. Das ignorieren Sie von der Linken leider in Ih- rem Antrag. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Wir glauben an Veränderung!) Die Welt ist eben nicht so, wie wir sie uns wünschen. Das zeigt die Lage in den Krisenregionen der Welt, ak- tuell in der Ukraine, das zeigen aber auch die barbari- schen Zustände im Nordirak und anderswo in der Welt. Es gibt weltweit einen Bedarf an Waffen, um sich zu schützen. Deshalb werden Waffen produziert und auch exportiert. In Deutschland benötigen wir Waffen für die Bundeswehr zur Landesverteidigung, aber auch für die Polizei und die Sicherheitswirtschaft (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Landesverteidi- gung?) und darüber hinaus zur Wahrnehmung unserer interna- tionalen Verantwortung in den Bündnissen, deren Ver- pflichtungen wir nachkommen müssen. Deshalb brau- chen wir Rüstungsgüter, die die Länder vor Ort besitzen und die in den Regionen zur Absicherung und Abschre- ckung angewendet werden können. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Sie fordern in Ihrem Antrag „Konversion der Rüs- tungsindustrie in zivile Wirtschaftsbereiche“. Das ist – das sage ich Ihnen – erst einmal ausschließlich Sache der Unternehmen. Diese müssen entscheiden, für welche Produkte sie Produktionslinien aufbauen und welche Technologien sie anreizen. (Zuruf von der LINKEN) 2010 hat das Bundeswirtschaftsministerium ein in- dustriepolitisches Konzept beschlossen, welches zur Stär- kung der zivilen Sicherheitswirtschaft in Deutschland beiträgt. Dieses Konzept wird von zahlreichen Unter- nehmen der Branche auch genutzt. Es sichert nämlich ein zweites Standbein außerhalb der Wehrtechnik. Derzeit erarbeitet das Wirtschaftsministerium gemein- sam mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundesvertei- digungsministerium ein Strategiepapier zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in Deutschland. Ein wichtiger Aspekt dabei ist, Unternehmen der Sicher- heits- und Verteidigungsbranche den Einstieg in den Bereich der zivilen Sicherheitstechnologien oder deren Weiterentwicklung zu ermöglichen. (Beifall bei der SPD) Das Ministerium hat in diesem Jahr auch ein auf zwei Jahre angelegtes Innovationsförderprogramm im Um- fang von 7,5 Millionen Euro pro Jahr gestartet. Es soll Unternehmen ebenfalls den Umstieg auf die Herstellung von zivilen Gütern erleichtern. Die weltweite Bedeutung der Märkte für zivile Si- cherheitstechnologie ist in den letzten Jahrzehnten enorm gewachsen. Zahlreiche Unternehmen aus Deutschland, auch aus dem Bereich der Verteidigungsindustrie, neh- men weltweit eben wegen ihrer technologischen Ent- wicklungen einen Spitzenplatz ein. Diese auf Abwehr und Schutz ausgerichtete Technologie ist weltweit nach- gefragt. Sie fordern weiter die Umwidmung militärischer Lie- genschaften. Im Koalitionsvertrag wurde eine verbilligte Abgabe von ehemals militärisch genutzten Grundstü- cken vereinbart. Die Abgabe soll „mit Rücksicht auf die vielen am Gemeinwohl orientierten Vorhaben der Kom- munen, wie der Schaffung bezahlbaren Wohnraums und einer lebendigen Stadt, … realisiert“ werden. Für die nächsten vier Jahre stehen dafür 100 Millionen Euro zur Verfügung. Der Bund unterstützt die Länder auch bereits in erheblichem Umfang im Rahmen der Mittelansätze bestehender Förderprogramme. Ebenso räumt der Bund den von Konversion betroffenen Gebietskörperschaften auch den Erstzugriff auf diese Liegenschaften ein. In meinem Wahlkreis waren einmal fünf Kasernen. Diese sind umgewidmet worden. Heute befinden sich an deren Stelle Gewerbebereiche, in denen sich Handwerk ansiedelt, kulturelle Nachnutzungen, aber auch in erheb- lichem Maße Naturschutzflächen. Das zeigt, dass wir nicht bei null anfangen, sondern schon Erhebliches ge- schafft haben. In den letzten 25 Jahren ist viel passiert. Vor diesem Hintergrund ist Ihr Antrag etwas eigentüm- lich formuliert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nun zu den Arbeitsplätzen: Unser Wirtschaftsminister hat im September vergangenen Jahres einen ersten Bran- chendialog mit den Unternehmen der Sicherheits- und Verteidigungswirtschaft aufgenommen. Auch IG Metall und Betriebsräte sind selbstverständlich eingebunden. Der Dialog hat zum Ziel, Maßnahmen zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in Deutschland gemäß den Festlegungen im Koalitionsvertrag zu disku- tieren. Auch das Thema Diversifizierung wurde erörtert. Im März findet ein weiterer Dialog zu diesem Thema statt. Wie man sieht, ist dieser intensive Dialog für So- zialdemokraten selbstverständlich und bedarf nicht erst des Impulses oder eines Antrages der Linken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland ver- folgt nicht das Ziel eines offensiven Verkaufs von Wehr- technik. Genau das sind die Grundsätze von 2000, die auch heute noch das Regierungshandeln bestimmen. Sie 8184 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 Bernd Westphal (A) (C) (D)(B) sind restriktiv. Rüstungs- und Verteidigungsgüter wer- den nur zurückhaltend eingesetzt. Sie werden eben nicht eingesetzt, um Konflikte weltweit zu erzeugen oder wei- ter anzuheizen, sondern sie dienen dem Frieden und der Durchsetzung von Menschenrechten. Sie dienen der Si- cherheit von Regionen. Sie dienen dem berechtigten Schutz von Menschen, und vor allen Dingen helfen sie – das ist wichtig –, geschützte Räume für den Einsatz von Hilfskräften zu garantieren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Linke fordert in ihrem Antrag eine Zwangskon- version aller Rüstungsbetriebe. Das werden wir ableh- nen. Für die SPD geht es schwerpunktmäßig um Kon- versionsprogramme für Betriebe, die sich aufgrund fehlender Nachfrage oder aus anderen Gründen verän- dern wollen. Die Forderungen der Linken zeigen, dass Sie die außen- und sicherheitspolitischen sowie die indus- trie- und europapolitischen Realitäten nicht zur Kenntnis nehmen. Die Fokussierung auf die Abschaffung und die teilweise Diffamierung der Sicherheits- und Verteidi- gungsindustrie durch die Linken ist der falsche Weg. Sie verstellt den Blick auf das Engagement unseres Landes für Frieden in der Welt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Unterstrichen wird dies vor allen Dingen durch den Fokus unseres außen- und sicherheitspolitischen Han- delns: Erst wenn alle vorgeschalteten Maßnahmen aus- geschöpft sind, ist der Einsatz militärischer Mittel mög- lich. Der Außenminister hat ja heute Morgen sehr eindrücklich hier im Haus vorgestellt, welche Friedens- initiativen und präventiven Maßnahmen eingeleitet wer- den. Das muss man honorieren. Das darf man nicht ein- seitig betrachten. Kurt Schumacher hat einmal gesagt: Nichts ist lehrreicher als die Wirklichkeit. – Diese Er- kenntnis wünsche ich Ihnen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Ingbert Liebing für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Ingbert Liebing (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- legen! Ich bin der Fraktion Die Linke ausgesprochen dankbar für diesen Antrag; (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Gern gesche- hen!) denn er dokumentiert eindrucksvoll, wie weit entfernt von der Wirklichkeit Sie Ihre Politik in diesem Land und in der Welt gestalten. (Beifall bei der CDU/CSU) Dieser Antrag dokumentiert, dass Sie alles andere als regierungsfähig sind. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Sie haben nur Angst! Das ist alles!) Dies sollte für die Sozialdemokraten und die Grünen An- lass sein, alle Gedankenspiele über eine gemeinsame Politik mit Ihnen zu beenden. Die Vorschläge in Ihrem Antrag stellen unsere nationalen Sicherheitsinteressen infrage und sind damit verantwortungslos. Dass Sie die- sen Antrag stellen, verwundert nicht, da Sie schon lange die Auflösung der NATO in Ihrem Programm haben. (Beifall der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) Man mag ja von einer Welt ohne Krieg träumen, aber die Wirklichkeit sieht nun einmal anders aus. Wir wis- sen: Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklich- keit. Im Moment erleben wir das Gegenteil. Gerade die jüngste Vergangenheit zeigt doch, dass wir in verschie- denen Regionen der Welt eine zunehmende Radikalisie- rung mit kriegerischen Auseinandersetzungen erleben müssen: Der Irak, Syrien und viele Regionen Afrikas sind dafür traurige Beispiele. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was waren denn die Ursachen? – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Und deutsche Waffen sind überall dabei!) Aber nicht die Waffen sind dafür die Ursache, sondern die Tatsache, dass Menschen glauben, anderen Men- schen und anderen Völkern ihre Ideologie oder ihre Reli- gion aufzwingen zu können. Das ist die Ursache, die wir angehen müssen, um ein friedliches Miteinander, Tole- ranz, die Achtung weltweiter Menschenrechte, Reli- gionsfreiheit und den Schutz von Minderheiten durchzu- setzen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD – Katja Keul [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aha!) Darüber haben wir ja auch heute Morgen hier im Plenum diskutiert. Die Bundesregierung und wir als Unionsfraktion stel- len uns dieser Aufgabe. Dabei brauchen wir keine Nach- hilfe von den Linken. (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Jawohl! – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Oh doch!) Aber solange es diese Auseinandersetzungen in vielen Regionen dieser Welt gibt, muss das oberste Gebot sein, die Sicherheit und das Leben der Menschen zu schützen, die bedroht sind. Dazu bedarf es auch der eigenen Wehr- haftigkeit. Dafür haben wir hier in Deutschland die Bundeswehr mit ihren Fähigkeiten. Gemeinsam mit unseren Partnern wollen wir weltweit Krisen eindämmen und für Sicher- heit sorgen. Die Initiative der Linken zur Abschaffung der wehrtechnischen Industrie in Deutschland gefährdet genau diese nationalen Interessen. Es liegt in unserem nationalen Interesse, dass wir ent- scheiden, welche Ausrüstungsgegenstände die Bundes- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 8185 Ingbert Liebing (A) (C) (D)(B) wehr braucht. Wir können es nicht allein einem Markt überlassen, auf dem wir die Ausrüstungsgegenstände der Bundeswehr beschaffen. Dies würde uns von anderen abhängig machen. Sicherheitstechnische Ausrüstung lässt sich nun einmal nicht von der Stange kaufen oder im On- lineshop erwerben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Nein, wir selbst müssen im eigenen Land in der Lage sein, die Ausrüstungsgegenstände und Technologien zu beschaffen, die unsere Armee braucht. Dabei ist es sinn- voll, dies in guter Kooperation gemeinsam mit unseren Partnern in der EU und in der NATO zu tun, aber eben nicht in Abhängigkeit von anderen. Die Beschränkung der wehrtechnischen Industrie al- lein auf die Ausrüstung der Bundeswehr greift dabei aber zu kurz. Allein von Aufträgen der Bundeswehr kann kein wehrtechnisches Unternehmen leben. So ist die deutsche wehrtechnische Industrie bereits heute zu circa 50 bis 70 Prozent vom Export abhängig. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) Dabei unterliegt der Export von Rüstungsgütern sehr hohen Hürden. Die Richtlinien, die schon angesprochen worden sind, stammen aus dem Jahr 2000. Sie gelten nach wie vor. Sie wurden von einer rot-grünen Regie- rung beschlossen. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ja, leider!) Auf dieser Basis erfolgen heutige Entscheidungen über Rüstungsexporte. Ich denke, dass diese Richtlinien, von Rot-Grün eingeführt, nicht unter dem Verdacht stehen, nur einseitig wirtschaftliche Interessen zu bedienen. Das Gegenteil ist der Fall. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die wehrtechnische Industrie stellt sicherlich einen wichtigen wirtschaftlichen Faktor dar. Die Arbeitsplätze in den Unternehmen sind wichtig und zum Beispiel ge- rade in den Küstenländern mit den Werften nicht zu ver- achten. Der Marineschiffbau ist für viele Werften eine wichtige wirtschaftliche Grundlage. Aber die Sicherung der Arbeitsplätze ist eben nicht das entscheidende Argu- ment für die wehrtechnische Industrie. Entscheidend dafür, nationale wehrtechnische Schlüs- seltechnologien und erforderliche industrielle Kapazitä- ten zu erhalten, sind sicherheitspolitische Ziele. Sie erge- ben sich aus einer Reihe von Gründen. Deutschland braucht die Möglichkeit, die Ausstattung der Streitkräfte im eigenen Land und im Bündnis gemeinsam mit den strategischen Partnern selbst sicherzustellen. Es geht auch darum, dass wir unsere eigene rüstungs- technische Reaktionsfähigkeit auf sicherheitspolitische Veränderungen erhalten. Nur mit einer eigenen nationa- len Rüstungsindustrie können wir im Rahmen der euro- päischen und der transatlantischen Rüstungsbeziehungen eigene Interessen einbringen. Nur wer etwas einzubrin- gen hat, der kann in Verhandlungen seine Position er- folgreich vertreten. (Beifall bei der CDU/CSU) Ohne all diese Fähigkeiten würden wir in Abhängigkei- ten geraten, die nicht in unserem nationalen Interesse lie- gen können. Die Wehrtechnik in Deutschland ist leistungsfähig. Diese 200 Unternehmen stehen für hohe technologische und ökonomische Kompetenz. Die Zahl von 200 Unter- nehmen belegt auch die mittelständische Struktur der wehrtechnischen Industrie. Es gibt keineswegs eine Kon- zentration auf wenige Großkonzerne. Dies alles können und dürfen wir nicht aufs Spiel setzen und gefährden, wie es die Fraktion Die Linke in ihrem Antrag fordert. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Liebing, gestatten Sie eine Frage oder Be- merkung der Kollegin Keul? Ingbert Liebing (CDU/CSU): Ja, bitte. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei all dem Stolz, Herr Kollege, auf die Leistungen der deutschen Rüstungsindustrie frage ich mich: An was denken Sie da konkret? A400M oder NH90, Euro Hawk oder G36? (Beifall bei der LINKEN) Aber ich hatte mich gemeldet, weil Sie eben in der Frage der Entwicklung von Rüstungsgütern völlig zu Recht sicherheitspolitische Erwägungen vorrangig be- tont haben. Deswegen frage ich Sie, warum Sie dann dagegen sind, dass wir dieses Thema im Verteidigungs- ausschuss unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten debattieren, und auf Überweisung in den Wirtschaftsaus- schuss bestehen, obwohl wir doch sinnvollerweise sagen müssten: Im Verteidigungsausschuss ist dieses Thema richtig. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN) Ingbert Liebing (CDU/CSU): Es ist gar keine Frage, dass es hier zu Überschneidun- gen der verschiedenen Themenbereiche kommt. Aber der Antrag der Linken ist so formuliert, dass er auf ein wirtschaftliches Programm hinausläuft. (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Nein!) Bei diesem Antrag zu Rüstungskonversion und Wirt- schaftsprogrammen ist es logisch, ihn federführend in den Wirtschaftsausschuss zu überweisen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD – Katrin Kunert [DIE LINKE]: Nein! Dann haben Sie ihn nicht gelesen!) Der Antrag der Linken fordert auch ein Konversions- programm. Mit der Umstrukturierung der Bundeswehr werden zunehmend Liegenschaften frei. Es ist seit vielen Jahren ein gängiges Geschäft, für angemessene Nachfol- gelösungen zu sorgen. Dabei geht es nicht nur um Geld. Schließlich gibt es einzelne ehemalige militärische Lie- genschaften in attraktiven Innenstadtlagen, bei denen es 8186 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 Ingbert Liebing (A) (C) (D)(B) überhaupt keine Probleme bei der Nachfolgenutzung gibt. Andererseits gibt es aber auch sogenannte Einöd- standorte, bei denen die Verwertung schon schwieriger wird. Hier müssen alle Beteiligten zusammenwirken. Die Standortgemeinden brauchen Unterstützung. Wir leisten sie mit unserer Konversionspolitik. Wie es aber nicht laufen sollte, erlebe ich an einem Beispiel in meinem eigenen Wahlkreis. In Leck hat die Bundeswehr einen Militärflugplatz aufgegeben. Die Ge- meinde hat ein attraktives wirtschaftliches und gewerbli- ches Nachfolgenutzungskonzept entwickelt. Es gibt In- teressenten, die sich dort ansiedeln wollen. Was aber macht die Landesregierung in Kiel? Der Umweltminister stellt diesen Flugplatz erst einmal vorläufig unter Natur- schutz sicher. Das ist natürlich eine tolle Konversion hin zu ziviler Nachfolgenutzung und wirtschaftlicher Ent- wicklung. Die Leute dort sprechen von „Wolferwar- tungsland“, was dort geschaffen wird. Ich stelle mir Konversion anders vor. (Beifall bei der CDU/CSU) Der Antrag der Linken ist kein ernsthafter Beitrag zur Lösung der Probleme unserer Zeit, weder sicherheits- politisch noch wirtschaftspolitisch. Er dokumentiert, dass wir hier eben grundsätzlich unterschiedlicher Auf- fassung sind. Es ist gut, dass die Koalition aus Union und SPD sich in ihrem Koalitionsvertrag zu einer innovativen leis- tungs- und wettbewerbsfähigen nationalen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie bekennt. Deswegen wollen wir ausgewählte Schlüsseltechnologien erhalten und in- dustrielle Fähigkeiten in unserem Land in diesem Sektor bewahren. Dies alles wird jetzt regierungsintern ressort- übergreifend in eine umfassende Strategie gegossen, mit der wir unserer Verantwortung in diesem sensiblen Be- reich gerecht werden. Der Antrag der Linken ist dazu kein reeller Beitrag, und deswegen werden wir ihn auch ablehnen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Karl-Heinz Brunner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Verehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Kollegin Kunert, ich frage mich schon: Kön- nen Sie die Energie, die Sie in Anträge wie diesen ste- cken, nicht sinnvoller einsetzen? (Beifall bei der SPD – Stefan Liebich [DIE LINKE]: War doch sinnvoll! – Katrin Kunert [DIE LINKE]: Wenn Ihnen die Energie fehlt, ist das nicht unser Problem!) Ich weiß, dass die Opposition Fragen stellen, Gegen- entwürfe präsentieren und Alternativen entwickeln muss. Sie muss auch dann die Debatte vorantreiben, wenn die Regierungskoalition, wie es gerade der Fall ist, hervorragende Arbeit leistet; Außenminister Frank- Walter Steinmeier hat dies heute Morgen eindrucksvoll gezeigt. (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Wie viel Zeit haben Sie denn in Ihre Rede gesteckt?) Dass dies durchaus geht, zeigen manche Beiträge der Grünen; wobei der sehr flott vorgetragene Beitrag der Kollegin Dröge mich dann doch manchmal ein bisschen ins Zaudern gebracht hat. Was heute aus der linken Ecke des Hohen Hauses dröhnt, bringt beim besten Willen niemanden weiter, we- der in der Sicherheits- noch in der Verteidigungs- und Rüstungspolitik und schon gar nicht in der Friedenspoli- tik. Der Antrag, den Sie zu einer sogenannten Friedens- wirtschaft vorlegen, ist nichts anderes als – so möchte ich es bezeichnen – ein selbstgefälliges, populistisches Potpourri Ihrer schlechten Laune in Bezug auf die Si- cherheits- und Verteidigungspolitik dieses Landes. (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Bei Ihnen kann man nur schlechte Laune kriegen; das muss ich mal sagen! Ein bisschen Mühe hätten Sie sich inhaltlich geben können!) Ihr Antrag spricht den wirklich für Frieden und Si- cherheit engagierten Menschen dieses Landes einfach nur Hohn. Er schafft Unsicherheit und ignoriert die Leis- tungen und Bemühungen der Bundesregierung. Das könnte man ja noch gelassen hinnehmen. Jedoch igno- riert er nicht nur die Fakten, sondern auch die Bedürf- nisse der Menschen dieses Landes. Machen wir doch einmal einen kleinen Faktencheck: Erstens. Sie fordern ein nationales Programm zur Umwandlung der Rüstungsindustrie in zivile Bereiche. (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Richtig!) Das haben wir doch bereits. Konkret setzt sich das Wirt- schaftsministerium dafür ein, dass Unternehmen des Verteidigungssektors ein zweites ziviles Standbein auf- bauen, und zwar nicht nur mit Worten, sondern mit Geld. Unter anderem gibt es seit diesem Jahr ein zusätzliches Innovationsförderprogramm mit einem jährlichen Volu- men von 7,5 Millionen Euro, das den Umstieg erleich- tern soll. Nicht vergessen dürfen wir die gemeinsame Strategie des Auswärtigen Amts und des Verteidigungs- und Wirtschaftsministeriums, die gerade in Arbeit ist, um die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in Deutschland zu stäken. Zweitens. Sie fordern, ungenutzte Liegenschaften der Bundeswehr günstig zu verkaufen. Das tun wir bereits. Seit 2002 haben die Städte, Märkte, Gemeinden und Kreise ein Erstzugriffsrecht. Weil es manchmal hakte, wird man außerdem ab 2015 noch einen Schritt weiter- gehen. Die Veräußerungsrichtlinien der BImA werden so geändert – so sieht es der Haushaltsausschuss vor –, dass der verbilligte Verkauf an die Kommunen ermöglicht Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 8187 Dr. Karl-Heinz Brunner (A) (C) (D)(B) wird. Ich bin gespannt, ob die Linke dem dann zustim- men wird oder bei ihrer Phobie gegenüber allem, was von der Bundeswehr kommt, wieder die bekannten Re- flexe zeigen wird. Drittens. Sie fordern einen Branchenrat „Wehr- und Sicherheitstechnik“. Der Kollege Westphal hat dazu be- reits ausgeführt, dass wir den bereits haben. Ich habe lei- der nur fünf Minuten Redezeit, deshalb lasse ich es blei- ben, dies Punkt für Punkt vorzutragen. Meine Kolleginnen und Kollegen, ich bin es irgend- wie leid, die Linken aufzuklären. Es erzürnt mich, dass sie mit der Angst ihr Spiel treiben. Das Schüren einer diffusen Angst folgt dem Gedanken, dass alles, was die Bundeswehr macht, was von ihr kommt und was sie braucht, böse sei. Wir brauchen aber eine ernsthafte Auseinanderset- zung mit den konkreten Sicherheitsfragen unserer Zeit. Wir brauchen eine echte Debatte über Rüstungsexporte und Rüstungswirtschaft in Deutschland; dabei können wir nicht ignorieren, dass wir gemeinsam mit UNO und NATO in Verantwortung stehen. Wir können nun einmal sehr gute Gefechtsfahrzeuge herstellen, und unsere Ra- ketenabwehr und unsere U-Boote leisten einen Beitrag, dieser Verantwortung nachzukommen. Das heißt nicht, dass wir unsere Soldatinnen und Sol- daten überall hinschicken. Für manche mag es überra- schend sein: Aber gerade ein funktionierendes Militär kann Puffer sein, kann abschrecken, kann Konflikte ver- hindern und Frieden bewahren. Diese Wahrheit zu sa- gen, ist unsere Verantwortung. Dies zu vertreten, erwar- ten, glaube ich, die Menschen dieses Landes von uns. Kolleginnen und Kollegen, merken Sie sich: Schlim- mer als Lügen sind Halbwahrheiten, ist diffuse Angst- macherei. Dieser Antrag liest sich fast wie ein lustiger Trolleintrag voller Halbwahrheiten auf Facebook. Es fehlen nur noch die Bildchen von traurigen Kätzchen und den Links zu YouTube-Videos von Russia Today unter der Überschrift „Muss man wissen“. Meine Kolleginnen und Kollegen, zu einer echten De- batte um Rüstungstechnologie und Rüstungsexporte sa- gen wir: Ja, gerne. – Zu diesem Antrag sagen wir Nein. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/2883 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Federführung beim Ausschuss für Wirt- schaft und Energie, die Fraktion Die Linke wünscht Fe- derführung beim Verteidigungsausschuss. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Die Linke – Federführung beim Verteidigungs- ausschuss – abstimmen. Wer stimmt für diesen Überwei- sungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD – Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie – abstim- men. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Über- weisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitions- fraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniela Ludwig, Barbara Lanzinger, Klaus Brähmig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, Hiltrud Lotze, Burkhard Blienert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Kulturtourismus in den Regionen weiterent- wickeln Drucksache 18/3914 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Tourismus (f) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle- gin Gabriele Hiller-Ohm für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich sehr, dass wir heute über einen der wichtigsten Wirtschaftszweige in Deutschland sprechen, den Tourismus. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Nun gibt es viele Arten von Tourismus. Der von uns vor- gelegte Antrag befasst sich mit dem Kulturtourismus. Den wollen wir in Deutschland stärken. Sie denken jetzt vielleicht: Warum das denn? Der Kulturtourismus ist doch ein Selbstläufer. Deutschland ist inzwischen das Kulturreiseziel Nummer eins in Eu- ropa – vor Frankreich und Italien. – Ja, Sie haben recht: Wir haben in Deutschland einen wahren Schatz an Kul- tur: Museen, Theater, Opernhäuser, Festivals, Industrie- kultur und vieles mehr. Darüber hinaus haben wir ein un- glaublich reiches Weltkulturerbe, wie meine Heimatstadt Lübeck, deren Altstadt zum UNESCO-Welterbe gehört. Sie ist als Kulturhauptstadt des Nordens ein wahrer Be- suchermagnet. 8188 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 Gabriele Hiller-Ohm (A) (C) (D)(B) Auch viele andere Großstädte haben in den letzten Jahren überdurchschnittlich vom Tourismus profitiert. Hier funktioniert das Zusammenspiel von Kultur und Tourismus also hervorragend. Wie aber sieht es in den ländlichen Regionen aus? Auch sie haben ja einiges zu bieten, doch leider gelingt hier der Austausch nicht immer so gut. Das wollen wir jetzt ändern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir werden die Kultur und den Tourismus mit einer „Ini- tiative Kulturtourismus in den Regionen“ zum gegensei- tigen Nutzen stärker zusammenbringen. Das regionale Kulturangebot bietet oft wertvolle Al- leinstellungsmerkmale für die Vermarktung. Zugleich verschafft der Kulturtourismus den Kultureinrichtungen neue Zielgruppen, mehr Besucherinnen und Besucher und eine breitere Wahrnehmung. Das funktioniert aber nur, wenn die Akteurinnen und Akteure in der Kultur und im Tourismus die gleiche Sprache sprechen. Das ist oft nicht der Fall; denn die Kultur und der Tourismus ha- ben unterschiedliche Herangehensweisen: Museen und Kulturstätten wollen in erster Linie ein umfassendes the- matisches Angebot machen und die Kulturschätze mit- unter vor zu starkem Andrang schützen. Für Hotels, Res- taurants und Tourismusmarketing ist dagegen die Gästenachfrage das A und O, nach dem Motto: Je mehr, desto besser. Leider funktioniert auch die Zusammenarbeit von Stadt und Land oft nicht so gut. Wenn es gelingt, mehr Verständnis füreinander und einen fruchtbaren Aus- tausch der unterschiedlichen Interessen zu erreichen, kann nur Gutes daraus erwachsen – für die Urlauber ge- nauso wie für die Regionen und für die Menschen, die dort leben und arbeiten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir wollen mit unserer Initiative darüber hinaus dazu beitragen, dass nicht jede Gemeinde nur für sich um ih- ren eigenen kleinen Kirchturm herum touristisch wirkt. Wir schaffen Anreize und Möglichkeiten, sich überre- gional und über Landesgrenzen hinweg zu vernetzen. Um diese Herausforderung zu bewältigen, brauchen wir die Bundesregierung und unsere Tourismusbeauf- tragte. Ihre Aufgabe ist es nun, eine koordinierte „Initia- tive Kulturtourismus in den Regionen“ ins Leben zu ru- fen. Wichtigste Ziele hierbei sind: Erstens. Die Entwicklung guter Vermarktungskon- zepte für den Kulturtourismus soll gefördert werden. Zweitens. Wir wollen eine Plattform für strategisches kulturtouristisches Marketing entwickeln. Drittens. Mit einem Bundeswettbewerb sollen vor al- lem im ländlichen Raum kulturtouristische Projekte ini- tiiert werden. Viertens. Wir wollen insbesondere überregionale kul- turtouristische Projekte in jedem Bundesland modellhaft fördern, wenn sie besonders innovativ sind und einen barrierefreien Ansatz verfolgen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dieser Initiative bringen wir den Kulturtourismus bundesweit noch ein Stück weiter voran und verschaffen wir vielen Regionen neue Perspektiven. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dass das Thema auch in der Branche verstärkt im Trend liegt, macht unter anderem eine neue eigene Halle für Kulturtourismus auf der ITB im März deutlich. Wichtig ist uns auch, die herausragende Bedeutung des Tourismus noch stärker im Bewusstsein von Politik und Gesellschaft zu verankern. Immerhin ist der Touris- mus mit einer Wertschöpfung von rund 100 Milliarden Euro einer der wichtigsten Wirtschafts- und Wachstums- motoren, die wir in Deutschland haben, und er brummt, wie die aktuelle Jahresbilanz 2014 belegt. Der Deutsch- landtourismus hat mit 423 Millionen Übernachtungen zum fünften Mal in Folge ein Rekordergebnis eingefah- ren. Das sind satte 3 Prozent mehr. Dieses tolle Ergebnis ist natürlich nicht vom Himmel gefallen. Nein, es ist vor allem das Verdienst der fast 3 Millionen engagierten und fleißigen Arbeitnehmerin- nen und Arbeitnehmer in der Tourismusbranche. Ich freue mich deshalb sehr, dass wir uns jetzt endlich ein- mal ganz konkret bei ihnen bedanken können. Wir tun das mit dem gesetzlichen Mindestlohn, der seit Januar gilt und vor allem den Beschäftigten in der Tourismus- branche Verbesserungen bringen wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich bin mir sicher: Mit einer guten Lohnkultur klappt es noch besser mit Tourismus und Kultur vor allem in den Regionen. Danke. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin Kerstin Kassner das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Kerstin Kassner (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Kulturtourismus steckt in der Tat viel Mu- sik; er hat viel Potenzial. Deshalb war es mir in meiner Zeit als Landrätin auf Rügen sehr wichtig, alle Möglich- keiten zu nutzen, um die Wertschöpfung im Rahmen des Tourismus zu erhöhen. Wir auf der Insel Rügen sind sehr abhängig von Sonne, Strand und Sommer. Deshalb ist es wichtig, die Möglichkeit, die naturräumlichen und die kulturräumlichen Besonderheiten der Region in Wert zu setzen und damit die Umsatzrendite zu erhöhen, zu nut- zen. Unter anderem hat die Errichtung des Königsstuhl- Zentrums, eines informativen Erlebnisbereichs im Nati- onalpark Jasmund, dazu beigetragen, dass ganzjährig viel mehr Gäste dorthin kommen und sich mit Bildungs- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 8189 Kerstin Kassner (A) (C) (D)(B) angeboten für alle Generationen auseinandersetzen. Das ist ein wunderbarer Erfolg. (Beifall bei der LINKEN) Es gibt aber auch Privatinitiativen wie die Störtebeker- Festspiele, die ebenfalls sehr viele Gäste auf die Insel lo- cken und eine Bereicherung des Kulturkalenders darstel- len. Die Vernetzung aller Angebote, die es auf der Insel gibt, eröffnet die Möglichkeit, den Gästen Alternativen anzubieten und vieles andere, was die Insel ebenfalls ausmacht, erlebbar zu machen. (Beifall bei der LINKEN) Vor den Toren der Insel liegt die schöne, ehrwürdige Stadt Stralsund. Dort hat die Anerkennung als UNESCO-Welterbestadt einen riesigen Boom ausgelöst. (Frank Junge [SPD]: Und Wismar!) – Ja, Herr Kollege, auch Wismar hat eine solche Aner- kennung erhalten. – Die Tourismusbranche hat dadurch eine Belebung erfahren. Nicht zuletzt sind Museen etwas Wunderbares. Das Meereskundemuseum in Stralsund ist eines der interessantesten Museen. Die Erweiterung durch das Ozeaneum hat dazu geführt, dass viele Men- schen dieses Museum besuchen. Das ist gut für unsere Region. (Beifall bei der LINKEN) Nun haben die Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition einen Antrag vorgelegt. Hut ab! Darin stecken viel Fleiß und Arbeit. Aber das ist nicht genug. (Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Ach, Frau Kassner! Es ging so gut los!) Ich wünsche mir, dass Sie nicht so zaghaft sind. Das ha- ben Sie angesichts der vielen Stimmen, die Sie bekom- men haben, gar nicht nötig. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]) Sie müssen nicht nur begrüßen, feststellen und vielleicht ganz vorsichtig die Regierung bitten, zu prüfen, ob sich etwas verändern lässt. (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Machen wir doch gar nicht! – Gegenruf des Abg. Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie? Ihr macht das gar nicht?) Nein, Sie sollten ganz konkrete Forderungen stellen. Ich will einmal die Forderungen auflisten, die ich stellen würde, wenn ich an Ihrer Stelle in der Regierungsverant- wortung wäre. (Beifall bei der LINKEN) Ich würde zuallererst an die Menschen denken, die in den Bereichen Kunst und Kultur arbeiten. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, haben gesagt, dass der Mindestlohn das regeln wird. Nein, das wird er nicht; denn viele sind selbstständig und ringen darum, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Diese Menschen bedürfen unserer Hilfe, damit es gerechter zugeht. (Beifall bei der LINKEN) Der zweite ganz besonders wichtige Punkt, den ich an Ihrem Antrag bemängele, ist, dass Sie die Bundesregie- rung lediglich auffordern, zu prüfen, ob sie mit den Län- dern gemeinsam etwas erreichen kann. Das reicht nicht. Es ist natürlich so: Kultur fällt in den Aufgabenbereich der Länder; das ist auch richtig. Ich denke, das muss auch weiter so bleiben. Trotzdem bedarf es des ganz fes- ten Willens, dass zwischen Bund und Ländern etwas ver- ändert wird. Alle müssen auf der jeweiligen Stufe ihre Verantwortung wahrnehmen. (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte natürlich auch die Onlineplattform, die vieles vernetzt. Aber, liebe Leute, dazu müssen wir erst einmal erreichen, dass alle diese Möglichkeit nutzen können. Gerade im ländlichen Raum haben wir da abso- lute Defizite. (Beifall bei der LINKEN) Ein ganz besonderes Anliegen ist mir immer das Rei- sen für jedermann. Ich will an Ilja Seifert erinnern, der lange Jahre meinen Platz im Tourismusausschuss einge- nommen hat. Er hat gesagt: Die eigentliche Bedeutung des Tourismus besteht darin, Menschen mit und ohne Behinderung zu ermöglichen, sich zu erholen, zu ent- spannen, sich die Welt anzuschauen, ihre Gesundheit zu stärken, andere Kulturen kennenzulernen und vielfältige Freizeiterlebnisse zu genießen. – Wir wollen, dass das allen Menschen möglich ist, unabhängig vom Geldbeu- tel ihrer Eltern. (Beifall bei der LINKEN) Lassen Sie mich noch ein letztes Thema ansprechen. Die Erhaltung der Infrastruktur funktioniert nur, wenn die Kommunen für diese Erhaltung genügend Mittel zur Verfügung haben. Ich habe gerade gelesen, dass irgendwo überlegt wird, Kunstwerke der Stadt zu verkaufen. Das kann doch nicht die Lösung sein. Die Kommunen brau- chen ausreichende Mittel, um die Infrastruktur zu erhal- ten. Ich wiederhole meine These: Es wäre gut, wenn mehr aktive Kommunalpolitiker in diesem Parlament wären. Dann würden wir nicht nur darüber reden, son- dern auch die Voraussetzungen dafür schaffen. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Kassner, bei allem Engagement haben Sie offensichtlich das Zeichen übersehen, dass Ihre Redezeit zu Ende ist. Kerstin Kassner (DIE LINKE): Oh. – Wir würden alles dafür tun, dass die Kommu- nen besser ausgestattet werden – alle. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Barbara Lanzinger für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) 8190 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 (A) (C) (D)(B) Barbara Lanzinger (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher! Fast genau vor einem Jahr haben wir an dieser Stelle die erste tourismuspolitische Debatte geführt, und wir konn- ten schon damals feststellen: Der Tourismus boomt in Deutschland. Heute, ein Jahr später, sehen die Zahlen so- gar noch besser aus. Sie, Kollegin Hiller-Ohm, haben es schon erwähnt. 2014 war das fünfte Rekordjahr in Folge für den Tourismus in Deutschland: 423 Millionen Über- nachtungen in deutschen Beherbergungsbetrieben, ein Zuwachs um 11 Millionen oder 3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das ist eine tolle Leistung auch der Be- triebe, die dazu beigetragen haben. Das heißt, der Tou- rismus ist ein wirkliches Zugpferd für die Wirtschaft in Deutschland. Wie ich bereits in meiner Rede vor einem Jahr festge- stellt habe, brummt es vor allem in den Städten. Ich sage ganz bewusst: Es brummt in den großen Städten. Wir wissen aus vielen Aussagen, dass es manchen oftmals schon fast zu viel wird, dass die Städte klagen, dass sie zu viele Besucherinnen und Besucher haben und die Menschen die großen Städte regelrecht überrennen, wo- hingegen sich der ländliche Raum zwar sehr gut behaup- tet, aber es dennoch schwer hat, das Besucherpotenzial auszuschöpfen. Eine Idee hatten wir damals schon angerissen. Wir haben sie im Laufe des Jahres weiterentwickelt. Es ist die Idee, wie wir den Ansatz, der im Koalitionsvertrag verankert ist, nämlich eine Initiative für den Kulturtou- rismus zu entwickeln, mit Leben erfüllen können. Es muss uns gelingen, die Unverwechselbarkeit, die Beson- derheiten der ländlichen Räume – wir haben sie Regio- nen genannt, aber der ländliche Raum gehört dazu – zu stärken und den Begriff des klassischen Kulturtourismus zu erweitern. Deshalb hat unser Antrag den Titel „Kulturtourismus in den Regionen – ich füge hinzu: in den ländlichen Re- gionen – weiterentwickeln“. Baugeschichtliches Erbe, kulturelle Veranstaltungen, Sehenswürdigkeiten, Klein- ode sollen mit regionalen gastronomischen und hand- werklichen Traditionen und den einzigartigen Land- schaften eine Art Symbiose eingehen. Dieser Gedanke steht hinter unserem Antrag. Es geht also um, so haben wir es auch formuliert, Kulturgenuss „mit allen Sinnen“, mit den Augen, mit dem Gaumen, mit allem, was dazu- gehört. Der französische Schriftsteller Marcel Proust sagte einmal: Die besten Entdeckungsreisen macht man nicht in fremden Ländern, sondern indem man die Welt mit neuen Augen betrachtet. Genau das wollen wir tun; das ist der Kern unseres An- trags: mit neuen Augen betrachten und schauen, dass wir Potenziale heben, die oft noch nicht ausgeschöpft sind. Insofern, liebe Frau Staatssekretärin Gleicke, freuen wir uns natürlich, dass Sie und Ihr Ministerium unsere Idee aufgegriffen haben. Ich darf hinzufügen: Nicht immer sind die Wege zwischen Ministerium und Parlament so kurz. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Ihr Vorstoß ist jedoch nur ein erster Schritt in die rich- tige Richtung. Wichtig ist jetzt, hier nicht stehen zu blei- ben, sondern eine Breitenwirkung anzustoßen. Um eine echte Schubkraft für unsere so wertvollen ländlichen Räume zu entwickeln, brauchen wir nämlich mehr als bloß eine Bestandsaufnahme und Best-Practice-Bei- spiele. Frau Kassner, unser Antrag enthält alle Gesichts- punkte, die Sie angerissen haben. Sie haben zum Bei- spiel die Kommunen angesprochen. Das, was die Koali- tion für die Kommunen in den letzten Monaten getan hat, ist schon enorm. Das sollten Sie auch so sehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD – Kerstin Kassner [DIE LINKE]: Schauen wir einmal genau, was an- kommt!) – Es kommt immer darauf an, wie die Kommunen das umsetzen. Wir fordern einen Bundeswettbewerb, in dem sich die Akteure vor Ort zusammenschließen und gemeinsam be- werben können. Denn schon aus den Vorarbeiten zu die- sem Wettbewerb – Frau Staatssekretärin, ich würde das Ganze gern weiterentwickeln – können neue Ideen er- wachsen, die den teilnehmenden Regionen neue Perspek- tiven eröffnen. Wenn man sich für diesen Wettbewerb be- wirbt, können schon im Vorfeld über Landesgrenzen hinweg gemeinsam Vermarktungsideen entwickelt wer- den, um dann über noch festzulegende Zeiträume die Vermarktung aufzubauen und letztendlich auszuwerten. Das bietet die Chance, Alleinstellungsmerkmale heraus- zubilden und neue, vor allem auch grenzübergreifende Kulturregionen zu entwickeln. Wichtig ist, dass wir genau dort ansetzen, wo eben noch keine gelungene Vernetzung und Vermarktung stattfinden. Ich denke da zum Beispiel an die Oberpfalz – wie fast jeder habe auch ich einen Werbeblock –, die ich besser kenne als viele andere Regionen. Die Ober- pfalz grenzt an Franken mit seinen barocken Klöstern, mit seinen Bergfesten, mit Zoiglwirtschaften. Hinzu kommt die Nähe zu Tschechien mit den Kurbädern Karlsbad und Marienbad und auch zu größeren Städten. Die einzelnen Orte an sich sind wunderbar, funktionie- ren aber isoliert nicht unbedingt als Publikumsmagnet. Wenn es gelänge, dort eine bessere Vernetzung herzu- stellen, könnten wir ganze Gegenden besser erschließen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Ich möchte es aber nicht bei den Gegenden belassen, die ich gerade genannt habe. Beispiele für Gegenden, die wir stärken können, wenn wir Kirchturmdenken über- winden, lassen sich überall in Deutschland finden, zum Beispiel im südöstlichen Niedersachsen und im westli- chen Sachsen-Anhalt oder am nördlichen Niederrhein, Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 8191 Barbara Lanzinger (A) (C) (D)(B) wo es zwar schon viel Gutes gibt, wo man aber noch viel Neues erschließen könnte. Das alles hat auch viel mit dem Bild zu tun, das die Menschen von einer Gegend haben. Ich möchte, dass wir mit unserer Initiative dazu beitragen, Bilder entstehen zu lassen, die sich aus der Zusammenschau der verschiede- nen kulturellen, gastronomischen und landschaftlichen Aspekte formen, gerade da, wo ein solcher Zusammen- hang noch nicht gesehen wird oder noch nicht deutlich erkennbar ist. Wir müssen noch viel tun – da gebe ich Ihnen recht –, gemeinsam mit den Ländern, in denen es schon viele gute Ansätze gibt. Ich verweise auf die Dachmarke Kul- turland Brandenburg. (Beifall des Abg. Stefan Zierke [SPD]) Hier müssen wir auch durch einen regelmäßigen Aus- tausch für mehr Vernetzung sorgen. – Ich versuche halt einmal, alles ein bisschen einzubinden. (Heiterkeit) Was wir auf Bundesebene tun können, ist, Anreize für eine bessere Kooperation und Vernetzung auf lokaler und regionaler Ebene zu setzen, gerade auch bei den Förderstrukturen. Wir brauchen Modellregionen in je- dem Bundesland, um auf unterschiedliche regionale Be- sonderheiten eingehen zu können. Darum bitte ich Sie, das mit zu berücksichtigen. Natürlich brauchen wir die Zusammenarbeit mit den Bundesländern, um mit ihnen zu prüfen, wie wir die Zusammenarbeit der Kultur- und Tourismusakteure vor Ort – da sind wir uns alle einig – und der Landesmarketingorganisationen stärken können. Das Ganze müssen wir zusätzlich mit der schon genann- ten Plattform flankieren. Nur in diesem Zusammenspiel steigern wir die At- traktivität für den einheimischen ländlichen Tourismus, aber vor allem auch für den stetig wachsenden Zustrom aus dem Ausland. Tourismus ist eine Botschaft, eine Botschaft für den Reichtum unserer Kultur, unserer Kul- turlandschaften und unserer Lebensart, eine Botschaft für unser Land und unsere Menschen. Ich schließe wieder mit Marcel Proust – um auf ihn zurückzukommen –: Machen wir uns also gemeinsam auf eine Entdeckungsreise! Machen wir die Augen auf: Wo können wir Schätze in unseren ländlichen Regionen heben und neue Kulturregionen für den Tourismus er- schließen und stärken, und zwar ohne Scheu davor, Mo- delle zu fördern, die grenzüberschreitend denken und handeln wollen? Nur so können wir das Potenzial, das unser Land und unsere Menschen zu bieten haben, um- fassend und breitenwirksam erschließen. Danke schön fürs Zuhören. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol- lege Markus Tressel das Wort. Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch von unserer Seite vielen Dank dafür, dass wir heute über dieses wichtige Thema noch einmal debattie- ren dürfen. Wir hatten es in den vergangenen Jahren schon des Öfteren hier debattiert. In der letzten Legisla- turperiode haben wir in einem interfraktionellen Antrag gemeinsam bereits viel von dem gefordert, was Sie jetzt wieder beantragt haben. Es ist auch einiges passiert; das ist erfreulich. Die damals geforderte Förderung der DZT- Themenjahre „Luther 2017“ oder „100 Jahre Bauhaus“ – in der letzten Sitzungswoche Thema im Plenum – wird bereits umgesetzt. Es bleibt aber eines immer gleich: Der Knackpunkt ist die Finanzierung. Wie können wir die Vernetzung von Kultur und Tourismus gezielt fördern? Wie tragen wir dadurch die Erfolgsgeschichte Kulturtou- rismus in die Fläche? Da bleibt Ihr Antrag zumindest schwammig. Absichtserklärungen allein – darauf hat die Kollegin Kassner hingewiesen – helfen nicht weiter; das wissen Sie so gut wie ich. Immerhin nennen Sie im Gegensatz zu Ihren vorher- gehenden Anträgen Finanzierungsinstrumente. Sie ver- weisen zum einen auf die Fördermöglichkeit über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. Ja, die GRW hat einen Maßnah- menbereich „Infrastruktur im Tourismus“; aber die Ver- waltung der Mittel liegt bei den Ländern. Das ist das erste Problem. Mir ist zudem nicht bekannt, dass die GRW einen explizit kulturtouristischen Schwerpunkt de- finiert hätte. Vor allem: Clusterbildung und Vernetzung sind keine investiven Maßnahmen. Da muss die GRW weiterentwickelt werden. Dazu bieten wir unsere Unter- stützung an. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das zweite Instrument, das Sie in Ihrem Antrag nen- nen, ist die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“. Liebe Kollegin- nen und Kollegen, mir ist nicht bekannt, wie der Kultur- tourismus der Verbesserung der Agrarstruktur oder gar des Küstenschutzes dient. Er ist somit über die GAK in der bisherigen Form nicht förderbar. Da bringen Sie die Weiterentwicklung zur Gemeinschaftsaufgabe „Ländli- che Entwicklung“ ins Spiel, in deren Rahmen zukünftig auch Kultur und Tourismus gefördert werden sollen. Da- für muss aber erst einmal das Konzept auf dem Tisch lie- gen. Das ist bisher nicht erkennbar. Wenn die Bundesre- gierung – das muss man an dieser Stelle auch einmal deutlich sagen – weiter im Schneckentempo an der För- derpolitik nach 2020 tüftelt, wird das in dieser Legisla- turperiode sicher auch nichts mehr. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kerstin Kassner [DIE LINKE]) Die Kollegin Kassner hat es schon deutlich gesagt: Eine Modellförderung hier, ein Wettbewerb da – das setzt keine Anreize, neue Projekte und Kooperationen, nachhaltige Projekte ins Leben zu rufen; das wissen Sie alle. Die Kulturfinanzierung vor Ort ist prekär. Darüber kann man bei aller Euphorie für das Thema Kulturtouris- mus, die ich im Übrigen teile, nicht hinwegsehen. Man 8192 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 Markus Tressel (A) (C) (D)(B) muss an dieser Stelle deutlich sagen: Da kann man sich nicht dauerhaft auf bürgerschaftliches Engagement al- lein verlassen. Ich will aber gern zugestehen: Bei aller Kritik stößt der Antrag eine interessante und überfällige Debatte an. Was bedeutet eigentlich Kulturtourismus in unseren und für unsere ländlichen Regionen? Wie können wir Syner- gien aus Kultur, Kreativökonomie und Tourismus auf dem Land schaffen? In Vorbereitung dieser Debatte ist mir aufgefallen, dass der Kulturtourismus immer ein Sy- nonym für Städtetourismus war. (Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Genau!) Kultur findet aber nicht nur in der Stadt statt. Wir müs- sen überwinden, dass Kulturreisen stets in einem Atem- zug mit Städtereisen genannt werden. Deswegen ist es gut, dass wir heute darüber diskutieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU – Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Genau darum geht es!) Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, dem Kultur- tourismus auf dem Land stehen noch große Hindernisse im Weg – das gehört zur Lagebeschreibung dazu –: qua- litative und quantitative Defizite in Beherbergung und Gastronomie, schlechte Anbindung der Veranstaltungs- orte an den öffentlichen Nahverkehr und – das haben Sie angesprochen – wenig Erfahrung der Touristiker mit dem Kulturtourismus. Dazu habe ich in Ihrem Antrag – zumindest zu den ersten beiden Punkten – wenig bis gar nichts gelesen. Sie schreiben auch, dass die DZT-Mittel bezüglich China aufgestockt werden. Ich begrüße es, wenn die DZT in China Kulturreisen nach Deutschland bewirbt. Ob das aber vorrangig dem ländlichen Raum in Deutsch- land hilft, ist fraglich. Das wird sich auf die Hotspots fo- kussieren. Im Übrigen wissen wir alle, wie viel Reisezeit die Chinesen haben. Wir dürfen hier nicht nur nach außen schauen; denn das Reiseverhalten ändert sich auch im Inland. Das wäre der erste Schritt. Leute aus den umliegenden Regionen müssen angesprochen werden, was auch im Sinne eines nachhaltigen Tourismus für die Region ist. Durch kurze Wege und regionale Wertschöpfung bieten sich so neue Entwicklungschancen für die ländlichen Räume. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen sek- torübergreifende Ansätze nicht nur in der Finanzierung der Infrastruktur, sondern auch in der Finanzierung vor Ort, beispielsweise der Hotels. Wir brauchen neue An- sätze im Städtebau und in der Förderpolitik nach 2020, und wir brauchen neue Ansätze, was die Erreichbarkeit ländlicher Regionen angeht. Wir müssen die Debatte noch viel breiter führen, als Sie jetzt mit Ihrem Antrag angeregt haben. Ich glaube aber, dass wir da nicht so weit auseinander sind. Wir müssen die Frage der Finan- zierung angehen; das können wir in der weiteren Debatte noch vertiefen. (Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Sehr gern!) Wichtig ist, dass wir darüber sprechen und dies weiter- entwickeln. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Daniela Ludwig [CDU/CSU]) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Iris Gleicke. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Iris Gleicke, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- minister für Wirtschaft und Energie: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zunächst beim Parlament und aus- drücklich bei den Mitgliedern des Tourismusausschusses für das gute Miteinander bedanken, das auch in dieser Debatte wieder deutlich wird. Wir gehen sehr pragma- tisch an die Sache heran. Ich bedanke mich als Touris- musbeauftragte der Bundesregierung sehr herzlich für das gute Miteinander und die konstruktive, aber auch kritische Begleitung, die wir im Ausschuss miteinander pflegen. Ich bin froh über den Antrag der Koalitionsfraktionen „Kulturtourismus in den Regionen weiterentwickeln“. Und Frau Kassner, Sie können sich darauf verlassen: Die bitten mich nicht nur. Die Kollegen sind alle sehr selbst- bewusst und tragen ihre Bitten mit ordentlichem Nach- druck vor; das ist keine Frage. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Wir auch!) – Sie auch, natürlich. – Ich will einfach noch einmal da- rauf hinweisen – Sie wissen das aus Ihrer langjährigen Erfahrung genauso gut wie ich –: Der Bund sitzt nun einmal leider in der zweiten Reihe. Ich wünschte mir – was auch Sie bezüglich der Finanzierung angemahnt haben –, dass ganz klar ist, dass der Tourismus einer der wichtigsten Wirtschaftszweige ist, der zwar sehr klein- teilig daherkommt, aber ein großes Potenzial hat. Das muss sich im Endeffekt natürlich auch in der Wirt- schaftsförderung in den Ländern, aber auch in den Land- kreisen, in den Kommunen widerspiegeln. Deshalb sage ich auch, dass dieser Antrag zur richtigen Zeit kommt. Wir haben im Tourismus Boomzahlen; wir hören das immer wieder. Frau Hiller-Ohm hat es angesprochen: Die europäischen Kunst- und Kulturliebhaber haben Deutschland zum beliebtesten Reiseziel auserkoren. Wir haben auch eine ganze Menge zu bieten: Kulturgüter, historische Denkmale, Musikfestivals oder auch die Kasseler Documenta und, und, und. – Jetzt habe ich we- nigstens Hessen noch hineingebracht; das hat, glaube ich, in der Aufzählung noch gefehlt. Aber man muss ein wenig Wasser in den Wein gießen – das ist schon deut- lich geworden –; denn der Kulturtourismus findet haupt- sächlich in den Städten statt. In den Städten gibt es natür- lich ein geballtes kulturelles Angebot, und entsprechend viele Touristen fahren deshalb dorthin. Auf der anderen Seite zeichnet sich das Reiseland Deutschland dadurch aus, dass wir in der Fläche jede Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 8193 Parl. Staatssekretärin Iris Gleicke (A) (C) (D)(B) Menge Kultur zu bieten haben. Wir brauchen bloß in un- serer Heimatregion zu schauen, wo die Schlösser und Burgen sind. Sie sind sehr häufig in oder bei ganz klei- nen Orten, zum Beispiel die Burgen und Schlösser an der Saale. Auch Thüringen hat hier eine Menge zu bie- ten. Insofern muss es an dieser Stelle darum gehen, die Potenziale zu nutzen. Der Tourismus hat eine ganz wichtige Funktion als Entwicklungsstütze und -motor für strukturschwache Regionen, die sich nicht in der Nähe von Ballungszen- tren befinden. Hier kommt dem Tourismus eine ganz be- sondere Rolle zu. Deswegen, Herr Kollege Tressel, sind wir dabei, die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ neu auszurichten. Durch die vorgesehene Weiterentwicklung der Gemeinschafts- aufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küs- tenschutzes“ zu einer Gemeinschaftsaufgabe „Ländliche Entwicklung“ können wir mehr als die Landwirtschaft fördern. Solche Gespräche sind schwierig; das wissen Sie. Aber wir arbeiten mit Nachdruck daran. Wir brau- chen entsprechend Zeit, damit eine qualitativ gute Dis- kussion entsteht. Die Punkte, die in diesem Antrag ste- hen, werden in der Debatte sicherlich eine Rolle spielen. Mir ist wichtig, darauf hinzuweisen – Frau Lanzinger hat es bereits gesagt; sie hat ein wenig vorgearbeitet –, dass das Projekt „Tourismusperspektiven in ländlichen Räumen“ an den Kulturtourismus andockt. Mir geht es darum, nicht noch eine Urkunde für einen Wettbewerb zu verteilen oder ein weiteres Gutachten zu bekommen. Das verstaubt in den Schubladen oder geht in den Weiten des Internets verloren. Ich möchte, dass wir schauen, wo Potenziale und pfiffige Ideen sind, und diese dann um- setzen, indem wir diese Ansätze in ausgewählten Mo- dellregionen unterstützen. Das ist eine praktische Hilfe, um bei den Kommunalpolitikerinnen und Kommunal- politikern etwas anzustoßen. Aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die besten Berater, die besten Anträge und die besten Kon- zepte nützen nichts, wenn Deutschland nicht als weltof- fenes Land wahrgenommen wird. (Beifall im ganzen Hause) Wir müssen aufpassen auf Pegida, Legida, Sügida und wie sie alle heißen; denn eines ist klar: Glaubt irgendje- mand, dass es eine gute Werbung für das Reiseland Deutschland ist, wenn Hunderte oder Tausende irgend- welchen rechten Populisten, Rassisten oder zum Teil richtig harten Neonazis hinterherlaufen? Ich hoffe im- mer noch, dass diejenigen, die den Organisatoren auf den Leim gehen und angeblich für die Verteidigung abendländischer Werte demonstrieren, gar nicht genau wissen, was sie tun. Sie versetzen Menschen in Angst und Schrecken, die bei uns Schutz vor Krieg und Terror suchen. Ich finde das erbärmlich. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- geordneten der CDU/CSU) Sie beschädigen auch den guten Ruf ihrer Heimat, die ihnen doch angeblich so wichtig ist. Das finde ich dumm und töricht. Aber es ist sehr ermutigend, wie viele Men- schen in Dresden, Leipzig und Suhl auf die Straße gehen und ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassis- mus setzen. Deutschland hat sich spätestens mit der Fuß- ball-WM 2006 zu Recht den Ruf erworben, ein weltoffe- nes und freundliches Land zu sein. Genau das wollen wir bleiben. In diesem Sinne: Herzlichen Dank fürs Zuhören. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun die Kollegin Daniela Ludwig. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Daniela Ludwig (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- legen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf unseren Tribünen! Kultur ist – das wissen wir längst – ein Stand- ort- und Wirtschaftsfaktor für nahezu jede Gemeinde, für jedes Bundesland, für ganz Deutschland. Das kulturelle Angebot einer Region ist für viele Reisende ausschlag- gebend bei der Wahl ihres Urlaubsziels. Kultururlaub als solcher steht bei ausländischen Gästen an zweiter Stelle der Urlaubsgründe, die sie angeben. Die Bundesrepublik ist Kulturreiseland Nummer eins in Europa, deutlich vor Italien und Frankreich. Diesen Reisetrend sollten wir in Deutschland noch besser nutzbar machen, als es bis dato schon geschieht. Von dem Verbesserungspotenzial, das wir insbeson- dere im ländlichen Raum heben können, ist heute schon viel die Rede gewesen. Wir alle wissen, dass Hamburg, Berlin und München millionenfach absolute Publikums- magnete sind; aber die Kunst wird nun sein, die Men- schen, die unsere Großstädte besuchen und sich dort gerne aufhalten, mit unterschiedlichsten Mitteln dazu anzureizen, das Umland dieser Ballungsgebiete aufzusu- chen und dort festzustellen, dass wir auf dem flachen Land Tausende Museen, mehr als 800 Theater und Opernhäuser sowie viele Musik-, Theater- und Schau- spielfestivals anzubieten haben. In meinem Wahlkreis, in Rosenheim, gibt es den „Lokschuppen“. Rosenheim hat 60 000 Einwohner. Der Lokschuppen ist unter den Top Ten der deutschen Aus- stellungshäuser. Das ist für solch eine mittelgroße Stadt relativ beachtlich. Nachdem wir 1988 den Lokschuppen eröffnet hatten, überrannten uns in Rosenheim gleich 180 000 Besucher, die die erste Ausstellung besucht ha- ben. Mittlerweile pendelt sich die Zahl der Besucher un- serer Ausstellungen bei 210 000 bis 220 000 ein. Natür- lich mag man annehmen, dass so etwas nur in den großen Städten passiert; aber man kann schon sagen: Was in Rosenheim funktioniert, was am Bodensee in der touristischen Zusammenarbeit über viele Grenzen hin- weg passiert, das lässt sich durchaus auf andere Regio- nen dieses Landes übertragen. 8194 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 Daniela Ludwig (A) (C) (D)(B) Letztlich ist es der Hintergrund unseres Antrags, das Augenmerk – Herr Tressel, Sie haben es völlig richtig gesagt; ich nehme es gerne als kleines Lob mit – nicht wieder auf die Ballungsgebiete zu richten, sondern wirk- lich auf die ländlichen Regionen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dass parallel dazu eine Ausschreibung des Bundeswirt- schaftsministeriums um die Ecke kommt, nehmen wir als Kompliment für innovative Ideen aus dem Parla- ment, die auch sofort umgesetzt werden; (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) ich glaube, das kann man durchaus so sagen. Insofern ist hier bei aller Kritik, die ich gerne zulasse – ich freue mich sehr auf die parlamentarische Zusammenarbeit und auch Auseinandersetzung –, schon zu erkennen: Wir ha- ben hier Ideen, die wir schon länger in uns tragen, zu ei- nem ausgesprochen wichtigen Thema ausgearbeitet, das im Trend liegt. Ich habe es schon gesagt: Die UNESCO führt eine Liste des Welterbes mit schützenswerten Kultur- und Naturerbestätten. Dazu gehört bei uns zum Beispiel der Kölner Dom, der sich wiederum in einem Ballungsge- biet befindet. Wenn man es auf die ländlichen Regionen herunterbricht, dann wird man feststellen, dass fast jede Gemeinde ein schützenswertes Denkmal – in Anfüh- rungszeichen –, eine Sammlung vorzuweisen hat, die ei- nen Besuch lohnen. Wir wissen, dass viele Touristen nach ihrem ersten Deutschlandbesuch, der sie meistens tatsächlich in die großen Städte führt, gerne wiederkommen und dann be- reit sind, auf Entdeckungsreise zu gehen und im wahrs- ten Sinne des Wortes die ausgetretenen Pfade zu verlas- sen. Umso schöner ist es, dass sich die Deutsche Zentrale für Tourismus im Jahr 2015 mit ihren Themen auf die ländlichen Regionen konzentriert: „Deutschland kulinarisch“, „Gelebte Tradition“ sowie „Kunst und Handwerk“. Das ist im Prinzip genau das, was uns allen hier im Hause am Herzen liegt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wenn wir bei der DZT sind: Im vergangenen Jahr ha- ben wir die Kampagne „UNESCO-Welterbe – Nachhal- tiger Kultur- und Naturtourismus“ erleben können. Hier sind die immerhin 39 Welterbestätten in Deutschland be- worben worden, zum Beispiel die Klosteranlage Maul- bronn oder der Muskauer Park; beide liegen nicht mitten in einem Ballungszentrum, sondern eher fernab. Ich finde es unglaublich wichtig, dass wir hier erkennen können: Wenn wir die DZT zu etwas anregen, dann wird das tatsächlich ordentlich umgesetzt. Das entspricht wirklich dem, was wir wollen. Natürlich, Herr Tressel: Wir müssen dafür sorgen, dass die Stätten, die wir in den einzelnen Gemeinden vorfinden, erhalten und unterhalten werden. Da gehört natürlich auch Geld dazu. Ich teile durchaus Ihre Kritik, dass wir hier und beim Tourismus im Allgemeinen im- mer mit den Kompetenzen der Länder – ich sage es jetzt diplomatisch – in Berührung kommen. Aber ich glaube, wenn wir unser Land ganzheitlich vermarkten wollen, dann werden wir, was die Bundesländer angeht, die eine oder andere Denkschwelle in den Köpfen überwinden müssen; das ist meine feste Überzeugung. Ich nehme gerne das Angebot an, uns gemeinsam darüber Gedan- ken zu machen, wie wir das umsetzen können. Wir haben in unserem Antrag aufgezählt, was es schon alles gibt. Für die Förderung von Innenstädten und Ortszentren sind 700 Millionen Euro vorgesehen. Wir haben ein neues Förderprogramm mit Förderschwer- punkt auf Denkmälern mit nationalem Rang aufgelegt; auch das sei hier nicht unerwähnt. Dass immer ein tou- ristischer Hintergrund dahintersteckt, das erklärt sich fast von selbst. Wir haben ein Denkmalschutzsonderpro- gramm mit 29 Millionen Euro ausgestattet. Also, ganz so schlecht ist das alles nicht. (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Das ist super!) – Vielen Dank. – Wir sind auf einem guten Weg, noch mehr Anreize zu schaffen. Eines verbinde ich aber auch mit dem Kulturtouris- mus und mit unserer Initiative heute dazu – wir haben es in den letzten Tagen oft gehört, und es ist ganz wichtig –: Das beliebteste Reiseland der Deutschen ist Deutsch- land. (Barbara Lanzinger [CDU/CSU]: Ja!) Hier sollten wir ansetzen; denn je besser wir unsere Hei- mat kennen – wir alle, auch die wir hier sitzen –, desto besser können wir sie bewerben. Das ist die nächste Brü- cke: Wir sollten nicht nur im Ausland, sondern auch bei uns im Inland für uns werben. Das wäre mir die liebste Wertschöpfung, die ich an dieser Stelle sehe. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine lieben Kollegen, Theodor Fontane hat es ein- mal so ausgedrückt: Ich bin die Heimat durchzogen, und habe sie rei- cher gefunden, als ich zu hoffen gewagt hatte. In diesem Sinne, glaube ich, haben wir ein paar Arbeits- aufträge aufgezeigt und mit unseren Forderungen an die Bundesregierung sicher ein paar gute Ideen formuliert. Ich freue mich jetzt sehr auf die parlamentarische Aus- einandersetzung, auch auf die vielen Ideen, die – da bin ich sicher – auch aus den beiden anderen Fraktionen kommen. Vielen herzlichen Dank für das Zuhören. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/3914 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 8195 Vizepräsidentin Petra Pau (A) (C) (D)(B) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulle Schauws, Katja Keul, Kai Gehring, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Provenienzforschung stärken – Bessere Rah- menbedingungen für einen angemessenen und fairen Umgang mit Kulturgutverlust schaffen Drucksache 18/3046 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle- gin Ulle Schauws für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen. Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! 2015 jährt sich zum 70. Mal das Ende des Zweiten Weltkriegs und da- mit auch das Ende der nationalsozialistischen Gewalt- herrschaft. Dieser Teil unserer Geschichte beeinflusst auch heute noch unsere Gegenwart. Gerade im Bereich des Kunstmarktes sind die Folgen der NS-Enteignung bis heute sehr präsent. Der Verbleib vieler Kunst- und Kulturgegenstände, die von ihren Ei- gentümerinnen und Eigentümern zwischen 1933 und 1945 aufgrund nationalsozialistischer Verfolgung unfrei- willig verkauft, abgepresst, enteignet, beschlagnahmt oder gestohlen wurden, ist unzureichend aufgearbeitet. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Zum Teil hat sich der Kulturbetrieb unwissentlich, zum Teil aber auch bewusst bislang unzureichend mit der Zeit des Nationalsozialis- mus und der Problematik des verfolgungsbedingten Ent- zugs von Kulturgütern befasst. So gesehen ist es eigent- lich ein Glücksfall, dass der Kunstfund in Privatbesitz von Cornelius Gurlitt die Diskussion über das Thema Provenienzforschung, die wir seit Ende 2013 führen, neu entfacht hat. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir jetzt diese Chance nutzen. Wir müssen uns im Bereich der Provenienzforschung den Problemen stellen und beim Umgang mit NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern faire und gerechte Lösungen für alle Beteiligten finden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, mit der Washingtoner Erklärung hat sich Deutschland 1998 international verpflichtet, zur Provenienzforschung und Restitution beizutragen. Auch wenn diese Absichts- erklärung für die öffentliche Hand keine Gesetzeskraft hat, sie fordert doch zum politischen Handeln auf. Ich meine, die Umsetzung darf nicht allein vom Wohlwollen öffentlicher Einrichtungen abhängen. Das wird dem Geist der Erklärung nicht gerecht. Hier sind Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, in der Pflicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) Wir haben darüber hinaus eine moralische Verpflich- tung, die weit über den öffentlichen Bereich hinausgeht. Auch wenn Private von den internationalen Verabredun- gen nicht tangiert sind, können und dürfen auch sie, die privaten Kunstsammlerinnen und Kunstsammler, die pri- vaten Kunsthändlerinnen und Kunsthändler und auch die Auktionshäuser, sich einer moralischen Verantwortung nicht entziehen. Durch die Gründung des Deutschen Zentrums Kultur- gutverluste Anfang dieses Jahres in Magdeburg soll die Provenienzforschung in Deutschland weiter gestärkt werden. Eine Bündelung der bisherigen Aktivitäten ist sinnvoll – deshalb unterstützt meine Fraktion die Grün- dung dieses Zentrums ganz ausdrücklich –, aber allein mit einer Bündelung der Aktivitäten ist es eben nicht ge- tan. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was wir brauchen, sind systematische Koordination und Strukturierung und vor allem ein Ausbau der Proveni- enzforschung. Eine bloße Zusammenlegung von Struk- turen ist noch keine Stärkung. Es dabei zu belassen, wäre eine Pseudoinitiative der Bundesregierung. Das neue Zentrum muss am Ende des Tages auch einen Mehrwert bringen. Es geht um wirkliche Professionalisierung der Provenienzforschung und vor allem um den Abbau der Informationsdefizite hinsichtlich der Grundsätze der Washingtoner Erklärung, insbesondere in den Ländern und Kommunen und den Museen dort. Was wir in den Museen brauchen, ist mehr Verbind- lichkeit bei der Erforschung der Provenienz von Expona- ten. Wir brauchen eine bessere personelle Ausstattung, und an den Universitäten müssen mehr Fachleute im Be- reich Provenienzforschung ausgebildet werden. Das wäre konsequent, um die steigenden Bedarfe decken zu können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Forscherinnen und Forscher dürfen bei ihren wichti- gen Arbeiten nicht behindert werden. Zugangshemm- nisse bei Quellen, Archiven, Nachlässen und For- schungsergebnissen müssen abgebaut werden. Was bleibt, ist das schwierige Terrain der privaten Sammlungen. Hier gilt es, Anlaufstellen zu schaffen und, ebenso wie im öffentlichen Bereich, Informations- defizite abzubauen. Es sollte auch die Einführung eines Fonds geprüft werden, durch den in berechtigten Fällen die Provenienzforschung im Privatbereich unterstützt werden kann. Rechtlich sollte der gutgläubige Erwerb auf gesetzliche Auktionen beschränkt werden, und der Eigentumserwerb durch Ersitzen ist zu erschweren. Aber nicht nur im Kunstmarkt sehen wir uns mit der Frage nach der Provenienz konfrontiert. Wie steht es um 8196 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 Ulle Schauws (A) (C) (D)(B) die Sorgfaltspflicht bei der Provenienzprüfung in ande- ren Bereichen? Ich sage Ihnen: Verbleib von Kunst- und Kulturgut zum Beispiel von Sinti und Roma oder Homo- sexuellen ist bislang kaum beachtet worden. Auch die Aufarbeitung von Kulturgutverlusten jenseits des NS- verfolgungsbedingten Entzugs, wie zum Beispiel in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR, muss ver- stärkt und gefördert werden. Es gilt, allen, denen Kulturgut entzogen wurde, die gleichen Grundlagen zur Aufarbeitung zu gewährleisten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Dies gilt für NS-Raubkunst ebenso wie für kriegsbedingt verlagerte Kunst- und Kulturgüter, aber auch für Ob- jekte, die aus kolonialen Unrechtskontexten stammen oder für die Bestände aus archäologischen Raubgrabun- gen. Die Provenienzforschung wird uns in den großen Debatten, wie über das Humboldt-Forum und die Re- form des Kulturgüterrückgabegesetzes, weiter beglei- ten. Die Provenienzforschung gehört zur Sorgfaltspflicht bei der Vermittlung von Kunstobjekten und muss eine Selbstverständlichkeit sein. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Ansgar Heveling das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Ansgar Heveling (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir die Gelegenheit haben – der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen gibt uns diese Gelegenheit –, über das Thema Provenienzforschung zu reden und deut- lich zu machen, was in den letzten Monaten dazu vonsei- ten der Bundesregierung schon getan worden ist. Vieles von dem, was Sie, Frau Kollegin Schauws, angespro- chen haben, ist richtig. Vieles ist aber schon in der Um- setzung. Das Thema Provenienzforschung kam zum Ende des vorvergangenen Jahres unerwartet und mit voller Wucht auf uns zu. Gleich zu Beginn der Wahlperiode hatten wir damit ein Thema auf der politischen Agenda, das zuvor nicht im Zentrum der kulturpolitischen Vorhaben und Planungen für die 18. Wahlperiode gestanden hatte. Mit dem spektakulären sogenannten Schwabinger Kunst- fund, der auch als Fall Gurlitt Ende November 2013 durch die Weltpresse ging, rückte das Thema Raubkunst und Provenienz von Kunstwerken in privaten Sammlun- gen, aber auch in öffentlichen Museen und Sammlungen in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion und des politischen Interesses. So hat unsere Kulturstaatsminis- terin, Kollegin Professor Monika Grütters, kaum neu im Amt, das Thema Provenienz und Raubkunst umgehend zu ihrer Priorität gemacht. (Beifall bei der CDU/CSU) Innerhalb kurzer Zeit hat sie kluge Entscheidungen ge- troffen und wichtige Maßnahmen für dieses Thema auf den Weg gebracht. Darauf werde ich im Folgenden noch weiter eingehen. Zunächst einmal bestehen zwei Handlungsfelder bei der Frage, wie mit dem sensiblen Thema Provenienz- recherche und Raubkunst umzugehen ist: Wir können und müssen auf der einen Seite kulturpolitische Ent- scheidungen treffen, es gibt aber auf der anderen Seite auch noch eine rechtspolitische Dimension. Als Kultur- politiker konzentrieren wir uns natürlich zunächst ein- mal auf die notwendigen kulturpolitischen Schlussfolge- rungen und Handlungsnotwendigkeiten, die sich aus dem ergeben, was vor anderthalb Jahren aufgefallen ist. Die wichtigen juristischen Fragen im Zusammenhang mit dem Umgang mit Raubkunst stehen zunächst einmal auf einem anderen Blatt. Das bedeutet aber nicht, dass es nicht ebenso wichtig ist, sich auch diesen Fragen zu stel- len und gegebenenfalls auch auf diesem Feld nach Ant- worten zu suchen. Das Land Bayern, das beim Schwabinger Kunstfund sehr schnell im Zentrum des Geschehens stand, hatte dem Bundesrat bereits einen ersten Vorschlag unterbrei- tet. Die bayerische Initiative für eine rechtspolitische Reaktion war im Kontext der politischen Debatten si- cherlich ein erster Anstoß, den wir auch auf Bundes- ebene dankbar wahrgenommen haben. Das ist allerdings ein Aufgabenbereich, über den sich der Bundesjustizmi- nister vertieft Gedanken machen muss und bei dem er nach Lösungen, so sie denn notwendig sind, suchen muss. Durch den Schwabinger Kunstfund wurde Deutsch- land mit berechtigten Fragen konfrontiert. Es geht um die Aufarbeitung des breiten Kunstraubs durch die Nati- onalsozialisten, aber auch um individuelle Schicksale von Einzelpersonen oder ganzen Familien. Diese Opfer- biografien müssen einerseits anerkannt, andererseits aber auch nach den Prinzipien der Washingtoner Erklä- rung umgesetzt werden, die eine faire und gerechte Lö- sung für alle Beteiligten postuliert. Da sind wir alle hier im Hause, glaube ich, einer Meinung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Der Fall Gurlitt hat deutlich gemacht, vor welch gro- ßen Herausforderungen wir sowohl in juristischer Hin- sicht als auch bei dem Thema Provenienzrecherche an dieser Stelle stehen. Die Bundesregierung hat vier wich- tige Maßnahmen getroffen, um auf diese Herausforde- rung zu reagieren: die Gründung des Deutschen Zen- trums Kulturgutverluste, die deutliche Erhöhung der Bundesmittel für die Provenienzrecherche, die Einrich- tung einer Taskforce speziell zur Klärung des Schwabin- ger Kunstfundes sowie die Vereinbarung mit der Stiftung Kunstmuseum Bern über das Erbe von Cornelius Gurlitt. Mit diesen Maßnahmen ist es gelungen, in die Offensive zu gehen. Deutschland hat gegenüber der internationalen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 8197 Ansgar Heveling (A) (C) (D)(B) Opfer deutlich gemacht, dass es die Aufarbeitung von Kulturgutverlust insbesondere aus der Zeit des National- sozialismus sehr, sehr ernst nimmt und handelt. Lassen Sie mich auf die Maßnahmen im Einzelnen eingehen. Die wichtigste Maßnahme zur Verbesserung der Provenienzforschung in Deutschland und zur Resti- tution von Kulturgut, das bedingt durch die Verfolgung durch die Nationalsozialisten entzogen wurde, ist sicher- lich die Gründung des Deutschen Zentrums für Kultur- gutverluste. Kollegin Schauws hat dies eben begrüßt, so wie wir alle diese Gründung begrüßen. In der vergange- nen Woche hat sich der Stiftungsrat des neuen Zentrums mit seiner Vorsitzenden, Kulturstaatsministerin Monika Grütters, konstituiert. Das Zentrum ist auch ein Beispiel für die gute Zusammenarbeit zwischen Bund und Län- dern in dieser Frage. Beide Seiten leisten ihren jeweili- gen Beitrag in einer gemeinsamen Stiftung. Das Zen- trum Kulturgutverluste soll der zentrale Ansprechpartner für die gemeinsamen Anstrengungen der deutschen Re- stitutionspraxis werden, insbesondere eben auch im Be- reich der NS-Raubkunst. Ein weiteres wichtiges Element im Engagement der Bundesregierung ist die signifikante Erhöhung der Mit- tel. Im vergangenen Jahr hat der Bund die Mittel für Pro- venienzforschung bereits auf 4 Millionen Euro verdop- pelt. In diesem Jahr werden dann schon 6 Millionen Euro bereitgestellt. Damit haben wir die Bundesmittel seit dem Jahr 2012 verdreifacht. (Beifall bei der CDU/CSU) Das zeigt, dass die Große Koalition die Notwendigkeit erkannt hat, die Provenienzforschung in Deutschland zu verbessern, und dementsprechend handelt. Dennoch bleibt in diesem Bereich viel zu tun. Nach wie vor stellt die Provenienzrecherche vor allem für viele kleinere Museen und Einrichtungen eine große He- rausforderung dar. Diese Häuser brauchen Unterstüt- zung. Deshalb ist es gut, dass auch die Kommunen in das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste eng eingebun- den sind. Kurz- und mittelfristig werden sicherlich wei- tere finanzielle und personelle Ressourcen nötig sein, um angesichts des großen Nachholbedarfs in deutschen Museen, den wir anerkennen müssen, die Sammlungsge- schichte öffentlicher Einrichtungen umfassend aufzuar- beiten. Allein bei dem Thema NS-Raubkunst gibt es in grob 60 Prozent der öffentlichen Museen Bestände, die zu- mindest theoretisch Raubkunst umfassen könnten. Es betreiben jedoch nur 10 Prozent der Museen proaktiv Provenienzrecherche, da hier – auch das muss man aner- kennen – sowohl die Mittel als auch das Personal mit dem erforderlichen Wissen an allen Ecken und Enden fehlen. An genau dieser Stelle setzt das Deutsche Zen- trum Kulturgutverluste an. So sollen vor allem die klei- neren Häuser und Einrichtungen unterstützt werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Die Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste in gemeinsamer Trägerschaft von Bund, Ländern und Kommunen soll die unteilbare Verantwortung zur Aufar- beitung von NS-Kunstraub übernehmen. Nicht zuletzt konnte für den Schwabinger Kunstfund mit dem Erben Kunstmuseum Bern eine gute Einigung erzielt werden, mit der für die Zukunft eine solide Grundlage geschaffen worden ist. Die kurz nach Bekanntwerden des Schwa- binger Kunstfunds eingerichtete Taskforce unter der Lei- tung von Ingeborg Berggreen-Merkel wird ihre inten- sive, gute Arbeit dazu weiter fortsetzen. (Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Sehr gut!) Es war im Übrigen eine beeindruckende Leistung von Kulturstaatsministerin Grütters, diese Taskforce in der Kürze der Zeit entsprechend hochkarätig wie divergent zu besetzen und arbeitsfähig zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU) Sicher, es bleiben im Zusammenhang mit dem Um- gang mit Raubkunst nach wie vor viele auch juristische Fragen offen. Diese fallen jedoch nicht in den Zustän- digkeitsbereich der Kulturstaatsministerin, sondern müs- sen von anderen Häusern beantwortet werden. Welchen weiteren Beitrag die Länder in ihrer eigenen Zuständig- keit zur Verbesserung der Provenienzforschung leisten wollen, bleibt ihnen selbst überlassen. Der Bund ist hier jedenfalls mit gutem Beispiel vorangegangen und hat die erforderlichen Mittel in den vergangenen Jahren konti- nuierlich erhöht. (Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Sehr schön!) Neben der Suche nach NS-verfolgungsbedingt entzo- genem Kulturgut beschäftigen sich mehrere Projekte und Einrichtungen auch mit der Aufarbeitung sogenannter entarteter Kunst. Auch die Erforschung der in der DDR sowie in der Sowjetischen Besatzungszone entzogenen Kulturgüter ist ein formulierter Auftrag des Koalitions- vertrages, womit eine weitere sensible Aufgabe in den Fokus der Provenienzforschung gerückt ist. Deutschland hat eine besondere, bleibende Verant- wortung für die Aufarbeitung des nationalsozialistischen Kunstraubs. Diese Verantwortung müssen vor allem die öffentlichen Kultureinrichtungen und ihre Träger wahr- nehmen. Die gemeinsame Erklärung von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden aus dem Jahr 1999 ruft aber auch privatrechtlich organisierte Einrichtungen sowie Privatpersonen dazu auf, ihrer Verantwortung zur Umsetzung der Washingtoner Prinzipien in Deutschland nachzukommen, auch wenn sie juristisch oder völker- rechtlich dazu nicht verpflichtet sind. Wir werden uns im Ausschuss für Kultur und Medien mit dem vorliegenden Antrag auseinandersetzen und ihn dort in angemessener Weise in seinen einzelnen Punkten beraten. Viele Punkte sind der Diskussion wert, vieles ist aber auch schon auf dem Weg. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Sigrid Hupach für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) 8198 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 (A) (C) (D)(B) Sigrid Hupach (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! 2015, also 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Nazidiktatur, debattieren wir heute hier im Bundestag über den Antrag von Bünd- nis 90/Die Grünen zur Provenienzforschung. Warum, bringt der schwedische Autor Anders Rydell in seinem kürzlich erschienenen Buch Hitlers Bilder: Kunstraub der Nazis – Raubkunst in der Gegenwart in einem Satz auf den Punkt: Im Januar 2013 wurde der deutschen Bundeskanz- lerin Angela Merkel plötzlich klar, dass sie auf Hermann Görings Teppich stand. Das ist weder überraschend noch eine Übertreibung. Zahlen einer Studie des Instituts für Museumsfor- schung von 2012 belegen den Nachholbedarf beim Thema NS-Raubkunst eindrucksvoll: Von 6 355 Museen in öffentlicher und privater Trägerschaft haben sich 3 800 an der Umfrage beteiligt. 60 Prozent dieser Mu- seen besitzen Objekte, die zwischen 1933 und 1945 er- worben wurden. Aber nur 285 von über 6 000 Museen haben erforscht, ob ihre Bestände NS-Raubkunst umfas- sen. Der Umgang mit dem Thema NS-Raubkunst ist mit den Begriffen „Langsamkeit“ und „Intransparenz“ zu- sammenzufassen. Analogien zur deutschen Entschädi- gungspolitik nach 1945 drängen sich auf. Der Fall Gurlitt hat in den letzten zwei Jahren Bewe- gung in die Sache gebracht, und der vorliegende Antrag der Grünen nutzt nun die Gunst der Stunde, einige eher unstrittige Forderungen aufzustellen: Ja, die Provenienz- forschung in Deutschland muss gestärkt werden. Ja, die Museen brauchen mehr Personal und ganz offensichtlich Nachhilfe in Sachen Herkunftsforschung. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist Konsens, dass auch private Sammler und Mu- seen eine zentrale Informationsstelle zu diesem Thema brauchen, und natürlich sollten mit Bundesgeldern ge- förderte Ausstellungen die Washingtoner Erklärung be- rücksichtigen. (Beifall bei der LINKEN) So weit, so brav und in Teilen bereits vom Engagement der Staatsministerin überholt. Mit mehr Geld und dem gerade gegründeten Deutschen Zentrum Kulturgutver- luste versucht sie, die genannten Punkte zumindest an- satzweise abzudecken. Es wäre sicherlich sinnvoll, die Arbeit des Zentrums in einem Jahr zu evaluieren. Nun stecken in diesem Antrag aber auch noch ein paar konkretere Forderungen. Es werden zwei rechtliche Verbesserungsvorschläge gemacht, um die Restitution, also Rückgabe, von in der NS-Zeit abgepressten oder ge- raubten Kunstgegenständen an ihre ursprünglichen Ei- gentümer oder deren Erben zu erleichtern. Denn die BRD hat es nach 1945 versäumt, Gesetze zu erlassen, die die Opfer dieses riesigen und systematischen Kunstraubs geschützt hätten. Und so stehen wir nun vor der Situation, Opferfamilien erklären zu müssen, dass ihre Ansprüche auf geraubtes Eigentum nach deutschem Recht allesamt verjährt sind. Das ist moralisch schwer vermittelbar. (Beifall bei der LINKEN) Die Grünen fordern jetzt die Bundesregierung auf, die §§ 935 und 937 des Bürgerlichen Gesetzbuches zu än- dern. Aber warum so zaghaft? Natürlich ist es sinnvoll, den Druck auf Auktionshäuser zu erhöhen, seriöse Her- kunftsforschung vor Versteigerungen zu betreiben, und ich nehme an, alle hier Anwesenden würden gern die rechtliche Stellung der NS-Opfer in dieser Frage stärken. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Vorschläge der Grünen bieten aber ein Heftpflaster an, wo eine Operation notwendig wäre. Denn an dem zu- grundeliegenden Problem – das ist die Beweislast – würde sich rein gar nichts ändern. Sie liegt nach wie vor beim ursprünglichen Eigentümer. Wie aber soll jemand, der durch den Terror der Nazis alles außer seinem Leben verloren hat, beweisen, dass jenes Bild oder dieses Buch ihm einst gehörte? Ich empfinde dies als eine Zumutung. (Beifall bei der LINKEN) Was wir an dieser Stelle bräuchten, wäre eine Beweis- lastumkehr. In einer von der Linken eingeforderten Anhörung des Ausschusses für Kultur und Medien zum Thema im Mai 2014 haben international anerkannte Experten wie Pro- fessor Dr. Haimo Schack oder Professor Dr. Julius Schoeps rechtliche Regelungen für die Rückgabe von NS-Raubkunst gefordert. Auch in der von uns im letzten Sommer veranstalteten Podiumsdiskussion hier im Reichstag wurde ein Restitutionsgesetz angemahnt. Stefan Koldehoff schlug einen Fonds vor, analog zur Zwangsarbeiterentschädigung. Diese Idee taucht im vor- liegenden Antrag auch auf. An Ideen und Engagement, den Zustand zu ändern, dass sich im Jahr 2015 noch immer eine Vielzahl von Raubkunst in deutschen Museen und Wohnzimmern be- findet, mangelt es also nicht. Die Bundesregierung will offensichtlich bei den „fai- ren und gerechten Lösungen“ der Washingtoner Erklä- rung bleiben. Ich kann an Sie nur appellieren, auf die eben genannten Experten zu hören und endlich den ge- forderten Gesetzentwurf vorzulegen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Burkhard Blienert hat für die SPD-Frak- tion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Burkhard Blienert (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor etwas mehr als ei- ner Woche haben wir anlässlich des 70. Jahrestages der Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 8199 Burkhard Blienert (A) (C) (D)(B) Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz der Opfer der NS-Diktatur gedacht. Es gehört heute zu unserem nationalen Selbstverständnis, dass Deutschland seine immerwährende Verantwortung für diese grausamsten Verbrechen in seiner Geschichte annimmt. Eine Dimen- sion dieser moralischen Verantwortung besteht darin, die damaligen Verbrechen aufzuklären und Wiedergutma- chung zu leisten. Bezogen auf die Debatte über NS- Raubkunst, die sogenannten verfolgungsbedingt entzo- genen Kulturgüter, ist es wichtig, hervorzuheben, dass der planmäßige Entzug von Eigentum ein wesentliches Element der geplanten und systematischen Vernichtung der Juden war. Dabei spielt es im Resultat keine Rolle, ob der Entzug auf der Grundlage von unfreiwilligem Verkauf, Erpressung, Enteignung, Beschlagnahme, Diebstahl oder Raub erfolgte. Mit dem Fall Gurlitt wurde offenbar, dass in der Bun- desrepublik über Jahrzehnte hinweg der gesamte Kom- plex der unrechtmäßigen Entziehung von Kulturgütern während der NS-Zeit nur unzureichend aufgearbeitet worden ist. Der von der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen vorgelegte Antrag, der viele in diesem Kontext dis- kutierte Vorschläge in Bezug auf die Provenienzfor- schung und Restitutionspraxis aufgreift, spricht daher ein außerordentlich wichtiges Thema an. Es ist wichtig, zu betonen, dass sich die Bundesregie- rung zusammen mit den Ländern und kommunalen Spit- zenverbänden vorbehaltlos zur Verantwortung für die Aufarbeitung von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut in öffentlichen Sammlungen bekennt. Diese Verantwortung beruht auf den Prinzipien der Washingto- ner Erklärung von 1998. In einer Gemeinsamen Erklä- rung haben sich dann Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände 1999 zur Auffindung und zur Rück- gabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz, verpflichtet. Alle öf- fentlichen Einrichtungen sind aufgerufen, ihre Kultur- gutbestände zu überprüfen und unklare oder verdächtige Erwerbsvorgänge offenzulegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, um diese Verpflich- tung umzusetzen, sind in der Folge zahlreiche Instru- mente entstanden. Dazu gehört die Lost-Art-Internetda- tenbank der Koordinierungsstelle Magdeburg, mit der seit dem Jahr 2000 ein Verzeichnis geschaffen wurde, welches heute 154 000 detailliert und mehrere Millionen summarisch beschriebene Kulturgüter auflistet, die in- folge der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und der Ereignisse des Zweiten Weltkrieges verbracht, ver- lagert oder insbesondere jüdischen Eigentümern ver- folgungsbedingt entzogen wurden. 2003 wurde zur Schlichtung strittiger Restitutionsfragen eine unabhän- gige Beratende Kommission unter Leitung von Jutta Limbach gegründet, die konkrete Fälle prüfen und un- verbindliche Empfehlungen für faire und gerechte Lö- sungen aussprechen kann. 2008 wurde dann die Arbeits- stelle für Provenienzforschung bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz geschaffen, die seitdem mit insgesamt 14,5 Millionen Euro Museen und Bibliotheken bei der dezentralen Herkunftssuche unterstützt hat. Ich beschreibe diese Punkte, um die jenseits aller Re- gierungsfarben unternommenen Bemühungen aufzuzei- gen, die es in den letzten Jahren gegeben hat, um Prove- nienzrecherche und -forschung gezielt zu verbessern. Doch noch immer gibt es Verbesserungsmöglichkeiten, die im Antrag auch benannt werden. Der sogenannte Schwabinger Kunstfund machte aber auch deutlich, dass es in Deutschland an einem einheitli- chen Ansprechpartner sowohl für Museen und Kunst- händler als auch für Privatpersonen fehlt und dass wei- terhin erhebliche Mittel und Personal benötigt werden, um dem Bedarf zu entsprechen. Auch die Tatsache, dass die Washingtoner Erklärung für private Besitzer nicht verbindlich ist, stellt einen unbefriedigenden Zustand dar. Von daher ist es außerordentlich zu begrüßen, dass mit Unterstützung des Bundestages Staatsministerin Grütters deutlich mehr Mittel für die Provenienzfor- schung zur Verfügung stellt und die Gründung des Deut- schen Zentrums Kulturgutverluste auf den Weg gebracht hat. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Sigrid Hupach [DIE LINKE]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, so sollen die Kom- petenzen der verschiedenen Einrichtungen gebündelt und damit ein einheitlicher Ansprechpartner geschaffen werden. Auch Privatpersonen können sich dahin wen- den, die ihre Sammlungen gewissenhaft überprüfen wol- len. Zudem ist die Aufarbeitung von Kulturgutverlusten in der ehemaligen DDR bzw. der Sowjetischen Besat- zungszone Aufgabe der Stiftung, eine wichtige Aufgabe; denn bislang wurden fast ausschließlich die in der Zeit des Nationalsozialismus entzogenen Kulturgüter in den Blick genommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe deutlich machen wollen, wie ernst die Koalitionsfraktionen das im Antrag vorgetragene Anliegen nehmen. Viele der zu Recht benannten Forderungen an die Bundesregierung werden ganz im Sinne der Washingtoner Prinzipien um- gesetzt. Wir wissen allerdings auch, dass noch eine Menge zu tun ist; denn die Recherche über die Herkunft der Kunstwerke ist nur ein Teil dieser Arbeit. Die Bundesregierung bemüht sich zugleich darum, die Rechtslage in Deutschland dahin gehend zu verbes- sern, unter welchen Umständen Kunstwerke, die jüdi- schen Bürgern geraubt wurden und die sich heute in öf- fentlichen und privaten Museen oder in Privatbesitz befinden, den ursprünglichen Eigentümern zurückgege- ben werden können und müssen. Das sind für mich zwei Seiten einer Medaille – beides gehört zusammen –: eine bessere Provenienzrecherche und -forschung sowie das Bemühen, jüdischen Alteigen- tümer bzw. ihren Rechtsnachfolgern NS-verfolgungsbe- dingt entzogenes Kulturgut wirklich zurückgeben zu können. 8200 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 Burkhard Blienert (A) (C) (D)(B) Ich freue mich auf die konstruktiven Gespräche in den Ausschüssen und bedanke mich heute für Ihre Auf- merksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Sigrid Hupach [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin Dr. Astrid Freudenstein das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle- gen! Meine Damen und Herren! Wir nähern uns in gro- ßen Schritten dem Wochenende. Ich will Ihnen hier kurz von einem gelungenen Fall von Provenienzforschung berichten. Im Kunstforum Ostdeutsche Galerie, ein durchaus re- nommiertes Museum in meiner Heimatstadt Regens- burg, hängt ein Ölgemälde von Lovis Corinth, die Drei Grazien. Das Motiv kennen Sie: drei nackte Frauen, die sich berühren und umarmen. Raphael hat sie gemalt, ebenso Rubens. Im 16. und 17. Jahrhundert war dieses Thema in der Kunst sehr beliebt. Insofern ist das Werk von Lovis Corinth ein bisschen aus der Zeit gefallen. Corinth war schon in der Moderne ein großer Konserva- tiver. Seine Drei Grazien sind erst vor hundert Jahren entstanden. Dieses Bild hängt als Dauerleihgabe der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen in Regensburg. Das dortige Kunstforum Ostdeutsche Galerie ist ein Spezialmuseum mit einem bundesweit einzigartigen Auftrag. Es bewahrt das Kunsterbe der ehemals deutsch geprägten Kultur- räume in Osteuropa. Das ist interessant, weil der Bund an diesem Haus finanziell ganz wesentlich beteiligt ist. Seit einigen Monaten nun hängt neben diesem Ge- mälde ein kleines Schild mit Anmerkungen zur Proveni- enz der Drei Grazien. Die Geschichte, die hier zu lesen ist, ist eine ausgesprochen spannende; denn das Gemälde ist mit dem tragischen Schicksal einer jüdischen Familie eng verbunden, der Familie Levy. Clara Levy, eine Tuchfabrikantin hier aus Berlin, war seit 1921 die Eigen- tümerin dieses Bildes. Das Gemälde gelangte 1939, als sie Deutschland verlassen musste, mit ihrem Umzugsgut nach Luxemburg, wo Clara Levy wenig später starb. Ihre Erben ließen die Drei Grazien zu Verwandten nach New York verschiffen. Hier wird es dann unübersichtlich: Die Erbengemein- schaft von Clara Levy beantragte nämlich 2002 von den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen die Rückgabe dieses Bildes. Aussage stand gegen Aussage: Die Fami- lie Levy behauptete, dass das Bild nie in Amerika ange- kommen sei. Ihrer Meinung nach haben die NS-Behör- den das Gemälde noch vor der Verschiffung nach New York beschlagnahmt. Bei den Verwandten in Amerika sei das Bild jedenfalls nie angekommen. Die Bayeri- schen Staatsgemäldesammlungen widersprachen: Sie se- hen sich als rechtmäßige Eigentümer, also ein klassi- scher Fall für die Provenienzforschung. Sie erforscht die Herkunft eines Kunstwerkes, recherchiert die Besitzver- hältnisse, stellt rechtmäßige und unrechtmäßige Eigentü- mer fest. Nun beschäftigen wir uns heute mit einem Antrag der Grünen, der die Defizite in der Provenienzforschung darlegt. Sie sehen ein generelles Informationsdefizit und verlangen eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Kulturgutverlust, auch anderer Opfergruppen als der NS- Opfer, und sind der Meinung, dass Privatleute beim Thema Provenienzforschung immer noch recht alleine gelassen werden. In Ihrem Antrag steht: Auch die von der Bundesregierung geplante Grün- dung eines „Deutschen Zentrums für Kulturgutver- luste“ wird diese wesentlichen Problemfelder nicht abfangen und beheben können. Ich möchte Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, doch ans Herz legen, die Satzung des neu gegründeten Zentrums zu lesen. Ich gebe gerne zu, dass es Spannenderes als dieses neunseitige Papier gibt. Aus der Satzung des „Deutschen Zentrums Kulturgut- verluste“ geht jedoch klar hervor, was unter Staatsminis- terin Grütters geschaffen wird. Ein Großteil Ihrer Forde- rungen ist in dieser Satzung bereits realisiert. Die Gründung des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste markiert auch längst nicht den Anfang der Bemühungen um Provenienzforschung und Restitution. (Beifall bei der CDU/CSU) Seit dem Jahr 2008 wurden über die Arbeitsstelle für Provenienzforschung 170 Projekte in 89 Museen und Dutzenden Bibliotheken, wissenschaftlichen Institutio- nen und universitären Einrichtungen gefördert. Förder- gelder in Höhe von rund 12 Millionen Euro wurden zur Verfügung gestellt. In den geförderten Projekten wurden und werden mehr als 90 000 Objekte – überwiegend Ge- mälde, Zeichnungen und Grafiken – und mehr als 520 000 Bücher und Drucke überprüft, bei denen ein Verdacht auf NS-verfolgungsbedingten Entzug nicht ausgeschlossen werden konnte. Die Fundmeldungen öffentlicher Einrichtungen in der Lost-Art-Datenbank haben sich seit dem Jahr 2008 mehr als vervierfacht, und zwar auf jetzt gut 29 000. Nach Er- kenntnissen der Koordinierungsstelle in Magdeburg wurden in Deutschland allein im Bereich NS-Raubkunst seit der Washingtoner Erklärung von 1998 mehr als 12 000 Objekte restituiert. Diese Zahlen beeindrucken, und doch – darin sind wir uns alle einig – liegt noch ein ganzes Stück Arbeit vor uns. Klar ist, dass die Debatte um Provenienzforschung durch den Schwabinger Kunstfund eine neue Dynamik bekommen hat. Klar ist aber auch, dass Sie Ihren Antrag besser vor zehn Jahren eingebracht hätten: Im Spätsom- mer 2005 wäre er genau richtig gewesen. Denn damals neigte sich gerade die zweite Legislaturperiode dem Ende zu, in der Rot-Grün die Mehrheit hatte. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Warum haben Sie ihn denn in den letz- ten zehn Jahren nicht gestellt? Sie hatten zehn Jahre Zeit dazu!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 8201 Dr. Astrid Freudenstein (A) (C) (D)(B) Zwei Legislaturperioden lang, und zwar genau die sie- ben Jahre nach der Washingtoner Erklärung, ist nämlich in Sachen Provenienzforschung in unserem Land reich- lich wenig passiert. (Beifall bei der CDU/CSU) Erst mit der Amtsübernahme durch Bernd Neumann und nun mit Monika Grütters wurde der Provenienzfor- schung die herausgehobene Stellung eingeräumt, die sie jetzt hat. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glauben Sie ja selber nicht!) Die Drei Grazien – um die Geschichte zu Ende zu bringen – sind übrigens noch immer im Regensburger Kunstforum Ostdeutsche Galerie zu sehen. Nicht nur deshalb lege ich Ihnen einen Besuch dieses Hauses be- sonders ans Herz. Die Limbach-Kommission, von der vorhin schon die Rede war, die sich strittigen Fällen der Provenienzforschung widmet, hat unmissverständlich empfohlen, das Gemälde bei den Bayerischen Staatsge- mäldesammlungen zu belassen. Sie sind der rechtmäßige Eigentümer. Die Wissenschaftler der Koordinierungsstelle Magde- burg haben Frachtzettel unter die Lupe genommen, Un- terschriften verglichen, Stempel inspiziert und Verkaufs- urkunden überprüft. Die Drei Grazien wurden nämlich tatsächlich wie geplant von Luxemburg nach Amerika verschifft und dort von den Verwandten entgegengenom- men. Sie verkauften das Bild an den New Yorker Galle- risten Curt Valentin, der die Drei Grazien 1949 zurück nach Europa verkaufte, und zwar an das Kunstmuseum Bern. Im März 1950 erwarben die Bayerischen Staats- gemäldesammlungen das Bild wiederum vom Kunstmu- seum Bern. Der Fall ist beklemmend, weil die Eigentümerfamilie tatsächlich wegen der Nationalsozialisten Deutschland verlassen musste. Das Bild wurde aber weder von den NS-Behörden beschlagnahmt noch unter dem Druck der politischen Lage unter Wert verkauft. Beides war nicht der Fall. Die Anzahl der Restitutionen sagt also nichts darüber aus, wie gut Provenienzforschung funktioniert. Die Geschichte der Drei Grazien ist im Übrigen in der Lost-Art-Datenbank nachzulesen. Auch diese Lektüre möchte ich Ihnen fürs Wochenende ans Herz legen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege Metin Hakverdi für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Metin Hakverdi (SPD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- legen! Ein sprachliches Bild, das Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Ansprache zum 70. Jahrestag der Befreiung des deutschen Konzentrations- und Ver- nichtungslagers Auschwitz geprägt hat, hat mich in der Vorbereitung dieser Rede besonders begleitet. Er sagte, es sei „ein Bruch eingewebt in die Textur unserer natio- nalen Identität, der im Bewusstsein quälend lebendig bleibt“. Dieser Bruch in unserer Identität begleitet uns tatsächlich auch heute noch. 70 Jahre nach der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz ist es uns immer noch nicht gelungen, das NS-Unrecht zu beseitigen. Es lebt auch heute noch – auch in der modernen Bundesrepublik – fort. Eigentümerinnen und Eigentümer, denen verfolgungs- bedingt Kunstwerke entzogen wurden, oder deren Erben, warten noch immer auf Wiedergutmachung, Rückgabe und Gerechtigkeit. Dass die Folgen nationalsozialisti- scher Unrechtsmaßnahmen noch heute fortbestehen, be- fremdet uns. Wir haben Handlungsbedarf zum einen hinsichtlich der Sachverhaltsaufklärung bzw. der Tatsachenaufklä- rung und zum anderen hinsichtlich des rechtlichen Rah- mens. Bei der Tatsachenaufklärung haben wir in den Koalitionsvertrag geschrieben, dass wir die Provenienz- forschung verstärken wollen. Damit wollen wir dem An- spruch auf Restitution gerecht werden. Die Tatsachenaufklärung ist der zentrale Baustein, will man in irgendeiner Form dafür sorgen, dass Gerech- tigkeit hergestellt wird. Sämtliche Kunstwerke, die jüdi- schen Bürgern in der NS-Zeit geraubt wurden, müssen aufgespürt werden. Dies gilt besonders für deutsche Mu- seen. Auch solche Kunstwerke, die sich in Privatbesitz befinden, müssen stärker in den Fokus geraten. Zum 1. Januar dieses Jahres ist das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste als Stiftung bürgerlichen Rechts in Magdeburg gegründet worden. Ziel des Zentrums ist, die Initiativen von Bund, Ländern und Kommunen zu bün- deln. Es wird die unabhängig beratende Kommission unter der Leitung von Jutta Limbach ebenfalls unterstüt- zen. Ich wünsche mir, dass damit eine effektive Sachver- haltsaufklärung möglich wird. Die Herausforderungen hinsichtlich der Gestaltung ei- nes adäquaten Rechtsrahmens sind allerdings komplizier- ter. Was ist 70 Jahre nach Untergang des NS-Regimes gerecht? Auf der einen Seite haben wir es mit dem Ge- rechtigkeitsbedürfnis von Menschen zu tun, denen durch die Nazis Unrecht zugefügt wurde. Sie wurden ihres Ei- gentums beraubt. Auf der anderen Seite haben wir es mit Menschen zu tun, die unter Einsatz von privaten Mitteln Kunstgegenstände erworben haben. Kann es gerecht sein, wenn wir diese Menschen angesichts des NS-Un- rechts rechtlos stellen, auch wenn sie zum Zeitpunkt des Erwerbs eventuell gutgläubig waren? Möglicherweise bietet die Washingtoner Erklärung aus dem Jahr 1998 hierfür einen geeigneten Rahmen. Sie verlangt nach gerechten und fairen Lösungen. Sicher ist, dass das Gerechtigkeitsbedürfnis beider Seiten in Aus- gleich gebracht werden muss. Wir können nicht einseitig das Gerechtigkeitsbedürfnis einer Seite ignorieren. Wich- tig ist: Es muss erlaubt sein, sich den aufkommenden Fragen permanent mit einem ernsthaften Aufklärungs- willen zu stellen. Es reicht nicht, bloß auf den geltenden Rechtsrahmen zu verweisen. 8202 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 Metin Hakverdi (A) (C) (B) Wir müssen möglicherweise unsere Rechtsordnung nachjustieren. Zentrale Fragestellungen hierbei sind: Wel- che Anforderungen stellen wir an den guten Glauben beim Erwerb eines Kulturgutes? Wie sieht ein Herausga- beanspruch aus, der die verfassungsrechtlichen Grenzen echter Rückwirkung im Blick hat? Welche Verjährungs- fristen sind sachgerecht? Wie sehen die Regeln gutgläu- bigen Erwerbs in einer öffentlichen Auktion aus? Wel- che Verjährungsfrist ist hier sachgerecht? Des Weiteren müssen wir die Regelungen der gutgläubigen Ersitzung überprüfen. Ich finde, dass das Bundesjustizministerium an dieser Stelle gute Arbeitet leistet. Ich weiß, dass derzeit an ver- schiedenen Stellen Strategien im materiellen Recht und im Verfahrensrecht geprüft werden, um eine ausgewo- gene und gerechte Lösung zu entwickeln. Wir alle sind auf die Lösungsansätze gespannt. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/3046 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- ordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- destages auf Mittwoch, den 25. Februar 2015, 13 Uhr, ein. Bis dahin wünsche ich Ihnen alles Gute. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 14:48 Uhr) (D) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 8203 (A) (C) (B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten (D) Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Alpers, Agnes DIE LINKE 06.02.2015 Baehrens, Heike SPD 06.02.2015 Baumann, Günter CDU/CSU 06.02.2015 Becker, Dirk SPD 06.02.2015 Binninger, Clemens CDU/CSU 06.02.2015 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 06.02.2015 Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 06.02.2015 Brugger, Agnieszka BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 06.02.2015 Bulmahn, Edelgard SPD 06.02.2015 Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 06.02.2015 Dörner, Katja BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 06.02.2015 Drobinski-Weiß, Elvira SPD 06.02.2015 Dr. Fechner, Johannes SPD 06.02.2015 Freitag, Dagmar SPD 06.02.2015 Gerster, Martin SPD 06.02.2015 Hahn, Florian CDU/CSU 06.02.2015 Heinrich, Gabriela SPD 06.02.2015 Held, Marcus SPD 06.02.2015 Henn, Heidtrud SPD 06.02.2015 Dr. Hoppenstedt, Hendrik CDU/CSU 06.02.2015 Jung, Xaver CDU/CSU 06.02.2015 Kiesewetter, Roderich CDU/CSU 06.02.2015 Kühn (Tübingen), Christian BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 06.02.2015 Dr. Launert, Silke CDU/CSU 06.02.2015 Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 06.02.2015 Möhring, Cornelia DIE LINKE 06.02.2015 Monstadt, Dietrich CDU/CSU 06.02.2015 Mortler, Marlene CDU/CSU 06.02.2015 Dr. Müller, Gerd CDU/CSU 06.02.2015 Nietan, Dietmar SPD 06.02.2015 Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 06.02.2015 Obermeier, Julia CDU/CSU 06.02.2015 Radomski, Kerstin CDU/CSU 06.02.2015 Rohde, Dennis SPD 06.02.2015 Röspel, René SPD 06.02.2015 Rüffer, Corinna BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 06.02.2015 Rützel, Bernd SPD 06.02.2015 Schimke, Jana CDU/CSU 06.02.2015 Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 06.02.2015 Schneider (Erfurt), Carsten SPD 06.02.2015 Dr. Steffel, Frank CDU/CSU 06.02.2015 Strothmann, Lena CDU/CSU 06.02.2015 Ulrich, Alexander DIE LINKE 06.02.2015 Vaatz, Arnold CDU/CSU 06.02.2015 Dr. Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 06.02.2015 Weber, Gabi SPD 06.02.2015 Werner, Katrin DIE LINKE 06.02.2015 Zdebel, Hubertus DIE LINKE 06.02.2015 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 8204 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 (A) (C) (D)(B) Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Ausschuss für Gesundheit – Unterrichtung durch die Bundesregierung Zweiter Bericht der Bundesregierung über die Situa- tion der Versorgung der Bevölkerung mit Geweben und Gewebezubereitungen Drucksachen 18/2261, 18/2530 Nr. 8 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit – Unterrichtung durch die Bundesregierung Dritter Bodenschutzbericht der Bundesregierung Drucksachen 17/14044, 18/641 Nr. 15 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zur städtebaulichen Wir- kungsweise des § 11 Absatz 3 der Baunutzungsverord- nung Drucksachen 18/1922, 18/2530 Nr. 1 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 der Bundesregie- rung Drucksachen 18/3484, 18/3617 Nr. 2 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Nationaler Bildungsbericht – Bildung in Deutschland 2014 und Stellungnahme der Bundesregierung Drucksache 18/2990 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unions- dokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Be- ratung abgesehen hat. Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Drucksache 18/2845 Nr. A.2 Ratsdokument 13040/14 Drucksache 18/3218 Nr. A.2 Ratsdokument 14617/14 Finanzausschuss Drucksache 18/419 Nr. A.62 Ratsdokument 12991/13 Drucksache 18/3477 Nr. A.1 EUFIN 318/2014 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Drucksache 18/822 Nr. A.28 Ratsdokument 5654/14 Drucksache 18/822 Nr. A.31 Ratsdokument 6351/14 Drucksache 18/822 Nr. A.32 Ratsdokument 6714/14 Drucksache 18/822 Nr. A.33 Ratsdokument 6806/14 Drucksache 18/1393 Nr. A.35 Ratsdokument 8177/14 Drucksache 18/2533 Nr. A.58 Ratsdokument 12116/14 Drucksache 18/2935 Nr. A.5 Ratsdokument 13428/14 Drucksache 18/3110 Nr. A.14 Ratsdokument 14009/14 Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 86. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 16, ZP 4 Aktionsplan „Zivile Krisenprävention“ TOP 17 13. Sportbericht der Bundesregierung TOP 18 Konversion der Rüstungsindustrie in zivile Wirtschaft TOP 19 Kulturtourismus in den Regionen TOP 20 Provenienz verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter Anlagen
    Rede von Ulla Schmidt
    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)