(D)
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2014 7029
        (A) (C)
        (B)
        Anlagen zum Stenografischen Bericht
        Anlage 1
        Liste der entschuldigten Abgeordneten
        (D)
        Abgeordnete(r)
        entschuldigt bis
        einschließlich
        Alpers, Agnes DIE LINKE 4.12.2014
        Bleser, Peter CDU/CSU 4.12.2014
        Dağdelen, Sevim DIE LINKE 4.12.2014
        Freese, Ulrich SPD 4.12.2014
        Freitag, Dagmar SPD 4.12.2014
        Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 4.12.2014
        Gabriel, Sigmar SPD 4.12.2014
        Jung, Xaver CDU/CSU 4.12.2014
        Kermer, Marina SPD 4.12.2014
        Dr. Launert, Silke CDU/CSU 4.12.2014
        Lenkert, Ralph DIE LINKE 4.12.2014
        Liebich, Stefan DIE LINKE 4.12.2014
        Lutze, Thomas DIE LINKE 4.12.2014
        Dr. de Maizière,
        Thomas
        CDU/CSU 4.12.2014
        Mortler, Marlene CDU/CSU 4.12.2014
        Dr. Müller, Gerd CDU/CSU 4.12.2014
        Müntefering, Michelle SPD 4.12.2014
        Roth (Heringen),
        Michael
        SPD 4.12.2014
        Dr. Schick, Gerhard BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        4.12.2014
        Schlecht, Michael DIE LINKE 4.12.2014
        Schön (St. Wendel),
        Nadine
        CDU/CSU 4.12.2014
        Dr. Steffel, Frank CDU/CSU 4.12.2014
        Dr. Steinmeier, Frank-
        Walter
        SPD 4.12.2014
        Tillmann, Antje CDU/CSU 4.12.2014
        Walter-Rosenheimer,
        Beate
        BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        4.12.2014
        Wunderlich, Jörn DIE LINKE 4.12.2014
        Zollner, Gudrun CDU/CSU 4.12.2014
        Anlage 2
        Erklärung nach § 31 GO
        des Abgeordneten Hubertus Heil (Peine) (SPD)
        zu den Abstimmungen über
        – den von den Fraktionen der CDU/CSU und
        SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
        zur Änderung des Erneuerbare-Energien-
        Gesetzes
        – den von den Abgeordneten Oliver Krischer,
        Dr. Julia Verlinden, Annalena Baerbock,
        weiteren Abgeordneten und der Fraktion
        BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
        Entwurf eines Gesetzes zur zweiten Ände-
        rung des Gesetzes für den Ausbau erneuer-
        barer Energien
        (Tagesordnungspunkt 11)
        Der Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen zur
        Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, EEG,
        greift ein tatsächliches Problem auf. Auch weil Messan-
        lagen teuer sind und in der Vergangenheit bei anteiliger
        Direktvermarktung nicht die Notwendigkeit einer ge-
        trennten Messung gesehen wurde, wird in manchen Fäl-
        len die Stromerzeugung von mehreren Anlagen – zum
        Beispiel mehrerer Windräder in einem Windpark – über
        ein- und dieselbe Messeinrichtung gemessen. Dies ent-
        sprach der gängigen Praxis unter dem EEG 2012.
        Im EEG 2014 gibt es hierzu widersprüchliche Aussa-
        gen, die im Ergebnis dazu führen, dass eine anteilige Di-
        rektvermarktung nicht mehr zulässig ist, wenn der von
        einer Messeinrichtung gemessene Strom aus mehreren
        Anlagen stammt, von denen einige direkt vermarkten
        und andere die Einspeisevergütung erhalten. Der Anla-
        genbetreiber wird sanktioniert, indem er Vergütungsan-
        sprüche verliert. Dieses Ergebnis widerspricht der Geset-
        zesbegründung des EEG 2014. Daher sollte die bisherige
        Praxis wieder ermöglicht und eine anteilige Direktver-
        marktung über einen Zähler zugelassen werden.
        Dass ich dem Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die
        Grünen nicht zustimme, liegt zum einen an dem Um-
        Abgeordnete(r)
        entschuldigt bis
        einschließlich
        Anlagen
        7030 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2014
        (A) (C)
        (D)(B)
        stand, dass der Gesetzentwurf rechtlich nicht ausgereift
        ist und zu Folgeproblemen führen könnte, und zum an-
        deren daran, dass es bei unserem Koalitionspartner, der
        CDU/CSU-Bundestagsfraktion, noch Klärungsbedarf
        hinsichtlich der Frage der Rückwirkung gibt.
        Ich gehe davon aus, dass wir gemeinsam mit unserem
        Koalitionspartner den Fehler korrigieren und zeitnah
        eine rechtssichere Lösung finden.
        Anlage 3
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Richard Pitterle und Halina
        Wawzyniak (beide DIE LINKE) zur Abstim-
        mung über den von der Bundesregierung
        eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Än-
        derung der Abgabenordnung und des Einfüh-
        rungsgesetzes zur Abgabenordnung (Tagesord-
        nungspunkt 20 a)
        Wir haben uns bei dem Antrag der Fraktion Die Linke
        „Straffreiheit bei Steuerhinterziehung durch Selbstan-
        zeige abschaffen“ enthalten.
        Ziel des Antrages ist es, die Möglichkeit der Abgabe
        einer strafbefreienden Selbstanzeige bei Steuerhinterzie-
        hung gemäß § 371 AO abzuschaffen und Bagatelldelikte
        künftig als Ordnungswidrigkeiten zu behandeln.
        Wir halten Steuerhinterziehung für ein nicht zu ent-
        schuldigendes Delikt. Wer Steuern hinterzieht, entzieht
        sich der Verantwortung für die Gemeinschaft. Es ist des-
        halb richtig, die Regelungen zur strafbefreienden Selbst-
        anzeige bei Steuerhinterziehung zu verschärfen. Es ist
        deshalb auch richtig, den zu zahlenden Geldbetrag beim
        Absehen von Strafe und dessen Staffelung nach § 398 a AO
        deutlich anzuheben sowie den Hinterziehungsbetrag, ab
        dem eine Straffreiheit nicht mehr möglich ist, von
        50 000 Euro auf 25 000 Euro zu senken. Das findet un-
        sere Zustimmung.
        Die ersatzlose Abschaffung der strafbefreienden
        Selbstanzeige halten wir allerdings nicht für sinnvoll.
        Wir enthalten uns bei dem Antrag der Linken deshalb,
        weil wir der Meinung sind, dass eine Ausweitung der
        strafbefreienden Anzeige auf andere Bereiche ausge-
        dehnt werden sollte. Es könnte dann ein Mensch, der
        zum Beispiel einen Diebstahl, eine Sachbeschädigung
        begangen hat, oder jemand, der sich unerlaubt vom Un-
        fallort entfernt hat, soweit er noch nicht als Täter ent-
        deckt wurde, sich durch eine Selbstanzeige von der
        Strafbarkeit befreien. Dies würde zur Entkriminalisie-
        rung beitragen und die Gerichte entlasten.
        Außerdem kennt das Strafrecht in einigen Bereichen
        die sogenannte tätige Reue. Der Abschaffung der Straf-
        freiheit bei Steuerhinterziehung durch Selbstanzeige hät-
        ten wir dann zustimmen können, wenn zumindest die
        Möglichkeit der tätigen Reue an ihre Stelle getreten
        wäre. Dies würde keine zwingende Straffreiheit bedeu-
        ten, sondern hätte lediglich dem Gericht im Rahmen ei-
        ner Ermessensentscheidung die Möglichkeit gegeben,
        die Strafe im konkreten Einzelfall zu mildern oder von
        der Strafe abzusehen. Die tätige Reue gibt es beispiels-
        weise über den § 314 a Absatz 2 Nummer 2 d StGB auch
        für das Freisetzen ionisierender Strahlen (§ 311 StGB).
        Dieser Straftatbestand stellt unter Strafe, wenn jemand
        unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten ioni-
        sierende Strahlen freisetzt oder Kernspaltungsvorgänge
        bewirkt, die unter anderem geeignet sind, Leib oder Le-
        ben eines anderen Menschen zu schädigen. Wir halten es
        für unverhältnismäßig, bei Gefährdung von Leib und Le-
        ben die tätige Reue zu ermöglichen, bei der Hinterzie-
        hung von Steuern hingegen nicht.
        Sinnvoll ist es aus unserer Sicht, dafür zu sorgen, dass
        tatsächlich Steuern gezahlt werden. Die Linke hat des-
        halb in der 17. Wahlperiode die Einrichtung einer Bun-
        desfinanzpolizei als Wirtschafts- und Finanzermittlungs-
        behörde (vergleiche http://dip21.bundestag.de/dip21/
        btd/17/127/1712708.pdf) gefordert.
        Anlage 4
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
        Verbesserung des Schutzes gegen Diskriminie-
        rungen aufgrund des Gesundheitszustandes
        (Tagesordnungspunkt 16)
        Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU): Um den
        Schutz vor Diskriminierungen im Sinne des Artikels 3
        des Grundgesetzes zu verbessern, hatte die Große Koali-
        tion in der 16. Wahlperiode das Allgemeine Gleichbe-
        handlungsgesetz beschlossen. Dank des AGG wurden
        und werden Diskriminierungen erfolgreich beseitigt und
        verringert. Dies erkennt auch die Linksfraktion an, die
        dem Gesetz damals nicht zugestimmt hatte.
        Der Gesetzentwurf, den wir heute in erster Lesung be-
        raten, ist ein modifizierter Antrag der Linksfraktion aus
        der letzten Wahlperiode. Sein Ziel ist die Aufnahme
        chronischer Erkrankungen als Diskriminierungsmerkmal
        ins AGG. Damit soll „klargestellt“ werden, dass auch
        chronisch kranke Menschen durch das AGG geschützt
        werden.
        Begründet wird die angestrebte Änderung des Geset-
        zes im Wesentlichen mit der Kündigungsschutzklage ei-
        nes an einer symptomlosen HIV-Infektion erkrankten
        Klägers gegen ein Pharmaunternehmen. Diese sei in den
        ersten beiden Instanzen erfolglos und erst vor dem Bun-
        desarbeitsgericht erfolgreich gewesen.
        Was war der Sachverhalt? Ein Pharmaunternehmen,
        das intravenös zu verabreichende Arzneimittel herstellt,
        hatte den Kläger für eine Tätigkeit in einem Reinraum
        eingestellt. Wenige Tage nach Arbeitsbeginn hatte der
        Kläger den Betriebsarzt auf seine HIV-Infektion hinge-
        wiesen. Der Betriebsarzt hatte Bedenken gegen den Ein-
        satz des Klägers im Reinraum. Daraufhin kündigte das
        Pharmaunternehmen den Arbeitsvertrag unter Berufung
        auf seine Standard Operating Procedures. Nach diesen
        betriebsinternen Regeln sei die Beschäftigung von Mit-
        arbeitern mit ansteckenden Krankheiten im Reinraum
        verboten. Das Bundesarbeitsgericht hat das Berufungs-
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2014 7031
        (A) (C)
        (D)(B)
        urteil aufgehoben und den Rechtsstreit an das Landes-
        arbeitsgericht zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts
        zurückverwiesen, denn das Instanzgericht habe insbe-
        sondere nicht geprüft, ob das beklagte Pharmaunterneh-
        men durch angemessene Vorkehrungen einen Einsatz
        des Klägers im Reinraum hätte ermöglichen können.
        Tatsächlich wäre eine unterschiedliche Behandlung
        aufgrund beruflicher Anforderungen unter den Voraus-
        setzungen des § 8 Absatz 1 AGG zulässig. Dies ist dann
        der Fall, wenn der Diskriminierungsgrund gerade wegen
        der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingun-
        gen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende
        berufliche Anforderung darstellt und sowohl der Zweck
        rechtmäßig als auch die Anforderungen angemessen
        sind.
        Vom Bundesarbeitsgericht wurde entschieden, dass
        eine symptomlose HIV-Infektion eine Behinderung im
        Sinne des AGG zur Folge hat. Eine Behinderung im
        Sinne des § 1 AGG liegt nach BAG vor, wenn die kör-
        perliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Ge-
        sundheit eines Menschen langfristig eingeschränkt ist
        und dadurch – in Wechselwirkung mit verschiedenen so-
        zialen Kontextfaktoren – die Teilhabe an der Gesellschaft,
        einschließlich der Teilhabe am Berufsleben, substanziell
        beeinträchtigt sein kann (sogenannter bio-psycho-sozia-
        ler Behindertenbegriff). Eine symptomlose HIV-Infek-
        tion sei eine Behinderung in diesem Sinne, denn eine
        solche Infektion führe zu einer chronischen Erkrankung,
        die sich auf die Teilhabe des Arbeitnehmers an der Ge-
        sellschaft auswirke. Das gelte so lange, wie das gegen-
        wärtig auf eine solche Infektion zurückzuführende
        soziale Vermeidungsverhalten sowie die darauf beruhen-
        den Stigmatisierungen andauern.
        Aus den Ausführungen des BAG kann man den
        Schluss ziehen, dass künftig grundsätzlich jedwede
        chronische Erkrankung eine Behinderung im Sinne des
        Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes sein kann.
        Dies gilt grundsätzlich sogar für weitverbreitete Volks-
        krankheiten wie Diabetes mellitus, Arthrose, Rheuma
        oder Depressionen, an denen laut BAG etwa 40 Prozent
        der Deutschen leiden.
        Im Zeitpunkt, als die Linke in der letzten WP den
        Vorgängerantrag gestellt hatte, lag das BAG-Urteil noch
        nicht vor. Insofern war der Vorschlag grundsätzlich
        nachvollziehbar.
        Vor dem Hintergrund des jetzt vorliegenden BAG-
        Urteils werden wir uns im Ausschuss mit der Frage be-
        fassen müssen, ob die ausdrückliche Aufnahme von
        chronischen Krankheiten in den Katalog der in § 1 AGG
        aufgezählten Gründe zur Klarstellung grundsätzlich
        sinnvoll und erforderlich ist.
        Unabhängig davon ist der Gesetzentwurf der Linken
        – ebenso wie der damalige Antrag – unzureichend, denn
        er definiert den Begriff der chronischen Erkrankung
        nicht. Diese Abgrenzungsfrage, welche Krankheiten
        „chronische Erkrankungen“ im Sinne des Gesetzes sind,
        muss für den Anwendungsbereich aber klar beantwortet
        werden, zumal es eine Vielzahl von chronischen Erkran-
        kungen und unterschiedliche Definitionen hierfür gibt.
        Die in Artikel 2 des Gesetzentwurfs vorgeschlagene
        Änderung des Gesetzes über die Gleichbehandlung der
        Soldatinnen und Soldaten und ihre Begründung über-
        zeugt nicht. Die Behauptung, behinderte Soldatinnen
        und Soldaten seien „gänzlich schutzlos“ gestellt, ist
        schlicht falsch. Es liegt auch keine sachlich ungerecht-
        fertigte Ungleichbehandlung vor. Sowohl mit dem AGG
        als auch mit dem SoldGG wurden EU-Richtlinien zur
        Verwirklichung des Gleichbehandlungsgrundsatzes um-
        gesetzt. Ebenso wie andere Staaten auch haben wir in
        Deutschland aus militärischen Gründen von der Mög-
        lichkeit Gebrauch gemacht, die Richtlinie hinsichtlich
        von Diskriminierungen wegen einer Behinderung nicht
        für die Streitkräfte der Bundeswehr umzusetzen. Auf-
        grund des Erfordernisses der Einsatzbereitschaft und der
        Schlagkraft der Streitkräfte ist es gerechtfertigt, dass die
        Streitkräfte keine Personen einstellen oder weiterbe-
        schäftigen müssen, die hinsichtlich ihrer körperlichen
        oder geistigen Fähigkeiten nicht in der Lage sind, die je-
        weiligen Anforderungen an sämtliche ihnen zu stellende
        militärische Aufgaben zu erfüllen.
        Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Mit der Verabschie-
        dung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ist
        Deutschland seiner Verpflichtung nachgekommen, vier
        Richtlinien der Europäischen Union umzusetzen, die den
        Schutz vor Diskriminierung regeln. Daraufhin trat das
        Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, AGG, am 14. Au-
        gust 2006 in Kraft.
        Mit dem Gesetzentwurf „Entwurf eines Gesetzes zur
        Verbesserung des Schutzes gegen Diskriminierungen
        aufgrund des Gesundheitszustands“ fordert die Opposi-
        tion nun, das Tatbestandsmerkmal „Gesundheitszustand“
        in das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz aufzuneh-
        men, da andernfalls eine Schutzlücke für chronisch
        kranke Menschen und Menschen mit Pflegebedarf be-
        stünde. So heißt es in § 1 AGG:
        Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Grün-
        den der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft,
        des Geschlechts, der Religion oder Weltanschau-
        ung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuel-
        len Identität zu verhindern oder zu beseitigen.
        Bereits in der letzten Wahlperiode ist ein gleichlau-
        tender Antrag von der Fraktion Die Linke – Drucksache
        17/9563,17/13765 – mit gleicher Forderung eingebracht
        worden. Dieser wurde mit guten Argumenten abgelehnt.
        Seit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts,
        BAG, mit Urteil vom 19. Dezember 2013 – Az. 6 AZR
        190/12 – ist der vorgelegte Gesetzentwurf darüber hi-
        naus obsolet. Denn chronische Erkrankungen können
        seither unter das Tatbestandsmerkmal „Behinderung“
        subsumiert werden.
        Gegenstand der Entscheidung des 6. Senats war die
        Wirksamkeit einer sogenannten Wartezeitkündigung. Der
        an einer symptomlosen HIV-Infektion erkrankte Arbeit-
        nehmer wurde von der Beklagten, einem Pharmaunter-
        nehmen, das intravenös zu verabreichende Arzneimittel
        zur Krebsbehandlung herstellt, als chemisch-techni-
        scher Assistent für eine Tätigkeit im sogenannten Rein-
        7032 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2014
        (A) (C)
        (D)(B)
        raumbereich eingestellt. Bei einer Einstellungsuntersu-
        chung wenige Tage nach Arbeitsbeginn wies der
        Arbeitnehmer den Betriebsarzt auf seine Infektion hin.
        Dieser äußerte Bedenken gegen einen Einsatz des Ar-
        beitnehmers im Reinraum und informierte die Arbeitge-
        berin, nach Entbindung von seiner Schweigepflicht, über
        die Infektion des Arbeitnehmers. Die Arbeitgeberin kün-
        digte noch am selben Tag ordentlich und berief sich auf
        ihr internes Regelwerk, das eine Beschäftigung von Mit-
        arbeitern mit ansteckenden Krankheiten im Reinraum
        verbiete. Dieses Regelwerk geht auf Leitlinien der EU-
        Kommission über eine „gute Herstellungspraxis“ zurück
        und sieht unter anderem vor, dass Vorkehrungen getroffen
        werden sollten, „die, soweit es praktisch möglich ist, si-
        cherstellen, dass in der Arzneimittelherstellung niemand
        beschäftigt wird, der an einer ansteckenden Krankheit lei-
        det oder offene Verletzungen an unbedeckten Körper-
        stellen aufweist“. Der Arbeitnehmer erhob Kündigungs-
        schutzklage und machte eine Entschädigung geltend. Da
        seine HIV-Infektion alleiniger Kündigungsgrund sei, sah
        er sich durch die Kündigung wegen seiner Behinderung
        diskriminiert. Auch unter Berücksichtigung seiner indi-
        viduellen Krankheitsmerkmale sei ein risiko- und ge-
        fahrloser Einsatz des Arbeitnehmers im Reinraumbe-
        reich möglich gewesen.
        Das BAG führt dazu aus, dass die Kündigung des Ar-
        beitnehmers unmittelbar am Maßstab des AGG zu mes-
        sen sei. § 2 Absatz 4 AGG stehe dem nicht entgegen, da
        diese Vorschrift nur das Verhältnis zwischen dem AGG
        und speziell auf Kündigungen zugeschnittener Vor-
        schriften wie insbesondere dem KSchG regele. Die
        symptomlose HIV-Infektion des Arbeitnehmers stelle als
        chronische Krankheit eine Behinderung im Sinne des
        AGG dar. Dies gelte jedenfalls, wenn und soweit das auf
        solche Infektionen zurückzuführende soziale Vermei-
        dungsverhalten und die darauf beruhenden Stigmatisie-
        rungen andauerten und eine gesellschaftliche Partizipa-
        tion der HIV-Infizierten damit unmöglich gemacht
        würde.
        Der Gesetzentwurf ist demnach folgerichtig abzuleh-
        nen. Denn im Ergebnis steht fest, dass Behinderungen
        im Sinne des AGG grundsätzlich auch chronische
        Krankheiten sind, sofern die erforderliche Beeinträchti-
        gung der Teilhabe vorliegt. Es besteht keine Regelungs-
        lücke und für die von der Opposition genannte Personen-
        gruppe ein gesetzlicher Diskriminierungsschutz. Das
        begrüßen wir ausdrücklich, denn mehr als ein Drittel der
        Bevölkerung in Deutschland – also rund 27 Millionen
        Menschen – leiden an einer oder an mehreren chroni-
        schen Erkrankungen, und die Zahl der Betroffenen
        nimmt immer weiter zu.
        Dr. Matthias Bartke (SPD): Am Montag dieser Wo-
        che war Welt-Aids-Tag. Seit 1988 wird er jedes Jahr am
        1. Dezember begangen. Die rote Schleife ist eines der
        sichtbarsten Zeichen an diesem Tag. Sie ist ein Zeichen
        für Toleranz und Solidarität mit den Menschen, die von
        HIV oder Aids betroffen sind. In diesem Jahr gibt es au-
        ßerdem eine Schwerpunktkampagne unter dem Motto
        „Positiv zusammen leben“. Es geht dabei um Gewis-
        sensfragen. Was würdest du zu einem HIV-positiven Bä-
        cker sagen? Dürfte dein Kind mit HIV-positiven Kindern
        spielen? Würdest du mit einem HIV-positiven Kollegen
        in die Kantine gehen? Vertrauen wir auf unser Wissen
        um HIV und Aids, wenn es darauf ankommt? Oder ist
        die Angst größer?
        Im Sommer veröffentlichte die Deutsche Aids-Hilfe
        eine Studie zur Diskriminierung von Menschen mit HIV.
        Mehr als drei Viertel aller Befragten gaben an, solche
        Erfahrungen im letzten Jahr gemacht zu haben. Das ging
        von Gerede über Beleidigungen bis hin zu tätlichen An-
        griffen. Bei diesem Ergebnis verwundert es nicht, dass
        Berater und Experten einen neuen Trend zum Verschwei-
        gen und Verstecken von HIV-Infektionen beobachten.
        Umso wichtiger ist die Aufklärung!
        Meine Damen und Herren von der Linken, ich gehe
        hier deshalb so umfänglich auf HIV und Aids ein, weil
        Sie in Ihrem Antrag einen HIV-infizierten Chemielabo-
        ranten zum Beispielfall machen. Diesem Laboranten
        wurde gekündigt, als der Arbeitgeber von der Infektion
        erfuhr. In der letzten Legislaturperiode haben Sie einen
        ähnlichen Gesetzentwurf wie den heutigen vorgelegt.
        Schon in diesem war der Chemielaborant Ausgangs-
        punkt Ihrer Forderungen. Zum Zeitpunkt Ihres damali-
        gen Antrags lagen nur die Gerichtsurteile des Berliner
        Arbeitsgerichts und des Berliner Landesarbeitsgerichts
        vor. Diese bestätigten beide die Kündigung. Das ist unter
        den gegebenen Umständen ein Unding. Das Bundes-
        arbeitsgericht aber hat die Kündigung bereits vor etwa
        einem Jahr für rechtswidrig erklärt. Ich frage mich wirk-
        lich, ob Sie das Urteil gelesen haben. Das Urteil nämlich
        nimmt der Kündigung zwar definitiv nichts an Brisanz.
        Es begründet aber auch sicher nicht die Aufnahme des
        Diskriminierungsmerkmals Gesundheitszustand.
        Das Landesarbeitsgericht hat eben nicht festgestellt,
        ob der Kläger behindert ist, sondern dies ausdrücklich
        offen gelassen. Dem Chemielaborant war durch das zu-
        ständige Versorgungsamt aber ein GdB von 10 zuerkannt
        worden. Das ist der geringste GdB, den es gibt. Doch das
        spielt keine Rolle: Auch mit diesem geringen GdB war
        der Chemielaborant selbstverständlich behindert und fiel
        unter das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, AGG.
        Bei der Kündigung handelte es sich also klar um eine
        Ungleichbehandlung, auch wenn nach einem scheinbar
        objektiven Kriterium entschieden wurde.
        Kurz und gut: Das Landesarbeitsgericht hat die Kün-
        digung bestätigt, obwohl ein Diskriminierungsmerkmal
        des AGG vorlag. Das Bundesarbeitsgericht hat dieses
        Urteil daher zu Recht aufgehoben.
        An diesem Beispielfall soll aber nicht entschieden
        werden, ob die Aufnahme des Diskriminierungsmerk-
        mals Gesundheitszustand unsere Ablehnung oder Zu-
        stimmung erfährt. Zumal es bei chronischen Krankhei-
        ten nicht nur um HIV und Aids geht. Es geht auch um
        Diabetes, Krebs und Adipositas, es geht um Hautkrank-
        heiten oder psychische Erkrankungen. Dennoch wirft
        der Fall eine sehr wichtige Frage auf. Das ist die Frage:
        Wird chronische Erkrankung von Behinderung erfasst?
        Nicht jeder chronisch kranke Mensch gilt heute als
        behindert. Schon gar nicht gilt der Umkehrschluss, dass
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2014 7033
        (A) (C)
        (D)(B)
        jeder Behinderte chronisch krank ist. Und es ist auch
        nicht so, dass jede chronische Erkrankung einen beson-
        deren, besseren Schutz nötig macht.
        Ob Menschen mit chronischen Krankheiten unter den
        Schutz des AGG fallen, hängt heute davon ab, ob ihre
        Erkrankung als Behinderung gilt. Sie sind also nicht
        grundsätzlich vom AGG ausgeschlossen
        Im AGG sind chronische Erkrankungen erfasst, wenn
        sie zu Behinderungen werden. Das ist keineswegs erst
        dann der Fall, wenn eine Schwerbehinderung mit einem
        GdB von mindestens 50 vorliegt. Eine Behinderung liegt
        dann vor, wenn die körperliche Funktion, die geistige
        Fähigkeit oder die seelische Gesundheit eines Menschen
        mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate
        von dem für das Lebensalter typischen Zustand abwei-
        chen und daher seine Teilhabe am Leben in der Gesell-
        schaft beeinträchtigt ist. So steht es im SGB IX. Und von
        diesem Behinderungsbegriff sind die allermeisten chro-
        nisch kranken Menschen erfasst. Ich habe einige Zeit das
        Hamburger Versorgungsamt geleitet und weiß, wovon
        ich spreche.
        Es gibt jedoch auch Fälle, in denen dieser Behinde-
        rungsbegriff in Bezug auf chronische Erkrankungen an
        seine Grenzen stößt. Das ist dann der Fall, wenn mit der
        chronischen Erkrankung eine relativ geringe Funktions-
        beeinträchtigung einhergeht, die Erkrankung selbst aber
        in der Gesellschaft besonders stark stigmatisiert wird.
        Auch diese Betroffenen müssen vor Diskriminierung ge-
        schützt werden. Diesen Schutz gilt es zu verankern, und
        der Weg dafür ist schon vorgegeben: Es geht uns um
        eine Weiterentwicklung des Behinderungsbegriffs im
        Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention. Danach
        folgt das AGG einem sozialen Modell und erfasst chro-
        nische Krankheiten immer dann, wenn sie zu elementa-
        ren Teilhabestörungen führen. In diesen Fällen fallen sie
        grundsätzlich unter den Behinderungsbegriff und wer-
        den damit durch das jetzige AGG voll erfasst.
        Das AGG ist die Grundlage, um allen Menschen in
        Deutschland Schutz vor Diskriminierung zu bieten. Für
        eine echte Kultur der Nichtdiskriminierung – im Alltag
        und in unseren Köpfen – ist Aufklärung notwendig. Un-
        ser Ziel muss am Ende sein: Gewissensfragen sollen von
        allen in der Gesellschaft im Sinne von Solidarität und
        Toleranz beantwortet werden. Ohne Unterscheidung zwi-
        schen Behinderung und chronischer Erkrankung!
        Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Meine
        Fraktion hat Ihnen den Entwurf eines Gesetzes zur Ver-
        besserung des Schutzes gegen Diskriminierungen vorge-
        legt. Der letzte Auslöser dafür war ein Urteil des Bundes-
        arbeitsgerichts im Zusammenhang mit der Kündigung
        gegen einen HIV-infizierten Chemielaboranten. Diesem
        jungen Mann war aufgrund seiner HIV-Infektion gekün-
        digt worden, nachdem sein Arbeitgeber von der Infek-
        tion erfahren hatte. Als er gegen diese Kündigung klagte,
        verlor er sowohl in der ersten Instanz vor dem Berliner
        Arbeitsgericht als auch in der zweiten Instanz vor dem
        Berliner Landesarbeitsgericht. Erst das Bundesarbeitsge-
        richt erklärte die Kündigung für rechtswidrig.
        Schicksale wie dieses könnte ich Ihnen ohne Unter-
        brechung darlegen. In meiner ehrenamtlichen Tätigkeit
        bei einer der Brandenburger Aids-Hilfen ist mir bei-
        spielsweise ein Mann – ich nenne ihn hier einmal R. –
        begegnet, der in einem sehr großen, ehemals öffentlichen
        Unternehmen arbeitet. Auf einer Betriebsfeier rutschte
        ihm im leicht angeheiterten Zustand vor den Kollegen
        heraus, dass er HIV-positiv sei. Er selbst hatte sein dies-
        bezügliches Test-Ergebnis erst wenige Tage vorher er-
        fahren. Deshalb war er noch in einer Art seelischen Aus-
        nahmezustands. Von diesem Moment an war plötzlich
        nichts mehr wie vorher. Seine Kollegen – und ich be-
        nutze bewusst die männliche Form – behandelten ihn
        von einer Sekunde auf die andere, als ob er plötzlich ein
        Monster geworden wäre. Sie weigerten sich beispiels-
        weise, gemeinsam mit ihm noch dasselbe Diensttelefon
        zu benutzen. Andere Kollegen lehnten es ab, von ihm
        gefahren zu werden. Die absurdesten Dinge passierten.
        Die Wochen nach diesem eher unfreiwilligen Coming-
        out waren für R. die Hölle. Er wurde schwer depressiv
        und war lange krankgeschrieben. Es drohte eine Kündi-
        gung aufgrund dieser langen gesundheitsbedingten Aus-
        fallzeiten und Krankschreibungen. Glücklicherweise ge-
        lang es uns seitens der Aids-Hilfe, im Unternehmen
        Personalräte zu finden, die sich für den Kollegen ein-
        setzten. So konnten wir gemeinsam eine Kündigung ver-
        hindern. R. wurde versetzt und in einem anderen
        Betriebsteil eingesetzt. Das war in dem großen Unter-
        nehmen glücklicherweise möglich. In einem kleinen Un-
        ternehmen hätte es mit Sicherheit keine derartige Chance
        der Konfliktdämpfung gegeben. Sein altes Team weigert
        sich bis heute trotz Aufklärung und Gespräch strikt, wei-
        ter mit R. zu arbeiten.
        Nun ist mir natürlich bewusst, dass sich durch ein Ge-
        setz an dieser Haltung der Kollegen gar nichts ändern
        würde. Und die aktuelle Kampagne der Deutschen Aids-
        Hilfe und der Bundeszentrale für Gesundheitliche Auf-
        klärung machen deutlich, wie wichtig es ist, Verhalten
        und Einstellung zu hinterfragen. Denn genau darum geht
        es: Würde ich mit einem HIV-positiven Kollegen mit-
        fahren? Na klar, warum denn nicht? Wenn er pünktlich
        ist?
        Aber rechtlich wäre R. erheblich besser vor Diskrimi-
        nierung und Mobbing geschützt als zum gegenwärtigen
        Zeitpunkt. Und dies müssen wir erreichen und sicher-
        stellen, auch ohne dass ein Bundesarbeitsgericht erst
        durch entsprechende Rechtsprechung dafür sorgt, dass
        vorherige Kündigungen oder andere Diskriminierungen
        für rechtswidrig erklärt werden. Wenn eine Kündigung
        oder Diskriminierung aufgrund einer gesundheitlichen
        Beeinträchtigung oder einer chronischen Krankheit
        rechtswidrig ist, dann kann und sollte dies auch in dem
        Gesetz klar und deutlich benannt und geregelt werden,
        das dieser Bundestag zum Schutz vor Diskriminierungen
        beschlossen hat – dem Allgemeinen Gleichbehandlungs-
        gesetz, AGG. Nicht mehr, aber auch nicht weniger schla-
        gen wir Ihnen heute vor und werben um Ihre Zustim-
        mung dafür.
        Im Übrigen haben wir damit auch eine Forderung der
        Antidiskriminierungsstelle des Bundes aufgegriffen, die
        seit ihrem Bestehen darauf hinweist, dass chronische Er-
        7034 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2014
        (A) (C)
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        krankungen ebenso wie Behinderung ausdrücklich im
        AGG benannt werden sollten. Und wenn die Bundesre-
        publik es ernst meint mit der Anerkennung der UN-Be-
        hindertenrechtskonvention, wie sie es mit ihrer Unter-
        schrift bekundet hat, dann muss sie sich auch von ihrem
        bisher eingeschränkten Behindertenbegriff verabschie-
        den. Denn in dieser UN-Behindertenkonvention heißt es:
        „Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Men-
        schen, die langfristige körperliche, seelische, geistige
        oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in
        Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der
        vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an
        der Gesellschaft hindern können.“ Dieser Begriff hätte
        im AGG benutzt werden müssen.
        Am vergangenen Montag war Welt-Aids-Tag. Eine
        Gruppe Abgeordneter aus allen Fraktionen dieses Hau-
        ses hat gemeinsam mit der Berliner Aids-Hilfe Spenden-
        gelder gesammelt und Rote Schleifen als Zeichen der
        Solidarität mit den Betroffenen verteilt. Das ist ein star-
        kes politisches Signal: Menschen mit HIV und Aids sind
        uns hier nicht egal. Und es gibt in allen Fraktionen Ver-
        bündete in Sachen Solidarität. Das ist gut so!
        Es wäre zu wünschen, dass diese Gemeinsamkeit in
        der tätigen Solidarität auch zu einer Gemeinsamkeit in
        der konkreten politischen Unterstützung für Menschen
        mit chronischer Krankheit oder gesundheitlicher Beein-
        trächtigung – für Menschen mit HIV und Aids – führen
        könnte.
        Angesichts der Tatsache, dass es in anderen Mit-
        gliedsländern der EU – in Belgien, Finnland, Frankreich,
        Lettland, Slowenien, Tschechien und Ungarn – einen ge-
        setzlichen Diskriminierungsschutz gibt, der auch den
        Schutz vor Diskriminierungen aufgrund des Gesund-
        heitszustandes ausdrücklich benennt, sollten wir sofort
        aktiv werden und handeln. Auch die Internationale Ar-
        beitsorganisation ILO empfiehlt dies ausdrücklich. Groß-
        britannien benennt HIV als chronische Krankheit. Und
        Rumänien und Holland benennen chronische Krankhei-
        ten als eigenes Diskriminierungsmerkmal. Wie man es
        also dreht und wendet, eine Verbesserung des gesetzli-
        chen Diskriminierungsschutzes ist für chronisch Kranke
        und Menschen mit gesundheitlicher Beeinträchtigung
        mehr als überfällig.
        Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        Zum Wochenanfang warnte Manuel Izdebski von der
        Deutschen Aids-Hilfe, dass Diskriminierung heute das
        wichtigste Thema sei, wenn wir von HIV und Aids spre-
        chen. Ihm sei es wichtig, deutlich zu machen, dass man
        heute auch mit HIV ein langes und erfülltes Leben füh-
        ren kann. Diskriminierung mache dagegen das Leben
        schwer und könne tödlich sein.
        Die Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion ha-
        ben mit ihrem Gesetzentwurf zur Verbesserung des
        Schutzes gegen Diskriminierungen aufgrund des Ge-
        sundheitszustands ein richtiges Problem erkannt, da es
        auch HIV-positive Menschen einschließt. Der Diskrimi-
        nierungsschutz für chronisch erkrankte Menschen muss
        verbessert werden; das sehen Bündnis 90/Die Grünen
        genauso. Leider ist der vorliegende Gesetzentwurf aber
        dringend überarbeitungsbedürftig.
        Nachdem die EU dem Übereinkommen der Vereinten
        Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinde-
        rungen beigetreten war, hatte der Europäische Gerichts-
        hof in Luxemburg im April 2013 den Begriff der Behin-
        derung im Sinne des AGG neu definiert. Dem hat sich
        das Bundesarbeitsgericht Ende 2013 angeschlossen. Da-
        nach stellt eine heilbare oder unheilbare Krankheit eine
        Behinderung dar, wenn sie die Betroffenen an der vollen
        und wirksamen Teilhabe am Berufsleben hindert und
        wenn diese Einschränkung von langer Dauer ist. Mit
        Blick auf die Werbekampagnen für mehr Akzeptanz von
        HIV-positiven Menschen in dieser Woche, die mit dem
        Welt-Aids-Tag begann, ein richtiger Punkt.
        Das AGG enthält Lücken, die geschlossen werden
        müssen. Das haben die Kolleginnen und Kollegen der
        Linksfraktion erkannt. Ihr Gesetzentwurf ist zweifels-
        ohne gut gemeint. Leider aber ist er schlecht gemacht. Er
        führt in das Antidiskriminierungsrecht drei unterschied-
        liche Begriffe ein. Während im Zivilrecht Benachteili-
        gung wegen „des Gesundheitszustands“ unzulässig sein
        sollte, schlagen die Linken vor, im Arbeitsrecht die Be-
        nachteiligung wegen einer „chronischen Erkrankung“ zu
        verbieten, und im Gesetz über Gleichbehandlung der
        Soldatinnen und Soldaten wird zusätzlich der Begriff der
        „gesundheitlichen Beeinträchtigung“ benutzt. Ob das ein
        Versehen war oder nicht und welche Absicht dahinter-
        steckt, kann man leider der Begründung nicht entneh-
        men, die fälschlicherweise stets von „Folgeänderungen“
        spricht. Eine Linie in einheitlichen Begrifflichkeiten
        fehlt völlig.
        Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ist ein Er-
        folg der langjährigen Arbeit der grünen Bundestagsfrak-
        tion, die unter Rot-Grün die Einführung und Umsetzung
        der EU-Antidiskriminierungsrichtlinien vorangetrieben
        hat. Wegen der vorgezogenen Wahlen 2005 ist das Ge-
        setz erst unter Schwarz-Rot und in einer leider verwäs-
        serten Version verabschiedet worden.
        Das AGG hat nicht nur die Rechte der Betroffenen,
        die Benachteiligungen aus Gründen der ethnischen Her-
        kunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschau-
        ung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen
        Identität erfahren haben, gestärkt. Vielmehr hat das Ge-
        setz eine Antidiskriminierungskultur in deutschen Unter-
        nehmen etabliert.
        Dennoch bleibt noch einiges zu tun. Außer der Ver-
        besserung des Diskriminierungsschutzes müssen fol-
        gende Punkte noch umgesetzt werden:
        Wir fordern die Einführung des Klagerechts für Anti-
        diskriminierungsverbände.
        Wir müssen Sanktionen verschärfen, damit sie – wie
        in der europäischen Vorgabe vorgesehen – „wirksam,
        verhältnismäßig und abschreckend“ sind, und wir müs-
        sen die Fristen für Geltendmachung der Ansprüche aus
        dem AGG verlängern.
        Außerdem sollten wir die Chance nutzen und über die
        Aufnahme weiterer Diskriminierungsmerkmale nachden-
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2014 7035
        (A) (C)
        (D)(B)
        ken, beispielsweise beim Familienstand und der Kinder-
        zahl, was beides jeweils zum Nachteil im Bewerbungsver-
        fahren ausgelegt werden kann und zweifelsohne dann
        eine Diskriminierung darstellen würde.
        Last, not least muss die Ausnahmeklausel der Kirchen
        explizit nur auf den Kernbereich der Glaubensverkün-
        dung beschränkt werden.
        Wir sind beim Antidiskriminierungsschutz auf halber
        Strecke stehen geblieben. Es ist Zeit für einen neuen
        Schwung. Für ein Berichterstattergespräch stehen wir
        gerne zur Verfügung.
        Anlage 5
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
        Aufhebung des Achten Gesetzes zur Änderung
        des Urheberrechtsgesetzes (Leistungsschutz-
        rechtsaufhebungsgesetz – LSR-AufhG) (Tages-
        ordnungspunkt 18)
        Ansgar Heveling (CDU/CSU): Derzeit ist einer der
        meistdiskutierten Beiträge zum breiten Themenkomplex
        Google der Gastbeitrag von Jeff Jarvis in der Zeit. Las-
        sen Sie mich daraus ein Zitat herausgreifen: „So sehr
        Dr. Döpfner Google auch fürchten mag: Erstaunlicher-
        weise verhält sich gerade Google oft wie ein scheues,
        verschrecktes Tier.“
        Erstaunlich, dass Google, dessen Suchmaschine allein
        in Deutschland bereits einen Marktanteil von rund
        96 Prozent erreicht, von Herrn Jarvis hier als „scheu“
        und „verschreckt“ charakterisiert wird. Vor zwei Jahren,
        als die Einführung eines Leistungsschutzrechts für die
        Presseverlage heiß diskutiert und vom Bundestag be-
        schlossen wurde, war ich mitten im Geschehen, und ich
        muss sagen, dass mir in dieser Debatte keiner der Betei-
        ligten als verhalten, scheu oder vorsichtig begegnet ist –
        nicht die Verlage, am allerwenigsten jedoch Google
        selbst.
        Um noch eine Bemerkung zu dem zitierten Beitrag
        von Jeff Jarvis anzufügen: Es ist erstaunlich, wie wenig
        er Politikern und ihrem Einfluss offenbar zutraut. Die
        Resolution des Europäischen Parlaments, die in der ver-
        gangenen Woche verabschiedet wurde, hat zwar keine
        bindende Funktion, wie mehrfach betont wurde. Den-
        noch zeigt die Debatte um und über diese Resolution,
        dass Parlamentarier als demokratisch legitimierte Ent-
        scheider Akzente setzen, Debatten anstoßen und Ent-
        scheidungslinien für ihre jeweilige Exekutive vorzeich-
        nen können.
        Die Debatte über die Marktmacht von Google ist je-
        doch nur die eine Seite. Die andere Seite betrifft das Ur-
        heberrecht und damit den Schutz geistigen Eigentums
        allgemein.
        Bei der Einführung des Leistungsschutzrechts für
        Presseverlage, das im August vergangenen Jahres in
        Kraft getreten ist, ging es eben gerade nicht um ein Ge-
        setz zur Regulierung eines einzelnen Unternehmens.
        Vielmehr ging es uns darum, für den Bereich der Presse
        einen ordnungspolitischen Rahmen im Internet herzu-
        stellen. Mit diesem Gesetz haben wir eine seinerzeit be-
        stehende Schutzlücke im Urheberrecht geschlossen und
        die technisch-organisatorischen Leistungen der Presse-
        verleger auch für den digitalen Markt anerkannt. Leis-
        tungsschutzrechte sind dabei keineswegs eine Neuerfin-
        dung, sondern fast so alt wie das Urheberrecht selbst.
        Die ordnungspolitische Rahmensetzung haben wir
        also mit der Einführung des Leistungsschutzrechts für
        Presseverlage begonnen. Vor allem war auch Kern des
        Gesetzes, was derzeit Gegenstand der eher kartellrechtli-
        chen Debatten ist: ein Gleichgewicht zwischen Beteilig-
        ten eines Marktes herzustellen, der bislang weitestge-
        hend unreguliert ist.
        Die parlamentarische Opposition schlägt im vorlie-
        genden Gesetzentwurf nunmehr die Aufhebung des ge-
        nannten Gesetzes vor. Detailliert wird in der Problembe-
        schreibung der bisherige Verlauf der Entwicklungen seit
        dem Inkrafttreten des Gesetzes beschrieben. Genau darin
        liegt das Problem des Gesetzentwurfs: Nicht nur das Ur-
        heberrecht, sondern jedwede abstrakt-generelle gesetzli-
        che Regelung besteht seit jeher auch aus unbestimmten
        Rechtsbegriffen, die üblicherweise durch die Rechtspre-
        chung ausgelegt und konturiert werden. Insofern läuft
        derzeit das vollkommen übliche Verfahren: dass die
        Wahrnehmung und Durchsetzung der Leistungsschutz-
        rechte einer Verwertungsgesellschaft übertragen wurden
        und diese dem Deutschen Patent- und Markenamt einen
        aufgestellten Tarif zur Prüfung vorgelegt hat. Auch das
        zivilrechtliche Vorgehen der VG Media bei der Schieds-
        stelle des Patent- und Markenamts ist daher nicht unüb-
        lich. Und wahrscheinlich wird nach der Schiedsstellen-
        entscheidung auch der gesamte weitere zivilrechtliche
        Instanzenweg ausgeschöpft werden. Insofern hat die
        Wahrnehmung des Leistungsschutzrechts für Pressever-
        lage gerade erst begonnen. Da das Recht bisher nicht
        durchgesetzt werden konnte, können weder zulässige
        Snippetlängen benannt noch Urheber an zu erwartenden
        Einnahmen beteiligt werden.
        Schließen möchte ich ebenfalls mit einem Zitat, und
        zwar aus dem vorliegenden Gesetzentwurf: Es sei „nach
        wie vor nicht nachvollziehbar, was genau geschützt wer-
        den soll und weshalb“.
        Zu diesen Fragen ist zu empfehlen, den Text des Ur-
        heberrechtsgesetzes, namentlich den § 87 f, nachzulesen.
        Im Übrigen füllen sich die Ergebnislisten von Suchma-
        schinen, anders als es der Gesetzentwurf annimmt, nicht
        von selbst. Hinter griffigen Überschriften sowie Inte-
        resse weckenden Textanreißern stecken die geistigen
        Leistungen von Redakteurinnen und Redakteuren
        ebenso wie die technisch-organisatorischen Leistungen
        der Verlage, die die Inhalte auf ihren Internetseiten ent-
        sprechend aufbereiten.
        Daher stehen wir nach wie vor zur Einführung des
        Leistungsschutzrechts für Presseverlage und werden die
        weiteren Entwicklungen der Wahrnehmung und Durch-
        setzung des Gesetzes mit großem Interesse verfolgen.
        7036 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2014
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        Michael Frieser (CDU/CSU): Das Leistungsschutz-
        recht für Presseverleger hat uns bereits intensiv in der
        vergangenen Legislaturperiode beschäftigt, und offen-
        sichtlich können die Kolleginnen und Kollegen aus den
        Oppositionsfraktionen gar nicht genug davon bekom-
        men. Schließlich haben sie seit Beginn der neuen Legis-
        laturperiode schon wieder mehrere Anfragen zu diesem
        Thema an die Bundesregierung gestellt. Ein weiterer Be-
        weis für ihre Ungeduld ist der heute zu debattierende
        Antrag, der eine Abschaffung des Leistungsschutzrechts
        für Presseverleger beinhaltet. Dabei sind seit dem In-
        krafttreten gerade einmal 16 Monate vergangen.
        Nach der intensiven Diskussion vor der Verabschie-
        dung des Leistungsschutzrechts in der vergangenen Le-
        gislaturperiode war zudem allen Beteiligten klar, dass es
        nicht bereits mit dem oder unmittelbar nach dem Inkraft-
        treten des Gesetzes zu schnellen Lizenzverträgen zwi-
        schen den Presseverlegern und den Nutzern ihrer Ange-
        bote kommen würde. Schließlich mussten sich beide
        Seiten zunächst auf den neu geschaffenen Rechtsrahmen
        einstellen und orientieren.
        Dies haben sie – im Gegensatz zu der Darstellung in
        Ihrem Antrag – auch gemacht. Mehrere große Verlage
        haben sich in der VG Media zusammengeschlossen, um
        zukünftig ihr vom Gesetzgeber zugewiesenes Recht ge-
        genüber Nutzern ihrer Erzeugnisse geltend machen zu
        können.
        In der Folge hat die VG Media im Juni 2014 nach den
        Vorgaben des Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes ei-
        nen Tarif über die Vergütung für die öffentliche Zugäng-
        lichmachung von Ausschnitten aus Onlinepresseerzeug-
        nissen zu gewerblichen Zwecken gemäß § 87 f Absatz 1
        Satz 1 UrhG veröffentlicht und diesem dem Deutschen
        Patent- und Markenamt zur Prüfung vorgelegt. So wie
        dies in der Vergangenheit übrigens auch andere Verwer-
        tungsgesellschaften – wie beispielsweise die VG Wort
        oder die GEMA – in vergleichbaren Situationen bereits
        gemacht haben.
        Der Tarif liegt seitdem der Staatsaufsicht über die
        Verwertungsgesellschaften beim Deutschen Patent- und
        Markenamt vor und wird dort derzeit am Maßstab des
        Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes überprüft. Die zwi-
        schenzeitlich von einigen Verlagen unter Widerruf er-
        teilte Nutzungserlaubnis für einige Suchmaschinen, un-
        entgeltlich auf veröffentlichte Texte zuzugreifen, berührt
        das laufende Verfahren eben gerade nicht.
        Mit einer Entscheidung durch das Deutsche Patent-
        und Markenamt ist im kommenden Jahr zu rechnen.
        Dies mag zwar Ihren Bogen der Geduld überspannen, ist
        aber angesichts der rechtlichen Vorgaben und der derzei-
        tigen personellen Ausstattung beim Deutschen Patent-
        und Markenamt zumindest derzeit noch die Realität.
        Ich sage bewusst „derzeit“, denn wir beabsichtigen,
        das Verfahren vor dem Deutschen Patent- und Marken-
        amt zu beschleunigen. Eine entsprechende Initiative
        werden wir im nächsten Jahr vorstellen. Ich würde mich
        freuen, wenn diese dann auch mit der Unterstützung der
        Opposition vom Deutschen Bundestag beschlossen wer-
        den könnte. Schließlich scheint die Ungeduld bei Ihnen
        – gerade in Fragen der angemessenen urheberrechtlichen
        Vergütung – oftmals überhandzunehmen.
        Wie Sie angesichts des von mir geschilderten Sach-
        verhalts erkennen können, besteht derzeit kein Grund,
        als Gesetzgeber erneut tätig zu werden.
        Angesichts dessen, dass es noch keine rechtsverbind-
        liche Entscheidung durch das Deutsche Patent- und Mar-
        kenamt gibt, kann es selbstverständlich auch noch keine
        abschließenden Regelungen dazu geben, wie, und vor al-
        lem in welcher Höhe, die Urheberinnen und Urheber von
        den möglichen Einnahmen aus dem Leistungsschutz-
        recht profitieren werden. Auch die immer wieder zitierte
        „Verwirrung“ bei den betroffenen Unternehmen vermag
        ich angesichts des eingeschlagenen Weges durch die VG
        Media nicht nachzuvollziehen. Da es sich bei dem Leis-
        tungsschutzrecht für Presseverleger um eine neue
        Rechtsmaterie handelt, ist es keinesfalls ungewöhnlich,
        dass im Rahmen der Regelung auch auf unbestimmte
        Rechtsbegriffe zurückgegriffen wurde. Falls diese in der
        Praxis tatsächlich in der Auslegung zwischen den betrof-
        fenen Marktteilnehmern streitig werden sollten, was der-
        zeit meines Erachtens noch nicht erkennbar ist, ist in die-
        sen Fällen die Rechtsprechung gefordert. Auch dies ist
        weder etwas Besonderes noch gar etwas Verwerfliches.
        Nach alledem, auch nach der gestrigen Sachverständi-
        genanhörung im Ausschuss Digitale Agenda, scheint mir
        der wahre Grund für Ihren Antrag nicht die Entwicklung
        in den vergangenen Monaten zu sein, sondern die bereits
        in der letzten Legislaturperiode vertretene Auffassung,
        dass es eines Leistungsschutzrechts für Presseverleger
        nicht bedarf.
        Mit dieser Meinung stehen Sie sicher nicht allein,
        aber Sie müssen eben auch akzeptieren, dass die Mehr-
        heit des Deutschen Bundestages dies bereits in der ver-
        gangenen Legislaturperiode aus anderen Gründen anders
        gesehen hat und ein vollständiger Meinungsumschwung
        angesichts der derzeitigen tatsächlichen Entwicklung
        auch nicht erkennbar ist. Im Gegenteil, die jüngsten Ent-
        wicklungen auf europäischer Ebene bestätigen sogar un-
        sere damalige Entscheidung.
        Spanien hat Ende Oktober 2014 ebenfalls eine gesetz-
        liche Regelung zum Schutz der Presseverleger erlassen,
        und der neue EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und
        Gesellschaft, Günther Oettinger, hat in einem Interview
        gegenüber dem Handelsblatt am 28. Oktober ausgeführt,
        dass er nicht nur eine Modernisierung des Urheberrechts
        beabsichtige, sondern dass Teil dieser Modernisierung
        auch die Einführung einer Abgabe für intellektuelle
        Werte sein müsse, wenn diese bezogen und weiterverar-
        beitet würden.
        Wir sollten daher am bisherigen Plan festhalten und
        zunächst die im Koalitionsvertrag vereinbarte Evaluie-
        rung des Leistungsschutzrechts abwarten, bevor wir er-
        neut als Gesetzgeber tätig werden.
        Christian Flisek (SPD): Im gestrigen Fachgespräch
        des Ausschusses Digitale Agenda zum Urheberrecht
        wurde eines sehr deutlich und die Bewertungen der
        Sachverständigen dazu waren einstimmig: Alle plädier-
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2014 7037
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        ten für eine Überprüfung, gar für eine Abschaffung des
        Leistungsschutzrechtes für Presseverleger, und zwar in
        der Form, wie es in der letzten Legislatur verabschiedet
        wurde. Nach gerade einem Jahr kommen die Wissen-
        schaftler zu dem klaren Urteil, diese Gesetzesänderung
        sei „kurzatmig und lobbygetrieben“. Das bestärkt mich
        als Berichterstatter meiner Fraktion für das Urheber-
        recht, hier zukünftig tätig zu werden. Ich sage es ganz
        klar: Wir benötigen eine zeitnahe Evaluierung, um zu ei-
        ner Lösung der offensichtlichen Probleme zu kommen.
        Und dies ist ganz im Sinne unseres Koalitionsvertrages.
        Bereits zu Beginn gab es an der Idee, einen gesonder-
        ten Schutz für presseverlegerische Leistungen auch für
        „kleine“ und „kleinste“ Textausschnitte zu gewähren,
        viel Kritik aus den verschiedenen Fachrichtungen. Wis-
        senschaftler wie Rechtsgelehrte waren sich bereits wei-
        testgehend darin einig, dass die nun bestehende Norm
        des Leistungsschutzrechtes bezüglich ihres Wirkungs-
        grades und ihrer rechtlichen Durchsetzbarkeit höchst kri-
        tisch zu betrachten sei.
        Das aktuell bestehende Leistungsschutzrecht für Pres-
        severleger schützt weder die journalistische Qualität
        noch kleine Verlage vor deren Sterben. So ist die damals
        eingebrachte Begründung auch heute noch dahin gehend
        fragwürdig, welche Elemente des bestehenden Leis-
        tungsschutzrechts tatsächlich zu einer qualitativ hoch-
        wertigeren Arbeit im redaktionellen Bereich beitragen
        könnten.
        An dieser Stelle möchte ich gerne anfügen, dass die
        von uns, der SPD-Fraktion, zur Einführung dieses Geset-
        zes geforderten Bestimmungen, was „Teile“, „kleine
        Teile“ und „kleinste“ Teile von Presserzeugnissen seien,
        nach wie vor fehlen. Auch diese Pflichtvergessenheit ist
        einer positiven Bewertung dieses Gesetzes nicht zuträg-
        lich.
        Jedoch möchte ich ein bestehendes Gesetz nicht gänz-
        lich verurteilen, ohne dessen Wirksamkeit tatsächlich
        geprüft zu haben. Deshalb kommt zuvorderst die Geset-
        zesevaluierung, um dann daraus die notwendigen
        Schlüsse zu ziehen.
        Es kann jedoch angenommen werden, dass die An-
        wendbarkeit des Leistungsschutzrechtes für Presseverle-
        ger durch die aktuell erteilten Sondergenehmigungen
        eines Großteiles der Verleger an Google, Kurzdarstellun-
        gen ihrer Texterzeugnisse kostenlos zu nutzen und on-
        line zur Verfügung zu stellen, ausgehebelt wurde. Es gibt
        nicht wenige Menschen, die sprechen hier von einem
        Offenbarungseid.
        Nicht nur als Mitglied im Rechtsausschuss, sondern
        auch als Existenzgründungsbeauftragter meiner Frak-
        tion, beschäftigt mich die Frage der Sinnhaftigkeit dieses
        Gesetzes. So ist beispielsweise in Bezug auf Start-up-
        Unternehmen und innovative Internetfirmen auch zu
        prüfen, ob dieses Gesetz gar ein Innovationshemmnis
        darstellt und damit der wirtschaftlichen Entwicklung un-
        seres Landes schadet.
        Gleichwohl leugne ich nicht, dass Verwerter geeig-
        nete Gesetzesinstrumente zur Durchsetzung der urheber-
        rechtlichen Schutzrechte für ihre Mitglieder benötigen,
        um sich besser gegen die unstrittig vorkommenden Ur-
        heberrechtsverletzungen wehren zu können.
        Es muss jedoch in einer Demokratie das Interesse be-
        stehen, eine freie Verbreitung von Nachrichten und Be-
        richten zu ermöglichen. Deshalb muss kritisch hinter-
        fragt werden, inwieweit, „kleine“ bis „kleinste“ Teile
        – gar einzelne Wörter – eines Presseerzeugnisses unter
        den urheberechtlich schutzwürdigen Bereich fallen.
        Die in den Begründungen erwähnten Ziele des im Fe-
        bruar 2013 verabschiedeten Gesetzes zum urheberrecht-
        lichen Schutz der Presseverleger, nicht den Informa-
        tionsfluss im Internet behindern zu wollen, wurden
        durch die aktuellen Entwicklungen gar ausgehöhlt.
        Es scheint, dass durch die Auslistung der VG Media
        angehöriger Verlage auf Plattformen von Telekom und
        Anbietern wie 1&1, zu welchen beispielsweise beliebte
        kostenlose E-Mail-Plattformen wie GMX und web.de
        gehören, diese Presseverleger einen erheblichen Scha-
        den erleiden; denn die Zugriffe, der sogenannte „traffic“,
        sind seitdem auf diesen Seiten bis zu 80 Prozent rückläu-
        fig. Somit könnte man schlussfolgern, dass sowohl das
        eingeführte Leistungsschutzrecht als auch die Klage der
        VG Media ihren Mitgliedern bisher mehr Schaden als
        Nutzen eingebracht hat.
        Deshalb sage ich hier nochmals: Lassen Sie uns das
        Leistungsschutzrecht für Presseverleger zuerst zeitnah
        evaluieren und dann gemeinsam eine vernünftige Lö-
        sung finden; dies entspricht auch den Vereinbarungen
        unseres Koalitionsvertrages. Der Antrag von den Linken
        und Bündnis 90/Die Grünen kommt dabei etwas zu früh
        in die Diskussion und in die sich anschließenden Aus-
        schussberatungen.
        Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Das in der vergan-
        genen Wahlperiode von der damaligen schwarz-gelben
        Koalition eingeführte Leistungsschutzrecht für Pressever-
        leger war, ist und bleibt falsch. Es schafft Rechtsunsi-
        cherheit, es ist innovationsfeindlich, und es verbessert
        die Lage von Urheberinnen und Urhebern an keiner
        Stelle. Weil das so ist, kann eine im Koalitionsvertrag
        vorgesehene Evaluierung nicht abgewartet werden. Mit
        dem vorliegenden Gesetzentwurf schlagen die Linke und
        Bündnis 90/Die Grünen vor, das Leistungsschutzrecht
        für Presseverleger aufzuheben.
        Worum geht es eigentlich? Sie alle nutzen Suchma-
        schinen. Wenn Sie nicht nach etwas Bestimmtem su-
        chen, sondern sich einen Überblick über aktuelle Ereig-
        nisse verschaffen wollen, dann nutzen Sie sogenannte
        Newsaggregatoren, Internetseiten also, die Artikel von
        Nachrichtenseiten sammeln und sortieren. Im Regelfall
        – Sie kennen das alle – sehen Sie auf diesen Seiten Über-
        schriften und Anrisse von Texten. Vermutlich wählen
        Sie danach aus, was Sie lesen.
        Mit dem Leistungsschutzrecht für Presseverleger
        sollte es nun so sein, dass die Newsaggregatoren und
        Anbieter von Suchmaschinen für die Darstellung der
        Überschriften und Textanrisse Gebühren an die Verlage
        zahlen. Wenn nicht gezahlt wird, dann ist eben weniger
        zu lesen, zum Beispiel nur Überschriften oder gar nur
        7038 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2014
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        Links oder gar nichts, weil die Artikel von den Verlagen
        komplett aus der Suchmaschine genommen wurden. Für
        den Nutzer oder die Nutzerin wird dadurch der Wert der
        Suchergebnisse eingeschränkt, da anhand von Über-
        schriften deutlich schwerer bewertet werden kann, ob
        ein Artikel relevant ist oder nicht. Darum sollen laut dem
        Leistungsschutzrecht kleinste Textausschnitte ausge-
        nommen sein. Doch wie lang ein solcher Textausschnitt
        sein darf, ist nicht geklärt und Gegenstand langer Debat-
        ten.
        Davon profitiert ironischerweise genau der Anbieter
        einer Suchmaschine, dessentwegen das Leistungsschutz-
        recht überhaupt erst eingeführt wurde. Ausgerechnet
        Google bekam von den Verlagen, die auf eine Durchset-
        zung des Leistungsschutzrechts bestehen – das sind
        längst nicht alle; viele namhafte Verlage verzichten aus
        guten Gründen komplett darauf –, einen Freifahrtschein,
        ihre Artikel mit Überschrift und kleinen Textausschnit-
        ten anzuzeigen – ohne irgendetwas dafür zu bezahlen.
        Offensichtlich hat sich auch hier die Erkenntnis durchge-
        setzt, dass Google so viele Nutzerinnen und Nutzer auf
        die Seiten der Verlage bringt – und damit bares Geld –,
        dass ein Verzicht auf Textanreißer finanzielle Einbußen
        bedeuten würde. Das könnte damit zusammenhängen,
        dass die Zahlen der Nutzer, die Google News auf Seiten
        des Springer-Verlages führte, um 80 Prozent eingebro-
        chen sind, nachdem nur noch Überschriften angezeigt
        wurden. So jammerte zumindest Mathias Döpfner. Das
        hätte ich ihm auch früher sagen können. Leider scheint
        diese Erkenntnis nur für Google zu gelten. Kleinere An-
        bieter von Suchmaschinen oder Newsaggregatoren sol-
        len auch weiterhin die Gebühren bezahlen. Das Anti-
        Google-Gesetz wird zum Google-Stärkungs-Gesetz.
        Kleinere Anbieter werden geschwächt. Google wird sich
        bedanken. Innovationen bleiben auf der Strecke. Das
        Ganze klingt zu absurd, um wahr zu sein.
        Nun wird oft argumentiert, dass das Leistungsschutz-
        recht verlegerische Leistungen schützen soll. Aber bei
        den Suchmaschinenanbietern und Newsaggregatoren
        werden kleine Ausschnitte einzelner Artikel angezeigt,
        weder ganze Artikel noch ganze Publikationen. Um
        diese lesen zu können, muss man immer noch auf die
        Seiten der Verlage. Verlage müssen daher nicht ge-
        schützt werden. Geschützt werden muss der unabhän-
        gige Journalismus. Es sollte daher vielmehr um den
        Schutz der Journalistinnen und Journalisten gehen. De-
        ren Rechte gegenüber den Nutzerinnen und Nutzern sind
        aber über das Urheberrecht gewahrt. Dazu bedarf es kei-
        nes zusätzlichen Leistungsschutzrechts. Wenn etwas ei-
        ner Stärkung bedarf, dann die Rechte der Journalistinnen
        und Journalisten gegenüber den Verlagen. Zum Beispiel,
        indem Total-Buy-out-Verträge deutlich eingeschränkt
        werden. Total-Buy-out-Verträge bedeuten, dass der Ur-
        heber bzw. die Urheberin seine bzw. ihre Rechte an Ver-
        werter oder Verlage komplett abtritt, welche das journa-
        listische Werk dann so oft veröffentlichen können, wie
        sie wollen – ohne den Urheber oder die Urheberin für
        jede einzelne Veröffentlichung zu bezahlen. Eine ange-
        messene Vergütung wird so mit Sicherheit nicht erreicht.
        Hier gibt es also wirklich etwas zu tun. Das Leis-
        tungsschutzrecht ist dagegen verzichtbar. Also lassen Sie
        uns ein unsinniges Gesetz abschaffen und uns Gedanken
        über ein sinnvolles Urhebervertragsrecht machen. Ein
        innovationsfeindliches Gesetz, das Rechtsunsicherheit
        schafft, ist ein unsinniges Gesetz. Deshalb kann es auch
        aufgehoben werden.
        Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In
        Vorbereitung auf diese Debatte habe ich noch einmal die
        Protokolle der früheren Leistungsschutzrechtsdebatten
        gelesen. Da findet man manch Spannendes. Zum Bei-
        spiel dieses Zitat von Montesquieu: „Wenn es nicht not-
        wendig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es notwendig,
        kein Gesetz zu machen.“ Zitiert hat dies Brigitte Zypries
        von der SPD bei der abschließenden Lesung. Heute ist
        die geschätzte Kollegin Staatssekretärin im Wirt-
        schaftsministerium, und mit dem vorliegenden Aufhe-
        bungsgesetz verlangen wir von ihr und ihren Kollegen
        der schwarz-roten Koalition genau das, was Montes-
        quieu sagt: dass ein unnötiges Gesetz wieder rückgän-
        gig gemacht wird.
        Wie unsinnig das Leistungsschutzrecht ist, hat die
        Posse rund um Google und die VG Media bewiesen.
        Zuletzt haben die meisten der in der VG Media zusam-
        mengeschlossenen Verlage, darunter auch Springer als
        Leistungsschutzrechtvorantreiber, entschieden, dass sie
        auf Google weiterhin auch mit den Snippets ihrer Texte
        gefunden werden wollen. Warum? Weil sie sonst erheb-
        liche Rückgänge ihrer Klickzahlen zu verbuchen hätten.
        Darum haben diese Verlage eine widerrufliche Einwilli-
        gung an Google erteilt, dass ihre Verlagsinhalte in Snip-
        pets weiterhin wie üblich angezeigt werden dürfen – und
        zwar gratis.
        Erinnern wir uns doch noch mal kurz an die Begrün-
        dung des Leistungsschutzrechts. Damals sagte Günter
        Krings von der CDU: „Das Leistungsschutzrecht allein
        wird die Pressevielfalt in Deutschland nicht sicherstel-
        len. Aber es ist ein wichtiger Beitrag für den Erhalt einer
        lebendigen Presselandschaft in unserem Land.“ – De-
        batte zum Leistungsschutzrecht, erste Lesung am
        29. November 2012. Ich konstatiere: Das Leistungs-
        schutzrecht hat exakt null zum Erhalt der Presseland-
        schaft beigetragen. Bisher flossen unseres Wissens nach
        keine Lizenzgebühren von Suchmaschinen an die
        Verlage. Die Aggregatoren wie bei web.de oder Rivva
        haben etliche Verlagsangebote vorsorglich aussortiert.
        Andere stellen Google ihre Snippets wieder gratis zur
        Verfügung. Verdient haben bisher nur Anwälte. Und war
        das überraschend? Nein, denn wie Kollegin Zypries in
        der selben Rede sagte: „Denn ich garantiere Ihnen: Vor
        allem Gerichte werden sich mit dem Leistungsschutz-
        recht befassen, bevor auch nur irgendein Verlag Geld für
        sein Angebot im Internet bekommt.“ Oder Thomas
        Oppermann, heute Fraktionsvorsitzender der SPD: „Es
        ist ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Rechtsanwälte,
        und das dürfen wir als Bundestag nicht beschließen.“
        Oder Kollege Lars Klingbeil, auch von der SPD: „Das
        ist eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Anwalts-
        kanzleien. Gerichte müssen nachher klären, wie es mit
        diesem Leistungsschutzrecht weitergeht. Sie schaffen
        Rechtsunsicherheit, und ich sage Ihnen: Sie verhindern
        auch Innovationen.“ – Debatte am 1. März 2013. Recht
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2014 7039
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        hatte und hat er. Es kam die Wahl, das Leistungsschutz-
        recht blieb, trotz aller Mängel. Lediglich eine Evaluie-
        rung versprach der Koalitionsvertrag. Wir aber geben
        zusammen mit der Linken den Kolleginnen und Kolle-
        gen der SPD die Möglichkeit, eine verpasste Chance
        doch noch zu nutzen und das Leistungsschutzrecht auf-
        zuheben.
        Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, Sie müs-
        sen nicht die Suppe auslöffeln, die Ihnen maßgeblich
        von der Union eingebrockt wurde. Denn die Union – das
        muss man klar sagen – war bis auf wenige Abgeordnete
        geschlossen für das Leistungsschutzrecht und hat es re-
        gelrecht durchs Parlament geprügelt.
        Gestern in der Anhörung zum Urheber- und zum
        Leistungsschutzrecht haben ausnahmslos alle Experten,
        auch die von der Koalition benannten, die Abschaffung
        des Leistungsschutzrechts gefordert. Hören wir doch
        mal auf die Fachleute!
        Ich finde, als Mitglieder des Bundestages haben wir
        die Pflicht, unsere Arbeit kritisch zu hinterfragen. Wenn
        etwas so offensichtlich schiefläuft wie das Leistungs-
        schutzrecht, ist es keine Schande, einen Fehler zuzuge-
        ben und zu korrigieren. Es wäre aber eine Schande, trotz
        besseren Wissens weiterzumachen wie bisher. Es ist
        ganz einfach: Stimmen Sie dem Gesetzentwurf von
        Linken und uns zu – oder legen Sie einen eigenen zur
        Abschaffung des Gesetzes vor. Sie haben über die Weih-
        nachtspause Zeit, sich darüber Gedanken zu machen und
        sich einen Ruck zu geben.
        Anlage 6
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung:
        – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der
        Abgabenordnung und des Einführungsge-
        setzes zur Abgabenordnung
        – Antrag: Straffreiheit bei Steuerhinterzie-
        hung durch Selbstanzeige abschaffen
        (Tagesordnungspunkt 20)
        Bettina Kudla (CDU/CSU): Das vorliegende Gesetz
        ist ein wichtiger Eckpfeiler in der Absicht der Koalition,
        die Steuerhinterziehung wirksamer zu bekämpfen. Die
        Grundaussage ist klar: Für Steuerunehrliche wird es
        deutlich teurer, für Steuerehrliche schaffen wir mehr
        Rechtssicherheit.
        Für die CDU/CSU-Fraktion muss eine gute Finanz-
        politik immer dreierlei beachten: Erstens gilt es, für ei-
        nen ausgeglichenen Haushalt zu sorgen – dies verlangt
        nicht die wirtschaftliche Vernunft, sondern allein schon
        die Schuldenbremse des Grundgesetzes von uns. Zwei-
        tens darf die Belastung für die Bürger nicht zu hoch sein.
        Drittens ist dafür zu sorgen, dass die Steuergesetze auch
        eingehalten werden, Steuerhinterziehung also wirksam
        bekämpft wird.
        Gerade die derzeitige Finanzpolitik von Bundes-
        minister Wolfgang Schäuble zeigt, dass ein ausgegliche-
        ner Haushalt auch ohne eine höhere Belastung der Bür-
        ger möglich ist.
        Die Zahlung der Steuern ist für viele Bürger, aber
        auch mittelständische Betriebe eine große Last. Die Zah-
        lung von Steuern wird häufig als ein notwendiges Übel
        angesehen, damit der Staat hiermit viele wichtige Aufga-
        ben finanzieren kann. Wie so oft ist es aber auch hier
        eine Frage des Maßes. Deswegen muss gerade in einem
        sich abkühlenden konjunkturellen Umfeld Rücksicht ge-
        nommen werden. Zukunftsweisende Politik sollte folg-
        lich keine Erhöhung der Steuerlast betreiben, sondern
        muss perspektivisch die Entlastung von Steuern in den
        Blick nehmen.
        Die hohe Steuer- und Abgabenlast führt leider dazu, dass
        manche versuchen, sich dem Zugriff des Staates zu entzie-
        hen. Das kann durch Steuerhinterziehung – die natürlich
        nicht entschuldigt werden darf –, aber auch beispielsweise
        durch Wegzug geschehen. Durch Abwanderung fähiger
        und zahlungskräftiger Einwohner und Unternehmen ent-
        steht ein nicht zu unterschätzender kurz- und langfristi-
        ger volkswirtschaftlicher Schaden. Das zeigt, dass wir,
        die wir den Bürgern die Steuern auferlegen, bei aller
        Notwendigkeit des wirksamen Eintreibens von Steuern
        auch immer wieder hinterfragen sollten, ob die Belas-
        tung angemessen ist.
        Hier geht es bei weitem nicht nur um die Höhe der
        Belastung, die – ich habe es erwähnt – perspektivisch
        moderat sinken sollte. Es geht auch darum, dass der
        Steuermoral der Bürger und Unternehmen eine Besteue-
        rungsmoral des Staates gegenüberstehen muss. Das
        heißt, der Staat muss ein verlässlicher Partner sein. Er
        muss Rechtssicherheit, Kontinuität und Planbarkeit so
        weit wie möglich sicherstellen.
        Hier komme ich wieder zum vorliegenden Gesetzent-
        wurf. Er kommt nämlich beidem zugute: Auf der einen
        Seite hält er die Bürger zu mehr Steuermoral an. Auf der
        anderen Seite soll er dazu dienen, dass der Fiskus ein
        verlässlicherer Partner der Steuerbürger ist.
        Mehr Steuermoral wird dadurch entstehen, dass
        Selbstanzeigen nicht nur schwieriger, sondern auch deut-
        lich teurer werden. Ein Taktieren mit dem Entdeckungs-
        risiko wird es nicht mehr geben. Dies gilt umso mehr in
        Verbindung mit dem hoffentlich bald reibungslos funktio-
        nierenden automatischen Informationsaustausch zahlrei-
        cher Staaten. Der Anreiz, mutwillig Steuern zu hinterzie-
        hen, sinkt noch weiter. Damit wird auch die Akzeptanz
        der Steuerlast bei den ehrlichen Steuerzahlern, die die
        deutliche Mehrheit stellen, erhöht. Sie sehen: Unsoziales
        Verhalten lohnt sich nicht.
        Auf der anderen Seite bleibt aber die Selbstanzeige
        als Instrument des Steuerstrafrechts bestehen. Die Hand
        des Staates bleibt ausgestreckt. Wer Steuern hinterzogen
        hat, kann nach wie vor in die Legalität zurückkehren und
        damit Straffreiheit oder zumindest ein Absehen von
        Strafverfolgung erreichen, wenn er den fälligen Preis
        hierfür zahlt.
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        (A) (C)
        (D)(B)
        Außerdem, mindestens ebenso wichtig, wird im un-
        ternehmerischen Bereich Rechtssicherheit wiederherge-
        stellt.
        Zu weitgehende Wirkungen des Schwarzgeldbekämp-
        fungsgesetzes von 2011, insbesondere im Bereich der
        Umsatz- und Lohnsteueranmeldungen, werden korri-
        giert. Fehler in der Buchhaltung sind keine kriminellen
        Handlungen. Hier zeigen wir ganz klar: Wir haben die
        Praxis im Blick. Wir sind bereit, uns auch zu korrigieren,
        wenn sich bestimmte Regelungen als unpraktikabel er-
        wiesen haben. Die Berichterstattergespräche habe ich als
        sehr konstruktiv empfunden. Wichtig war, dass wir in
        der abschließenden Ausschussberatung noch einmal ver-
        deutlicht haben, dass wir seitens des Bundesfinanzminis-
        teriums in Abstimmung mit den Finanzbehörden der
        Länder eine Verwaltungsanweisung erbitten, die die Ab-
        grenzung von einer reinen Berichtigung nach § 153 AO
        zur Selbstanzeige klarstellt.
        Uwe Feiler (CDU/CSU): Nach einer anfangs hefti-
        gen und kontroversen Debatte beraten wir heute ab-
        schließend über einen Entwurf, der es meines Erachtens
        verdient hat, als gut und ausgewogen bezeichnet zu wer-
        den.
        In vielen gemeinsamen Gesprächen – sei es unter den
        Berichterstattern oder auch im Nachgang zur öffentli-
        chen Anhörung – ist es in guter und enger Zusammen-
        arbeit mit dem BMF gelungen, einen Gesetzentwurf zu
        erarbeiten, der das bewährte Mittel der strafbefreienden
        Selbstanzeige sowie die Möglichkeit des Absehens von
        Verfolgung in besonderen Fällen beibehält und gleich-
        zeitig den deutlich geäußerten Wunsch nach Verschär-
        fung aufnimmt.
        Im politischen Raum gibt es Stimmen – leider auch
        vom Finanzminister meines Heimatbundeslandes Bran-
        denburg –, die in einem Reflex auf die öffentliche De-
        batte zu bekannt gewordenen Einzelfällen die Abschaf-
        fung dieses seit fast 100 Jahren bewährten Mittels der
        Finanzbehörden fordern. Hierbei wird verkannt, dass wir
        in keinem anderen Rechtsgebiet eine derart umfangrei-
        che Mitwirkung verlangen. Gleichzeitig wird für die
        Aufdeckung von Steuerstraftaten hochqualifiziertes Per-
        sonal benötigt, das mit großem Ermittlungsaufwand tätig
        ist, da im Unterschied zu Diebstählen oder Gewaltver-
        brechen die Tat erst im Nachgang aufgedeckt werden
        kann und nicht unmittelbar augenscheinlich ist.
        Ich halte es auch für äußerst fragwürdig, wenn der
        Staat sich dauerhaft sogenannter Steuer-CDs aus zwei-
        felhaften Quellen bedienen soll. Genau deshalb ist es
        richtig, dem Steuersünder den Weg zurück in die Ge-
        meinschaft der ehrlichen Steuerzahler zu eröffnen, als
        Staat die hinterzogenen Steuern nebst Zinsen und einem
        angemessenen Zuschlag zu erhalten und im Umkehr-
        schluss unter gewissen Voraussetzungen Straffreiheit zu
        gewähren.
        Für mich war es interessant, in den Gesprächen zu er-
        fahren, dass nunmehr auch Italien und Frankreich zu die-
        sem Instrument greifen wollen, anstatt im regelmäßigen
        Abstand von Jahren Steueramnestien auszurufen, die
        ohne jede Gegenleistung gewährt werden.
        Im Gesetzentwurf der Bundesregierung ist vorgese-
        hen, den Betrag bis zu dem eine Steuerhinterziehung
        ohne Zahlung eines zusätzlichen Geldbetrages straffrei
        bleibt, von 50 000 Euro auf 25 000 Euro zu reduzieren.
        Ferner ist der Zuschlag zukünftig vom Volumen der ver-
        kürzten Steuer abhängig. Auch die Zinsen müssen nun
        nachgezahlt worden sein, wenn die strafbefreiende Wir-
        kung eintreten soll. Der Zeitraum für nicht erklärte aus-
        ländische Kapitalerträge wird erweitert und durch die
        Anlaufhemmung sichergestellt, dass niemand mehr da-
        rauf vertrauen kann, im Nachgang nicht mehr belangt zu
        werden, wenn er sein Geld in Ländern „parkt“, die nicht
        dem Informationsaustausch angeschlossen sind.
        Dass wir hier mit Augenmaß vorgegangen sind, zeigt
        der Umstand, dass wir Verwerfungen, die mit dem
        Schwarzgeldbekämpfungsgesetz eingetreten sind, lösen
        konnten. Durch die wieder eingeführte Möglichkeit der
        Teilselbstanzeige für die Umsatzsteuervoranmeldung
        und Lohnsteueranmeldung sind Korrekturen möglich,
        ohne strafrechtliche Konsequenzen befürchten zu müs-
        sen.
        Mit dem Verzicht auf die Ausdehnung der strafrecht-
        lichen Verjährung ist den Bedenken des Bundesjustizmi-
        nisteriums Rechnung getragen worden, um die Fristen
        mit ähnlich gelagerten Delikten zu synchronisieren.
        Abschließend darf ich mich für die gute Zusammen-
        arbeit mit dem BMF und den Kollegen und das Engage-
        ment meiner Kollegin Kudla bedanken.
        Andreas Schwarz (SPD): Heute schließen wir eine
        monatelange Debatte ab, an deren Ende ein großer Er-
        folg steht: die deutliche Verschärfung der strafbefreien-
        den Selbstanzeige – ein großer Erfolg für all diejenigen,
        denen das Gemeinwohl am Herzen liegt.
        Von Beginn an haben Bund und Länder an einem
        Strang gezogen: Steuerbetrug muss konsequenter und
        härter bestraft werden. So ist es! Deshalb haben wir als
        SPD-Bundestagsfraktion diesen Gesetzgebungsprozess
        auch immer nach Kräften gefördert und unterstützt.
        Wir danken allen Beteiligten aus Bund und Ländern,
        auch parteiübergreifend, für das Zustandekommen die-
        ses Gesetzes. Es spricht für den Gesetzentwurf, dass
        über SPD und Union hinaus auch grüne Landesministe-
        rinnen eine so konstruktive Rolle bei der Vorbereitung
        des Beschlusses der Finanzministerkonferenz im Mai
        2014 hatten, der ja die Grundlage für die Erarbeitung des
        vorliegenden Gesetzentwurfs darstellt.
        Dabei waren der AG Finanzen der SPD-Bundestags-
        fraktion die nachfolgenden Punkte besonders wichtig:
        Ausdehnung des Berichtigungszeitraums von fünf auf
        zehn Jahre; Absenkung der Straffreiheitsgrenze von
        50 000 auf 25 000 Euro; Erhöhung und Staffelung des
        Strafzuschlags von bislang 5 Prozent bei 50 000 Euro
        Hinterziehungsvolumen auf jetzt 15 Prozent bei
        100 000 Euro und 20 Prozent ab einer Hinterziehungs-
        summe von Millionen Euro; Zahlung der Hinterzie-
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2014 7041
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        hungszinsen ist Wirksamkeitsvoraussetzung der Selbst-
        anzeige; Wiedereinführung der Teilselbstanzeige bei den
        Anmeldesteuern für Unternehmen.
        Wir haben eine gemeinsame Botschaft an all diejeni-
        gen, die ihr Geld immer noch an der Steuer vorbei ins
        Ausland schaffen und weiter mit Steuerhinterziehung ihr
        Glück versuchen: Das Netz zum Durchschlüpfen wird
        immer engmaschiger.
        Deshalb offenbaren sich auch immer mehr Steuerbe-
        trüger den Steuerbehörden. Damit ist dieses Gesetz be-
        reits vor seiner Verabschiedung überaus erfolgreich, wo-
        bei die Reue wohl eher der Aussicht auf deutlich höhere
        Strafzinsen oder gar eine Haftstrafe geschuldet ist und
        nicht der wiedergewonnenen Einsicht, dem Staat die
        Finanzmittel zuzuführen, die ihm zustehen und die er für
        die Erfüllung seiner Aufgaben braucht.
        Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes lehnen wir
        uns keinesfalls selbstzufrieden zurück nach dem Motto:
        Ein gutes nationales Gesetz reicht uns jetzt erst einmal. –
        Nein, im Gegenteil! Unseren Kampf gegen Steuerhinter-
        ziehung setzen wir auf allen Ebenen konsequent fort.
        Die Steueroasen werden weiter ausgetrocknet. Beim Da-
        tenaustausch kommen wir sowohl auf europäischer als
        auch auf globaler Ebene immer weiter voran, und zwar
        in einem Maße, wie es sich vor einem Jahr nur ganz we-
        nige hätten vorstellen können.
        Die Bundesregierung kann sich bei ihren Bemühungen
        um weitere internationale Erfolge im Kampf gegen Steu-
        erbetrug und -vermeidung weiterhin voll auf die SPD-
        Bundestagsfraktion verlassen. Dieses Gesetzgebungsver-
        fahren verlief so erfolgreich, dass wir sogar eine parla-
        mentarische Regel verletzen mussten: Dieser Gesetzent-
        wurf verlässt den Bundestag genauso, wie er hineinkam.
        Das Struck’sche Gesetz kam hier also nicht zur Anwen-
        dung. Der Gesetzentwurf war einfach zu überzeugend.
        Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt ihn einhellig.
        Ich komme zum Schluss. Persönlich möchte ich mich
        vor allem bei der zuständigen Berichterstatterin der
        Unionsfraktion, Frau Kollegin Kudla, herzlich für die
        gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit bedanken.
        Wir senden heute gemeinsam von dieser Stelle aus ein
        starkes Signal an alle Steuerbetrüger: Sie haben von
        heute an noch knapp drei Wochen Zeit, reinen Tisch zu
        machen und mit der aktuell noch gültigen Regelung
        günstiger davonzukommen. Machen Sie davon Ge-
        brauch!
        Heute ist ein schwarzer Tag für alle Steuervermeider,
        -betrüger und -hinterzieher und ein guter Tag für alle
        ehrlichen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Mit der
        Verabschiedung sorgen wir wieder für ein Stück mehr
        Gerechtigkeit in diesem Land.
        Richard Pitterle (DIE LINKE): Steuerhinterziehung
        gilt für viele Leute immer noch als Kavaliersdelikt, aber
        das ist es nicht. Im Gegenteil, Steuerhinterziehung ist
        hochgradig gemeinschädlich. Sie hat nämlich nicht nur
        in finanzieller Hinsicht negative Auswirkungen auf Staat
        und Gesellschaft, wenn Geld in den Kassen fehlt, das
        dringend zur Sanierung der öffentlichen Infrastruktur,
        für Schulen, Straßen, Krankenhäuser, gebraucht würde.
        Steuerhinterziehung hat auch erhebliche soziale Aus-
        wirkungen. Bei ungleicher Verteilung des Wohlstandes
        in einem Land und einer Gesellschaft, wie es in der Bun-
        desrepublik mehr und mehr der Fall ist, verstärkt Steuer-
        hinterziehung auch soziale Spannungen. Häufig ist es
        nämlich eine finanziell ohnehin privilegierte Ober-
        schicht, sind es die Reichen und Superreichen, die durch
        Steuerhinterziehung ihre üppigen Pfründe dem Zugriff
        der Allgemeinheit vorenthalten wollen.
        Uns muss doch allen klar sein: An dieser Stelle fragt
        sich der Großteil der Bevölkerung, die vielen ehrlichen
        Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, stets, warum sie ei-
        gentlich die Hauptlast der Finanzierung unseres Landes
        tragen müssen, während diejenigen, die in Reichtum
        schwelgen, diesen auch noch mehr oder weniger unbe-
        helligt am Fiskus vorbeischleusen können.
        Deswegen ist es richtig und wichtig, dass in den letz-
        ten Jahren über die Fälle eines bekannten Fußballvereins-
        präsidenten und einer bekannten Frauenrechtlerin ein
        Umdenken begonnen zu haben scheint, dessen Auswir-
        kungen wir nun auch im vorliegenden Gesetzentwurf
        und in einer nach 2011 erneuten Verschärfung der Rege-
        lungen zur strafbefreienden Selbstanzeige sehen können.
        Da es die Option der strafbefreienden Selbstanzeige
        allerdings nur für den Bereich der Steuerhinterziehung
        gibt, stellt sie letztlich immer noch eine strafrechtliche
        Privilegierung von Steuerkriminellen dar. Einfache Be-
        trüger, die nicht zuerst den Staat, sondern ihre Mitmen-
        schen direkt schädigen, haben diese Option nicht. Die
        Fraktion Die Linke stellt daher heute auch ihren Antrag
        zur Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige zur
        Abstimmung.
        Zu diesem Schritt konnten Sie, meine Damen und
        Herren von der Bundesregierung, sich nicht durchringen.
        Meine Fraktion wird Ihrem Entwurf daher auch letztlich
        nicht zustimmen, sondern sich der Stimme enthalten.
        Aber ich will Ihnen trotzdem zugutehalten, dass mit der
        geplanten Neuregelung wenigstens eine deutliche Ver-
        schärfung der bisherigen Regelungen einhergeht.
        Hervorzuheben ist hier die deutliche Anhebung und
        Staffelung des zu zahlenden Geldbetrages beim Absehen
        von der Strafverfolgung nach § 398 a der Abgabenord-
        nung. Wer Steuern hinterzogen hat, muss hier künftig
        tief in den Geldbeutel greifen, um eine strafbefreiende
        Wirkung zu erzielen.
        Darüber hinaus war es sinnvoll, die Problematik der
        Umsatzsteuervoranmeldung und der Lohnsteueranmel-
        dung gesondert zu berücksichtigen, indem nachträglich
        korrigierte oder verspätete Umsatzsteuervoranmeldun-
        gen und Lohnsteueranmeldungen zukünftig wieder als
        wirksame Teilselbstanzeige gelten. Für die kleine Unter-
        nehmerin oder den kleinen Unternehmer herrscht hier-
        durch nun Rechtssicherheit. Sie müssen zum Beispiel
        nicht mehr fürchten, bei versehentlich zu niedrig ange-
        setzten Umsatzsteuervoranmeldungen gleich Gefahr zu
        laufen, wegen Steuerhinterziehung verurteilt zu werden.
        7042 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2014
        (A) (C)
        (D)(B)
        Am Ende müssen wir aber trotz dieser Verschärfun-
        gen und Verbesserungen nach wie vor immer noch eines
        feststellen: Die Regelung der strafbefreienden Selbst-
        anzeige ist letztlich auch Ausfluss einer Steuerhinterzie-
        hungskultur, die sich in dieser Form überhaupt erst aus
        ungleicher Verteilung und intransparenter, ineffizienter
        und teils auch schlicht ungerechter Besteuerung ent-
        wickeln konnte. Hier liegt der eigentliche Kern des Pro-
        blems, und die Fraktion Die Linke wird diese Debatte
        auch weiterhin vorantreiben.
        Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich freue
        mich über dieses Gesetz. Mit der Verschärfung der straf-
        befreienden Selbstanzeige demonstrieren wir die Gestal-
        tungskraft des Parlaments. Durch die nunmehr hohen
        Kosten für Steuerhinterzieher begegnen wir dem weit
        verbreiteten Schicksalsglauben, wonach eine sehr gut
        verdienende Elite nach ihren eigenen Regeln spielt und
        sich dem Zugriff des Gesetzgebers leichtfertig entzieht.
        In diesem Jahr haben bereits über 32 000 Personen eine
        strafbefreiende Selbstanzeige gestellt. Spätestens mit
        den prominenten Fällen der letzten Zeit hat sich der
        Wind gedreht. Steuerhinterziehung belastet zwar weiter
        die öffentlichen Haushalte, aber sie wird zunehmend
        auch zur finanziellen und psychischen Belastung für
        diejenigen, die sich vor kurzem noch für besonders
        trickreich und risikofreudig gehalten haben. Es ist ein
        Ausrufezeichen der demokratischen Kultur, dass wir der
        Globalisierung des Steuerbetrugs endlich mit der gebote-
        nen Konsequenz begegnen.
        Nach wie vor ist uns nicht jedes Auslandskonto deut-
        scher Staatsbürger bekannt. Dennoch gibt es sehr kon-
        krete Informationen über den Umfang der hinterzogenen
        Gelder. Gabriel Zucman, ein Schüler des berühmten
        Thomas Piketty, ist zu erstaunlichen Ergebnissen ge-
        langt. Die Euro-Zone ist weltweit der zweitgrößte
        Schuldner, aber nur solange man die Milliarden unbe-
        rücksichtigt lässt, die in Steuersümpfen versunken sind.
        Bezieht man dieses Geld in die Zahlungsbilanzen ein,
        dreht sich das Bild. Vom Schuldner wird die Euro-Zone
        auf diese Weise zu einem Gläubiger gegenüber dem Rest
        der Welt. Im Kampf gegen Steuerhinterziehung steht
        demnach der Wohlstand Europas auf dem Spiel – er
        sollte deshalb auch mit dem nötigen Engagement geführt
        werden. Um Peer Steinbrück einmal vom Kopf auf die
        Füße zu stellen: Aus diesem verborgenen Nix müssen
        Deutschland und die EU endlich eine gerechtes X ma-
        chen. Das nun vorliegende Gesetz leistet einen Beitrag
        zu diesem Vorhaben.
        Wie wurde dabei vorgegangen? Die bisherige Syste-
        matik der strafbefreienden Selbstanzeige ist im Kern
        erhalten geblieben, aber die Voraussetzungen für die
        strafbefreiende Wirkung sind verschärft worden. Unver-
        zichtbar für den effektiven Kampf gegen Steuerhinter-
        ziehung ist aber etwas, das nicht in diesem Gesetz steht:
        Um Steuerhinterzieher überhaupt erst zum Geständnis
        zu bewegen, muss es ein ernstzunehmendes Entde-
        ckungsrisiko geben. Wer nicht den Atem des Gesetz-
        gebers im Nacken spürt, wird kaum als Kronzeuge im ei-
        genen Verfahren auftreten – deswegen ist das von uns
        Grünen unerbittlich eingeforderte Abkommen für den
        automatischen internationalen Informationsaustausch
        ein wegweisender Durchbruch gewesen. Das vorlie-
        gende Gesetz hat wiederum zum Ziel, die Kosten der
        Selbstanzeige wohl zu dosieren. Sie müssen einerseits
        den Steuerehrlichen finanziell eindeutig besser stellen,
        andererseits müssen sie auch den Hinterziehern einen
        Anreiz bieten, ihr Versteck aufzugeben. Die strafbefrei-
        ende Selbstanzeige darf kein wohlkalkulierter Abschrei-
        bungstrick sein, sie muss dem zweifelnden Steuerbetrü-
        ger aber auch einen gangbaren Notausgang anbieten.
        Was bedeutet das neue Gesetz im Detail für die
        Selbstanzeige? Ich möchte ihnen kurz die einschneidens-
        ten Maßnahmen darstellen:
        Die Grenze zur Selbstanzeige ohne Strafzuschlag
        sinkt von 50 000 auf 25 000 Euro. Damit wird die
        Schwelle zur schweren Steuerhinterziehung gesenkt, die
        ein heftiges Vergehen an der Finanzierung des Gemein-
        wesens ist und zu Recht mit einer Geldstrafe geahndet
        wird.
        Der Erklärungszeitraum für eine wirksame Selbstan-
        zeige verlängert sich von fünf auf zehn Jahre. Die Steu-
        erverwaltung hat ein langes Gedächtnis, deswegen ist es
        sinnvoll, den strafrechtlichen Erklärungszeitraum damit
        zu harmonisieren.
        Die Geldzuschläge auf hinterzogene Steuern werden
        kräftig angehoben und deutlich gestaffelt. Wer über
        25 000 Euro hinterzieht zahlt 10 Prozent zusätzlich, bei
        über 100 000 Euro sind es schon 15 Prozent und bei über
        1 Million Euro sogar 20 Prozent.
        Das nunmehr größer gewordene Entdeckungsrisiko
        macht neben einer Reform der Selbstanzeige weitere
        Maßnahmen dringend erforderlich. Die Abgeltung-
        steuer hat ihre Rechtfertigung endgültig verloren. Eine
        Besserstellung von Kapitaleinkünften, die pauschal mit
        25 Prozent besteuert werden, ist prinzipiell fragwürdig,
        mit dem verbesserten Informationsaustausch haben ihre
        Befürworter nun ihr zentrales Argument eingebüßt.
        Nur durch den Widerstand von uns Grünen konnten
        die ursprünglichen Pläne für ein Steuerabkommen mit
        der Schweiz verhindert und Finanzminister Schäuble zu
        wirkungsvolleren Maßnahmen gedrängt werden. Offen-
        sichtlich hat sich aber noch nicht in der ganzen konser-
        vativen Parteienfamilie rumgesprochen, wie wichtig der
        Erhalt der staatlichen Einnahmebasis ist. Internationale
        Zahlungsströme sind nicht nur anfällig für Steuerhinter-
        ziehung, sondern auch für Steuervermeidung. Wie seit
        kurzem gut dokumentiert ist, hat Luxemburg in der
        Amtszeit von Jean-Claude Juncker großen Konzernen
        dabei geholfen, ihre Steuerlast teilweise auf unter ein
        Prozent zu drücken. Wir müssen diese Entdeckungen als
        sehr präzisen Handlungsauftrag begreifen. Neben der
        steuerlichen Strafgesetzgebung müssen wir auch die
        Steuerverwaltung neu ordnen. Auf europäischer Ebene
        sind momentan gerade einmal acht Mitarbeiter damit be-
        fasst, tausende Deals, die neben Luxemburg auch die
        Niederlande und Irland geschlossen haben, daraufhin zu
        prüfen, inwieweit es sich um illegale Beihilfen handelt.
        Die EU muss sich hier besser aufstellen und Deutschland
        muss es auch. Wir brauchen eine Steuerverwaltung, die
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2014 7043
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        auf Augenhöhe mit den Konzernen agieren kann. Es
        geht hier um komplexe Geschäfte und weitverzweigte
        Geldflüsse. Diese außerordentlichen Finanzbeziehun-
        gen rechtfertigen auch besondere Fahndungsmethoden:
        Eine Spezialeinheit auf Bundesebene muss sich der
        Steuerfälle von international agierenden Konzernen und
        extrem reichen Bürgern und Bürgerinnen annehmen. In
        ihr kann die Steuerverwaltung besondere Kompetenzen
        bündeln. Fachleute aus Steuerberatungsgesellschaften,
        der Wissenschaft und der Wirtschaft selbst plus erfah-
        rene Kräfte der bestehenden Verwaltung kommen zu-
        sammen, um politische Empfehlungen zu entwickeln
        und das geltende Steuerrecht international durchzuset-
        zen. Nur eine solche Spezialeinheit wird den Anforde-
        rungen des weltweiten Geldverkehrs auch gewachsen
        sein.
        Anlage 7
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zum Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Verbes-
        serung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften
        für Opfer der politischen Verfolgung in der ehe-
        maligen DDR (Tagesordnungspunkt 21)
        Dr. Stefan Heck (CDU/CSU): „Menschlich unzu-
        mutbar und rechtsstaatlich unerträglich wäre es, über die
        Stasiherrschaft einen Mantel des Vergessens zu breiten.
        Recht und Gesetz nehmen ihren Lauf.“ Diese Worte
        stammen aus der Ansprache des ehemaligen Bundesprä-
        sidenten Richard von Weizsäcker anlässlich des Staats-
        aktes zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober
        1990 in Berlin. Im nächsten Jahr feiern wir den 25. Jah-
        restag dieses Ereignisses.
        Auch nach nun 24 Jahren Wiedervereinigung stellt
        der Umgang mit den Opfern des SED-Regimes eine
        wichtige Säule der Aufarbeitung dar. Aufarbeitung hat
        die Pflicht, die Vergangenheit zu verstehen, geschehenes
        Unrecht zu dokumentieren und den Opfern Gerechtig-
        keit widerfahren zu lassen. Sie soll uns jederzeit das
        Schicksal jener Menschen mahnend vor Augen halten,
        die für das Eintreten ihrer elementaren Rechte und für
        das Streben nach Freiheit verfolgt wurden.
        Wenn sich alte DDR-Grenzer alljährlich in Branden-
        burg treffen und dabei SED-Opfer vor laufender Kamera
        des Magazins Spiegel TV verhöhnt und verspottet wer-
        den, zeigt mir das, wie sehr wir die weitere Aufarbeitung
        benötigen. Es zeigt mir insbesondere, wie systemtreue
        Kader der SED jene Menschen betrachten, die sich nach
        einem anderen Leben sehnten. Aus Gründen wie diesem
        haben sich CDU und CSU stets für eine Aufarbeitung
        eingesetzt, und sie werden es auch weiterhin tun. Denn
        wir können und wir dürfen die Gräueltaten der SED nie-
        mals als ein „bloßes Ereignis“ in der deutschen Ge-
        schichte hinnehmen – insbesondere so lange nicht, wie
        ewiggestrige Ideologen weiterhin ihre kruden Ansichten
        verbreiten.
        Aufgrund der geschichtlichen und rechtsstaatlichen
        Verantwortung haben wir uns der im Koalitionsvertrag
        geplanten Erhöhung der Beiträge im Strafrechtlichen
        und Beruflichen Rehabilitierungsgesetz angenommen.
        Um den Betroffenen pünktlich zum 1. Januar des kom-
        menden Jahres einen erhöhten Betrag zu gewährleisten,
        haben wir uns zu einer zügigen Umsetzung entschlossen.
        Denn es ist für uns wichtig, dass unabhängig von ande-
        ren Forderungen, die in diesem Haus vorgetragen wur-
        den, die erhöhte „SED-Opferrente“ schnell und unbüro-
        kratisch mit Beginn des nächsten Jahres auf die Konten
        der Empfänger überwiesen wird.
        Das heißt jedoch nicht, dass wir uns den Forderungen
        der SED-Opfer verschließen. Im Gegenteil: Wir haben
        uns die Zeit genommen, sowohl Vertreter der Opferver-
        bände als auch weitere Experten zu diesem Thema in ei-
        nem Berichterstattergespräch anzuhören. Dies war für
        uns als CDU/CSU-Fraktion besonders wichtig.
        Infolge des Berichterstattergesprächs haben wir
        uns entschieden, eine Entschließung zum Gesetzent-
        wurf einzubringen. Darin werden drei wesentliche
        Punkte der Experten aufgegriffen und an die Bundes-
        regierung herangetragen:
        Zum einen möchten wir, dass die Bundesregierung im
        Zusammenwirken mit den Ländern das Verfahren dahin
        gehend erleichtert, dass die Opfer des SED-Regimes die
        Möglichkeit haben, ihr Anliegen auch mündlich vorzu-
        tragen.
        Ferner sollen Behörden für die Erstellung von medizi-
        nischen Gutachten auf einen Pool von Ärzten zurück-
        greifen können, die im Umgang mit DDR-Häftlingen be-
        sonders geschult sind.
        Und schließlich konnte unsere Fraktion eine Überprü-
        fung der Frist zu den Rehabilitierungsanträgen durchset-
        zen, die nach der derzeitigen Rechtslage am 31. Dezem-
        ber 2019 endet. Mit dieser Überprüfung können wir die
        möglichen Auswirkungen auf die Praxis besser einschät-
        zen. Das langfristige Ziel der Unionsfraktion ist es, diese
        Frist endgültig zu streichen. SED-Opfer, die bislang
        noch nicht in der Lage waren, einen Antrag für das Re-
        habilitierungsverfahren zu stellen, möchten wir damit
        den zeitlichen Druck nehmen. Sie sollen sich die not-
        wendige Zeit nehmen, um ihr persönliches Schicksal
        aufzuarbeiten.
        In seiner Rede betonte Richard von Weizsäcker: „Wie
        gut uns die Einheit menschlich gelingt, das entscheiden
        kein Vertrag der Regierungen, keine Verfassung und
        keine Beschlüsse des Gesetzgebers. Das richtet sich
        nach dem Verhalten eines jeden von uns, nach unserer
        eigenen Offenheit und Zuwendung untereinander.“
        Ich stimme Herrn von Weizsäcker zu. Ich finde, un-
        sere Aufgabe als Staat ist es, die notwendigen Rahmen-
        bedingungen zu schaffen, um die Einheit unseres Landes
        voranzutreiben. Das schließt auch die Aussöhnung mit
        der Vergangenheit mit ein.
        Mit dem Gesetzesvorhaben und unserer Entschlie-
        ßung bewegen wir uns einen weiteren Schritt in die rich-
        tige Richtung. Den Opfern des überwundenen Regimes
        soll damit das Rehabilitierungsverfahren erleichtert wer-
        den.
        7044 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2014
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        Gemeinsam mit den Erhöhungen der „Opferrente“
        bilden die aufgegriffenen Punkte ein sehr gutes Paket,
        um die Rehabilitierung zu erleichtern und die Aus-
        söhnung mit der DDR-Vergangenheit weiter voranzu-
        treiben – das ist und bleibt das Ziel der Fraktion von
        CDU und CSU.
        Arnold Vaatz (CDU/CSU): Im 25. Jahr der friedli-
        chen Revolution wollen wir an die Menschen erinnern,
        die ihre persönliche Freiheit und ihre Unversehrtheit ge-
        opfert haben, um dem DDR-Regime entgegenzutreten.
        Es waren nicht materielle Beweggründe, sondern der
        Drang nach Freiheit vor Bevormundung, nach Rechts-
        staatlichkeit und persönlicher Selbstbestimmung, der die
        Ostdeutschen in Massen gegen die allmächtige Partei
        SED und ihr Unrechtsregime auf die Straße brachte.
        Die materiellen Gewinner der deutschen Einheit fin-
        den sich dann eher aufseiten der alten Nomenklatura: Di-
        rektoren und Parteiseilschaften, die ihre materielle und
        organisatorische Überlegenheit vielfach in die neue Zeit
        retten konnten.
        Mit der Erhöhung der SED-Opferrente wollen wir uns
        heute den Tausenden von Menschen zuwenden, die unter
        dem Unrecht der sowjetischen Besatzungsmacht oder
        der SED-Herrschaft großes persönliches Leid erlitten ha-
        ben.
        Im Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz wird die
        monatliche Zuwendung für ehemalige Haftopfer der
        DDR von maximal 250 Euro auf maximal 300 Euro an-
        gehoben. Im Beruflichen Rehabilitierungsgesetz wird
        die monatliche Zuwendung für Verfolgte, die in der
        DDR berufliche Nachteile erlitten haben, von 184 Euro
        auf 214 Euro erhöht, sofern diese Personen in ihrer wirt-
        schaftlichen Lage heute besonders beeinträchtigt sind.
        Für Verfolgte, die bereits eine Altersrente beziehen, er-
        höht sich die monatliche Zuwendung von 123 Euro auf
        153 Euro. Die gesetzliche Regelung soll bereits ab dem
        1. Januar 2015 in Kraft treten.
        Mir ist wohl bewusst, dass die Opferverbände sich
        mehr gewünscht hätten. Ich verstehe, dass die Erhöhung
        der SED-Opferrente von 50 Euro auf 300 Euro viele als
        zu niedrig bemessen ansehen. Gemessen an dem erlitte-
        nen Unrecht ist gar kein Betrag hoch genug; das ist ganz
        klar. Aber ich bin davon überzeugt, dass insbesondere
        diejenigen, die mit einem geringen Einkommen auskom-
        men müssen, diese Erhöhung im Portemonnaie sehr
        wohl spüren. Bei der Erhöhung der SED-Opferrente ha-
        ben wir uns an dem orientiert, was wir für Opfer anderer
        Diktaturen getan haben. Daraus abgeleitet ergeben sich
        die Mindesthaftzeit von 180 Tagen, die Bedürftigkeits-
        prüfung sowie der Betrag in Höhe von bislang 250 Euro.
        Als die Wiedergutmachung für NS-Opfer erhöht wurde,
        haben wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Erhö-
        hung der monatlichen Zuwendungen für SED-Opfer im
        Koalitionsvertrag verankern können, woraus sich nun
        ein Betrag von 300 Euro im Monat ab dem 1. Januar
        2015 ergibt.
        Der Antrag der Linksfraktion ist hingegen blanker
        Hohn für die Opfer des SED-Unrechtsregimes. Die ehe-
        maligen Täter und ihre heutigen Parteigänger fordern
        unter anderem eine Beweislastumkehr sowie keine Fest-
        legung einer Mindesthaftdauer. Die Forderung nach ei-
        ner Senkung der Mindesthaftdauer auf null hält dem Ver-
        gleich mit den Wiedergutmachungsleistungen gegenüber
        NS-Opfern nicht stand. Sie sind auch – wie alle ihre Zu-
        satzforderungen – aus dem Munde der Linkspartei wohl-
        feil und klingen sehr nach „Haltet den Dieb“. Die Links-
        partei ist die letzte politische Kraft in Deutschland, die
        ein Recht hätte, zu verlangen, dass für das von ihr allein
        verursachte Unrecht nun die ganze Gesellschaft aufzu-
        kommen hätte, und dies in einer Höhe und unter Bedin-
        gungen, die die Linkspartei selbst festlegt. Wenn Sie,
        meine Damen und Herren von der Linken, eine Zusatz-
        leistung aus Ihrem eigenen Vermögen und den Einkom-
        men Ihrer Mitlieder für die SED-Opfer aufzubringen
        wünschen, so steht dem nichts entgegen. Aber dies for-
        dern Sie ja gerade nicht.
        Der wirkliche Hintergrund Ihres Antrags scheint auch
        nicht die Sorge um die SED-Opfer zu sein, weil sie die-
        sen in allen Ihren Verlautbarungen genauso feindselig
        gegenüberstehen wie zu SED-Zeiten. Nein: Ihr Antrag
        ordnet sich ein in Ihr permanentes Bestreben, diesen
        Staat, in den die DDR aufgegangen ist, durch Überforde-
        rung zu zerstören, um die Genugtuung zu haben, dass
        nicht nur Ihr Staatsgebilde, sondern auch die verhasste
        BRD am Ende scheitert. Dem dient auch Ihre Forderung
        nach einer Beweislastumkehr.
        Die Kausalität zwischen schädigendem Ereignis,
        Schädigung und Schädigungsfolge ist bereits jetzt in je-
        dem Einzelfall gesondert zu prüfen und festzustellen.
        Die Einführung einer Beweislastumkehr wäre ein Präze-
        denzfall, der sich nach und nach auf alle möglichen Fälle
        von Gemeinschaftshaftung ausdehnen ließe. Sie ist an-
        gesichts dieser bestehenden Erleichterungen weder er-
        forderlich noch vertretbar. Die Kausalität würde nicht
        mehr im Einzelfall geprüft, sondern für einen bestimm-
        ten Personenkreis automatisch unterstellt. Eine solche
        Unterstellung widerspricht den Erkenntnissen der medi-
        zinischen Wissenschaft, da jeder Mensch individuell auf
        schädigende Ereignisse reagiert. Sie würde mit dem Ver-
        zicht auf den Beweis der anspruchsbegründenden Tatsa-
        chen zudem einen Systembruch innerhalb des Sozialen
        Entschädigungsrechts darstellen und zu einer sachlich
        nicht gerechtfertigten Besserstellung von SED-Opfern
        gegenüber den anderen Personenkreisen der Sozialen
        Entschädigung – zum Beispiel Kriegsopfer, geschädigte
        Soldaten und Wehrdienstleistende, Gewaltopfer – füh-
        ren. Außerdem würde dies dem Grundsatz der Rechts-
        einheitlichkeit im Sozialen Entschädigungsrecht wider-
        sprechen, da hier wie im gesamten Sozialrecht die
        Grundsätze der objektiven Beweislast gelten.
        Die materielle Verbesserung können wir heute be-
        schließen. Aber damit ist es nicht getan. Die SED-Opfer
        haben darüber hinaus ein Recht der moralischen Würdi-
        gung ihres politischen Kampfes gegen das SED-Regime.
        Meine Damen und Herren von der Linkspartei: Sie sol-
        len sich wahrlich nicht einbilden, dass Sie sich mit Ihrer
        wohlfeilen Forderung, mehr Geld auf die Konten der
        SED-Opfer zu überweisen, das Recht erkaufen, mit Ihrer
        Unrechtsstaatsdebatte, die Sie zur Reinwaschung der
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        DDR angezettelt haben, den SED-Opfern ins Gesicht
        spucken zu dürfen. Diese Menschen sind nicht käuflich.
        Dr. Matthias Bartke (SPD): 1989 waren es massen-
        haft Menschen, die in den ostdeutschen Städten auf die
        Straße gingen. Und es waren viele Menschen, die der
        SED-Diktatur mutig die Stirn boten und den Fall der
        Mauer herbeiführten – der Mauer, die die Welt in Ost
        und West teilte.
        Anlässlich des 25. Jahrestags des Mauerfalls sollten
        wieder viele Menschen auf die Straße gehen. Das war
        die Idee der Lichtgrenze hier in Berlin. Und es war auch
        so. 8 000 weiße, leuchtende Ballons markierten den ehe-
        maligen Mauerverlauf und stiegen am 9. November in
        den Himmel auf. Hinter jedem der Ballons steckte auch
        eine persönliche Geschichte. Was für eine großartige
        Symbolkraft!
        Anlässlich des 25. Jahrestags des Mauerfalls beschäf-
        tigen wir uns heute mit den Zuwendungen für Opfer des
        SED-Unrechts. Mehr als 45 000 ehemaligen politischen
        Häftlingen kommt die SED-Opferrente zugute. Hinter
        dieser Zahl an Menschen steckt jeweils eine ganz per-
        sönliche Geschichte.
        Das sind Geschichten von Behinderung im berufli-
        chen Weiterkommen, Geschichten von Haft und Ernied-
        rigungen aus politischen Gründen. Mit dem vorliegen-
        den Gesetzentwurf werden wir eine Erhöhung der
        Opferrente für die Menschen einführen, die nach den
        Stasidrangsalierungen wirtschaftlich nicht mehr auf die
        Beine gekommen sind. Eine Erhöhung im 25. Jahr des
        Mauerfalls – auch das hat immense Symbolkraft.
        Die Sachverständigenanhörung in der vergangenen
        Woche war sehr beeindruckend. Sie machte einmal mehr
        deutlich, dass erfahrenes Unrecht mit Geld nicht wieder-
        gutzumachen ist. Die Anhörung hat uns zu dem Ent-
        schließungsantrag bewegt, der Ihnen vorliegt. Darin ma-
        chen wir deutlich, was uns für die Opfer des SED-
        Unrechts überdies noch wichtig ist.
        Die Begutachtung in Rehabilitierungsverfahren führt
        bei Opfern immer wieder auch zu Retraumatisierungen.
        Das muss vermieden werden. Es darf nicht sein, dass
        Opfern durch Gutachter vollkommen unsensible Fragen
        gestellt werden. Es darf nicht sein, dass je weiter man
        nach Westen kommt, desto weniger Verständnis bei den
        Gutachtern vorhanden ist.
        Opfer mit gesundheitlichen Folgeschäden müssen mit
        Sachverstand und Einfühlungsvermögen der Gutachter
        rechnen können. Deswegen verweisen wir im Entschlie-
        ßungsantrag auf das Thüringer Modell eines Gutachter-
        pools. In diesem Pool sind besonders geschulte und zer-
        tifizierte Gutachter erfasst. Sie haben Erfahrungen im
        Umgang mit traumatisierten SED-Opfern und wissen um
        das Repressionssystem in der ehemaligen DDR.
        Die emotionale Belastung, die mit einem Antrag auf
        Rehabilitierung verbunden ist, wird jedoch nie gänzlich
        zu vermeiden sein. Es gilt daher, den Opfern Zeit zu ge-
        ben, Zeit, sich den eigenen Erfahrungen und dem erleb-
        ten Leid zu stellen.
        Die derzeitige Frist für Anträge endet 2019. Bis dahin
        werden 30 Jahre seit dem Mauerfall vergangen sein.
        Dennoch werden bis dahin noch längst nicht alle Stasi-
        opfer einen Antrag gestellt haben. Deswegen fordern wir
        die Bundesregierung in unserem Entschließungsantrag
        auf, eine Streichung der Frist in Abstimmung mit den
        Ländern zu prüfen.
        Die Linke fordert, weitere Opfergruppen einzubezie-
        hen und die Bedürftigkeitsprüfung abzuschaffen. Wir
        stimmen Ihnen in diesen Punkten nicht zu. Die von Ih-
        nen genannten Opfergruppen haben regelhaft die Mög-
        lichkeit einer Einzelfallprüfung und des Rückgriffs auf
        die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge.
        Hinsichtlich der Bedürftigkeit, kann ich nur immer
        wieder betonen: Die Ausgleichsleistungen und Zuwen-
        dungen, über die wir hier sprechen, sind nicht beliebig.
        Sie sind für diejenigen gedacht, die die traumatischen
        Erfahrungen der Haft und der Repression nicht verwun-
        den haben und wirtschaftlich nicht mehr auf die Beine
        gekommen sind.
        Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf würdigen wir
        die Menschen aus der ehemaligen DDR, die Vorkämpfer
        waren für Freiheit, Demokratie und für ein vereinigtes
        Deutschland. Dass wir hierzu einen interfraktionellen
        Konsens haben, ist sehr gut. Und ich will offen gestehen:
        Es freut mich besonders, dass die Linke angekündigt hat,
        dem Gesetz und der Entschließung zuzustimmen.
        Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Die LINKE wird
        heute dreimal „Ja“ sagen. Sie sagt „Ja“ zum Gesetzent-
        wurf der Bundesregierung, sie sagt „Ja“ zum Entschlie-
        ßungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD
        und sie sagt selbstverständlich „Ja“ zu ihrem eigenen
        Gesetzentwurf.
        Natürlich hätten wir uns gewünscht, die die Regie-
        rung tragenden Fraktionen nehmen unseren Gesetzent-
        wurf, setzen ihren Namen drauf und stimmen dann zu.
        Wir hätten es auch getan. Der Gesetzentwurf, den wir
        vorgelegt haben, ist derjenige, der den Opfern politischer
        Verfolgung in der DDR am gerechtesten wird. Denn wir
        heben unter anderem die Befristung der Antragstellung
        auf, wir beziehen die Opfer von Zersetzungsmaßnahmen
        in die Regelungen des strafrechtlichen Rehabilitierungs-
        gesetzes ein und wir stellen klar: Die Leistungen nach
        dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz werden nicht
        mit dem Einkommen verrechnet.
        Wir sehen in dem Entschließungsantrag der Fraktio-
        nen von CDU/CSU und SPD Ansatzpunkte für eine wei-
        tere Verbesserung der Lage der Opfer politischer Verfol-
        gung in der ehemaligen DDR. Deshalb werden wir
        zustimmen, denn jede Verbesserung wird unsere Zustim-
        mung finden. Wir stellen aber fest, dass die Verbesserun-
        gen vor allem das Verfahren der Prüfung der Ansprüche
        betreffen. Es ist richtig, den Antragstellern und Antrag-
        stellerinnen auf eigenen Wunsch eine mündliche Anhö-
        rung einzuräumen. Es ist richtig, einen Gutachterpool
        einzurichten, in welchem besonders geschulte und zerti-
        fizierte Gutachter erfasst werden, und es ist richtig, zu
        prüfen, ob die Befristung der Antragstellung gestrichen
        werden kann.
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        (A) (C)
        (D)(B)
        Es ist bedauerlich, dass Sie von den Koalitionsfraktio-
        nen in Ihrem Entschließungsantrag nicht weiter gehen.
        Ich habe bereits darauf verwiesen. Wenn Sie unserem
        Gesetzentwurf nicht zustimmen wollen, weil er von uns
        kommt, hätten Sie ihn einfach übernehmen können.
        Wenn Sie auch das nicht wollen, hätten Sie aber auch in
        dem von Ihnen vorgelegten Entschließungsantrag Forde-
        rungen aus unserem Gesetzentwurf aufnehmen können.
        Dies umso mehr, als sich unsere Forderungen mit denen
        der Opferverbände decken.
        Im erweiterten Berichterstattergespräch haben die
        Opferverbände eine Rente ab dem ersten Tag der Haft
        gefordert. Das steht in unserem Gesetzentwurf. Die Op-
        ferverbände fordern eine Rente für Opfer von Zerset-
        zungsmaßnahmen. Das steht in unserem Gesetzentwurf.
        Die Opferverbände fordern eine Beweislastumkehr im
        Hinblick auf den Grund der Gesundheitsschädigung. In
        unserem Gesetzentwurf schaffen wir eine kleine Beweis-
        erleichterung. Eine der wichtigsten Forderungen der Op-
        ferverbände war die Streichung der Bedürftigkeitsprü-
        fung bei der Auszahlung der Opferrente. Auch das steht
        in unserem Gesetzentwurf.
        Das Engagement und der Einsatz von Menschen in
        der ehemaligen DDR für Bürgerrechte und Freiheit be-
        dürfen größerer Anerkennung als bisher. Deshalb haben
        wir unseren Gesetzentwurf eingebracht. Wir wissen um
        die Verantwortung unserer Vorvorgängerpartei. Wir wer-
        den diese Verantwortung nicht los, das ist uns bewusst.
        Diese Geschichte gehört zu uns. Diese Geschichte hat
        Auswirkungen bis heute. Ich habe bereits in der ersten
        Lesung gesagt: Wir können Dinge nicht ungeschehen
        machen. Wir können aus ihnen lernen und Schlussfolge-
        rungen ziehen. Für uns bedeutet dies, uns dafür einzuset-
        zen, dass die Betroffenen eine Anerkennung und eine
        Entschädigung für ihr Engagement und ihren Einsatz er-
        halten.
        Wir Linke werden an dem Thema der Opferrente und
        der Entschädigungen für Opfer politischer Verfolgung in
        der DDR dranbleiben. Wir werden überlegen, wie syste-
        matisch auch die verfolgten Schülerinnen und Schüler
        sowie die Zwangsausgesiedelten, ein Anliegen der Op-
        ferverbände, einbezogen werden können. Wir müssen
        uns gemeinsam Gedanken machen, wie auch in diesen
        Fällen Ausgleichsleistungen ohne die Zusatzvorausset-
        zung weiterer Folgeschäden ermöglicht werden können.
        Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es
        gehört zu den beeindruckendsten zivilisatorischen und
        gesellschaftlichen Leistungen in unserem Land, sich der
        eigenen Geschichte, der Geschichte der Diktaturen auf
        deutschem Boden zu stellen, sie aufzuarbeiten und dabei
        die vielen Opfer staatlicher Willkür gegen kritisch Den-
        kende nicht zu vergessen. Der demokratische Rechts-
        staat sühnt mit dem vorliegenden Gesetzentwurf vergan-
        genes, systematisches, staatliches Unrecht, indem er für
        Opfer der politischen Verfolgung in der DDR die Reha-
        bilitierung auch materiell vorantreibt.
        Das ist richtig, und deshalb kann man nur empfehlen,
        dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Wir sollten auch be-
        sonders unseren Kolleginnen und Kollegen danken, die
        sich in der Vergangenheit und heute für die straf- und
        rentenrechtliche Rehabilitation eingesetzt haben; stell-
        vertretend seien unsere bis heute aktiven Kollegen
        Arnold Vaatz für die CDU/CSU-Fraktion und Iris
        Gleicke für die SPD-Fraktion genannt. Ich möchte aus-
        drücklich anerkennen, dass sich in der Linksfraktion in
        den letzten Jahren zunehmend eine differenzierte Sicht-
        weise auf das DDR-Unrecht eingestellt hat und konkrete
        weiterführende Vorschläge zur Rehabilitation unterstützt
        bzw. unterbreitet wurden.
        Für uns hat die Rehabilitierung nicht vornehmlich ei-
        nen abstrakten symbolischen Wert, sondern ist in jedem
        gewährten Fall eine Anerkennung der je eigenen Verfol-
        gungs- und Leidensgeschichte. Und an diesem Punkt
        möchte ich uns alle davon überzeugen, die Diskussion
        mit dem Ziel weiterzuführen, bisher nicht berücksich-
        tigte, vergleichbar politisch Verfolgte einzubeziehen.
        Glauben Sie mir, es bedurfte nicht einer Haftstrafe
        von 180 Tagen und mehr, um körperlich und seelisch zu
        zerstören, die Menschenwürde zu rauben. Es gab viele
        Formen der behördlichen und staatssicherheitsdienstli-
        chen Zersetzung mit manchmal durchaus noch gravie-
        renderen Folgen für den Einzelnen als die Haft. Auch
        erzwungene stationäre psychiatrische Behandlungen ge-
        hörten zu den schweren Menschenrechtsverletzungen.
        Wir schlagen als Diskussionsgrundlage die Annahme
        unseres Entschließungsantrages vor. Danach sollte der
        Empfängerkreis um definierte Personengruppen erwei-
        tert werden. Für die Betroffenen selbst sind besonders
        die Bedürftigkeitsprüfung, die Beweislast für Gesund-
        heitsschädigung und dass die mündliche Anhörung nicht
        als Regel verankert ist, Hürden bei der Antragstellung
        und Gewährung.
        Auch sollten die Fristen nach § 7 und § 17 des Geset-
        zes gestrichen werden.
        Der Gesetzentwurf der Linken versucht, die darge-
        stellten Probleme zu lösen. Er zeigt darüber hinaus, dass
        es in der Fraktion offenbar konkrete Unrechtserfahrun-
        gen in der DDR im Umfeld der Weltfestspiele 1973 gibt.
        Allerdings gehörte eine Verurteilung wegen asozialen
        Verhaltens auch ansonsten zum Repertoire staatlicher
        Unterdrückung in der DDR. Deshalb sehen wir Verbes-
        serungsbedarf und werden uns zum Entwurf enthalten.
        Zustimmung also zum Gesetzentwurf der Koalition
        und Einladung zur Fortsetzung der Diskussion auf
        Grundlage unseres Entschließungsantrages, zu dem wir
        ebenfalls um Zustimmung bitten.
        Anlage 8
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu
        dem Übereinkommen des Europarats vom
        25. Oktober 2007 zum Schutz von Kindern vor
        sexueller Ausbeutung und sexuellem Miss-
        brauch (Tagesordnungspunkt 22)
        Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Es kommt nicht
        oft vor, dass sich Opposition und Regierungskoalition
        bei einem Thema so einig waren wie wir bei der Aufar-
        beitung der Edathy-Affäre.
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        Wir alle waren damals erschrocken, als zutage geför-
        dert wurde, dass sich mittlerweile ein ganzer Markt, eine
        ganze Branche gebildet hatte, die mit dem Handel von
        gerade noch legalen Kindernacktbildern Millionenum-
        sätze macht.
        Wir alle waren uns über eines einig und im Klaren:
        Dieser Markt muss trockengelegt werden!
        Insoweit passte es ganz gut, dass uns ohnehin über
        das Übereinkommen des Europarates vom 25. Oktober
        2007 zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung
        und sexuellem Missbrauch eine erhebliche Handlungs-
        verpflichtung traf.
        Heute beraten wir nun über die Ratifizierung dieses
        Gesetzes, und ich freue mich feststellen zu dürfen, dass
        wir unserer gemeinsamen Zielsetzung gerecht geworden
        sind.
        So haben wir mit der Erweiterung des Begriffes „Kin-
        derpornografie“ die bisherige obergerichtliche Recht-
        sprechung aufgegriffen und den Begriff im Sinne der
        Lanzarote-Konvention definiert.
        Neben Abbildungen sexueller Handlungen an oder
        von Kindern und Darstellungen von unbekleideten Kin-
        dern in unnatürlicher geschlechtsbetonter Körperhaltung
        ist nun auch die sexuell aufreizende Wiedergabe der un-
        bekleideten Genitalien bzw. des Gesäßes eines Kindes
        strafbar. Gerade mit der letzten Alternative schließen wir
        eine nicht hinnehmbare Strafbarkeitslücke.
        An dieser Stelle darf ich mich für den wichtigen Vor-
        stoß des bayerischen Justizministers Professor
        Dr. Winfried Bausback bedanken, der diesen Punkt auch
        immer wieder gefordert hat. Ich denke, auch dieser Be-
        harrlichkeit ist es zu verdanken, dass wir hier zu so ei-
        nem guten Ergebnis gekommen sind.
        Dennoch ist es uns aber gleichzeitig gelungen, den
        Begriff der Jugendpornografie in § 184 c StGB von dem
        der Kinderpornografie in § 184 b StGB trennscharf ab-
        zugrenzen. Jugendliche verfügen eben bereits über eine
        andere Sexualität. Hier wäre es falsch, unreflektiert die-
        selben Maßstäbe anzulegen. Deshalb war es richtig, die
        Einwilligungsfähigkeit bezüglich entsprechender Bilder
        zum persönlichen Gebrauch zu etablieren.
        Nach dem Übereinkommen des Europarates, das wir
        heute hier in Gesetzesform gießen wollen, ist die Ziel-
        richtung, sexuellen Missbrauch und Ausbeutung von
        Kindern in jedweder Form zu unterbinden.
        Dies wäre uns aber nach den traurigen Erkenntnissen
        der Edathy-Affäre allein mit einer Novelle des § 184 b
        StGB nicht gelungen. Denn eine der wichtigsten Er-
        kenntnisse war, dass die Branche immer wieder Kunst-
        griffe unternahm, um Bilder und Filme zu fertigen, die
        sich gerade noch an der Grenze zur Illegalität befanden.
        Hierzu haben sich die Produzenten solcher Filme zum
        Beispiel das Vertrauen armer Familien und Kinder in
        Osteuropa erschlichen. Mit Geschenken, Geld und
        Süßigkeiten wurde hier Vertrauen aufgebaut, um dann
        Kinder unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit
        dazu zu bringen, nackt miteinander zu raufen, sich ge-
        genseitig einzuölen oder zu baden. Diese Szenen wurden
        dann aus allen möglichen Perspektiven gefilmt, um das
        Material später gewinnbringend in Pädophilenkreisen zu
        vermarkten. Alles gerade noch legal!
        Mögliche Täter gaben sich dann als Kunst- bzw. Na-
        turfreund aus. Alles sei unverfänglich, man habe nur
        seine Freude „am Anblick von spielenden, unbeschwer-
        ten Kindern“, waren da zum Beispiel Einlassungen im
        Rahmen der Ermittlungen.
        Deshalb war es richtig und wichtig, den Versuch zu
        unternehmen, im Zuge der Reform des § 201 a StGB
        hier jegliche Zweifel an der Illegalität solchen Handelns
        zu beseitigen. Wer solche Bilder und Filme fertigt, bzw.
        wer solche Bilder und Filme bezieht, der beutet Kinder
        sexuell aus, und er missbraucht sie.
        Deshalb kann ich die Kritik der Opposition an der
        Neuformulierung des § 201 a StGB, wonach sich derje-
        nige strafbar macht, der Nacktbilder einer Person unter
        18 Jahren in der Absicht herstellt, diese einem Dritten
        entgeltlich zu verschaffen, oder der sich solche entgelt-
        lich verschafft, an dieser Stelle schlichtweg nicht nach-
        vollziehen.
        Wer ernstlich den oben dargestellten Markt trockenle-
        gen will, der muss auch bereit sein, dafür etwas zu tun.
        Und die hier bemühten Argumente taugen allesamt
        nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken
        und Grünen.
        Denn auch hier gibt es weiterhin das Rechtsinstitut
        der rechtfertigenden Einwilligung, weshalb das Nackt-
        bild einer 17-Jährigen in einer Jugendzeitschrift unpro-
        blematisch ist. Hierfür konnten die Eltern einwilligen,
        denn im Gegensatz zu anzüglichen Nacktbildern raufen-
        der Knaben ist in diesem Fall die Zustimmung vom Sor-
        gerecht gedeckt.
        Ich hätte mir aber von Ihnen, Herr Justizminister
        Maas, an einer anderen Stelle einen genaueren Blick auf
        die Zielsetzung des hier zu beratenden Übereinkommens
        gewünscht, nämlich bei der Frage der Strafbarkeit des
        untauglichen Versuchs beim sogenannten Cybergroo-
        ming.
        Cybergrooming ist ein Phänomen, was heutzutage
        tausendfach im Internet geschieht: Hier nehmen Erwach-
        sene – teilweise unter Vorspiegelung, selbst ein Kind zu
        sein – in Chatrooms oder anderen Foren für Kinder Kon-
        takt zu diesen mit dem Ziel auf, sexuellen Kontakt anzu-
        bahnen. Diesbezüglich berichten Kriminalbeamte aus
        der Praxis, dass es mittlerweile Foren gibt, in denen zum
        Beispiel eine „Julia2004“ binnen Minuten zehn bis
        20 Anbahnungsversuche erhält.
        Nun ist die spannende Frage, wie man an solche Täter
        herankommt:
        In der Anhörung wurde uns verdeutlicht, dass das nur
        über Ermittler möglich ist, die sich im Netz als Kind aus-
        geben. Da dann aus juristischer Sicht ein sogenanntes
        „untaugliches Tatobjekt“ vorliegt, ist dieser untaugliche
        Versuch nicht strafbar.
        7048 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2014
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        Genauso verhält es sich, wenn zum Beispiel die Mut-
        ter das Treiben bemerkt, die Konversation mit dem Ge-
        genüber weiterführt und sich als das Kind ausgibt. Selbst
        wenn der Täter eindeutige Bilder schickt, eindeutige
        Aufforderungen formuliert oder Ähnliches, die Tat bleibt
        straflos.
        Vertreter aus der Praxis haben deshalb in der Anhö-
        rung ausdrücklich die Bitte formuliert, den untauglichen
        Versuch unter Strafe zu stellen, da diese Konstellationen
        quasi die einzige Möglichkeit darstellen, solcher Täter
        habhaft zu werden. Denn das Anzeigeverhalten in diesen
        Fällen geht gen null. Die Kinder vertrauen sich oftmals
        den Eltern nicht an – sei es aus Scham oder mangels aus-
        reichender Fähigkeit zur Bewertung des Vorgangs.
        Leider konnten wir uns hier mit unserer Forderung,
        den untauglichen Versuch unter Strafe zu stellen, weder
        bei der SPD noch beim Justizminister durchsetzen. Auch
        das Ministerium sieht hier keinen Handlungsbedarf.
        Allerdings muss man feststellen: Wenn man den
        Handlungsauftrag aus diesem Übereinkommen ernst
        nimmt, führt an einer Strafbarkeit in solchen Fällen kein
        Weg vorbei. Denn Herr Minister, geschätzte Kolleginnen
        und Kollegen: Die Welt hat sich schlichtweg verändert!
        Früher mussten mögliche Täter mit entsprechenden Nei-
        gungen Anbahnungsversuche vor Kindergärten, Schulen
        oder Kinderspielplätzen vornehmen. Dies barg zum ei-
        nen das erhebliche Risiko der Aufdeckung, und es war
        zum anderen wesentlich zeitintensiver. Heute geschieht
        das in Deutschland täglich hundertfach, im Sekunden-
        takt und im Schutze der Anonymität des Netzes. Deshalb
        werden wir als CDU/CSU hier von unserer Forderung
        nicht abweichen.
        Diesbezüglich bin ich froh, dass sich aus den Bericht-
        erstattergesprächen zumindest die Möglichkeit ergeben
        hat, in einem weiteren Fachgespräch nochmals die For-
        derung aus der Praxis ergebnisoffen zu diskutieren. Hie-
        rauf setzten wir große Hoffnung.
        Dennoch bleibt festzustellen: Wir sind ein gutes Stück
        vorangekommen. Mit Nacktbildern von Kindern werden
        in Zukunft in unserem Land keine Geschäfte gemacht.
        Deshalb stimmen wir dem Gesetz gerne zu.
        Dirk Wiese (SPD): Wir beraten heute in zweiter und
        dritter Lesung den Entwurf eines „Gesetzes zu dem
        Übereinkommen des Europarats vom 25. Oktober 2007
        zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung
        und sexuellem Missbrauch“. Die Zustimmung des Deut-
        schen Bundestages zu diesem Gesetz ist gemäß Artikel 59
        Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes Voraussetzung für
        dessen Ratifikation durch die Bundesrepublik Deutsch-
        land.
        Für diese Zustimmung möchte ich hier und heute
        werben.
        Aber Deutschland hat seine Umsetzungspflichten aus
        dem Abkommen bereits erfüllt. Letzter und entscheiden-
        der Schritt waren dabei die von uns in der letzten
        Sitzungswoche verabschiedeten Änderungen im Sexual-
        strafrecht. Es würde den Rahmen sprengen, die Ände-
        rungen vorzutragen, deshalb beschränke ich mich kurz
        auf die wichtigsten Punkte und verweise ansonsten auf
        die Debattenbeiträge der zweiten und dritten Lesung des
        Gesetzentwurfs zur Änderung des Sexualstrafrechts.
        Kernstück dieser Reform ist dabei, dass wir das Straf-
        maß für den Besitz von Kinderpornografie von zwei auf
        drei Jahre erhöht haben und genau definiert haben
        welche Bilder und Aufnahmen unter Strafe fallen und
        welche nicht. Daneben haben wir Strafbarkeitslücken bei
        dem sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen ge-
        schlossen. Zur Verdeutlichung auch in der heutigen
        Debatte folgendes Beispiel:
        Das OLG Koblenz musste im Dezember 2012 einen
        Lehrer, der sich gezielt an eine 14-jährige Schülerin her-
        angemacht hatte und das Mädchen über fünf Monate und
        letztendlich erfolgreich zum Sex gedrängt hatte, vom
        Vorwurf des Missbrauchs von Schutzbefohlenen frei-
        sprechen. Grund für den Freispruch war einzig und
        allein, dass der Lehrer das Mädchen nicht regelmäßig
        unterrichtete und er damit als Vertretungslehrer in kei-
        nem sogenannten Obhutsverhältnis zu der Neuntklässle-
        rin stand. Mit der Neufassung bzw. Ergänzung des § 174
        Absatz 2 StGB schließen wir diese Regelungslücke nun.
        Ganz klar: Niemand soll seine Vertrauensstellung unge-
        straft missbrauchen dürfen.
        Ferner haben wir den Straftatbestand des „Cybergroo-
        mings“ konkretisiert, um Kinder und Jugendliche im In-
        ternet besser vor Sexualstraftätern schützen zu können.
        Ein äußerst wichtiger Teil der Reform des Sexualstraf-
        rechts, denn die Fälle des „Cybergroomings“ nehmen
        deutlich zu. Allein in NRW gab es eine Steigerung im
        Jahr 2013 von 54,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
        Außerdem haben wir die Genitalverstümmelung, ei-
        nes der abscheulichsten Verbrechen an jungen Frauen
        und Kindern, in den Katalog der Auslandsstraftaten auf-
        genommen, um Eltern davon abzuhalten, ihre Kinder im
        Urlaub beschneiden zu lassen.
        Darüber hinaus haben wir auch ein starkes Signal an
        die Opfer von sexuellem Missbrauch gesandt, indem wir
        die Verjährungsfristen deutlich erhöht haben. Denn
        Opfer von sexuellem Missbrauchs können oftmals erst
        viele viele Jahre später über die Taten sprechen, deren
        Opfer sie einst wurden. Mit der Erhöhung der Verjäh-
        rungsfristen setzen wir ein Zeichen dafür, dass wir diese
        Menschen mit ihrem Leid nicht alleine lassen.
        Wenn wir über den Schutz von Kindern und Jugendli-
        chen reden, dürfen wir aber nicht nur über Strafrecht
        reden. Denn in dem Moment, wo es zur Anwendung
        kommt, ist es für die Opfer bereits zu spät. Sie sind mit-
        unter ein Leben lang gezeichnet oder traumatisiert. Da-
        rum müssen wir vorher ansetzen, also bevor die Taten
        geschehen. Wir müssen also dafür sorgen, dass es gar
        nicht erst zu sexueller Gewalt kommt.
        Deshalb möchte ich hier noch auf das Präven-
        tionskonzept von Bundesfamilienministerin Manuela
        Schwesig, „Gemeinsam gegen sexuelle Gewalt“, hin-
        weisen. Es stützt sich auf fünf Säulen, von denen die
        erste die bereits von mir dargestellte Reform des Sexual-
        strafrechts und der Verjährungsfristen beinhaltet.
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2014 7049
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        Die zweite Säule bilden der Schutz und die Beglei-
        tung von Opfern im Strafverfahren. Nach einem
        Referentenentwurf zur 3. Opferrechtsreform aus dem
        Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz
        wird künftig ein Anspruch auf psychosoziale Prozess-
        begleitung bestehen, um die Belastung der Kinder und
        Jugendlichen im Strafprozess deutlich zu reduzieren.
        Zusätzlich soll durch eine Ergänzung des Kinderschutz-
        gesetzes eine engere Kooperation von Ermittlungsbehör-
        den und Jugendämtern ermöglicht werden.
        Eine weitere Säule des Gesamtkonzepts von Ministe-
        rin Schwesig bildet die Schaffung eines für Kinder
        uneingeschränkten Beratungsanspruchs gegenüber der
        Kinder- und Jugendhilfe – auch ohne Kenntnis der El-
        tern –, flankiert durch Einführung von Schutzkonzepten
        in Schulen und anderen Einrichtungen. Ein klares Signal
        für mehr Kinderschutz!
        Die vierte Säule bilden Beratung, Hilfen und Thera-
        pien für Betroffene. Auf Bundesebene wird eine Koordi-
        nierungsstelle geschaffen werden, um die Beratungs-
        strukturen für Betroffene zu verbessern und sie leichter
        an die spezialisierte Fachberatung überweisen zu kön-
        nen. Daneben werden auch mögliche und potenzielle
        Täter mit entsprechenden Neigungen ins Auge gefasst:
        Präventionskonzepte werden gestärkt, damit diese erst
        gar nicht straffällig werden.
        Abgerundet wird das Gesamtkonzept durch die fünfte
        und letzte Säule, nämlich den Schutz von Kindern und
        Jugendlichen in den digitalen Medien. In Zusammen-
        arbeit mit dem Zentrum für Kinderschutz im Internet soll
        ein Netzwerk einrichtet werden, um Grauzonen von
        Missbrauchsdarstellungen im Netz national und interna-
        tional besser bekämpfen zu können. Zusätzlich werden
        Eltern und Kinder über Risiken beim Umgang mit digi-
        talen Medien aufgeklärt und sensibilisiert. Durch eine
        gesetzliche Informationsverpflichtung soll dabei sicher-
        gestellt werden, dass diese Aufklärung auch wirklich
        stattfindet.
        Sie sehen, die Bundesregierung hat sich sowohl des
        strafrechtlichen als auch des präventiven Schutzes von
        Kindern und Jugendlichen vor sexueller Ausbeutung und
        sexuellem Missbrauch angenommen. Wir haben dabei
        die Zielvorgaben des Übereinkommens des Europarates
        erfüllt und gewährleisten in manchen Bereichen sogar
        einen weitaus besseren Schutz, als er im Abkommen
        gefordert wird. Deshalb werbe ich heute hier um Ihre
        Zustimmung zum vorliegenden Entwurf des Vertrags-
        gesetzes, damit die Bundesrepublik Deutschland nach
        der Zustimmung dieses Hohen Hauses das Abkommen
        auch ratifizieren kann.
        Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Die Bundesrepu-
        blik Deutschland hat das Übereinkommen des Europa-
        rats vom 25. Oktober 2007 zum Schutz von Kindern vor
        sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch
        – Lanzarote-Konvention – am 25. Oktober 2007 unter-
        zeichnet. Der Bundestag muss nun die nach Artikel 59
        Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes erforderliche Zustim-
        mung zum Vertragsgesetz beschließen.
        Diese Ratifizierung setzte nach Auffassung der Bun-
        desregierung eine Änderung des Strafgesetzbuches vo-
        raus, die von der Mehrheit des Bundestages vor wenigen
        Wochen mit der Änderung des Sexualstrafrechtes be-
        schlossen wurde. Die Linke hat aus verschiedenen Grün-
        den diesen Gesetzentwurf abgelehnt. Ich will all die
        Gründe heute nicht wiederholen, zumal diese bei Inte-
        resse im Plenarprotokoll nachgelesen werden können.
        Das Ziel des Vertragswerks, die Verhütung und Be-
        kämpfung der sexuellen Ausbeutung und des sexuellen
        Missbrauchs von Kindern, teilen wir ausdrücklich. Die
        in der Konvention enthaltenen Regelungen im Hinblick
        auf die Verpflichtung zur Prävention in Bezug auf Täter
        und Opfer und auf die Unterstützung von Opfern stellen
        eine sinnvolle und begrüßenswerte Verbesserung im Ver-
        gleich zu bisherigen internationalen Vorgaben dar und
        fördern auch in Deutschland den Ausbau der Prävention.
        Das finden wir richtig und gut. Die in der Konvention
        enthaltenen Vorgaben für präventive Maßnahmen, etwa
        verpflichtende Maßnahmen zum Schutz und zur Unter-
        stützung der Opfer sowie Bestimmungen zu Präven-
        tions- und Interventionsprogrammen und Maßnahmen
        für Sexualstraftäterinnen und -täter, sind sinnvoll. Es ist
        ebenfalls gut, dass Kinder in der Schule über sexuellen
        Missbrauch aufgeklärt werden und Beratung erhalten
        sollen. Auch die zwingende flächendeckende Einrich-
        tung von Beratungsstellen für Opfer und potenzielle Op-
        fer oder Ratsuchende sowie die Auflegung von Täterprä-
        ventionsprogrammen findet unsere Zustimmung.
        Wenn wir uns dennoch enthalten, dann hat dies damit
        zu tun, dass wir einen Teil der Vorgaben im Strafrecht
        für problematisch halten. Kind im Sinne des Überein-
        kommens nach Artikel 3 a ist eine Person unter 18 Jah-
        ren. Gerade im Bereich der Sexualität finden wir es aber
        ausgesprochen richtig, einen Unterschied zu machen, ob
        es sich um unter 14-jährige und um über 14-jährige, aber
        unter 18-jährige Personen handelt.
        Dieser Konflikt zieht sich durch die gesamten straf-
        rechtlichen Regelungen im Übereinkommen. Da ist zum
        Beispiel der Artikel 20. Dieser fordert, gesetzgeberische
        Maßnahmen zu ergreifen, um die Herstellung von Kin-
        derpornografie, das Anbieten oder die Verfügbarma-
        chung von Kinderpornografie, das Verbreiten oder Über-
        mitteln von Kinderpornografie, das Beschaffen von
        Kinderpornografie für sich selbst oder einen anderen,
        den Besitz von Kinderpornografie und den wissentlichen
        Zugriff auf Kinderpornografie mithilfe der Informations-
        und Kommunikationstechnologien unter Strafe zu stel-
        len. Selbst bei einer grundsätzlichen Skepsis gegenüber
        dem Strafrecht dürfte unstreitig sein, dass in den aufge-
        zählten Fällen das Strafrecht eingreifen sollte – wenn es
        sich um unter 14-Jährige handelt. Nach Artikel 20 Ab-
        satz 2 ist Kinderpornografie jedes Material mit der bild-
        lichen Darstellung eines Kindes – und nach dem Über-
        einkommen meint dies eben Personen unter 18 Jahren –
        bei wirklichen oder simulierten eindeutig sexuellen
        Handlungen oder jede Abbildung der Geschlechtsteile
        eines Kindes zu vorwiegend sexuellen Zwecken. Wir ha-
        ben uns bei der Verschärfung des Sexualstrafrechtes
        schon trefflich darüber gestritten, ob wir nicht zumindest
        7050 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2014
        (A) (C)
        (D)(B)
        mit der zweiten Tatbestandsalternative in einen Bereich
        des Motivstrafrechts kommen. Wie soll denn bitte ge-
        klärt werden, ob die Aufnahme einer bildlichen Darstel-
        lung eines Geschlechtsteiles aus vorwiegend sexuellen
        Motiven stattgefunden hat?
        Aber unabhängig davon gilt dies nach dem Überein-
        kommen ja auch für Abbildungen von Geschlechtsteilen
        von zum Beispiel 16-Jährigen oder 17-Jährigen. Wir lau-
        fen hier durch die Definition, wer als Kind gelten soll,
        Gefahr, die Sexualität von Jugendlichen zu kriminalisie-
        ren. Aus unserer Sicht führt dies aber auch zu Wertungs-
        widersprüchen. Denn sowohl nach dem Übereinkommen
        als auch nach deutschem Recht dürfen Personen ab
        14 Jahren mit Volljährigen einvernehmliche sexuelle
        Handlungen vornehmen. Sie dürfen sich aber nicht dabei
        fotografieren oder die Bilder besitzen. Eine Heraus-
        nahme aus der Strafbarkeit ist für die Unterzeichnerstaa-
        ten nicht möglich für den Fall, dass eine 18-Jährige, die
        ihren 17-jährigen Freund bei sexuellen Handlungen – die
        sie vornehmen dürfen – fotografiert und das Bild behält
        oder gar Freunden zeigt oder ihnen per E-Mail sendet.
        Wir sind nicht davon überzeugt, dass ein solches Verhal-
        ten dem Strafrecht unterliegen soll. Wir glauben, diese
        von der Konvention betriebene Kriminalisierung jugend-
        lichen Sexualverhaltens ist nicht gerechtfertigt und ver-
        letzt das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Wir hal-
        ten es tatsächlich für besser, zwischen Kinder- und
        Jugendpornografie und sexuellen Handlungen mit Kin-
        dern und Jugendlichen zu unterscheiden, wie dies in
        Deutschland der Fall ist. Insofern hätten wir uns Rege-
        lungen gewünscht, die sicherstellen, dass in keinem der
        Unterzeichnerstaaten die einvernehmliche Sexualität
        – und entsprechende Fotos – von Jugendlichen mit He-
        ranwachsenden oder Erwachsenen unter Strafe gestellt
        werden kann.
        Wir sehen viele gute Ansätze in der Lanzarote-Kon-
        vention; angesichts der aufgezeigten Probleme bleibt uns
        allerdings nur die Stimmenthaltung.
        Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        NEN): Als der Europarat im Oktober 2007 seine Kon-
        vention verabschiedete, war dies ein Meilenstein. Es war
        ein Schritt zum besseren Schutz von Kindern vor sexuel-
        ler Ausbeutung und vor Missbrauch. Dies ist inzwischen
        mehr als sieben Jahre her, und erst heute verabschiedet
        der Deutsche Bundestag ein Gesetz zur Ratifizierung der
        sogenannten Lanzarote-Konvention. Wir werden diesem
        Gesetz zustimmen, obwohl – und darauf muss ich hin-
        weisen – wir die Definition von Kind differenzierter se-
        hen als die völkerrechtliche Definition von Kind. Wir
        unterscheiden zwischen Kindern und Jugendlichen, zum
        Teil sogar zwischen 14- und 16-Jährigen.
        Viele der strafrechtlichen Regelungsbedarfe wurden
        jüngst mit dem „Gesetz zur Änderung des Strafgesetz-
        buchs – Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexual-
        strafrecht“ umgesetzt. Das Gesetz aus dem Hause von
        Bundesminister Maas hat öffentlich große Aufmerksam-
        keit erfahren. Dies wurde meiner Auffassung nach aller-
        dings vor allem durch zwei Punkte beeinflusst. Zum
        einen wurde durch die Ermittlungen gegen einen ehema-
        ligen Bundestagsabgeordneten eine öffentliche Debatte
        über sogenannte Posingbilder ausgelöst. Diesem Vorfall
        ist es quasi zu verdanken, dass viele der sexualstrafrecht-
        lichen Vorgaben der Konvention vor wenigen Wochen
        umgesetzt wurden. Zum anderen erfuhr das Thema so
        viel Aufmerksamkeit, da der Entwurf aus dem Bundes-
        justizministerium im Bereich der Persönlichkeitsverlet-
        zung derart über das Ziel hinausgeschossen ist. Ich sage
        nur: „bloßstellende Aufnahmen“. Gerade die Medien-
        vertreter wurden da natürlich aufmerksam, schließlich
        wären sie durchaus Betroffene dieses Gesetzes gewor-
        den, wenn es in dieser Form durch den Bundestag ge-
        kommen wäre.
        Nun: Die mediale Konzentrationsfähigkeit ist schnell
        dahin. Vermutlich will die Bundesregierung uns und den
        Menschen im Lande auch suggerieren, dass mit der Ver-
        abschiedung des Gesetzes nun alles getan ist, was getan
        werden musste. Anders ist es nicht zu erklären, dass die
        Ratifizierung der so wichtigen Lanzarote-Konvention in
        dieser Sitzungswoche praktisch unter Ausschluss der Öf-
        fentlichkeit stattfindet.
        Es sind jedoch insbesondere die Präventionsmaßnah-
        men, auf die die Konvention großen Wert legt und die
        bisher völlig unzureichend umgesetzt sind. Ich will nur
        drei Beispiele nennen: Die Schulungsmaßnahmen für
        alle Berufsgruppen, die mit potenziellen minderjährigen
        Opfern des sexuellen Missbrauchs oder der sexuellen
        Ausbeutung in Kontakt kommen, sind in Deutschland
        weiterhin unzureichend. Ebenso gibt es in Deutschland
        keine bedarfsgerechte Betreuung und Therapie von min-
        derjährigen Betroffenen – vor allem in ländlichen Regio-
        nen. Auch wären gesetzliche Regelungen, wie „privacy
        by design“ als Grundeinstellung, womit höhere Daten-
        schutzstandards vor allem bei sozialen Netzwerken im
        Internet erreicht werden, ein Beitrag zur Umsetzung der
        Konvention.
        Auf viele der Punkte, die noch umzusetzen sind, ha-
        ben wir in unserem Antrag „Kinder schützen – Präven-
        tion stärken“ – Drucksache 18/2619 – hingewiesen.
        Auch das Gesamtkonzept für den Schutz von Kindern
        und Jugendlichen vor sexueller Gewalt, das Bundes-
        familienministerin Schwesig am 22. September 2014 in
        Anwesenheit des Unabhängigen Beauftragten für Fragen
        des sexuellen Kindesmissbrauchs, Rörig, auf einer Pres-
        severanstaltung vorgestellt hat, beabsichtigt, Forderun-
        gen aus der Konvention umzusetzen.
        Ich bin froh, dass Konventionen mit ihrer Ratifizie-
        rung innerstaatlich verbindlich werden. Dies erhöht den
        Umsetzungsdruck. Diesen Druck werde auch ich künftig
        machen. Deswegen habe ich mit meiner Fraktion in die-
        ser Sitzungswoche die Bundesregierung mit einer Klei-
        nen Anfrage um Antwort gebeten, was denn bei der Um-
        setzung der Präventionsmaßnahmen Stand der Dinge ist.
        In einigen Wochen werden wir dann hoffentlich etwas
        schlauer sein. Ich kann nur hoffen, dass nach den vielen
        Ankündigungen dann konkrete Umsetzungsschritte zu
        erkennen sind.
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2014 7051
        (A) (C)
        (D)(B)
        Anlage 9
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
        Umsetzung der Richtlinie 2012/17/EU in Bezug
        auf die Verknüpfung von Zentral-, Handels-
        und Gesellschaftsregistern in der Europäischen
        Union (Tagesordnungspunkt 23)
        Sebastian Steineke (CDU/CSU): Durch die Schaf-
        fung des EU-Binnenmarkts ist der Handel innerhalb der
        Europäischen Union deutlich einfacher geworden. Heut-
        zutage gehört es für Verbraucher zur Normalität, Waren
        aus anderen Mitgliedstaaten zu beziehen, und für Unter-
        nehmen zur Normalität, Waren in diese Länder zu expor-
        tieren. Zudem errichten viele Unternehmen mittlerweile
        Zweigniederlassungen in anderen Mitgliedstaaten der
        Europäischen Union.
        Dennoch bestehen nach wie vor Barrieren, die Ver-
        braucher und Unternehmer häufig vom internationalen
        Handel abhalten. Zu diesen Barrieren gehört auch das
        schwierige und umständliche Verfahren zur Beschaffung
        von Informationen über seinen ausländischen Geschäfts-
        oder Vertragspartner. Zur Überwindung von Sprachpro-
        blemen und zur Verbesserung des Zugangs zu solchen
        Unternehmensinformationen bedarf es daher einer
        grenzüberschreitenden Lösung.
        Der vorliegende Gesetzentwurf, der der Umsetzung
        der EU-Richtlinie zur Verknüpfung von Zentral-, Han-
        dels- und Gesellschaftsregister in der Europäischen
        Union (RL 2012/17/EU) dient, soll diese Barrieren be-
        seitigen. Der Gesetzentwurf sieht entsprechende Ände-
        rungen des Handelsgesetzbuches sowie der Handels-
        registerverordnung vor.
        Mit der Richtlinie soll der grenzüberschreitende Zu-
        gang zu Unternehmensinformationen über das europäi-
        sche Justizportal verbessert und die genauen Kanäle für
        die Kommunikation zwischen den nationalen Registern
        der Mitgliedstaaten über eine zentrale europäische Platt-
        form festgelegt werden. Zukünftig bilden folgende drei
        Teile gemeinsam das europäische System der Register-
        vernetzung: die Register der Mitgliedstaaten, die zen-
        trale europäische Plattform und das europäische Justiz-
        portal.
        Bisher musste man sich für die Informationsbeschaf-
        fung beim ausländischen Register anmelden und die dor-
        tige Gerichtssprache beherrschen. Der Gesetzentwurf
        sieht vor, den Zugang zu diesen Registern im grenzüber-
        greifenden Kontext erheblich zu vereinfachen und da-
        durch sichere Rahmenbedingungen für den innereuropä-
        ischen Handel zu schaffen.
        Lassen Sie mich dies an einem Beispiel verdeutli-
        chen: Ein Verbraucher, der nach dem Onlinekauf im
        Ausland aufgrund von mangelhafter Warenlieferung
        eine Klage gegen den Lieferanten anstrebt, kann dies
        zwar – dank der Verbrauchergerichtsstandregelung – in
        Deutschland tun. Dennoch benötigt er für die Klageerhe-
        bung verlässliche Angaben zum Sitz, zur Anschrift und
        zum gesetzlichen Vertreter des Prozessgegners. Dies
        stellt ihn bislang vor eine schwierige Prozedur. Oftmals
        führte dies dazu, dass Betroffene den Schaden lieber in
        Kauf nahmen, da es zu umständlich erschien, die not-
        wendigen Schritte zur Ermittlung der anderen Vertrags-
        partei einzuleiten.
        Durch die Verbesserung des grenzüberschreitenden
        Zugangs zu Unternehmensinformationen soll sich dies
        ändern. Beispielsweise sind nun Änderungen in der Re-
        gel innerhalb von 21 Tagen ab Vorliegen der vollständi-
        gen Anmeldung in das Handelsregister einzutragen und
        bekannt zu machen. Diese Verbesserung wird durch die
        Vernetzung der nationalen Register zu einem europäi-
        schen Justizportal erreicht werden.
        Darüber hinaus wird durch die Schaffung von zeitge-
        mäßen Kommunikationskanälen und die Ergänzung des
        europäischen Justizportals um alle Sprachen der EU das
        Registerverfahren beschleunigt sowie Bürokratie abge-
        baut. Alle in Deutschland tätigen Kapitalgesellschaften
        erhalten eine einheitliche europäische Kennung, damit
        sie problemlos zugeordnet werden können. Die weiteren
        technischen Details des Datenverkehrs kann das Bundes-
        ministerium für Justiz und Verbraucherschutz in einer
        Rechtsverordnung regeln, für die wir ihm mit dem vor-
        liegenden Gesetzentwurf eine Ermächtigungsgrundlage
        schaffen.
        Da der Gesetzentwurf viele technische Regelungsde-
        tails hinsichtlich der Verknüpfung der einzelnen Register
        beinhaltet, führte der Ausschuss für Recht und Verbrau-
        cherschutz auf Initiative der Koalitionsfraktionen von
        CDU/CSU und SPD am 5. November 2014 eine öffentli-
        che Anhörung durch, in der der Gesetzentwurf von allen
        anwesenden Sachverständigen im Grundsatz begrüßt
        wurde. Trotzdem erlebten wir hier ein Paradebeispiel,
        dass Anhörungen des Bundestags nicht nur für das
        Schaufenster gedacht und wirkungslos sind. Denn ge-
        rade weil dieser Gesetzentwurf viele technische Details
        berücksichtigen musste, haben uns die Experten auf ver-
        meintliche Kleinigkeiten hingewiesen, die aber für die
        Praxis und insbesondere für die handelnden Personen
        der Rechtspflege von immenser Bedeutung sind. Unter
        anderem ging es um Begrifflichkeiten, die das Einrei-
        chen von Dokumenten zum Handelsregister betreffen.
        Wir als Union haben die Hinweise der Sachverständigen
        aufgegriffen und im Anschluss gemeinsam mit dem
        Bundesjustizministerium erörtert. Die nun eingearbeite-
        ten Änderungen werden in der Praxis für Rechtssicher-
        heit sorgen und für den Anwender eine Erleichterung
        sein.
        Dass das System der Registervernetzung innerhalb
        der EU-Mitgliedstaaten notwendig ist, wird auch daran
        deutlich, dass es nach Erhebungen der Europäischen
        Kommission aus dem Jahre 2013 rund 31 Millionen Un-
        ternehmen in der Europäischen Union gibt, die in den
        Handelsregistern der Mitgliedstaaten erfasst sind.
        Der Gesetzentwurf trägt zukünftig nicht nur zur Stär-
        kung des grenzüberschreitenden Handels und Informations-
        austauschs innerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen
        Union sowie zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit
        der europäischen Wirtschaft im internationalen Ver-
        7052 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2014
        (A) (C)
        (D)(B)
        gleich bei, sondern schafft auch mehr Rechtssicherheit
        in diesem Bereich.
        Die CDU/CSU-Fraktion wird dem Gesetzentwurf in
        der vom Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz be-
        schlossenen Fassung zustimmen.
        Dr. Johannes Fechner (SPD): Mit diesem Gesetz
        tragen wir dazu bei, dass Richtlinien ins deutsche Recht
        umgesetzt werden, die den Wirtschaftsverkehr innerhalb
        der Europäischen Union wesentlich erleichtern werden.
        Mit dem Gesetz sollen Änderungen der Publizitäts-
        richtlinie, der Zweigniederlassungsrichtlinie und der Fu-
        sionsrichtlinie umgesetzt werden, die auf Verknüpfung
        der Handelsregister abzielen.
        Ziel des Gesetzesvorhabens ist es, dass alle Unions-
        bürgerinnen und Unionsbürger einen europaweiten Zu-
        griff auf wichtige Unternehmensdaten der Kapitalgesell-
        schaften erhalten – und zwar einfach und schnell über
        das Internet. Viele Unternehmen innerhalb der EU nut-
        zen längst die Möglichkeit, über Ländergrenzen hinweg
        zu expandieren, Zweigniederlassungen zu gründen oder
        stehen mit Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten in
        geschäftlichem Kontakt.
        Die Handels- bzw. Unternehmensregister sind in die-
        sem grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr wichtige
        Informationsquellen. Über die Handelsregister können
        Unternehmen, aber auch Verbraucherinnen und Verbrau-
        cher relevante Informationen über die Unternehmen er-
        halten, die ihre potenziellen Geschäftspartner sein könn-
        ten oder mit denen sie bereits Geschäfte machen.
        Mit dem schnellen zentralen Onlinezugriff auf Han-
        delsregisterdaten haben wir in Deutschland bereits beste
        Erfahrungen gemacht. Wir haben schon vor Jahren die
        Daten von 130 Registergerichten aus allen Bundeslän-
        dern auf nationaler Ebene miteinander vernetzt. Jeder-
        mann kann seit 2007 über das gemeinsame Register-
        portal der Länder unter www.handelsregister.de
        Unternehmensdaten abrufen, aber auch wichtige Doku-
        mente wie Gesellschaftervertrag, Jahresabschluss oder
        Gesellschafterliste einsehen. Die Register sind zwar ver-
        netzt, die Daten bleiben aber bei den Ländern. Der On-
        linezugriff hat hier bereits zu steigender Nachfrage ge-
        führt.
        Genau dieses Erfolgsmodell wird jetzt auf europäi-
        scher Ebene ebenfalls eingeführt. Jeder Mitgliedstaat be-
        hält auch hier die Herrschaft über seine Register, die
        aber miteinander vernetzt werden. So wird über das Eu-
        ropäische Justizportal ein zentraler und europaweiter Zu-
        griff für Bürgerinnen und Bürger, Rechtspraktiker, Un-
        ternehmen und Gerichte installiert.
        Das ist eine ausgesprochen erfreuliche Entwicklung.
        Denn Millionen Unternehmen in der EU sind mittler-
        weile in verschiedenen Handelsregistern der Mitglied-
        staaten registriert. Nun erhalten Kapitalgesellschaften
        sowie deren Zweigniederlassungen eine einheitliche eu-
        ropäische Kennung. Das ermöglicht einen besseren Da-
        tenaustausch und mehr Transparenz.
        Veränderungen wie Insolvenz, Liquidation, Löschung
        oder Verschmelzung von Kapitalgesellschaften werden
        den betroffenen Registern mitgeteilt.
        Außerdem haben die zuständigen Registerstellen nun
        eine Frist von 21 Tagen für die Bekanntmachung oder
        Änderung der Registerangaben einzuhalten, eine Frist,
        die in Deutschland kein Problem darstellen wird. Die
        Eintragungen erfolgen bei uns regelmäßig sehr viel
        schneller. Der Suchservice über das Europäische Justiz-
        portal wird kostenlos sein und in 23 Sprachen zur Verfü-
        gung stehen. Dieser verbraucherfreundliche Ansatz soll
        an dieser Stelle besonders betont werden.
        Das Vorhaben, ein europäisches Handelsregisterportal
        zu installieren, mag ambitioniert sein. Aber dieses Ge-
        setz ist ein notwendiger Schritt dahin. Und ich bin über-
        zeugt, dass es zur Harmonisierung des Wirtschaftsver-
        kehrs beitragen, den Informationsaustausch vereinfachen
        und in Zukunft von vielen Menschen und Unternehmen
        genutzt werden wird.
        Richard Pitterle (DIE LINKE): Mit dem vorliegen-
        den Gesetzentwurf wird eigentlich ein unterstützenswer-
        tes Ziel verfolgt. Denn bei den mehr und mehr europa-
        weit vernetzten Handelsbeziehungen, Warenströmen und
        Dienstleistungserbringungen macht eine Vernetzung
        auch der verschiedenen Handels- und Unternehmens-
        register durchaus Sinn. So soll mit dem vorliegenden
        Gesetzentwurf gemäß der zugrunde liegenden EU-Richt-
        linie gewährleistet werden, dass die Register der Mit-
        gliedstaaten, die zentrale Europäische Plattform und das
        Europäische Justizportal künftig gemeinsam das Euro-
        päische System der Registervernetzung bilden.
        Um die Register der Mitgliedstaaten hier kompatibel
        zu machen, soll eine einheitliche europäische Kennung
        für alle Kapitalgesellschaften eingeführt werden. Und
        hier liegt auch schon der erste Knackpunkt in Ihrem Ge-
        setzentwurf, meine Damen und Herren von der Bundes-
        regierung. Warum nur Kapitalgesellschaften? Was ist
        mit den Personengesellschaften? Auch diese nehmen am
        Wirtschaftsleben in der Europäischen Union teil, bei-
        spielhaft möchte ich hier Aldi nennen – ein Unterneh-
        men in der Form einer offenen Handels- und somit Per-
        sonengesellschaft.
        Ein weiterer Schwachpunkt in dem vorliegenden
        Gesetzentwurf liegt in dem nicht sonderlich verbrau-
        cherfreundlich geprägten Zugang zu den relevanten
        Informationen. Wichtige Angaben wie ladungsfähige
        Anschriften oder Vertretungsberechtigungen bei den Ge-
        sellschaften sind nicht zwingend vorgeschrieben. Das
        sind aber genau jene Angaben, die Verbraucherinnen
        und Verbraucher bei der Verfolgung ihrer Ansprüche zu
        allererst benötigen – wenn Sie ein Unternehmen verkla-
        gen wollen, müssen Sie auch wissen, an wen die Klage
        zu richten ist.
        Wenn man die geplante praktische Umsetzung be-
        trachtet, fällt zudem auf, dass die Richtlinie und leider
        auch die vorliegende Umsetzung ins deutsche Recht kei-
        nen Zwang zur Übersetzung in die europäischen Amts-
        sprachen enthalten. Zur Überwindung der jeweiligen
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2014 7053
        (A) (C)
        (D)(B)
        Sprachbarrieren wäre eine solche aber durchaus notwen-
        dig.
        Aus Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher,
        aber auch kleiner und mittlerer Unternehmen ist überdies
        zu bemängeln, dass der Zugang zu den entsprechenden
        Unterlagen nicht kostenlos sein soll.
        Wir müssen daher feststellen, dass die Gestaltungs-
        spielräume, die hier bei der Umsetzung der Richtlinie
        zum Beispiel zugunsten der Verbraucherinnen und Ver-
        braucher gegeben gewesen wären, von der Bundesregie-
        rung leider nicht genutzt wurden.
        Zwar ist es richtig, dass hier widerstreitende Interes-
        sen in Einklang gebracht werden müssen. Da ist das
        Recht auf den Zugang zu Informationen auf der einen
        und die Rechte der diese Informationen zur Verfügung
        stellenden Kapitalgesellschaften auf der anderen Seite.
        Dennoch wäre eine effektivere Ausgestaltung des Infor-
        mationsflusses hier wünschenswert gewesen.
        Zuletzt muss ich Sie, meine Damen und Herren von
        der Bundesregierung, noch an einer weiteren Stelle ta-
        deln. Die Bundesrepublik hinkt bei der Umsetzung der
        hier zugrunde liegenden EU-Richtlinie nämlich wieder
        einmal hinterher. Eigentlich hätte die Richtlinie nämlich
        bis zum Juli dieses sich dem Ende zuneigenden Jahres in
        das nationale Recht implementiert sein müssen. Das ist
        nicht geschehen, und somit hat Deutschland wieder ein-
        mal kein gutes Beispiel bei der Beachtung europarechtli-
        cher Vorgaben abgegeben. Hier wäre zukünftig etwas
        mehr Disziplin durchaus wünschenswert.
        Abschließend bleibt mir zu vorliegendem Gesetzent-
        wurf letztlich nur Folgendes zu sagen: Der zugrunde lie-
        gende Ansatz ist gut, aber bei der Umsetzung hakt es
        mal wieder. Die Fraktion Die Linke wird sich daher ent-
        halten.
        Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit die-
        sem Gesetzentwurf geht Deutschland den ersten Schritt
        zur Umsetzung der Richtlinie 2012/17/EU, mit der mit-
        telfristig das Europäische System der Registervernet-
        zung auf den Weg gebracht werden soll. Künftig sollen
        die Register verknüpft werden und alle Kapitalgesell-
        schaften eine einheitliche Kennung erhalten. Die Voraus-
        setzungen hierfür sollen im Handelsgesetzbuch geschaf-
        fen werden.
        Der immer weiter zusammenwachsende europäische
        Binnenmarkt führt zu einem zunehmenden Anglei-
        chungsdruck in rechtlicher Hinsicht. Wir erleben dies im
        verbraucherrechtlichen Bereich genauso wie im Gesell-
        schaftsrecht oder im Handelsrecht. Und eben auch bei
        den Handelsregistern. Grenzüberschreitende Anfragen
        gewinnen in der täglichen Arbeit der Handelsregister
        stetig wachsendes Gewicht. Es wird immer wichtiger,
        sich auch in den Registern der anderen EU-Mitgliedstaa-
        ten zu informieren. Hierbei stößt der Anwender in der
        Praxis leider häufig auf Hindernisse. Meist setzt zum
        Beispiel der Zugang zu einem nationalen Register
        schlicht die Kenntnis der Landessprache voraus. Ein In-
        formationsaustausch zwischen den Registern erfolgt bis-
        her nicht.
        Dabei setzen bestimmte Sachverhalte dringend einen
        besseren Informationsaustausch zwischen den Registern
        voraus. Dies ist aber im grenzüberschreitenden Rechts-
        verkehr bisher nicht möglich. Es ist zum Beispiel so,
        dass die inländische Eintragung einer Zweigniederlas-
        sung eines ausländischen Unternehmens häufig gewis-
        sermaßen die Eintragung der Hauptniederlassung im
        Ausland spiegelt. Das Register der Hauptniederlassung
        meldet Veränderungen aber nicht automatisch an das Re-
        gister der Zweigniederlassung und das Register der
        Zweigniederlassung kann nicht unentwegt die Eintra-
        gung im Register der Hauptniederlassung überprüfen.
        Eine elektronische Kommunikation zwischen den Regis-
        tern ist bisher nicht möglich. Dies kann zu unschönen
        Missverständnissen führen!
        Die deutschen Handelsregister und das deutsche
        Unternehmensregister sollen mittels der zentralen Euro-
        päischen Plattform mit den Registern der übrigen europäi-
        schen Mitgliedstaaten verbunden werden. In Deutschland
        sind die Daten der 130 Registergerichte bereits seit 2007
        miteinander vernetzt. Die Daten liegen dabei nicht auf
        einem zentralen Server, sondern die einzelnen Landes-
        server werden miteinander vernetzt. Dieses System soll
        nun auch auf europäischer Ebene angewendet werden,
        ohne dass dabei die bisherigen Plattformen mit ihren un-
        terschiedlichen Schwerpunktangeboten abgelöst werden.
        Es werden weiterhin das gemeinsame Registerportal der
        Länder, das Unternehmensregister und zusätzlich das
        Europäische Justizportal verfügbar sein.
        Es ist gut, dass hierbei der Mindestdatensatz kosten-
        los zur Verfügung gestellt wird. Die Zugangshürden zu
        den Informationen des Registers sollten möglichst nied-
        rig gehalten werden.
        Die zentrale Europäische Plattform wird die Verbin-
        dung zwischen den Daten sicherstellen und das Europäi-
        sche Justizportal dient als zentrale Suchplattform, spei-
        chert aber selbst auch keine Daten. Diese Lösung halten
        wir für sinnvoll.
        Die Nutzer werden die mehrsprachige Suche schät-
        zen. Registereintragungen sollen in allen Amtssprachen
        der EU recherchiert werden können. Das hilft dabei,
        Sprachbarrieren zu überbrücken. Als Indexdaten sollen
        erfasst werden: der Name der Gesellschaft, ihre Rechts-
        form, der Sitz der Gesellschaft, der Mitgliedstaat, in dem
        die Gesellschaft eingetragen ist, sowie die Registernum-
        mer der Gesellschaft. Die Sachverständigen haben in ih-
        ren Stellungnahmen für die Anhörung im Ausschuss für
        Recht und Verbraucherschutz noch die Frage aufgewor-
        fen, ob es nicht eventuell auch sinnvoll wäre, die Regis-
        terinformationen selbst in übersetzter Form zur Verfü-
        gung zu stellen. Das finde ich einen sinnvollen Hinweis,
        dem man nachgehen sollte. Es würde mich freuen, wenn
        die Kommission diesen Gedanken aufnehmen würde.
        In der Handelsregisterverordnung soll künftig festge-
        legt werden, dass Änderungen im Register in der Regel
        innerhalb von 21 Tagen ab Vorliegen der vollständigen
        Anmeldung in das Handelsregister einzutragen und be-
        kannt zu machen sind. Die Sachverständigen haben hier
        in ihren Stellungnahmen zu bedenken gegeben, dass die
        deutsche Regelung sich bei der 21-Tage-Frist nicht nur
        7054 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2014
        (A) (C)
        (D)(B)
        auf die notwendigen Daten beschränkt und die Richtlinie
        übererfüllt wird. Es sei außerdem so, dass die Frist von
        21 Tagen in der deutschen Registerpraxis in aller Regel
        unterschritten würde. Hier verstehe ich nicht, wieso auf
        diese Bedenken nicht eingegangen wurde, vor allem da
        es in der Praxis offensichtlich kein Problem gibt, das
        diese weite Interpretation der Richtlinie notwendig ma-
        chen würde. Dies ist für uns zwar kein Grund, das Ge-
        setz abzulehnen, aber wieder ein Beweis dafür, dass die
        Koalition im Gesetzgebungsverfahren den Sachverstän-
        digen nicht genug Gehör schenkt.
        Anlage 10
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu
        dem Übereinkommen vom 10. März 2009 zwi-
        schen den Mitgliedstaaten der Europäischen
        Union über die zentrale Zollabwicklung hin-
        sichtlich der Aufteilung der nationalen Erhe-
        bungskosten, die bei der Bereitstellung der tra-
        ditionellen Eigenmittel für den Haushalt der
        Europäischen Union einbehalten werden (Ta-
        gesordnungspunkt 25)
        Uwe Feiler (CDU/CSU): Heute beraten wir über den
        Gesetzentwurf zur Umsetzung eines völkerrechtlichen
        Vertrages zwischen den Mitgliedstaaten der Europäi-
        schen Union, der zu einer Anpassung der Gesetzeslage
        an einige der Bestimmungen des neuen Unionszollkodex
        führen wird. Durch das Gesetz werden die Voraussetzun-
        gen im innerstaatlichen Zustimmungsverfahren nach Ar-
        tikel 59 Absatz 2 Satz 1 GG für die Ratifikation des
        Übereinkommens geschaffen.
        Der Zollunion, eine der ersten Errungenschaften der
        EU, kommt im Zeitalter der Globalisierung eine wich-
        tige Rolle zu. Sie schützt den Binnenmarkt der EU mit
        seinem freien Warenverkehr und kontrolliert dabei die
        Ein- und Ausfuhr von Waren an den Außengrenzen der
        EU. Unabhängig davon, wo in der EU die Waren verzollt
        werden, gelten dank der Zollunion dieselben Regeln. Die
        Zollbeamten in den 28 Mitgliedstaaten arbeiten in Hä-
        fen, an Flughäfen und Grenzübergängen. Durch ihre Ar-
        beit werden die Verbraucher geschützt, der unlautere
        Wettbewerb vermieden und ein Teil der EU-Einnahmen
        gesichert. 2012 machten die Zölle als Einnahmequelle
        mit einer Summe von 16,3 Milliarden Euro beinahe
        13 Prozent des EU-Haushalts aus. Die Zollbehörden der
        EU wickeln fast 16 Prozent der weltweiten Importe ab –
        das sind über 2 Milliarden Tonnen Waren pro Jahr. Dazu
        bearbeiten sie über 260 Millionen Zollanmeldungen im
        Jahr.
        Mit der EU-Verordnung Nr. 952/2013 vom 9. Oktober
        2013 wird endlich auch die Möglichkeit einer zentralen
        Zollabwicklung geschaffen. Damit können zugelassene
        Wirtschaftsbeteiligte ihre Waren elektronisch anmelden
        und Zölle am Ort ihrer Niederlassung entrichten, unab-
        hängig von dem Mitgliedstaat, in dem die Waren vom
        Zollgebiet der EU ausgeführt, in das Gebiet eingeführt
        oder in dem sie verbraucht werden. Die Änderung ist zu
        begrüßen, da sie die Arbeit der Unternehmen vereinfacht
        und zu einem Bürokratieabbau beiträgt. Ziel der zentra-
        len Zollabwicklung ist es, Buchführung, Logistik und
        Vertrieb zu zentralisieren und zu integrieren, damit die
        Wirtschaft Verwaltungs- und Transaktionskosten spart.
        Wir wollen das Zollverfahren modernisieren, den Han-
        del vereinfachen und die Unternehmen entlasten, ohne
        auf die Sicherheit der Außengrenzen zu verzichten.
        Die neuen Regelungen führen jedoch auf der anderen
        Seite dazu, dass nicht nur ein Mitgliedstaat, sondern
        zwei an der Zollabwicklung beteiligt sind. Folglich ent-
        stehen in beiden Ländern Verwaltungskosten, die mit der
        Zollabwicklung verbunden sind.
        Die Zölle werden von den Mitgliedstaaten als Ein-
        fuhrabgaben erhoben, die sie der Europäischen Union
        als deren Eigenmittel bereitzustellen haben. Für den Ver-
        waltungsaufwand erhalten die Mitgliedstaaten eine soge-
        nannte Erhebungskostenpauschale. Bis zum sogenann-
        ten Eigenmittelbeschluss aus dem Jahr 2000 durften die
        Mitgliedstaaten 10 Prozent der von ihnen bereitzustel-
        lenden Zölle behalten. Nunmehr sind es 25 Prozent. Im
        letzten Jahr nahm Deutschland rund 4,2 Milliarden Euro
        an Zöllen ein. So durfte Deutschland von den im Jahr
        2013 eingenommenen 4,2 Milliarden Euro gut 1 Mil-
        liarde Euro behalten.
        Die Erhebungskostenpauschale wird bisher vom je-
        weiligen Mitgliedstaat einbehalten, in dem die Abgaben
        entrichtet werden. Nach dem Übereinkommen darf die
        Pauschale geteilt werden. 50 Prozent der Erhebungskos-
        tenpauschale werden vom Mitgliedstaat einbehalten, in
        dem die Ware zum zollrechtlich freien Verkehr angemel-
        det wurde, die andere Hälfte bleibt in dem Staat, in den
        die Ware tatsächlich eingeführt wurde. Dadurch werden
        die in beiden Mitgliedstaaten entstandenen Verwaltungs-
        kosten angemessen gedeckt.
        Darüber hinaus enthält das Übereinkommen Regelun-
        gen über den Anwendungsbereich, die Ermittlung und
        Weiterverteilung der Erhebungskosten, die Streitbeile-
        gung bei Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der
        Auslegung oder des Funktionierens des Übereinkom-
        mens sowie Durchführungs- und Schlussbestimmungen.
        Durch den neuen Unionszollkodex wird der Zollbe-
        reich für die Wirtschaftsbeteiligten vereinfacht und wirt-
        schaftsfreundlicher gestaltet. Der Warenfluss soll durch
        die Zollabwicklung so wenig wie möglich beeinträchtigt
        werden. Auch der Zoll gehört mit seiner Anpassung an
        die Bedürfnisse der Unternehmen und die globalen Ent-
        wicklungen durch die Implementierung der modernen
        Möglichkeiten zu einer wirtschafts- und serviceorientier-
        ten Verwaltung. Die Folgen der Vorschriftenänderung
        für die Mitgliedstaaten werden unter anderem in dem
        vorliegenden Abkommen behandelt und müssen ins
        deutsche Recht umgesetzt werden.
        Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Der heute eingebrachte
        Gesetzentwurf mit dem sperrigen Titel „Entwurf eines
        Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 10. März 2009
        zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2014 7055
        (A) (C)
        (D)(B)
        über die zentrale Zollabwicklung hinsichtlich der Auftei-
        lung der nationalen Erhebungskosten, die bei der Bereit-
        stellung der traditionellen Eigenmittel für den Haushalt
        der Europäischen Union einbehalten werden“ ist sehr
        technischer Natur. Er regelt die gerechte Verteilung des
        Verwaltungsaufwandes bei der Erhebung von Zöllen
        zwischen den EU-Mitgliedstaaten. Der Gesetzentwurf
        setzt mit dem Unionszollkodex eine entsprechende EU-
        Verordnung aus dem Jahr 2013 um. Verordnungen sind
        Rechtsakte der Europäischen Union, die wir als Gesetz-
        geber eins zu eins in deutsches Recht übernehmen müs-
        sen.
        Der vorliegende Gesetzentwurf schließt eine Rege-
        lungslücke. Hintergrund ist die Zollerhebungspraxis in
        der EU. Die Mitgliedstaaten erheben Zölle als Einfuhr-
        abgaben, die sie an die Europäische Union abführen
        müssen. Für ihren Verwaltungsaufwand erhalten die
        Mitgliedstaaten eine Pauschale – Erhebungskostenpau-
        schale – in Höhe von derzeit 25 Prozent, die sie von den
        abzuführenden Zöllen einbehalten dürfen.
        Durch den sogenannten Unionszollkodex wird das In-
        strument der zentralen Zollabwicklung in allen EU-Län-
        dern eingeführt. Danach können Waren in einem Mit-
        gliedstaat zum zollrechtlich freien Verkehr angemeldet,
        aber in einem anderen Mitgliedstaat tatsächlich einge-
        führt werden.
        Einfuhrstaat und Anmeldestaat fallen in der Praxis
        mitunter auseinander. Dadurch sind also nicht nur ein,
        sondern zwei Staaten beteiligt. Wenn nun zwei Staaten
        an einem Einfuhrvorgang beteiligt sind, entsteht auch in
        beiden Staaten ein Verwaltungsaufwand. Bislang wurde
        die Erhebungskostenpauschale aber von dem Mitglied-
        staat einbehalten, in dem die Abgaben entrichtet werden.
        Mit der zukünftig zentralen Zollabwicklung wird auch
        der Verwaltungsaufwand des anderen Staates berück-
        sichtigt.
        Die Mitgliedstaaten haben beschlossen, mithilfe eines
        multinationalen Übereinkommens zwischen allen EU-
        Mitgliedstaaten ein geeignetes Instrument für die Rege-
        lung der Aufteilung der Erhebungskostenpauschale zu
        schaffen. Ziel ist es, die Pauschale zwischen den tatsäch-
        lich an der Einfuhr beteiligten Mitgliedstaaten gleichmäßig
        aufzuteilen. In dem Übereinkommen haben sich die Mit-
        gliedstaaten auf eine Aufteilung im Verhältnis 50 zu 50 ge-
        einigt. Diese Regelung ist für mich plausibel und ange-
        messen.
        Zusätzlich enthält der Gesetzentwurf weitere Rege-
        lungen des multinationalen Übereinkommens, die es
        umzusetzen gilt, so zum Beispiel verfahrenstechnische
        Fragen zur Ermittlung und Weiterverteilung der Erhe-
        bungskosten oder der Streitbeilegung bei Meinungsver-
        schiedenheiten: Ist bei einem Streit zwischen zwei Mit-
        gliedstaaten nach drei Monaten noch keine Einigung
        erzielt worden, wird ein Vermittler eingeschaltet.
        Ich begrüße es, dass die Bundesregierung mit dem
        vorliegenden Gesetzentwurf die Umsetzung in Deutsch-
        land auf den Weg gebracht hat, und gehe von einem zü-
        gigen parlamentarischen Verfahren aus.
        Richard Pitterle (DIE LINKE): Der vorliegende
        Entwurf trägt den sehr umständlichen Namen „Gesetz zu
        dem Übereinkommen vom 10. März 2009 zwischen den
        Mitgliedstaaten der Europäischen Union über die zen-
        trale Zollabwicklung hinsichtlich der Aufteilung der na-
        tionalen Erhebungskosten, die bei der Bereitstellung der
        traditionellen Eigenmittel für den Haushalt der Europäi-
        schen Union einbehalten werden“. Kurioserweise ist der
        Titel damit fast so lang, wie der Inhalt des Gesetzes. Es
        handelt sich hierbei nämlich nur um zwei kleine Artikel,
        mit denen dem zugrunde liegenden Übereinkommen zu-
        gestimmt wird.
        Kommen wir daher also zum Inhalt des Übereinkom-
        mens. Die von den Mitgliedstaaten erhobenen Zölle der
        EU werden dieser nach Einzug zur Verfügung gestellt.
        Die Mitgliedstaaten können für den angefallenen Ver-
        waltungsaufwand von den an die EU abzuführenden Be-
        trägen eine Erhebungskostenpauschale in Höhe von der-
        zeit 25 Prozent einbehalten. Durch die Einführung der
        zentralen Zollabwicklung in der EU können die erforder-
        lichen Zollanmeldungen für Waren, die in einen Mit-
        gliedstaat eingeführt werden, auch in einem anderen
        Mitgliedstaat abgegeben werden. Da somit in diesen bei-
        den Staaten jeweils Verwaltungsaufwand entsteht, die
        Erhebungskosten für den Verwaltungsaufwand jedoch
        nur von dem Staat einbehalten werden, in dem die An-
        meldung stattfindet und die Abgaben auch entrichtet
        werden, soll mit dem Übereinkommen ein Ausgleich ge-
        schaffen werden. Dieser sieht vor, dass die einbehaltene
        Erhebungskostenpauschale hälftig an den Staat weiterge-
        leitet wird, in dessen Gebiet die Waren gestellt werden.
        Damit wäre so weit auch schon alles gesagt. Auf den
        ersten Blick erscheint das dem Entwurf zugrunde liegende
        Übereinkommen zur Aufteilung der Erhebungskosten
        konsequent und in Anbetracht des wohl tatsächlich an-
        fallenden Aufwandes in verschiedenen Staaten auch
        sachlich gerechtfertigt. Weshalb sollte nur der Staat von
        der Erhebungskostenpauschale profitieren, in dem die
        Waren angemeldet werden, obwohl in dem Staat, in den
        sie eingeführt werden, ebenfalls Verwaltungsaufwand
        entsteht?
        Nun gilt es natürlich, in den kommenden Ausschuss-
        beratungen noch einmal ins Detail zu gehen, zum Bei-
        spiel hinsichtlich der hälftigen Teilung oder des genauen
        Prozedere der Weiterverteilung. Ob hier weiterer Dis-
        kussionsbedarf besteht, weil sich in dem Übereinkom-
        men und somit hinter den zwei einsamen Artikeln des
        Gesetzentwurfs vielleicht doch noch das ein oder andere
        Problem versteckt, wird sich dann zeigen.
        Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei dem
        vorliegenden Gesetzentwurf handelt es sich um Formali-
        täten zur Aufteilung der Zollerhebungskostenpauschale.
        Sind zwei EU-Mitgliedstaaten an der Zollerhebung einer
        Einfuhr von Waren in die EU beteiligt und haben beide
        aus diesem Grund Erhebungskosten, so wird auch bei-
        den Staaten ein Anteil von 50 Prozent an der Erhebungs-
        pauschale gewährt. Die Aufteilungsregelung ist daher
        zur Vorbeugung von Konflikten zwischen den Mitglied-
        staaten grundsätzlich als sinnvoll anzusehen.
        7056 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2014
        (A) (C)
        (B)
        Diesem Gesetzentwurf wollen wir als Grüne nicht
        entgegenstehen. Die einzige Frage, die wir in diesem Zu-
        sammenhang aufwerfen, ist, warum dieser Gesetzent-
        wurf gesondert und nicht im Rahmen des Zollkodexge-
        setzes eingebracht und diskutiert worden ist.
        (D)
        Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
        73. Sitzung
        Inhaltsverzeichnis
        TOP 4 Forschungs- und Innovationspolitik
        TOP 5 Aufnahme von Flüchtlingen
        TOP 9 Ausbau der Kindertagesbetreuung
        TOP 32 Überweisungen im vereinfachten Verfahren
        TOP 33, ZP 3 Abschließende Beratungen ohne Aussprache
        ZP 4 Aktuelle Stunde zu den Klimaschutzzielen 2020
        TOP 7 Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf
        TOP 8, ZP 5 Altersgerechte Übergänge in die Rente
        TOP 15 Anpassung der Abgabenordnung an EU-Zollkodex
        TOP 10 Energieeffizienz
        TOP 11 Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes
        TOP 12 Geschäftsordnung: Ausschussöffentlichkeit
        TOP 13 Rechtsstellung asylsuchender Ausländer
        TOP 14 Nukleare Abrüstung
        TOP 17 Doha-Änderung des Protokolls von Kyoto
        TOP 16 Diskriminierungsschutz chronisch Erkrankter
        TOP 19 Bundeswehreinsatz Operation Active Endeavour (OAE)
        TOP 18 Leistungsschutzrecht für Presseverleger
        TOP 20 Änderung der Abgabenordnung (Selbstanzeige)
        TOP 21 Rehabilitierung Opfer politischer Verfolgung in der DDR
        TOP 22 EU-Übereinkommen zum Schutz von Kindern
        TOP 23 Verknüpfung von Handelsregistern in der EU
        TOP 24 Nationale Nachhaltigkeitsstrategie
        TOP 25 Aufteilung der nationalen Zollerhebungskosten
        Anlagen