Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich, wünsche Ihnen einen guten Tag und uns heute
gute Beratungen.
Vor Eintritt in unsere Tagesordnung darf ich Ihnen
mitteilen, dass die SPD-Fraktion uns mitgeteilt hat, dass
die ehemalige Abgeordnete Gisela Hilbrecht als stellver-
tretendes Mitglied aus dem Verwaltungsrat der Filmför-
derungsanstalt ausgeschieden ist. Als Nachfolgerin wird
die Kollegin Angelika Krüger-Leißner vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offenkundig der
Fall. Dann ist die Kollegin Angelika Krüger-Leißner als
stellvertretendes Mitglied in den Verwaltungsrat der
Filmförderungsanstalt gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführ-
ten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-
wärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Entschließungs-
antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zu der ersten
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Uni-
ted Nations Interim Force in Lebanon (UNIFIL) auf
Grundlage der Resolution 1701 (2006) des Sicherheitsra-
Redet
tes der Vereinten Nationen vom 11. August 2006
– Drucksachen 16/2572, 16/2611, 16/2616 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Gert Weisskirchen (Wiesloch)
Dr. Werner Hoyer
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller (Köln)
ZP 2 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-
wärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Entschließungs-
antrag der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer, Dr. Wolfgang
Gerhardt, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP zu der ersten Beratung des Antrags der Bun-
desregierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Uni-
ted Nations Interim Force in Lebanon (U
Grundlage der Resolution 1701 (2006) des S
tes der Vereinten Nationen vom 11. August 20
– Drucksachen 16/2572, 16/2609, 16/2617 –
(C
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ung
21. September 2006
1 Uhr
Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Gert Weisskirchen (Wiesloch)
Dr. Werner Hoyer
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller (Köln)
ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-
wärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Entschließungs-
antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Monika
Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin und der Fraktion der LINKEN
zu der ersten Beratung des Antrags der Bundesregierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Uni-
ted Nations Interim Force in Lebanon (UNIFIL) auf
Grundlage der Resolution 1701 (2006) des Sicherheitsra-
tes der Vereinten Nationen vom 11. August 2006
– Drucksachen 16/2572, 16/2605, 16/2618 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Gert Weisskirchen (Wiesloch)
Dr. Werner Hoyer
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller (Köln)
ZP 4 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-
wärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Entschließungs-
antrag der Abgeordneten Jürgen Trittin, Winfried Nachtwei,
Kerstin Müller (Köln), weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zu der ersten Bera-
tung des Antrags der Bundesregierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Uni-
ted Nations Interim Force in Lebanon (UNIFIL) auf
Grundlage der Resolution 1701 (2006) des Sicherheitsra-
ext
tes der Vereinten Nationen vom 11. August 2006
– Drucksachen 16/2572, 16/2610, 16/2619 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Gert Weisskirchen (Wiesloch)
Dr. Werner Hoyer
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller (Köln)
ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der LINKEN
Rechtsextremismus wirksam bekämpfen – Konsequenzen
aus dem Wahlergebnis der NPD in Mecklenburg-Vorpom-
mern
(ZP 1 bis ZP 5 siehe 50. Sitzung)
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska Hinz (Her-
born), Krista Sager, Hans-Josef Fell, Margareta Wolf (Frank-
er Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
iepolitik auf nachhaltige Innovationen ausrich-
che 16/2621 –
NIFIL) auf
icherheitsra-
06
furt) und d
Technolog
ten
– Drucksa
4900 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
Präsident Dr. Norbert Lammert
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Thea Dückert,
Matthias Berninger, Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Mehr Ehrgeiz bei der Erreichung der Lissabon-Ziele
– Drucksache 16/2622 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
ZP 8 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
(Ergänzung zu TOP 29)
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jerzy Montag,
Markus Kurth und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anhe-
bung der Vergütung von Berufsbetreuern
– Drucksache 16/2649 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske,
Ute Koczy, Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Keine Hermes-Bürgschaft für den Ilisu-Staudamm in der
Türkei
– Drucksache 16/2626 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Auswärtiger Ausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra
Pau, Jan Korte, Kersten Naumann und der Fraktion der LIN-
KEN
Erhaltung des Trennungsgebots – Keine Errichtung ge-
meinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrich-
tendiensten des Bundes und der Länder
– Drucksache 16/2624 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias Berninger,
Bärbel Höhn, Dr. Thea Dückert, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Mehr Wettbewerb und Verbraucherschutz auf dem Tele-
kommunikationsmarkt
– Drucksache 16/2625 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Kultur und Medien
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Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
eit erforderlich, abgewichen werden.
Der Tagesordnungspunkt 30 c muss abgesetzt wer-
en. Dabei handelt es sich um den Entwurf eines
weiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ver-
esserung der personellen Struktur beim Bundeseisen-
ahnvermögen und in den Unternehmen der Deutschen
undespost. Zudem soll die federführende Beratung
om Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
unmehr auf den Haushaltsausschuss übergehen. Sind
ie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? – Auch
azu gibt es keinen Widerspruch. Dann ist das so be-
chlossen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 d so-
ie den Zusatzpunkt 6 auf:
5 a) Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregie-
rung
Hightech-Strategie der Bundesregierung –
Neue Grundlage für Deutschlands Innova-
tionspolitik
b) Unterrichtung durch die Bundesregierung
Die Hightech-Strategie für Deutschland
– Drucksache 16/2577 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Kultur und Medien
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Heinz Riesenhuber, Ilse Aigner, Michael
Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten René
Röspel, Jörg Tauss, Nicolette Kressl, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Forschungsprämie zur besseren Kooperation
von Wissenschaft und Klein- und Mittelunter-
nehmen (KMU) zügig umsetzen
– Drucksache 16/2628 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Pieper, Ulrike Flach, Uwe Barth, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der FDP
Innovationen durch Investitionen – Sonder-
programm für die Wissenschaft zur Verbesse-
rung der Kooperation mit der Wirtschaft
(Forschungsprämie)
– Drucksache 16/2083 –
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4901
(A) )
(B) )
Präsident Dr. Norbert Lammert
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska
Hinz (Herborn), Krista Sager, Hans-Josef Fell,
Margareta Wolf (Frankfurt) und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Technologiepolitik auf nachhaltige Innovatio-
nen ausrichten
– Drucksache 16/2621 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-
rung 90 Minuten vorgesehen. – Auch darin besteht of-
fenkundig Einvernehmen.
Dann erteile ich nun das Wort zur Abgabe einer Re-
gierungserklärung der Bundesministerin für Bildung und
Forschung, Frau Dr. Schavan.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-
dung und Forschung:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Mit der Hightechstrategie für
Deutschland legt die Bundesregierung ihre Ziele, Instru-
mente und Strategien in der Forschungs- und Innova-
tionspolitik der kommenden Jahre vor. Wir stellen uns
dem weltweiten Innovationswettbewerb und wir konkre-
tisieren damit eine Leitlinie unserer Politik, die die Bun-
deskanzlerin genannt hat: die Zukunft nicht zu verbrau-
chen, sondern verantwortungsbewusst Talente zu nutzen,
Technologien weiterzuentwickeln und die Rahmenbe-
dingungen so zu modernisieren, dass eine gute Zukunft
für künftige Generationen eröffnet werden kann.
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Da ist ja alles beieinander!)
Wo stehen wir heute in diesem Wettbewerb? Mit ei-
nem F-und-E-Anteil von rund 2,5 Prozent des BIP liegt
Deutschland international auf Platz neun, hinter Ländern
wie den USA und Japan, aber auch hinter Ländern wie
Israel, Korea oder Schweden. Mit 8,4 Prozent der welt-
weit anerkannten Fachpublikationen in den Natur-, Inge-
nieur- und Medizinwissenschaften, mit 12 Prozent aller
weltweit relevanten Patente und mit 16,5 Prozent der
OECD-Exporte an Technologiegütern sind die Ergeb-
nisse des deutschen Innovationssystems beachtlich. Sie
machen Deutschland gar zum Exportweltmeister von
Technologiegütern.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Unser Land ist führend im Maschinenbau, erstklassig
im Fahrzeugbau und in der Umwelttechnik sowie
Schrittmacher in vielen Bereichen der erneuerbaren Ener-
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ien, der Laser-, Nano- und Medizintechnologie. Diese
eistungskraft wird durch eine exzellente Forschungs-
andschaft gefördert und von rund 170 000 innovativen
nternehmen getragen.
Die Hightechstrategie für Deutschland ist erstmals
ine gemeinsame Strategie aller Ministerien, die ihren
eitrag zur Innovationspolitik leisten. Sie ist verbunden
it einem konsequenten Fokus auf Wege der Koopera-
ion zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Sie ist ver-
unden mit einer Betrachtung von technologischen Ent-
icklungsprozessen und Rahmenbedingungen, mit für
eden technologischen Bereich klar formulierten Zielen
uf der Grundlage einer Stärken-Schwächen-Analyse
nd mit Anreizen für strategische Kooperationen zwi-
chen Wissenschaft und Wirtschaft. Vor allem ist sie ver-
unden mit einem deutlich erhöhten finanziellen Ein-
atz von insgesamt rund 15 Milliarden Euro bis zum
ahr 2010.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Diese Bundesregierung macht also Ernst mit einer
mfassenden und neuen Strategie, die die Innovations-
raft unseres Landes stärken wird. Damit verbunden ist
ie Aufforderung an die Länder, jetzt ihre Innovations-
trategien vorzulegen,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jörg
Tauss [SPD]: Sehr richtig!)
ber die im Dezember zwischen der Bundeskanzlerin
nd den Ministerpräsidenten beraten wird.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD –
Volker Kauder [CDU/CSU]: Hier ist der Bei-
fall richtig, Herr Tauss!)
Hinter der Hightechstrategie für Deutschland steckt
in ungewöhnlich hohes Potenzial: Damit können wir
as 3-Prozent-Ziel im Bereich Forschung und Entwick-
ung erreichen, das die Mitgliedsländer der Europäi-
chen Union für das Jahr 2010 innerhalb der Lissa-
onstrategie als Zielvorgabe gesetzt haben; damit
önnen wir den lange eingeforderten besseren Technolo-
ietransfer in neue Produkte, Dienstleistungen und Ver-
ahren erreichen; wenn alle 17 Innovationsstrategien
onsequent und mit dem entsprechenden finanziellen
insatz der Unternehmen umgesetzt werden, können da-
it viele neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Wenn ich sage, dass 1,5 Millionen neue Arbeitsplätze
ntstehen können, ist das nicht übertrieben, sondern eher
ntertrieben. In vielen Analysen steckt nämlich folgen-
er Zusammenhang: Im Bereich von Forschung und Ent-
icklung brauchen wir in den nächsten Jahren rund
0 000 Arbeitsplätze mehr; davon sind circa 60 000 in
en Unternehmen anzusiedeln, die – laut Prognosen – je
0 industrielle Arbeitsplätze nach sich ziehen. Damit kä-
en wir auf 1,8 Millionen neue Arbeitsplätze. Weil wir
escheiden sind, sagen wir: 1,5 Millionen neue Arbeits-
lätze.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD)
4902 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
Bundesministerin Dr. Annette Schavan
Innovationspolitik, die über Ressortgrenzen hinweg
als roter Faden unseres Regierungshandelns angelegt ist,
bringt Deutschland voran. Es gibt keine wirksame Alter-
native, die den geistigen und materiellen Wohlstand un-
seres Landes künftig sichern könnte. Wir verbinden mit
dieser Strategie die Vision von einem Land, das Leistung
in Wissenschaft und Wirtschaft würdigt und anerkennt.
Wir wollen Talente und Begabungen in allen Bereichen
fördern, Kräfte bündeln und unsere Konzepte so opti-
mieren, dass aus Deutschland eine der forschungsfreu-
digsten und im Blick auf den Technologietransfer erfolg-
reichsten Nationen der Welt wird. Wir spekulieren nicht
über Zukunft, wir sorgen vor.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Innovationskonzepte der Vergangenheit waren zu
stark auf Forschung konzentriert. Jetzt ist unser Ziel,
dass sich Forschungsideen auch auf den Märkten durch-
setzen. Es sollen neue Märkte für Produkte, Dienstleis-
tungen und Verfahren entstehen sowie bestehende
Märkte zu Leitmärkten ausgebaut werden.
Die Hightechstrategie für Deutschland setzt neue
thematische Prioritäten in der Energieforschung, der
Gesundheitsforschung, der Nanotechnologie sowie der
Informations- und Kommunikationstechnologie und
schließlich der Sicherheitsforschung. Zur Neuausrich-
tung der Projektförderung werden Innovationsplattfor-
men eingerichtet. Seitens des BMBF wird der Prozess
der Strategiebildung auf der Ebene der Plattformen un-
terstützt.
Deutschland, das Land der Ideen, wird zum Land der
Taten. Dafür müssen die Wege von der Entwicklung zum
Markt kürzer und schneller werden. Mit der Hightech-
strategie für Deutschland werden Forschungsförderung
und Rahmenbedingungen erstmals konsequent gemein-
sam betrachtet. Dazu nenne ich nur wenige Beispiele.
Die Forschung im Rahmen der Grünen Gentechnik muss
ein angemessenes Umfeld für ihre Anwendung erhalten.
Wir werden in Kürze Vorschläge dazu vorlegen, die ei-
nerseits Kommunikation zur besseren Akzeptanz beför-
dern und andererseits Sorge dafür tragen, dass Forscher
nicht nur nicht behindert werden, sondern auch wirklich
gut arbeiten können.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD)
Ich nenne die Marktdurchdringung deutscher Technolo-
gieprodukte, die durch Normungs- und Standardisie-
rungsprozesse unterstützt werden muss. Die Auswertung
von Informations- und Kommunikationslösungen muss
durch E-Government im Interesse der Bürgerinnen und
Bürger beschleunigt werden. Die Prosperität der Zu-
kunftsbranche Medizintechnik braucht geeignete Vergü-
tungsregelungen für Innovationen im Gesundheitswesen.
Die Zukunft der Informations- und Kommunikations-
märkte bedarf einer modernen Medienordnung.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD)
Ein leuchtendes Beispiel der Hightechstrategie ist die
OLED-Initiative. Das BMBF fördert Forschung und
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ntwicklung auf dem Gebiet organischer Leuchtdioden,
o genannter OLED, in den nächsten Jahren mit
00 Millionen Euro. Gleichzeitig werden die beteiligten
nternehmen 500 Millionen Euro investieren. Das ist
in Beispiel für das, was für alle 17 Innovationsstrate-
ien gelten muss: Wir mobilisieren mit öffentlichen Mit-
eln ein Mehrfaches an Mitteln aus der Wirtschaft. Ich
in davon überzeugt, dass dies eines von vielen positi-
en Beispielen sein wird, und rufe die Wirtschaft dazu
uf, ihren Beitrag zu allen 17 Innovationsstrategien zu
eisten.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD)
Eine der zentralen Botschaften der Hightechstrategie
ür Deutschland ist die neue Priorität für Innovations-
olitik als Zentrum unseres Regierungshandelns. Wir
nterstreichen diesen Aufbruch für einen neuen Stellen-
ert der Innovationspolitik durch die deutliche Erhö-
ung der Investitionen in Forschung und Entwicklung
is zum Ende dieser Legislaturperiode mit insgesamt zu-
ätzlich 6 Milliarden Euro. Einen solchen Anstieg von
nvestitionen hat es in der Geschichte der Bundesrepu-
lik noch nie gegeben. Wir investieren in die Zukunft
nseres Landes.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD)
Wir leisten eine Innovationspolitik aus einem Guss.
ir setzen Anreize für eine anwendungsorientierte Wis-
enschaft, eine forschungsfreundliche Wirtschaft und
eue strategische Kooperationen zwischen Wissenschaft
nd Wirtschaft. Wir führen eine Forschungsprämie für
orschungsaufträge kleiner und mittlerer Unternehmen
n Hochschulen und außeruniversitären Forschungsein-
ichtungen ein. Sie soll die Wissenschaftseinrichtungen
otivieren, sich stärker auf wirtschaftsrelevante Themen
nd Forschungsaufträge einzulassen. Die Prämie wird an
ie Hochschulen und Forschungseinrichtungen ausge-
ahlt.
Wir werden Deutschlands Spitzencluster in einem
hemenoffenen Wettbewerb – nach dem Grundsatz: Stär-
en stärken – prämieren und fördern. Durch diese Förde-
ung sind die ausgewählten Cluster imstande, ihr Profil
u schärfen, Entwicklungshemmnisse zu überwinden
nd zu internationalen Anziehungspunkten zu werden.
uf diese Weise werden neue Märkte für deutsche Tech-
ologien, Produkte und Dienstleistungen erschlossen
nd mehr F-und-E-Direktinvestitionen aus dem Ausland
ngezogen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der SPD)
Die Förderung innovativer kleiner und mittlerer Un-
ernehmen durch die Bundesregierung wird im Rahmen
er Hightechstrategie prioritär ausgebaut. Das gilt für
ktivitäten des Wirtschaftsministeriums und für mein
aus. Die Förderung von KMU in der Spitzentechno-
ogie über Fachprogramme hinaus wird einheitlich ge-
taltet und auf diesem Wege ausgebaut. Durch mehr
ransparenz wird ein einfacherer Zugang zu den Pro-
rammen ermöglicht. Die Mittel zur Förderung von For-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4903
(A) )
(B) )
Bundesministerin Dr. Annette Schavan
schung und Entwicklung der KMU werden bis 2009 um
40 Prozent auf 850 Millionen Euro steigen. Die Finan-
zierung von Forschungsvorhaben durch Banken und In-
vestoren wird erleichtert. Die Bedingungen für Wagnis-
kapital werden verbessert.
Dies alles betrifft das Stichwort Rahmenbedingungen.
Wir wissen das und setzen es in dieser Strategie um.
Fachprogramme sind das eine, gute Rahmenbedin-
gungen, um das, was in den Fachprogrammen an Poten-
zial steckt, umsetzen zu können, sind das andere.
Kleine und mittlere Unternehmen sind auch deshalb
so stark im Fokus, weil wir wissen, dass sie nicht nur die
meisten Jobs in Deutschland schaffen, sondern auch be-
sonders kreativ sind. Unsere Strategie hilft den Unter-
nehmen bei Kontakten zur Wissenschaft und bei der
Umsetzung ihrer eigenen Forschung in Produkte; Exis-
tenzgründern wird der Weg in den Markt erleichtert.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Meine Damen und Herren, wissenschaftlichen For-
schungsergebnissen fehlt oft die notwendige Reife für
eine wirtschaftliche Verwertung. Zur Schließung dieser
Lücke ist es notwendig, mögliche Anwendungen, die er-
folgversprechend sind, im Blick auf ihre technische
Machbarkeit zu prüfen. Hierzu wird ein einheitliches
Förderkonzept in geeignete Fachprogramme eingebaut.
Die Umsetzung der Hightechstrategie für Deutschland
schließlich wird von der Forschungsunion Wirtschaft –
Wissenschaft begleitet. Hier erarbeiten Vertreter der
Wirtschaft und der Wissenschaft unter Beteiligung der
jeweiligen Ressorts Empfehlungen für die weitere Aus-
gestaltung der Hightechstrategie, die in unsere unmittel-
bare Forschungspolitik einfließen. Ich halte es für ein
sehr interessantes Zeichen, dass erstmals auch bei der
Konkretisierung von Forschungsförderung Wirtschaft
und Wissenschaft von Beginn an zusammenarbeiten.
Das wird auch den Prozess der Mobilisierung von finan-
ziellen Investitionen seitens der Wirtschaft befördern.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Die Forschungsunion ist ein deutliches Signal für eine
neue Mentalität als Grundlage erfolgreicher Innovations-
politik. Wirtschaft und Wissenschaft haben klar defi-
nierte Ziele sowie einen klaren Zeitplan für die Umset-
zung, der mit einem jährlichen Fortschrittsbericht
verbunden ist, und tragen gemeinsam Verantwortung für
einen beschleunigten Technologietransfer.
Mit der Hightechstrategie für Deutschland leisten wir
zugleich einen Beitrag zu einer europäischen und inter-
nationalen Innovationspolitik. Wir stellen die Weichen
so, dass Deutschland ein starker Motor für den For-
schungsstandort Europa sein kann. Die EU-Präsident-
schaft im kommenden Jahr gibt uns Gelegenheit, wich-
tige Entscheidungen für den Forschungsstandort Europa
zu verwirklichen: Der Europäische Forschungsrat wird
seine Arbeit aufnehmen. Das 7. Forschungsrahmenpro-
gramm tritt in Kraft. Wir stehen in den Vorbereitungen
für einen möglichen europäischen Exzellenzwettbewerb
über neue Wege zum Technologietransfer in Europa. Die
Lissabonstrategie ist das Herzstück der europäischen In-
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ovationspolitik. Sie ist Voraussetzung, um im weltwei-
en Innovationswettbewerb stark zu werden. Sie ist der
otor für eine neue Dynamik in Europa. Hierbei nimmt
ie Hightechstrategie für Deutschland eine Vorreiterrolle
in.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
ewachsene Forschungs- und Innovationskompetenz in
eutschland steigert auch die Möglichkeiten europäi-
cher und internationaler Kooperationen.
Meine Damen und Herren, die Hightechstrategie für
eutschland ist auf eine überaus positive Resonanz in
er Öffentlichkeit gestoßen. Sie ist das Ergebnis gelun-
ener Kooperation zwischen den Ressorts und eines
euen Dialogs zwischen Wissenschaft und Wirtschaft.
ie ist ein Zeichen der Entschlossenheit der Bundesre-
ierung, diese Legislaturperiode zu nutzen, um die Wei-
hen auf Zukunft zu stellen und künftigen Generationen
ie Basis für geistigen und materiellen Wohlstand zu
chaffen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
„Ideen zünden“ steht für Kompetenz und Leiden-
chaft bei dieser wichtigen Zukunftsaufgabe. Ich danke
llen Beteiligten für die hervorragende Arbeit der ver-
angenen Monate und bin zutiefst davon überzeugt, dass
ie Hightechstrategie für Deutschland eine innovations-
olitische Erfolgsgeschichte werden kann.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
ie Kollegin Cornelia Pieper, FDP-Fraktion.
(Jörg Tauss [SPD]: Frau Pieper, denken Sie an
meine freundlichen Worte von eben!)
Cornelia Pieper (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
achstumschancen und Wohlstand lassen sich nur durch
nnovationen erschließen; das ist richtig, Frau Ministe-
in. Deswegen ist es gut, dass die Bundesregierung eine
ightechstrategie vorgelegt hat. Angesichts der globalen
erausforderungen, die Sie in der Hightechstrategie be-
chreiben, will ich aber daran erinnern: Wir befinden uns
icht nur mit unseren europäischen Nachbarn im Wett-
ewerb, sondern auch mit anderen Kontinenten.
Die Aufholjagd mancher Länder hat ungeheure Aus-
aße. Denken Sie nur an Indien und China: Indien gehört
eute zu den Top Ten der Weltrangliste. China hat dem
est der Welt mit einem groß angelegten Technologiepro-
ramm den Kampf angesagt. Dabei schreckt man in
hina nicht vor staatlichen Zwangsmaßnahmen zurück,
(René Röspel [SPD]: Soll das jetzt etwa ein
Vorbild sein?)
urch die der chinesischen Wirtschaft die Auflagen ge-
acht werden, Hightechimporte beim Staat zu beantra-
en und einen Plan für ihren Nachbau bzw. ihre Kopie
orzulegen.
4904 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
Cornelia Pieper
Frau Ministerin, es ist erschreckend, dass man in
Deutschland – dem Land, in dem der Transrapid erfun-
den wurde – heute zur Kenntnis nehmen muss: Das
Transrapidkonsortium strebt ein Joint Venture mit China
an, wenn Deutschland nicht endlich die Transrapidrefe-
renzstrecke in München baut. Was die Hightechstrategie
angeht, müssen wir mit dem Schneckentempo aufhören.
(Beifall bei der FDP)
Die Bilanz technologischer Dienstleistungen
Deutschlands wies im Jahre 2002 einen Negativsaldo
von 7,5 Milliarden Euro aus: Deutschland importiert
mehr Erfindungen, Patente und Ingenieurleistungen, als
es ausführt. Das ist in der Tat ein Problem. Deutschland
muss im weltweiten Wettbewerb mithalten. Das wollen
wir alle. Deswegen müssen wir schneller, unbürokrati-
scher und besser werden.
Das Bekenntnis der Bundesregierung zum auf EU-
Ebene vereinbarten Ziel, 3 Prozent des BIP in Forschung
und Entwicklung zu investieren, ist richtig, Frau Minis-
terin. Allerdings müssten, so haben die deutschen For-
schungsinstitute, die den Bericht zur technologischen
Leistungsfähigkeit Deutschlands 2006 erstellt haben,
festgehalten, allein Bund und Länder ihre jährlichen
Ausgaben um 6 Milliarden Euro steigern, um dieses Ziel
zu erreichen. Damit entzaubert man Ihre Hightechstrate-
gie und Ihr 6-Milliarden-Euro-Innovationsprogramm.
(Beifall bei der FDP)
So wichtig die Hightechstrategie auch ist, da sie rich-
tige und wichtige Ansätze, die Sie gerade beschrieben
haben, enthält, gehört zur Ehrlichkeit auch, zu sagen,
dass bei dem 14,6-Milliarden-Euro-Programm laufende
und künftige Programme bis 2009 buchhalterisch zu-
sammengerechnet worden sind. Das ist die Wahrheit.
Daher ist das, was Sie im Rahmen der Hightechstrategie
tun, kein Drauflegen, sondern eigentlich nur ein Zusam-
menfassen.
(Beifall bei der FDP)
Will Deutschland die Herausforderungen der Globali-
sierung im 21. Jahrhundert annehmen, müssen Sie, Frau
Ministerin, und muss die Bundesregierung einen Zahn
zulegen. Der Bedarf an akademischen Fachkräften
wurde uns durch den OECD-Bericht erneut vor Augen
geführt. Die Studienabbrecherquote liegt in Deutschland
bei 35 Prozent; das OECD-Mittel beträgt 23 Prozent.
Hier ist noch viel zu tun. Dazu gehört für mich das
Thema Freiheit und Autonomie an den Hochschulen. Ich
denke vor allem an den Hochschulpakt, über den Sie ge-
rade mit den Bundesländern verhandeln. Warum wurden
diese Verhandlungen eigentlich verschoben? Auch das
verdeutlicht das Schneckentempo aufgrund des Kompe-
tenzgerangels zwischen Bund und Ländern.
(Beifall bei der FDP)
Mut und Tatkraft zu mehr Freiheit und Wettbewerb für
Innovationen sind notwendig, um in der Champions
League der Industrienationen mitspielen zu können.
(Jörg Tauss [SPD]: Genau deswegen sind wir
mutig und tatkräftig! Na, sehen Sie!)
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Herr Tauss, die Europäische Kommission hat jüngst
in Zehnpunkteprogramm zur Innovationsförderung in
er europäischen Wirtschaft beschlossen, so genannte
ead Markets, durch die Innovationen für die Wirtschaft
rleichtert werden sollen, indem Behörden gezielt güns-
ige Bedingungen für die erfolgreiche Vermarktung in-
ovativer Waren und Dienstleistungen schaffen. Ebenso
rauchen wir schnellere, leichtere und unbürokratischere
enehmigungsverfahren für Produkte, die neu auf den
arkt kommen. Auch diesem Thema sollte sich die
undesregierung mehr als bisher widmen.
(Beifall bei der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Sie
sind ja staatsgläubig!)
orgen Sie dafür, Frau Ministerin, dass Sie sich von ideo-
ogischen Prestigeobjekten verabschieden! Sie wollen
nnovationsmotor sein mit Blick auf die deutsche EU-
atspräsidentschaft im nächsten Jahr; doch bei der Bera-
ung über das Siebte Forschungsrahmenprogramm der
U haben Sie restriktiv gehandelt: Sie haben die anderen
uropäischen Länder davon abhalten wollen, weiter em-
ryonale Stammzellforschung zu betreiben und dies von
er Europäischen Union fördern zu lassen.
(Beifall bei der FDP)
it einem Innovationsmotor hat das nichts zu tun. Wer
tändig nur auf die Risiken neuer Forschungsfelder hin-
eist, verspielt Deutschlands Chancen.
(Beifall bei der FDP)
Ich finde es gut, dass Sie die Idee der Forschungs-
rämie, die die FDP schon vor fünf Jahren gemeinsam
it dem BDI und den Wissenschaftsorganisationen erar-
eitet hat, auf den Weg bringen. Aber leider ist auch die-
es Programm zu kurz gesprungen, es ist ein Tropfen auf
en heißen Stein. Denn Sie wollen nur einen Teil der Un-
ernehmen fördern, nämlich jene 18 Prozent aus dem
MU-Bereich, die heute schon forschen. Sie legen ein
inanzpolitisches Korsett an. Wir dagegen wollen ein
rogramm von 200 Millionen Euro.
(Jörg Tauss [SPD]: Hoho!)
ch sage Ihnen, Frau Ministerin: Wenn diese Bundes-
egierung in den Haushalt für nächstes Jahr 400 Millio-
en Euro zur Subvention der Steinkohlenförderung ein-
tellen kann, dann muss es doch möglich sein, für so ein
ukunftsprogramm 200 Millionen Euro aufzulegen. Das
äre ein Innovationsschub für ein Anreizsystem zuguns-
en eines Wissenstransfers zwischen Wissenschaft und
irtschaft. Investieren Sie in die Zukunft in Größenord-
ungen, die wir im globalen Wettbewerb brauchen! Be-
egen Sie sich nicht im Schneckentempo!
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege René Röspel, SPD-
raktion.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4905
(A) )
(B) )
René Röspel (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ein schöner Morgen in Berlin, ein guter Tag für
die Forschung in Deutschland!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Mit der Hightechstrategie legt Frau Ministerin
Schavan eine ressortübergreifende, Technologiepolitik
koordinierende und bündelnde Strategie vor. Fast wie in
einem virtuellen Haus werden Technologien künftig un-
ter einem programmatischen Dach in Themenfeldern zu-
sammengefasst und eine gemeinsame Strategie zu ihrer
Umsetzung erarbeitet.
Nun muss ich mich doch ein paar Sekunden mit der
FDP aufhalten. Frau Pieper, wenn wir bei dem Bild des
Hauses bleiben, muss ich feststellen, dass Sie zum Fun-
dament des Forschungshauses in den letzten Jahren nun
wirklich nichts beigetragen haben; insofern sind Ihre
Forderungen bemerkenswert.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Im Gegenteil, als Sie noch regiert haben vor zehn Jahren,
ist die Baugrube sogar zugeschüttet worden: Bis 1998
sind die Mittel für Forschung und Bildung und Techno-
logie gekürzt worden.
(Beifall bei der SPD)
Erst unter Rot-Grün – das kann man an dieser Stelle
durchaus einmal feststellen – sind die Mittel für Bildung
und Forschung erhöht worden, und zwar um 37 Prozent.
Die sozialdemokratische Bildungs- und Forschungs-
ministerin Edelgard Bulmahn hat angefangen, wieder in
die Köpfe der Menschen in diesem Land zu investieren.
(Beifall bei der SPD)
Sie reden von „Schneckentempo“. Dabei sind Sie wäh-
rend Ihrer Regierungszeit im Schneckentempo sogar in
die falsche Richtung gekrochen.
(Heiterkeit des Abg. Jörg Tauss [SPD])
Wir gehen in die richtige Richtung und wir haben den
Gang beschleunigt. Sie haben davon geredet, dass wir
nicht genug investieren würden. Dabei waren es Sie, die
in den letzten Jahren durch Ihre heftige Blockade im
Bundesrat verhindert haben, dass wir althergebrachte
Subventionen abschaffen.
(Cornelia Pieper [FDP]: Was ist mit den Stein-
kohlesubventionen?)
Ohne die Eigenheimzulage hätten wir schon jahrelang
Hunderte von Millionen Euro mehr in Forschung und
Technologie investieren können.
(Cornelia Pieper [FDP]: Sie blockieren doch
den Abbau von Subventionen!)
Ich bin sehr froh – damit komme ich zur Hightech-
strategie zurück –, dass Frau Ministerin Schavan diesen
Kurs hält, weiter in die Köpfe der Menschen investiert,
und auf diesem Fundament ein gutes Haus konstruiert.
Die Hightechstrategie enthält eine Menge interessanter
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echnologieansätze, etwa optische Technologie und ma-
itime Technologie. Ich empfehle jedem die Lektüre des
ntsprechenden Berichtes. Frau Schavan hat ja schon
ine Menge ausgeführt. Gesundheitsforschung und Me-
izintechnik beispielsweise bilden schon heute einen gi-
antischen Wirtschaftssektor. Trotzdem stecken wir
00 Millionen Euro zusätzlich in diesen Bereich, nicht
ur aus wirtschaftlichen Gründen, sondern weil dieser
ereich für viele Menschen, die betroffen sind, hohe Be-
eutung hat.
(Beifall bei der SPD)
Aus meiner Sicht das zentrale Technologiefeld – der
ollege Dieter Grasedieck wird noch im Besonderen
arauf eingehen – ist allerdings die Energietechnologie.
ie muss vordringlich gefördert werden, nicht nur weil
s um die Zukunft der kommenden Generationen geht –
on denen wir heute eine Menge Gäste auf den Besu-
hertribünen sehen. Wir dürfen eben nicht alles Öl und
lle Rohstoffe, die wir zur Verfügung haben, verschwen-
en und den künftigen Generationen, unseren Enkeln
nd deren Kindern, nichts mehr davon übrig lassen, son-
ern wir müssen bereits heute in Energieeinsparung, in
nergieeffizienz, in neue Energietechnologien investie-
en. Das tut diese neue Bundesregierung. Damit ist sie
uf einem guten Weg.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Eine weitere wichtige Komponente der Energietech-
ologie ist – das merken wir bereits heute; Dieter
rasedieck und ich kommen aus dem Ruhrgebiet, der
tahlregion – das immense Arbeitsplatzpotenzial in die-
em Bereich. Ich glaube, dies wird vielfach unterschätzt.
Es gibt aber auch Technologiebereiche, auf die wir
ozialdemokratinnen und Sozialdemokraten genauer
chauen werden; das ist unbestritten. Als Beispiel nenne
ch die Grüne Gentechnik. Die Vorfälle und die Debat-
en in der Öffentlichkeit in den letzten Wochen bezüg-
ich des „Genreises“ von Aldi zeigen, dass man noch
icht in der Lage ist, mit dieser Gentechnologie unbe-
enkliche Produkte auf den Markt zu bringen. Im Ge-
enteil: Die Verunsicherung bei den Verbrauchern ist so-
ar gewachsen.
(Beifall bei der SPD)
on daher sehen wir es als unsere Aufgabe an, nicht nur
osten-Nutzen-Analysen im wirtschaftlichen Sinne ein-
ufordern, sondern auch nachzufragen, was eine Techno-
ogie für die Umwelt, die Nachhaltigkeit und die Gesell-
chaft bedeutet, welche Konsequenzen sie hat und
elchen Stellenwert zum Beispiel die im Bericht er-
ähnten 50 Biotechnologieunternehmen, die sich in
eutschland mit der Grünen Gentechnik befassen, ge-
enüber den 150 000 Beschäftigten im ökologischen
andbau – Tendenz steigend – einnehmen. Ich glaube,
ine solche Abwägung gehört zur Politik.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
as auf Seite 8 dieses Berichts der Bundesregierung
teht, ist richtig – ich darf zitieren –:
4906 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
René Röspel
Die Neugier und Offenheit eines jeden Einzelnen
gegenüber Neuem prägen die Zukunftsfähigkeit un-
seres Landes. Zu grundlegenden Erfahrungen zählt
aber auch, dass mit dem wissenschaftlich und tech-
nisch Möglichem verantwortungsbewusst umge-
gangen werden muss.
Ich glaube, das zeigt, dass diese Regierung verantwor-
tungsbewusst vorgehen wird.
(Beifall bei der SPD)
Die Sicherheitsforschung – dabei geht es auch um
Sicherheitstechnologien – ist ein weiterer Bereich, den
wir sehr konstruktiv begleiten werden. Frau Schavan,
Sie haben am 4. Juli 2006 in Karlsruhe in Ihrer Rede zur
Sicherheitsforschung gesagt – ich darf zitieren –:
Die Freiheitsrechte dürfen nicht zugunsten der
Sicherheit unter Druck geraten.
Das ist richtig. Sie werden uns auch in diesem Fall an Ih-
rer Seite haben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Ich bin froh, dass Sie gestern in den Ausschussbera-
tungen klargestellt haben, dass es sich bei der Sicher-
heitsforschung nicht nur um ein technologiezentriertes
Programm handelt, sondern dass auch die Ursachenfor-
schung wichtig ist. Man ist allerdings durchaus irritiert,
dass in der Kapitelüberschrift in diesem Bericht steht:
Sicherheitstechnologien: Keine Chance für Krimi-
nalität und Terrorismus …
Ich sage ausdrücklich: Es darf keine Verengung des
Sicherheitsbegriffs auf Kriminalität und Terrorismus ge-
ben. Wenn wir uns in Erinnerung rufen, dass allein die
Hochwasserkatastrophe an der Elbe im Jahre 2002 nicht
nur annähernd 100 Tote, sondern auch materielle Schä-
den von bis zu 11 Milliarden Euro verursacht hat, dann
erkennen wir, dass die Begriffe Gefahr und Sicherheit
aufgrund der zunehmenden Zahl von Naturkatastrophen
ganz anders definiert werden müssen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, zu jedem Technologiebe-
reich gibt es in diesem Bericht auch eine SWOT-Ana-
lyse, also eine Analyse der Stärken und Schwächen des
jeweiligen Bereiches; Frau Ministerin Schavan erwähnte
das. Ein Begriff ist mir dabei sehr häufig untergekom-
men. Oftmals wird als Herausforderung bzw. Schwäche
des jeweiligen Technologiebereiches der Fachkräfte-
mangel genannt. Wir müssen befürchten, dass bereits in
einigen Jahren nicht mehr genügend Fachkräfte – so-
wohl Ingenieure und Wissenschaftler als auch normal aus-
gebildetes Personal – zur Verfügung stehen. Auf Seite 8
des Berichts steht zu Recht – ich darf zitieren –:
Die Innovationskraft unseres Landes hängt ent-
scheidend von der beruflichen Qualifikation der
hier lebenden Menschen ab.
Das ist nicht allein Aufgabe des Staates, sondern liegt in
der Verantwortung aller.
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Wie viele andere Kollegen beschäftige auch ich nach
eginn des neuen Ausbildungsjahres seit Montag eine
uszubildende für Bürokommunikation in meinem
üro.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
enn ich durch die vielen Bewerbungsgespräche in den
etzten Wochen eines gelernt habe, dann ist das die Tat-
ache, dass die meisten der jungen Menschen diesen
usbildungsplatz verdient hätten. Sie sind nämlich bes-
er als ihr Ruf; sie haben einen guten Eindruck auf mich
emacht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
ir müssen ihnen die Chance geben, Bestandteil dieser
esellschaft und des Arbeitslebens zu werden. Hightech
st ohne gut ausgebildete Menschen nicht möglich.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Mein Appell an die Wirtschaft ist, nicht nur Hightech
u fördern und Forschung zu unterstützen, sondern sich
benso an der Ausbildung von Menschen zu beteiligen.
ir als Sozialdemokraten werden darauf achten, dass
ies geschieht.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir auch!)
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Sitte, Frak-
ion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Dr. Petra Sitte (DIE LINKE):
Danke schön. – Herr Präsident! Meine Damen und
erren! Dass Sie, Frau Ministerin, eine Hightechstrate-
ie vorgelegt haben, ist unbestritten dringend notwendig.
er methodische Ansatz selbst ist nicht neu. Japan hat
hn erstmals in den 50er-Jahren getestet und danach ei-
en gewaltigen wissenschaftlich-technischen Aufstieg
enommen. Die Chinesen haben sich des gleichen An-
atzes bedient: Ihre Wirtschaft boomt derzeit ohne Ende.
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Die DDR hat es nicht probiert!)
Das höre ich mir nachher noch einmal an.
Der Reichtum intellektueller Ressourcen dieses Lan-
es steht der Knappheit finanzieller Ressourcen des
taates gegenüber. Man muss sich also überlegen, wie
an beides in ein optimales Verhältnis zueinander
ringt. Aus unserer Sicht muss das mit dem Ziel gesche-
en, den Nutzen für möglichst viele Menschen zu ver-
rößern. Ihre Sicht dagegen richtet sich vor allem auf die
ommerzialisierung von Erkenntnissen. Das heißt, mit
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4907
(A) )
(B) )
Dr. Petra Sitte
Steuergeldern geförderte Forschungsergebnisse werden
letztlich privatisiert. Darin liegt der entscheidende Un-
terschied zwischen Ihrem und unserem Herangehen.
Wohlgemerkt: Wir sind nicht gegen die Verwertung
des Wissens; aber das ist nicht unsere alleinige Priorität.
Nichtsdestotrotz haben Sie sich nun auf der Basis ei-
ner Stärken-Schwächen-Analyse vorhandener Potenziale
für Förderprioritäten entschieden. Diese Klarstellung
macht sicherlich das Hauptverdienst der Hightechstrate-
gie aus. Es ist ein Anfang gemacht; das ist ja schon ein-
mal etwas.
Ich will aber einige Grundprobleme benennen, weil
sie wesentlichen Einfluss auf Erfolg oder Misserfolg die-
ser Strategie haben; das haben Sie selber erwähnt.
Erstens. Die EU versucht, Wissenschafts- und Tech-
nologieentwicklung sowohl in Inhalt als auch in den
Fördermodalitäten zu harmonisieren. Sie betrachtet
sich selbst als konkurrierenden Block zu anderen Regio-
nen der Erde. Zeitgleich versuchen alle EU-Länder, sich
mittels nationaler Strategien ebenfalls einen Wettbe-
werbsvorteil gegenüber anderen Ländern, auch denen
der EU, zu verschaffen. Nun haben auch noch die
16 deutschen Bundesländer Innovationsstrategien entwi-
ckelt. Dabei ist es kaum gelungen, die Regelungen unter-
einander zu harmonisieren. Das wird von der Wirtschaft
zu Recht kritisiert. Ich komme aus der Region Halle/
Leipzig und sehe, dass dort ganz unterschiedliche Rege-
lungen gelten. Die gegenwärtige Situation bedarf also
nicht des Aufbaus von Technoblöcken oder eines Leit-
marktes Deutschland, wie Sie es bezeichnen, sondern
kooperativer Lösungen, die sich langfristig als zukunfts-
fähig erweisen werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Bei Ihrem Ansatz ist immer der Sieg das Ziel. Aber
wir alle wissen: Es wird nur wenige Gewinner geben.
Das haben wir längst beim Wettbewerb um Industrie-
ansiedlungen erlebt. Auch da hat niemand die Konkur-
renzlinie verlassen. Es werden also weiter Unsummen
öffentlicher Gelder im Glauben an Markt und Wettbe-
werb in Fördertöpfe von Einzelstrategien geworfen,
ohne dass man es am Ende auch nur plumpsen hört.
Bei der Umsetzung von Erkenntnissen müssen wir
uns doch fragen: Was ist gesellschaftlich wirklich sinn-
voll? Umgesetzt werden sollte doch das, was vielen
Menschen und damit der Gesellschaft als Ganzes Nutzen
bringt und eben nicht zu vermarkten ist. Ich will noch
einmal daran erinnern: Hier werden Steuergelder einge-
setzt. Also sollten doch jene, die diese Steuergelder so-
zusagen als Absender zahlen, die ersten Adressaten die-
ser Politik sein.
(Beifall bei der LINKEN)
Zweitens. Die Hightechstrategie begleitet inhaltlich
die Investitionen in Forschung und Entwicklung. Bis
2009 – das haben Sie gesagt – sollen 15 Milliarden Euro
ausgegeben werden. Sie finanzieren aber genau genom-
men nur die Basis einer Förderpyramide. Ich meine, da-
mit ist es längst nicht getan. Wir brauchen mehr Förder-
ebenen. Bislang konzentrieren Sie sich vor allem auf die
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ründung von innovativen Unternehmen. Dagegen ist
ichts einzuwenden; diesem Ziel dienen der Hightech-
ründerfonds und die Forschungsprämie. Letztere sollte
m Übrigen nicht nur für Wissenschaftseinrichtungen,
ondern vor allem auch für kleine und mittelständische
nternehmen erreichbar sein.
Was meine ich mit „mehr Förderebenen“? Ich meine,
ass sich die Förderung eben auch auf die Phasen der
enehmigungen, der Vorserienproduktion, der Produk-
ionsaufnahme und der Markteinführung erstrecken
uss. Das ist besonders wichtig für den Osten; denn ge-
ade in diesen Phasen verhungern viele Unternehmen
der sie werden ausgebootet.
Ich will das an einem Beispiel aus meiner Heimat-
tadt Halle illustrieren. Dort hat ein hochinnovatives jun-
es Unternehmen einen Alzheimerfrüherkennungstest
ntwickelt. Klinische Studien waren erfolgreich. Jetzt
önnte man in die Vorserienproduktion gehen. Bis dahin
äre alles wunderbar, wenn nicht – wie es jetzt ge-
chieht – die öffentliche Förderung ausgesetzt würde.
ür mich ist das unfassbar: Wir haben ein solches Unter-
ehmen mit 5 Millionen Euro öffentlich gefördert. Und
as passiert? Jetzt wird die Förderung ausgesetzt; die
irma muss Insolvenz anmelden. – Nebenbei bemerkt ist
lzheimer zu einer der großen Volkskrankheiten gewor-
en. Heute ist übrigens Weltalzheimertag.
(Beifall bei der LINKEN)
ch glaube, dass man sich solcher Produkte annehmen
üsste. Gerade dieses Produkt wäre eigentlich ein
elbstläufer geworden. – Jetzt steht – wie immer in sol-
hen Fällen – ein großer Pharmakonzern auf der Matte
nd möchte die Lizenz kaufen. Dann sind die Arbeits-
lätze und natürlich auch die Investitionen weg.
An dieser Stelle werden Sie sicherlich genauso den
opf schütteln wie ich. Ich fühle mich in diesem Zusam-
enhang an den MP-3-Player erinnert: hier entwickelt,
ersilbert in den USA; ganz zu schweigen von den Ar-
eitsplätzen, die dadurch verloren gegangen sind. Dass
ll dies nach einer umfangreichen Förderung mit Steuer-
eldern passiert ist, ist unverantwortlich.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Hightechstrategie wird auch von einer Kontro-
erse um einzelne technologische Innovationen beglei-
et. Es ist völlig klar: Innovationen kann man nicht
rundsätzlich ablehnen. Aber man muss darüber streiten,
elche Auswirkungen die Innovationen haben. Dass
an sich an dieser Stelle nicht mit 17 Hightechstrategien
m Einzelnen auseinander setzen kann, ist ganz klar. Ich
inde Ihren Ansatz aber durchaus methodisch interes-
ant. Stärken, Chancen, Schwächen und Herausforderun-
en zu definieren, macht die Sache transparenter. Da-
urch könnten das Parlament und die Öffentlichkeit
esser beteiligt werden. Die von Ihnen eingerichteten In-
ovationskreise sind ein interessantes Instrument, aber
ienen zunächst einmal Ihrer eigenen Beratung; sie wen-
en sich nicht in erster Linie an die Öffentlichkeit.
Bei der Hightechstrategie geht es um Zukunftsfragen.
as heißt, dass noch vieles konkretisiert werden muss.
4908 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
Dr. Petra Sitte
Es ist auch notwendig, einen gesellschaftlichen Dialog
darüber zu führen, was letzten Endes gefördert werden
soll. Ich möchte auf einige ausgewählte Themen näher
eingehen:
Erstens. Geförderte Projekte wie Galileo, Artes-11,
Ariane 5, ISS und Rapid Eye sind von erheblichem zivi-
len Nutzen. Sie können aber auch militärisch genutzt
werden. Diese fließenden Grenzen sehen wir im Übrigen
auch im Bereich der Sicherheitsforschung; Herr Röspel
hat es bereits erwähnt. Deshalb fordern wir an dieser
Stelle größtmögliche Transparenz in der Umsetzung.
Zweitens. Ich sehe in der elektronischen Gesund-
heitskarte keinen Leuchtturm für die Hightechstrategie.
(Beifall bei der LINKEN)
Dabei leuchten höchstens die Augen von Krankheitsver-
waltern. In den Mittelpunkt gehören Projekte der Alters-
forschung, der medizinischen Betreuung von Schwerst-
kranken und der Hospizforschung. Unsere Gesellschaft
altert. Darauf brauchen wir menschenwürdige Antwor-
ten. Das Thema ist es wohl wert, an vorderster Stelle in
eine Hightechstrategie aufgenommen zu werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Drittens. Unter dem Titel „Nukleare Sicherheits- und
Endlagerforschung stärken“ ist deutlich erkennbar, was
man sich offen hält: die Revision des Atomausstiegs.
Sie haben in diesem Zusammenhang butterweiche For-
mulierungen gewählt und versuchen in dieser Frage ganz
offensichtlich, die große Koalition zu überwintern, um
dann neue Blüten zu treiben.
Viertens. Im Teil „Neue Wege in Landwirtschaft und
Industrie“ wird versucht, der Grünen Gentechnik zu
neuer Akzeptanz zu verhelfen. Über den Wechsel von
der Nahrungsmittel- hin zur Rohstoff- und Energieliefe-
rantenschiene soll diese neue Akzeptanz aufgebaut wer-
den. Selbst wenn man – wie ich – für einen differenzier-
ten Umgang mit der Grünen Gentechnik plädiert, muss
man anerkennen, dass auch mehr Akzeptanz an dem
Grundproblem der Anwendung Grüner Gentechnik letzt-
lich nichts ändert.
Fünftens. Ich halte den von Ihnen gewählten Ansatz
in der Nanotechnologie für tragfähig. Die angestrebte
Begleit- bzw. Anwendungsforschung greift nach mei-
nem Empfinden aber zu spät. Es ist eine so sensible
Hochtechnologie, dass meiner Meinung nach in diesem
Bereich vor allem Voraussetzungsforschung betrieben
werden muss, um letztlich verantwortlich entscheiden zu
können, welche Entwicklungen in diesem Bereich geför-
dert werden sollen und welche nicht.
Sechstens. Wenn in Zukunft über Internet nicht mehr
nur Daten abgerufen, sondern auch Geräte direkt erreicht
werden können, stellt sich die Frage nach informationel-
ler Selbstbestimmung und Datensicherheit in einer völlig
neuen Qualität. Immerhin eröffnen sich Möglichkeiten
der lückenlosen Erfassung menschlicher Bewegung und
Aktivitäten. Daher kann es bei diesen Anwendungspo-
tenzialen nicht nur um Forschungsförderung gehen.
Gleichermaßen haben wir zu ergründen, wie man unzu-
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ässigen Zu- und Eingriff in die Privatsphäre der Men-
chen verhindern kann.
Ich weiß, dass diese Stichpunkte nur fragmentarisch
ind. Niemand kann hier auf Vollständigkeit plädieren.
ie vorgelegte Hightechstrategie ist für mich ohnehin
ur Auftakt für weitere Diskussionen. Ohne solche Dis-
ussionen besteht das Risiko einer Fehlauswahl. Wenn
ir falsch auswählen, nährt man damit am Ende unter
mständen Wissenschaftsskepsis und Wissenschafts-
eindlichkeit. Ich glaube, das kann nicht in unserem Inte-
esse sein. Im Interesse der Menschen muss am Ende
ehr Lebensqualität erreicht werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Hightechstrategie sollte demzufolge wesentliche
nspiration aus der Frage gewinnen, wie sich Menschen
ie zukünftige Gesellschaft vorstellen. Wenn es sich
ohnt, eine Sache zu machen, dann lohnt es sich auch, sie
ut zu machen.
Danke schön.
(Beifall bei der LINKEN)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun die Kollegin Ilse Aigner, CDU/
SU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ilse Aigner (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-
en und Kollegen! Politik beginnt mit dem Betrachten
er Realität. – Was erkennen wir bei dieser Betrachtung?
ur wenn wir an der Spitze des weltweiten Innovations-
ettbewerbs mitspielen, hat unser Land eine Chance.
In Deutschland wird Forschung auf Spitzenniveau be-
rieben. Es hapert aber bei der Umsetzung. Heute wur-
en schon der Transrapid und der MP3-Player angespro-
hen. Ich nenne als Beispiel Herrn Professor Grünberg
us Jülich: Er wird als Anwärter für den Nobelpreis ge-
andelt. 1989 hat er den Riesenmagnetwiderstand ent-
eckt. Acht Jahre später baute IBM den ersten Lesekopf
ür dann kleinere Festplatten. Heute wird die Entwick-
ung von Hitachi weitergeführt. Jülich freut sich zwar
ber die Lizenzeinnahmen; die Arbeitsplätze sind aber
eider anderswo entstanden. – Das wollen wir ändern,
as können wir ändern und das müssen wir auch drin-
end ändern.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Flexiblere
Wirtschaft!)
Die Grundlage dafür bildet die Hightechstrategie. Da-
an ist Folgendes wichtig und neu:
Erstens. Die ganze Bundesregierung verpflichtet sich
u innovationsfreundlichem Handeln.
(Cornelia Pieper [FDP]: Auch Herr Seehofer?)
weitens. Es gibt über alle Ressorts hinweg 17 abge-
timmte Innovationsfelder.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4909
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Ilse Aigner
Drittens. Der Schwerpunkt liegt auf der Umsetzung.
Viertens. Die Bundesregierung und die sie tragende
Koalition haben – das kann man nicht oft genug sagen –
beschlossen, in den nächsten Jahren 6 Milliarden Euro
zusätzlich in Forschung und Entwicklung zu investieren.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Eine Hightechstrategie braucht nicht nur Forschungs-
förderung; sie braucht auch einen innovativen Staat, eine
innovative Wirtschaft und insgesamt eine innovative Ge-
sellschaft. Wir brauchen schlicht auf breiter Front einen
Kulturwandel in Deutschland.
Wir setzen auf strukturelle Neuerungen, etwa auf die
Forschungsprämie; dazu haben wir einen Antrag ein-
gebracht. Was soll mit der Forschungsprämie erreicht
werden? Hochschulen und Forschungseinrichtungen, die
Mittel aus der Wirtschaft einwerben, bekommen als For-
schungsprämie einen Aufschlag von 25 Prozent. Die
Forschungsprämie konzentriert sich auf den Mittelstand.
Warum? Die Forschungseinrichtungen müssen und sol-
len stärker auf den Mittelstand zugehen, um ihn zu mehr
Aktivitäten in Forschung und Entwicklung zu bewegen.
Der Mittelstand muss mehr in Innovationen investieren.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der
FDP)
Die Wirtschaft insgesamt – nicht nur der Mittelstand –
muss ihren Beitrag dazu leisten. Um das 3-Prozent-Ziel
zu erreichen, muss die Wirtschaft zwei Drittel aufbrin-
gen, ein Drittel der Staat. Wir fordern das von der Wirt-
schaft ein.
Viel erwarte ich vom Wettbewerb der Spitzenclus-
ter. Sie sind auf der einen Seite Leuchttürme und auf der
anderen Seite Magnete. Welche Anziehungskraft, wel-
che Sogwirkung eine richtig gemachte Clusterpolitik ha-
ben kann, zeigt das Beispiel Dresden. Mit Silicon
Saxony existiert in den neuen Bundesländern heute,
16 Jahre nach der Wiedervereinigung, ein Forschungs-
und Industriecluster von europäischem Gewicht.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD)
1994 waren 650 Personen in der Halbleiterbranche be-
schäftigt. Heute sind es 9 000. Infineon rechnete 1994
mit höchstens 1 450 Beschäftigten. 2002 waren es schon
4 400. Alle Prognosen wurden übertroffen. Die Wirkung
auf die Region war und ist enorm. Mit jedem direkten
Arbeitsplatz waren 1,5 zusätzliche Arbeitsplätze verbun-
den. Das ist die Umsetzung von Wissen in Arbeitsplätze.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD)
Wir gehen davon aus, dass sich beim Clusterwettbe-
werb eine ähnliche Dynamik entwickelt wie beim Exzel-
lenzwettbewerb der Hochschulen, der zurzeit läuft.
Damit bin ich beim wichtigsten Rohstoff der Hightech-
strategie, nämlich bei den Menschen. Seit Jahren warnen
uns die Forschungsinstitute – Herr Röspel hat das schon
angesprochen – vor einem Fachkräftemangel, der bei
anspringender Wirtschaft auf uns zukommen könnte.
Die Hightechstrategie weist sechs Querschnittstechnolo-
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ien auf: Nanotechnologie, Biotechnologie, Mikrosys-
emtechnik, optische Technologien, Werkstofftechnolo-
ien und Produktionstechnologien. Bei vier von diesen
echs Feldern erscheint in der Rubrik „Herausforderun-
en“ in der Stärken-und-Schwächen-Analyse das Wort
Fachkräftemangel“. Deshalb müssen wir alle unsere
ungen Menschen optimal ausbilden und ihre Fähigkei-
en bestmöglich zur Geltung bringen. Das können wir
ur, wenn wir die gesamte Bandbreite unseres Ausbil-
ungssystems nutzen.
Es ist wichtig und richtig: Wir müssen den akademi-
chen Nachwuchs fördern. Es ist aber unredlich, bei der
kademikerquote Deutschland mit anderen Ländern
ins zu eins zu vergleichen, wie in der gerade erschiene-
en OECD-Studie geschehen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
ndere Länder haben nämlich keine echte Alternative
ur akademischen Ausbildung. In Amerika heißt es: ent-
eder Studium oder Hilfsarbeiter, um es einmal ganz
eutlich zu sagen. Wir haben eine Alternative: die beruf-
iche Aus- und Weiterbildung. Ein Beispiel: In den USA
uss man quasi ein Hochschulstudium absolvieren, um
en Beruf der Krankenschwester zu erlernen. Ob diese
rankenschwestern für die berufliche Praxis besser aus-
ebildet sind als unsere Krankenpflegerinnen und -pfle-
er, ist eine ganz andere Frage.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie
bei Abgeordneten der FDP)
Das duale System ist ein riesengroßer Vorteil. An-
ere Länder beneiden uns darum. Gehen Sie einmal in
inen Betrieb des Maschinenbaus oder der Automobil-
echnik! Sie sehen dann fleißige Menschen an Fünf-
chs-CNC-Fräsmaschinen stehen. Diese werden nicht
m Bürotisch ausgebildet, sondern sowohl in der berufli-
hen Erstausbildung als auch in der Weiterbildung in der
raxis für diesen Beruf bestens qualifiziert. Das ist ein
tandortvorteil.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD)
Zur Hightechstrategie gehören selbstverständlich
uch die Höchstqualifizierten. Für diese ist der Wissen-
chafts- und Arbeitsmarkt global. Für Nachwuchswis-
enschaftler verbessern wir gerade die Bedingungen
urch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz entscheidend.
Mehr Chancen für Spitzenkräfte“ ist unser Motto. Von
iesen Chancen muss man aber auch erfahren. Wir wa-
en in diesem Jahr in Kalifornien. Die Kolleginnen und
ollegen, die dabei waren, können sich vielleicht an eine
ruppe junger Forscherinnen und Forscher am Cal-Tech
rinnern. Eine ihrer wesentlichen Forderungen war eine
esentlich bessere Vernetzung bzw. ein besserer Aus-
ausch mit der deutschen Wissenschaft, damit sie wieder
ontakt zu uns haben.
(Jörg Tauss [SPD]: Viele wollen zurück!)
eshalb ist die angekündigte Internationalisierungsini-
iative goldrichtig.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
4910 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
Ilse Aigner
Das Potenzial der Hightechstrategie hat unsere Minis-
terin Dr. Schavan mit 1,5 Millionen Arbeitsplätzen be-
ziffert. Um dieses Potenzial auszuschöpfen, müssen alle
an einem Strang ziehen. Das Ziel ist hoch gesteckt, aber
aller Mühe wert.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun die Kollegin Priska Hinz, Bündnis 90/
Die Grünen.
Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine gute
Hightechstrategie kann dazu beitragen, dass der Wandel
von der Industrie- zur Wissens- und Dienstleistungsge-
sellschaft wirklich gelingt, weil durch Stärkung von For-
schung und Entwicklung Investitionen in neue Märkte
und auch in neue Dienstleistungen möglich werden, weil
die Effizienz der Mittel gesteigert werden kann und weil
durch Bündelung Transparenz und die Überprüfung der
Wirksamkeit von Mitteln möglich werden, was bei öf-
fentlich geförderten Projekten besonders wichtig ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir freuen uns, dass bewährte Programme in die
Hightechstrategie aufgenommen wurden, aber wir haben
auch Kritik an Ihrer Strategie, Frau Schavan, nämlich
die, dass Sie kein zukunftsfähiges Leitbild haben, an
dem Ihre Strategie ausgerichtet ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie haben in einem Interview festgestellt, dass die For-
schungsförderung in Deutschland lange Zeit das Ziel
und auch die Zeit hatte, aus Geld Wissen zu machen.
Jetzt sei es Zeit, aus Wissen Geld zu machen. Das ist im
Zusammenhang mit der Hightechstrategie viel zu kurz
gesprungen; denn es geht nicht darum, mit irgendetwas
an die Spitze des internationalen technologischen Fort-
schritts zu gelangen,
(Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/
CSU]: Sie haben sieben Jahre mitregiert und
sagen jetzt, wie es besser gehen soll!)
sondern es muss darum gehen, eine intelligente Förder-
politik zu betreiben. Dabei müssen sich die technologi-
sche Entwicklung und vor allem die Problemlösungen an
den drängenden Fragen der Gegenwart ausrichten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Jörg Tauss [SPD]: Machen wir doch!)
Deswegen muss das Leitbild für die technologische Ent-
wicklung das ressourcenleichte und nachhaltige Wirt-
schaften sein. Wir brauchen eine Technologieförderung,
die im Blick hat, dass wir in einer Gesellschaft leben, die
sich gravierend verändert. Wir wollen Antworten auf die
Fragen, welche Folgen der Klimawandel hat, wie wir mit
den ökologischen und wirtschaftlichen Auswirkungen
der Energie- und Ressourcenknappheit umgehen, welche
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onsequenzen Wanderungsbewegungen, der demografi-
che Wandel und das Gefühl der bedrohten kollektiven
nd individuellen Sicherheit haben. Bei Ihnen, Frau
chavan, vermissen wir ein solches Leitbild.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
hre Hightechstrategie enttäuscht vor allen Dingen des-
alb, weil sie einfach Schwerpunkte aneinanderreiht und
ich im Wesentlichen auf rein technische und technolo-
ische Lösungen bezieht, ohne den Blick auf den gesell-
chaftlichen und ökologischen Kontext zu richten. Sie
aben nur noch über 17 Strategien gesprochen und nicht
ehr über diese eine Hightechstrategie.
Bei der Agrogentechnik und der Fusionsforschung
ezeichnen Sie Ihre neuen Schwerpunkte als neue Frei-
eit und Verzicht auf ideologische Scheuklappen; das ist
em Vorwort Ihrer Broschüre zu entnehmen. Das zeigt
och, dass Sie nicht verstanden haben, welches die ei-
entlich wichtigen Zukunftsfelder vor allen Dingen öf-
entlich finanzierter Innovationspolitik sind. Da sind Sie
anz im Gestern geblieben und kommen nicht im Mor-
en an.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ein zentrales Ziel der Technologieförderung sollte
och zum Beispiel sein, Deutschland zum Leitmarkt für
ffizienztechnologien zu machen. Da sollten wir tat-
ächlich Spitzenreiter in der Welt werden. Da haben wir
in gutes Fundament. Wir brauchen stärkere Anstren-
ungen bei der Erforschung, Entwicklung und Marktein-
ührung. Das gilt insbesondere für emissionsfreie Tech-
ologien, erneuerbare Energien sowie für erneuerbare
essourcen.
Ihr Vorgehen mit der Aneinanderreihung der 17 Schwer-
unkte – finanziell sind noch nicht alle unterlegt – birgt
uch eine weitere Gefahr, nämlich die, dass Forschung
nter dem Gesichtspunkt der reinen Verwertbarkeit ge-
ehen wird. Natürlich müssen kreative Ideen auch in
arktfähige Produkte umgesetzt werden – das ist grund-
ätzlich wichtig und richtig –,
(Jörg Tauss [SPD]: Na also!)
ber die Forschung hat auch ein eigenes Erkenntnisinte-
esse und das müssen wir ihr erhalten. Es kann nicht
arum gehen, dass Forschung nur noch unter dem Ge-
ichtspunkt betrieben wird: Kann das ein Unternehmen
interher auch benutzen?
(Ulrike Flach [FDP]: Doch!)
ie angewandte Forschung muss auch möglich sein,
enn Firmen erst hinterher prüfen: Wie können wir das
rgebnis in marktfähige Produkte umsetzen? Auch dann
üssen Förderinstrumente greifen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Insofern ist Ihre Hightechstrategie allerdings noch zu
ünn. Es gibt zum Beispiel die Ankündigung für einen
lusterwettbewerb. Er beginnt aber erst im Jahr 2008. Es
ibt die Ankündigung für ein Private-Equity-Gesetz.
as kommt aber frühestens im Jahr 2007.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4911
(A) )
(B) )
Priska Hinz (Herborn)
(Ilse Aigner [CDU/CSU]: Das hätten Sie
schon machen können! – Jörg Tauss [SPD]:
Das ist doch schon nächstes Jahr! So schlecht
ist es auch nicht!)
Dabei wäre es für die KMU doch essenziell, dass die
Bundesregierung im Bereich Wagniskapital in die Pötte
kommt.
Wir Grünen haben einige Ideen dazu, wie es gerade
kleinen forschungsintensiven Unternehmen leichter ge-
macht werden kann. Wir schlagen zum Beispiel vor, dass
künftig die Kosten für Patentanmeldungen auf die Bi-
lanzsumme des Unternehmens anrechenbar sind. Damit
kann die Kapitalbasis gerade junger Unternehmen bei
der Einführung neuer Produkte und Prozesse gestärkt
werden. Innovative Unternehmen können so ihren tat-
sächlichen Wert besser abbilden, was ihre Position ge-
genüber Kapitalgebern stärkt.
Wir wollen außerdem das Gesetz für Unternehmens-
beteiligungsgesellschaften zugunsten besonders inves-
titionsbereiter Unternehmen modernisieren. Dabei müs-
sen die steuerlichen Regelungen verbessert werden,
fokussiert auf Wagniskapital. Wir als Grüne wollen, dass
Deutschland ein höchst attraktiver Standort für diese
Unternehmen wird, damit diese dann zum Erreichen des
3-Prozent-Ziels beitragen können, was wir doch alle ge-
meinsam schaffen wollen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Jörg Tauss [SPD]: Sie wollen noch nicht ein-
mal die kalifornischen Heuschrecken!)
Mit Ihrer Forschungsprämie allein, die Sie jetzt ein-
führen wollen, ist das nicht zu machen, auch wenn wir
dem Instrument generell positiv gegenüberstehen.
Aus dem Koalitionsantrag ergeben sich mehr Fragen
als Antworten. Die Erfahrungen anderer Länder sind gut,
was die Einführung einer Forschungsprämie angeht. Al-
lerdings muss man in Betracht ziehen, dass in vielen
anderen Ländern die Forschungsprämie den Wirtschafts-
unternehmen zugute kommt. Sie haben in Ihrem Antrag
formuliert, dass sie nur den Hochschulen und außeruni-
versitären Forschungseinrichtungen zugute kommen
soll.
(René Röspel [SPD]: Das ist doch richtig,
oder?)
Das ist richtig. Aber es stellt sich die Frage: Wie kann er-
reicht werden, dass die Forschungsprämie in den Hoch-
schulen auch tatsächlich bei den Forscherinnen und For-
schern ankommt, um so ein Anreizsystem zu schaffen?
Wir fragen uns auch: Wie können eigentlich Unter-
nehmensverbünde davon profitieren? Nur dann nämlich
können tatsächlich Cluster entstehen. Nur dann ist die
Forschungsprämie als Finanzierungsinstrument eine
sinnvolle Ergänzung für die Hightechstrategie.
Die Koalitionsfraktionen fordern, die Bundesregie-
rung solle die Definitionsmerkmale für förderfähige
KMU nicht zu eng fassen. Das ist mehr als gummiartig.
Wir als Grüne wollen, dass verstärkt die kleineren KMU
zum Zuge kommen.
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(Jörg Tauss [SPD]: Wie klein?)
enn Sie für die Unternehmen, die profitieren können,
ie Grenze von 500 auf 1 000 Mitarbeiter hochsetzen,
ber weiterhin nur eine Forschungsprämie von 32 Mil-
ionen Euro verankern, dann verteilen Sie die For-
chungsprämie vor allem auf große Unternehmen. Ge-
ade die kleinen hoch innovativen Betriebe werden
ichts davon haben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Jörg Tauss [SPD]: Die bekommen 32 Millio-
nen!)
Unklar bleibt auch, warum es eigentlich eine Min-
estfördersumme geben soll. Wenn das ganze Verfahren
nbürokratisch sein soll, fragt man sich doch, warum ge-
ade die Bereiche, die wenig kostenintensiv forschen,
icht zum Zuge kommen sollen. Das macht bei dieser
ördersumme überhaupt keinen Sinn.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
ie Forschungsprämie scheint also noch nicht so inno-
ativ zu sein, wie es wünschenswert wäre.
Es gibt aber noch zwei weitere Bereiche, in denen Sie
ie Zeichen der Zeit nicht richtig erkannt haben. In der
icherheitsforschung zum Beispiel schimmert nach wie
or durch, dass bei Ihnen die Technikzentriertheit einen
ohen Stellenwert besitzt. Gestern im Ausschuss haben
ie, Frau Schavan, ausdrücklich betont, dass es Ihnen
ei der Sicherheitsforschung vor allem um „technologi-
che Schutzmaßnahmen für die zivile Bevölkerung“
eht. Auch der Presse war zu entnehmen, dass sich Ihr
inisterium vor allem auf die Entwicklung von Techno-
ogien konzentriert. Wissen Sie, weltweit ist die Sicher-
eitstechnologie ein so boomender Bereich, dass man da
icht noch gutes öffentliches Geld hinterher werfen
uss. Wichtig wäre, dass die Präventions-, Ursachen-
nd Krisenforschung mit einbezogen wird. Wichtig ist,
ass Geistes- und Sozialwissenschaften integriert wer-
en. Wichtig ist auch, dass sich die Sicherheitsforschung
icht nur mit Terrorismus und innerer Sicherheit, son-
ern auch mit den Folgen des Klimawandels, mit Natur-
atastrophen, technischen Katastrophen und deren
ewältigung beschäftigt. Da fehlt es noch an einem in-
ovativen Konzept der Bundesregierung. Wir sind ge-
pannt darauf, wann Sie das vorlegen werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE] –
Zuruf des Abg. Jörg Tauss [SPD])
Ihre falsche Schwerpunktsetzung wird auch noch in
inem anderen Bereich deutlich, nämlich der Dienstleis-
ungsforschung. Der Dienstleistungssektor wird nach
inhelliger Meinung aller Fachleute in Zukunft eine im-
er größere volkswirtschaftliche Bedeutung bekommen.
n den letzten 14 Jahren sind hier bereits 4,7 Millionen
eue Arbeitsplätze entstanden. Angesichts dessen ist die
ördersumme der Hightechstrategie von 50 Millionen
uro lächerlich gering; denn gerade an der Schnittstelle
wischen technologischer Forschung und der Entwick-
ung wissensbasierter Dienstleistungen können sich neue
4912 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
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Priska Hinz (Herborn)
Beschäftigungsfelder und marktfähige Produkte erge-
ben.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Die Hightechstrategie lässt noch nicht erkennen, wie
Bund, Länder und die Wirtschaft das 3-Prozent-Ziel er-
reichen sollen. Sie lässt leider noch kein Feuerwerk an
Ideen zünden. Vor allem besetzt sie nicht die wichtigen
Zukunftsfelder. Die Idee ist gut, die Umsetzung noch
ziemlich schlecht.
Danke schön.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Dieter Grasedieck ist der nächste Redner für die SPD-
Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Dieter Grasedieck (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die große Koalition steigert den Forschungsetat
um 6 Milliarden Euro. Die FDP aber spricht vom Ver-
spielen. Die FDP spricht vom Schneckentempo. Frau
Pieper, Sie fordern Wirtschaftsförderung und Hoch-
schulförderung. Wir machen beides. Wir führen das bei
der Clusterbildung zusammen. Moderne Berufe werden
durch dieses Programm kreiert. Ich meine, das ist der
richtige Ansatz. Das ist der Weg in die Zukunft.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Die Steu-
ern wollen sie auch noch abschaffen!)
– Ja, das auch noch.
Frau Hinz sprach vorhin vom Leitbild. Für uns ist das
Leitbild bei diesem Programm: durch Innovation neue
Arbeitsplätze schaffen. Da waren wir erfolgreich in den
letzten drei Jahren. Da können wir Erfolge aufweisen. So
wurden beispielsweise 20 000 neue Arbeitsplätze im
Rahmen der CO2-Gebäudesanierung geschaffen. Das ist
ein Erfolg.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Wir haben im Bereich der erneuerbaren Energien
25 000 neue Arbeitsplätze hinzugewonnen. Auch das ist
ein Erfolg.
(Beifall bei der SPD)
Darauf müssen wir immer wieder hinweisen; denn
wir wollen an der Stelle weitermachen. Wir wollen wei-
termachen, indem wir die Zusammenarbeit der Hoch-
schulen mit der Wirtschaft fördern. Die Stärken sollen
– auch innerhalb der Wirtschaft – gefördert werden. Das
hat die Ministerin vorhin schon erwähnt. Wir wollen die
kleinen und mittleren Betriebe in den Vordergrund
stellen. Gerade die kleinen und mittleren Betriebe sollen
gefördert werden, weil diese Betriebe kreativ und wirk-
lich flexibel arbeiten. Schauen Sie sich das doch bitte in
Brandenburg und in Bremen an. Hier produzieren Me-
chaniker und Ingenieure Teile für Satelliten und für die
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uftfahrt, etwa für die Airbusse A350 und A380 – ab-
olute Spitzentechnologien. Wir brauchen eine Weiter-
ntwicklung in diesen Bereichen, weil wir davon ausge-
en, dass es bis zum Jahre 2020 zu einer Verdopplung
es Luftverkehrs kommen wird. Dafür brauchen wir in
en nächsten Jahren gut ausgebildete Kräfte und Spezia-
isten. Man sieht das unter anderem daran, dass Airbus in
amburg 1 000 Ingenieure sucht. Das ist ein guter An-
atz. Wer hätte vor zehn Jahren davon geträumt, dass
irbus Boeing überholt? Das ist seit dem Jahre 2004 der
all; das war damals eine Schlagzeile wert. Wir ernten
ie Früchte unserer Forschungspolitik der letzten Jahr-
ehnte, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD)
Wir fördern aber nicht nur die Luftfahrt, wir haben
nter anderem auch die Satellitenforschung im Blick.
etrachten wir zum Beispiel die Ariane V, die sich jetzt
uf dem Weltmarkt etabliert hat. Vor etwa vier Monaten
urden mit ihr 8,3 Tonnen erfolgreich in den Weltraum
ebracht. Das war absoluter Weltrekord. Durch unsere
atellitenforschung verbessern wir auch gleichzeitig un-
er Leben: Es wird sicherer und bequemer – ich erinnere
ur an die Möglichkeiten, die das Handy bietet –, auf der
nderen Seite natürlich auch ein wenig hektischer.
Sicherer wird das Leben zum Beispiel dadurch, dass
aturkatastrophen schon im Anfangsstadium erkannt
erden können und man dann Gegenmaßnahmen planen
zw. sich wie zum Beispiel bei Taifunen darauf einstel-
en kann.
(Beifall bei der SPD)
atellitentechnik macht das Leben unter anderem auch
adurch sicherer, dass Flugzeuge durch Navigationssys-
eme gelenkt werden können. Solche Unfälle wie vor ei-
igen Jahren bei Konstanz am Bodensee können dadurch
ermieden werden. Die Zahl der Unfälle kann dadurch
nsgesamt wesentlich reduziert werden. Mit Satelliten-
ilfe können schließlich Blinde gelenkt werden. Das
ind enorme Vorteile, die sich durch diese Entwicklung
rgeben. Unser Leben wird also sicherer und bequemer
urch Satellitenforschung.
Das ist aber nur ein wichtiger Sektor. Ein weiterer
ichtiger Sektor, der im Programm der großen Koalition
ngesprochen wird, ist die Energieforschung – die He-
ausforderung des Jahrhunderts. Sie wurde vorhin schon
on meinem Kollegen René Röspel angesprochen. Die
nergietechnologie stellt eigentlich das Rückgrat unse-
er Volkswirtschaft dar. Sie müssen wir weiterhin för-
ern. Bei erneuerbaren Energien und Kraftwerkstechno-
ogie sind wir Exportweltmeister. Hier müssen wir
eiter voranschreiten. Bei Windkraftanlagen haben wir
ine hervorragende Marktposition: 40 Prozent der Welt-
roduktion wird bei uns gebaut und 60 Prozent von die-
en 40 Prozent führen wir aus. Das ist ein Exportschla-
er.
Ein weiterer Exportschlager ist natürlich auch unsere
raftwerkstechnologie. Dadurch, dass der Wirkungs-
rad bei Kohlekraftwerken in den letzten Jahren wesent-
ich verbessert wurde, reduzieren wir den CO2-Ausstoß.
ei Steinkohlekraftwerken liegen wir bei 45 Prozent, bei
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4913
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Dieter Grasedieck
Braunkohlekraftwerken bei 43 Prozent. Damit halten wir
die technologische Spitzenposition in der Welt. Andere
Länder erzielen Wirkungsgrade von 25 bis 30 Prozent.
Wir sind hier auf dem richtigen Wege und müssen da
weitermachen. Deshalb unterstützen wir diesen Bereich
durch unsere neuen Innovationsprogramme.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Durch das CO2-Gebäudesanierungsprogramm ha-
ben wir natürlich den CO2-Ausstoß reduziert, aber nicht
nur das; wir haben dadurch auch 20 000 Arbeitsplätze
geschaffen. Ich habe darauf hingewiesen. Im Bereich
erneuerbare Energien sind insgesamt 170 000 Arbeits-
plätze entstanden. Auch das war ein Erfolg unserer Poli-
tik. Wir haben aber nicht nur Arbeitsplätze, sondern
auch Ausbildungsplätze geschaffen. Das ist gerade in
der heutigen Situation von besonderer Bedeutung. Ich
nehme als Beispiel einmal aus meinem Wahlkreis die
Städte Bottrop und Gelsenkirchen: Dort sind über hun-
dert neue Ausbildungsplätze im Bereich der erneuerba-
ren Energien geschaffen worden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
In einem Kohlekraftwerk dieser Region werden bei-
spielsweise über 400 Ausbildungsplätze pro Jahr zur
Verfügung gestellt.
Wir sind also auf dem richtigen Weg. Auf diesem
Weg gehen wir mit unserem Programm weiter. Eine neu-
gierige und lernende Gesellschaft schaffen wir nur durch
neue, moderne Ausbildungsplätze.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ilse
Aigner [CDU/CSU])
Allein das ist ein Grund, das neue moderne Technolo-
gieprogramm der großen Koalition zu begrüßen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort der Kollegin Ulrike Flach, FDP-
Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Ulrike Flach (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir reden
heute über die Hightechstrategie. Daher lohnt es sich,
einmal im Lexikon nachzuschlagen, was der Begriff
„Strategie“ eigentlich bedeutet:
(Jörg Tauss [SPD]: Wir wissen es!)
Ein längerfristig ausgerichtetes planvolles
– das fällt Ihnen besonders schwer, Herr Tauss –
Anstreben einer vorteilhaften Lage. Strategie zielt
auf den richtigen Einsatz bestimmter Mittel in Zeit
und Raum ab und ist im Unterschied zur Taktik
langfristig angelegt.
(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: So ist es!
Das trifft alles zu!)
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Legt man diese Definition zugrunde, dann muss man
agen, dass die Bundesregierung uns keine Hightechstra-
egie – das muss man ganz nüchtern so konstatieren –,
ondern eine Hightechtaktik mit ausgesprochen großen
chwächen vorgelegt hat.
(Beifall bei der FDP – Zurufe von der CDU/
CSU und der SPD: Oh!)
Ihre Taktik ist ein wohl verpacktes Bonbon für den
eneigten Wähler – das muss ich zugeben, Frau Schavan –
it dem klaren taktischen Ziel, den Innovationsbegriff
olitisch zu besetzen. Sie wollen innovativ wirken, ohne
ich den Mühen innovativer Politik wirklich zu unterzie-
en.
(Beifall bei der FDP – Widerspruch des Abg.
René Röspel [SPD])
Marketingmäßig muss man Ihnen ein Lob aussprechen
ich habe nichts anderes erwartet; es ist die Fortführung
er Politik, die die SPD in den sieben Jahren ihrer Regie-
ung gemacht hat –: Sie haben eine bunte Hightechfibel
ufgelegt. Politisch gesehen, Frau Schavan, bewegen Sie
ich in der Tat auf den Spuren aller Vorgängerregierun-
en.
(Dieter Grasedieck [SPD]: Nicht aller! Ihre
war erfolglos in der Frage! Das waren Flach-
wasserpiraten!)
Aller Vorgängerregierungen!
Neu ist die Sicherheitsforschung. Wir haben aber
ben erfahren, dass es dazu im Ausschuss heftige Dis-
ussionen gegeben hat. Auch dieser Punkt ist also zwi-
chen den Koalitionspartnern heftig umstritten.
(Jörg Tauss [SPD]: Nein!)
Neu ist auch das Private-Equity-Gesetz. Frau Hinz,
enn es so dringend notwendig ist – auch wir sind dieser
einung –, dann muss ich Sie fragen: Warum haben Sie
s in den letzten Jahren dann nicht gemacht?
(Beifall bei der FDP – Jörg van Essen [FDP]:
Sehr berechtigte Frage!)
Natürlich begrüßen wir, dass in diesem Jahr – das war
uch im letzten Haushalt der Fall – mehr Geld für For-
chung und Entwicklung zusätzlich ausgegeben wird.
ir haben dies immer gefordert. Herr Röspel, es ist da-
er ausgesprochen unredlich, gerade Frau Pieper und
ir vorzuwerfen, dass wir nicht mehr Geld für For-
chung ausgeben wollten.
(René Röspel [SPD]: Sie haben es aber nicht
gemacht!)
n den acht Jahren als Mitglieder des Deutschen Bundes-
ages
(Jörg Tauss [SPD]: Vorher!)
aben wir Sie Jahr für Jahr angetrieben, mehr Geld für
iesen Bereich einzustellen.
(Beifall bei der FDP – René Röspel [SPD]:
Fordern kann man alles! An den Taten werdet
ihr gemessen!)
4914 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
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Ulrike Flach
Der letzte Minister, der weniger Geld ausgegeben hat,
war übrigens kein Liberaler, sondern kam von den
Christdemokraten, die jetzt Ihr Koalitionspartner sind.
Vielleicht wenden Sie sich einmal an die, um sich zu be-
schweren.
(Beifall bei der FDP – Ute Berg [SPD]: Ihrer
auch! Das war nämlich Herr Rüttgers!)
Nach meinem Wissen gibt es in den Haushalten in
Deutschland keinen anderen Etat, der so gut gestellt ist
wie dieser. Ich sage für meine Fraktion, dass das gut ist.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der
SPD)
Aber unabhängig davon, dass mehr Geld etwas Schönes
ist: Sie müssen schon wissen, was Sie mit diesem Geld
tun wollen. Wenn man sich Ihre Hightechstrategie an-
schaut, dann muss man sagen, dass das alles andere als
klar ist. Sie verteilen Sahnehäubchen auf alte Kuchen-
stücke von Edelgard Bulmahn und Sie verkünden dabei
gleichzeitig Ziele wie die Schaffung von 1,5 Millionen
zusätzlichen Jobs oder die Senkung der Flugunfallrate
um 80 Prozent bis 2020. Frau Schavan, an diesen Zielen
werden wir Sie in den nächsten Jahren messen.
(Beifall bei der FDP – René Röspel [SPD]:
Nichts gegen Sahnehäubchen! Lieber Sahne-
häubchen als alten Quark!)
Wenn Sie diese großen Ziele erreichen, dann beglück-
wünsche ich Sie. Ich bezweifle aber, dass Sie mit dieser
Strategie dabei erfolgreich sind.
(Beifall bei der FDP)
Sie legen uns heute zwar die Strategie vor. Wir wissen
auch, dass Sie, Frau Schavan, die offizielle Koordinato-
rin dieses Programms sind. Aber gleichzeitig haben wir
vor wenigen Tagen erfahren müssen, dass Ihr Haus nicht
in der Lage war, uns zu sagen, wie sich die Mittel für
diese Strategie auf die einzelnen Ressorts verteilen. Wir
hatten große Probleme, mit Vertretern Ihres Ministeri-
ums darüber zu reden, wo das Geld außerhalb Ihres Hau-
ses eingesetzt wird. Man erkennt deutlich: Sie nennen
sich zwar Koordinatorin. Aber Sie sind im Prinzip eine
Kaiserin ohne Kleider
(Widerspruch bei der SPD)
und für das Ganze eher formal zuständig, wie uns das
Kollege Glos vor wenigen Wochen so schön ins Stamm-
buch geschrieben hat.
(Beifall bei der FDP)
Schauen wir uns die inhaltlichen Schwerpunkte an;
von der Sicherheitsforschung habe ich bereits gespro-
chen. Die Grüne Gentechnik haben Sie eben wieder an-
geführt. Ich kann Ihnen nur sagen: Auch hier erleben wir
bei dieser Regierung nur Luftblasen. Gestern Abend
ging über den Ticker, dass Herr Seehofer das Gesetz, das
in diesem Zusammenhang beschlossen werden soll, er-
neut verschieben will. Wo ist denn da eine Hightechstra-
tegie?
(Beifall bei der FDP)
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eit der letzten Wahl warten wir bis zum heutigen Tage
arauf, dass Sie das Geplante umsetzen.
(Jörg Tauss [SPD]: Aber Ihr Unfug ist High-
tech?)
as heißt, es hinkt nach wie vor an wichtigen Stellen, an
enen dieses Land innovativ nach vorne gehen könnte.
Wie sieht es mit den Leuchttürmen aus? Der Leucht-
urm Galileo ist ein wichtiges Projekt. Herr Glos hat der
elt vor wenigen Tagen seine großen Bedenken diesbe-
üglich mitgeteilt. Es gebe Verzögerungen. Die Kosten-
ufteilung zwischen Staat und Wirtschaft sei ungeklärt
nd der Starttermin fraglich. So viel zu dem Thema, das
ie, Herr Grasedieck, eben so ausführlich dargestellt ha-
en.
Zur Gesundheitskarte. Frau Ministerin Schmidt – sie
st immer noch im Amt – geht aufgrund eines Gutach-
ens offensichtlich von Kostensteigerungen aus, sodass
as Projekt dreimal so teuer wird wie ursprünglich ge-
lant. Wie stellen Sie das haushalterisch dar? Ich bin ge-
pannt, was Herr Steinbrück zu diesem Thema sagt.
(Beifall bei der FDP)
Zum Transrapid. Frau Pieper hat Ihnen schon er-
lärt, was Thyssen-Krupp interessanterweise dazu sagt.
ber noch interessanter finde ich natürlich den Brief von
errn Ude – er ist Mitglied einer der Parteien, die die
oalition bilden –, der uns in diesen Tagen erreicht hat.
r schreibt uns deutlich: Alle Betroffenen lehnen das
rojekt ab. Die Finanzierung ist sehr unwahrscheinlich
nd der geplante zu erzielende Gewinn nicht realistisch.
as Projekt ist aus wirtschaftlicher Sicht nicht ausrei-
hend untersucht. Neue Entwicklungen lassen höhere
osten erwarten. Es entstehen für den Bund Mehrkos-
en.
Da frage ich mich, wie so etwas ein Leuchtturm sein
oll.
(Beifall bei der FDP – Axel E. Fischer [Karls-
ruhe-Land] [CDU/CSU]: Frau Kollegin, das
haben Sie falsch verstanden! Das ist ein
Leuchtturm!)
as ist eine leicht schimmernde Kerze und sonst nichts.
Frau Ministerin, wir wären froh, wenn Sie eine Strate-
ie gehabt hätten, die wirklich eine wäre. Die von Ihnen
orgestellte ist aus Sicht meiner Fraktion bisher ein
orso. Wir werden Ihnen gerne behilflich sein, eine Stra-
egie zu entwickeln. Das von Ihnen Vorgestellte benötigt
och ein bisschen mehr Inhaltliches.
(Beifall bei der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Aber
wie soll aus einem Zug ein Leuchtturm wer-
den, Frau Flach?)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort dem Kollegen Eberhard Gienger,
DU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4915
(A) )
(B) )
Eberhard Gienger (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lassen Sie mich von der Hightechstrategie auf die spezi-
elle Biotechnologie zu sprechen kommen, die mittler-
weile Ausgangspunkt und Motor für zahlreiche Anwen-
dungen geworden ist, und zwar in der Medizin, in der
Ernährungs- und Futtermittelindustrie und in der chemi-
schen Industrie. Insgesamt 500 Biotechnologieunterneh-
men sind mittlerweile in Deutschland angesiedelt, mehr
als in jedem anderen Land in Europa.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der SPD)
83 Prozent davon sind in den Bereichen der Roten Bio-
technologie, 19 Prozent im Bereich der Tiergesundheit
und 10 Prozent immerhin in der Grünen Biotechnologie
tätig.
Zu diesem Thema kann ich Ihnen, Frau Flach, sagen,
dass Herr Seehofer die Verschiebung des in diesem Zu-
sammenhang zu beschließenden Gesetzes sicherlich des-
wegen angekündigt hat, weil er zunächst Ergebnisse der
wissenschaftlichen Forschung vorliegen haben möchte,
bevor in diesem Bereich eine kommerzielle Anwendung
stattfindet.
(Ulrike Flach [FDP]: Was machen wir denn
seit Jahrzehnten?)
13 Prozent der Biotechnologieunternehmen sind zu-
dem im Bereich der industriellen Anwendung – das ist
die Weiße Biotechnologie – tätig.
Die Bundesregierung verfolgt das Ziel, den Biotech-
nologiestandort Deutschland europaweit nicht nur hin-
sichtlich der Zahl der Unternehmen, sondern auch hin-
sichtlich des Umsatzes und der Beschäftigtenzahlen an
die Spitze zu führen. Wir streben an, Wachstumsbremsen
zu erkennen und vor allem abzubauen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Neue Schlüsselfelder wie die Weiße Biotechnologie,
also die industrielle Anwendung, und die Nanotechnolo-
gie sind weiter zu erschließen.
Um die wissenschaftlichen Grundlagen der Biotech-
nologie zu erweitern, sind drei Forschungsfelder zen-
tral: erstens die Genomforschung, die die genetischen
Baupläne von Mikroorganismen, Pflanzen und Tieren
bis hin zum Menschen analysiert, zweitens die System-
biologie, die auf ein quantitatives Verständnis der dyna-
mischen Lebensprozesse durch Modellierung dieser Vor-
gänge im Computer abzielt, und schließlich drittens die
molekulare Medizin, die die molekularen Grundlagen
menschlicher Erkrankungen aufklärt.
Die Förderung grundlagennaher Forschungsvorha-
ben ergänzt die institutionelle Förderung der großen For-
schungsorganisationen, um dadurch neue Innovations-
und Wertschöpfungspotenziale in den Bereichen Che-
mie, Ernährung, Landwirtschaft, Medizin sowie – über
die Lebenswissenschaften hinaus – in der Informa-
tionstechnologie zu erschließen.
Die Biotechnologie führt zu neuen industriell nutzba-
ren Produkten und macht Industrieprodukte umweltscho-
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ender. So arbeiten die Forscher beispielsweise an der
ntwicklung von umweltschonenden Biochemikalien,
iologisch basierten Materialien für den Kunststoffer-
atz, Fein- und Spezialchemikalien sowie von Enzymen
ür die Stoffumwandlung, nicht nur in Waschmitteln.
irtschaftsexperten rechnen allein im Bereich der Wei-
en Biotechnologie mit einem Umsatz von circa 50 Mil-
iarden Euro weltweit. Damit Deutschland auf diesem
euen Feld der Biotechnologie auch eine führende Rolle
pielt, hat das Bundesministerium für Bildung und For-
chung die Förderinitiative „Bioindustrie 2021“ ins Le-
en gerufen, mittels deren der Ausbau von Kompetenzen
nd Strukturen gefördert werden soll.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
s wird ein Clusterwettbewerb für junge und Start-up-
nternehmen zur Entwicklung neuer Produkte und Ver-
ahren im Bereich der Weißen Biotechnologie gestartet.
Auch die Nanotechnologie hat sich eine Brücke zwi-
chen der belebten und der unbelebten Natur gebaut. Sie
reibt die konsequente Vernetzung von Biotechnologie
nd Nanotechnologie voran.
(Beifall des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU])
eispiele dafür gibt es schon heute: Nanopartikel, die lo-
al Wirkstoffe freisetzen, nanostrukturierte Oberflächen
ur Herstellung von bioaktiven Prothesen, die die Immun-
bwehr reduzieren, und Nanosensoren, mit denen sich
eispielsweise geringfügige Änderungen der Eiweißkon-
entration in der Frühphase der Demenzkrankheit Alz-
eimer erkennen lassen. Somit hat die Nanotechnologie
ine hohe Bedeutung für den Standort Deutschland.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Für die Produkte wichtiger Industriezweige wie Auto-
obilbau, Chemie, Pharma, Informationstechnik oder
ptik hängt die künftige Wettbewerbsfähigkeit wesent-
ich von der Erschließung des Nanokosmos ab.
Im Jahr 2006 werden – gemeinsam mit den Ländern –
nsgesamt rund 162 Millionen Euro an institutionellen
ördermitteln und rund 134 Millionen Euro an BMBF-
rojektmitteln in die Nanotechnologie investiert. Zu-
ammen mit den 25 Millionen Euro, die das Bundes-
inisterium für Wirtschaft zur Verfügung stellt, und den
irca 11 Millionen Euro, die das Bundesministerium der
erteidigung dazusteuert, kommen wir auf eine Gesamt-
ördersumme in Höhe von rund 330 Millionen Euro für
as Jahr 2006.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD)
Diese Investitionen in die Nanotechnologie lohnen
ich: Seit 1995 sind immerhin rund 200 Nanotechnolo-
ie-Start-up-Unternehmen mit insgesamt circa 5 000 Ar-
eitsplätzen gegründet worden. Demnach kann der
anotechnologie neben der Bedeutung für die Sicherung
er Arbeitsplätze durch den Erhalt der Wettbewerbsfä-
igkeit in fast allen Industriebranchen ein hohes Poten-
ial bei der Schaffung von Arbeitsplätzen zugebilligt
erden.
4916 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
Eberhard Gienger
Bei der Förderung der Biotechnologie durch das
BMBF wird an den Gliedern der Innovationskette ange-
setzt. Junge internationale Spitzenkräfte in den Lebens-
wissenschaften werden durch den „Bio-Future-Wettbe-
werb“ nach Deutschland geholt bzw. in Deutschland
gehalten. Das bietet den Nachwuchswissenschaftlern die
Möglichkeit, sich ein eigenes Forschungsteam zusam-
menzustellen und kreative Projekte eigenverantwortlich
voranzutreiben.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der SPD)
So gab es bei diesem Projekt, das seit 1999 läuft,
51 Preisträger, von denen mittlerweile immerhin 21 an
Universitäten im In- und Ausland untergekommen sind
und 11 Start-up-Unternehmen gegründet haben, in die
sie privates Kapital in Höhe von circa 70 Millionen Euro
eingebracht haben. Durch die Förderung wurden
250 Arbeitsplätze geschaffen.
Es gibt weitere Beispiele: Die „Gründungs-Offensive
Biotechnologie“, die Hightechgründerfonds, die die Ka-
pitalbasis schaffen, das Projekt „Bio-Chance-Plus“, das
Forschungsvorhaben von KMU in der Biotechnologie
fördert, und viele andere mehr.
Ich habe jetzt vor allem die Vorzüge der Biotechnolo-
gie genannt. Ich weiß natürlich, dass es durchaus Kritik-
punkte gibt. Aber ich glaube, wir sollten die Risiken
nicht überbewerten, sondern vor allem die Chancen nut-
zen, die uns zur Verfügung stehen. Denn elementar ist
die Frage nach den Risiken für Deutschland auch für den
Fall, dass wir die neuen Technologien nicht nutzen. Wie
sagte doch gerade unsere Ministerin: „Wir investieren in
die Zukunft unseres Landes.“
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ute Berg, SPD-
Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Ute Berg (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Flach, eine
Bemerkung zu Ihnen. Sie haben eben auf Herrn Rüttgers
verwiesen und zu Recht gesagt, dass er die Forschung
als Minister sträflich vernachlässigt und zweimal den
Etat zurückgefahren hat. Sie haben dann darauf hinge-
wiesen, dass seine Partei jetzt unser Koalitionspartner
ist. Ich verweise nun darauf, dass Ministerpräsident
Rüttgers im Moment auch Ihr Koalitionspartner ist. Viel-
leicht sollten Sie einmal ein Auge darauf haben.
(Beifall bei der SPD – Jörg van Essen [FDP]:
Wir haben einen exzellenten Innovations-
minister!)
Jetzt zur Hightechstrategie. Wenn sich zwei starke
Partner zusammentun und gemeinsam an einem Strang
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iehen, dann kann mehr entstehen als nur die Addition
er Einzelleistungen. Dann kann eine Dynamik in Gang
esetzt werden, die ein Vielfaches an Leistung erzeugt.
iese Erkenntnis liegt der Hightechstrategie zugrunde.
lle Politikbereiche, die Forschung und Entwicklung
erühren, sind eingebunden. Ziel ist es, dass sich insbe-
ondere in den Zukunftsbranchen, die viele neue Ar-
eitsplätze schaffen, Partner aus Forschung und Wirt-
chaft, Partner aus Deutschland und der ganzen Welt
usammentun, ihre Kräfte bündeln und ihre Erfolge
otenzieren.
(Beifall bei der SPD)
Die Zauberworte heißen Vernetzung, Cluster und
issenstransfer. Vorbilder sind das allseits bekannte
resdener Silicon Valley – Frau Aigner hat einiges dazu
esagt –, aber auch kleine Innovationsnetzwerke wie
ugenoptik Rathenow in Brandenburg. Dort haben sich
5 kleine Firmen der Optikbranche zusammengeschlos-
en, die mit einem Fraunhofer-Institut und vielen Fach-
ochschulen der Region zusammenarbeiten und unter
nderem Brillengläser und Mikroskope vermarkten. Das
un sie sehr erfolgreich. Dresden und Rathenow ist ge-
ein: Es werden Brücken zwischen Forschung und Zu-
unftsmärkten geschlagen. Das muss verstärkt gesche-
en, und zwar überall in Deutschland.
(Beifall bei der SPD)
„Vorsprung durch Innovation ist der einzige Weg, um
ohlstand und Beschäftigung am Standort Deutschland
u sichern. Das Gebot der Stunde heißt Erneuerung“, so
er Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, Professor
ans-Jörg Bullinger.
(Ute Kumpf [SPD]: Genau, das ist ein guter
Mann!)
ir werden dafür innovationsfreundliche Rahmenbedin-
ungen schaffen. Wir führen im Rahmen der Hightech-
trategie ein neues Förderinstrument zur Vernetzung von
issenschaft und Wirtschaft ein, nämlich die For-
chungsprämie. Ich muss sagen: Ich verstehe die Kritik,
ie vonseiten der Grünen und der FDP geäußert wurde,
icht so recht. Denn ich meine, dass es ein sehr effekti-
es Instrument ist, um gerade kleine und mittlere Unter-
ehmen zu fördern, die in der Vergangenheit durchaus
in und wieder zu kurz gekommen sind.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
ochschulen und öffentliche Forschung sollen auch für
ie eine Rolle spielen. Hochschulen und öffentliche For-
chungseinrichtungen bekommen eine Prämie, wenn sie
orschungsverträge mit Unternehmen abschließen. Die-
er Zuschlag beträgt 25 Prozent des Auftragswertes. Mit
er Forschungsprämie unterstützen und motivieren wir
issenschaftler, gezielt auf Unternehmen zuzugehen
nd Forschungsaufträge einzuwerben.
(Jörg Tauss [SPD]: Und umgekehrt!)
Und umgekehrt.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
CDU/CSU)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4917
(A) )
(B) )
Ute Berg
Die Förderung wird explizit auf die Zusammenarbeit
von Hochschulen und Forschungseinrichtungen mit in-
novativen kleinen und mittleren Unternehmen zuge-
schnitten. Das hat gute Gründe. Gerade innovative
kleine und mittlere Unternehmen sind nämlich beson-
ders geeignet, neues Wissen auf den Markt zu bringen.
Sie können schnell und flexibel handeln. Sie können Ni-
schenmärkte erschließen und gezielt auf individuelle
Kundenwünsche eingehen. Sie können so zu einer trei-
benden Kraft des technologischen Strukturwandels wer-
den.
Das ursprüngliche BDI-Modell, das die FDP offenbar
vertritt, lehnen wir aus verschiedenen Gründen ab.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Danach sollen Fördergelder sozusagen mit der Gieß-
kanne verteilt werden.
(Jörg van Essen [FDP]: Nein, das ist doch
falsch! – Cornelia Pieper [FDP]: Sie haben es
nicht verstanden!)
Profitiert hätten davon wohl vor allem große Unterneh-
men; kleinere wären wegen ihrer geringeren Verhand-
lungsmacht benachteiligt gewesen. Davon bin ich fest
überzeugt.
(Cornelia Pieper [FDP]: Nein, gar nicht! Die
Kleinen werden gefördert!)
Das ist definitiv nicht in unserem Interesse. Wir wollen
gerade die Kleinen als Innovationsmotoren unterstützen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Impulse für Innovationen kann aber auch der Staat ge-
ben, und zwar als öffentlicher Auftraggeber, indem er
innovative Produkte und Dienstleistungen selbst anfor-
dert und damit fördert. So wurde zum Beispiel auf
Bundesebene eine innovative Software installiert, um
öffentliche Ausschreibungen über eine interaktive Online-
plattform abwickeln zu können. Ein kommunales
Beispiel: Die Hamburger Stadtverwaltung hat in öffentli-
chen Einrichtungen eine moderne Lichttechnik installie-
ren lassen, um Strom zu sparen. Die alten Leuchten wur-
den durch moderne Systeme, die mit lichtlenkenden
Spiegeln und elektronischen Vorschaltgeräten arbeiten,
ersetzt. Von diesem öffentlichen Auftrag haben lokale,
regionale und europäische Anbieter profitiert.
Aber auch die Bundesanstalt für Materialforschung
und -prüfung, die Bundesanstalt für Geowissenschaften
und Rohstoffe und die Physikalisch-Technische Bundes-
anstalt sind am Technologietransfer beteiligt. Sie füh-
ren gemeinsam mit Unternehmen Forschungsarbeiten
durch. Nur ein Beispiel von vielen: Die Physikalisch-
Technische Bundesanstalt hat gemeinsam mit zwei Un-
ternehmen über drei Jahre spezielle hochleistungsfähige
Stromsensoren entwickelt. Diese Sensoren können nun
von den Unternehmen erfolgreich vermarktet werden.
In Zukunft wollen wir diese Form der Zusammen-
arbeit noch stärker auf Projekte konzentrieren, die in un-
mittelbarem Interesse der beteiligten Unternehmen lie-
gen und die gut und schnell umgesetzt werden können.
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(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, klar ist: Wir brau-
hen eine Auffrischung der Wirtschaftsstruktur durch
nternehmen der Spitzentechnik und der wissensintensi-
en Dienstleistungen. „Wer aufhört, besser zu werden,
at aufgehört, gut zu sein“, hat der Unternehmer und So-
ialdemokrat Philip Rosenthal schon vor vielen Jahren
esagt. Recht hatte er.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
it der Hightechstrategie leisten wir unseren politischen
eitrag dazu, dass der Standort Deutschland gut bleibt
nd immer besser wird.
Danke schön.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Bevor ich nun dem Kollegen Dr. Joachim Pfeiffer für
ie CDU/CSU-Fraktion das Wort erteile, begrüße ich auf
er Besuchertribüne eine Delegation des mongolischen
arlamentes.
(Beifall)
erehrte Kolleginnen und Kollegen, wir freuen uns über
hren Besuch und über das große Interesse, das die Mon-
olei gerade den Beziehungen zu Deutschland widmet.
ch nutze die Gelegenheit, auf diesem Wege noch einmal
um 800. Staatsjubiläum der Mongolei zu gratulieren,
as wir gemeinsam vor wenigen Wochen in Ihrem wun-
erschönen Land begehen konnten.
(Beifall)
Herr Kollege Pfeiffer, Sie haben das Wort.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Gegenwärtig wird aus zum Teil durchaus nach-
ollziehbaren Gründen gefragt, wo denn die große Ko-
lition zukunftsweisende und neue Akzente setze. Bei
er Forschungs- und Innovationspolitik ist das wirklich
raftvoll der Fall. Mit der Hightechstrategie wird ein
eues Kapitel der Innovationspolitik aufgeschlagen.
um ersten Mal wird nicht nur richtig analysiert, son-
ern auch ein in sich richtiges, umfassendes und schlüs-
iges Gesamtkonzept vorgeschlagen. Die Hürden der
essortabgrenzung werden eingerissen; die gesamte Re-
ierung hat sich zu innovationsfreundlichem Handeln
erpflichtet.
Die Forschungspolitik wird in dieser großen Koali-
ion nicht mehr Steinbruch der Bundesregierung sein.
enn im Haushalt Mittel fehlen, werden nicht mehr au-
omatisch die Forschungsmittel gekürzt. Bis zum
ahr 2009 wurden belastbar und definitiv 15 Milliarden
uro für die Spitzentechnologie und für technologie-
bergreifende Querschnittsmaßnahmen bereitgestellt.
ine integrierte Strategie sorgt dafür, dass die Grundla-
enforschung und die anwendungsorientierte Forschung
4918 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
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Dr. Joachim Pfeiffer
im Einklang mit einem klaren Rechtsrahmen und mit
klaren Normen verbunden werden. Das schafft Pla-
nungssicherheit. Besonders wichtig ist, dass diese Maß-
nahmen mit einer Markteintrittsstrategie gekoppelt wer-
den, mit der die notwendigen Finanzierungsinstrumente
für Start-ups auf dem wachsenden Hightechsektor flexi-
bel zur Verfügung gestellt werden können.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich möchte auf zwei Themen etwas vertiefender ein-
gehen: auf den Mittelstand und die Energieforschung.
Der Mittelstand wird in allen politischen Sonntagsreden
gern bemüht. Er steht im Fokus, da 70 Prozent aller Be-
schäftigten in mittelständischen Unternehmen arbeiten
und er 80 Prozent aller Ausbildungsplätze stellt. Wir ma-
chen nun ernst. Im Mittelpunkt der Hightechstrategie
stehen neue Ideen für den Mittelstand. Kleine und mitt-
lere Unternehmen werden zielgerichtet gefördert. Dabei
stellt die Forschungsprämie das zentrale Element dar.
Um was geht es? Öffentlich finanzierte Forschungs-
einrichtungen und Hochschulen, die Forschungsauf-
träge in der Wirtschaft akquirieren, werden mit einer zu-
sätzlichen Prämie von 25 Prozent des Auftragswertes
gefördert. Das Ganze ist also zentral auf den Mittelstand
zugeschnitten. Diese Prämie wird branchen- und the-
menoffen gewährt. Das Förderregime soll so ausgestaltet
werden, dass es unbürokratisch und schnell funktioniert.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD)
Das wird zu einem Kulturwandel führen. Die Prämie ist
geeignet, die Situation im Hinblick auf die Förderung
von Forschung und Entwicklung breitenwirksam zu ver-
bessern und die Kooperation der kleinen und mittelstän-
dischen Unternehmen mit der Wissenschaft auf vielfäl-
tige Art anzuregen.
Nur so wird es möglich sein, den Technologietransfer
zwischen Forschung und Wirtschaft zu beschleunigen,
damit aus Forschungsergebnissen schnell Markterfolge
werden, damit der Mittelstand nicht nur, was Ausbildung
und Beschäftigung anbelangt, das Rückgrat der Wirt-
schaft bleibt, sondern er auch wieder zur Speerspitze der
Innovationen wird, und damit die neuen 1,5 Millionen
Arbeitsplätze wirklich möglich werden.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.
René Röspel [SPD])
Ein weiteres zentrales Aktionsfeld ist die Energiefor-
schung. In den letzten Jahren – das muss ich leider auch
an unseren Koalitionspartner gerichtet sagen – wurde die
Energieforschung sträflich vernachlässigt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Ute Kumpf [SPD]: Jetzt kommt er wieder da-
mit! Das stimmt nicht, Kollege Pfeiffer!)
Damit wurde ein Stück der Zukunftsfähigkeit Deutsch-
lands verspielt.
Gemessen an unserem Bruttoinlandsprodukt sind un-
sere Investitionen in die Energieforschung im Vergleich
zu den USA, zu Frankreich und zu Japan nur halb so
hoch. Nun wird die Energieforschung mit dem High-
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echprogramm wieder zu einer zentralen Säule, zu einem
ichtigen Eckpfeiler unserer Forschungspolitik. Be-
rachtet man alle 17 definierten Hightechsektoren, die
in Gesamtvolumen von 12 Milliarden Euro haben, stellt
an fest, dass die Energietechnologien mit 2 Milliarden
uro, also mit fast 20 Prozent, einen wichtigen Eckstein
ilden.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Pfeiffer, darf der Kollege Tauss Ihnen
ine Zwischenfrage stellen?
(Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]:
Hat er keine Redezeit bekommen?)
Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU):
Ja, wenn er will.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Er will ganz offenkundig.
Jörg Tauss (SPD):
Lieber Kollege Fischer, wenn Herr Tauss Redezeit
ill, dann bekommt er sie auch; keine Sorge. Das unter-
cheidet uns.
(Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]:
Wozu dann Ihre Zwischenfrage?)
Lieber Kollege Pfeiffer, Sie haben die Energiefor-
chung in den USA angesprochen. Ich teile durchaus die
uffassung, dass wir in dem Bereich Energieforschung
ehr tun müssen. Dennoch möchte ich darauf hinwei-
en: Als wir gemeinsam in den USA waren – auch die
ollegin Aigner war dabei –, haben uns amerikanische
issenschaftler gesagt, dass sie mit großem Interesse
ie Situation in Deutschland beobachten und die Leis-
ungen bewundern, die hier im Hinblick auf Energieeffi-
ienz und erneuerbare Energien erzielt worden sind.
uch das sollten wir zur Kenntnis nehmen. Meine Frage
autet: Darf ich Sie bitten, auch das positiv zu würdigen?
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der
SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN – Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land]
[CDU/CSU]: Aha! Es ging ihm also doch um
seine Redezeit!)
Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU):
Lieber Herr Kollege Tauss, wenn Sie mich hätten
ortfahren lassen,
(Jörg Tauss [SPD]: Das wäre also noch
gekommen?)
ann wäre ich zu dieser Würdigung gekommen.
(Jörg Tauss [SPD]: Wunderbar!)
llerdings bedanke ich mich dafür, dass Sie meine Re-
ezeit durch Ihre Zwischenfrage ein wenig verlängert
aben.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4919
(A) )
(B) )
Dr. Joachim Pfeiffer
Natürlich gehe ich gerne auf Ihre Frage ein: In der Tat
haben wir in Deutschland, was die Energieeffizienz an-
belangt, große Fortschritte gemacht, nicht erst in den
letzten sieben Jahren, sondern in den letzten 20 Jahren.
(Jörg Tauss [SPD]: Ach! Noch früher!)
Ich glaube, das können wir uns alle auf die Fahne schrei-
ben.
Wenn wir es damit ernst meinen, dass wir mit der
gleichen Menge Energie doppelt so viel Bruttoinlands-
produkt generieren wollen, und diesen Weg konsequent
weiter beschreiten wollen, müssen wir uns allerdings
alle Optionen offen halten und dürfen keine Denkver-
bote erlassen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP)
Völlig richtig, Herr Tauss: Die erneuerbaren Energien
werden eine herausragende Rolle spielen, bei der Strom-
erzeugung gleichermaßen wie bei der Wärmeversorgung
und der Kraftstoffgewinnung. Man braucht sich nur ein-
mal CHOREN in Freiberg/Sachsen anzuschauen, und man
muss zugeben – auch da kann ich Sie nur bestätigen –: Bei
„Biomass to Liquid“ sind wir an der Weltspitze der Inno-
vation. Das will ich sehr wohl würdigen. Gleiches gilt
für die Kraftwerkstechnologie, auch im Hinblick auf fos-
sile Energieträger wie Kohle oder Gas. Hier können und
werden wir die Wirkungsgrade weiter erhöhen. Wir wer-
den auch die CO2-Abscheidung angehen, sodass ein
Schuh draus wird. Damit fördern wir nicht nur die Wirt-
schaft, sondern wir bringen auch die Technologie nach
vorne und tun nebenbei etwas für die Umwelt.
(Jörg Tauss [SPD]: Ich bin hochzufrieden,
Herr Pfeiffer!)
Ich könnte diese Aufzählung fortsetzen, aber ich will in
meiner normalen Redezeit fortfahren.
Ich glaube, wir können uns gemeinsam auf die Fah-
nen schreiben, was im letzten halben, dreiviertel Jahr
Herausragendes beim energieoptimierten Bauen er-
reicht worden ist. Dies gilt es jetzt weiterzuentwickeln.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der SPD)
Es ist richtig, dass die technologische Weiterentwicklung
von Heizungs-, Kälte-, Lüftungs- und Klimaanlagen,
von Mess- und Regeltechnik, Wärmedämmung, Strom
sparender Beleuchtung usw. jetzt angegangen wird.
Die Damen von FDP und Grünen haben gefragt, wo
das Gesamtkonzept sei. Es gibt ein Gesamtkonzept:
Wir forschen und entwickeln in diesem Bereich weiter,
und zwar sehr zielgerichtet und gut ausgestattet. Dieses
wird flankiert durch 1,4 Milliarden Euro aus dem Bun-
deshaushalt, die über die KfW für Gebäudesanierung im
Bestand bereitgestellt werden. Die für dieses Jahr vorge-
sehenen Mittel dafür sind bereits abgerufen: Plus
200 Millionen Euro aus dem letzten Jahr sind 1,6 Mil-
liarden Euro abgerufen. Dadurch werden Investitionen
in der Größenordnung von 8 bis 10 Milliarden Euro aus-
gelöst. Die entsprechenden Baumaßnahmen werden
nicht in Schwarzarbeit ausgeführt, sondern vom mittel-
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tändischen Handwerk. Davon profitiert der Bausektor
n Deutschland.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
as heißt, es werden neue Arbeitsplätze geschaffen und
estehende Arbeitsplätze erhalten. Hier gehen For-
chung und Entwicklung Hand in Hand mit Wirtschafts-
örderung und Steuerpolitik, wie die Möglichkeit, den
rbeitslohnteil von Handwerkerrechnungen von der
teuer abzusetzen, zeigt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der SPD)
ort sehen Sie ein Gesamtkonzept, wie Forschung und
ntwicklung und Energiepolitik, sinnvoll angewandt, in
ie richtige Richtung zusammenwirken.
Herr Tauss, jetzt müssen Sie leider wieder zuhören!
(Zuruf von der FDP: Das ist aber nicht so gut
wie sprechen!)
ei diesen Maßnahmen darf es allerdings nicht bleiben.
ir sind uns einig, dass wir die Sicherheitsforschung im
inblick auf kerntechnische Anlagen nicht vernachlässi-
en dürfen. Wir sind uns auch bei der Fusionsforschung
inig. Ich sage aber ebenfalls – ohne Schaum vor dem
und und ohne zu glauben, dass die Kernenergie der
eisheit letzter Schluss wäre –:
(Jörg Tauss [SPD]: Koalitionsvereinbarung!)
ie Kernenergie ist eine Option. Wir haben im Moment
och die sichersten Kernkraftwerke der Welt. Aber nicht
ehr lange; denn die technologische Entwicklung
chreitet voran. Ich bin der Meinung, wir können es uns
icht leisten, an der Forschung, die international auf die
ntwicklung zukünftiger Reaktorsysteme – der vierten
eneration – gerichtet ist, nicht zu partizipieren. Diese
artizipation gehört zu einem technologieoffenen Ener-
ieforschungsgesamtkonzept der deutschen Hightech-
trategie.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Jörg Tauss [SPD]: Dafür braucht ihr erst ein-
mal eine Mehrheit!)
Wir dürfen nicht aus ideologischen Gründen außen
or bleiben. Da muss ich den Kollegen von der SPD
anchmal schon sagen – das sei mir noch erlaubt, Herr
räsident –: Wenn ich Ihre Reflexe höre und sehe, muss
ch an den alten Witz von dem Autofahrer denken,
(Dr. Peter Danckert [SPD]: Keine Witze
erzählen!)
er nachts auf der Autobahn fährt, sich über den Gegen-
erkehr zwar wundert, aber, als er im Radio den Ver-
ehrsbericht hört, auf seiner Strecke sei ein Geisterfahrer
nterwegs, laut antwortet: Was heißt da „einer“? Hun-
erte!
(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Das ist ein uralter Witz! Ich kann
schon gar nicht mehr lachen!)
o komme ich mir vor, wenn ich sehe, wie Sie reagieren,
enn über Kernenergie überhaupt nur gesprochen wird.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
4920 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
Dr. Joachim Pfeiffer
Die ganze Welt geht rational an die Dinge heran und be-
schäftigt sich mit den Themen und wir blenden uns dort
aus.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Jörg Tauss
[SPD]: Iran! Iran! Völlig rational!)
– Herr Tauss, ich setze dort und auch hier auf die Kraft
der Vernunft und der Rationalität, sodass wir Deutsch-
land dort nicht abkoppeln werden.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU):
In diesem Sinne sind wir mit der Hightechstrategie
auf dem richtigen Weg und wir werden mit ihr nicht nur
Arbeitsplätze schaffen, sondern Deutschland auch nach
vorne bringen. Packen wir es an!
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Swen Schulz, SPD-
Fraktion.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Swen Schulz (Spandau) (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kol-
lege Pfeiffer, das mit den Witzen ist immer so eine Sa-
che. So veraltet, wie Ihr Witz ist, ist auch das Festhalten
an der Kernenergie, das Sie hier immer propagieren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Axel
E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]: Das
sehen andere Länder aber völlig anders!)
Wenn man am Ende einer Debatte redet, wie das jetzt
bei mir der Fall ist, dann hat man das Privileg, die Argu-
mente der anderen Rednerinnen und Redner aufnehmen
zu können. Für ein Mitglied der Regierungskoalition ist
es natürlich immer interessant, was die Opposition zu
der Arbeit der Regierung zu sagen hat. Vielleicht hat die
Opposition ja starke Ideen oder Einwände, die uns zum
Nachdenken bringen sollten. Ich muss sagen, dass wir
gerade vom Bündnis 90/Die Grünen und von der Linken
durchaus einige Aspekte gehört haben, die nachdenkens-
wert sind. Ich werde auf einiges eingehen, soweit es
meine Redezeit erlaubt. Ich muss allerdings auch sagen,
dass von dem, was die FDP hier mit einer teilweise et-
was aufgeblasenen Rhetorik gesagt hat, relativ wenig
übrig bleibt. Das ist schade. Eigentlich können Sie das
besser.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulrike
Flach [FDP]: Sie müssen sich nur unsere An-
träge anschauen!)
Insgesamt ist in dieser Debatte deutlich geworden,
dass wir auf gutem Wege sind. Die Menschen verbinden
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it der großen Koalition die Erwartung, dass sie tatsäch-
ich Großes bewegt. Wenn es ein Existenzrecht, eine Be-
ründung für die große Koalition als parlamentarischen
usnahmefall gibt, dann doch wohl die Fähigkeit, alle
räfte zusammenzunehmen. Genau das tun wir in die-
em so wichtigen Feld. Wir investieren in die Zukunft
nd beschreiten damit den richtigen Weg.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Dabei möchte ich betonen – das mag den Koalitions-
artner gelegentlich nerven, aber es bleibt wahr –, dass
ot-Grün in den letzten Jahren eine harte und sehr gute
orarbeit geleistet hat. Dafür danken wir auch unserem
rüheren Koalitionspartner, den Grünen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –
Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]:
Das hat ein großer Teil der Bevölkerung ganz
anders gesehen!)
In der großen Koalition ist nun einiges möglich, was
orher noch durch eine Mehrheit im Bundesrat verhin-
ert wurde. Darauf dringen wir. Wir zollen natürlich
uch der Ministerin für die erkennbar erreichten Erfolge
espekt. Vielen Dank dafür.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Frau Kollegin Flach, ich muss auf Ihre Rede einge-
en. Es ist richtig, dass wir mit der CDU/CSU koalieren.
uch die FDP hat mit der CDU/CSU koaliert. In Ihrer
egierungszeit wurde der Forschungsetat herunterge-
ahren.
(Ute Kumpf [SPD]: Das haben sie wieder verges-
sen! Das ist der Anfang von Alzheimer!)
ir fahren den Forschungsetat jetzt wieder hoch. Nun
ommt eine Denksportaufgabe: Was macht den Unter-
chied? – Die SPD ist in der Regierung. Das ist doch
anz klar.
(Beifall bei der SPD – Zurufe von der FDP:
Oh!)
Wenn wir über die Entwicklung Deutschlands spre-
hen, dann muss ein spezieller Gedanke immer auch
stdeutschland gelten. Der Aufholprozess gegenüber
em Westen ist noch nicht beendet. Darum ist es gut,
ass die auf Ostdeutschland ausgerichteten Förderinstru-
ente in der Hightechstrategie weiterhin einen wichti-
en Platz haben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
ir müssen aber aufpassen, dass wir bundesweit wir-
ende Maßnahmen nicht so gestalten, dass in der Praxis
eile Deutschlands ausgeschlossen werden.
Ich will darum bewusst die geplante Forschungsprä-
ie ansprechen. Das ist ein richtiges und wichtiges In-
trument, das ich unterstütze. Wir müssen aber darauf
chten, dass wirklich die kleinen und mittleren Unter-
ehmen davon profitieren;
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4921
(A) )
(B) )
Swen Schulz (Spandau)
(Beifall bei der SPD)
denn wenn wir den Kreis der förderungsfähigen Unter-
nehmen zu weit fassen, dann besteht die Gefahr, dass
viele KMU gar nicht teilhaben können. Ostdeutschland
ist allerdings aufgrund der spezifischen Entwicklung nun
einmal von kleinen Unternehmen geprägt.
Mir ist in diesem Zusammenhang aber genauso
wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Situation und die
Perspektiven in Ostdeutschland bei weitem nicht so
schlecht sind, wie das häufig behauptet wird. Es gibt un-
geheuer positive Erfahrungen und Wirkungen gerade der
Forschungspolitik der letzten Jahre in den neuen Bun-
desländern. Darauf werden wir weiter aufbauen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Die Hightechstrategie besticht natürlich auch durch
die große und ansteigende Summe der Ausgaben. Doch
es geht der Koalition nicht bloß darum, mehr Geld aus-
zugeben, um die Statistiken zu verbessern. Wir wollen
nachhaltig und mit Verstand investieren. Daher müssen
wir reflektieren, was wir technologisch können wollen.
Darum ist Technikfolgenabschätzung von so großer Be-
deutung, etwa bei der Gentechnik.
Ein anderes Beispiel – es ist schon erwähnt worden –
ist die Sicherheitsforschung. Sicherheit kann nicht nur
technisch erreicht werden. Deshalb ist es so wichtig und
richtig, dass wir die Friedensforschung stärken
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Petra
Sitte [DIE LINKE])
und dass wir die Mittel für die Geistes-, Sozial- und Kul-
turwissenschaften erheblich steigern. Das muss mit der
Hightechstrategie verbunden werden. Wir können den
Terrorismus nicht nur durch Verbesserungen, etwa bei
der Flugsicherheit, bekämpfen, sondern wir benötigen
eine Vorstellung davon, warum es Konflikte gibt, wie sie
aussehen, wie sie beigelegt und vermieden werden kön-
nen. Unser Ansatz ist: Wir dürfen nicht nur Technologie
produzieren, sondern wir müssen uns auch immer unse-
rer Verantwortung vergewissern.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Petra
Sitte [DIE LINKE])
Schließlich möchte ich noch einen wichtigen Aspekt
– vielleicht den wichtigsten von allen – ansprechen, der
schon in vorherigen Reden eine Rolle spielte. Die ganze
Hightechstrategie hat keinen Sinn, wenn wir nicht
gleichzeitig in die Bildung der Menschen investieren.
(Beifall bei der SPD – Cornelia Pieper [FDP]:
Richtig!)
Wir können unsere Strategie gleich bleiben lassen, wenn
wir nicht über die Forscher, die Wissenschaftler, die
Akademiker, die Ingenieure und die gut ausgebildeten
Fachkräfte verfügen, die das, was wir uns hier so schön
ausdenken, wirklich in die Tat umsetzen. Hier haben wir
durchaus Probleme.
(Cornelia Pieper [FDP]: Vor allen Dingen mit
einigen Bundesländern!)
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ildung für alle jederzeit – das muss unser Ziel sein, das
ir aber noch nicht erreicht haben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Über die Situation auf dem Ausbildungsmarkt haben
ir schon gestern diskutiert. Weiterbildung ist von zen-
raler Bedeutung. Gleiches gilt für den Hochschulpakt
ur Schaffung neuer und guter Studienplätze. In der ges-
rigen Ausgabe des „Tagesspiegel“ war ein langer Artikel
ber die Situation an den Hochschulen zu lesen. Die
berschrift lautete: „Die Kunst des Einklagens“. Was ist
as bloß für eine Situation? Immer wieder wird uns nach-
ewiesen, dass wir in diesem zentralen Bereich der Bil-
ung der Menschen international zurückfallen. Auch
enn es stimmt, Frau Aigner, dass wir wegen der hohen
ualität der beruflichen Bildung in einer besonderen Si-
uation sind, müssen wir auf dem Gebiet der akademi-
chen Bildung trotzdem mehr machen, wie Sie wissen.
(Ilse Aigner [CDU/CSU]: Das habe ich ja
gesagt!)
Was aber passiert in vielen Bundesländern? Bildung
ird verknappt und verteuert, sodass viele Menschen
ur noch mit der Hilfe von Anwälten und mit einem di-
ken Geldbeutel studieren können.
(Cornelia Pieper [FDP]: Das stimmt nicht
ganz!)
iele, die sich bilden wollen und die wir auch brauchen,
ürfen oder können es nicht, weil sie es sich nicht leisten
önnen. Diese Situation können wir uns weder volks-
irtschaftlich noch gesellschaftlich leisten. Das kann
icht unser Ernst sein.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der LINKEN)
Ich fordere Sie, liebe Frau Bundesministerin, auf:
irken Sie engagiert an der Etablierung eines Systems
er Hochschulfinanzierung mit, bei dem die Bundeslän-
er und die Hochschulen Anreize erhalten und dafür be-
ohnt werden, zusätzliche Studienplätze in guter Qualität
ereitzustellen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
LINKEN)
ie Föderalismusreform hat dafür die Grundlage ge-
chaffen. Jetzt müssen Bund und Länder diese Chance
rgreifen. Ich setze darauf, Frau Ministerin, dass Sie in
ieser Frage ebenso erfolgreich sein werden wie in der
onstruktion der Hightechstrategie.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU und der Abg. Dr. Petra Sitte
[DIE LINKE])
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
ollege Michael Kretschmer für die CDU/CSU-Frak-
ion.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
4922 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
Michael Kretschmer (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist
schon ein gewaltiger Kraftakt, wenn diese Bundesregie-
rung in einer Zeit der Haushaltskonsolidierung 6 Milliar-
den Euro lockermacht und damit ein klares Zeichen für
Forschung und Entwicklung für die Zukunft setzt.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD)
Man kann es nicht oft genug sagen: Die Bundesregie-
rung unter Angela Merkel setzt damit wie keine andere
Bundesregierung in der Geschichte der Bundesrepublik
ein Zeichen.
Das Ziel ist klar: Deutschland soll seinem Ruf als
Land der Erfinder und Ingenieure, aber auch als das der
Dichter und Denker gerecht werden. Wir wollen an diese
Tradition anschließen, weil wir wissen, dass nur so der
Wohlstand, von dem wir heute zehren, in der Zukunft er-
halten werden kann. Darum setzt die Hightechstrategie
auf die Förderung moderner Entwicklungen wie in den
Bereichen Nanotechnologie, Gesundheit, Optik, Welt-
raumtechnologie und Produktionswesen. Die Chancen
für Technologiesprünge liegen in den Grenzbereichen,
etwa zwischen Nanotechnologie und Biotechnologie
oder zwischen der Textil- und der Automobilindustrie.
(Vorsitz: Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt)
Wir machen aber auch Ernst mit der Verbindung von Na-
tur- und Geisteswissenschaften. Der Mittelansatz für die
Geisteswissenschaften wird beträchtlich erhöht, weil sie
existenziell sind, um Antworten auf die komplexen Fra-
gen unserer Zeit zu finden.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Die Strategie setzt auch auf die Vervielfachung der
eingesetzten Mittel. Um das 3-Prozent-Ziel von Lissa-
bon zu erreichen, müssen wir nicht nur den Anteil der
Wirtschaft erhöhen, sondern wir müssen vonseiten die-
ses Bundestages auch eine Forderung an die Länder rich-
ten, ebenfalls ihren Beitrag zu leisten. Gerade nach der
Föderalismusreform ist das eine sehr wichtige Aussage.
(Beifall bei der SPD)
Wir als Bund werden nicht allein erfolgreich sein,
wenn es um das Erreichen des 3-Prozent-Zieles geht.
Wir brauchen die Wirtschaft und die Länder. Das ist eine
sehr wichtige Forderung.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Nicht nur ich finde diese Ideen gut und richtig, die wir
als CDU/CSU in der vergangenen Legislaturperiode ent-
wickelt haben, sondern sie werden auch von der Wissen-
schaft gelobt. Die Forschungsprämie – ein Vorschlag,
den wir entwickelt haben –
(Cornelia Pieper [FDP]: Das ist nicht richtig!)
richtet sich gerade an die Mittelständler – auch in den
neuen Bundesländern – und an die Hochschulen. Sie för-
dert die Kooperation, die heute in der Tat ein Problem
ist. Forschung und Entwicklung findet zunehmend in
den Unternehmen oder im Ausland statt. Wir müssen
diesen Trend umkehren und die Hochschulen stärker mit
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inbinden. Deswegen ist die Forschungsprämie notwen-
ig.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir setzen auch ein deutliches Zeichen bei der Pro-
ektförderung. Ein Aufwuchs von 14,6 Prozent im
ommenden Jahr bedeutet, dass neue Ideen eingearbeitet
erden. Die Projekte haben eine begrenzte Laufzeit und
ei der Projektförderung gibt es einen hohen Eigenan-
eil. Das ist eine besonders große Innovation. Die Pro-
ektförderung ist ein deutliches Signal, dass es der Re-
ierung mit Forschung und Entwicklung ernst ist.
Die Forschungsinstitute können sich im Gegensatz zu
er Situation vor einem Jahr unter der Vorgängerregie-
ung darauf verlassen,
(Zuruf von der SPD: Na, na! – Weiterer Zuruf
von der SPD: 3 Prozent jedes Jahr!)
ass wir einen kontinuierlichen Aufwuchs haben. Wir
rinnern uns an die Diskussion, als die Haushalte über-
ollt wurden, und sich zum Beispiel die Max-Planck-Ge-
ellschaft oder das Fraunhofer-Institut an uns gewandt
aben. Jetzt können wir sagen: Wir halten an dem Auf-
uchs von 3 Prozent fest. Darauf können sich die For-
chungsinstitute in Zukunft verlassen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Unterm Strich kann man sagen: Wir sind auf einem
uten Weg. Diesen Weg sollten wir fortsetzen. Dahinter
teht eine klare Aussage: Dieses Land will wieder etwas.
ieses Land will nach vorne. Es meldet sich zurück im
nternationalen Wettbewerb in der Wissensgesellschaft.
Diese Bundesregierung macht auch Schluss mit den
deologischen Glaubenskämpfen in der Forschungs-
olitik. Es ist vielleicht eine der größten Veränderungen,
ass nun Schluss ist mit der mutwilligen Verhinderung
on Technologien in unserem Land. Unter Rot-Grün
urde die Grüne Biotechnologie bekämpft.
(Widerspruch bei der SPD)
ie deutsche Spitzenstellung in der Sicherheitstechnik
er Kernenergie wurde gefährdet. Bei der Kernfu-
ionstechnik sind wir bewusst ins Hintertreffen geraten.
chwerpunkte für die eigene Politik zu setzen ist das
ine. Etwas anderes ist es, bewusst Technologien zu ver-
indern und zu zerstören. Damit vergeht man sich an der
ukunft.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das geht zu
weit!)
as ist eine besonders bösartige Form grüner Klientel-
olitik, die wir in den letzten Jahren erlebt haben und die
un Gott sei Dank zu Ende geht.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Uns sind Ideen und neue Gedanken wichtiger. Überall
m Land merkt man ein Aufatmen, weil die Menschen
erken, dass jetzt ein neuer Wind durch dieses Land
eht.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4923
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(B) )
Michael Kretschmer
Die Diskussion geht heute noch weiter. In dem Antrag
der Grünen zur Technologiepolitik ist vieles aufgeführt,
was nicht gemacht werden soll. Danach soll kein Geld
für Fusionsforschung und Grüne Biotechnologie ge-
währt werden. Es ist viel vom Gefährdungspotenzial die
Rede. Außerdem soll die Raumfahrt überprüft werden
und vieles mehr. Das ist das Gegenteil von dem, was wir
wollen. Wir setzen auf Fortschritt und neue Technolo-
gien.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN)
Wir wollen den Menschen Mut machen und wir wollen,
dass sie sehen, dass etwas vorangeht.
Das Gleiche gilt für die FDP. Es ist zum Teil zum Pie-
pen, auf welch flachem Niveau die Diskussion verläuft,
(Beifall der Abg. Priska Hinz [Herborn]
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
beispielsweise wenn wir zu hören bekommen, dass die
Ministerin uns nicht informiert hat, in welchen Häusern
wie viel Geld für die Hightechstrategie ausgegeben
wird. Frau Flach, Sie wissen es. Sie sind Mitglied des
Haushaltsausschusses. Ihnen wurde schon vor vielen
Wochen die Liste überreicht, in der eindeutig aufge-
schlüsselt ist, welches Haus wie viel zur Hightechstrate-
gie beiträgt. Das ist auch richtig so. Die Zahlen sind
sehr interessant.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Flach?
Michael Kretschmer (CDU/CSU):
Aber selbstverständlich.
Ulrike Flach (FDP):
Herr Kretschmer, ich freue mich, dass Sie mir Gele-
genheit geben, das klarzustellen. Sie wissen, dass es
nicht um Summen geht, die irgendwo eingetragen sind.
Vielmehr geht es um die Frage der titelscharfen Eingren-
zung der einzelnen Positionen in den einzelnen Ressorts.
Es wäre schön, wenn Sie Ihre Kollegen von SPD und
Union dazu befragten. Dann käme heraus, dass eine titel-
scharfe Abgrenzung nicht möglich war.
(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Da haben Sie Recht!)
Den entsprechenden Bericht erhalten wir erst in den
nächsten Wochen. Die Frage lautet: Wissen Sie das
nicht, Herr Kretschmer?
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Michael Kretschmer (CDU/CSU):
Liebe Frau Kollegin, Sie haben in der Debatte etwas
ganz anderes gesagt. Sie haben gesagt, es sei nicht klar,
welches Haus wie viel beiträgt. Darauf bin ich eingegan-
gen.
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(Ulrike Flach [FDP]: Zuhören ist besser!)
lles andere wird sich in den Haushaltsverhandlungen
eigen. Natürlich wird im Haushalt – das wissen Sie –
eder Titel einzeln aufgeführt. Wir sollten ehrlich mitei-
ander umgehen. Wir sollten diese große Strategie nicht
it Kleinkram kaputtmachen.
Es ist ziemlich klar, dass in der Wissensgesellschaft
icht mehr die Großen die Kleinen schlagen; schon eher
ewinnen die Schnellen gegen die Langsamen. Es
ommt noch etwas anderes hinzu: Die Mutigen werden
ie Ängstlichen schlagen. Deswegen müssen wir den
enschen Mut machen. Die Bundesregierung und wir in
er Koalition tun das. Wir müssen auf Fortschritt setzen.
ir müssen Ja zu den neuen Technologien sagen. Das
uss sich in der Gesellschaft herumsprechen. Wir müs-
en es in die Gesellschaft – in die Universitäten, in die
chulen, in die Familien – tragen.
Hierbei geht es natürlich auch um die Frage der Aus-
ildung. Jeder, der ein Studium oder eine Ausbildung be-
innt, will wissen, ob das, was er studiert oder lernt, in
ukunft eine Chance hat. Deswegen ist es wichtig, das
ignal auszusenden: Wir wollen die neuen Technolo-
ien; wir setzen auf den Fortschritt; wir sind wieder im
ettbewerb angekommen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
en Drucksachen 16/2577, 16/2083, 16/2621 an die in
er Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
en. Die Vorlage auf Drucksache 16/2628 – das betrifft
agesordnungspunkt 5 c – soll an dieselben Ausschüsse
ie die Vorlage auf Drucksache 16/2083 betreffend Ta-
esordnungspunkt 5 d und zusätzlich an den Finanzaus-
chuss, den Verteidigungsausschuss und den Ausschuss
ür die Angelegenheiten der Europäischen Union über-
iesen werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist
er Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b sowie
usatzpunkt 7 auf:
6 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Laurenz
Meyer (Hamm), Thomas Bareiß, Veronika
Bellmann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Ludwig Stiegler, Dr. Rainer Wend, Dr. Angelica
Schwall-Düren, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
Das Nationale Reformprogramm Deutschland
und die Lissabon-Strategie weiterführen –
Wirtschaftswachstum und Beschäftigungspoli-
tik zum Erfolg führen
– Drucksache 16/2629 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Auswärtiger Ausschuss
4924 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
b) Unterrichtung durch die Bundesregierung
Nationales Reformprogramm Deutschland 2005
bis 2008
Umsetzungs- und Fortschrittsbericht 2006
– Drucksache 16/2467 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Thea
Dückert, Matthias Berninger, Brigitte Pothmer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Mehr Ehrgeiz bei der Erreichung der Lissa-
bon-Ziele
– Drucksache 16/2622 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich
höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-
sen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Bundesminister für Wirtschaft und Technologie,
Michael Glos.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft und
Technologie:
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Lissabonstrategie ist ein ehrgeiziges Re-
form- und Wachstumsprogramm. Die Fragen lauten:
Was tun wir? Was tut Europa? Was können wir im inter-
nationalen Kontext gemeinsam tun, damit das Ganze
nicht zu einer wirkungslosen Beschäftigung mit sich
selbst wird? Alle von uns eingeleiteten Reformen und
Einzelmaßnahmen haben ein großes Ziel: mehr Wachs-
tum und Beschäftigung auch in Europa.
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Wir in Deutschland gehen voran. Wir sanieren die öf-
entlichen Finanzen und die sozialen Sicherungssys-
eme. Die Haushaltskonsolidierung wird dabei überwie-
end von Kürzungen auf der Ausgabenseite und dem
bbau von Steuervergünstigungen getragen, so wie es
on allen Seiten ständig gefordert wird. Anders als pro-
nostiziert warten wir nicht, bis uns das Wasser bis zum
als steht. Vielmehr handeln wir rechtzeitig.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD)
Wir nutzen den Aufschwung und kommen wegen
onjunkturbedingter Mehreinnahmen schneller voran als
rwartet. Davon werden auch die Beitragszahlerinnen
nd Beitragszahler durch sinkende Abgaben profitieren.
ir sehen zurzeit nicht nur eine bessere Konjunktur,
ondern auch dauerhafte Wachstumsperspektiven. Das
aben wir uns immer gewünscht. Das Prognosespektrum
ür die Konjunktur geht nach oben. Der Deutsche Spar-
assen- und Giroverband, der nahe am Puls der Bevölke-
ung ist, spricht bereits von einem Wachstum in Höhe
on 2,5 Prozent in diesem Jahr. Für 2007 gibt es erste
achstumserwartungen, die bis zu 1,7 Prozent reichen.
avon geht beispielsweise das RWI Essen aus. Das
eißt, die geplante Mehrwertsteuererhöhung, die wir we-
en der finanziellen Konsolidierung leider vornehmen
üssen, wird das Wachstum nicht zerstören. Das ist eine
ute Nachricht.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD)
Vor allen Dingen ist es eine gute Nachricht, dass die
nternehmungen in Deutschland zusätzliche Arbeits-
räfte einstellen, und zwar auch im Bereich der sozial-
ersicherungspflichtigen Beschäftigung. Die Bundesre-
ierung investiert in starkem Maße zusätzlich in
orschung und Entwicklung; darüber haben wir in die-
em Haus gerade debattiert. Ich finde, es ist richtig, dass
ir als stärkstes Land in der Mitte Europas vorangehen
nd bei dem, was wir im Jahr 2000 in Lissabon gemein-
am beschlossen haben, eine Vorbildfunktion für andere
uropäische Länder übernehmen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD)
Unsere Energiepolitik gibt – das wird ein wichtiges
hema unserer europäischen Ratspräsidentschaft sein –
ntworten auf europäische und globale Fragen der
nergieversorgung. Bis zur zweiten Hälfte des Jahres
007 werden wir ein energiepolitisches Gesamtkonzept
ntwickeln. Dazu gehört vor allen Dingen die Erhöhung
er Kraftwerkskapazitäten. Wir lassen uns hier nicht
urch Drohungen einschüchtern nach dem Motto „Wenn
hr diese oder jene Maßnahme ergreift, dann bauen wir
icht“. Das nehmen wir nicht allzu ernst; denn dann wer-
en andere dies übernehmen. Wir werden zudem darauf
chten, dass der europäische Energiemarkt besser funktio-
iert als bislang. Ich halte das für eine wesentliche Auf-
abe unserer Ratspräsidentschaft.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4925
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Bundesminister Michael Glos
Ich bin dafür, dass wir an der strikten Regulierung der
Netze festhalten, so wie es beschlossen ist und die Bun-
desnetzagentur ausführt. Ich bin allerdings gegen eine
Verstaatlichung der Netze. Die Diskussion darüber
bringt uns nicht weiter. Ich meine, dass eine Verschär-
fung der Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende
Energieunternehmen ein wichtiges Thema ist, mit dem
wir uns beschäftigen sollten. Ich werde deswegen eine
Kartellgesetznovelle auf den Weg bringen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Europa hat beim Thema Wachstum und Beschäfti-
gung zwei Gesichter. Bei der Öffnung der Märkte und
der Sorge um industrielle und private Verbraucher ist die
Kommission Treiber und Überwinder nationaler Wider-
stände. Aber jede Medaille hat zwei Seiten. Auf der an-
deren Seite ist die Kommission für viel bürokratischen
Wildwuchs verantwortlich. Insbesondere diesen möchte
ich in der Zeit der deutschen Ratspräsidentschaft aufs
Korn nehmen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Ein wesentlicher Beitrag aus Brüssel bestünde bereits
darin, die zunehmenden Eingriffe in die Kompetenzen
der Mitgliedstaaten zu beenden, vor allen Dingen bei
vielen kleinen Dingen. Besonders ärgerlich ist die Ten-
denz der Kommission, verstärkt in die Verwaltungs-
strukturen der Mitgliedstaaten einzugreifen; das sorgt
nur für Ärger. Wir lehnen dies ab. Nun soll es noch mehr
EU-Kommissare und -Behörden geben. Diese halten die
Menschen von Europa in mentaler Hinsicht oft nur ab;
denn vieles, was sie tun, verärgert die Menschen. Die
EU sollte sich vielmehr im Rahmen des Lissabonprozes-
ses auf ihre originären Zuständigkeiten besinnen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Verehrter Herr Kollege Brüderle, Sie sprechen nach
mir. Ich weiß nicht, was Sie sagen werden. Ich nehme
an, wir sind uns in einem einig. Ich bin überzeugt, dass
wir beide nichts davon halten, dass man auf Etiketten
von Weinflaschen drucken soll, dass Weintrinken der
Gesundheit schadet.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Ich bin der Meinung, dass Wein – in Maßen genossen –
im Gegenteil die Gesundheit fördert.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der
FDP)
Das ist nicht nur ein Beispiel von parteiübergreifendem
Konsens in diesem Haus, sondern auch ein Beispiel da-
für, welche Verrücktheiten sich die EU-Kommission und
bestimmte Kommissarinnen und Kommissare einfallen
lassen.
(Martin Zeil [FDP]: Die Weinbergstrategie
statt der Lissabonstrategie!)
Deswegen werden wir neue Regelungen auf ihren euro-
päischen und nationalen Mehrwert hin prüfen. Ich kann
zum Beispiel in einer solchen Maßnahme keinen Mehr-
wert erkennen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
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Trotz allen Ärgers – Mehrwert entsteht, wenn wir den
innenmarkt weiter vertiefen. Die deutschen Unterneh-
en wickeln über 60 Prozent ihres Exports im europäi-
chen Raum ab. Deswegen müssen verbliebene Han-
elshemmnisse abgebaut werden. Auch bessere
echtsetzung ist ein zentrales Thema. Wir müssen bei
euen Überlegungen Bürokratie durch Rechtsfolgenab-
chätzung vermeiden. Wir müssen Bürokratie zurück-
ehmen, wo es überflüssig gewordene Vorschläge gibt.
s ist noch sehr viel in der Pipeline, was früher abge-
ickt worden ist und jetzt zur Umsetzung ansteht. Hier
üssen wir vermeiden, immer noch draufzusatteln und
amit zusätzlichen Ärger zu verursachen. Ich könnte
eispiele bringen, aber ich lasse sie wegen der Redezeit
nd wegen des Friedens in der Koalition weg. Vor allen
ingen müssen wir manche bestehenden Rechtsnormen
bschaffen, die kaum jemand braucht. Davon gibt es ge-
ug. Die Kommission wäre gut beraten, wenn sie auch
as auf den Tisch legen würde.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Auf europäischer Ebene brauchen wir bestmögliche
ahmenbedingungen für eine gesunde, international
tarke Industrie. Richtig verstandene Industriepolitik
ann dazu beitragen. Ich bringe ein Beispiel. Es sind die
rgebnisse, die auf dem Automobilsektor mit der Initia-
ive CARS 21 auf den Weg gebracht worden sind. Hier
eht es darum, längerfristig Abgasnormen und andere
tandards zu entwickeln, an die sich die europäische In-
ustrie halten muss. Wir wollen während unserer Präsi-
entschaft auch bei der Raumfahrt, bei der Informations-
nd Kommunikationstechnologie und beim Maschinen-
au ein Stück vorankommen.
Die europäische Gemeinschaft, die Gemeinschaft der
uropäischen Völker, unsere Kultur- und Wertegemein-
chaft, wenn man so will, muss sich international be-
aupten können. Auch das ist ein Ziel, das wir in unserer
räsidentschaft verwirklichen wollen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD)
ir lesen viel – Untergangspropheten haben eine beson-
ers gute Konjunktur in manchen Zeitungen – über auf-
nd absteigende Wirtschaftsräume. Der unbefangene
ürger muss denken, China und Indien seien inzwischen
usterländer der Produktivität und des Wohlstands. Ich
ann nur sagen: Man muss sich das alles einmal genau
nschauen. Hier gibt es differenzierte Entwicklungen.
us jeder Statistik das herauszusuchen, was einem be-
onders gut oder schlecht gefällt, und uns möglicher-
eise Ghana als Vorbild hinzustellen, trägt nicht zur
laubwürdigkeit bei.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD)
as soll nicht heißen, dass wir uns zufrieden zurückleh-
en können und nichts mehr zu tun brauchen, sondern
as soll heißen, dass wir in Europa genügend Kraft und
elbstbewusstsein haben, um uns in der Welt behaupten
u können, wenn wir zusammen die Stärken, die in Eu-
opa vorhanden sind, nutzen. Dafür, dass wir zwangsläu-
ig absteigen müssen, gibt es weder historische noch
4926 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
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Bundesminister Michael Glos
wirtschaftliche Gesetzmäßigkeiten. Wir entscheiden
durch unsere Leistung und durch unseren Ehrgeiz über
unsere Möglichkeiten.
Der Schlüssel zur Gestaltung der Globalisierung, die
uns sehr beschäftigt, ist die Europäische Union. Nur ge-
meinsam bringen wir das notwendige Gewicht dafür auf.
Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass Handels-
hemmnisse in der Welt abgebaut werden. In der Doha-
runde gibt es leider im Moment einen Stillstand. Der
multilaterale Ansatz des Abbaus der Handelshemmnisse
muss erhalten bleiben. Peter Mandelson war diese Wo-
che wieder bei mir. Ich habe ihn aufgefordert, gemein-
sam mit uns die Zwischenzeit zu nutzen, um bilaterale
Handelsabkommen auf den Weg zu bringen. Aber das
soll nicht heißen, dass wir von der multilateralen Lösung
Abschied nehmen wollen. Ich hoffe, dass die Runde wie-
der in Gang kommt.
Wir können uns auch überlegen, möglicherweise stär-
ker mit dem amerikanischen Wirtschaftsraum zu koope-
rieren; aber das ersetzt nicht alles. Das Richtige ist, mul-
tilateral im Rahmen der WTO zu handeln.
Es gibt vieles, was wir nur gemeinsam durchsetzen
können. Ich nenne den Schutz des geistigen Eigentums.
Ich war letzte Woche sehr lang mit dem Ministerpräsi-
denten Wen Jiabao zusammen. Die Chinesen sehen ein,
dass das notwendig ist; sie sagen es zumindest. Aber es
muss dort natürlich auch umgesetzt werden. Das ist et-
was, was wir nicht allein erreichen können, was wir nur
im Rahmen der WTO und im Rahmen Europas lösen
können.
Wir müssen natürlich auch alle kriminellen Machen-
schaften auf unserem Gebiet bekämpfen. Dabei hilft
zum Beispiel der Finanzminister mit seinen Zollbehör-
den.
Wir wollen unsere europäische Reformagenda ent-
schlossen nutzen und werden Zeichen setzen, wie wir
Europa gemeinsam nach vorn bringen – zum Nutzen der
Bürgerinnen und Bürger Europas und zum Nutzen der
Deutschen.
Herzlichen Dank.
(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Bei-
fall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
FDP)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat nun der Kollege Rainer Brüderle für die
FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Rainer Brüderle (FDP):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Bundesregierung hat uns einen Tätigkeitsbericht vorge-
legt. Das will ich nicht kritisieren. Sich über seine Tätig-
keiten klar zu werden, kann nie falsch sein. Angesichts
der Koalitionsstreitereien an allen wesentlichen Re-
formbaustellen beschränkt sich vieles auf allgemeine
Absichtserklärungen. Manchmal wird ein Thema nur
angerissen, werden nur Schlagwörter genannt, ohne eine
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dee dazu, wie ein Problem gelöst werden soll. Bei allen
irklich wichtigen Reformbaustellen bleibt Ihr Bericht
ebulös; manches ist schon wieder Makulatur. Von Um-
etzung und Fortschritt ist in diesem Umsetzungs- und
ortschrittsbericht an vielen Stellen nichts zu sehen.
Es ist höchste Zeit, das hinter dem Bericht der Bun-
esregierung stehende Konzept kritisch zu beleuchten:
(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Wo ist denn da eines?)
ie Lissabonstrategie.
(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Ach so!)
arüber müssen wir an dieser Stelle sprechen. Es hört
ich zunächst einmal sehr gut an, dass sich die EU zum
iel gesetzt hat, bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten und
ynamischsten Wirtschaftsraum der Welt zu werden.
agegen hat selbstverständlich niemand etwas. Ent-
cheidend sind aber die Mittel, die zu diesem Ziel führen
ollen.
Was die europäischen Staats- und Regierungschefs im
ärz 2000 in Lissabon beschlossen haben, lässt ganz of-
ensichtlich weite Interpretationsspielräume. Das ist
uch an den heute zur Debatte stehenden Anträgen zu er-
ennen. Man kann die Lissabonstrategie als ein Pro-
ramm zur Umstrukturierung der EU verstehen, als ein
rogramm zu mehr Flexibilisierung, zu mehr Freiheit im
innenmarkt. Das wären hehre Ziele. Dann kann man
ber einzelne Unterpunkte, Mittel und Maßnahmen treff-
ich streiten. Man kann den Lissabonprozess aber auch
ls zentralistischen Aktionismus verstehen, als einen
ersuch, die Wirtschaft mit Zielvorgaben zu lenken, als
eitrag zu der Idee, dass man Wachstum zentral planen
ann. Die Lissabonstrategie enthält zahllose verpflich-
ende Leitlinien, zahllose Zielvorgaben, zum Teil auch in
ich widersprüchliche Ziele. Ich erinnere etwa an den
ok-Bericht, der nach fünf Jahren eine Zwischenbilanz
ezogen hat.
Die Aktionspläne anderer EU-Länder sind ebenso
age wie die der Bundesregierung. Das zeigt: Die Pläne
aben in Wahrheit keine politische Bedeutung. Mit Fort-
chrittsberichten wird kein Wachstum erzeugt. Es kann
icht vorrangige Aufgabe der Politik sein, Beschäfti-
ungsquoten zu definieren, sie dann einzuhalten oder zu
erfehlen. Ziel muss sein, unser Land besser, lebenswer-
er, wohlhabender zu machen.
(Beifall bei der FDP)
as Ziel ist dann erreicht, wenn diejenigen, die arbeiten
ollen, auch eine Arbeitsstelle finden. Ich warne davor,
u sehr auf die Quoten zu schauen.
Von Anfang an wurde die Lissabonagenda von politi-
chen Zielsetzungen bestimmt, die das ökonomisch Not-
endige vernachlässigt haben. Deshalb hat die Strategie
isher versagt, so auch der Bericht von Herrn Kok. Sie
usste scheitern. Jede derartige Strategie muss an
achbarkeitsillusionen scheitern, die hinter diesem
onzept standen und stehen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4927
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Rainer Brüderle
Es haben andere Wirtschaftsräume im 20. Jahrhundert
versucht, mit der Festlegung von Wachstumsvorgaben
die Vereinigten Staaten an Wirtschaftskraft zu überho-
len. Wir alle wissen, das ist gescheitert. Es mutet grotesk
an, wenn Marktwirtschaften jetzt im 21. Jahrhundert mit
quasi planwirtschaftlichen Elementen Ähnliches versu-
chen.
(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das sehen
aber nur Sie so!)
Die Europäische Kommission lamentiert, die Umset-
zung durch die Mitgliedstaaten sei die Achillesferse der
Lissabonstrategie. Am liebsten würden einige Politiker
in Brüssel die gesamte Wirtschafts- und Arbeitsmarktpo-
litik zentralisieren.
Als im vergangenen Jahr jeder einsehen musste, dass
die Lissabonstrategie gescheitert war, wurde sie ein biss-
chen modifiziert, ein bisschen gestrafft. Sie soll jetzt ein
bisschen stärker auf Beschäftigung und Wachstum aus-
gerichtet sein. Andererseits sollen Wachstum und Be-
schäftigung stärker in den Dienst des sozialen Zusam-
menhalts gestellt werden. Weiterhin kann also jeder in
der Lissabonstrategie sehen, was er gern sehen möchte.
Europa strebt danach, für Forschung und Entwicklung
3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auszugeben und
eine Beschäftigungsquote von mindestens 70 Prozent
zu erreichen. Diese Vorgaben zu erfüllen, ist im Prinzip
nichts Schlechtes. Forschung und Entwicklung können
die Voraussetzung für Wachstum schaffen. Hohe Be-
schäftigung ist das Ziel unserer Wirtschaftspolitik. Aber
wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, damit sei es
getan.
(Beifall bei der FDP)
Zum Beispiel ist die Beschäftigungsquote seit Beginn
des Lissabonprozesses in Europa – auch in Deutsch-
land – gestiegen. Der Abstand zu den USA und zu Japan
hat sich verringert. Allerdings ist die Zahl der geleisteten
Arbeitsstunden in Europa im gleichen Zeitraum um
5,5 Prozent zurückgegangen. Damit wird der positive
Effekt für die Wachstumsstrategie letztlich aufgehoben.
Damit haben wir keinen Schub des Wachstums ausge-
löst.
(Beifall bei der FDP)
Bloße Zahlenvorgaben, ohne die ökonomischen Zu-
sammenhänge zu berücksichtigen, reichen nicht aus. Sie
schaffen kein Wachstum. Vorgaben für Beschäftigungs-
quote, für Jüngere, für Ältere schaffen per se nicht mehr
Wohlstand. Ja, wir wollen Jüngeren mehr Beschäftigung
bringen. Wir wollen Älteren mehr Chancen geben. Aber
damit haben wir es nicht geschafft.
Was Europa nur weiterbringen kann, ist: Wir müssen
stärker ein Europa des Wettbewerbs schaffen. Dazu ge-
hört eine Europäisierung der Wettbewerbspolitik.
Dazu gehört weniger Bürokratie beim innereuropäischen
Güter- und Dienstleistungshandel. Dazu gehört in der
Arbeitsmarkt-, Steuer- und Standortpolitik Wettbewerb
zwischen den Mitgliedsländern. Aber Wettbewerb ist in
der Lissabonstrategie kaum zu sehen. Die dort genannte
Methode der offenen Koordinierung – eines der Kernele-
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ente von Lissabon – ist keine offene Diskussion über
ine zweckmäßige Wirtschaftspolitik. Sie ist zuallererst
oordinierung und Planung. Das Ziel ist am Ende Har-
onisierung. Die Europäische Union drängt sich auf
iese Weise in Politikbereiche, für die sie keine Rege-
ungskompetenz hat.
(Beifall bei der FDP)
Für die Sektoren Soziales, Forschung und Gesundheit
twa ist sie gar nicht zuständig. Durch die Hintertür wird
o eine Standardisierung der Sozialpolitik betrieben.
urch die Hintertür bekommen wir europäischen Wirt-
chaftszentralismus. Über wissensbasiertes Wirtschafts-
achstum können wir uns freuen. Die Lissabonstrategie
ill den Sektor der Informationstechnologie fördern und
as Wachstum stärken. Herr Verheugen als EU-Kommis-
ar hat das präzisiert. Gefördert werden soll die IT-
ndustrie. Im Klartext heißt das: Industriepolitik für
roßunternehmen. So stelle ich mir ein erfolgreiches
uropa nicht vor.
(Beifall bei der FDP)
Das zeigt auch, wes Geistes Kind die Lissabonstrate-
ie ist. Sie wurde damals von 15 Mitgliedsländern in
issabon beschlossen, von denen elf sozialistisch oder
ozialdemokratisch regiert wurden. Sie wurde von Re-
ierungen beschlossen, die an die Steuerbarkeit der
irtschaft und an die zentrale Planung von Wachstum
laubten. Das ist aber eine Anmaßung von Wissen. Das
unktioniert nicht. Das ist vielleicht ein Stück Wiederbe-
ebungsversuch der Sozialistischen Internationale.
Man hat sich vom Lissabonprozess eine günstige
timmung für wachstumsfreundliche Reformen verspro-
hen.
(Kurt Bodewig [SPD]: Wo lebt er?)
ber in den Bereichen, in denen Europa mehr Wettbe-
erb schaffen könnte, scheitern die Ansätze kläglich an
ationalprotektionismus. Das Schicksal der Dienstleis-
ungsrichtlinie gleicht einer Beerdigung zweiter Klasse.
(Beifall bei der FDP)
uch sie war zentraler Teil der Lissabonstrategie. Sie
ar sogar eines der wichtigsten Vorhaben der Europäi-
chen Kommission. Europa hat an dieser Stelle bewusst
uf Wachstum verzichtet.
Jeder macht aus der Lissabonstrategie das, was ihm
erade recht ist: viel Prozess, wenig Ergebnis. Wer ver-
tanden hat, wie Marktwirtschaft funktioniert, konnte
icht viel mehr erwarten. Die Lissabonstrategie gilt als
offnungsträger für Europa. Wenn der Lissabonprozess
um Ziel hat, Europa wettbewerbsfähiger zu machen,
ehr Arbeitsplätze zu schaffen, Wirtschaft und Verbrau-
hern mehr Freiheiten zu geben, ist das positiv. Dazu
uss man sich allerdings von falschen Zielvorgaben ver-
bschieden. Dazu muss man Bürokratie abbauen, statt
uropäische Erfolgskontrollen einzuführen.
(Beifall bei der FDP)
azu müssen Märkte aufgebrochen werden, beispiels-
eise im Energiebereich.
4928 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
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Rainer Brüderle
Wir haben es ja aktuell im Fall Eon/Endesa erlebt:
Wir sind von einem freien europäischen Energiemarkt
noch weit entfernt. Es handelt sich um ein großes Politi-
kum, wenn sich im Energiebereich ein Unternehmen in
einem anderen Land engagieren will. Das wird sofort als
nationale Herausforderung angesehen. So schaltete sich
die spanische Regierung ein und es gab Gipfeltreffen. In
diesem Bereich gibt es noch keinen echten Markt in
Europa. Hier liegen die Probleme. Es handelt sich um
Pseudoliberalisierungen, solange es andere Hemmnisse
im grenzüberschreitenden Verkehr gibt. Das müssen wir
ändern.
(Beifall bei der FDP)
Wir brauchen in Europa einen Steuerwettbewerb und
keine einheitlichen Steuersätze. Das Einzige, was ver-
einheitlicht werden sollte, sind die Bemessungsgrundla-
gen. Das würde Vergleichbarkeit schaffen.
Wenn man meint, sich alles ersparen zu können und
mit immer mehr um sich greifender Koordinierung und
Harmonisierung den Wettbewerb in Europa quasi unter-
drücken und ihn ein Stück weit von Europa fernhalten zu
können, dann kann man gleich auf die Lissabonstrategie
verzichten und sie beerdigen.
Wir müssen in Deutschland eine Politik betreiben, die
unseren Investitionsstandort stärkt. Wir brauchen end-
lich eine Steuerreform. Aber diese wurde ja von der
großen Koalition auf die lange Bank geschoben. Wir
brauchen mehr Flexibilität, damit neue Arbeitsplätze
entstehen, betriebliche Bündnisse für Arbeit und eine
deutliche Senkung der Lohnnebenkosten.
(Martin Zeil [FDP]: Fehlanzeige!)
Dann werden sich unsere Unternehmen auch im Wettbe-
werb stärker behaupten und mehr Arbeitsplätze schaffen
können.
Im Antrag der Koalitionsfraktionen werden Anstren-
gungen für die Reform der Sozialversicherungen gefor-
dert. Diese soll vorangetrieben werden. Das ist richtig,
aber im Gesundheitswesen ist davon weit und breit
nichts zu spüren. Im Gegenteil, hier herrscht Rückschritt
statt Stillstand. Stillstand wäre dabei noch ein Fort-
schritt.
(Beifall bei der FDP)
Wir müssen die Bedingungen für Bildung und For-
schung am Standort Deutschland verbessern. Das ist Vo-
raussetzung für Innovationen.
Für all diese Vorhaben brauchen wir aber keine Koor-
dination auf europäischer Ebene. Europa sollte sich in
den wirtschaftsrelevanten Politikbereichen konzentrie-
ren auf die Durchsetzung von Wettbewerb, auf den Sta-
bilitätspakt, auf die Umstellung seines Haushaltes – weg
von Subventionen, hin zu Investitionen. Das würde den
Rahmen schaffen, damit Europa wettbewerbsfähiger
wird. Aber den Wettbewerb zwischen den Regionen und
zwischen Konzepten, Ideen und Wegen quasi über Stan-
dardisierung und Harmonisierung zu unterdrücken, ist
nicht das Konzept, wie Europa an die Spitze der Ent-
wicklung kommt.
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(Beifall bei der FDP)
Deshalb ist für mich bei einer Debatte über diesen
hemenbereich das Zentrale, über die Strategie zu spre-
hen. Es geht nicht an, zu sagen, weil es sich um Europa
andelt, ist das tabu und es reicht aus, uns zum stärksten
irtschaftsraum der Welt zu erklären. Damit hat man
ein Problem gelöst. Wir haben es oft genug erlebt:
iese visionären, fast theologischen Aussagen bringen
eine Lösung unserer Probleme. Zu Hause den Laden in
rdnung zu bringen, seine Hausaufgaben zu erledigen,
nd zwar im Wettbewerb mit europäischen Nachbarn
nd anderen Regionen, ist die Aufgabe, die wir angehen
üssen. Nur durch einen fairen, offenen Wettbewerb
ann sich die bessere Lösung durchsetzen und nicht
urch Unterlaufen des Wettbewerbs, indem pseudoeuro-
äisch standardisiert und harmonisiert wird. Damit wird
ur verhindert, dass sich der beste Standard bzw. Lö-
ungsansatz durchsetzen und die beste Steuerpolitik für
uropa prägend wird. Viele wollen das jedoch nicht und
ehmen Zuflucht zu Wegen, die am Ziel vorbeiführen.
Vor diesem Hintergrund ist es Zeit, über die Grundla-
en dieses Prozesses zu diskutieren, statt sie zu tabuisie-
en und eine Schimäre vor sich her zu tragen. Redlich-
eit und Ehrlichkeit bringen Europa voran. Schöne
amilienfotos,
(Ute Kumpf [SPD]: Sie wären aber gern als
Minister auf dem Foto dabei! Geben Sie es
zu!)
olle Treffen der Regierungschefs und große Deklaratio-
en leisten nur einen Beitrag dazu, dass Europa eher bei
en Menschen an Vertrauen verliert als gewinnt.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat nun die Kollegin Doris Barnett für die
PD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Doris Barnett (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
as war kein Meisterstück, lieber Rainer Brüderle.
Deutschland als größte Volkswirtschaft Europas hat
en Auftrag, alles zum Gelingen der Vereinbarungen
on Lissabon aus dem Jahr 2000 beizutragen. Heute
wir haben es gerade gehört – gibt es viele Skeptiker,
ie sagen, Lissabon sei gescheitert, wir sollten das Ziel
ufgeben, die Europäische Union bis zum Jahre 2010
um wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissens-
asierten Wirtschaftsraum der Welt machen zu wollen.
ie sagen weiterhin, wir seien nicht fähig, ein dauerhaf-
es Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Ar-
eitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt
u schaffen. Man brauche mehr Markt und Wettbewerb;
as sei das einzige Ziel.
Sicher hätte sich Europa die Frage nach der Erreich-
arkeit der ursprünglichen Lissabonziele schon früher
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4929
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Doris Barnett
stellen können, statt sich damit erst im letzten Jahr zu be-
fassen. Denn die Weltwirtschaft hat sich seit der Be-
schlussfassung im März 2000 negativ entwickelt. Der
11. September 2001 ist nur ein Faktor von vielen. Sollen
wir aber nun aufgeben und die Flinte ins Korn werfen,
nur weil wir allzu ehrgeizig waren? Nein, natürlich
nicht. Das tun wir doch auch hierzulande nicht. Nur wer
sich ehrgeizige Ziele steckt, erreicht am Ende des Tages
mehr als der mit nur einer niedrigeren Latte.
Richtig ist, dass eine Neuausrichtung der Lissa-
bonstrategie notwendig ist. Wir steuern mit dem jetzt
vorgelegten Reformprogramm das Unsrige dazu bei,
weil unsere Anstrengungen der letzten Jahre endlich
Wirkung zeigen. Die Konjunkturerholung in Deutsch-
land – wie auch in anderen Teilen Europas – wird end-
lich spürbar. Nicht zu unterschätzen sind auch die
finanzpolitischen Entscheidungen, die niemandem hier
leicht gefallen sind. Aber sie werden mithelfen, die
Wachstumskräfte der Wirtschaft zu aktivieren und damit
neue Beschäftigungschancen zu eröffnen. Immerhin ha-
ben bei einer Umfrage in der letzten Woche rund
60 Prozent der befragten Unternehmen angegeben, dass
sie bereits in diesem Jahr neue, zusätzliche Arbeitsplätze
schaffen werden. Das ist ein Erfolg der schon länger ein-
geleiteten Reformpolitik in Deutschland.
(Beifall bei der SPD)
Diese eingeleitete Wachstums- und Beschäftigungs-
strategie wird allerdings umso erfolgreicher sein, je
besser es uns gelingt, die verschiedenen Politikfelder op-
timal miteinander zu verbinden und auf Wachstum und
Beschäftigung auszurichten. Schließlich wollen wir,
dass die Unternehmen ihr Potenzial voll entfalten und im
Wettbewerb bestehen können. Zum Potenzial der Unter-
nehmen gehören ja gerade gut ausgebildete Fachkräfte
und die nötige Innovationsfähigkeit. Sie sind – neben der
Finanzpolitik, der gezielten Förderung von Forschung
und Entwicklung und dem Ausbau der Infrastruktur –
wichtige Garanten für die Zukunftsfähigkeit der Unter-
nehmen.
Alle am Wirtschaftsleben Beteiligten wissen, wie sehr
es auf gut ausgebildete Fachkräfte in ausreichender
Zahl ankommt. Letzte Woche, als ich mit dem Unteraus-
schuss „Regionale Wirtschaftspolitik“ in Mecklenburg-
Vorpommern war, wurde uns nicht vorgejammert. Aber
die Unternehmen sagten uns, wie händeringend sie
Fachkräfte suchen. Denn in der Zwischenzeit haben sich
neben einigen wenigen großen Unternehmen auch viele
kleine und mittelständische Firmen dort niedergelassen,
die zum Teil Weltmarktführer in ihrem Sektor sind.
Von entscheidender Bedeutung ist hierbei das persön-
liche Engagement, das durch keine Richtlinie, Verord-
nung oder Gesetz ersetzt werden kann. Da gibt es den
Wirtschaftsförderer, der nicht nur Broschüren druckt,
sondern Klinken putzen geht und für Ansiedlungen
wirbt. Da gibt es die Bürgermeisterin, die sich mehr um
Betriebe und um den Abbau von Bürokratie kümmert.
Da gibt es den Wirtschaftsminister, der ständig auf
Achse ist, um über persönliche Kontakte zu Firmen
rechtzeitig Weichen im Lande zu stellen.
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Ich bin froh, sagen zu können, dass der Osten unseres
andes aufholt – nicht mit alter Industrie, sondern mit
em, was Lissabon fordert: wissensbasiert. Dafür brau-
hen wir allerdings noch eine ganze Weile unsere GA-
ittel und die Mittel aus den EU-Strukturfonds. Wir
rauchen aber auch die Anstrengungen vor Ort, um
unge Menschen ausbildungsreif ins Berufsleben zu ent-
assen. Wir brauchen vor allem Unternehmer, die ehrgei-
ig und risikobereit sind, die gewillt sind und begreifen,
ass eine Ausbildung über den derzeitigen Bedarf hinaus
ie absehbaren Engpässe in wenigen Jahren erst gar
icht entstehen lassen.
(Beifall bei der SPD)
Auch das gehört zu Lissabon: Dynamik entsteht mit
eitsicht. Weitsicht und Innovationsfähigkeit haben et-
as mit dem Willen zu tun, in Wissen zu investieren.
as müssen die Unternehmen, das müssen die Länder
nd das müssen die Betroffenen selbst, die Menschen,
uch wollen.
Darum strengen wir uns an, das ständige Weiterler-
en, das so genannte lebensbegleitende Lernen, zum
anz selbstverständlichen Teil der Arbeitswelt werden
u lassen. Die Anstrengungen, die die Menschen in ihre
igene Beschäftigungsfähigkeit stecken, werden ihnen
um Vorteil gereichen, weil sie ihren Wert im Sinne von
rbeitspreis steigern. Denn der Mangel an gut qualifi-
ierten Mitarbeitern wird zunehmen, nicht zuletzt wegen
er demografischen Entwicklung. Wir müssen und wer-
en uns überall dort besonders anstrengen, wo Ressour-
en wichtig, aber knapp sind.
Das ist so bei den Menschen in unserem Land; das ist
ber auch so in Sachen effiziente Nutzung der Energie.
it intelligenten Werkstoffen – in der Debatte zuvor ist
ies angeklungen –, die unsere Chemiker, Ingenieure
nd Laboranten entwickeln und erproben, gelingt es, den
ärmebedarf von Häusern dramatisch zu reduzieren.
as geht herunter bis auf null Energie, ja sogar bis zu
nergie plus. Damit aus diesen Forschungsergebnissen
nd Pilotprojekten, in die wir gerne staatliche Gelder
tecken, ein preiswertes Produkt für die Masse wird und
amit Arbeitsplätze im Handwerk gesichert und weitere
eschaffen werden, unterstützen wir Sanierungswillige
seien es Einzelpersonen oder auch Kommunen – mit
ünstigen Krediten der KfW. Das waren bisher
,4 Milliarden Euro für 2006 plus 200 Millionen Euro
us 2005, die allerdings schon im Mai dieses Jahres ver-
usgabt waren. Weil wir mit diesem Projekt einen richti-
en Renner initiiert haben – ich muss zugeben, dass die
ohen Energiekosten als überzeugendes Argument daran
rheblich mitgewirkt haben –, ist es wohl nicht unziem-
ich, darüber nachzudenken, die Fördersumme beizube-
alten bzw. sie ab dem nächsten Jahr sogar anzuheben.
ielleicht entwickeln auch die Bausparkassen Sonder-
rogramme für CO2-Vorhaben ihrer Sparer.
An diesem Beispiel lässt sich zeigen, wie die Lissa-
onstrategie praktisch funktioniert: Wir fördern eine
luge Energiepolitik, die Innovationskräfte in der For-
chung und anschließend in Unternehmen freisetzt.
ightechprodukte werden mit gut ausgebildetem, quali-
iziertem Personal hergestellt. Unterstützt durch gezielte
4930 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
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Doris Barnett
Finanzhilfen ist es der Bevölkerung möglich, in nachhal-
tige Sanierungs- und Neubaumaßnahmen zu investieren,
was im Handwerk zu Arbeit und Arbeitsplätzen und da-
mit nicht nur zur Stärkung der Steuereinnahmen, son-
dern auch der Sozialsysteme führt. Der CO2-Ausstoß,
der zu 40 Prozent von Privathaushalten verursacht wird,
wird reduziert. Das nenne ich nachhaltige Wirtschafts-
politik im Sinne der vereinbarten Lissabonstrategie.
Dazu bedarf es aber eines starken Staates. Starke Ellen-
bogen hätten das nämlich nicht erreicht.
Das jetzt vorgelegte Nationale Reformprogramm gibt
ausführlich Auskunft darüber, wie sich die Wirtschafts-
lage gestaltet und wie der gesamtwirtschaftliche Rahmen
ausgestaltet wird, wie der strukturelle Wandel voranzu-
bringen ist und wie der Arbeitsmarkt auf die neuen He-
rausforderungen ausgerichtet werden muss. Ich gebe zu:
Natürlich kann es von der EU nicht einen Plan für alle
Länder geben.
Mit unserem Antrag stellen wir, die Koalitionsfraktio-
nen, klar, welche Themen wir besonders berücksichtigt
haben wollen, weil sie unserer Meinung nach für Wirt-
schaftswachstum und sozialen Zusammenhalt von he-
rausragender Bedeutung sind. Allerdings will ich in der
jetzigen Debatte nicht verhehlen, dass die Umsetzung
der Lissabonstrategie durch die Kommission auch behin-
dert wird. Es ist ja bekannt, dass wir mit unserem For-
schungsprogramm, unserer Förderung von Mittel-
standsprojekten, den GA-Mitteln und natürlich auch mit
den EU-Geldern die vorgegebenen Ziele der Lissa-
bonstrategie unterstützen. Deshalb ist es für mich umso
unverständlicher, dass die Beihilfenkontrolle der EU-
Kommission seit langem darauf ausgerichtet ist, den
Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten im Bereich der
Regionalförderung systematisch einzuengen. Denn
gleichzeitig drängt die Kommission mit ihrer eigenstän-
digen Regionalförderung im Rahmen der Strukturfonds
immer stärker in originäre Zuständigkeitsbereiche der
Mitgliedstaaten.
Aus der Kommission ist in letzter Zeit immer häufi-
ger zu hören, dass die Mitgliedstaaten eigentlich kein
Recht mehr haben sollten, neben der EU-Regionalförde-
rung eine eigene nationale Förderung zu betreiben. Die
neue Strukturfondsverordnung und das Vorgehen der
Kommission bei deren Umsetzung verstärken diese zen-
tralistischen Tendenzen; in dieser Beziehung gebe ich
Herrn Brüderle gerne Recht.
(Martin Zeil [FDP]: Er hat überhaupt Recht!)
Am Ende dieses Prozesses könnte nämlich stehen,
dass die Förderung schwacher Regionen primär von der
EU betrieben wird und die Mitgliedstaaten sich an dieser
Politik bestenfalls im Wege der Kofinanzierung beteili-
gen können. In keinem anderen Bereich verletzt die
Kommission zurzeit so eklatant das Subsidiaritätsprin-
zip wie im Bereich der Regionalpolitik. Damit wird den
Mitgliedstaaten ein wichtiges Werkzeug aus der Hand
genommen, um die von ihnen zu verantwortende natio-
nale Reformpolitik umzusetzen. Wir können doch jetzt
nicht anfangen, für einen Durchgriff der EU-Kommis-
sion die integrierten Politikprozesse wieder aufzudrö-
seln.
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Bund und Länder bestehen deshalb zu Recht darauf,
ass die Mitgliedstaaten ausreichende Möglichkeiten be-
alten, eine eigenständige Regionalförderung als Teil
es Nationalen Reformprogramms zu betreiben.
Es muss weiterhin Sache der Mitgliedstaaten sein, zu
ntscheiden, wie die in den einzelnen Regionen beste-
enden Probleme zu beheben sind. Die Mitgliedstaaten
üssen in der Lage sein, ihre eigenen, regionalen Pro-
leme mit eigenen Mitteln zu lösen; denn sie tragen die
olitische Verantwortung dafür.
Ausgangspunkt und Basis für die Lösung von Regio-
alproblemen, die in die nationale Problemlösung einge-
en, muss der jeweilige Mitgliedstaat sein. Bei beson-
ers gravierenden Regionalproblemen kann die EU die
nstrengungen der Mitgliedstaaten zur Lösung dieser
robleme unterstützen, aber nicht umgekehrt. Das Ziel
ines einheitlichen Wirtschaftsraums Europa ist kein
reibrief für Bestrebungen der Kommission, das Subsi-
iaritätsprinzip, wo immer es geht, zu unterwandern.
eshalb prüfen auch wir die Brüsseler Vorschläge sehr
ritisch, zum Beispiel zur Dienstleistungsrichtlinie.
Die Lissabonstrategie ist trotz allem ein wichtiges
nd brauchbares Instrument. Mit dem vorgelegten Natio-
alen Reformprogramm wollen wir zu ihrem Gelingen
eitragen. Wir laden Sie alle ganz herzlich ein mitzuma-
hen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Diether Dehm für
ie Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Dr. Diether Dehm (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! „Mehr
hrgeiz bei der Erreichung der Lissabonziele“ beantra-
en heute die immer noch mit ihrer Oppositionsrolle rin-
enden Grünen. Die Bundeskanzlerin wollte die Lissa-
onstrategie im vergangenen Mai mit vollem Herzen
nterstützen: Das A und O in einer Welt zunehmender
idersprüche sei wirtschaftlicher Erfolg. Welch eine
rmselige Schrumpfung menschlichen Glücks auf die
ewinnziffern der Konzerne und Großbanken!
(Beifall bei der LINKEN)
Frau Bundeskanzlerin, werte Regierende, soweit an-
esend, wenn Sie weiterhin wollen, dass die Profitdefi-
ition wirtschaftlichen Erfolgs das A und O in dieser
elt ist, werden Sie eine demokratische Revolution be-
irken, wie sie in Lateinamerika bereits begonnen hat.
Ihre Strategie wird aber nicht nur an uns scheitern,
ondern auch an Ihnen. Die EU sollte bis 2010 – das ist
n 40 Monaten – die dynamischste Region der Welt wer-
en, stärker noch als die USA. Herr Glos, Sie lachen da
war nicht, aber da lachen doch die Hühner.
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Ha, ha!)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4931
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Dr. Diether Dehm
Mehr und bessere Arbeitsplätze, sogar Vollbeschäfti-
gung und ein gestärkter sozialer Zusammenhalt waren
damals als Ziele der Lissabonstrategie formuliert wor-
den. Von alledem ist nichts übrig geblieben. Der Wachs-
tumsabstand zu den USA ist lange Jahre immer größer
geworden.
Auf dem Brüsseler Frühjahrsgipfel 2005 wurden die
Prioritäten abgespeckt. Die soziale Rhetorik, wie etwa
der ursprünglich angekündigte Kampf gegen Armut und
soziale Ausgrenzung, ist faktisch tot. Lissabon heißt bei
uns: Nationales Reformprogramm, Agenda 2010, Hartz IV
sowie jede Menge neue Armut, Insolvenzen von Klein-
unternehmen und Entlassungen. Die Situation ist für die
Betroffenen meist ausweglos.
(Beifall bei der LINKEN)
Als Sie, Kolleginnen und Kollegen von der FDP, die-
sen Neoliberalismus noch auf der Regierungsbank ver-
schärfen durften, hat Ihr Herr Friedhoff – Herr Brüderle,
vielleicht erinnern Sie sich noch an ihn – öffentlich eine
andere Vor-Lissaboner Katze aus dem Sack gelassen. Ich
zitiere sinngemäß: Wir werden den Kommunen so lange
das Geld streichen, bis sie nichts mehr zu verkaufen ha-
ben. Das wurde zum Desaster für unsere Gemeinden.
Aber die Menschen wehren sich. Die Linke konnte
bei der Kommunalwahl vor etwa zehn Tagen in Nieder-
sachsen mit 136 Abgeordneten in die Kommunalparla-
mente einziehen. Bisher hatte sie 13 Kommunalmandate
inne. Das ist eine Verzehnfachung. Ähnliches geschah
im Frühjahr bei der Kommunalwahl in Hessen.
(Beifall bei der LINKEN – Martin Zeil [FDP]:
Zum Thema!)
– Zum Thema: Zeigen Sie mir einmal eine Partei, die bei
der Kommunalwahl in Hessen und Niedersachsen so
stark gewonnen hat wie die Linke!
(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Was war in Berlin?)
Das liegt auch an Ihrer neoliberalen Politik. Das ist für
uns ja von Vorteil. Machen Sie weiter mit dieser Politik,
stärken Sie uns weiter!
Die Megakoalition von Helmut Kohl bis Gerhard
Schröder, von Sabine Christiansen bis Dieter Hundt, von
den Wirtschaftsgrünen bis zu den Wirtschaftsliberalen,
von der Freihandelskanzlerin bis zum Dieter Bohlen des
Verfassungsrechts, Udo Di Fabio, will den Menschen an
den Fernsehapparaten Nacht für Nacht einbläuen, es
gäbe keine Alternative zum Kaputtsanieren der öffentli-
chen Haushalte, zu Lohnstreichungen und brutalen Ren-
tenkürzungen. Aber immer mehr Menschen fragen sich
und zum Glück auch uns, Gewerkschafter und linke Kir-
chenleute: Warum ist der Staat nur dort innovativ, wo er
die Profite und Aktienkurse der Konzerne und damit die
Managergehälter mästet? Warum zieht er sich dort zu-
rück, wo er ein Helfer für die Menschen mit kleinen und
mittleren Einkommen sein soll? Warum finanzieren
überwiegend Lohnsteuerzahler und Handwerksmeister
die staatlich vorgehaltenen Netze in diesem Land, mit
denen Finanzspekulanten, die Energiekonzerne und die
Deutsche Bank dann ihre Profite machen, und zwar ohne
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ich an der Finanzierung der staatlichen Logistik auch
ur halbwegs zu beteiligen?
(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Was macht
denn Herr Wolf in Berlin?)
Was macht Herr Wolf in Berlin? Ich denke, die verhan-
eln dort jetzt über die Regierung. Fragen Sie mich in
iesem Zusammenhang nicht, was Herr Wolf jetzt in
erlin macht. Ich weiß allerdings, dass er und seine Par-
ei in Berlin oft versucht haben, das abzufedern, was von
er Bundesebene den Gemeinden und Ländern aufge-
ürdet wurde.
(Beifall bei der LINKEN)
anchmal ist das Verhindern des Schlimmsten schon ein
ortschritt.
Ihr Nationales Reformprogramm will Deregulierung.
as heißt auf gut Deutsch: Gesetzlosigkeit für die
lobalplayers. Sie unterbieten die Steuern in anderen
taaten, machen den Staat arm und bewirken damit wei-
ere Steuersenkungen bei den Nachbarstaaten. Aber wo
oll denn diese Abwärtsspirale enden? Oskar Lafontaine
at Ihnen oft genug die Auswege gezeigt:
(Martin Zeil [FDP]: Ja, aber da war er in der
SPD!)
örsensteuer, Schließung der Steueroasen, Kampf gegen
ie Hedgefonds und keine Senkung der Unternehmen-
teuer. Darum gibt es auch die Hasstiraden der Herren
eck und Struck und anderer aus der einstmals dritten
arnitur der SPD.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Es wurde empirisch unwiderlegbar nachgewiesen:
eutschland liegt laut OECD-Statistik satte 6 Prozent
nter der durchschnittlichen Steuerquote in der EU. Das
teuerdumping kommt also nicht von der Welt über
ns, es kommt vor allen Dingen von uns in die Welt. Es
eißt uns und andere in die Tiefe.
(Zuruf von der SPD)
Hören Sie einmal genau hin.
Ich zitiere die „FAZ“ von gestern zu den wahren Ur-
achen der gewaltsamen Unruhen in Ungarn – die
FAZ“ ist ja nicht gerade die Zeitung der Linken –:
(Ute Kumpf [SPD]: Das sind Neonazis!)
Zwar hat das Land bedeutende westeuropäische
und amerikanische Investoren angelockt, aber dies
mit Steuerbefreiungen bezahlt, so daß der Staats-
haushalt nicht konsolidiert werden konnte.
as zu den Unruhen in Ungarn.
ATTAC, die bedeutende junge Organisation von Glo-
alisierungskritikern, sagt:
Wenn sich Nationalstaaten auf Steuerdumping ein-
lassen, verlieren alle … Um diesen ruinösen Wett-
lauf zu beenden, fordern wir:
In der EU: Einheitliche Bemessungsgrundlagen
und Gewinnsteuersätze … Langfristig: Weltweit
4932 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
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Dr. Diether Dehm
einheitliche Konzernbesteuerung auf Basis einheit-
licher Bemessungsgrundlagen, …
ATTAC schlägt vor:
Eröffnet ein EU-Konzern eine Filiale in einem
Land mit niedrigem Gewinnsteuersatz, muss die
Differenz zum Steuersatz in der EU nachversteuert
werden …
Warum blenden Sie diese Alternativen ständig und so
dogmatisch aus?
(Beifall bei der LINKEN – Swen Schulz [Spandau]
[SPD]: Machen wir doch nicht!)
Eine Politik, die ungerührt den wenigen nutzt, verliert
das Vertrauen der vielen. Aber der Widerstand der vielen
wächst.
Ich danke für Ihre Geduld.
(Beifall bei der LINKEN – Ute Kumpf [SPD]:
Der Dieter Bohlen der PDS!)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nun hat das Wort der Kollege Laurenz Meyer für die
CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn es so einfach wäre, wie es von der Linken zum
Schluss vorgetragen wurde,
(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Dann wür-
den Sie es machen! Dann würden Sie an die
Macht der Konzerne gehen! – Gegenruf der
Abg. Ute Kumpf [SPD]: Der Dieter Bohlen
der Linken macht es sich einfach!)
und wenn es dann auch noch richtig wäre, dann wären
wir froh. Aber so einfach kann man es sich nur machen,
wenn man nicht bereit ist, sich mit der Wirklichkeit in
der Welt auseinander zu setzen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD und der FDP)
Dazu kann man nur sagen: Erhalte mir meine Vorurteile,
hilf mir nicht weiter und lass mich meinen Verstand
nicht gebrauchen! Da hört es für mich auf. Deswegen
will ich mich damit auch nicht weiter beschäftigen.
Es geht darum, dass die Situation, in der wir uns be-
finden, gegenüber den Vorjahren ernsthaft verbessert ist,
dass wir aber diesen Prozess verstetigen müssen, wenn
wir unsere Ziele erreichen wollen.
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: So ist es!)
Ich persönlich habe nichts dafür übrig, dass jetzt bei uns
das große Lied von der Sorge gegenüber den Asiaten,
China usw. angestimmt wird. Ich empfehle uns allen in
dieser Auseinandersetzung ein gesundes Selbstbewusst-
sein, aber auch Mut.
Um das, was in den vergangenen Jahrzehnten entstan-
den ist, etwa in China, realistisch beurteilen zu können,
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uss man sich ein bisschen von den Prozentzahlen lö-
en. Angesichts von 10 Prozent Wachstum in China ge-
enüber 2 Prozent Wachstum bei uns denkt man erst ein-
al: Mein Gott, holen die auf! Aber sie holen bisher
icht auf.
(Ute Kumpf [SPD]: Auf einem niedrigen
Niveau!)
as Pro-Kopf-Einkommen in Westeuropa ist in den letz-
en 20 Jahren von 11 000 Dollar auf 22 000 Dollar ge-
teigert worden. Der Abstand zu den Chinesen ist heute
eitaus größer als noch vor 20 Jahren.
Die bestehende Situation kann zwar nicht mit Pro-
entzahlen beschrieben werden, muss aber trotzdem
rnst genommen werden, weil es um eine große Masse
eht, weil sich in China natürlich etwas tut und weil wir
der Herr Wirtschaftsminister hat dankenswerterweise
ehr ausführlich darüber gesprochen – in den WTO-Ver-
andlungen, zum Beispiel über den Schutz geistigen
igentums, wirklich ernste Probleme zu bewältigen ha-
en. Aber ich rate uns zu Mut statt zu einer Schnecken-
ausmentalität. Wir haben in Europa und in Deutschland
twas vorzuweisen. Jetzt gilt es, das zu sichern und aus-
ubauen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD)
Wir sollten schauen, wo unsere Stärken liegen. Ich
ange einmal mit dem Thema Energie an, das der Wirt-
chaftsminister ja breit behandelt hat. Unsere Stärken la-
en in der Vergangenheit sicher darin, dass wir einen
uten und nach Risikostreuungsgesichtspunkten ausge-
ogenen Energiemix hatten.
(Martin Zeil [FDP]: Bis zu Rot-Grün!)
iesen gilt es zu erhalten. Dass Stichworte wie Wirt-
chaftlichkeit und Kosten überhaupt wieder eine Rolle
pielen, ist der neuen Koalition zu verdanken. Diese Ge-
ichtspunkte waren in der Zeit der rot-grünen Koalition
eider etwas zu stark in den Hintergrund getreten.
(Gudrun Kopp [FDP]: Das merkt man aber
noch!)
Wir haben in unserer Koalitionsvereinbarung ambitio-
ierte Ziele im Energie- und Umweltbereich aufgestellt.
etzt sollten wir alles daransetzen, diese ambitionierten
iele auf möglichst effiziente Weise zu verwirklichen.
(Martin Zeil [FDP]: Das wäre schön!)
eshalb – das sage ich hier für unsere Fraktion ganz
lar, auch an die Adresse des Umweltministers – werden
orhaben, die zusätzliche Kosten verursachen und nicht
nbedingt nötig sind, zum Beispiel bezüglich der Wärme
n den Haushalten und Energiepass, von uns nicht unter-
tützt. Hier muss geschaut werden, wie wir unser Ziel
öglichst kostengünstig erreichen können. Dabei unter-
tützen wir den Wirtschaftsminister in seinen Absichten.
ir sollten hier nicht immer noch mehr draufsatteln, so-
ass das Ganze sehr teuer wird, sondern überlegen, wie
an es am effizientesten erreichen kann.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4933
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Laurenz Meyer (Hamm)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP – Gudrun Kopp [FDP]: Ener-
gieprogramm!)
– Weil Sie das gerade sagen, will ich noch einmal unter-
streichen: Unser Energiemix ist richtig und sollte nach
Möglichkeit in der breiten Streuung, die wir haben, auch
erhalten bleiben.
(Martin Zeil [FDP]: Mit der Kernenergie!)
– Aus unserer Sicht mit der Kernenergie. Das ist in dem
Zusammenhang einfach eine Frage des Verstandes, was
übrigens auch die allermeisten Länder, die sich von der
Kernenergie abgewandt hatten, so sehen. Ich bin ganz
sicher, dass der Diskussionsprozess zu dieser Frage auch
in Deutschland weitergehen wird.
Meine Damen und Herren, die Zementierung unserer
Arbeitsmärkte ist durchaus ein Schwachpunkt. Das ist
wiederholt festgestellt worden, jetzt wieder von den in-
ternationalen Organisationen. Die Frage, über die wir
hier diskutieren müssen, ist: Wie bekommen wir – ge-
rade jetzt, wo sich die Konjunktur bewegt und wir Wirt-
schaftswachstum haben – möglichst viele schneller in
den Arbeitsmarkt hinein? Hier geht es auch um die zen-
trale Frage, ob nicht erst bei 2 Prozent oder 1,5 Prozent
Wachstum eingestellt wird, sondern, wie auch in anderen
Ländern, schon bei 0,7 Prozent.
(Beifall der Abg. Ilse Aigner [CDU/CSU])
Lassen Sie uns schauen, wo in diesem Zusammen-
hang in Europa die besten Lösungen gefunden worden
sind, wo es in Europa vernünftige Steuersysteme und
Arbeitsmarktreglementierungen gibt. Ich nenne als Bei-
spiel Dänemark, das hier große Erfolge hatte, und zwar
bei sozialer Absicherung und gleichzeitig mehr Freiheit
in den Beziehungen am Arbeitsmarkt. Wir sollten über
solche Dinge wirklich ohne Scheuklappen reden und
nachdenken,
(Martin Zeil [FDP]: Die Scheuklappen sitzen
links!)
dabei immer die Interessen unserer Beschäftigten im
Auge haben und schauen, wie Menschen in Arbeit kom-
men können. Mehr Arbeit schaffen in Deutschland und
den Menschen die Angst nehmen, ihren Arbeitsplatz zu
verlieren, das ist für uns nach wie vor die zentrale sozial-
politische Aufgabe, die auch etwas mit Sicherheit zu tun
hat.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD und der FDP)
In diesem Zusammenhang ist die Wettbewerbsfähig-
keit unserer Wirtschaft von großer Bedeutung. Im Rah-
men der Gesundheitsreform müssen wir ernsthaft über
dieses Thema diskutieren. Dieser Wachstumsmarkt muss
stärker vom Markt gesteuert werden. Die Krankenversi-
cherungen müssen miteinander im Wettbewerb stehen.
Auf diese Weise müssen die Kosten in Grenzen gehalten
werden.
Darüber hinaus müssen wir die Lohnzusatzkosten
senken. Das tun wir zum Beispiel durch die Senkung des
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eitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung zum 1. Ja-
uar nächsten Jahres.
Bei der Energieversorgung in Deutschland müssen
ir dafür sorgen, dass nicht funktionierende Märkte bes-
er funktionieren. Dort, wo sie nicht funktionieren, muss
er Staat eingreifen und Missbrauch verhindern. Diese
ufgabe hat der Wirtschaftsminister beschrieben. Wir
nterstützen ihn und seine Strategie.
Gleichzeitig gilt es, alles zu tun, um zusätzlichen
ettbewerb zu fördern: sei es durch neu zu bauende
raftwerke, sei es durch den Wettbewerb aus dem Aus-
and. Hier spielen die Kuppelstellen und die anderen
hemen, über die hier bereits diskutiert worden ist, eine
ehr große Rolle.
Über die Hightechstrategie haben wir heute Morgen
esprochen. Auf diesem Gebiet sind wir vorne. Wir
üssen auch in Zukunft vorne bleiben und diese Stärke
usbauen. Das ist eine wichtige Aufgabe. Ich bin froh,
ass die Bundesregierung dieses Thema ins Zentrum ih-
er Politik gerückt hat, hierfür Geld in die Hand nimmt
nd die kleinen und mittleren Unternehmen auf diesem
eg mitnimmt.
Stichwort Bürokratieabbau. In dieser Woche haben
ir die Einsetzung des Normenkontrollrates erlebt. Wir
erden seine Arbeit begleiten. Gleichzeitig werden wir
en Bürokratieabbau mit einem zweiten Mittelstandsent-
astungsgesetz fortsetzen. Wir haben ja gesehen, in wel-
hem Umfang der deutschen Wirtschaft durch das erste
ürokratieabbaugesetz Kosten erspart werden konnten.
Bei der Unternehmensteuerreform und der Erbschaft-
teuerreform sind wir auf einem guten Weg. Damit set-
en wir ein wichtiges Zeichen dafür, dass die Unterneh-
en ihre Steuern wieder in Deutschland zahlen, dass die
orhandenen Arbeitsplätze erhalten bleiben und dass die
etriebe fortgeführt werden können. Das sind wichtige
ufgaben.
Hinzu kommen weitere politische Ziele, die wir nicht
us dem Auge verlieren dürfen. So muss zum Beispiel
ie verhängnisvolle Fehlsteuerung unseres Steuersys-
ems, dass Fremdkapital besser als Eigenkapital behan-
elt wird, korrigiert werden. Langfristig müssen wir zu
iner Eigenkapitalstärkung kommen, insbesondere im
nteresse der kleinen und mittleren Unternehmen. Das ist
ie richtige Richtung.
Wir werden die Rahmenbedingungen für die Förde-
ung von Wagniskapital verbessern, damit Deutschland
it den anderen europäischen Ländern konkurrieren und
ierzulande privates Geld für neue, junge und technolo-
ieorientierte Unternehmen mobilisiert werden kann.
Lassen Sie mich abschließend noch kurz ein Thema
ufgreifen, das uns im Herbst dieses Jahres beschäftigen
ird und über das sich insbesondere die PDS einmal Ge-
anken machen sollte. Es geht um eine Kerngruppe bei
en Arbeitslosen. Wir setzen mit unserer Wirtschafts-
olitik bei denjenigen an, die am Arbeitsmarkt gegen-
ärtig keine Chance haben, weil sie keine Berufsausbil-
ung oder keinen Schulabschluss haben.
4934 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
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Laurenz Meyer (Hamm)
Wir stehen vor folgender Alternative: Entweder ha-
ken wir diese Gruppe endgültig ab, kümmern uns nicht
mehr um sie und setzen nur noch auf Sozialtransfers
oder wir lassen uns Möglichkeiten einfallen, wie wir
diese Menschen durch eine Kombination von niedrige-
ren Löhnen und staatlichen Sozialtransfers wieder in Ar-
beit bringen können.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU):
Dafür zu sorgen, dass diese Menschen Arbeit bekom-
men, ist die zentrale Aufgabe, die wir im Herbst dieses
Jahres angehen müssen. Deswegen sage ich: Weg mit all
dem Unfug und ran an sachliche Lösungen im Interesse
der Bürger in Deutschland!
Unser Ziel ist – ich wiederhole es –, sozialversiche-
rungspflichtige Arbeitsplätze zu schaffen und den Men-
schen die Angst zu nehmen, ihren Arbeitsplatz zu verlie-
ren. Daran wird unsere Politik gemessen.
Danke schön.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD –
Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Dann
tun Sie das doch!)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Ich erteile das Wort nun der Kollegin Dr. Thea
Dückert für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vorab ein Wort an Herrn Dehm von der Linken: Ja,
Bündnis 90/Die Grünen wollen den europäischen Pro-
zess und wollen das Europa der Zukunft mitgestalten,
weil wir nämlich ein soziales und ökologisches und
wettbewerbsfähiges Europa wollen.
(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sieben Jahre
versagt! – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]:
Meinen Sie, wir wollen kein Europa?)
Deswegen haben wir einen Antrag vorgelegt, mit dem
wir von der Bundesregierung mehr Ehrgeiz einfordern,
Europa voranzubringen.
(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Die
Verfassung!)
Wir sind keine Verweigerer wie Sie, sondern wir wollen
mitgestalten und sehen hier erhebliche Handlungsdefi-
zite, auch aufseiten der Bundesregierung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sieben Jahre
Zeit gehabt!)
Die Bundeskanzlerin hat erklärt, dass sie will, dass
Deutschland in Europa eine Spitzenposition einnimmt.
Das ist ein hehres Ziel, das zu unterstützen ist. Nur,
wenn man sich den Bericht über die Umsetzung der Lis-
sabonstrategie ansieht, muss man leider feststellen, dass
eigentlich Enttäuschendes präsentiert wird. Es ist ein-
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ach so – Sie stehen nicht dazu, Sie thematisieren das
icht einmal –, dass Deutschland auf dem Weg zur Errei-
hung der Ziele der Lissabonstrategie mit Trippelschrit-
en, wenn überhaupt, vorankommt. Das reicht nicht aus.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
n Ihrem Bericht, meine Damen und Herren, ist viel Ei-
enlob, wenig Konzeptionelles und auch nicht viel Ehr-
ichkeit enthalten. Wenn man dabei vorankommen will,
uropa zum wettbewerbsfähigsten wissensbasierten
irtschaftsraum der Welt zu machen, reicht es eben
icht, lauter „Wünsch dir was“-Vorschläge zu machen.
Das gilt auch für den Antrag der großen Koalition, für
en Frau Barnett hier gesprochen hat. Das ist ein klassi-
cher „Wünsch dir was“-Antrag, wie ich an den folgen-
en Beispielen zeigen will: Sie schreiben zu Recht, Sie
ollen die Erschließung von sozialversicherungspflich-
igen Beschäftigungspotenzialen forcieren und damit
chwarzarbeit und Schattenwirtschaft reduzieren. Das
lingt gut. Nur, ich glaube, dass die deutsche Bevölke-
ung auch wissen will, wie Sie das erreichen wollen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
enn die Menschen reiben sich im Moment die Augen:
it einer Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozent-
unkte in einem Schritt machen Sie genau das Gegenteil:
ie werden Schwarzarbeit forcieren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: So ist es!)
it Ihrem Plan, die Möglichkeiten, etwas dazuzuverdie-
en, für Leute mit kleinen Einkommen zu reduzieren
der ganz zu streichen, machen Sie genau das Gegenteil
on dem, was Sie im Zuge der Umsetzung der Lissa-
onstrategie machen müssen und was Sie hier verspre-
hen: Sie bereiten der Schwarzarbeit den Weg, Sie
achen ein richtiges Konjunkturprogramm für Schwarz-
rbeit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
In Ihrem Bericht versprechen Sie Brüssel, dass mit
em Ausbildungspakt auch in Zukunft bedarfsgerecht
usgebildet wird. Doch es ist nicht bedarfsgerecht ausge-
ildet worden. In Ihrem Bericht steht kein einziges Wort
arüber, dass zurzeit noch 215 000 Jugendliche einen
usbildungsplatz suchen. Sie sagen nicht, wie Sie dem
bhelfen wollen. Wir fordern in unserem Antrag unter
nderem, ein Sonderqualifizierungsprogramm für Ju-
endliche aufzulegen, weil gehandelt werden muss – der
usbildungspakt bringt es an dieser Stelle nicht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
ie sollten die geschönten Berichte, die Sie nach Brüssel
enden, zurücknehmen und sich den Problemen zuwen-
en! Das Problem liegt doch auf der Hand, es ist uns im-
er wieder bescheinigt worden, etwa mit der PISA-Stu-
ie: Deutschland ist mit seinem Schulsystem immer
och versetzungsgefährdet. Wir kommen voran, aber wir
erringern den Abstand zu den anderen europäischen
ändern nicht. Wir hatten heute Morgen eine Diskussion
ber Wissenschaft und Forschung. Wir sind im Hoch-
chulbereich an der Spitze – allerdings mit den Abbre-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4935
(A) )
(B) )
Dr. Thea Dückert
cherquoten. Gerade haben wir von der OECD beschei-
nigt bekommen, dass wir mindestens doppelt so viel
ausbilden müssen. Wir haben einen Braindrain, uns ren-
nen die jungen Leute weg, sie gehen ins europäische
Ausland. Hier müssen wir ansetzen. Sie erwähnen dieses
Problem in Ihrem Bericht nicht einmal.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Eine Weiterbildungsstrategie für Erwachsene ist nicht
zu sehen. Alle skandinavischen Länder haben doppelt so
hohe Weiterbildungsquoten als Deutschland. Wir ver-
schwenden in Deutschland gerade bei den älteren
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Wissen und Er-
fahrung – und das trotz einer problematischen demogra-
fischen Entwicklung. Sie sagen nichts dazu.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE
LINKE])
Ich behaupte, dass wir in Deutschland eine viel hö-
here Erwerbsquote bei Älteren hätten, wenn wir eine
konsequente Weiterbildungspolitik während des gesam-
ten Erwerbslebens durchführen würden – Stichwort: le-
benslanges Lernen. Ich sage Ihnen: Verrenten Sie Ihr
Programm „Initiative 50 plus“ – die Instrumente gibt es
sowieso schon – und legen Sie eine Gesamtstrategie und
eine Initiative für berufliche Weiterbildung gerade der
Älteren auf, die im Job und in den Betrieben sind. Dann
können Sie auch auf Ihre Fantasien vom Kombilohn ver-
zichten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie feiern in Ihrem Bericht die Frauenerwerbsquote.
Ja, sie ist gestiegen. Nehmen Sie aber doch einmal das
ganze Problem in den Blick. Sie ist zwar gestiegen, aber
für das Arbeitsvolumen der Frauen gilt das nicht. Die
Anzahl der Minijobs und der Teilzeitarbeit ist gestiegen.
Arbeitsplätze mit einer auskömmlichen Entlohnung sind
rar. Mit einer Differenz zwischen dem Frauen- und dem
Männerlohn von ungefähr 28 Prozent – so viel verdienen
Frauen in Vollbeschäftigung weniger als Männer – sind
wir in Europa wirklich ein Schlusslicht. Hierauf brau-
chen wir Antworten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Nirgendwo in Europa stehen Frauen beispielsweise
bei der Besetzung von Führungspositionen schlechter
da. Hierzu möchte ich Antworten von Frau Merkel, weil
ich mir sicher bin, dass Herr Glos, der ja auch nicht mehr
hier ist, keine Antworten zu diesem Thema liefern wird.
(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Frau Merkel denkt, eine
Kanzlerin reicht aus!)
Die Männerdominanz in den Führungsetagen, in der
Wissenschaft, in der Wirtschaft und am gesamten deut-
schen Arbeitsmarkt ist ein reales Innovationshindernis
für Deutschland.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Diese Lücke müssen wir im europäischen Kontext
schließen. Man sieht, dass das mit Selbstverpflichtungen
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icht klappt. Hier können wir uns ein Beispiel an den
esetzen in Norwegen nehmen.
Nirgendwo in Europa fehlen Arbeitsplätze für Ge-
ingqualifizierte in so großer Zahl. Gerade bei kleinen
inkommen sind die Lohnnebenkosten das größte Pro-
lem. Mit unserem Progressivmodell haben wir ein Kon-
ept dafür vorgelegt; wir wollen Steuergelder eben nicht
erschleudern, sondern gezielt für die Senkung der
ohnnebenkosten bei kleinen Einkommen einsetzen.
ier kann man mit Steuergeldern die effektivsten Ef-
ekte erzielen. Man darf sie nicht zum Stopfen von
aushaltslöchern verwenden, wie Sie das tun.
(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Oh, Frau
Dückert!)
Meine Damen und Herren, über das Thema Lohnne-
enkosten muss weiter diskutiert werden. Sie tun das ja
elber in Ihrem Bericht. Es ist ganz interessant: In dem
ericht schreiben Sie, dass die Lohnnebenkosten weiter
esenkt werden sollen. Bei Status und Zeitplan steht
ann – das haben wohl Ihre Beamten ziemlich ehrlich
ort hineingeschrieben –: „In Vorbereitung“. Ich sage:
och ehrlicher wäre es, wenn Sie darauf hinweisen wür-
en, dass dank Ihres Murkses bei der Gesundheitsreform
nd der Schwierigkeiten, andere Reformen durchzuset-
en, zunächst einmal ein Höhertreiben der Lohnneben-
osten auf Ihrer Agenda steht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Ich
weiß nicht, wo Sie das hernehmen!)
Das entnehme ich der aktuellen Debatte zur Gesund-
eitsreform und den Einlassungen der Kassen, die schon
arauf hinweisen, dass aufgrund dessen, was Sie hier
orlegen, im nächsten Jahr mit einem Beitragssatz von
öglicherweise 15 Prozent zu rechnen ist.
(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Sen-
kung der Beiträge zur Arbeitslosenversiche-
rung!)
enau an dieser Stelle trifft frei nach Müntefering der
atz zu: Was ich vor der Wahl verspreche, ist das eine
nd was ich nach der Wahl tue, ist garantiert das andere.
(Martin Zeil [FDP]: Wie in Ungarn!)
Es geht weiter – das sprechen Sie in Ihrem Umset-
ungsbericht nicht an –: Sie müssen zugestehen, dass Sie
ine Aktivierungsquote von nur 13 Prozent bei den
angzeitarbeitslosen haben. Das ist erheblich unter
em, was Ihnen von der EU vorgegeben ist. Sie sagen,
ir müssten die Langzeitarbeitslosen stärker fördern.
ies ist richtig. Aus Ihrem Munde ist das aber pure Heu-
helei, weil Sie viele Instrumente zur Integration von
angzeitarbeitslosen streichen, weil Sie die Mittel für
as Fördern nicht ausgeben, sondern sparen wollen, und
eil Sie tolerieren, dass das Fördern in Deutschland viel
u kurz kommt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Nehmen Sie sich – Herr Meyer, Sie haben es ange-
prochen; tun Sie es doch endlich! – ein Beispiel an Dä-
emark. Dort wurden Instrumente aufgelegt, die Sie in
4936 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
Dr. Thea Dückert
Deutschland gerade streichen wollen, beispielsweise die
Jobrotation. Reden Sie nicht nur, sondern handeln Sie
gemäß den Zielen, die Sie selber formuliert haben.
Eines Ihrer Ziele ist die Erhöhung der Zahl der Unter-
nehmerinnen und Unternehmer. Natürlich brauchen wir
mehr Unternehmerinnen und Unternehmer. Aber auch
dazu legen Sie widersprüchliche Konzepte vor. Bei der
Unternehmenssteuerreform, die Sie vorschlagen, werden
die großen Unternehmen mit etwa 8 Milliarden Euro
entlastet. Bei der Verwirrung, die Sie hier verbreiten, ist
zu vermuten, dass diese Entlastung von den kleinen und
mittleren Unternehmen bezahlt werden muss.
Wo sind denn die Konzepte für die Förderung von
kleinen Unternehmen und von Selbstständigen? Wo ist
denn zum Beispiel ein Konzept zur leichteren Unterneh-
mensgründung in Form einer GmbH? Wo ist denn ein
Konzept zur sozialen Absicherung von kleineren Unter-
nehmen? Sie sind doch allein auf die Großkonzerne
fixiert, während die mittleren und kleinen Unternehmen
sehen können, wo sie bleiben. Sie schaffen Eintrittshil-
fen für zukünftige Unternehmerinnen und Unternehmer
ab, indem Sie zum Beispiel Instrumente wie die Ich-AG
einkassieren, die gerade für Frauen und den Osten gut
sind. Das ist Ihre Politik.
Sie führen – Herr Glos übt das jedenfalls – eine Poli-
tik der modernen Wirtschaftsrhetorik ein, machen aber
genau das Gegenteil. Wir sind das einzige Land in Eu-
ropa, das noch immer ein mittelalterliches Relikt fördert,
nämlich den Meisterzwang. Schaffen Sie ihn im europäi-
schen Kontext ab und senken Sie die Lohnnebenkosten!
Dadurch werden wir Dynamik in den Arbeitsmarkt brin-
gen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Frau Kollegin, bitte denken Sie an Ihre Redezeit.
Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich komme zum Schluss. Herr Glos hat darauf hinge-
wiesen, dass wir demnächst die EU-Präsidentschaft
übernehmen werden, und erklärt, dass er gerade im
Energiebereich einiges tun will. Aber, Herr Glos – das
sage ich zum Abschluss –: Sie haben hier nur einen ein-
zigen Punkt genannt, nämlich die Steigerung von Kraft-
werkskapazitäten. Sie sind genau wie Herr Meyer – das
wurde in seinem Beitrag deutlich – beim Thema
Energieeffizienz blind und taub.
(Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]:
Na, na, na!)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist schon überschritten.
Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich komme zum Schluss. – Wenn wir Europa nach
vorne bringen wollen, dann müssen wir gerade im Be-
reich der Energieeffizienz Weltmeister werden; denn un-
ter dem Aspekt der Kosten, die Sie, Herr Meyer, selber
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eklagt haben, ist jede eingesparte Energiestunde die bil-
igste.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Rich-
tig!)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Kurt Bodewig
ür die SPD-Fraktion.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Kurt Bodewig (SPD):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
ollegen! Aufgabe der Opposition ist es, anzugreifen.
ber ich habe manchmal den Eindruck, dass hier mit
errbildern operiert wird, die von der Wirklichkeit mei-
enweit entfernt sind. Herr Brüderle machte den Auftakt,
ndem er die Lissabonstrategie en passant für gescheitert
rklärt hat. Werter Kollege, das war eine leicht ober-
lächliche Analyse. Wir sollten doch einmal beschrei-
en, was durch die Lissabonstrategie in Europa an rea-
en Veränderungen und Initiativen ausgelöst worden ist.
Ich will ein Beispiel nennen. Das Projekt „Galileo“
erfügt über eine hohe Technologiequalität und eine
ohe Anwendungsdichte. Mit diesem Technologievor-
prung werden wir uns weit vor alle anderen technologi-
chen Zentren dieser globalen Welt positionieren.
(Martin Zeil [FDP]: Das hat niemand
bestritten!)
ir sollten einmal zur Kenntnis nehmen, dass auch dies
in Teil der Lissabonstrategie ist, nämlich ein wissensba-
ierter und effizient arbeitender Wirtschaftsraum zu wer-
en.
Gescheitert ist die Lissabonstrategie bei der Festle-
ung des Zeitpunkts. Die Einschätzung, diese Ziele in-
erhalb von zehn Jahren zu erreichen, war zu ehrgeizig
nd nicht realistisch. Aber damit sind die Ziele selber
icht falsch.
Angesichts des Beitrags des Kollegen Dehm, der im
oment nicht da ist, sollten wir doch einmal feststellen,
ass die Agenda 2010 Wirkung zeigt. Alle Forschungs-
nstitute machen deutlich: Die getroffenen Maßnahmen
ntfalten positive Wirkungen auf dem Arbeitsmarkt. Un-
er Bemühen, soziale Sicherungssysteme zukunftsfest zu
achen, ist gelungen. Wir sollten ein bisschen von die-
en Zerrbildern wegkommen, weil Europa mit Sicherheit
in lohnendes Projekt ist.
Mit Blick auf die neuen Mitgliedstaaten können wir
urzeit eine Wohlstandsangleichung feststellen, die noch
or vier Jahren niemand für möglich gehalten hat. Die
ohlstandsangleichung findet übrigens nicht nur in die-
en Ländern statt, sondern wir sind als deutsche Volks-
irtschaft in einem hohen Maße an der Wohlstandsent-
icklung beteiligt, und zwar nicht nur durch Input,
ondern auch durch Wirtschaftsbeziehungen, die sich in
en Exportzahlen sehr deutlich widerspiegeln. Auch das
ollten wir an dieser Stelle klar machen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4937
(A) )
(B) )
Kurt Bodewig
Aus dem Umsetzungs- und Fortschrittsbericht zum
Nationalen Reformprogramm wird deutlich, dass wir
durchaus Erfolge erzielt haben. Beispielsweise liegen
wir bei der Frauenerwerbsquote mit 59,6 Prozent kurz
vor dem im Bericht genannten Ziel von 60 Prozent. Da-
rüber redet zwar niemand, aber ich finde, dass wir auch
das berücksichtigen sollten.
(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Wie ist das Arbeitsvolumen?
Das ist zurückgegangen!)
Auch bei den älteren Arbeitnehmern haben wir große
Fortschritte gemacht.
Es reicht aber nicht aus, stehen zu bleiben. Wir müs-
sen weitermachen. Dazu gehören Bildungsinvestitio-
nen. In den Haushaltsberatungen wurde deutlich, dass
die Zahlen sehr gut sind. Sie zeigen, dass wir versuchen,
das 3-Prozent-Ziel zu erreichen. Wir haben große Fort-
schritte erzielt und zusätzliche Investitionen vorgesehen.
Das gilt auch für die Verkehrsinfrastruktur und andere
große Strukturbereiche, für die im Bundeshaushalt die
Investitionen deutlich aufgestockt wurden. Ich glaube,
das ist ein gutes Zeichen: Die Volkswirtschaft springt an.
Ich teile die Auffassung des Bundeswirtschaftsminis-
ters. Wir werden auch die Klippe am Beginn des kom-
menden Jahres überschreiten. Die Dynamik, die sichtbar
wird, wird alle Prognosen – die der vergangenen Jahre
ohnehin, aber auch am Beginn dieses Jahres formulier-
ten – deutlich überschreiten. Das wird uns gelingen. Wir
werden an dieser Stelle weiterkommen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ulrich aus der Fraktion Die Linke?
Kurt Bodewig (SPD):
Gerne. Das machen wir im Ausschuss auch immer
gern.
Alexander Ulrich (DIE LINKE):
Herr Bodewig, Sie haben eben ausgeführt, dass die
Wohlstandsvermehrung in Deutschland mit der
Agenda 2010 und Hartz IV einhergeht. Ist Ihnen be-
wusst, dass wir eine zweigeteilte Gesellschaft haben?
Gerade gestern wurde veröffentlicht, dass unter Hartz IV
die Kinderarmut deutlich angestiegen ist. Glauben Sie
nicht, dass der Wohlstandsgewinn in Deutschland sehr
einseitig verteilt ist und dass die Masse der Bevölkerung
nichts davon hat?
(Beifall bei der LINKEN)
Kurt Bodewig (SPD):
Es gibt mit Sicherheit bestimmte Sektoren in unserer
Gesellschaft, die Nachteile erfahren haben. Mir sind aber
Berechnungen von Hartz-IV-Empfängern bekannt, nach
denen diese – etwa in einer Familie mit drei Kindern –
wesentlich besser dastehen als eine allein erziehende
Verkäuferin, die ihren Lebensunterhalt aus ihrem Er-
werbseinkommen bestreiten kann. Auch das sollten wir
zur Kenntnis nehmen.
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(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Hartz IV wurde von Ihnen als Stigmatisierungsbegriff
erwandt. Ich glaube, das ist falsch. Sie sollten sich noch
inmal die Instrumentarien und einzelnen Regelungen
eutlich machen und auch auf den Einzelfall beziehen.
Ich möchte auf einen weiteren Punkt hinweisen. Un-
er Ziel war es, durch Strukturreformen Impulse zu ge-
en. Die Zahlen zeigen, dass wir eine positive Arbeits-
arktentwicklung und eine aus diesen Strukturreformen
esultierende Fortentwicklung zu verzeichnen haben. Ich
öchte in diesem Zusammenhang an eine Bemerkung
on Herrn Meyer anknüpfen. Er hat gesagt, wir sollten
elbstbewusst auf das in diesem Land vorhandene Poten-
ial zeigen. Die Strukturreformen waren notwendig, um
ieses Selbstbewusstsein in einer positiven Arbeits-
arktentwicklung fortzuentwickeln. Ich glaube, das ist
ie Antwort auf Ihre Frage.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Ich will aber auch deutlich machen: Wenn es uns ge-
ingt, technologisch voranzukommen und große Projekte
uf den Weg zu bringen, dann ist es die nationale Auf-
abe in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union,
iese Impulse weiter zu verstärken.
Frau Kollegin Barnett hat auf einen Punkt hingewie-
en: Wie ist die Arbeitsteilung zwischen der Kommis-
ion und den Mitgliedstaaten? Ich glaube, es gibt nur
wei Wege. Es gibt entweder das Gemeinschaftsrecht
das füllen wir aus – oder eine gemeinsame Verständi-
ung darüber, dass europäische Initiativen, auch wenn
ie nicht durch Gemeinschaftsrecht geprägt sind, fortge-
etzt werden.
An dieser Stelle will ich noch einen Punkt erwähnen.
ir leben auch davon, dass wir in dieser globalen Welt
it sich neu entwickelnden Zentren wie Indien, Brasi-
ien und China – das wurde bereits erwähnt – konkurrie-
en. Die Konkurrenz darf aber nicht bei den Arbeitskos-
en stattfinden. Denn damit werden wir nicht mithalten.
s handelt sich um Länder, in denen Millionen Men-
chen keine Tarifverträge kennen. Sie erzielen Einkom-
en an der untersten Schwelle; eine Krankenversiche-
ung gibt es nicht. Das kann nicht der Maßstab sein.
ielmehr muss es um Kreativität gehen: Wir müssen in
ildung, in Forschung und in Wissenschaft investieren.
ir müssen Impulse geben. Vor allem müssen wir eine
entalität erzeugen, dass wir als geeintes Europa im
lobalen Wettbewerb bestehen wollen.
Dazu gehört auch etwas, das wir immer nur am Rande
rwähnen: Ein großer Vorteil unserer Volkswirtschaft ist,
ass wir das europäische Sozialmodell vertreten. Wir
eben den Menschen die Möglichkeit, unter den verän-
erten Bedingungen der globalen Auseinandersetzung
es gibt globale ökonomische Auseinandersetzungen,
onkurrenzen, Wettbewerbe – individuelle Sicherheit zu
inden. Deswegen ist es eine Aufgabe auf der europäi-
chen und der deutschen Agenda, das europäische So-
ialmodell in unseren gesamten europapolitischen Vor-
aben zu verankern. Das ist ganz entscheidend. Es ist ein
ichtiger Aspekt, der zum Erfolg führt. Deshalb ist es
4938 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
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Kurt Bodewig
sinnvoll, darüber nachzudenken, wie zukunftsfest unsere
sozialen Sicherungssysteme sind.
Gleichzeitig ist anzumerken, dass sich die europäi-
schen Länder hierbei angleichen werden. Herr Brüderle,
Harmonisierung ist keine Absage an den Markt. Harmo-
nisierung heißt, für gleiche Bedingungen bei der Produk-
tion zu sorgen. Es war einer der Kernfehler im ersten
Entwurf einer europäischen Dienstleistungsrichtlinie,
dass Folgendes nicht beachtet wurde: Wer zu den Bedin-
gungen eines anderen Landes bei uns in Deutschland auf
den Markt geht, der wird all diejenigen diskriminieren,
die sich an deutsches Recht, an deutsche Vorgaben hal-
ten. Das ist nicht sinnvoll. Es ist der richtige Weg, Quali-
tät und den Grundsatz „Gleiche Arbeit zu gleichen
Bedingungen“ innerhalb eines Landes mit innovativen
Konzepten zu verbinden.
(Beifall bei der SPD)
Deswegen war die Dienstleistungsrichtlinie in diesem
Punkt falsch.
Es ist uns gelungen – das zeigt der Fortschrittsbericht –,
in wesentlichen Feldern der Ökonomie weltweit präsent
zu sein. Eine ganze Reihe von deutschen Unternehmen
ist in Marktnischen erfolgreich und ist Weltmarktführer.
Die Voraussetzung dafür sind qualifizierte Beschäftigte.
Das Mitnehmen der Arbeitnehmer spielte in diesem Pro-
zess eine ganz wichtige Rolle.
Deutschland hatte nach dem Fall der Mauer – wir alle
begrüßen ihn –, nach dem Ende der Teilung Europas in
Ost und West zwei Lasten zu tragen: Kosten im europäi-
schen Prozess und Sonderbelastungen durch die deut-
sche Wiedervereinigung. Wären bei den Maastrichtkri-
terien die Sonderbelastungen einbezogen worden, hätte
man nie von der Verletzung der Defizitkriterien sprechen
können. Wir haben also eine doppelte Leistung erbrin-
gen müssen. Das hat natürlich Einfluss auf das Volumen
der Mittel, die wir zur Verteilung und für Initiativen zur
Verfügung haben.
In den 16 Jahren nach der deutschen Wiedervereini-
gung mussten hohe Aufwendungen erbracht werden; die
Mittel wurden erfolgreich eingesetzt. Wir sollten im eu-
ropäischen Ausland darstellen, dass Deutschland auf
doppelte Weise belastet war und trotzdem erfolgreich
den Weg vorangeschritten ist. Es gibt überhaupt keinen
Grund, dieses Land in den Keller zu reden. Es gibt eine
Kontinuität der Politik über die Jahre. Diese Koalition
wird den Weg voranschreiten. Der Fortschrittsbericht
zeigt sehr deutlich, dass Erfolge erreichbar sind, dass
aber noch nicht jeder Schritt gegangen ist. Wir sollten
diesen Weg in Europa gemeinsam weitergehen. Ich bin
optimistisch, dass dies gelingt. Als größte Volkswirt-
schaft der Europäischen Union tragen wir eine beson-
dere Verantwortung.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat nun die Kollegin Ulla Lötzer für die
Fraktion Die Linke.
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(Beifall bei der LINKEN)
Ulla Lötzer (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
rotz aller Beschwörung der konjunkturellen Erholung
urch Herrn Glos, Herrn Meyer und Frau Barnett müs-
en wir feststellen, dass die Europäische Union nach wie
or Nachzügler bei der wirtschaftlichen Entwicklung ist
nd nicht zum weltweit wettbewerbfähigsten Raum ge-
orden ist. Diese Entwicklung beruht maßgeblich auf
er italienischen und deutschen Wirtschaftspolitik. Die
achstumsrate Deutschlands in den letzten fünf Jahren
ar nicht einmal halb so hoch wie der Schnitt der
5 europäischen Staaten.
Ja, Kollegin Barnett, die Bundesregierung steht in ei-
er besonderen Verantwortung für die europäische Ent-
icklung und dafür, hier eine Wende einzuleiten. Im Ge-
ensatz zu Ihnen erkennen wir im vorgelegten Bericht
nd im Antrag keine Neuausrichtung.
Entscheidend für die im EU-Vergleich niedrige
achstumsrate ist und bleibt die Binnenmarktschwäche.
n Deutschland wurde der Anstieg des privaten Konsums
uf ein Sechstel der durchschnittlichen EU-Rate ge-
rückt. Daran ändert die leichte konjunkturelle Erholung
ichts. Auch im zweiten Quartal 2006 sank der private
onsum um 0,4 Prozent. Natürlich wird die geplante
ehrwertsteuererhöhung hier als Bremse wirken, Herr
los. Sie muss deshalb dringend zurückgenommen wer-
en.
(Beifall bei der LINKEN)
Einer der Hauptgründe ist die Entwicklung der
öhne und Gehälter in Deutschland. Während die
eallöhne im Schnitt der 25 EU-Länder 2005 stiegen,
anken sie in Deutschland um 1,8 Prozent. Statt einer
ende steht 2006 eine Fortschreibung dieser Entwick-
ung bevor. Nach wie vor hinkt Deutschland bei der
ohnentwicklung in Europa hinterher. Nach wie vor hat
eutschland im Gegensatz zu 18 europäischen Nachbar-
taaten keinen gesetzlichen Mindestlohn. Diese lohnpo-
itische Sonderrolle ermöglicht der deutschen Exportin-
ustrie, ihre Marktanteile zulasten der europäischen
achbarstaaten zu vergrößern. Dieser Faktor schafft al-
erdings erhebliche Ungleichgewichte in der EU. Dem
ehen die europäischen Nachbarn nicht tatenlos zu.
rotzdem heißt es in Ihrem Programm – Herr Meyer hat
as heute Morgen wieder gefordert –: Niedriglohnsektor
usbauen. Sie erhöhen die Gefahr eines europaweiten
bsenkungswettlaufs um die niedrigsten Löhne und Ge-
älter. Das wird nicht nur in Deutschland, sondern in
anz Europa die Wachstums- und Beschäftigungsdyna-
ik weiter bremsen.
(Beifall bei der LINKEN)
ie Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns ist
uch aus europäischer Sicht längst überfällig.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich komme nun auf die Unternehmensteuerreform
u sprechen. Herr Meyer, schauen wir uns Ihre Forde-
ungen vor dem Hintergrund der europäischen Entwick-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4939
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Ulla Lötzer
lung einmal genauer an. Nach Berechnungen der EU-
Kommission liegt die Steuerbelastung der Unternehmen
in Deutschland entgegen der von Ihnen gebetsmühlenar-
tig wiederholten Behauptung weit unter dem EU-Durch-
schnitt. Während die Steuern auf Vermögen und Unter-
nehmenseinkommen im EU-Durchschnitt 8,3 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts ausmachen, sind es in
Deutschland mickrige 5,6.
(Zuruf von der LINKEN: Hört! Hört!)
Es besteht also kein Anlass, im Namen der Wettbewerbs-
fähigkeit die Steuern weiter zu senken. Im Gegenteil: Es
gibt genügend Spielraum, die Vermögensteuer wieder
einzuführen und die Unternehmen endlich wieder an der
Finanzierung der Gesellschaft zu beteiligen.
(Beifall bei der LINKEN)
Bei der Marktöffnung konzentrieren Sie sich auf die
Fortschreibung der Energiemarktliberalisierung. Sie ig-
norieren dabei, dass die bisherige Liberalisierung zur
Herausbildung marktbeherrschender Energiekonzerne
geführt hat und dass sie eine der wesentlichen Ursachen
für die gestiegenen Gewinne dieser Konzerne, aber vor
allem auch für die gestiegenen Energiepreise für die Ver-
braucher ist. Deshalb brauchen wir einen Ausbau der
Preiskontrolle und eine Besteuerung der Sonderprofite
aus dem Emissionshandel. Im Gegensatz zu Ihnen, Herr
Glos und Herr Brüderle, sagen wir: Die Strom- und Gas-
netze sind in die öffentliche Hand zu überführen.
(Beifall bei der LINKEN)
Nach wie vor setzt die europäische Energiepolitik
auf fossile Brennstoffe und Atomtechnologie. Nur
16 Prozent aller mittels Strukturfonds vergebenen öf-
fentlichen Finanzhilfen entfallen auf erneuerbare Ener-
gien. Wo ist da der ausgewogene Energiemix, den Sie
vorhin forderten, Herr Meyer? Auch hier ist endlich eine
Wende durch konsequente Förderung von Energieeffizi-
enz und erneuerbaren Energien notwendig. Mit Ihrem
Programm werden Sie die notwendige Kehrtwende aller-
dings nicht schaffen. Der Fokus ist verfehlt, ob alte oder
neue Lissabonstrategie, ob nationale oder europäische
Programme. Eine Wende muss im Rahmen der deut-
schen Ratspräsidentschaft den sozialen und den ökologi-
schen Strukturwandel in den Mittelpunkt rücken, damit
der Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger wirklich im
Vordergrund der Lissabonstrategie steht.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nun hat das Wort der Kollege Thomas Bareiß für die
CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Thomas Bareiß (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Deutschland brummt – das war vor wenigen Ta-
gen vom Chefvolkswirt des Internationalen Währungs-
fonds in Singapur zu hören. Daran wird auch das
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chlechtreden von Frau Lötzer und ihrer Fraktion nichts
ndern.
Wir haben vom Wirtschaftsminister vorhin gehört,
ass der IWF für dieses Jahr 2 Prozent Zuwachs erwar-
et. Das sind 0,7 Prozentpunkte mehr, als noch im Früh-
ahr dieses Jahres erwartet wurden. Damit ist die
onjunktur in Deutschland, immerhin der größten
olkswirtschaft in Europa, endlich angesprungen und
ie fast schon zum Scheitern verurteilte Lissabonstrate-
ie gewinnt an Fahrt. Das ist – das muss man heute auch
inmal sagen – vor allem dem Vertrauen in die neue
undesregierung unter Angela Merkel zu verdanken. Sie
at das Nationale Reformprogramm für den Zeitraum
005 bis 2008 vorgelegt und damit einen wichtigen Bei-
rag zur erfolgreichen Umsetzung der Lissabonstrategie
eleistet.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ein wichtiger Bestandteil ist dabei gerade für
eutschland als Exportnation der gemeinsame europäi-
che Binnenmarkt. Die Europäische Kommission
chätzt, dass der Binnenmarkt seit 1993 zu 2,5 Millionen
rbeitsplätzen und einem zusätzlichen Bruttosozialpro-
ukt von 877 Milliarden Euro geführt hat. Die Europäi-
che Union ist heute ein Vorbild für viele Regionen. Sie
ringt Vorteile, die für alle spürbar sind. Der vergrößerte
arkt bedeutet eine Zunahme des Wettbewerbs, einen
tärkeren Innovationsdruck, höheres Wachstum, mehr
ohlstand und mehr Arbeitsplätze. Ich sage gerade für
ie CDU/CSU-Fraktion: Wir stehen in besonderer Weise
ür mehr Wettbewerb und für mehr Wachstum.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ein Beispiel für den greifbaren, auch im Geldbeutel
pürbaren Nutzen des gemeinsamen Binnenmarkts ist
ie Liberalisierung der Telekommunikation, die vor-
in schon angesprochen wurde. Das Ergebnis sind deut-
iche Preissenkungen. Aber Mobilfunknutzer im euro-
äischen Ausland bezahlen bisher immer noch erhöhte
reise für Telefongespräche. Die Roaminggebühren sind
m Durchschnitt mehr als fünfmal höher als die tatsächli-
hen Kosten für die Netzwerkbetreiber. Es ist zu begrü-
en, dass die Europäische Kommission im Juli einen
euen Verordnungsentwurf vorgelegt hat, wonach die
arife für Mobilfunkgespräche im Ausland um bis zu
0 Prozent gesenkt werden. Das ist ein Beispiel dafür,
ass Europa funktionieren kann und auch für den Men-
chen greifbare Erfolge hat.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Trotz dieser und anderer Erfolge stehen die Menschen
er Europäischen Union misstrauisch gegenüber. Es gibt
ei vielen Bürgerinnen und Bürgern in Europa ein Unbe-
agen gegenüber der EU. Es muss unser aller Anliegen
ein, dass die Menschen wieder mehr Vertrauen in Eu-
opa haben. Ich habe den Eindruck, dass bei der Europäi-
chen Kommission die Tendenz herrscht, das bisher viel-
ach mangelnde Engagement der Mitgliedstaaten durch
entrale Kontrolle zu fördern, geradezu durch nicht mehr
achvollziehbare Bevormundung zu ersetzen. Das ist
ach meiner Überzeugung der falsche Weg.
4940 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
Thomas Bareiß
Ein Beispiel für die Gefahr von Fehlentwicklungen
sehe ich in den gegenwärtigen Verhandlungen über die
Erhaltung des Namensrechts der Sparkassen. Ich bin
der festen Überzeugung, dass das für Deutschland wich-
tige dreigliedrige Bankensystem erhalten bleiben muss.
Ohne Frage, das Nebeneinander von Privatbanken, Ge-
nossenschaftsbanken und Sparkassen ist einzigartig in
der EU. Aber gerade weil es über 50 Jahre auch ein Ga-
rant unseres wirtschaftlichen Erfolges war, dürfen wird
das jetzt nicht einer Überregulierung durch die Kommis-
sion preisgeben.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD)
Deshalb unterstützen wir auch nachdrücklich die Bemü-
hungen von Bundeskanzlerin und Bundesfinanzminister,
in Brüssel die Interessen der deutschen Wirtschaft und
der deutschen Verbraucher zu vertreten.
Die Bundesregierung leistet bereits ihren Beitrag zur
Umsetzung der Lissabonstrategie. Ich möchte hier nur
einige wenige Punkte nennen. Der erste und ein wichti-
ger Punkt ist die Haushaltskonsolidierung. Auch wenn
es anscheinend hier im Haus von vielen nicht als eine
politische Verpflichtung angesehen wird – ich halte es
vor allem für eine moralische Verpflichtung, die
Maastrichtkriterien einzuhalten. Ich bin froh, dass wir es
jetzt nach vier Jahren geschafft haben, den EU-Stabili-
tätspakt wieder einzuhalten.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.
Kurt Bodewig [SPD])
Zweiter Punkt. Bei der Unternehmensteuerreform
würde uns manchmal ein Blick ins benachbarte EU-Aus-
land guttun. Die Bundesregierung muss eine Unterneh-
mensteuerreform in Gang setzen, die die Attraktivität
des Standorts Deutschland deutlich erhöhen wird. Die
Steuersätze für Unternehmen sind derzeit international
nicht mehr konkurrenzfähig.
(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)
Wir alle wissen, dass wir auf einen Steuersatz von unter
30 Prozent kommen müssen. Ich sage aber auch ganz
klar: Nicht nur die Steuersätze, sondern auch die Steuer-
systematik muss eine wichtige Rolle spielen.
Dritter Punkt. Bei den kleinen und mittleren Unter-
nehmen hat Deutschland eine enorm große Verantwor-
tung. Die Mittelstandsinitiative, die die Bundesregie-
rung im Juli 2006 im Kabinett auf den Weg gebracht hat,
ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Sie er-
öffnet dem Mittelstand neue Perspektiven und nutzt das
große Potenzial mittelständischer Unternehmen. Klei-
nere und mittlere Unternehmen sind und waren Garant
unseres wirtschaftlichen Erfolges. Daher müssen sie zu-
künftig verstärkt auch in der Nachhaltigkeitsstrategie
und im Lissabonprozess eine Rolle spielen.
Als letzten und schwierigsten Punkt möchte ich den
Umbau der Sozialversicherungssysteme nennen. Die
Lissabonstrategie und das damit verbundene Nationale
Reformprogramm zeigen, dass wir in Deutschland noch
Hausaufgaben vor uns haben. Die freien Reserven der
Pflegeversicherung beispielsweise werden spätestens im
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ahr 2008 aufgebraucht sein. Deshalb brauchen wir ge-
ade für die jüngere Generation eine grundlegende
truktur- und Finanzreform. In diesem Punkt trägt die
roße Koalition eine ganz wichtige Verantwortung.
(Dr. Karl Addicks [FDP]: Macht doch mal was
aus der Verantwortung!)
ngesichts der demografischen Entwicklung muss die
mlagefinanzierung um eine kapitalgedeckte Kompo-
ente ergänzt werden. Nur so lassen sich auch in Zu-
unft eine menschenwürdige Pflege bezahlen, die Lohn-
ebenkosten stabil halten sowie Wachstum und
rbeitsplätze in unserem Land sichern.
Deutschland übernimmt am 1. Januar 2007 – das
urde schon angesprochen – die europäische Ratspräsi-
entschaft. Darin liegt eine große Chance für Deutsch-
and und für Europa. Ich würde mir wünschen, dass un-
ere Bundesregierung innerhalb der Europäischen Union
ine Führungsrolle übernimmt
(Dr. Karl Addicks [FDP]: Machen Sie doch!
Sie sind doch die Regierung!)
nd die Ziele der Lissabonstrategie kontinuierlich wei-
erentwickelt. Wir brauchen eine Lissabonstrategie mit
lar definierten und erreichbaren Zielen. Der Bürger
uss erkennen, welche Chancen mit diesem Prozess
erbunden sind.
Wenn Europa neben China und Indien in der Welt zu-
ünftig noch eine wichtige wirtschaftliche Rolle spielen
ill, darf die Lissabonstrategie nicht bei leeren Worthül-
en und bloßen Absichtserklärungen stehen bleiben. Eu-
opa kann erfolgreich sein, wenn wir diese Herausforde-
ung gemeinsam angehen. Deshalb wird die CDU/CSU-
raktion den Prozess der Lissabonstrategie kritisch be-
leiten und konstruktiv unterstützen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege Bareiß, das war Ihre erste Rede in die-
em Haus. Ich gratuliere Ihnen sehr herzlich dazu und
ünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg.
(Beifall)
Nun hat das Wort die Kollegin Katja Mast für die
raktion der SPD.
Katja Mast (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen
nd Kollegen! Wir stehen vor großen Herausforderun-
en, die alle unter das Schlagwort „demografischer Wan-
el“ fallen. Es werden weniger Kinder geboren und die
evölkerung wird älter. Das ist eine Chance für
eutschland. Wir können die Generationenfrage neu
tellen. Wir können die Generationen neu zusammen-
ringen.
Der demografische Wandel zwingt uns bereits heute,
ntscheidende Weichen zu stellen. Wir brauchen Fach-
räfte. Deshalb dürfen wir es uns schon heute nicht mehr
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4941
(A) )
(B) )
Katja Mast
leisten, ältere Arbeitnehmer zu früh aus dem Erwerbsle-
ben ausscheiden zu lassen
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
und das Erwerbspotenzial von Frauen ungenutzt zu las-
sen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Außerdem müssen wir unsere sozialen Sicherungssys-
teme demografiefest machen.
Mit diesen Herausforderungen steht Deutschland
nicht allein da. Der demografische Wandel zeigt seine
Spuren in allen europäischen Ländern.
Im Jahr 2000 haben sich auch deshalb die EU-Mit-
gliedstaaten auf die Lissabonstrategie verständigt. In ihr
wurden konkrete Ziele vereinbart. Das ist auch das qua-
litativ Neue an dieser Strategie: „Führen durch Ziele“,
wie es in Unternehmen üblich ist, nicht „Führen über In-
strumente“, wie Herr Brüderle es hier gefordert hat.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Welche Ziele gibt es für den deutschen Arbeitsmarkt?
„50, 60, 70“ lautet die Zauberformel. Das sind handfeste
arbeitsmarktpolitische Ziele für das Jahr 2010.
50: Wir wollen eine Beschäftigungsquote von älteren
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern von 50 Prozent
erreichen. Hierbei haben wir seit 2000 eine Steigerung
von 37,5 Prozent auf 45,4 Prozent erreicht.
60: Wir wollen die Erwerbsbeteiligung von Frauen
auf 60 Prozent steigern. Hierbei stehen wir mit
59,6 Prozent schon ganz gut da.
70: Wir wollen die Erwerbsbeteiligung unserer ge-
samten Bevölkerung auf 70 Prozent erhöhen. Sie liegt
heute bei ungefähr 65 Prozent.
Wir haben diese Ziele noch nicht ganz erreicht. Wir
haben aber auch noch vier Jahre Zeit und wir sind auf ei-
nem guten Weg.
(Zuruf von der FDP: Sehr optimistisch!)
Es geht uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemo-
kraten nicht nur darum, diese Ziele einfach abzuarbeiten.
Wir wollen mehr und bessere Arbeitsplätze, weil nur
durch Beschäftigung Teilhabe am öffentlichen Leben
möglich ist. Wir wollen den vorsorgenden Sozialstaat,
der Chancen eröffnet.
Im Übrigen, wenn wir schon bei den Entwicklungen
am Arbeitsmarkt sind: Wir haben es geschafft, dass in
Deutschland die Zahl der sozialversicherungspflichtig
Beschäftigten erstmals seit Jahren wieder zunimmt. Im
letzten Monat waren es 130 000 Arbeitsplätze mehr als
im Jahr davor. Das ist ein Plus von 0,5 Prozent. Die Zahl
der Arbeitslosen ist sogar um 426 000 gesunken. Das
ist eine knappe halbe Million. Das hätte vor einem Jahr
– Sie erinnern sich, wir waren alle im Wahlkampf – kei-
ner gedacht. Das ist das Resultat der größten Arbeits-
marktreform aller Zeiten.
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Für mehr Beschäftigung haben wir im Koalitionsver-
rag eine solide Grundlage geschaffen. Aber gerade auch
ie rot-grüne Regierung hat mit der Agenda 2010 sehr
utige Reformen auf die Schiene gesetzt und die Grund-
age für unsere heutigen Erfolge gelegt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Für mich stellt sich die Frage: Wie haben wir das er-
eicht? Da wir das alle gerne schnell vergessen, rufe ich
s mit vier Beispielen in unser Gedächtnis zurück:
Erstens. Die Frauenerwerbsquote steigerten wir
urch unsere Strategie der Vereinbarkeit von Familie und
eruf: im Jahr 2000 durch das Teilzeit- und Befristungs-
esetz. 2003 haben wir durch das 4-Milliarden-Euro-In-
estitionsprogramm im Bereich der Ganztagsschulen
ine kleine Revolution in Deutschland hervorgerufen.
004 haben wir das Tagesbetreuungsausbaugesetz verab-
chiedet. Es gibt heute mehr Plätze für unsere Kleinen.
Lassen Sie mich in die Zukunft schauen. Die Einfüh-
ung des Elterngeldes 2007 steht für einen Paradigmen-
echsel in der Familienpolitik.
Zweitens. Rente, Bevölkerungsentwicklung und
taatshaushalt in Einklang bringen – auch das haben wir
orangetrieben. 2001 haben wir die private Altersvor-
orge gestärkt. Mit einem mutigen Schritt haben wir die
iesterrente eingeführt. Seit 2004 gibt es den Nachhal-
igkeitsfaktor in der Rente. Im Koalitionsvertrag haben
ir die Beitragsstabilität vereinbart. Mit der Rente ab 67
darauf gehe ich später ein – machen wir die Rente de-
ografiefest.
Drittens. Natürlich, Frau Dückert, kann es uns nicht
ur darum gehen, bestehende Jobs zu erhalten; vielmehr
ollen wir die Schwarzarbeit zurückdrängen. Deshalb
ördern wir private Haushalte als Arbeitgeber: Durch
teuerliche Begünstigung werden sie gestärkt. Man kann
un Handwerkerrechnungen, Pflege- und Kinderbetreu-
ngskosten besser oder teilweise erstmals steuerlich ab-
etzen. Mit dem CO2-Gebäudesanierungsprogramm ma-
hen wir genau dasselbe; denn wir stärken damit das
okale Handwerk und die lokalen Arbeitsplätze. Mit dem
5-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm stärken wir
m Übrigen die Binnennachfrage.
Viertens. Wir haben die Beschäftigungsquote von
lteren erhöht. Mit welchen Schritten? 2002 haben wir
ie Frühverrentung abgeschafft. Auch das ist eine Tatsa-
he, die nicht in allen Köpfen verankert ist. Arbeits-
arktpolitik findet aber auch vor Ort statt. Seit 2005 för-
ern wir deshalb regionale Beschäftigungspakte für
ltere Arbeitnehmer. Das Spektrum ist bunt. In meiner
eimat Pforzheim und im Enzkreis in Baden-Württem-
erg nutzen wir die Kompetenz von erfahrenen Arbeit-
ehmern als „Silverstars“. Sie beraten Hauptschüler bei
er Berufswahl, arbeiten in einem Kompetenzzentrum
nd generieren neue Geschäftsideen im Ideenbüro. Lo-
ale Akteure wissen besser als wir hier in Berlin, was sie
rauchen und wie sie Ältere in Jobs bringen. Ich bin ge-
pannt auf die Vermittlungsergebnisse dieser Projekte.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
4942 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
Katja Mast
Wir haben im Bereich der Arbeitsmarkt- und Sozial-
politik in den letzten Jahren sehr viel erreicht. Aber wir
sind noch nicht fertig. Wir dürfen uns jetzt nicht auf un-
seren Lorbeeren ausruhen; denn trotz unserer Verände-
rungen verbessert sich die Situation nicht von heute auf
morgen. Gerade weil wir öffentlich viel zu selten über
die Situation von älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmern reden, will ich heute ihre Situation betrachten.
Häufig bewerben sich arbeitslose Ältere gar nicht mehr
auf einen Job; denn sie glauben, sie werden sowieso
nicht mehr berücksichtigt. Ein Mentalitätswandel ist not-
wendig. Aber nicht nur bei den Älteren, sondern auch
bei den Arbeitgebern ist dieser Mentalitätswandel not-
wendig. Es hält sich bei Neueinstellungen Älterer hart-
näckig das Vorurteil, dass sie sich nicht weiterbilden,
unflexibel seien und einen überdimensionierten Kündi-
gungsschutz hätten. Das stimmt so nicht. Einige Unter-
nehmen haben das auch schon festgestellt.
Lassen Sie mich noch mal zurück zu den Möglichkei-
ten der Politik kommen. Mit der Initiative „50 plus“ ha-
ben wir eine umfassende Strategie entwickelt, die zwei
Ziele hat: erstens ältere Beschäftigte länger im Erwerbs-
leben zu halten und zweitens ältere Arbeitslose schneller
wieder in Beschäftigung zu bringen. Für beide Zielset-
zungen bündeln wir die Instrumente in der Initiative
„50 plus“. Mit Fördermöglichkeiten bei der Weiterbil-
dung erhöhen wir die Beschäftigungsfähigkeit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Finanzielle Anreize wie Kombilöhne oder Eingliede-
rungszuschüsse fördern die Einstellungen Älterer.
Wenn ich hier über Arbeitsmarktpolitik für ältere Ar-
beitnehmer rede, so kann und will ich das Thema Rente
nicht aussparen. In den 60er-Jahren hat ein Rentner in
der Regel 9,5 Jahre Rente bezogen, heute sind es
17 Jahre. Die Menschen werden älter und sind zum
Glück auch länger gesund. Um die Rente auch für künf-
tige Generationen zu erhalten, müssen wir auf diese Ent-
wicklung reagieren. Mit der schrittweisen Erhöhung
des Eintrittsalters auf 67 Jahre geht es also darum,
dass auch die Enkel der heutigen Rentner am Generatio-
nenvertrag festhalten wollen. Erst die heute 42-Jährigen
werden davon voll betroffen sein. Das ist eine Lösung
auf dem Weg, die Generationen neu zusammenzubrin-
gen.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Die Lissabonstra-
tegie wird von uns umgesetzt, weil wir mehr Teilhabe
wollen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, der
Umbau der sozialen Sicherungssysteme, das Erschließen
neuer Beschäftigungspotenziale und die Beschäftigungs-
fähigkeit Älterer stehen hierbei exemplarisch für unser
Verständnis vom vorsorgenden Sozialstaat, der Chan-
cen eröffnet.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Ich schließe die Aussprache.
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Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
uf den Drucksachen 16/2467 und 16/2622 an die in der
agesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Die Vorlage auf Drucksache 16/2629 zu Tagesord-
ungspunkt 6 a soll an dieselben Ausschüsse wie die
orlage auf Drucksache 16/2467 – das betrifft den Ta-
esordnungspunkt 6 b – und zusätzlich an den Auswärti-
en Ausschuss, an den Ausschuss für Ernährung, Land-
irtschaft und Verbraucherschutz, an den Ausschuss für
rbeit und Soziales, an den Ausschuss für die Angele-
enheiten der Europäischen Union sowie an den Haus-
altsausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit ein-
erstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist das so
eschlossen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 n
owie die Zusatzpunkte 8 a und 8 b auf:
29 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform
der Führungsaufsicht
– Drucksache 16/1993 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Innenausschuss
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen Nr. 170 der Internationalen
Arbeitsorganisation vom 25. Juni 1990 über
Sicherheit bei der Verwendung chemischer
Stoffe bei der Arbeit
– Drucksache 16/2227 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Bundesdisziplinargesetzes, des Bun-
desbeamtengesetzes und weiterer Gesetze
– Drucksache 16/2253 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 12. August 2004 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Repu-
blik Ghana zur Vermeidung der Doppelbe-
steuerung und zur Verhinderung der Steuer-
verkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom
Einkommen, vom Vermögen und vom Veräu-
ßerungsgewinn
– Drucksache 16/2254 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 26. Oktober 2004 zwischen der
Europäischen Union, der Europäischen Ge-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4943
(A) )
(B) )
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
meinschaft und der Schweizerischen Eidge-
nossenschaft über die Assoziierung dieses
Staates bei der Umsetzung, Anwendung und
Entwicklung des Schengen-Besitzstands
– Drucksache 16/2255 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Auflö-
sung der Unabhängigen Kommission zur Er-
mittlung des Vermögens der Parteien und
Massenorganisationen der DDR
– Drucksache 16/2256 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
g) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neu-
ordnung des Tierzuchtrechts sowie zur Ände-
rung des Tierseuchengesetzes und des
Tierschutzgesetzes
– Drucksache 16/2292 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
h) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Weiterverwendung von Informationen öffent-
licher Stellen (Informationsweiterverwen-
dungsgesetz – IWG)
– Drucksache 16/2453 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Kultur und Medien
i) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-
zung der Richtlinie 2004/109/EG des Europäi-
schen Parlaments und des Rates vom
15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der
Transparenzanforderungen in Bezug auf In-
formationen über Emittenten, deren Wertpa-
piere zum Handel auf einem geregelten Markt
zugelassen sind, und zur Änderung der Richt-
linie 2001/34/EG (Transparenzrichtlinie-Um-
setzungsgesetz – TUG)
– Drucksache 16/2498 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
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j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Friedrich (Bayreuth), Jan Mücke, Patrick Döring,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Qualität der Mauterfassung durch unabhängi-
gen Versuch nachweisen und Kontrollverfah-
ren zertifizieren
– Drucksache 16/1680 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
k) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, Elisabeth
Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Gesetzliche Voraussetzungen für heroinge-
stützte Behandlung Schwerstabhängiger
schaffen
– Drucksache 16/2075 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
l) Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika
Knoche, Ulla Jelpke, Frank Spieth, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der LINKEN
Heroinmodell in die Regelversorgung über-
führen und Therapiefreiheit der Ärztinnen
und Ärzte schützen
– Drucksache 16/2503 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
m) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim
Dagdelen, Petra Pau, Ulla Jelpke, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der LINKEN
Bundesweiter Abschiebestopp für Flüchtlinge
aus Togo
– Drucksache 16/2627 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
n) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Bericht der Bundesregierung zur Modernisie-
rungsstrategie für die deutsche Wasserwirt-
schaft und für ein stärkeres internationales
Engagement der deutschen Wasserwirtschaft
– Drucksache 16/1094 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
P 8 a)Erste Beratung des von den Abgeordneten Jerzy
Montag, Markus Kurth und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
4944 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Entwurfs eines Gesetzes zur Anhebung der
Vergütung von Berufsbetreuern
– Drucksache 16/2649 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Reinhard Loske, Ute Koczy, Thilo Hoppe,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Keine Hermes-Bürgschaft für den Ilisu-Stau-
damm in der Türkei
– Drucksache 16/2626 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Auswärtiger Ausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Es handelt sich dabei um Überweisungen im verein-
fachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe,
das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen.
Wir kommen jetzt zu den Tagesordnungspunkten 30 a
und b sowie 30 d bis m. Es handelt sich dabei um die
Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aus-
sprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 30 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Allgemeinen Ei-
senbahngesetzes
– Drucksachen 16/1851, 16/2226 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
(15. Ausschuss)
– Drucksache 16/2636 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Winfried Hermann
Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung empfiehlt auf Drucksache 16/2636, den Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in
der zweiten Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU-
Fraktion, der SPD-Fraktion und der FDP-Fraktion gegen
die Stimmen der Fraktionen der Grünen und der Linken
angenommen.
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Dritte Beratung
nd Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
esetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
er stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
urf ist damit mit der gleichen Mehrheit angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 b:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 13. April
2005 zwischen der Bundesrepublik Deutsch-
land und dem Königreich der Niederlande
über den Zusammenschluss der deutschen
Bundesstraße B 56n und der niederländischen
Regionalstraße N 297n an der gemeinsamen
Staatsgrenze durch Errichtung einer Grenz-
brücke
– Drucksache 16/1939 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
(15. Ausschuss)
– Drucksache 16/2638 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dorothée Menzner
Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
ung empfiehlt auf Drucksache 16/2638, den Gesetzent-
urf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
ntwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
timmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Ge-
etzentwurf mit den Stimmen des ganzen Hauses ange-
ommen.
Tagesordnungspunkt 30 d:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Patrick Döring, Horst
Friedrich (Bayreuth), Ernst Burgbacher, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Buslenkzeiten anpassen – Mittelständische
Busunternehmen retten
– Drucksachen 16/584, 16/1900 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Hofbauer
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-
chlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 16/584
bzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
ung? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Dann ist die
eschlussempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU-
raktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion des Bündnis-
es 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke gegen die
timmen der FDP-Fraktion angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
ache 16/1900 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschlie-
ung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
ehlung? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Dann ist
iese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koali-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4945
(A) )
(B) )
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
tionsfraktionen, der Fraktion des Bündnisses 90/Die
Grünen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen
der Fraktion der FDP angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 e:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immu-
nität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss)
Änderung der Geschäftsordnung des Deut-
schen Bundestages
hier: § 2 – Wahl des Präsidenten und der Stell-
vertreter
– Drucksache 16/2200 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Bernhard Kaster
Christine Lambrecht
Jörg van Essen
Dr. Dagmar Enkelmann
Volker Beck (Köln)
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer ist
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 f:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm,
Alexander Bonde, Hans-Josef Fell, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Kürzungen bei der Finanzierung der Entwick-
lung ländlicher Räume verhindern
– Drucksachen 16/952, 16/2637 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Marlene Mortler
Holger Ortel
Hans-Michael Goldmann
Dr. Kirsten Tackmann
Cornelia Behm
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Druck-
sache 16/952 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschluss-
empfehlung? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unions-
fraktion, der SPD-Fraktion und der FDP-Fraktion gegen
die Stimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
und der Fraktion Die Linke angenommen.
Wir kommen jetzt zu den Beschlussempfehlungen des
Petitionsausschusses. Das sind die Tagesordnungspunkte
30 g bis 30 m.
Tagesordnungspunkt 30 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 80 zu Petitionen
– Drucksache 16/2528 –
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Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
ungen? – Die Sammelübersicht 80 ist mit den Stimmen
es ganzen Hauses angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 81 zu Petitionen
– Drucksache 16/2529 –
Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
en? – Die Sammelübersicht 81 ist mit den Stimmen der
raktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP, des Bünd-
isses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion
ie Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 82 zu Petitionen
– Drucksache 16/2530 –
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
ungen? – Die Sammelübersicht 82 ist mit den Stimmen
es ganzen Hauses angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 83 zu Petitionen
– Drucksache 16/2531 –
Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
en? – Die Sammelübersicht 83 ist mit den Stimmen der
DP-Fraktion, der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion
nd der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Frak-
ion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 84 zu Petitionen
– Drucksache 16/2532 –
Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
en? – Die Sammelübersicht 84 ist mit den Stimmen der
DP-Fraktion, der Unionsfraktion, der Fraktion des
ündnisses 90/Die Grünen und der SPD-Fraktion gegen
ie Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 l:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 85 zu Petitionen
– Drucksache 16/2533 –
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
ungen? – Die Sammelübersicht 85 ist mit den Stimmen
er FDP-Fraktion, der CDU/CSU-Fraktion und der
PD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion des
4946 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke
angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 m:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 86 zu Petitionen
– Drucksache 16/2534 –
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 86 ist mit den Stimmen
der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der
FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b
auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias
Berninger, Ulrike Höfken, Rainder Steenblock,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Forderung der EU nach Transparenz bei Sub-
ventionen für die Wirtschaft vollständig um-
setzen und die Neuausrichtung der Förderung
vorbereiten
–Drucksache 16/2517 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Löning, Hans-Michael Goldmann, Michael Link
(Heilbronn), weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der FDP
Europäische Transparenzinitiative aktiv un-
terstützen
–Drucksache 16/2203 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-
sen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Margareta Wolf von der Fraktion des Bündnis-
ses 90/Die Grünen.
Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir haben schon in einem anderen Zusammen-
hang über Probleme in der Europäische Union diskutiert.
Der Anlass für die Debatte jetzt ist ein Antrag von uns
und ein Antrag der FDP, in denen es um mehr Transpa-
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enz bei Subventionen innerhalb der Europäischen
nion geht.
Wir alle wissen: Der europäische Prozess befindet
ich im Stocken. Deshalb hat der Verwaltungskommis-
ar, Herr Kallas, eine Initiative auf den Weg gebracht
nd ein Grünbuch vorgestellt, in dem dargelegt wird,
ass die Europäische Union in Kooperation mit den Län-
ern die Offenlegung aller Subventionen, aller Förder-
ittel erreichen will. Wir sagen: Dies ist eine gute Initia-
ive. Deshalb haben wir den vorliegenden Antrag
estellt.
Er war nötig, weil sowohl Wirtschaftsminister Glos
ie auch Landwirtschaftsminister Seehofer von Mai die-
es Jahres bis zum 19. September alles dafür getan ha-
en, die Offenlegung der Fördermittel im Rahmen der
uropäischen Union zu verhindern. Ich finde es bedau-
rlich, dass sich beide Minister heute dazu nicht äußern,
nd dies nicht, weil ich der Meinung wäre, sie sollten
uf unseren Antrag reagieren. Nein, es geht vielmehr um
olgendes: Wir übernehmen in drei Monaten die EU-
atspräsidentschaft und in einem zentralen Punkt, bei
er Offenlegung der Mittelverwendung, stimmen wir
icht zu.
(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne
Kastner)
Frau Kollegin Wöhrl, Herr Kollege Paziorek, wir alle
issen doch, dass die europäische Verfassung unter an-
erem daran gescheitert ist, dass viele Bürgerinnen und
ürger in Europa den Eindruck haben, die EU koste nur
eld. Warum sich ausgerechnet Deutschland drei Mo-
ate vor der Übernahme der Ratspräsidentschaft gegen
ine solche Offenlegung wehrt, ist nicht nachzuvollzie-
en. Wir wissen zwar nur wenig darüber, was Frau
erkel in dieser Zeit durchsetzen will, aber immerhin
at sie im Mai im Deutschen Bundestag gesagt, dass sie
ie Vertragsdebatte anschieben und Misstrauen gegen-
ber intransparenten Kapitalströmen innerhalb der EU
bbauen wolle.
Die Beiträge von Herrn Glos und Herrn Seehofer wei-
en in genau die andere Richtung. Dieser Tage hört man
o oft, Frau Merkel sei geschlagen mit ihren CDU-Mi-
istern. Die Initiative dieser beiden Herren, die kurzfris-
ige Ziele verfolgt und lobbygelenkt ist, unterstreicht das
usdrücklich.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, in
en Berichten, die Sie in den letzten Tagen in den Zei-
ungen über die Verständigung zwischen Frau Merkel
nd Herrn Barroso lesen konnten, finden Sie immer wie-
er einen Satz: Die Deutschen sind unglaubwürdig,
enn sie dauernd von der europäischen Verfassung re-
en, sich der Lösung realer Probleme aber verweigern.
eutschland ist ein Land mit einer sehr langen Liste von
treitfällen mit der Kommission. Auch diese Liste arbei-
en Sie nicht ab.
Worum geht es? Es geht um Agrarsubventionen in
iner Größenordnung von 40 Prozent des gesamten EU-
aushalts und um Strukturmittel in einer Größenord-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4947
(A) )
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Margareta Wolf (Frankfurt)
nung von 308 Milliarden Euro. Insgesamt reden wir über
ein Volumen von 1 300 Milliarden Euro. Die Kommis-
sion ist dafür, dass die Verwendung dieser Mittel offen
gelegt wird. Dabei unterstützen wir sie.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Jeder Mensch weiß, dass Transparenz die Vorausset-
zung für eine moderne Verwaltung ist. Dass Herr Glos
dagegen ist, muss besonders verwundern; schließlich be-
zieht er sich gerne auf die Tradition der Wirtschaftsmi-
nister, die das Haus vor ihm geführt haben. Die Bundes-
republik Deutschland hat seit 1967 die Kultur, alle zwei
Jahre einen Subventionsbericht vorzulegen. Diese Be-
richte wurden von Karl Schiller eingeführt, unter dessen
Ägide das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz verabschie-
det wurde. Seit 1967 nimmt der Bundestag alle zwei
Jahre den Subventionsbericht zur Kenntnis. In diesen
Berichten können Sie, oh Wunder, seit 1967 ganz genau
nachlesen – jetzt ist das Wirtschaftsministerium gar
nicht mehr im Saal vertreten –, wie die Beihilfeerstat-
tung durch die EU erfolgt. Deswegen verstehe ich über-
haupt nicht, was jetzt gemacht wird. Dieser Bericht ent-
hält all die Zahlen, die Herr Glos im Rahmen der
Transparenzinitiative ins Internet stellen müsste.
Umso unerklärlicher ist das Verhalten, da elf Länder
in Europa diesem Ansinnen der Kommission bereits fol-
gen und das bei ihnen schon Tradition hat. Deutschland
aber hat bis zum 19. September Nein gesagt. Man konnte
sich nicht durchsetzen und jetzt sagen wir: Wir unterstüt-
zen die Kommission. – Das ist eine ganz konsistente Eu-
ropapolitik. Frau Merkel, Sie können stolz sein auf Ihre
beiden Minister.
Herzlichen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ursula Heinen,
CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ursula Heinen (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Wolf, Sie haben
die Fakten nicht richtig dargestellt. Die Minister befin-
den sich untereinander gerade in der Ressortabstim-
mung. Das Abstimmungsverfahren mit der Europäi-
schen Union zu der Transparenzinitiative läuft bereits.
Sie mahnen an, dass man sich mit der Initiative befassen
solle. Die Regierung befasst sich aber schon längst da-
mit. Sie sollten sich informieren, bevor Sie solche Be-
hauptungen im Deutschen Bundestag aufstellen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Gitta Connemann
[CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Es geht doch längst nicht mehr um die Frage, ob es
mehr Transparenz gibt. Es geht darum, wie die Transpa-
renzinitiative ausgestaltet wird und wir unsere deutschen
Interessen einbringen können. An diesem Punkt sind wir.
Die Entscheidung über das Ob ist längst gefallen.
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Deshalb führe ich dazu ein paar Punkte an. So, wie die
uropäische Kommission sich das vorgestellt hat, näm-
ch nur die Unterstützungszahlungen aus der ersten Säule
nd einen Teil der Strukturfondsmittel offen zu legen,
önnen wir das nicht mittragen; denn dann kämen wir au-
matisch zu einem Sondergesetz für die Landwirte,
eil nur die davon betroffen wären. Würde es beispiels-
eise Sinn machen, dass ein Landwirt, also eine Person,
eine Daten veröffentlichen muss, aber ein Unternehmen,
as Geld aus einem anderen europäischen Fonds be-
ommt, überhaupt nichts veröffentlichen muss? Dazu sa-
en wir – und gehen davon aus, dass der Koalitionspartner
as entsprechend unterstützen wird –: Wir wollen keine
albe Transparenz, sondern volle Transparenz.
(Beifall bei der CDU/CSU)
enn, dann sollte man alles veröffentlichen – ich fände
as gut –, aber nicht nur bei bestimmten Personengrup-
en, die dann quasi an den Pranger gestellt würden, weil
an von ihnen wüsste, wie viel sie erhalten.
Allerdings glaube ich nicht, dass damit – Sie haben
as gerade erwähnt – das Verhältnis der Bürger zu Eu-
opa wesentlich verbessert würde. Ich habe mir das in
roßbritannien einmal angesehen. Dort werden entspre-
hend dem Informationsfreiheitsgesetz die Subventions-
ahlungen veröffentlicht. Dadurch können wir alljährlich
esen, dass Prinz Charles und die Königin 1,5 Millionen
uro – so viel ist es, glaube ich – von der EU bekom-
en. Aber die Einstellung Großbritanniens zur Europäi-
chen Union hin hat sich durch diese Veröffentlichung
icht nennenswert verändert.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Aber die Monarchie existiert immer noch in
Großbritannien!)
an sollte jetzt nicht auf einmal sagen: Mehr Transpa-
enz ist das Allheilmittel, um die Probleme der Bürger
it der Europäischen Union zu regeln.
(Marlene Mortler [CDU/CSU], zu Abg. Jürgen
Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] ge-
wandt: Wollen Sie die wiederhaben?)
Sie sollten die Zwischenrufe laut genug machen, so-
ass ich hier vorne auch etwas davon habe.
(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Herr Trittin
möchte die Monarchie zurück!)
nsonsten finde ich es etwas unhöflich, wenn Sie dazwi-
chenrufen, ohne dass man hier vorn am Rednerpult ge-
ug davon verstehen kann. Ich glaube, die Präsidentin ist
ern bereit, Ihnen das Wort zu erteilen.
Wie gesagt: Wir wollen, dass alle Zahlungen aus dem
trukturfonds veröffentlicht werden, sodass man genau
rkennen kann, wohin Subventionen tatsächlich geflos-
en sind.
Aber noch einen weiteren Punkt halten wir für ganz
ntscheidend: Wer veröffentlicht diese Daten? Wollen
ir, weil wir gut sortierte Daten haben, eine Art nationa-
en Alleingang machen und diese veröffentlichen, wäh-
end alle anderen Länder dann eben nicht veröffentli-
hen? Oder wollen wir, dass es von der Europäischen
4948 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
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Ursula Heinen
Kommission zentral veröffentlicht wird? Das ist der
zweite Punkt, den wir anregen: Die Datenveröffentli-
chung sollte über die Europäische Kommission erfolgen
und nicht über die Nationalstaaten. Das wäre ein guter
Weg, den wir gehen könnten.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Worauf wir aber in der Tat achten müssen, ist, dass
wir mit der Initiative zu mehr Transparenz nicht automa-
tisch mehr Bürokratie bekommen. Wir können nicht das
eine Übel, undurchsichtige Zahlungsströme innerhalb
der Europäischen Union, beseitigen und ein anderes,
mehr Bürokratie, entstehen lassen. Man wird sehr genau
auf die Verfahren achten müssen und darauf, was alles
veröffentlicht wird.
Die Grünen haben in ihrem Antrag geschrieben, die
Fördersummen sollten zu Arbeitsplätzen oder Ähnli-
chem ins Verhältnis gesetzt werden. Ich weiß nicht, wer
diese Aufgaben erfüllen soll. Ich weiß nur, dass dies eine
neue Behörde erfordern würde. Allein in Deutschland
müssten 366 000 Landwirte veröffentlichen; hinzu kä-
men Unternehmen, die aus anderen Fonds Geld bezie-
hen, die großen Lebensmittelhersteller etc. Wenn die
Fördergelder dann auch noch Jahr für Jahr – oder, wenn
wir es in einem größeren Rahmen sehen, für die Förder-
perioden insgesamt – in Bezug zu bestimmten Größen
gesetzt werden müssen, dann würde es verdammt kom-
pliziert. Das ist kaum machbar. Ich halte es auch nicht
für sinnvoll, wenn wir in Brüssel die Bürokratie erhöhen,
um eine vermeintliche Transparenz zu schaffen, die es
dann überhaupt nicht mehr gibt. Meines Erachtens
würde es ausreichen, wenn wir die Fördersummen nen-
nen, die Unternehmen, Personen etc. bekommen haben,
und auf eine derart komplizierte Darstellung verzichten.
Darüber hinaus werden wir darüber diskutieren müs-
sen, ob wir Bagatellgrenzen einführen. Das heißt: Wenn
die Fördersumme gering ist – beispielsweise 10 000 oder
15 000 Euro im Jahr nicht überschreitet –,
(Markus Löning [FDP]: Was wollen Sie denn
jetzt? Frau Heinen, was denn jetzt?)
kann es Sinn machen, auf die Veröffentlichung zu ver-
zichten, um nicht noch mehr Daten zu sammeln, die
nicht nötig sind. In diesem Sinne würde ich sagen, Frau
Wolf: Die Bundesregierung ist auf einem guten Weg. Sie
ist im Abstimmungsverfahren. Die Transparenzinitiative
wird kommen, auch in Deutschland. Aber sie muss auf
unser System passen. Daran arbeiten die Minister. Mi-
ttlerweile sind die Ressorts sich bei diesem Thema einig.
Ich fasse es gerne noch einmal zusammen: Wir wol-
len, dass alle Fonds offen legen müssen und nicht nur
einzelne – es darf auf keinen Fall eine Lex Landwirte
geben –, und die Veröffentlichung muss über die Euro-
päische Kommission erfolgen. Wenn wir das schaffen,
haben wir einen guten Beitrag zur Transparenz in Eu-
ropa geleistet und machen keinen Kleinkleckerkram, wie
es von den Grünen gewünscht wird.
Recht herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD)
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächster Redner ist der Kollege Markus Löning,
DP-Fraktion.
Markus Löning (FDP):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
olleginnen und Kollegen! Frau Heinen, Sie haben das
ichtig angesprochen: Die EU steckt in einer Vertrauens-
rise, gerade was den Umgang mit EU-Geldern angeht.
pätestens seit dem Abgang der Santer-Kommission gibt
s eine Menge Misstrauen in der Bevölkerung. Die EU
ilt als unübersichtlich und bürokratisch. Es gibt wenig
rfolge, die öffentlich sichtbar werden. Insofern sollte
an die Transparenzinitiative zwar nicht überbewerten
das ist schon richtig –; aber sie ist ein wichtiger Schritt
n die richtige Richtung, mit dem wir wieder mehr Ver-
rauen der Bürger in die Handlungs- und Arbeitsweise
er EU schaffen können.
Ich freue mich, dass wir als Freie Demokraten diesen
ransparenzantrag zu Beginn des Sommers eingebracht
aben. Die Grünen sind uns vollinhaltlich gefolgt. Dann
st uns auch die Bundesregierung gefolgt. Ich muss sa-
en: So macht Opposition Spaß. Wenn wir diese Reihen-
olge in Zukunft auch bei anderen Anträgen einhalten
önnen, macht uns das natürlich sehr glücklich.
(Beifall bei der FDP)
Der Einzige, den wir bis jetzt nicht überzeugen konn-
en – auch das muss man an dieser Stelle deutlich sagen,
iebe Frau Heinen –, ist der bayerische Ministerpräsi-
ent, der Herr Stoiber. Er macht es lieber weiterhin im
ersteckten, im Geheimen. Er möchte nicht so gerne of-
en legen.
(Marlene Mortler [CDU/CSU]: Das stimmt ja
gar nicht! – Ursula Heinen [CDU/CSU]: Da-
rauf haben wir keinen Einfluss!)
as finden wir sehr schade.
Wir haben uns in der Fraktion in der Abwägung der
üter durchaus sehr schwer getan. Es geht hier nämlich
uch um die Veröffentlichung von schützenswerten
nformationen über Personen, um Eingriffe in die Pri-
atsphäre, um Datenschutz, um Steuergeheimnisse und
hnliches. Man sollte das also nicht auf die leichte
chulter nehmen.
Man muss aber auch zur Kenntnis nehmen, dass sich
ie öffentliche Debatte hier in den letzten Jahren hin zu
ehr Transparenz verschoben hat. Die Bürger verlangen
on uns Politikern, von den Verwaltungen und Regierun-
en mehr Transparenz im Handeln. Es gibt an dieser
telle eine Neugewichtung der Werte. Ich finde es sehr
ichtig, dass wir das hier ebenfalls klar machen und
ass deutlich wird, dass wir das nicht auf die leichte
chulter nehmen und etwas Schützenswertes wie die Pri-
atsphäre Einzelner leichthin aufgeben wollen.
Ich möchte aber, da hier sehr viel über die Veröffentli-
hung von Geldern und Subventionen gesprochen wor-
en ist, an dieser Stelle auch Folgendes sagen. Das ist
in wichtiges Thema und ein wichtiger Teil dieser Trans-
arenzinitiative; aber es ist eben nur ein Teil. Wichtig ist,
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4949
(A) )
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Markus Löning
dass in diesem Zusammenhang endlich auch andere Fra-
gen geklärt werden, zum Beispiel welcher Rechnungs-
hof eigentlich für die Prüfung der Aushändigung dieser
Gelder zuständig ist. Macht das der Landesrechnungs-
hof, weil die Landesverwaltungen die Gelder auszahlen,
ist der Bundesrechnungshof zuständig oder etwa der Eu-
ropäische Rechnungshof? Ich denke, es ist höchste Zeit,
dass endlich klar wird, welcher Rechnungshof zuständig
ist. Auch diese Gelder müssen der Kontrolle der Rech-
nungshöfe unterliegen, und zwar einer strengen Kon-
trolle; denn nur wenn streng kontrolliert wird, können
wir dem Misstrauen der Bürger entgegenwirken.
(Beifall bei der FDP)
Meine Damen und Herren, es geht auch um eine
ganze Reihe von anderen Punkten, die ich gerne hier an-
sprechen möchte; es geht eben nicht nur ums Geld. Die
Europäische Kommission spricht in ihrem Grünbuch im
Zusammenhang mit der Transparenzinitiative explizit
an, dass es um berufsethische Regeln und Standards für
Inhaber politischer Ämter geht. Selbstverständlich gibt
es solche Standards schon. Aber es ist richtig und unter-
stützenswert, wenn die Kommission hier die Initiative
ergreift, diese Standards und Regeln immer wieder zu
überprüfen und eine neue öffentliche Debatte darüber zu
führen. Es ist wichtig, dass die Bevölkerung sieht, dass
unsere Mandatsträger in Europa transparent in ihrem
Verhalten sind und ihre Vermögensverhältnisse veröf-
fentlichen. Da sind sie an vielen Stellen sogar transpa-
renter als wir Bundestagsabgeordnete. Ich finde, auch
das muss unterstützt werden.
Das Gleiche gilt für die Lockerung des Umgangs mit
internen Dokumenten. Es ist für die Bürger – auch für
uns Politiker – wichtig, dass nachvollzogen werden
kann: Wie verlaufen die politischen Prozesse innerhalb
der EU? Wann wird was entschieden? Wo kann man auf
die Dokumente zugreifen? Wir wollen, dass auf solche
Dokumente schneller zugegriffen werden kann. Das
würden wir uns übrigens auch für den Bundestag wün-
schen.
Einen weiteren Punkt finde ich außerordentlich wich-
tig – er gibt immer wieder Anlass für Vorurteile gegen-
über dem, was in Brüssel passiert –: eine klare Regelung
des Umgangs mit Lobbyorganisationen. Einerseits
brauchen wir die Zivilgesellschaft. Wir wollen, dass sie
auf die Politik Einfluss nimmt. Wir brauchen das Know-
how der Zivilgesellschaft, seien es Menschenrechtsorga-
nisationen, Umweltorganisationen, ein berufsständischer
Verband, sei es eine Industrieorganisation. Wir Politiker
sind also auf den Know-how-Input aus diesen Lobby-
organisationen angewiesen.
Andererseits dürfen wir uns natürlich nicht zu Opfern
der Lobbyorganisationen machen. Deswegen ist es so
wichtig, dass jegliche Einflussnahmen im Sinne der
Transparenz offen gelegt werden. Ich finde es sehr lo-
benswert, dass die Europäische Kommission an dieser
Stelle ansetzt und in Zukunft mehr Transparenz gewähr-
leisten möchte.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
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Lassen Sie mich zum Schluss noch eines ansprechen:
er Rechtsrahmen für das Europäische Amt für Betrugs-
ekämpfung, OLAF, soll neu gesetzt werden. Wir kön-
en ausdrücklich sagen: Es ist sehr begrüßenswert, wenn
ei OLAF Fortschritte gemacht werden. OLAF muss
ehr Kompetenzen erhalten. Wir brauchen auf europäi-
cher Ebene eine vernünftige Betrugsbekämpfung, damit
öglichen Vorfällen nachgegangen werden kann und
icht immer nur dumm rumgequatscht wird.
Aber es ist so, wie ich am Anfang sagte: Die Transpa-
enzinitiative ist nur ein kleiner Schritt, um die Akzep-
anz der EU bei den Bürgern zu stärken.
(Ursula Heinen [CDU/CSU]: Meine Rede!)
ir brauchen innerhalb der EU auch in Zukunft Erfolge.
hne Erfolge wird es in der EU keine weitere Erhöhung
er Transparenz geben. Wir Politiker müssen immer
ieder betonen – das sage ich, da in der Debatte, die wir
orhin geführt haben, vom Lissabonprozess die Rede
ar –: Die Osterweiterung ist für Deutschland ein sol-
her Erfolg. Sie hat zu mehr Arbeitsplätzen und zu höhe-
em Wachstum geführt. Das müssen wir den Menschen
mmer wieder sagen.
Auch in unserer Außenpolitik müssen wir erfolgreich
ein. Zu guter Letzt brauchen wir Erfolge in der Wirt-
chaftspolitik, die hier gemacht wird. Diese Erfolge
rauchen wir, damit Europa wieder mehr Akzeptanz ge-
innt.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP – Ursula Heinen [CDU/
CSU]: Da kann man Ihnen nur zustimmen,
Herr Löning!)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächster Redner ist der Kollege Michael Roth, SPD-
raktion.
Michael Roth (Heringen) (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ransparenz schafft Vertrauen. Wir alle kennen die Vor-
ürfe gegenüber der Europäischen Union, dort werde
iel Geld verbraten und die Bürgerinnen und Bürger pro-
itierten davon nicht. Die SPD-Fraktion unterstützt daher
ie Initiative der EU-Kommission, offen zu legen, wer in
elchem Umfang wofür Mittel der Europäischen Union
rhält. Die Bürgerinnen und Bürger profitieren nämlich
on der Europäischen Union. Es liegt an uns, dies immer
ieder öffentlich zu sagen. Allerdings müssen wir auch
ber die notwendigen Instrmente verfügen, um die Bür-
erinnen und Bürger zu informieren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Wir alle kennen aus unseren Wahlkreisen eine ganze
eihe von Projekten, mit denen die Europäische Union
iel Gutes tut: Qualifizierungsmaßnahmen für Jugendli-
he, Ausweisung von Gewerbegebieten, Förderung von
rojekten im naturnahen Tourismus usw. – viele Projekte,
uf die wir stolz sein können! Das Problem ist, dass über-
iegend noch nicht einmal wir Bundestagsabgeordnete
4950 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
Michael Roth (Heringen)
wissen, wohin das Geld der EU überhaupt fließt. Deswe-
gen ist die Transparenzinitiative gut.
(Beifall der Abg. Iris Gleicke [SPD])
Auch in dieser Debatte ist es bereits erwähnt worden:
75 Prozent der Mittel, die die Europäische Union zur
Verfügung stellt, werden gar nicht von Brüssel aus an die
entsprechenden Instanzen weitergeleitet, sondern von
den nationalen bzw. regionalen Ebenen verwaltet. Für
die Regional- und Strukturpolitik sind in Deutschland
die Länder zuständig. Ich habe manchmal den Eindruck,
dass zum Beispiel der hessische, der bayerische oder der
baden-württembergische Wirtschaftsminister, wenn sie
ein rotes Band durchschneiden, nur ungern erklären,
dass dafür in großem Umfang EU-Mittel zur Verfügung
gestellt wurden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Deswegen muss deutlich gemacht werden: Die Europäi-
sche Union ist an vielen Projekten beteiligt und viele se-
gensreiche Maßnahmen kämen ohne die Mittel aus Brüs-
sel nicht zustande.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Hakki
Keskin [DIE LINKE])
Die Offenlegung, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist
von unserer Warte aus längst überfällig. Ich würde gerne
auf einige Punkte, die in den vergangenen Wochen und
Monaten immer wieder kritisch angemerkt worden sind,
eingehen; lassen Sie uns einfach einmal darüber reden.
Erstens. Ein wesentlicher Vorwurf, der erhoben wor-
den ist, lautet: Bürokratieaufwand. Doch alle fraglichen
Daten liegen bereits vor, weil sie sowieso nach Brüssel
weitergemeldet werden müssen. Es stellt aus meiner
Sicht keinen immensen Bürokratieaufwand dar, wenn
diese Daten darüber hinaus veröffentlicht werden, bei-
spielsweise über das Internet.
Zweitens. Der Vorwurf lautet, Geschäftsgeheimnisse
würden gefährdet. Unabhängig von der Transparenzini-
tiative gilt weiterhin der strenge deutsche Datenschutz.
Deswegen haben wir genügend Möglichkeiten, dafür zu
sorgen, dass Geschäftsgeheimnisse von Betrieben und
Unternehmen nicht gefährdet, nicht ausgeplaudert wer-
den.
Drittens. Es gibt Bedenken seitens der Wirtschaft. Ich
verstehe das nicht: Ist es denn unanständig, wenn der
Staat Fördermittel zur Verfügung stellt? Unanständig
wäre das aus meiner Sicht nur dann, wenn diejenigen,
die in Sonntagsreden auf den Tagungen von Wirtschafts-
verbänden immer wieder fordern, der Staat müsse
schlank sein, er müsse sich aus der Wirtschaft heraushal-
ten, am Montag beide Hände offen halten und staatliche
Subventionen einstreichen. Das fände ich unanständig.
(Beifall bei der SPD)
Kommen wir zur Landwirtschaft. Die Gemeinsame
Agrarpolitik ist eine ganz wichtige Säule; die Kollegin
Heinen sprach dankenswerterweise schon darüber. Ich
meine aber, unsere Landwirte brauchen keine Angst vor
Transparenz zu haben.
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(Beifall bei Abgeordneten der FDP und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
enn profitieren wirklich nur die britische Königin oder
ultinational agierende Nahrungsmittelkonzerne von
ntsprechenden EU-Mitteln? Ist es nicht vielmehr so,
ass auch unsere kleinen, mittelständischen, familienge-
ührten Betriebe in Deutschland davon profitieren? Sie
üssen sich dafür auch nicht schämen. Ganz im Gegen-
eil: Falls es in der Verteilung der Mittel für die Land-
irtschaftspolitik ein Problem gibt, könnte der Reform-
otor in Schwung gebracht werden, weil deutlich wird,
ass Mittel aus der Gemeinsamen Agrarpolitik an die
alschen fließen. Durch Transparenz könnte eine Dis-
ussion hierüber initiiert werden, die ich begrüßenswert
ände.
(Beifall bei der SPD)
Transparenz schafft darüber hinaus Fairness zwi-
chen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union.
wischenzeitlich gibt es elf Mitgliedstaaten, die – über
anz verschiedene Wege – Transparenz ermöglicht ha-
en; meistens ist das ausgegangen von privaten Initiati-
en. Einheitliche, allen gemeinsame Bedingungen gibt
s nicht. Deswegen ist es nur gut, dass die Transparenz-
nitiative ein gemeinsames Fundament schafft, sodass in
llen 25 – perspektivisch: 27 – Mitgliedstaaten die Re-
eln vereinheitlicht werden und offen gelegt wird, unter
elchen Bedingungen zum Beispiel die Agrarwirtschaft
ittel von der EU erhält.
Ich bedanke mich ganz herzlich bei der Bundesregie-
ung. Es hat zwar ein wenig gedauert, aber gut Ding will
eile haben. Nun gibt es eine einvernehmliche Position
er Bundesregierung.
(Ursula Heinen [CDU/CSU]: Ja!)
ierzu haben viele ihren Beitrag geleistet. Ich würde
ich darüber freuen, wenn die Bundesregierung jetzt
uch in den Gremien der Europäischen Union mit
chwung, mit Elan und mit entsprechender Sorgfalt da-
ür sorgen würde, dass die Transparenzinitiative mit Le-
en erfüllt wird.
Zum Schluss eine kleine Bemerkung an die Kollegin
olf, die versucht hat, die Europapolitik der Bundesregie-
ung zu kritisieren. Die Europapolitik dieser Bundesre-
ierung unter der Führung von Bundeskanzlerin Merkel
teht in der Kontinuität der Europapolitik der vorange-
angenen Bundesregierung. Wenn Sie die Regierung da-
ür kritisieren, dass sie Nein sagt zu einem Aufschnüren
er europäischen Verfassung, dass sie Nein sagt zu einer
elektiven Öffnung im Bereich der Justiz- und Innenpo-
itik, dem Übergang vom Prinzip der Einstimmigkeit
um Mehrheitsprinzip, kann ich nur sagen: Die Bundes-
egierung hat Recht, Joschka Fischer hätte das genauso
emacht. Wir wollen die Verfassung als Ganzes. Deswe-
en sollte man hier nicht Äpfel mit Birnen vergleichen,
rau Kollegin Wolf.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4951
(A) )
(B) )
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hakki Keskin,
Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die Transparenz ist seit langem ein unverzicht-
bares Erfordernis in demokratischen Gesellschaften. Die
Bürger verlangen Transparenz vor allem über die öffent-
lich verwalteten Gelder; denn das sind die Steuern der
EU-Bürger. Daher haben sie ein Recht, zu erfahren, ob
ihre Gelder rechtmäßig, sachgerecht, sorgfältig und effi-
zient vergeben und verwaltet werden. Die Unionsbürger
wollen zu Recht wissen, wer wie viel Geld und wofür
von der Gemeinschaft erhält. Sie wollen wissen, welche
Rolle die Lobbys spielen. Sie wollen außerdem erfahren,
welche berufsethischen Regeln und welcher gemein-
same Verhaltenskodex für die Führungskräfte der euro-
päischen Institutionen gelten. Es geht also um die Offen-
legung von Informationen über die Verwaltung,
Verwendung und Empfänger von EU-Geldern.
Ich meine in Übereinstimmung mit allen Vorrednern,
dass Transparenz Vertrauen schafft. Das haben wir auch
bitter nötig in Europa. Daher entspricht die Transparenz-
initiative der Europäischen Kommission voll und ganz
den Erwartungen und dem Verlangen der EU-Bürger. Sie
wollen beispielsweise wissen, weshalb die schweizeri-
sche Firma Nestlé im Jahre 2004 für britische Agrarpro-
dukte 21 Millionen Pfund erhalten hat. Sie wollen auch
wissen, ob es gerechtfertigt ist, dass das britische
Königshaus rund 1 Million Pfund an Agrarsubventionen
erhält.
Sehr geehrte Damen und Herren, wie wichtig ein
Höchstmaß an Transparenz ist, zeigt die Tatsache, dass
nach wie vor Milliarden an EU-Geldern unrechtmäßig
vergeudet werden. Jedes Mal, wenn das Schlagzeilen
macht, verlieren die Institutionen der EU an Glaubwür-
digkeit. Gerade deshalb ist es nicht nachvollziehbar
– unser Herr Minister ist nicht da –,
(Marlene Mortler [CDU/CSU]: Die Staats-
sekretärin ist doch da!)
dass Bundesminister Glos die Transparenzinitiative der
EU-Kommission nur eingeschränkt umsetzen will. Herr
Glos will nämlich, dass nur Fördersummen oberhalb von
2 Millionen Euro offen gelegt werden sollen.
(Michael Roth [Heringen] [SPD]: Das stimmt
doch gar nicht!)
– Das steht in den Medien.
(Michael Roth [Heringen] [SPD]: Man muss
denen nicht alles glauben! – Marlene Mortler
[CDU/CSU]: Das ist überholt!)
– Dann soll er das klarstellen. – Dies stellt einen höchst
bemerkenswerten Sinneswandel des Ministers dar; denn
als Abgeordneter hatte er sich stets für mehr Transparenz
und auch für mehr Bürgernähe ausgesprochen.
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Es ist außerdem bedenklich, dass ausgerechnet die
undesrepublik Deutschland zu der Minderheit der EU-
taaten zählt, die sich gegen eine Offenlegung des Ver-
leibs von Fördermitteln sperrt. Wie ich jedoch heute der
resse entnehme, will die Bundesregierung ihren Wider-
tand gegen mehr Transparenz nunmehr aufgeben. Ich
öchte dies vom Herrn Minister gerne bestätigt wissen.
Die Grünen und die FDP bewegen sich mit ihren An-
rägen lediglich im Rahmen der Transparenzinitiative
er Kommission. Die Fraktion Die Linke vertritt jedoch
ie Auffassung, dass die Transparenzinitiative deutlich
usgeweitet werden muss. Deshalb fordern wir mehr
ransparenz in der Steuer- und Finanzpolitik sowie bei
en Großkonzernen. Es muss öffentlich klar nachvoll-
iehbar sein, wo und in welcher Höhe beispielsweise
roßkonzerne ihre Milliardengewinne erwirtschaften
nd versteuern. Außerdem muss die Umsetzung der
ransparenzinitiative mithilfe von Sanktionen, also einer
rt Kontrolle, gewährleistet sein.
Ich komme zum Schluss. Wie wir alle wissen, hat die
U zurzeit erhebliche Probleme, von den Bürgerinnen
nd Bürgern akzeptiert zu werden. Die von uns gefor-
erte Transparenzpolitik auf allen Entscheidungsebenen
ürde diesem Misstrauen entgegenwirken.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort hat die Kollegin Marlene Mortler, CDU/
SU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Marlene Mortler (CDU/CSU):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
amen und Herren! Europa ist nicht das Problem, Eu-
opa ist die Chance – so bringt es Emilia Müller, die baye-
ische Ministerin für Bundes- und Europaangelegenhei-
en, immer wieder auf den Punkt. Ich teile diese Einschät-
ung. Ich sage aber auch ganz klar: Europa darf nicht
bertreiben. Europa muss hart und ständig daran arbeiten,
eine Akzeptanz – das haben wir heute schon mehrfach
ehört – und seine Glaubwürdigkeit zu erhöhen.
Ich erinnere zum Beispiel an das Abstimmungsver-
alten der Bürgerinnen und Bürger in Frankreich beim
U-Referendum. Ich erinnere auch an unsere Vereinba-
ung, die wir nächste Woche parteiübergreifend be-
chließen wollen, nach dem Motto: Wir machen uns fit
ür Europa. Wir wollen künftig früher und ausführlicher
arüber informiert werden, was die Kommission plant.
abei wollen wir ihr auch auf die Finger klopfen und,
enn es sein muss, auch einmal auf die Finger schlagen
önnen.
(Markus Löning [FDP]: Na, na! Das sind die
bayerischen Vorstellungen!)
ch sage ganz deutlich und bewusst: Wer Transparenz
ordert, muss bei sich anfangen.
(Markus Löning [FDP]: Warum ist Herr
Stoiber dann dagegen?)
4952 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
Marlene Mortler
Viel zu wenige wissen, auf welchen Irrwegen und Ab-
wegen bestimmte Ziele auf EU-Ebene verfolgt werden.
Die Frage ist auch: Wer steckt dahinter? Viel zu wenige
wissen, welche Macht inzwischen die NGOs, die Nicht-
regierungsorganisationen, in der Kommission haben.
Eine bestimmte Vorgehensweise – das beobachte ich
sehr aufmerksam – hat inzwischen System: Wenn man
etwas durchsetzen will, wird zunächst der Verbraucher
vorgeschoben mit der Begründung, dass er es so wolle.
Vor dem Hintergrund einer Pressemitteilung meiner
Kollegen Ulla Heinen und Peter Bleser vom August die-
ses Jahres fragt man sich: Was will die Kommission ei-
gentlich? Ulla Heinen und Peter Bleser schreiben:
Sollte die EU-Kommission ihr Vorhaben in die Tat
umsetzen, die festen Verpackungsgrößen bei vielen
Artikeln des täglichen Bedarfes abzuschaffen, be-
deutet dies eine deutliche Schwächung der Wettbe-
werbsstellung des Verbrauchers.
(Ursula Heinen [CDU/CSU]: Genau!)
Die Preistransparenz wird erschwert
– das ist logisch –,
Täuschungen durch häufige Änderungen der Pa-
ckungsgrößen werden erleichtert.
Wenn wir die Transparenzinitiative zurückverfolgen,
dann müssen wir auch zur Kenntnis nehmen, dass sich
im Rahmen des so genannten Konsultationsverfahrens
EU-weit lediglich 16 Bürgerinnen und Bürger beteiligt
haben. Diese Zahl ist äußerst gering angesichts von
455 Millionen Menschen, die theoretisch die Möglich-
keit dazu gehabt hätten.
(Markus Löning [FDP]: Was haben Sie denn
gemacht, Frau Kollegin? – Gegenruf der Abg.
Ursula Heinen [CDU/CSU]: Wir beteiligen
uns doch gerade! – Gegenruf des Abg. Markus
Löning [FDP]: Das Konsultationsverfahren ist
abgelaufen!)
– Das Konsultationsverfahren ist am 31. August abge-
laufen, lieber Herr Kollege.
(Markus Löning [FDP]: Haben Sie sich daran
beteiligt?)
Die Kommission hat es sehr offensiv kommuniziert.
Trotzdem war die Beteiligung nicht stärker.
Worum geht es den Grünen in ihrem Antrag? Sind sie
einfach auf den EU-Zug aufgesprungen oder haben sie
ihn sogar ganz bewusst in Gang gesetzt? Ich meine, Sie
planen gezielt einen Anschlag auf die erste Säule der ge-
meinsamen Agrarpolitik.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Aber nicht mit uns! Unsere Kanzlerin Dr. Merkel hat
eindeutig festgestellt, dass die erste Säule für unsere
Bäuerinnen und Bauern in Europa verlässlich bleiben
muss.
(Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann
[FDP])
Das ist auch so im Koalitionsvertrag festgeschrieben.
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Damit Sie mich richtig verstehen: Ich bin durchaus
ür Transparenz, aber sie muss für alle gelten.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD und des Abg. Dr. Hakki Keskin
[DIE LINKE])
ann müssen alle die Hosen herunterlassen: vom Land-
irt über die Unternehmer bis hin zu den angesproche-
en NGOs. Vielleicht sollte die Kommission mit gutem
eispiel vorangehen und selber sagen, was jeder Kom-
issar verdient. Das Ganze kann man auch auf die Kabi-
ettsmitglieder beziehen.
(Michael Roth [Heringen] [SPD]: Das müssen
sie!)
Es muss noch deutlicher werden.
(Markus Löning [FDP]: Das steht im Internet!
Das können Sie nachlesen! Da stehen die Ver-
mögensverhältnisse!)
Gegebenenfalls müssen sogar alle staatlichen Beihil-
en offen gelegt werden, nicht nur auf europäischer
bene, sondern auch im Bund und in den Bundeslän-
ern. Ich will kein Zerrbild; darin sind wir uns sicherlich
lle einig. Wir wollen echte Transparenz und echte Ver-
leiche. Wenn wir den Blick nur auf Europa und auf die
andwirtschaft richten, dann passiert genau das, was Sie
it Ihrem Antrag erreichen wollen, nämlich dass wieder
inmal die Landwirte madig gemacht werden und die
ahlungen im Rahmen der ersten Säule infrage gestellt
erden. Diese Gelder haben aber einen anderen Ur-
prung. Wer die Geschichte kennt, weiß das. Sie sind ein
eilausgleich für politisch gewollte Preiskürzungen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist zwar schon über-
chritten. Gestatten Sie dennoch eine Zwischenfrage des
ollegen Trittin?
Marlene Mortler (CDU/CSU):
Selbstverständlich, Herr Trittin.
Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Frau Kollegin Mortler, ich
öchte Sie fragen: Ist es nicht auch und gerade im Inte-
esse der Familienbetriebe bzw. der kleinen Landwirte,
ie zum Beispiel die Region Franken charakterisieren,
icht immer mit den großen, teilweise geradezu industri-
ll produzierenden landwirtschaftlichen Betrieben und
en Zuwendungen, die beispielsweise an große Nah-
ungsmittelkonzerne gehen, in einen Topf geworfen zu
erden, wenn über Subventionsabbau gesprochen wird?
ützt nicht vielleicht die Transparenz, die wir hier ge-
einsam einklagen, den Landwirten in der Legitimation
hrer Tätigkeit, die wir doch alle wollen?
Marlene Mortler (CDU/CSU):
Der Verbraucher entscheidet nicht zwischen Klein
nd Groß. Er urteilt über die Landwirtschaft, wie sie sich
n Ihrem Antrag darstellt.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4953
(A) )
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Marlene Mortler
So, wie es kleine Menschen wie mich und große Men-
schen wie Sie gibt,
(Heiterkeit)
soll es auch kleine und große Betriebe geben. Wie in der
Vergangenheit, als es um ökologische und konventio-
nelle Landwirtschaft ging, sagen wir von der Union auch
jetzt ganz deutlich: Wir brauchen alle. Wir wollen keine
Gleichmacherei.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD und des Abg. Hans-Michael
Goldmann [FDP])
Professor Dr. Radermacher, Mitglied des Club of
Rome, hat es kürzlich auf den Punkt gebracht: Ich bin
dankbar für jeden Bauern um die Ecke, der nicht nur die
Umwelt pflegt, sondern auch Nahrungsmittel erzeugt.
Leider denken wir oft nur in Krisensituationen darüber
nach. – Wir brauchen unsere Landwirte. Die Landwirte
haben nichts zu verbergen. Deshalb bin ich persönlich
absolut gegen die Einführung von Schwellenwerten.
Ich bin dafür, dass die Diskussion über Schwellen-
werte der Vergangenheit angehört. Vor allem bin ich da-
für – das war der zweite Streitpunkt –, dass nicht die
Mitgliedstaaten, sondern die Kommission selbst die Da-
ten veröffentlicht.
Zum Schluss appelliere ich an die Bundesregierung:
Fordern Sie die EU-Kommission auf, die Spielregeln in
diesem Zusammenhang so zu gestalten, dass kein Da-
tendschungel produziert wird, der in einen Datenfriedhof
mündet. Bereiten Sie die Daten auf allen Ebenen, also
ressortübergreifend, so auf, dass sie zu einem echten In-
formationsgewinn für die Menschen in unserem Land
führen.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Garrelt Duin, SPD-Fraktion.
Garrelt Duin (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Die „Zeit“ hat Ende August für einen Ar-
tikel über die Transparenzinitiative die Überschrift ge-
wählt: „Der Bürger soll dumm bleiben“. Diese Über-
schrift wurde durch Diskussionen in Deutschland
ausgelöst, die auch ich – das sage ich ganz ausdrücklich –
für sehr unglücklich gehalten habe. Ich bin froh, dass wir
hier jetzt in den Koalitionsfraktionen und in der Bundes-
regierung einen Schritt weiter sind. Eine solche Über-
schrift wird, wenn wir zur endgültigen Beschlussfassung
kommen, nicht mehr gerechtfertigt sein. Wir werden
dem dort formulierten Vorurteil entgegentreten, indem
wir verdeutlichen: Wir stehen hinter der Transparenzini-
tiative, so wie sie vorgelegt wurde.
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(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU und des Abg. Dr. Hakki Keskin
[DIE LINKE])
Nicht alle Äußerungen der letzten Wochen waren hilf-
eich. Ich möchte eine Äußerung aus der Stellungnahme
es Bundesrates explizit hervorheben. Dort heißt es, bei
er Umsetzung der gemeinsamen Agrarpolitik sei „bereits
eute eine prinzipiell hinreichende Transparenz gewähr-
eistet“. Dem will ich ausdrücklich widersprechen. Wenn
an die Bürgerinnen und Bürger Deutschlands fragen
ürde, ob sie den Eindruck hätten, dass in der gemeinsa-
en Agrarpolitik alles, was sie wissen wollten, offen ge-
egt werde, dann würden sie wohl zu anderen Antworten
ls jener aus der Stellungnahme des Bundesrates kom-
en.
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das gilt na-
türlich für alle EU-Staaten!)
elbst der Bauernverband – den kennen Sie, Herr
oldmann, gut – war da offener als der Bundesrat.
Es ist heute mehrfach angesprochen worden, dass
rinz Charles in der Liste der Subventionsempfänger
uftaucht. Wenn ich richtig informiert bin, hat er auch
iel Geld in den ökologischen Landbau investiert.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Ich bin ein großer Anhänger von Prinz
Charles!)
eshalb erhält er von einigen hier Zustimmung. Soweit
ch informiert bin, können wir davon ausgehen, dass das
eutsche Staatsoberhaupt in solch einer Liste nicht auf-
auchen würde.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Den kann man sich schlecht auf einem
Trecker vorstellen!)
s ist völlig in Ordnung, dass darüber diskutiert wird,
er das Geld bekommt und in welcher Höhe, wer die
mpfänger der europäischen Subventionen und Beihil-
en sind.
Es war eine politische Entscheidung – unabhängig da-
on, ob sie im Bundestag, im Europäischen Parlament
der in den Landtagen getroffen wurde –, diese Mittel
inzusetzen.
(Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann
[FDP])
an sollte also, wenn die Mittel irgendwo ankommen,
icht so tun, als habe man das nicht gewollt, und diese
ntscheidung damit verleumden. Ich finde, wir können
ehr offen mit diesem Thema umgehen und deutlich be-
ennen: Es ist richtig, dass die Empfänger das Geld er-
alten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der FDP und des Abg. Dr. Hakki Keskin [DIE
LINKE])
enn in bestimmten Fällen deutlich wird, dass Mittel
icht korrekt eingesetzt wurden, wenn ein Projekt ge-
cheitert ist oder ein Empfänger nicht ordentlich mit den
itteln umgegangen ist, dann sind wir aufgefordert,
4954 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
Garrelt Duin
entweder den Sinn der Unterstützung zu erläutern oder
das entsprechende Programm zu streichen und zu sagen:
Das war nicht in Ordnung; daraus ziehen wir Konse-
quenzen. Auch hier haben wir überhaupt keinen Anlass,
uns in irgendeiner Weise zu verstecken.
Liebe Kollegin Mortler, wenn Transparenz dazu führt,
dass es zu einer intensiven Diskussion über die Zukunft
der gemeinsamen Agrarpolitik in Europa kommt, ist
das kein Nachteil; denn ich habe nicht das Gefühl, dass
hier der Stein der Weisen schon gefunden wurde.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Kein Empfänger muss Angst haben. Wir, die wir in
Deutschland in der Politik die Mittel auf den verschiede-
nen Ebenen dorthin leiten, wo wir es für richtig halten,
werden lediglich stärker gezwungen, Dinge einmal zu
erklären. Es kann durchaus sein, dass ein Unternehmen,
das schon gut dasteht, eine höhere Beihilfe bekommt,
dass wir aber eine gute Erklärung dafür haben. Warum
sollen die Bürgerinnen und Bürger dann nicht einen An-
spruch darauf haben, dass wir ihnen diese Erklärung ge-
ben? Die Bundesländer sind – das halte ich für einen
sehr wichtigen Punkt – in diesen Prozess einzubeziehen.
Das ist nicht nur eine Aufgabe des Bundes; denn viele
Mittel, die aus Europa kommen, werden von den Bun-
desländern an die Regionen und die Empfänger verteilt.
Deswegen ist es wichtig, die Bundesländer rechtzeitig
und intensiv einzubeziehen, damit dort alle notwendigen
Informationen erfasst werden können.
Wir, die Koalitionsfraktionen, werden einen eigenen
Antrag zu diesem Thema vorlegen, der auf der Grund-
lage dessen, was Herr Roth und andere sowie ich gerade
gesagt haben, im Kern sieben Punkte umfasst. Wir dür-
fen die Transparenzinitiative nicht nur nicht verhindern,
sondern müssen sie aktiv einfordern. Des Weiteren müs-
sen die Bundesländer einbezogen werden. Bei der Offen-
legung müssen wir darauf hinwirken, dass die Förder-
wirkung erfasst wird. Das wird zwar nicht unbedingt in
jedem Einzelfall gelingen. Aber warum soll es nicht
möglich sein, auf der entsprechenden Homepage einen
Link zu einem bestimmten Projekt zu installieren, damit
man sehen kann, ob eine Evaluierung stattgefunden hat
und, wenn ja, ob das Projekt erfolgreich war oder nicht?
Das ist technisch gar kein Problem und dient sicherlich
der Befriedigung des Informationsinteresses derjenigen,
die sich um diese Dinge kümmern. Es muss zudem be-
nutzerfreundlich sein. Nicht die verwaltende Instanz,
sondern die tatsächlichen Nutznießer müssen genannt
werden. Die direkten und die indirekten Empfänger von
EU-Geldern, also diejenigen, die Mittel von Bund oder
Ländern bekommen, müssen gleich behandelt werden.
Das Stichwort „Gleichbehandlung“ wurde in diesem Zu-
sammenhang schon genannt. Last, but not least sprechen
wir uns – auch wenn es hier Irritationen gegeben hat –
sehr eindeutig gegen die so genannten Schwellenwerte
aus. Diese haben in diesem Zusammenhang keine sinn-
volle Bedeutung.
Ich möchte noch kurz auf den Kollegen Löning einge-
hen. Er hat darauf hingewiesen, dass es bei der Transpa-
renzinitiative nicht nur um die Veröffentlichung von Bei-
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ilfen und EU-Mitteln geht, sondern dass diese Initiative
uch einen strukturierten Rahmen für die Lobbyarbeit
nd ein Feedback im Hinblick auf die Einhaltung der
onsultationsstandards enthält. Frau Kollegin Mortler
at darauf hingewiesen, dass sich bislang nur sehr we-
ige Bürgerinnen und Bürger an den Konsultationen
eteiligt haben. Ich finde, das ist erst recht ein Ansporn,
ieses Instrument weiter auszubauen, damit sich in Zu-
unft mehr Bürgerinnen und Bürger an den Konsulta-
ionen, die ich für ein wichtiges Instrument der Politik
er Europäischen Union halte, beteiligen.
Die Transparenzinitiative löst sicherlich nicht alle
robleme der Europäischen Union, die bei den Referen-
en im Mittelpunkt gestanden haben. Aber sie ist ein
ichtiger Schritt auf dem Weg zu mehr Offenheit und
ransparenz in der Europäischen Union. Deswegen wer-
en wir diese Initiative nach Kräften unterstützen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie
des Abg. Dr. Hakki Keskin [DIE LINKE])
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
en Drucksachen 16/2517 und 16/2203 an die in der Ta-
esordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
ind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
ind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung des Berichts des Petitionsausschusses
(2. Ausschuss)
Bitten und Beschwerden an den Deutschen
Bundestag
Die Tätigkeit des Petitionsausschusses des
Deutschen Bundestages im Jahr 2005
– Drucksache 16/2500 –
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
ie Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich
öre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Vorsit-
ende des Petitionsausschusses, Kersten Naumann.
(Beifall bei der LINKEN)
Kersten Naumann (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen
om Ausschussdienst! Meine sehr geehrten Damen und
erren! Seit nunmehr 57 Jahren ist der Petitionsaus-
chuss die zentrale Einrichtung unseres Parlaments für
ie Behandlung aller an den Deutschen Bundestag ge-
ichteten Petitionen, Bitten und Beschwerden. Das
ahr 2005 war in diesen 57 Jahren mit 22 144 Eingaben
in Rekordjahr. Diese Zahl der Neueingänge wurde bis-
er nur ein einziges Mal, im Jahr 1992, übertroffen.
Was signalisiert uns diese anhaltend hohe und stei-
ende Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an dieser
orm der direkten Demokratie? Erstens. Das Bild vom
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4955
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Kersten Naumann
Petitionsausschuss als dem „Seismografen der Nation“
wird bekräftigt und der Ausschuss funktioniert. Zweitens.
Das Vertrauen in unser Parlament und in den Petitions-
ausschuss als letzte Instanz, etwas über den politischen
Weg ändern zu wollen, besteht bei der Bevölkerung.
Drittens. Es gibt für die Bürgerinnen und Bürger genü-
gend ungelöste oder unzureichend gelöste Probleme, die
der Erledigung harren.
Wie weit der Bogen der uns erreichenden Eingaben
gespannt ist, zeigen die Einzelfälle, die wir im schriftli-
chen Bericht veröffentlicht haben. Der Bericht gibt nicht
nur Auskunft über positiv erledigte Einzelfälle wie beim
Unterhaltsrecht, bei Visaerteilungen, beim Erhalt von
Postagenturen und vielem mehr. Die meisten Schicksale
sind unbenannt in Zahlen zusammengefasst. Ein deutli-
cher Schwerpunkt, wie bisher jedes Jahr anhaltend hoch
und konstant, liegt im Bereich des Bundesministeriums
für Gesundheit und Soziale Sicherung mit allein fast
8 000 Petitionen. Das ist fast ein Drittel aller neu zuge-
gangenen Petitionen. Kein Wunder, denn die soziale Si-
cherung und die Gesundheit sind das A und O im Leben
eines jeden Menschen.
Dazu ein Beispiel: Ein Problem, das immer mehr
Menschen bedrückt, ist der Verlust des Krankenver-
sicherungsschutzes. Insgesamt dürften zwischenzeitlich
ungefähr 300 000 Menschen davon betroffen sein. An
den Petitionsausschuss wurde daher häufig das Anliegen
herangetragen, für einen bezahlbaren Krankenversiche-
rungsschutz zu sorgen. Aber bei der bestehenden
Rechtslage kann in der Regel nicht weitergeholfen wer-
den. Deshalb sieht der Petitionsausschuss hier dringen-
den Reformbedarf und hat dem Bundesministerium für
Gesundheit und den Fraktionen zahlreiche Petitionen als
Material zur Kenntnis übergeben. Damit liegt die Ini-
tiative hier im Parlament bei den Fraktionen. Wir hoffen,
dass sie davon Gebrauch machen.
Auch bei anderen Sachgebieten ist ein deutlicher Zu-
wachs zu verzeichnen. Dieser betrifft unter anderem das
Staats- und Verfassungsrecht. Mehr als 1 000 Petitionen
sind hier im Vergleich zum Vorjahr hinzugekommen.
Rund 3 700 Petitionen gingen allein an das Bundesmi-
nisterium des Innern; das ist mehr als doppelt so viel wie
2004. Änderungen bei der Visaerteilung, im Ausländer-,
Aufenthalts-, Integrations- und Asylverfahrensgesetz ha-
ben hier ihre Auswirkungen gezeigt.
Die Anzahl der Petitionen im Bereich des Arbeits-
rechts, der Arbeitsvermittlung, der Sozialversicherung
und der Kinderbeihilfen ist anhaltend hoch und stieg,
was die Neueingänge betrifft, ebenfalls. Ich denke, das
sollte dem Parlament und den Fraktionen zu denken ge-
ben; denn jede Petition muss für uns Abgeordnete eine
hilfreiche Kontrollanregung gegenüber der Regierung
sein.
Zunehmend nutzen die Bürgerinnen und Bürger das
Petitionsrecht also auch, um das Parlament auf Lücken
und Härten in der Gesetzgebung oder auf Missstände im
Verwaltungshandeln hinzuweisen. Das wird ganz beson-
ders bei so genannten Massenpetitionen, in denen viele
Menschen gemeinschaftlich ein Anliegen vorbringen,
bzw. in Sammelpetitionen, bei denen die Eingaben mit
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nterschriftenlisten versehen sind, deutlich. Über
50 000 Menschen haben sich im Berichtsjahr einzeln
der in Gemeinschaft an den Petitionsausschuss ge-
andt. Das ist wahrlich eine beeindruckende Zahl von
ückmeldungen aus der Bevölkerung. Je mehr Rück-
eldungen wir bekommen, desto besser sind unsere
öglichkeiten, Schwachstellen zu erkennen. Alle Abge-
rdneten sollten versuchen, diese abzustellen.
Um in dieser Hinsicht noch näher am Puls der Zeit zu
ein, wurde im letzten Jahr ein entscheidender Schritt
eim Einstieg in das Zeitalter des elektronischen Parla-
ents gemacht. Da ist zum einen die Möglichkeit, Peti-
ionen per E-Mail durch Nutzung eines Internetformu-
ars einzureichen; etwa 10 Prozent unserer Eingaben
ommen bereits per E-Mail. Zum anderen besteht seit
em 11. September 2005 in einem auf zwei Jahre ange-
egten Modellversuch für jeden Interessenten die Mög-
ichkeit, Petitionen öffentlich im Internet mitzuzeichnen
nd damit zu unterstützen oder auch zu kommentieren.
ie Anträge für eine solche öffentliche Petition, die von
llgemeinem Interesse sein muss, sind ebenfalls im In-
ernet zu finden.
Der Petitionsausschuss führte somit auch ein Stück
ehr Transparenz in die Bearbeitung von Petitionen ein,
a die Bearbeitungsstände im Internet einsehbar sind.
er Petitionsausschuss kann – das Einverständnis aller
raktionen vorausgesetzt – eine öffentliche Beratung
erartiger Eingaben vorsehen. Noch in diesem Jahr wird
ine erste öffentliche Beratung stattfinden.
Bis heute wurden über 200 Eingaben als öffentliche
etitionen zugelassen und von insgesamt rund
00 000 Bürgerinnen und Bürgern mitgezeichnet. Wei-
ere 15 000 Kommentare aus der Bevölkerung gaben
ichtige Hinweise zu den einzelnen Themen der veröf-
entlichten Eingaben. Damit wird der Ausschuss in die
age versetzt, noch qualifizierter Empfehlungen gegen-
ber dem Plenum des Deutschen Bundestages abzugeben.
Ich gehe davon aus, dass uns eine dritte Neuerung, die
uf eine Stärkung von Elementen der direkten Demokra-
ie zielt, noch mehr Erkenntnisse bei der Bearbeitung der
etitionen bringen wird. Dabei handelt es sich um eine
eitere Änderung der Verfahrensgrundsätze des Peti-
ionsausschusses. Es wurde festgelegt, dass bei Sammel-
der Massenpetitionen, die innerhalb von drei Wochen
in Quorum von 50 000 Unterstützern erreichen, eine
nhörung des Petenten oder mehrerer Petenten in öf-
entlicher Ausschusssitzung zu erfolgen hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer wissen möchte,
omit wir uns im Bereich der öffentlichen Petitionen be-
chäftigen, dem kann ich nur den Besuch der Internet-
eite des Petitionsausschusses empfehlen. Sie werden er-
ennen, dass die Themenvielfalt überraschend groß ist.
Damit haben sich auch unsere Möglichkeiten verbes-
ert, unseren Auftrag zu erfüllen und unsere Arbeit
ransparenter zu machen. Es wäre im Interesse der Sache
ehr wünschenswert, wenn wir aus unserem Modellver-
uch „öffentliche Petitionen“ eine dauerhafte Einrich-
ung machen könnten.
(Beifall im ganzen Hause)
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4956 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
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Kersten Naumann
Der Petitionsausschuss konnte im Berichtszeitraum in
der Hälfte aller Fälle den Petenten helfen. In einem Drit-
tel aller abgeschlossenen Fälle ist den Petenten mit ei-
nem Rat oder einer Auskunft geholfen worden. In circa
5 Prozent der Fälle hat bereits das Einreichen einer Peti-
tion eine veränderte Haltung der Verwaltung bewirkt;
dem Anliegen konnte sofort durch die Behörde entspro-
chen werden. Bei weiteren 3 Prozent der Fälle hat der
Petitionsausschuss dem Anliegen des Petenten durch ein
entsprechendes Votum Rechnung getragen.
Förmliche Bitten an die Bundesregierung, einem Peti-
tionsbegehren in vollem Umfang zu entsprechen, sind
nur relativ selten ergangen. Im Jahr 2005 wurden sechs
Petitionen von über 16 000 bearbeiteten Petitionen an
die Bundesregierung zur Berücksichtigung überwiesen.
In 39 Fällen wurde die Petition an die Bundesregierung
mit der Maßgabe, nach geeigneten Mitteln und Möglich-
keiten der Abhilfe zu suchen, zur Erwägung überwiesen.
Viele Beispiele aus der Praxis bekräftigen, dass die
Arbeit des Petitionsausschusses nicht selten da anfängt,
wo Gerichte und Verwaltungen dem Betroffenen nicht
mehr helfen können. Um nicht missverstanden zu wer-
den: Auch der Petitionsausschuss kann sich nicht über
geltendes Recht hinwegsetzen. Seine Entscheidungen
besitzen Empfehlungs-, nicht Weisungscharakter. Häufig
geht es aber darum, Sachverhalte in einen größeren Zu-
sammenhang zu stellen und teilweise mit Fantasie und
Fingerspitzengefühl andere Lösungswege für den Peten-
ten zu finden, die seinen Vorstellungen zumindest nahe
kommen. Vor allem aber bieten solche Fälle häufig Ma-
terial für Vorschläge zur Gesetzgebung, weil sie
Schwachstellen bestehender Regelungen aufzeigen.
Nicht von ungefähr wurden in 163 Fällen Petitionen den
Fraktionen zur Kenntnis gegeben.
Das Grundgesetz und das Befugnisgesetz räumen uns
als Petitionsausschuss einige Möglichkeiten der Gestal-
tung unserer Arbeit ein. Eine Möglichkeit ist zum Bei-
spiel, Ortstermine durchzuführen, um sich ein Bild vom
Sachstand einer Petition zu machen. Davon haben die
Mitglieder des Ausschusses im vergangenen Jahr zwei-
mal Gebrauch gemacht.
Gestatten Sie mir, sehr geehrte Kolleginnen und Kol-
legen, an dieser Stelle eine persönliche Bewertung der
Arbeit des Petitionsausschusses. In Gesprächen mit den
Mitgliedern des Petitionsausschusses habe ich immer
wieder gehört, dass die dort gemachten Erfahrungen für
die Arbeit als Abgeordnete sehr hilfreich sind. Dies zu
betonen ist umso wichtiger, als das Engagement und die
kompetente, engagierte und ideenreiche Arbeit der ein-
zelnen Abgeordneten in einem Ausschuss wie dem Peti-
tionsausschuss oftmals nicht die gebührende Anerken-
nung in den Fraktionen erhalten. Doch gerade in der
täglichen Arbeit des Petitionsausschusses begreifen sich
die Abgeordneten als Vertreterinnen und Vertreter des
Volkes, können sie doch unmittelbar für die Belange
Einzelner eintreten. Ich würde mir wünschen, dass dies
so bleibt; denn mit andauernd hoher Arbeitslosigkeit, so-
zialen Verwerfungen sowie globalen und strukturellen
Verflechtungen, wie sie uns nach wie vor in zahlreichen
Eingaben kundgetan werden, wachsen die Herausforde-
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ungen. Deshalb sind wir aufgerufen, täglich nach trag-
ähigen nachhaltigen Lösungen zu suchen.
Werte Kolleginnen und Kollegen, nicht vergessen
öchte ich, einen besonderen Dank an die Mitarbeiter
nd Sachbearbeiter des Petitionsausschussdienstes der
undestagsverwaltung zu richten.
(Beifall im ganzen Hause)
ur mit ihrem unermüdlichen Einsatz und einer stets
ollegialen Zusammenarbeit mit den Ausschussmitglie-
ern konnte die steigende Zahl der Anfragen, Bitten und
eschwerden bearbeitet werden – und dies bei gleich
leibender bzw. zeitweise verminderter Arbeitskapazität.
Ich möchte mich als Vorsitzende aber auch bei den
usschusskolleginnen und -kollegen aller Fraktionen
edanken. Das vergangene Jahr war für mich lehrreich,
pannend und in jeder Hinsicht sehr reich an Erfahrun-
en. Ich wünsche mir für die kommenden Jahre weiter-
in eine bürgernahe Arbeit sowie eine konstruktive und
achliche Zusammenarbeit im Sinne der Petentinnen und
etenten und werde dabei die Worte von Mahatma
andhi beherzigen, die da lauten:
Die Demokratie muss dem Schwächsten die glei-
chen Chancen zusichern wie dem Stärksten.
Danke schön.
(Beifall im ganzen Hause)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort hat der Kollege Günter Baumann, CDU/
SU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Günter Baumann (CDU/CSU):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
erren! Wir beklagen in unserem Land in zunehmendem
aße niedrige Wahlbeteiligungen, zurückgehendes En-
agement vieler Bürger für die Gemeinschaft. Kurz ge-
agt, wir stellen Politikverdrossenheit fest. Diese hat
erschiedene Ursachen und wir sind alle aufgefordert,
hr an den verschiedensten Stellen entgegenzuwirken.
Bei der Arbeit des Petitionsausschusses des Deut-
chen Bundestages stellen wir erfreulicherweise eine
anz andere Entwicklung fest. Die Zahl der Bürgerinnen
nd Bürger, die von ihrem im Grundgesetz verankerten
echt Gebrauch machen, sich mit Bitten und Beschwer-
en an den Bundestag zu wenden, nimmt ständig zu. Im
ahre 2005 – wir haben es gerade gehört –, gab es 22 000
etitionen. Das ist die zweithöchste Zahl nach 1992. Da-
ür sehe ich zwei Hauptursachen. Zum einen machen wir
ür unsere Tätigkeit in immer stärkerem Maße Wer-
ung, indem wir zum Beispiel auf Messen mit einem
ehr informativen Stand auftreten und für die Bürgerin-
en und Bürger als Ansprechpartner zur Verfügung ste-
en.
Der Anstieg der Zahl der Petitionen hat meines Er-
chtens aber einen zweiten Grund. Es hat nämlich etwas
amit zu tun, dass Gesetze für den Bürger zum Teil un-
erständlich sind und dass die Anwendung durch die Zu-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4957
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Günter Baumann
ständigkeit verschiedener Behörden im Land teilweise
Schwierigkeiten hervorruft.
Hinter jeder Petition verbirgt sich ein Mensch mit sei-
nem kleinen oder größeren Problem, der mit seinem An-
liegen schon an anderen Stellen gescheitert ist und nun
im Petitionsausschuss seine letzte Hoffnung auf Hilfe
sieht.
Auch in dem Jahr, über das wir heute reden, ist der
Anteil der Bürgerinnen und Bürger aus den neuen Bun-
desländern an der Gesamtzahl der Petenten prozentual
am höchsten. Gemessen am Bundesdurchschnitt entfal-
len auf den Osten Deutschlands rund 43 Prozent aller
Petitionen. Das sind 9 500, was gegenüber dem Vorjahr
einen Anstieg um rund 50 Prozent bedeutet.
Es ist ein positives Zeichen, dass sich Menschen über
Petitionen besonders stark in die Politik einbringen. Die
Themen der im Ausschuss behandelten Petitionen sind
ein politischer Seismograf, der auch die regionalen Be-
sonderheiten im wiedervereinten Deutschland wider-
spiegelt. So stehen zum Beispiel Probleme des Arbeits-
marktes, der sozialen Sicherung oder auch der
Rentenanrechnung in den neuen Bundesländern beson-
ders im Mittelpunkt. Auch Probleme bei der Privatisie-
rung der ehemaligen staatlichen Betriebe sind ein reines
Ostthema.
Ein konkretes Beispiel: So kritisierten mehrere Peten-
ten die in den alten und den neuen Bundesländern unter-
schiedlich hohe Bemessung des Arbeitslosengeldes II.
In den unterschiedlichen Regelsätzen liege nach ihrer
Ansicht eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehand-
lung. Der Gesetzgeber habe nach Art. 3 des Grundgeset-
zes wesentlich Gleiches auch im Wesentlichen gleich zu
behandeln. Der Petitionsausschuss folgte dem Argu-
ment. Wir haben ein Votum abgegeben und es ist gelun-
gen, zu erreichen, dass seit dem 1. Juli 2006 eine in Ost
und West einheitliche Regelleistung von 345 Euro ge-
währt wird.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Auch die unterschiedlichen Rentenbiografien zwi-
schen Ost- und Westdeutschen geben weiterhin Anlass
zu einer Vielzahl von Eingaben. Der Einigungsvertrag
und auch im Nachhinein verabschiedete Gesetze konn-
ten nicht alles regeln.
Mir persönlich ist eine Gruppe von Betroffenen ganz
besonders wichtig. Das sind diejenigen, die überhaupt
keine oder nur geringe Rentenansprüche stellen können,
weil ihnen eine normale Erwerbsbiografie in der DDR
verweigert wurde. Ich meine, den Opfern des SED-Re-
gimes muss endlich für ihren Einsatz für Freiheit und
Demokratie Gerechtigkeit widerfahren; es muss endlich
eine Lösung gefunden werden.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Dazu hatten wir eine Vielzahl von Petitionen. Ich denke,
wir befinden uns mit dem vorliegenden Koalitionsver-
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rag auf einem guten Weg, um hier zu einer Klärung zu
ommen.
Nach diesem Problem aus den neuen Bundesländern
och eine ganz besondere Erfolgsstory, die im letzten
ahr ihren positiven Abschluss gefunden hat. Sie betrifft
as Postleitzahlenbuch. 1993 gab es die letzte Auflage
es Postleitzahlenbuchs in Deutschland. Zum Ärger vie-
er Bürger erfolgte durch die Deutsche Post keine Aktua-
isierung mehr. Das heißt, viele Menschen in unserem
and, die keinen Computer besitzen, hatten Probleme,
riefe mit aktuellen Postleitzahlen zu adressieren. Wir
atten seit 2002 eine Vielzahl von diesbezüglichen Peti-
ionen.
Der Ausschuss entschied sich parteiübergreifend, das
roblem zu lösen, und überwies die Petition der Bundes-
egierung als Material. Zunächst sah das Wirtschaftsmi-
isterium kein allgemein begründetes Interesse und war
uch nicht bereit, tätig zu werden. Der Ausschuss ließ
ber nicht locker. Erst nach einer repräsentativen Befra-
ung von Bundesbürgern, in der sich 90 Prozent dafür
ussprachen, ein neues Buch aufzulegen, konnten wir
ine Wende in diesem Fall erreichen. Im letzten Jahr war
s für meinen Kollegen Hagemann und mich eine beson-
ere Ehre, als wir in einer großen Filiale der Post in Berlin
on einem Post-Vorstandsmitglied das erste Exemplar
es Postleitzahlenbuchs unter sehr starkem Medieninte-
esse überreicht bekamen. Es handelt sich also um eine
eschichte, die einen vollen Erfolg hatte. Inzwischen sind
ämlich mehrere Auflagen des Buches, das 6,95 Euro
ostet, schon vergriffen. Es ist also sehr stark nachge-
ragt. Hiermit hatte der Petitionsausschuss also großen
rfolg.
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Ich habe noch keine Post von dir
bekommen!)
Ich schreibe dir nachher gleich.
Wo ich gerade beim Thema Post bin, möchte ich er-
änzen: Auch bezüglich der Schließung von Postfilialen
rreichte uns eine Vielzahl von Petitionen. Wir konnten
m Ausschuss einmütig eine Reihe von Schließungen ab-
enden und haben somit dafür gesorgt, dass die Post
uch heute noch in vielen kleinen Gemeinden und Ort-
chaften Ansprechpartner ist.
Meine Damen und Herren, neben Fleiß und Sachver-
tand gehören eben auch Hartnäckigkeit und Ausdauer
ur Arbeit der Abgeordneten im Petitionsausschuss.
Die Debatte zum Jahresbericht 2005 gibt mir Gele-
enheit, im Namen der Mitglieder der Arbeitsgruppe Pe-
itionen der CDU/CSU allen Mitarbeiterinnen und Mit-
rbeitern des Ausschussdienstes für ihre fleißige und
ompetente Arbeit ganz herzlich zu danken.
(Beifall im ganzen Hause)
hne ihre Tätigkeit wäre es uns nicht möglich, diese
erge von Petitionen, die sich jede Woche auf unserem
chreibtisch auftürmen, ordnungsgemäß zu bearbeiten.
in herzlicher Dank geht auch an die Abgeordneten aller
raktionen im Ausschuss für, wie ich denke, das sehr
ute Miteinander und die kollegiale Zusammenarbeit. So
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Günter Baumann
konnten wir im letzten Jahr vielen Bürgerinnen und Bür-
gern in unserem Land helfen. Bei nahezu 50 Prozent al-
ler Petitionen haben wir eine Lösung zugunsten oder im
Sinne des Petenten gefunden. Ich denke, das ist eine sehr
gute Zahl. Das stärkt das Vertrauen in unsere lebendige
Demokratie und ermutigt uns, gemeinsam diesen Dienst
für unsere Bürger fortzuführen.
Herzlichen Dank.
(Beifall im ganzen Hause)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächster Redner ist der Kollege Jens Ackermann,
FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Jens Ackermann (FDP):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Pe-
titionsausschuss ist das Ohr des Parlamentes am Bürger.
Als Schnittstelle zwischen Bundestag und Bürgern
nimmt er auf, was den Menschen am Herzen liegt, wel-
che Probleme sie mit Gesetzen und Behörden haben,
welche Vorschläge und Lösungsansätze sie entwickelt
haben. Er leistet einen wichtigen Beitrag gegen die Poli-
tikverdrossenheit. Die zahlreichen Petitionen sind ein
deutliches Zeichen: Die Bürgerinnen und Bürger ver-
trauen unserem Petitionsausschuss. Sie verdeutlichen,
wie wichtig dieser Ausschuss ist. Er ist für viele die
letzte Anlaufstelle, eine Alternative zur Resignation. Es
wäre fatal für das Ansehen der Politik, dieses Vertrauen
zu enttäuschen.
(Beifall im ganzen Hause)
Die Arbeit im Petitionsausschuss ist, wie die Aus-
schussvorsitzende, Frau Naumann, es angesprochen hat,
in der Tat eine Bereicherung für die Abgeordnetentätig-
keit. Die Möglichkeit, die Eingabe auch per E-Mail an
den Ausschuss richten zu können, ist ein wichtiger
Schritt hin zur Nutzung der modernen Kommunikations-
mittel und ermöglicht den direkten Kontakt mit den Bür-
gern. Mit dem Modellversuch der öffentlichen Petitio-
nen ist die Arbeit des Ausschusses transparenter
geworden. Damit hat der Petitionsausschuss einen Weg
eingeschlagen, der zu mehr Bürgernähe führt. Es müssen
aber auch hier alle Schritte gegangen werden. Stellung-
nahmen der Bundesbehörden müssen ebenfalls eingese-
hen werden können. Nur so können der gesamte Weg der
Petitionen und die Entscheidungsfindung des Ausschus-
ses nachvollzogen werden. Erst dann ist das Verfahren
auch als wirklich bürgernah zu bezeichnen.
Selten hat es mehr Eingaben gegeben als im Jahr
2005: ganze 25 Prozent mehr als im Vorjahr und sogar
40 Prozent mehr als noch 2003. In den neuen Bundeslän-
dern, ohne Berlin, hat sich die Zahl der Petitionen im
Jahr 2005 im Vergleich zum Vorjahr sogar verdoppelt.
Was sagt uns das? Ich habe dazu eine etwas andere Auf-
fassung als der Kollege Baumann. Zum einen zeugt es
von Vertrauen in den Deutschen Bundestag und in den
Parlamentarismus. So weit sind wir uns einig. Es spie-
gelt den noch vorhandenen Glauben der Bevölkerung an
die Politik und ihren Gestaltungswillen der Bevölkerung
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ider. Rund die Hälfte der Eingaben sind Bitten zur Ge-
etzgebung. Das ist der positive Aspekt.
Wer sich mit den Eingaben genauer beschäftigt, kann
ber feststellen, dass der Anstieg der Zahl der Eingaben
it der Unzufriedenheit der Bürger mit der Politik der
egierung in Verbindung steht. Je größer die Unzufrie-
enheit unserer Mitbürger mit der Bundesregierung,
esto häufiger wenden sie sich an ihr Parlament. Die
enschen wollen, dass der Reformstau aufgelöst wird;
ie wollen, dass ihre Initiativen und Anliegen vorange-
rieben werden. Sie möchten auch, dass Ungerechtigkei-
en beseitigt werden. Man muss es so deutlich benennen:
s ist eben auch ein Zeichen schlechter Regierungsar-
eit, wenn sich so viele Bürger in ihrer Verzweiflung
nd Ungeduld an unser Parlament wenden.
Wen wundert es da, dass über 40 Prozent der Petitionen
Jahr 2005 den Zuständigkeitsbereich des Gesund-
eitsministeriums betrafen? Erlauben Sie mir dazu fol-
ende Bemerkung: Ich mag gar nicht daran denken, wel-
hen Anteil die Eingaben zum Gesundheitswesen in den
ommenden Jahren haben werden, wenn die Gesundheits-
eform so, wie es jetzt diskutiert wird, umgesetzt werden
ürde.
(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Kersten
Naumann [DIE LINKE] – Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger [FDP]: Das wäre eine Kata-
strophe!)
Lassen Sie mich ein weiteres Beispiel aus dem Pool
er Petitionen nennen, an dem deutlich wird, was Bürger
ewegt, um den Deutschen Bundestag um Hilfe zu bit-
en, weil die Regierung nicht handelt. Herr Baumann hat
s schon angesprochen: Es betrifft die Verbände von
pfern der SED-Diktatur. Als Abgeordneter aus Sach-
en-Anhalt liegt mir ihr Anliegen besonders am Herzen.
s geht den Opfern oft nicht um finanziellen Ausgleich;
s geht ihnen mehr um moralische Anerkennung oder
ehabilitation. Ihr Schicksal darf nicht in Vergessenheit
eraten.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
us diesem Grund hat der Petitionsausschuss eine bes-
ere Regelung eingefordert. Die Regierung muss han-
eln. In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP
at die Bundesregierung dies nunmehr in Aussicht ge-
tellt. Von einem Gesamtkonzept ist da die Rede, das
un zeitnah vorgelegt werden soll. Wir – ich denke, da
preche ich im Namen aller Kollegen des Petitionsaus-
chusses – werden da die Regierung beim Wort nehmen.
Doch nicht nur bei den Bürgern rumort es. Auch bei
en Beamten wächst die Unzufriedenheit. Hierfür ste-
en allein 2 133 Eingaben zum öffentlichen Dienstrecht.
nsgesamt hat sich die Zahl der Eingaben zum Ge-
chäftsbereich des Innenministeriums gegenüber dem
orjahr mehr als verdoppelt. Diese Warnhinweise müs-
en wir als Gesetzgeber ernst nehmen. Wir brauchen mo-
iviertes Personal. Das liegt nicht nur im Interesse der
itarbeiter selber, sondern auch im Interesse von Staat
nd Gesellschaft insgesamt.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4959
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Jens Ackermann
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Josef
Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN])
Der Petitionsausschuss ist das zentrale Gremium für
die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger. Als Abgeord-
neter muss ich mich in die Lage der Menschen versetzen
können. Das haben wir im Ausschuss wohl alle getan.
Dennoch sind wir nicht immer einer Meinung gewesen.
Das liegt in der Natur der Sache. Aber wir konnten häu-
fig etwas bewegen, Gerechtigkeit anmahnen und Anlie-
gen in die Gesetzgebung einbringen.
Bedanken möchte ich mich im Namen der FDP-Frak-
tion auch bei den Mitarbeitern und Sachbearbeitern im
Ausschussdienst. Sie sorgen für eine zügige Bearbeitung
der Eingaben und kümmern sich vorbildlich um die ih-
nen anvertrauten Petitionen und Petenten.
Wenn es zu Verzögerungen bei der Bearbeitung
kommt, so liegt dies nicht so sehr an den Sachbearbei-
tern, sondern eher an den Kapazitäten in den Abgeordne-
tenbüros und in den Regierungsstellen, die um Voten
und Stellungnahmen angefragt worden sind. Ich denke,
dass wir an dieser Stelle unsere Arbeit selbstkritisch be-
trachten sollten.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der LINKEN)
Durch unsere Aufgabe im Petitionsausschuss haben
wir eine ganz besondere Verpflichtung gegenüber dem
einzelnen Bürger. Häufig sind schnelle Lösungen und
Entscheidungen von großer Wichtigkeit für den Verlauf
einer Petition und damit für den einzelnen Petenten. Eine
zügige Bearbeitung der Petition muss ein wichtiges Prin-
zip sein und auch bleiben.
Der Jahresbericht 2005 des Petitionsausschusses ist
eine Sammlung der Eingaben und der Sorgen, die
Deutschland bewegen. Es zeigt, wie wichtig der Peti-
tionsausschuss für den deutschen Parlamentarismus ist.
Seine Bedeutung kann nicht hoch genug eingeschätzt
werden. Dieser Verantwortung sind wir uns alle bewusst.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort hat der Kollege Gregor Amann, SPD-Frak-
tion.
Gregor Amann (SPD):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu-
nächst möchte ich mich bei der Ausschussvorsitzenden
und allen Mitgliedern des Ausschusses für die vertrau-
ensvolle und gute Zusammenarbeit bedanken. Mein
ganz besonderer Dank gilt aber unserem Ausschuss-
dienst und seinen Mitarbeitern,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/
CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN)
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ie jede eingehende Petition sichten und vorbearbeiten.
ur so können wir Ausschussmitglieder uns trotz der
ielzahl der eingehenden Petitionen für jedes Anliegen
ie notwendige Zeit für eine ausgewogene Entscheidung
ehmen.
Als ich im Herbst letzten Jahres in den Bundestag ge-
ählt und Mitglied des Petitionsausschusses wurde,
atte ich, ehrlich gesagt, keine klare Vorstellung von
em, was mich in diesem Ausschuss erwarten würde.
aher wusste ich auch nicht, wie interessant und lehr-
eich die Tätigkeit als Mitglied des Petitionsausschusses
ein kann. Denn die Bandbreite der Themen, die in die-
em Ausschuss behandelt werden, umfasst alle Lebens-
ereiche des Menschen.
Aber dennoch: Bei jedem unserer „Fälle“ geht es um
as Schicksal von Menschen. Häufig sind es Menschen,
eren letzte Hoffnung der Petitionsausschuss ist. Ich
preche sicher im Namen vieler Kollegen aus dem Aus-
chuss, wenn ich sage, dass einem manche Schicksale,
ie wir dabei kennen lernen, schon sehr nahe gehen.
ich persönlich beschäftigt vor allem immer wieder die
useinandersetzung mit dem Themenkomplex Aufent-
altsrecht, Asyl und Abschiebung, auch wenn die An-
ahl der Petitionen zu diesem Themenbereich im Be-
ichtszeitraum rückläufig war.
Wie schwierig dieses Thema ist, zeigt der Fall eines
hinesischen Falun-Gong-Anhängers, der im vorliegen-
en Bericht enthalten ist. Der Petent hat hier Asyl bean-
agt, da er als Falun-Gong-Anhänger in China Verfolgun-
en ausgesetzt sei. Dennoch wurde seinem Antrag auf
syl nicht stattgegeben. Auch der Petitionsausschuss
chloss sich der Argumentation an, dass er Falun Gong
icht aus Überzeugung praktiziere und dieser Glaubens-
ewegung im Übrigen erst nach seiner Ausreise aus China
eigetreten sei. Der Petent wurde im Frühjahr 2005 abge-
choben, in ein Arbeitslager eingewiesen und steht heute
ach Intervention der Bundesregierung unter Hausarrest.
Entscheidungen des Petitionsausschusses in diesem
ensiblen Bereich sind also besonders schwierig und
önnen weitreichende Auswirkungen haben. Auch wir
usschussmitglieder sind dabei, wie dieser Fall zeigt,
icht vor Irrtümern und Fehlern gefeit.
Fehler in der Gesetzgebung zu entdecken, ist eine der
ufgaben des Petitionsausschusses. Ein Beispiel dafür
st das neue Zuwanderungsgesetz, mit dem leider keine
ösung für das Problem der so genannten Kettendul-
ungen gelungen ist. Nach wie vor wird die Erteilung
on Aufenthaltstiteln in den verschiedenen Bundeslän-
ern sehr unterschiedlich gehandhabt. Knapp
00 000 Menschen leben nur mit einer Duldung in
eutschland, davon über 50 000 schon länger als elf
ahre. Manche leben in ständiger Angst vor einer Ab-
chiebung. Mir leuchtet nicht ein, warum das so sein
uss.
So auch im folgenden Fall, der aus meinem Wahlkreis
tammt: Es handelt sich um eine Familie aus dem Ko-
ovo. Die Eltern sind einst als Bürgerkriegsflüchtlinge
ingereist. Inzwischen leben sie seit 13 Jahren in
eutschland. Die Kinder, in Deutschland geboren, spre-
4960 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
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Gregor Amann
chen Deutsch als Muttersprache. Die Familie lebt in
wirtschaftlicher Unabhängigkeit von jeglichen staatli-
chen Sozialleistungen, da der Mann eine feste Arbeits-
stelle hat. Sie sind vorbildhaft in ihre Stadt und ihren
Stadtteil integriert. Dennoch sollten sie jetzt, nach
13 Jahren, abgeschoben werden.
Man schickt also Menschen, die sich hier eine Exis-
tenz aufgebaut haben und unser Land nicht nur kulturell
bereichern, sondern auch zu unserem Steueraufkommen
und unserem Bruttosozialprodukt beitragen, in ein Land,
in dem sie auf Hilfsleistungen der internationalen Ge-
meinschaft angewiesen sind, in ein Land, dessen Spra-
che die Kinder nicht sprechen, und das auch den Eltern
inzwischen fremd ist.
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Das ist wirklich inhuman!)
Eben weil Integration eine „Zweibahnstraße“ ist, wie es
der Bundesinnenminister im vergangenen November an
dieser Stelle betont hat, brauchen wir endlich eine Blei-
berechtsregelung für diese Menschen.
(Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Bei den Kriterien für ein Bleiberecht müssen wir uns
fragen, ob die derzeit diskutierten Vorschläge ausrei-
chend sind. Das gilt zum Beispiel für die Frage nach der
Sicherung des Lebensunterhalts. Gerade Familien mit
Kindern sowie kranke und traumatisierte Menschen sind
häufig nicht in der Lage, ihren Lebensunterhalt aus eige-
ner Kraft zu sichern. Eine Bleiberechtsregelung sollte
aber auch diese Personengruppen erfassen, unabhängig
von ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Mit der
Eingabe des Vereins Pro Asyl hat diese Problematik den
Petitionsausschuss in diesem Jahr nicht mehr nur in
Form von Einzelschicksalen erreicht, sondern als grund-
sätzliche Frage.
Unabhängig von diesem noch laufenden Petitionsver-
fahren appelliere ich an die Innenministerkonferenz, sich
endlich auf eine umfassende Bleiberechtsregelung zu ei-
nigen.
(Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]:
Das stimmt!)
Aber: Es ist einfacher, etwas von anderen zu fordern, als
es selbst zu tun. Daher will ich auch uns, die Abgeordne-
ten des Deutschen Bundestages, auffordern, auf diesem
Gebiet aktiv zu werden; denn auch wir können eine ent-
sprechende gesetzliche Regelung beschließen. Ich ver-
weise auf das Beispiel Spanien aus dem vergangenen
Jahr.
Sie sehen, die Arbeit im Petitionsausschuss ist nicht
immer einfach. Wir wägen ab, ringen um die beste Lö-
sung und versuchen stets – und zwar über Parteigrenzen
hinweg –, ein ausgewogenes und gerechtes Votum zu er-
reichen. Sehr gut gefällt mir in diesem Zusammenhang
der Grundsatz von Albert Schweitzer:
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Humanität besteht darin, dass niemals ein Mensch
einem Zweck geopfert wird.
ch finde, dies ist ein sehr schöner Leitspruch für den Pe-
itionsausschuss. In diesem Sinne wünsche ich uns im
usschuss weiterhin eine gute und vertrauensvolle Zu-
ammenarbeit.
(Beifall im ganzen Hause)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort hat die Kollegin Petra Pau, Fraktion Die
inke.
(Beifall bei der LINKEN)
Petra Pau (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
nsere Kollegin Kersten Naumann hat die Arbeit des
etitionsausschusses als Seismografen der Nation und
ls eine Form direkter Demokratie gewürdigt. Dem will
ch überhaupt nicht widersprechen. Im Gegenteil: Ich
ppelliere an uns, die Probleme und Belange, die im Pe-
itionsausschuss behandelt werden, noch viel ernster zu
ehmen; denn es gibt wohl keinen Parlamentsausschuss,
er näher am wahren Leben dran ist, als dieser.
Frau Naumann hat summiert: Es gab noch nie so viele
etitionen, wie im vergangenen Jahr, jedenfalls nicht seit
992. Das ist der Positivbefund. Es darf aber spekuliert
erden, was die Ursachen dafür sind. Liegt es daran,
ass die demokratischen Möglichkeiten hierzulande im-
er engagierter genutzt werden, oder liegt es daran, dass
ie Bürgerinnen und Bürger von immer mehr Sorgen ge-
lagt werden?
Wenn ich mir die Petitionen ansehe, auch die, die ich
elbst bearbeite, dann stelle ich fest: Das Zweite ist der
all. Immer mehr Bürgerinnen und Bürger fühlen sich
ngerecht behandelt, geraten in soziale Nöte, ringen mit
esetzen, die sie in ihrer Würde beschränken. Das ist der
rnste Befund, über den in der heutigen Debatte zu reden
st. Die Gesundheitsreform und die Hartz-Gesetze haben
azu beigetragen. Ich verweise auch auf die berührenden
eispiele, die der Kollege Amann vorhin vorgetragen
at.
Die Subbotschaft vieler Petitionen lautet also: Wir
ühlen uns von der Politik verlassen. Auch das ist ein
auptbefund. Diese Verlassenheit korrespondiert mit ak-
uellen Untersuchungen. Demnach halten immer weni-
er Bürgerinnen und Bürger die Demokratie für eine
ute Staatsform. Diese Tendenz gilt für die gesamte
undesrepublik. Im Westen zweifelt rund ein Drittel an
er Güte der Demokratie und im Osten ist es weit mehr
ls die Hälfte. Ich halte das für alarmierend. Ich denke,
er Bundestag darf nicht darüber hinweggehen; denn
chließlich geht es nicht um irgendeine Demokratie, son-
ern um die Bundesrepublik und darum, wie sie von den
ürgerinnen und Bürgern wahrgenommen wird. Vielen
ommt sie immer fremder vor und sie werden immer
leichgültiger.
Das aber ist ein Einfallstor für Rechtsextremisten.
iese nutzen es weidlich. Sie merken, ich fahre dort fort,
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4961
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Petra Pau
wo ich gestern in der Debatte über den Rechtsextremis-
mus aufgehört habe.
Ich denke, das sollten wir immer wieder tun. Denn
der sicherste Verfassungsschutz ist noch immer eine cou-
ragierte Zivilgesellschaft. Das ist eine Binsenweisheit
für alle, die das Grundgesetz und die Würde des Men-
schen ernst nehmen.
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn sich aber immer mehr von der Demokratie abwen-
den, dann ist das Grundgesetz in Gefahr. Schlimmer
noch: Der Sozial- und der Bürgerrechtsstaat stehen auf
dem Spiel. Auch darum geht es in dieser Debatte. Das
betrifft unsere alltägliche Arbeit, nicht nur die im Peti-
tionsausschuss.
In den Petitionen werden immer wieder zwei große
Fragen angesprochen: die soziale Frage und die Ge-
rechtigkeitsfrage. Bei beiden liegt etwas im Argen. Das
ist die Generalbotschaft, die mit dem Bericht des Peti-
tionsausschusses heute zur Debatte steht. Wir können,
müssen und sollten die Arbeit des Petitionsausschusses
– hier schließe ich mich dem Dank meiner Vorrednerin-
nen und Vorredner an – und auch die Arbeit der Mitar-
beiterinnen und Mitarbeiter würdigen. Aber es geht nicht
nur darum. Es geht in diesen Debatten auch um die
Grundlinien der Bundespolitik im Spiegel der Bürgerin-
nen und Bürger.
Seismografen sollen helfen und Hinweise geben, be-
vor Katastrophen ausbrechen. Wir kennen das in Zusam-
menhang mit Vulkanen, Erdbeben oder dem Tsunami
zum Jahreswechsel 2004/2005, der uns allen noch in Er-
innerung ist. Wenn aber der Petitionsausschuss ein Seis-
mograf sein soll, dann müssen wir, der gesamte Bundes-
tag, die Signale ernst nehmen. Ich entnehme dem Bericht
und den Petitionen, dass sie eine Vorwarnung vor ei-
nem sozialen Tsunami hierzulande sind. Die Kollegin
Naumann hat hier über das Problem des Verlustes der
Krankenversicherung gesprochen. Wir könnten sicher-
lich weitere solche Probleme aufzählen, die wir als Vor-
warnung aufnehmen und die wir lösen sollten.
Es grummelt an vielen Stellen. Trotzdem führen wir
im Bundestag immer öfter aufgeregte Debatten, die – das
sollten wir uns selbstkritisch sagen – lebensfremd sind.
Ich nenne ein Beispiel: Wie oft haben wir im vergange-
nen halben Jahr hier im Bundestag über Hartz-IV-Miss-
brauch gesprochen? Ich kenne nur eine belastbare Unter-
suchung zu diesem Thema und in der steht: Der
Sozialmissbrauch durch Langzeitarbeitslose liegt deut-
lich unter 3 Prozent. Aber um diese 3 Prozent haben sich
die aufgeregtesten Debatten im letzten halben Jahr ge-
dreht und nicht um die 97 Prozent, die trotz aller Sozial-
beschränkungen noch immer arbeitslos sind.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich finde, das ist Politikmissbrauch. Vielleicht wenden
sich auch deshalb so viele an den Petitionsausschuss.
Aber immer mehr wenden sich ab bzw. nicht einmal
mehr dorthin.
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(Günter Baumann [CDU/CSU]: Die Zahl der
Petitionen steigt! Das haben wir doch festge-
stellt!)
edes Klagen über den Aufwind der Neonazis bleibt
rotlos, wenn wir nicht auch darüber gemeinsam nach-
enken.
Die Vorsitzende des Petitionsausschusses hat einen
eiteren positiven Befund gewürdigt. Das praktische Pe-
itionsrecht wurde in den vergangenen Jahren ausgewei-
et. Es kann per Internet und massenhafter wahrgenom-
en werden. Diese Einschätzung unterstütze ich. Aber
uch hier sollten wir nicht dem Irrtum verfallen und den
aum mit dem Wald verwechseln. Denn in Fragen direk-
er Demokratie ist die Bundesrepublik immer noch ein
U-Entwicklungsland. Die Bürgerinnen und Bürger der
undesrepublik können sich inzwischen zwar bequemer
nd umfassender über Missstände beschweren. Sie kön-
en – auch über den Petitionsausschuss – Anregungen
eben. Aber sie haben kaum Rechte, ihre politischen
mstände direkt mitzugestalten.
In den Ländern um uns herum haben die Bürgerinnen
nd Bürger die Möglichkeit, ihr persönliches Votum ab-
ugeben, zum Beispiel zum EU-Verfassungsvertrag. Nur
n der Bundesrepublik wähnt sich die Mehrheit der poli-
ischen Klasse immer noch klüger. Ich finde, das ist vor-
emokratisch. Ich habe das hier schon mehrfach gesagt.
uch das gehört übrigens zur Negativbilanz von Rot-
rün. Dieses Manko wurde zementiert, anstatt endlich
ehr direkte Demokratie zu wagen.
(Beifall bei der LINKEN – Klaus Hagemann
[SPD]: Das ist doch Quatsch! – Josef Philip
Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir
haben doch einen Gesetzentwurf eingebracht!)
egen Demokratieverdruss hilft letztlich nur mehr De-
okratie. Denn die Bürgerinnen und Bürger wollen ernst
enommen werden. Die Realität in der Bundesrepublik
st anders. Sie werden oft als Souverän gehandelt, aber in
er praktischen Politik als Problem behandelt.
Ich habe eingangs gefragt, was uns der Jahresbericht
es Petitionsausschusses wirklich zeigt. Meine Antwort
autet: Er stellt der Bundespolitik einen gefährlichen Be-
und aus. Schauen wir nur auf die Wahlbeteiligung. Am
ergangenen Wochenende hatten wir dazu Gelegenheit.
ahlen sind in der Demokratie die kleinste Übung. Schon
ie gelten aber im Moment für eine Mehrheit der Bürge-
innen und Bürger als brotlos. Wir sollten uns darum
ümmern, dass das Grundgesetz und die Demokratie hier
icht leer laufen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort hat der Kollege Josef Winkler, Bündnis 90/
ie Grünen.
(Günter Baumann [CDU/CSU]: Gib dir ein
bisschen mehr Mühe, Josef! – Gegenruf von
der CDU/CSU: Genau, es kann nur besser
werden! – Gabriele Lösekrug-Möller [SPD]:
Josef, jetzt erzähl mal aus der wirklichen Ar-
beit!)
4962 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
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Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Werte Kollegin Pau, das Bild war mir doch
ein bisschen zu düster gezeichnet,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Ab-
geordneten der FDP)
obwohl natürlich auch ich Kritik an der Bundesregierung
anzubringen habe. Aber so schlimm ist die Lage nun
auch wieder nicht, dass man die Briefe ans Parlament
– und die Zahl der Eingaben steigt ja – platt als gegen
das Handeln der Bundesregierung gerichtet abtun kann.
Ich sehe das als Vertrauensbeweis bezüglich der Funk-
tionsfähigkeit der parlamentarischen Demokratie und
nicht als Kritik am Zustand derselben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)
Ich bedanke mich sehr herzlich für die Zusammenar-
beit mit der Frau Vorsitzenden sowie mit den Kollegin-
nen und Kollegen im Ausschuss. Ebenso bedanke ich
mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bun-
destagsverwaltung und der Fraktionen, auch der eigenen.
Außerdem sollten wir, da es sich um das Berichtsjahr
2005 handelt, in unseren Dank den ehemaligen Vorsit-
zenden des Petitionsausschusses, Herrn Dr. Guttmacher
von der FDP, einschließen.
(Beifall im ganzen Hause)
Die bereits angesprochenen Erweiterungen des Peti-
tionsrechtes sind ja, wenn man so will, ein Kind rot-grü-
ner gemeinsamer Politik, das es zu hegen und zu pflegen
gilt. Dieses Kind hat inzwischen eine ganze Reihe Paten-
onkel und -tanten im Parlament gefunden. Ich kann da
nur sagen: Willkommen im Klub! Bei der Erweiterung
der demokratischen Rechte brauchen wir keine Nach-
hilfe; das hat schon die alte Bundesregierung durchge-
setzt – unter tätiger Mithilfe der Opposition.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD)
Die Möglichkeit, Petitionen per E-Mail einzureichen,
hat der Ausschuss aus eigenem Ermessen durchgesetzt;
da brauchten wir nicht lange zu fragen. Inzwischen ge-
hen bereits 10 Prozent der Petitionen per E-Mail ein. Wir
müssen als Haushaltsgesetzgeber allerdings beobachten,
wie sich das entwickelt, ob nicht in Zukunft mehr Perso-
nal in der Verwaltung für die Bearbeitung benötigt wird.
Im Moment scheint es noch zu gehen.
Auch die öffentlichen Petitionen finden – das wurde
angesprochen – großen Anklang. Ich denke, die Mög-
lichkeit, auf der Webseite des Bundestages eine virtuelle
Unterschriftenliste zu installieren, ist etwas, was sich im-
mer mehr durchsetzen wird. Ich unterstütze ausdrück-
lich, dass der diesbezügliche Modellversuch, der vom
Technikfolgenabschätzungsbüro des Bundestages evalu-
iert wird, in eine dauerhafte Einrichtung übergeht. Die
„Generation Praktikum“, ein Thema, das zurzeit viele
bewegt, hat es gezeigt: Eine Petition zu diesem Thema
hat in relativ kurzer Zeit fast 50 000 Unterschriften be-
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ommen. Wir sollten die Möglichkeit, über so wichtige
hemen mit den Petenten öffentlich ins Gespräch zu
ommen – vielleicht nicht mit allen 50 000 auf einmal –,
uch im Rahmen öffentlicher Ausschusssitzungen nut-
en. Ich freue mich, dass wir im Kreise der Obleute und
er Vorsitzenden vereinbart haben, so bald als möglich
wenn es geht, in diesem Jahr – erstmalig eine öffentli-
he Beratung durchzuführen. Wir müssen dann natürlich
chauen, dass wir aus verschiedenen interessanten The-
engebieten Petitionen auswählen.
Ich will eine inhaltliche Anmerkung zu einer Sache
achen, die der Kollege Amann angesprochen hat, und
war zur Frage der Kettenduldung und des Bleibe-
echts für langjährig in Deutschland lebende Men-
chen. Das ist mir wirklich ein Herzensanliegen. Vor
wei Jahren stand Otto Schily an diesem Pult und sagte,
as Zuwanderungsgesetz führe dazu, dass die Kettendul-
ungen ausliefen, sodass das in Zukunft geregelt sei.
(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]:
Genau! Und was ist? Nichts ist!)
as stimmt offensichtlich nicht; das Problem besteht
ach wie vor. Das ist der eigentliche Skandal an der Sa-
he.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der FDP)
Die Abschiebung in ein chinesisches Arbeitslager
urde schon angesprochen. Abschiebungen nach China
üssen wir in Zukunft ernster nehmen.
Insgesamt ist zu beobachten, dass immer mehr Peti-
onen zu Asylverfahren und zur Visaerteilung eingehen.
ei der Visaerteilung gibt es – vielleicht im Nachgang
um Visa-Untersuchungsausschuss und der in diesem
usammenhang etwas hysterisch geführten Debatte –
atsächlich Probleme. Inzwischen wird zu hart geurteilt.
ie Mitarbeiter in den Botschaften und Konsulaten sind
ffensichtlich verunsichert. Oft werden sogar berechtigte
isaanträge nicht mehr gewährt, was zum Beispiel dazu
ührt, dass nach Meinung der Botschaft hoch betagte El-
ern ihre Kinder bis zu ihrem Lebensende nicht mehr se-
en sollen – das ist ein Fall aus der Ukraine – oder dass
amilien auseinander gerissen werden bzw. voneinander
etrennt bleiben. Das können wir nicht zulassen. Die Pe-
itionen zeigen, dass hier dringend etwas geändert wer-
en muss. Dieser Appell richtet sich in erster Linie an
ie Bundesregierung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
KEN)
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Im Hin-
lick auf die Asylpetitionen liegt mir aber noch eine An-
elegenheit am Herzen. Ich weiß: Wir alle arbeiten flei-
ig und wollen möglichst zeitnah zu Ergebnissen
ommen. Insbesondere Asylpetitionen müssen aller-
ings wirklich rasch bearbeitet werden, weil die Landes-
ehörden sonst nicht bereit sind, etwaig anstehende Ab-
chiebungen auszusetzen. Das könnte noch verbessert
erden. Ich schaue jetzt ganz gezielt nirgendwohin, da-
it sich niemand beleidigt fühlt. Aber hier gibt es noch
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4963
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Josef Philip Winkler
Nachholbedarf. Asylpetitionen müssen schneller bear-
beitet werden.
Nichtsdestotrotz ist die Zusammenarbeit vertrauens-
voll. Ich möchte gerne, dass das so bleibt. Wir werden
das Unsrige dazu beitragen. Die Kollegin Lazar wird
gleich noch zu einigen anderen Punkten Stellung neh-
men.
Herzlichen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der
SPD, der LINKEN und der FDP)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort hat der Kollege Gero Storjohann, CDU/
CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Gero Storjohann (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Im Jahre 2005 wurde mit dem Modellvorhaben
der öffentlichen Petitionen eine neue Plattform geschaf-
fen, auf der jeder Bürger mitdiskutieren kann. Das Peti-
tionsrecht ist dadurch wesentlich transparenter gewor-
den. Es ist schon dargestellt worden, dass es deswegen
auch intensiver genutzt wird. Wir haben gehört, dass
seitdem über 22 000 Petitionen eingereicht worden sind.
Herr Ackermann und Frau Pau haben herausgestellt,
dass diese eventuell hohen Zahlen Rückschlüsse auf die
aktuelle Politik und auf die Politik des Jahres 2005, als
noch die rot-grüne Regierung im Amt war, zulassen. Mit
dieser Aussage habe ich mich beschäftigt und bin zu fol-
gendem Ergebnis gekommen: Zurzeit liegen 14 000 Pe-
titionen vor. Das entspricht einem Rückgang gegenüber
dem Jahr 2005 um umgerechnet 14 Prozent.
(Iris Gleicke [SPD]: Ich glaube nur der Statis-
tik, die ich selbst gefälscht habe!)
Wenn Sie daraus den Rückschluss ziehen, dass die jet-
zige große Koalition eine bessere Politik macht, dann
nehmen wir das gerne an.
(Beifall bei der CDU/CSU – Josef Philip
Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das
haben Sie aber völlig missverstanden!)
Aber ich meine, so sollten wir das nicht handhaben.
Wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass viele Petitio-
nen eingebracht wurden und dass wir es dabei mit vielen
Einzelschicksalen zu tun haben, um die wir uns intensiv
kümmern müssen. Es ist ein gutes Zeichen, dass wir so
viele Petitionen bekommen. Denn das zeigt, dass die
Bürger Vertrauen in unser Petitionsrecht haben und
dass sie in uns die Hoffnung setzen, ihnen helfen zu kön-
nen. Ich denke, so sollten wir dieses Thema angehen.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich möchte an einem Beispiel verdeutlichen, dass das
System der öffentlichen Petitionen dem Bürger ein Fo-
rum bietet, das durchaus Erfolge mit sich bringen kann:
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m 5. September 2005 – am 1. September 2005 startete
as neue System – hat Herr Peter Klamser eine öffentli-
he Petition zu der Thematik „Personalausweise im
checkkartenformat“ vorgetragen; sie war eine der ers-
en öffentlichen Petitionen. Er hat 141 Unterstützer ge-
unden. Vor kurzem, also etwas mehr als ein Jahr später,
urde vom Bundesinnenministerium ausgeführt, die
onzeption eines neuen Personalausweises sei bereits
ingeleitet worden. Entweder ist diese Petition also an-
enommen worden oder dieses Vorhaben war ohnehin
chon geplant. Der Petent jedenfalls kann zufrieden sein.
Meine Damen und Herren, zu den Zahlen ist schon
ehr viel gesagt worden; das möchte ich nicht wiederho-
en. Was auffällt, ist die unterschiedliche Annahme des
etitionsrechts in den Bundesländern: In Berlin kom-
en über 1 000 Petitionen auf 1 Million Einwohner, im
aarland entfallen 80 Petitionen auf 1 Million Einwoh-
er – obwohl das Saarland, wie ich glaube, gar nicht
Million Einwohner hat.
(Vereinzelt Heiterkeit – Josef Philip Winkler
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich glaube, so
hat die große Koalition auch ihren Haushalt
aufgestellt!)
nwieweit hier ein Zusammenhang mit der politischen
andschaft bzw. der Zufriedenheit mit der Politik be-
teht, können wir nicht beurteilen. Wir könnten nur spe-
ulieren; aber das wollen wir nicht. Wir wundern uns le-
iglich, dass es so ist.
Von den neu eingereichten Petitionen waren
0 756 Einzelpetitionen und 795 Sammelpetitionen; für
etztere gab es 375 500 Unterschriften, also eine sehr
roße Anzahl.
Es gab auch Kuriositäten, etwa eine Petition für unse-
en Exbundestrainer Jürgen Klinsmann: „Klinsmann
uss bleiben!“
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Der war Teamchef, nicht Bundes-
trainer!)
ie sehen: Nicht jede Petition ist erfolgreich. Klinsmann
st zwar erhalten geblieben, aber nicht als Bundestrainer.
as darf jedoch nicht davon ablenken, dass dem Peten-
en die gleiche Aufmerksamkeit bei der Bearbeitung sei-
er Belange gebührt. Denn gerade für die, die keine an-
ere Plattform für ihre Bitten und Beschwerden haben,
st das Petitionsrecht – Art. 17 Grundgesetz – geschaffen
orden.
Es ist ein Forum, das genutzt wird: Im Jahr 2005 sind
6 648 Petitionen zum Abschluss gebracht worden. Das
st eine beachtliche Leistung. Wir sind froh, dass der
usschussdienst das zusammen mit uns leisten kann.
ierbei ist zu erwähnen, dass es nicht in jedem Einzel-
all erforderlich ist, dass eine förmliche Beratung im
usschuss stattfindet. Vielfach erkennen die Behörden
chon, wenn wir sie um Stellungnahme ersuchen, dass
in Fehler vorliegt, und korrigieren diesen im Sinne des
etenten. Häufig erkennen die Petenten, nachdem ihnen
ie Rechtslage erläutert worden ist, dass ihre Petition
4964 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
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Gero Storjohann
keine Aussicht auf Erfolg hat, und verzichten auf eine
weitere Behandlung.
In meinem Tätigkeitsbereich, der Verkehrspolitik,
gibt es zwei Beispiele, die ich gerne vortragen möchte.
Schwerpunkt der Eingaben im Verkehrsbereich, zu dem
der Straßenverkehr, das Eisenbahnwesen, die Wasser-
straßen, Schifffahrt und Luftfahrt zählen, waren vor al-
lem die Straßenbauvorhaben aus dem Bundesverkehrs-
wegeplan, den wir im Jahre 2003 beraten haben. Zum
großen Teil konnten entsprechende Petitionen im
Jahre 2005 abgeschlossen werden. Aufgrund des Feh-
lens finanzieller Mittel war es oftmals nicht möglich,
dem Wunsch der Petenten nach Ausbau bestimmter Stra-
ßen oder Schienenwege nachzukommen. Auch den Ein-
gaben, die sich aus ganz verschiedenen Gründen gegen
einen weiteren Ausbau richteten, konnte aufgrund über-
geordneter Interessen in der Regel nicht entsprochen
werden. Soweit sich Petenten auf wirksame Maßnahmen
zur Verbesserung des Straßenzustandes in bestimmten
Orten bezogen, wurden ihre Petitionen von uns an den
jeweils zuständigen Landtag abgegeben.
So manches Mal ist der Petitionsausschuss die letzte
Hoffnung für die Menschen. Wir arbeiten im Ausschuss
kollegial und engagiert zusammen, um den Menschen zu
dienen. Ich danke – wie alle anderen auch – dem Mitar-
beiterstab ganz herzlich, ich danke den Mitgliedern des
Petitionsausschusses und ich bin überzeugt, dass wir
auch im nächsten Jahresbericht wieder feststellen wer-
den: Was für ein Glück, dass es das Petitionsrecht gibt!
(Beifall im ganzen Haus)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächster Redner ist der Kollege Klaus Hagemann,
SPD-Fraktion.
Klaus Hagemann (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wenn wir die Presseberichterstattung dieser
Tage über die Arbeit des Petitionsausschusses verfol-
gen, erkennen wir, dass es zwei Arten von Kommentaren
gibt: auf der einen Seite – heute formuliert –, dass wir
die „Frustpost“ der Bevölkerung bearbeiten oder dass
wir der „Kummerkasten der Nation“ seien. Diese Seite
hat Frau Pau in ihrem Beitrag hauptsächlich – oder nur –
beleuchtet. Frau Pau, wenn ich mich recht erinnere, wa-
ren Sie ein einziges Mal im Ausschuss.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Wi-
derspruch der Abg. Petra Pau [DIE LINKE])
Deswegen können Sie die Arbeit, die sich im Petitions-
ausschuss abspielt, gar nicht so genau kennen.
Auf der anderen Seite – solche Darstellungen schei-
nen mir immer mehr zu werden – heißt es in der Presse:
Die Bürger wollen mitreden. – Ich glaube, wir dürfen
nicht nur eine Seite sehen, sondern wir müssen beide Sei-
ten der Medaille betrachten. Und zwar wollen die Bürger
über den Petitionsausschuss in der Politik mitwirken. Da-
für sollten wir dankbar sein. Fast 500 000 Menschen ha-
ben sich an uns gewandt – durch ihre Unterschrift, durch
ihre Eingaben –, sie haben zu politischen Entwicklungen
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tellung genommen und uns entsprechende Hinweise ge-
eben. Sehr geehrte Frau Pau, das zeigt mir, dass ein In-
eresse an der parlamentarischen Demokratie besteht.
as möchte ich hier doch noch einmal unterstreichen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Ich glaube, Sie haben es vorhin selbst gesagt: Bei der
älfte der Petitionen geht es um die Änderung der Ge-
etzgebung. Hier will der Bürger mitreden. Das ist gut
o. Wir haben als rot-grüne Mehrheit in der letzten Le-
islaturperiode den Antrag eingebracht, mehr direkte
emokratie in unserem Land zu wagen. Leider haben
ir in diesem Hause keine entsprechende Mehrheit dafür
rhalten. Wir sind hier aber auf dem richtigen Weg und
ir müssen uns weiter bemühen.
Es ist schon darauf hingewiesen worden: Unterhalb
er Schwelle der Grundgesetzänderung haben wir eini-
es verändert. Modernisierung, Aktualisierung und Ver-
infachung des Petitionswesens seien hier noch einmal
ervorgehoben. Die Ideen des elektronischen Petitions-
esens, der Beteiligung, der Mitzeichnung und der öf-
entlichen Petitionen sind durch eine Reise, die wir zum
chottischen Parlament gemacht haben, Herr Kollege
torjohann, in unsere politische Arbeit eingeflossen.
iese Gedanken haben wir als SPD-Fraktion in die Dis-
ussion eingebracht. Ich denke, dass wir das auch reali-
ieren konnten.
Ich bin dankbar, dass wir das Interesse unter Mitbür-
erinnen und Mitbürger wecken konnten, die den
unsch haben – das ist schon einmal unterstrichen wor-
en und ich möchte das wiederholen –, mitzuwirken,
ich einzubringen und über die elektronischen Wege und
n öffentlichen Diskussionen teilzuhaben. Daran er-
enne ich, dass dies eine Stärkung der parlamentarischen
emokratie ist. Wir sind hier auf einem guten Weg, den
ir konsequent weitergehen sollten. Das zeichnet sich
chon nach einem Jahr des Modellversuchs ab. Ich sage
s noch einmal: Wir müssen diesen Weg konsequent
eitergehen.
(Beifall der Abg. Iris Gleicke [SPD])
Auf ein anderes Instrument ist schon hingewiesen
orden, nämlich auf die Vor-Ort-Termine, die wir sehr
ezielt durchgeführt haben. Wir werden sie auch weiter-
in durchführen, wenn es um wichtige Probleme geht.
assen Sie mich auf einen Vor-Ort-Termin hinweisen,
en wir im Februar 2005, also vor 21 Monaten, durchge-
ührt haben. Wir waren in Rheinland-Pfalz, in dem schö-
en Bundesland, aus dem ich komme. Wir waren in
amstein in der Pfalz und wir waren in Spangdahlem in
er Eifel. In diesen beiden Orten befinden sich US-Mili-
ärflughäfen. Die Menschen klagen natürlich über den
luglärm und haben entsprechende Petitionen einge-
eicht.
Zum Inhalt der Petitionen möchte ich gar nicht viel
agen. Bei dem Vor-Ort-Termin, den wir durchgeführt
aben, waren einige Kollegen dabei. – Heute ist nur ein
egierungsmitglied da. Herr Altmaier, es ist sehr schön,
ass Sie da sind. Zeitweise war niemand anwesend.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4965
(A) )
(B) )
Klaus Hagemann
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der
FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN)
Es sei erwähnt, welches Interesse das Petitionswesen bei
der Bundesregierung, aber auch bei unseren Kolleginnen
und Kollegen hervorruft. – Nicht nur wir als Parlamenta-
rier, sondern auch die Bürgerinnen und Bürger, die die
Petition geschrieben haben, haben bei diesem Vor-Ort-
Termin vom Bundesverteidigungsministerium zuge-
sagt bekommen, dass die etwa 20 Fragen bzw. Anregun-
gen, die sie vorgetragen haben, beantwortet bzw. zur
Diskussion gestellt werden, damit die Petition abge-
schlossen werden kann. Im Sommer 2005 wurde ein
Zwischenbericht vorgelegt. Dabei ist es geblieben. Bis
zum heutigen Tage ist auf die Anregungen und Fragen
der Bürger und auch auf unsere Fragen – ich sage nichts
zum Inhalt – nicht weiter eingegangen worden. So kann
man mit dem Parlament, mit Petitionen und mit den Bür-
gerinnen und Bürgern nicht umgehen.
(Beifall im ganzen Hause)
Ich erwarte – das sage ich für meine ganze Fraktion –,
dass das Bundesverteidigungsministerium bis Herbst
dieses Jahres die Antworten vorlegt, damit wir darüber
diskutieren und abschließend beraten können. Ich be-
tone: Ich will mir nicht jede Angelegenheit, die in dieser
Petition steht, zu Eigen machen, aber es müssen Ent-
scheidungen auf Grundlage dessen, was vorgelegt wird,
getroffen werden.
Keine Fristverlängerung mehr – diese Bitte möchte
ich an den Ausschussdienst richten und ihm gleichzeitig
für seine Aktivitäten herzlich danken.
Ich habe nur noch wenige Sekunden Redezeit. Lassen
Sie mich zum Schluss noch auf ein anderes Thema hin-
weisen, nämlich auf das Bundesausbildungsförde-
rungsgesetz. Allein in dieser Woche haben wir fünf Pe-
titionen erhalten, bei denen es nicht um das BAföG an
sich, sondern um den Vollzug des Gesetzes durch die
einzelnen Länderbehörden geht. Mit dieser Thematik
müssen wir uns in den nächsten Wochen und Monaten
nicht nur als Petitionsausschuss, sondern auch als Fach-
ausschuss intensiv beschäftigen.
Die Presse hat uns Mitglieder des Petitionsausschus-
ses einmal als „Ameisen“ bezeichnet. Ich sehe das als
Kompliment; denn Ameisen sind fleißige Tiere. Diese
Arbeit im Petitionsausschuss machen wir alle zusätzlich
zu der Arbeit in anderen Ausschüssen, in denen wir tätig
sind. Sie könnte – ich wiederhole mich – durch eine ver-
stärkte Anwesenheit auf der Regierungsbank oder durch
die Anwesenheit von mehr Kolleginnen und Kollegen
stärker honoriert werden.
(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Die CDU/CSU
ist präsent!)
Lassen Sie uns in dem oben beschriebenen Sinne weiter-
arbeiten.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall im ganzen Hause)
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Monika Lazar,
ündnis 90/Die Grünen.
(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Eine gute Frau!)
Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Probleme sind Gelegenheiten, zu zeigen, was man
ann.“ Das hat ein Mann gesagt, der die Verhältnisse
um Tanzen gebracht hat, Duke Ellington. Der Petitions-
usschuss hat diese Gelegenheit genutzt. Der Jahresbe-
icht zeigt, dass der Petitionsausschuss viel bewegen
ann. Er kennt und löst Probleme.
Mit dem Jahresbericht ernten wir aber nicht nur die
rüchte geleisteter Arbeit. Der Bericht ist auch Hand-
ungsauftrag für das Parlament und die Bundesregie-
ung. Insbesondere die zahlreichen Eingaben zur Sozial-
nd Arbeitsgesetzgebung – Stichworte sind Hartz IV,
LG II, Anrechnung von Partnereinkommen und Hinzu-
erdienstmöglichkeiten – zeigen immer noch dringenden
andlungsbedarf.
Bündnis 90/Die Grünen hat sich in der vergangenen
egislaturperiode für zahlreiche Änderungen zur Siche-
ung unseres Sozialsystems stark gemacht. Gerade da-
um reagieren wir besonders aufmerksam auf Fehler und
ängel in diesem Bereich. Die Petitionen zeigen uns,
o Änderungen und Verbesserungen notwendig sind.
as greifen wir auf. Wir wollen, dass die Förderung und
etreuung der ALG-II-Empfängerinnen und -Empfänger
erbessert wird. Die Versäumnisse beim Einsatz arbeits-
arktpolitischer Maßnahmen werden uns in den Einga-
en vor Augen geführt.
In den Petitionen wird auch gefordert, die Rahmenbe-
ingungen für die Schaffung von sozialversicherungs-
flichtigen Jobs im SGB II zu verbessern. Die Beispiele
n den Petitionen zeigen, dass die gegenwärtigen Rege-
ungen noch unzureichend sind. Angesichts der konkre-
en Lebensrealität vieler Menschen, wie sie in den Peti-
ionen beschrieben wird, halte ich auch die Ausweitung
er Sanktionen gegen ALG-II-Empfänger, wie es ge-
lant ist, für völlig unangebracht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Die Petitionen zeigen vielmehr die Notwendigkeit
ahlreicher Klarstellungen und Verbesserungen im Leis-
ungsrecht, wie zum Beispiel die Absenkung der Einkom-
ensgrenze für den Kinderzuschlag zur Bekämpfung der
inderarmut, die Sicherung von Altersvorsorgevermö-
en oder die Einbeziehung von Sozialgeldbezieherinnen
nd -beziehern in die gesetzliche Krankenversicherung.
Ein anderes Thema, das mich wütend macht, sind die
etitionen zum Thema Stasi. Ehemalige hauptamtliche
itarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ministeriums für
taatssicherheit organisieren sich nicht nur, sondern äu-
ern sich auch in der Öffentlichkeit immer unverblümter
nd ohne einen Hauch von Unrechtsbewusstsein. Teil
ieser groß angelegten Rechtfertigungskampagne sind
ie zahlreichen und oft wohlorganisierten Petitionen, die
4966 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
Monika Lazar
uns erreichen. In dem Jahresbericht wird von einer „Flut
von Petitionen“, die den Ausschuss überschwemmen,
gesprochen.
Was mich bedrückt, ist nicht die Tatsache, dass die
ehemaligen Stasimitarbeiter Petitionen einreichen; das
ist ihr gutes Recht. Es sind auch nicht die Forderungen
wie die rentenrechtliche Regelung zur Berücksichtigung
höherer Verdienste, die mich stören. Darüber haben und
werden wir im Ausschuss weiterhin sachlich diskutieren
und entscheiden. Was ich aber unerträglich finde, sind
die Unverfrorenheit und Dreistigkeit, mit denen die Tat-
sachen verdreht werden und sich die Täter als Opfer dar-
stellen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)
Dies macht mich umso wütender, als wir noch immer
zahlreiche Petitionen von Menschen vorliegen haben,
die Opfer genau jener Menschen waren, die sich jetzt
bitter über das so genannte Rentenunrecht und die Sie-
gerjustiz beklagen. Aber der Petitionsausschuss wird
sich nicht vor den Karren verbohrter Ewiggestriger span-
nen lassen. Wir lassen es nicht zu, dass diese Menschen
das demokratische Instrument des Petitionsrechtes für
ihre Zwecke missbrauchen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)
Der Petitionsausschuss ist und bleibt Lobby für Men-
schen, die Unrecht erlitten und Ungerechtigkeit erfahren
haben, nicht für Menschen, die Unrecht und Ungerech-
tigkeit geschaffen und ausgeführt haben.
Im Petitionsausschuss haben die Bürgerinnen und
Bürger das Wort. Darum möchte ich mit dem Zitat eines
Petenten enden.
Auf die im Petitionsformular im Internet gestellte
Frage, ob nach der Vorstellung des Petenten ein Gesetz
oder eine Vorschrift geändert oder ergänzt werden müsse
und wenn ja, welches oder welche, antwortete der Pe-
tent: „Ja, dass man sorgfältiger mit den Menschen umge-
hen sollte“.
(Vorsitz: Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang
Thierse)
Sorgfältiger mit den Menschen umgehen: Ich glaube,
das ist ein gutes Motto für den Petitionsausschuss und
sollte auch weiterhin unser aller Anspruch sein.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP so-
wie bei Abgeordneten der LINKEN)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Karl Schiewerling,
CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
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Karl Schiewerling (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
olleginnen und Kollegen! Um Hilfe bitten und im Rat
it anderen im Rahmen der Regeln des Rechtsstaates
uf Unterstützung und ein Einsehen anderer und auf Er-
essensspielräume der ausführenden Verwaltung hof-
en: Das sind nicht selten die Gründe, die die Menschen
ewegen, den Petitionsausschuss ihres Parlaments, des
eutschen Bundestages, anzurufen. Es sind zumeist
anz persönliche Angelegenheiten, mit denen sich die
enschen an den Petitionsausschuss wenden. Ich meine
icht die Petitionen, über die man schmunzeln könnte
ie die, das Bundesverfassungsgericht abzuschaffen,
eil der Petent der Meinung ist, dass dieses Gericht
eine guten Urteile fällt. Auch solche Anliegen beschäf-
igen unseren Ausschuss.
Ich meine vielmehr die vielen Petitionen von Men-
chen, die in einer angespannten sozialen Situation – mit-
nter auch aus ihrer Sicht in einer sozialen Krisensitua-
ion – leben. Die soziale Sicherheit oder Unsicherheit
er Menschen in unserem Land – so erlebe ich es als
eues Mitglied im Petitionsausschuss – wird dabei von
en Petenten schnell mit den Worten gerecht oder unge-
echt beschrieben.
Gesetze, Entscheidungen und Regelwerke – allgemei-
e und für jeden Bürger dieses Landes gleichsam ver-
indliche – werden von den Petenten als ungerecht emp-
unden. Gerade für mich als Mitglied des Ausschusses
ür Arbeit und Soziales ist die Auseinandersetzung mit
iesen Fragen wichtig. Davon ist das Sozialgesetzbuch
n seiner ganzen Ausfächerung – dazu gehört das Kin-
er- und Jugendhilferecht genauso wie der Bereich des
lten Sozialhilferechts, dem heutigen SGB XII – betrof-
en. Als Beispiel möchte ich den großen Teil der Petitio-
en anführen, die sich auf den im SGB II geregelten Be-
eich der Grundsicherung beziehen. In vielen Fällen
ühlen sich die Menschen durch diese Regelungen zur
rundsicherung ungerecht behandelt. Aus dem Bericht
es Petitionsausschusses 2005 wird deutlich, dass die Ein-
ührung der Regelungen zur Grundsicherung im SGB II
m vergangenen Jahr ein heftiges Thema war.
Viele Petenten verkennen jedoch, dass es sich beim
rbeitslosengeld II im Gegensatz zu der bisherigen Ar-
eitslosenhilfe nicht um eine Lohnersatzleistung, son-
ern um eine steuerfinanzierte, bedarfsorientierte Für-
orgeleistung handelt. Leistungen der Grundsicherung
erden daher nur dann erbracht, wenn die Hilfebedürf-
igkeit nicht anderweitig – insbesondere durch die Be-
ücksichtigung von Einkommen und Vermögen oder
urch eigener Hände Arbeit – beseitigt werden kann.
Ein dem Petitionsausschuss immer wieder vorgetra-
enes Argument lautet, dass die Regelleistung im
GB II nicht ausreiche und damit kein menschenwürdi-
es Leben geführt werden könne. Man kann zwar mit
er Regelleistung keine großen Sprünge machen, aber
enschenunwürdig ist sie nicht.
Dass Einschnitte bei Sozialleistungen von den Betrof-
enen oft als persönliche Härte empfunden werden, ist
erständlich. Ich verkenne nicht, dass das SGB II für
iele Menschen gravierende Einschnitte mit sich ge-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4967
(A) )
(B) )
Karl Schiewerling
bracht hat. Doch der Gesetzgeber hat mit diesem Gesetz
entschieden, dass das SGB II die Grundsicherung vor-
sieht; es soll keine Arbeitsplätze schaffen. Vielmehr for-
dert der Gesetzgeber die Menschen zu mehr Eigenini-
tiative auf. Der Staat wollte ein Gesetz, das staatliche
Leistungen neu definiert, und zwar durch ein neues Re-
gelwerk, das für alle gleich ist, auch wenn es von Peten-
ten grundsätzlich und individuell – in der persönlichen
Situation und Wahrnehmung – als ungerecht empfunden
wird. Das sind exakt jene Beispiele, für die der Petitions-
ausschuss keine Hilfestellung geben kann.
Es gibt aber auch jene Situationen, in denen indivi-
duell geholfen werden muss, besonders im Sozialbe-
reich. Ein Gesetz in seiner Allgemeinheit kann nicht jede
Lebenssituation berücksichtigen. Ein Regelwerk kann
nicht jedes noch so schwierige oder große Schicksal von
vornherein einplanen. Ein Gesetz oder Regelwerk kann
nicht jeder erdenklichen Lebenssituation im buchstäbli-
chen Sinne gerecht werden.
Deshalb gibt es Einzelfälle, in denen Menschen durch
das Raster des Regelwerkes fallen. Es kommt auch vor,
dass sich Ämter gegenseitig Zuständigkeiten zuschie-
ben, beispielsweise weil alle die Kosten scheuen. Dann
kann die persönliche Situation als wirklich ungerecht
empfunden werden. Gerade für diese Menschen ist der
Petitionsausschuss des Bundestages sehr wichtig. Er ist
auch für diejenigen Menschen wichtig, die durch die
Standardraster des Bürokratie- und Vorschriftendschun-
gels unserer Republik durchfallen, egal ob es um das
SGB II, um das Thema Rente oder um andere Bereiche
geht.
Fazit: Es wird immer Grenzfälle und objektive Aus-
nahmen geben, etwa weil ein Gesetz sehr grundsätzlich
und allgemein formuliert ist oder weil die Ausführungs-
vorschriften von den handelnden Personen in den Insti-
tutionen sehr akribisch umgesetzt werden.
Gerechtigkeit heißt aber nicht, es jedem recht zu ma-
chen. Der Schutz des Einzelnen ist zwar ein hohes Gut
unserer Demokratie; wo der Schutz des Einzelnen aber
zu einer Belastung für alle anderen wird, erfährt auch die
Freiheit ihre Grenzen. Die Arbeit des Petitionsausschus-
ses ist für die Menschen in unserem Land so ungemein
wichtig und notwendig, weil er den Menschen die Mög-
lichkeit eröffnet, ihr Anliegen vorzubringen und somit
gesehen zu werden bzw. Gehör zu finden. Dies ist vor al-
lem für diejenigen Petenten wichtig, die weder ein noch
aus wissen. Es ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit,
wie wir damit umgehen.
Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit im
Ausschuss.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie
bei Abgeordneten der FDP)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegin Lydia Westrich, SPD-
Fraktion.
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Lydia Westrich (SPD):
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
ch freue mich, dass ich heute zum Jahresbericht 2005
es Petitionsausschusses reden darf. Meistens rede ich
ber Finanzpolitik. Es ist schon etwas anderes, über den
etitionsausschuss zu reden. Es eröffnet mir die Gele-
enheit, öffentlich den Kolleginnen und Kollegen
anke zu sagen. Es ist einzigartig, wie wir im Petitions-
usschuss miteinander arbeiten. Wir haben den Ver-
leich zu den anderen Ausschüssen, in denen wir mitar-
eiten. Herzlichen Dank! Der Dank geht auch an die
itarbeiter des Ausschusses und der Fraktionen. Liebe
ndrea Staschok, auch dir herzlichen Dank. Die Mitar-
eiter setzen sich unermüdlich für die Anliegen der Pe-
enten ein. Ohne sie wüssten wir manchmal weder ein
och aus.
Besonders danken möchte ich den Bürgerinnen und
ürgern. Viele Tausende haben uns als direkten An-
prechpartner gewählt, haben unser Angebot vertrauens-
oll genutzt. Sie, meine Damen und Herren im ganzen
and, haben uns nicht nur Ihre Nöte geschildert, die Sie
it der Verwaltung, mit der starren Bürokratie oder mit
ns gehabt haben, sondern auch Ihre Finger direkt auf
ie Gesetzgebung gelegt. Mit Ihren persönlichen Fällen
aben Sie gezeigt, wie Gesetze, die wir verabschiedet
aben, im Endeffekt wirken. Das nachzuvollziehen, ist
n keinem anderen Ausschuss möglich. In keinem ande-
en Ausschuss habe ich so viel wie im Petitionsaus-
chuss gelernt.
Wenn ich Eingaben aus dem grauen Stapel der Peti-
ionsakten lese, werde ich ständig zur Reflektion der
uch von mir verabschiedeten Gesetze gezwungen. Es
ibt viele Petitionen etwa zur Agenda 2010 oder zu den
esundheitsreformen. Sie sind nicht immer freundlich
ormuliert und einfach zu lesen. Ich muss mich dann im-
er fragen, ob wir als Gesetzgeber die beabsichtigte
irkung erreicht haben, ob wir Lücken gelassen haben,
b wir nachbessern müssen. Ich muss mich auch oft fra-
en, wie ich am besten erkläre, warum ich nicht der Mei-
ung des Petenten bin und warum ich ihm nicht Recht
eben kann; denn die Bürgerinnen und Bürger haben
ine Begründung verdient.
Wir haben als Mitglieder des Petitionsausschusses
benfalls gelernt, uns zu bescheiden; denn wir haben oft
ach sehr intensivem Bemühen einsehen müssen, dass
ir nicht helfen können, obwohl uns der Fall – Herr
torjohann, erinnern Sie sich noch an den Fall mit der
olaranlage? – zu Herzen geht. Wir können Gerichtsbe-
cheide nicht abändern – meistens sind Fristüberschrei-
ungen ein Hindernis – oder Gesetze, die sich im Einzel-
all negativ auswirken, nicht rückwirkend ändern. Aber
erade in den letzten Fällen waren die Petenten oft bahn-
rechend für zukünftige Leidensgenossen. Durch die
childerung ihrer persönlichen Probleme haben wir häu-
ig Vorschriften geändert oder Missstände ausgeräumt,
odass nachfolgende, ähnliche Fälle durch den Mut des
rsten Petenten profitieren konnten. Es ist wichtig, dass
ir als Mitglieder des Petitionsausschusses das, was
alsch läuft, richtig stellen.
4968 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
Lydia Westrich
Wir haben natürlich viele kleine Sternstunden, in de-
nen wir direkte Hilfe leisten können und uns die Lösung
von schwierigen Problemen gelingt, zum Beispiel in den
Fällen, in denen sich herausgestellt hat, dass die Rente
zu niedrig angesetzt war, und die Petenten eine kleine
oder manchmal sogar eine saftige Nachzahlung erhiel-
ten. Eine Petentin bekam beispielsweise Kinderpflege-
krankengeld nachgezahlt. Wir haben zudem die Weiter-
zahlung der Waisenrente beim Ableisten eines
freiwilligen sozialen Dienstes veranlasst, weil es uns un-
gerecht erschien, dass das nur im Rahmen des Zivil-
dienstes möglich sein soll. Wir haben des Weiteren bei
der Gewährung von Kindergeld in Ausbildungszeiten
helfen können. Die von Schließung betroffenen Post-
filialen wurden – das haben Sie schon erwähnt, Herr
Baumann – nach unserem Protest erhalten. Es gibt noch
viele ähnliche Beispiele. Das Schönste an unserer Peti-
tionsarbeit ist, wenn wir direkt helfen können oder fest-
stellen, dass Behörden Probleme von selbst lösen, wenn
sie einen Brief vom Petitionsausschuss erhalten. Das
zeigt, dass die Menschen Recht haben, wenn sie sich an
uns, den Petitionsausschuss, wenden.
Das Petitionsrecht ist mehr als 200 Jahre alt und ist
– in der jeweiligen Zeit natürlich in Abstufungen – für
die Menschen nutzbar gewesen. Es hat sich kontinuier-
lich weiterentwickelt, bis zum heutigen Verfassungsrang.
Die Petenten, die früher oft als Querulanten bezeichnet
wurden, sind heute Mitwirker und Mitgestalter bei der
Gesetzgebung. Etwas Besseres als den aktiven Dialog,
den wir, die Mitglieder des Petitionsausschusses, täglich
führen, kann sich eine lebendige Demokratie gar nicht
wünschen.
Die SPD-Fraktion hat schon vor Jahren eine zeitge-
mäße Vervollkommnung der Petitionsarbeit angemahnt;
das wurde schon mehrfach angesprochen. Auch wenn
du, lieber Josef Winkler, nun ein bisschen sauer sein
wirst, möchte ich deutlich sagen: Es war die rastlose Tä-
tigkeit unserer Sprecherin Gabriele Lösekrug-Möller – sie
kann sehr hartnäckig sein – und anderer, die es ermög-
licht hat, dass das neue Petitionsrecht am 1. Mai dieses
Jahres in Kraft getreten ist. Die Möglichkeit, Petitionen
per E-Mail zu verschicken, oder der Modellversuch zur
Mitzeichnung von Petitionen im Internet – hoffentlich
können wir diesen Modellversuch bald stoppen, um ihn
in „normales“ Recht zu überführen – haben so gut einge-
schlagen, wie wir es nicht erwartet haben.
Beinahe hätten die vielen Praktikantinnen und Prakti-
kanten das notwendige Quorum von 50 000 für eine An-
hörung in öffentlicher Sitzung erfüllt. Was sie aber auf
jeden Fall erreicht haben, war eine öffentliche, von den
Medien aufgenommene Diskussion über ihre missliche
Lage, sodass nun viele Menschen darüber nachdenken,
wie der „Generation Praktikum“ geholfen werden kann.
Das zeigt, dass ernsthaft gemeinte Massenpetitionen
Einfluss nicht nur auf uns, den Gesetzgeber, sondern
auch auf die Gesellschaft haben und verändernd wirken
können. Lebendiger kann man eine Demokratie gar nicht
halten. Ich kann daher allen Kolleginnen und Kollegen
und den Ministerien nur raten, gelegentlich in den Foren
für Petitionen von öffentlicher Bedeutung nachzusehen;
denn hier wird in der Regel sehr sachkundig und diszi-
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liniert über Themen wie das Ehegattensplitting, die Ar-
eitsvermittlung oder die BAföG-Gesetzgebung disku-
iert. Das kann uns nur helfen.
Wir arbeiten weiter daran, den Einfluss des Petitions-
usschusses, der für berechtigte Anliegen der Bürgerin-
en und Bürger kämpft, in allen Winkeln unseres Staates
u stärken. Es macht Spaß, wieder an diese Arbeit zu ge-
en.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Paul Lehrieder, CDU/
SU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Paul Lehrieder (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
amen und Herren! Herr Kollege Hagemann hat darauf
ingewiesen, dass die Präsenz auf der Regierungsbank
ei diesem wichtigen Thema etwas zu wünschen übrig
ässt. Herr Kollege Hagemann, ich sehe das nicht ganz
o schlimm. Immerhin ist schon der zweite Staatssekre-
är da und mittlerweile ist ein Staatsminister eingetrof-
en. Im Übrigen können Sie davon ausgehen, dass uns
as Bundeskabinett in vollem und tief verwurzeltem
ertrauen zu diesem Petitionsausschuss und zu seiner
usschussvorsitzenden dieses Feld überlässt. Ich finde
as also nicht so dramatisch. Die Regierung glaubt, dass
ie Petitionen in diesem Ausschuss in vernünftigen und
rdentlichen Händen sind. Bei der Diskussion hat sich
m Übrigen wie bei nur wenigen Themen in diesem Ho-
en Hause gezeigt, dass quer durch die Fraktionen Ap-
laus für die einzelnen Redebeiträge gewährt wurde.
as war bei keinem anderen Thema so häufig der Fall
ewesen wie heute bei dem Thema Petitionen.
Insbesondere für unsere jugendlichen Zuhörerinnen
nd Zuhörer und für die Besucher auf den Besucherrän-
en möchte ich zitieren:
Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Ge-
meinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder
Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die
Volksvertretung zu wenden.
rt. 17 des Grundgesetzes hört sich zunächst einmal so
elbstverständlich wie abstrakt an. Als neu gewählter
bgeordneter dieses Hohen Hauses habe ich zu Beginn
ieser Wahlperiode in einer dieser „zuständigen Stellen“
latz genommen, dem Petitionsausschuss des Deutschen
undestages. Seine Arbeit wird oft unterschätzt und vie-
en Bürgern ist diese auf den ersten Blick so unschein-
are Einrichtung gar nicht bekannt, völlig zu Unrecht.
eine wichtigste Erfahrung zu Beginn war: Von mei-
em Amt als Bürgermeister der Gemeinde Gaukönigs-
ofen im Wahlkreis Würzburg führte mein direkter Weg
n den Petitionsausschuss. Die Aufgaben, Ansprechpart-
er für die Belange der Mitbürger und Volksvertreter im
esten Sinne des Wortes zu sein, ähneln sich und bauen
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Paul Lehrieder
aufeinander auf. Jede Petition, die ich bearbeite, bringt
neue Anliegen aus den unterschiedlichsten Politik- und
Themenbereichen. Die Petenten bedienen sich dabei ei-
nes der wichtigsten Mittel, über das sie neben dem
Stimmzettel verfügen: im eigenen Interesse Einfluss auf
die Politik zu nehmen und auch den Wildwuchs von
Normen und Vorschriften anzuprangern. Hier wird ein
Grundrecht hautnah ausgeübt.
Als Bundestagsneueinsteiger bekam ich so die einma-
lige Gelegenheit, in kurzer Zeit einen intensiven und un-
gefilterten Überblick über das zu bekommen, was unsere
Wähler bewegt, und mir selbst als Bundestagsabgeord-
neter Fragen zu stellen: Wie wirken sich die Gesetze, die
ich mitbeschließe, auf den Alltag aus? Wo ziehen Vor-
schriften Ungerechtigkeiten nach sich? Wo muss büro-
kratisches Unterholz gelichtet werden?
Für alle Beteiligten bietet der Petitionsausschuss
große Chancen: Der Bürger bekommt für ein konkretes
Anliegen Unterstützung und kann sich mithilfe des Aus-
schussdienstes über seine Rechte und Möglichkeiten klar
werden. Kurzum: Er wird ernst genommen. Behörden
und Gesetzgeber bekommen ein Feedback aus dem tägli-
chen Leben über Schwachstellen und Ungerechtigkeiten
im Praxistest der Vorschriften. Als Abgeordnete schließ-
lich bekommen wir unschätzbare Rückkoppelung über
das Wirken der Gesetzgebung in Fällen, wie sie jedem
von uns auch in unserer Wahlkreisarbeit begegnen. Wir
bekommen Handreichungen dafür, dass unser Gemein-
wesen effizienter und für den Wähler nachvollziehbarer
funktioniert, und ein Gefühl für die Stimmung in der Be-
völkerung. Man kann den Petitionsausschuss als Fein-
justierungselement zwischen Exekutive und Legislative
bezeichnen. So viel Erkenntnis ist natürlich auch mit ei-
ner Menge bienenfleißiger Arbeit verbunden, Arbeit, die
immer wieder durch Erfolg belohnt wird, wie ich an fol-
gendem Beispiel aufzeigen möchte.
In acht Zuschriften wandten sich Mitglieder von Im-
kereivereinen an den Petitionsausschuss und forderten
für die Hobbyimker eine Befreiung von der Beitrags-
pflicht zur gesetzlichen Unfallversicherung. Sie machten
darauf aufmerksam, dass die geltende Rechtslage keine
klare Abgrenzung zu gewerbsmäßig betriebenen Imke-
reien festlege. Erst ab einer Größe von 25 Bienenvölkern
könne von einer Wirtschaftlichkeit des Unternehmens
und damit von einem gewerblichen Betrieb im Sinne der
Unfallversicherung ausgegangen werden. Außerdem hät-
ten Hobbyimker, deren Durchschnittsalter bei 59 Jahren
liege, als Rentenempfänger keinen vollen Nutzen aus den
Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Pe-
titionsausschuss stellte im Ergebnis seiner parlamentari-
schen Prüfung fest, dass die beanstandete Rechtslage zur
Unfallversicherungspflicht eines Unternehmens eine
klare Grenzziehung zwischen erwerbsmäßig betriebenen
Imkereien und Hobbyimkern erschwert. Er unterstützte
das Anliegen und wies auf den bereits festzustellenden
Rückgang der Zahl der Hobbyimker hin. Nach Auffas-
sung des Ausschusses ist diese Entwicklung auch auf die
Belastung durch die Beiträge zur gesetzlichen Unfallver-
sicherung zurückzuführen.
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Der Petitionsausschuss empfahl deshalb dem Deut-
chen Bundestag, die geltenden Regelungen zu überar-
eiten. Das Plenum nahm die Anregung auf und über-
ies die Eingabe der Bundesregierung zur Erwägung
it dem Ziel, dass durch eine Änderung der bestehenden
echtslage für Abhilfe gesorgt wird. Die Bundesregie-
ung sagte daraufhin zu, das Anliegen in einem der
ächsten anstehenden Gesetzgebungsverfahren aufzu-
reifen und dabei eine möglichst eindeutige Grenzzie-
ung zwischen dem Interesse der Rechtssicherheit und
en Interessen der Betroffenen vorzusehen.
Nicht zuletzt ausgelöst durch eine Vielzahl teils öf-
entlicher Petitionen hat es der prekäre Status der Gene-
ation Praktikum – meine Vorrednerin hat bereits da-
auf hingewiesen – bis ans Licht einer breiteren Öffent-
ichkeit geschafft. Gerade Hochschulabsolventen bemü-
en sich immer häufiger mit Hoffnung auf einen festen
rbeitsplatz um einen Praktikumsplatz. Sie füllen so un-
er Umständen einen kompletten Arbeitsplatz aus, be-
ommen dafür aber kaum oder wenig Geld. Junge Be-
ufsanfänger befinden sich so nicht auf dem Weg in ein
estes Anstellungsverhältnis, sondern in einer Schleife
mmer neuer Praktika und in einer Lücke des Berufsbil-
ungsgesetzes. Wo keine tarifvertraglichen Bindungen
xistieren, greift dieses Gesetz nicht.
Der Petitionsausschuss des Bundestages empfahl, die
etition dem Bundesministerium für Bildung und For-
chung als Material zu überweisen mit dem Ziel, dass
ieser negativen Entwicklung entgegengewirkt wird.
ittlerweile hat Bundesarbeitsminister Müntefering
uch von diesem Podium aus vor genau zwei Wochen ei-
iges zu diesem Thema ausgeführt. Er hat es sich zu Ei-
en gemacht und ich bin sicher, dass sich hierbei in Zu-
unft einiges verbessern wird.
In konkreten Fällen Probleme zu lösen und für Klar-
eit zu sorgen, ist eine dankbare Aufgabe für einen
olksvertreter und hat eine Bedeutung darüber hinaus:
ür den Petenten ist der Staat nicht anonym. Für den Ab-
eordneten, den er ins Parlament entsandt hat, ist er
ähler, aber auch Bürger mit oft berechtigten Anliegen.
Zu begrüßen sind die zwischenzeitlich eingeführten
esseauftritte. Ich konnte selber an einem Messeauftritt
es Petitionsausschusses teilnehmen. Solche Auftritte
it Ansprechpartnern vor Ort auf einer angenehmen
esse werden dazu beitragen, dass die Politikverdros-
enheit ein Stück weit abgebaut werden kann.
(Beifall im ganzen Hause)
Ich darf mich bei allen Kollegen im Petitionsaus-
chuss für die kollegiale Zusammenarbeit sowie bei den
issenschaftlichen Mitarbeitern sehr herzlich bedanken.
Es ist festzustellen, dass im Petitionsausschuss sehr
enig Ideologie zum Tragen kommt. Jetzt muss ich aber
och ganz kurz zur Linkspartei hinüberschauen. Liebe
rau Pau, au, au, au! Ich habe Sie gestern Morgen im Pe-
itionsausschuss sehnsüchtig vermisst. Ich habe mir die
ugen ausgeschaut. Frau Pau war nicht da. Stattdessen
ührte sie heute eine Rede über Rechtsextremismus fort,
ie sie gestern Nachmittag begonnen hatte. Ich bin ge-
pannt, ob morgen Teil drei ihrer Rede zum Rechtsextre-
ismus kommt. Ich würde es begrüßen, wenn wir uns
4970 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
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Paul Lehrieder
bei der nächsten Ausschusssitzung wieder sehen, Frau
Pau, und dann über die Belange unserer Petenten disku-
tieren, statt dass pseudostaatstragende Reden gehalten
werden, die uns im Petitionsverfahren nicht sonderlich
weiterbringen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie
bei Abgeordneten der FDP und des BÜND-
NISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Und nun hat Kollegin Gabriele Frechen, SPD-Frak-
tion, das Wort.
Gabriele Frechen (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr
Kollege Klaus Hagemann, ich gebe dem Herrn Kollegen
Lehrieder Recht: Es hätte noch schlimmer kommen kön-
nen. Früher haben wir unseren Tätigkeitsbericht nur bei
Nacht und Nebel und nicht in der Kernzeit vorstellen
dürfen.
(Günter Baumann [CDU/CSU]: Hier haben
Sie doch Sonnenschein! – Josef Philip Winkler
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 15 Uhr ist
nicht Kernzeit!)
Das ist heute anders. Ich bedanke mich beim Ältestenrat
dafür, dass wir hier sozusagen zu prominenter Zeit be-
richten dürfen.
„Ein gut funktionierendes Petitionsrecht ist eine Aus-
zeichnung für die Demokratie“, sagte mir ein Bürger aus
meinem Wahlkreis. Als ganz überzeugtes Mitglied des
Petitionsausschusses kann ich das natürlich nur unter-
stützen. Aber stimmt das denn? Ist das wirklich eine
Leistung der Demokratie? Weit gefehlt!
Es war ein langer Weg vom römischen Kaiserreich
über das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, in
dem es Bürgern gestattet war, demütige Bitten an die
Obrigkeit zu richten, und das Preußische Landrecht von
1794 bis zum Jahr 1949; denn erst seit 1949 ist es wirk-
lich ein Petitionsrecht, wie es die Demokratie verlangt.
Es wurde als Art. 17 ins Grundgesetz aufgenommen.
Heute ist das Petitionsrecht kein demütiges Bitten
mehr – Gott sei Dank! –, sondern ein Grundrecht für je-
dermann. Ich sage jetzt nicht dazu: „für jede Frau und je-
des Kind“, weil im Grundgesetz einfach „jedermann“
steht. Mehr noch: Der Parlamentarische Rat machte das
Petitionsrecht 1949 zu einem unantastbaren Grundrecht,
also einem Recht mit Ewigkeitscharakter.
Die Arbeit im Petitionsausschuss bietet den direkten
Kontakt zwischen den Menschen, die wir vertreten, und
dem Parlament. Diese Unmittelbarkeit ist einer der
Gründe dafür, dass ich mich auch in der zweiten Wahl-
periode wieder freiwillig für diesen Ausschuss entschie-
den habe. Für uns bietet sich die Möglichkeit, auf diesem
Wege die Auswirkungen der Gesetze, die wir verab-
schiedet haben, aber auch der Gesetze, Herr Kollege
Ackermann, die lange vor Rot-Grün verabschiedet wur-
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en – ich denke an Ostrenten und an Treuhandgeschäfte,
ie heute noch im Petitionsausschuss reflektiert wer-
en –, zu betrachten. Das soll es zu Ihrem Hau vom Re-
ormstau aber auch gewesen sein. Ansonsten arbeiten
ir ja doch ganz gut zusammen.
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das war ja noch recht milde!)
Wir bearbeiten ein ganz breites Spektrum. Das ist
eute schon vielfach gesagt worden. Ich mache es des-
alb kurz. Es sind auch ganz widerstreitende Positio-
en dabei. Die einen wollen die Vermögensteuer gänz-
ich aus dem Gesetz gestrichen haben. Die Regelung soll
icht nur nicht angewendet werden, sondern sie soll raus
us dem Gesetz. Die anderen wollen Veränderungen
eim Arbeitslosengeld II. Die einen wollen ein Recht, in
er privaten Kasse versichert zu sein. Die anderen kämp-
en darum, überhaupt eine Krankenkasse zu haben. Un-
eklärte Grundstücksprobleme, das Thema Ostrenten so-
ie die Überschuldung durch falsche Beratung bei den
anken sind Anliegen, die bei uns auf dem Tisch oder
besser gesagt – bei der Politik vor der Tür landen.
Wir erhalten so ganz tiefe Einblicke in menschliche
chicksale. Wir können sicherlich nicht immer und auch
icht überall helfen; denn die Grenze unserer Arbeit ist
as geltende Recht. Das gilt aber nur für die Vergangen-
eit und Gegenwart. Für die Zukunft sind uns, was den
xtrakt aus unserer Arbeit im Petitionsausschuss an-
angt, natürlich keine Grenzen gesetzt. Im Gegenteil:
us den Petitionen müssen, sollen und können wir für
ie Zukunft lernen.
Im Berichtszeitraum wurden die allermeisten Voten
inmütig erzielt. Manchmal wurde selbst noch in der Sit-
ung Einigung erreicht. Heute habe ich mitunter das Ge-
ühl – aber das kommt dann im Tätigkeitsbericht 2006 –,
ass sich auch hier das Sprichwort bewahrheitet, das
ein bestimmt das Bewusstsein, und dass Dinge anders
ind, wenn man in der Opposition ist oder vielleicht
och gar nicht in der Regierungsverantwortung war.
Über die Neuerungen im Petitionsrecht haben die
ollegen schon ausführlich berichtet. Ich bin überzeugt
avon, dass die von uns eingebrachten Veränderungen
ie richtigen Schritte sind, um den Menschen das Peti-
ionsrecht näher zu bringen. Ein einfaches, transparentes
etitionsrecht ist, glaube ich, wesentlicher Grundstein
ür die Teilhabe an einer lebendigen Demokratie.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die erneute deutli-
he Zunahme der Zahl der Eingaben im letzten Jahr
eigt, dass die Bürgerinnen und Bürger den Petitionsaus-
chuss zunehmend als Anlaufstelle für ihre Sorgen und
roteste nutzen. Wenn unsere Obfrau, Gabriele
ösekrug-Möller, zitiert wird mit dem Satz: „Bei uns
rummt’s“, dann heißt das auch – ich sage: nicht nur,
ber auch –, dass unsere Öffentlichkeitsarbeit der letzten
ahre Erfolg zeigt.
Fast 500 000 Menschen haben sich 2005 an den Peti-
ionsausschuss gewandt. Welche Bedeutung hat diese
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Gabriele Frechen
Zahl? Glaubt man der Berichterstattung, so handelt es
sich dabei um einen Beschwerden- oder Frustrekord.
Selbstverständlich trifft es zu, dass Menschen ihren
Frust bei uns abladen. Aber die Lektüre des Tätigkeits-
berichts zeigt doch sehr schnell und deutlich, dass diese
Begriffe zu kurz greifen; denn es ging auch – das wurde
schon angesprochen – um die Unterstützung bei Visaer-
teilungen, die Generation Praktikum oder auch um den
UV-Schutz für Minderjährige in Solarien. Diese Anlie-
gen werden von Petenten an uns herangetragen, die noch
nicht einmal selbst davon betroffen sind. Sie tun dies,
weil sie Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen
und uns sagen wollen, wo sie einen deutlichen Hand-
lungsbedarf sehen. Sie fordern uns auf: Macht was da-
raus. – Es ist dann unsere Aufgabe zu entscheiden: Kön-
nen und wollen wir und, wenn ja, wie können und wol-
len wir daraus etwas machen?
Aus diesem Grund begrüße ich die Zunahme der Zahl
der Eingaben ausdrücklich. Die Menschen machen nur
von ihrem demokratischen Grundrecht Gebrauch. Ein
Grund für die Zunahme sind sicherlich auch – der Vor-
redner hat es angesprochen – die Besuche von Messen
und Ausstellungen. Dort kommen die Menschen prak-
tisch im Vorübergehen mit uns ins Gespräch. Das hat
eine unheimlich positive Wirkung. Ich selber gehe sehr
gern auf die Messen und unterstütze da die Ausschussar-
beit. Ich lade alle Kolleginnen und Kollegen, ob Mitglie-
der des Ausschusses oder nicht, ein, diese Chance zu
nutzen, mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen, und
ich rufe die Bürgerinnen und Bürger auf, diese Messen
zu besuchen, um mit den Abgeordneten ins Gespräch zu
kommen.
Demokratie lebt vom Vertrauen zueinander, vom Ver-
ständnis füreinander und vom Respekt voreinander. Ein
Gespräch ist ein erster wichtiger Schritt dazu.
(Beifall im ganzen Hause)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an dem Einsatz der Interna-
tionalen Sicherheitsunterstützungstruppe in
Afghanistan unter Führung der NATO auf
Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) vom
20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai
2002, 1444 (2002) vom 27. November 2002,
1510 (2003) vom 13. Oktober 2003, 1563
(2004) vom 17. September 2004, 1623 (2005)
vom 13. September 2005 und 1707 (2006) vom
12. September 2006 des Sicherheitsrates der
Vereinten Nationen
– Drucksache 16/2573 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
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Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss
gemäß § 96 GO
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
ie Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
öre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Staatsmi-
ister Gernot Erler das Wort.
Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ine Debatte um die Verlängerung des ISAF-Mandats in
fghanistan fünf Jahre nach dem 11. September 2001
nd der darauf folgenden Intervention in Afghanistan ist
ine wichtige Gelegenheit, um über die Lage des Landes
u sprechen, aus dem uns heute viele Besorgnis erre-
ende Nachrichten erreichen.
Notwendig ist eine nüchterne Analyse. Zu einer Be-
chönigung gibt es keinen Anlass. Sie könnte sogar zu
alschen Folgerungen und zu unerfüllbaren Erwartungen
ühren. In den letzten Wochen hat sich die Bundesregie-
ung dieser Aufgabe einer nüchternen Analyse unterzo-
en und nach dem ersten Afghanistankonzept vom Jahr
003 ein fortgeschriebenes vorgelegt. In diesem Konzept
erden auf 25 Seiten Licht und Schatten der Entwick-
ung beschrieben und dann die notwendigen politischen
ückschlüsse gezogen.
Es gibt positive Entwicklungen. Afghanistan hat
eute eine neue Verfassung, ein gewähltes Parlament
nd einen gewählten Staatspräsidenten. Das Pro-Kopf-
inkommen hat sich in den letzten fünf Jahren verdop-
elt. Heute gehen 7 Millionen Kinder in die Schule, Jun-
en wie Mädchen. Für die innere Sicherheit hat Afgha-
istan Fähigkeiten in Form einer nationalen Armee und
iner nationalen Polizei aufgebaut. Es gibt auch erste
rundlagen für ein rechtsstaatliches Justizwesen. Das al-
es ist angesichts des schwierigen historischen Hinter-
rundes, zu dem auch mehr als zwei Jahrzehnte Bürger-
rieg gehören, nicht wenig.
Zugleich gibt es aber auch Besorgnis erregende Zu-
tände und Entwicklungen. Afghanistan steht noch
ange nicht auf eigenen Füßen. Es ist abhängig von ei-
em stetigen Fluss internationaler Hilfszahlungen, im
ugenblick im Umfang von etwa 2 Milliarden Dollar
ro Jahr; diese machen mehr als die Hälfte des Staats-
aushaltes aus. In Afghanistan gibt es fortgesetzt Armut.
er Wohlstand ist regional unterschiedlich verteilt. Flä-
hendeckend hat sich die Hoffnung auf eine Besserung
er Lebensverhältnisse jedenfalls nicht erfüllt. Die Men-
chen machen auch im Alltag schlechte Erfahrungen,
um Beispiel mit einer streckenweise unfähigen und kor-
upten Verwaltung, mit einer zum Teil katastrophalen
ersonalpolitik des Präsidenten, die eher Claninteressen
ls Fähigkeiten prämiert, und mit einem zum Teil unzu-
eichenden Schutz im Alltag. So wurden beispielsweise
n diesem Jahr schon über 200 Schulen zerstört oder de-
oliert; das betrifft 100 000 Schülerinnen und Schüler.
4972 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
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Staatsminister Gernot Erler
In Teilen des Landes, besonders im Süden und Osten,
ist der Krieg zurückgekehrt. Da kämpfen die Einheiten
der Operation Enduring Freedom zusammen mit der af-
ghanischen Nationalarmee gegen regelrechte Verbände
der Taliban und deren Unterstützer. Im ganzen Land hat
die Zahl der Anschläge flächendeckend zugenommen.
Typisch für die inneren Zusammenhänge dieser Zu-
stände ist der bisherige Fehlschlag im Kampf gegen den
Drogenanbau. Die Drogenindustrie erwartet in diesem
Jahr eine Rekordernte beim Opium. Man schätzt den
Umsatz mit diesen Produkten auf 2,8 Milliarden Dollar.
Er hat damit einen Anteil von ungefähr 30 bis 40 Prozent
am afghanischen Bruttosozialprodukt. Dieses Geld fließt
in die Taschen der Drogenmafia und der örtlichen War-
lords und wird wohl auch zur Finanzierung von terroris-
tischen Aktivitäten genutzt. Es gibt daher einen entschie-
denen Widerstand, wenn es um den Kampf gegen den
Drogenanbau geht. Aber ohne einen Erfolg in diesem
Bereich ist eine Verbesserung der Sicherheitslage nicht
vorstellbar.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Es ist völlig klar: Vorerst besteht keine Chance, dass
Afghanistan aus eigener Kraft mit diesen Problemen fer-
tig wird. Deswegen ist das Engagement der internationa-
len Gemeinschaft weiter unverzichtbar. Ein stabiles Af-
ghanistan liegt auch in unserem eigenen Interesse. Denn
auch in den Nachbarregionen müssen noch viele Kon-
flikte gelöst werden.
Die Hauptaufgabe bleibt eine politische. Die Grund-
lage dafür ist der Fahrplan für den „Afghanistan Com-
pact“, beschlossen auf der Londoner Konferenz im Ja-
nuar dieses Jahres. Die Anstrengungen beim Aufbau von
Militär und Polizei, bei der Reform des Sicherheitssek-
tors und im Justizwesen sowie bei der Drogenbekämp-
fung müssen fortgesetzt werden. Es müssen auch mehr
Anstrengungen bei der Armutsbekämpfung unternom-
men werden. Wo Erwartungen der Menschen enttäuscht
werden, werden sie anfällig für eine gefährliche Nostal-
gie, die man auf folgende Kurzformel bringen könnte:
Früher hatten wir keine Freiheit, aber Brot; heute haben
wir kein Brot, aber alle Freiheiten. Das ist eine ganz ge-
fährliche Entwicklung.
Es ist auch klar: Die Bemühungen zur Schaffung ei-
ner flächendeckenden Sicherheit müssen fortgesetzt
werden; denn diese Sicherheit ist nötig, um die von mir
genannten politischen Ziele zu erreichen. Das ist der
Hintergrund dafür, dass der UN-Sicherheitsrat am
12. September beschlossen hat, das ISAF-Mandat um
zwölf Monate zu verlängern. Das ist auch der Hinter-
grund dafür, dass das Bundeskabinett einen Tag später
einen entsprechenden Beschluss zur Fortsetzung der
deutschen Beteiligung an ISAF getroffen hat und jetzt
dem Bundestag zur konstitutiven Zustimmung vorlegt.
Damit kommt die Bundesregierung übrigens einer Bitte
der Vereinten Nationen und Afghanistans nach.
Das Mandat für die deutsche ISAF-Beteiligung soll
inhaltlich unverändert bleiben. Die Obergrenze liegt
weiterhin bei 3 000 Soldatinnen und Soldaten. Der
Schwerpunkt des Einsatzes soll im Norden und in der
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abuler Region liegen. Es bleibt auch dabei, dass Ein-
ätze in anderen Regionen nur zeitlich und im Umfang
egrenzt als Unterstützungsmaßnahmen erfolgen kön-
en, wenn sie für den Gesamterfolg von ISAF unver-
ichtbar sind. Die Bundesregierung besteht auf der Tren-
ung und Unterscheidbarkeit von OEF, also der
peration Enduring Freedom, und der ISAF-Mission.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Ich möchte mit der Feststellung schließen, dass wir
ns der Risiken dieses Einsatzes bewusst sind. Aber die
olitischen Ziele, nämlich die Stabilisierung und die Si-
herstellung der Eigenverantwortlichkeit Afghanistans,
leiben unerreichbar, wenn es die internationale Ge-
einschaft nicht schafft, ein sicheres Umfeld zu schaf-
en. Dieses sichere Umfeld ist wichtig für eine Verbesse-
ung der ökonomischen und sozialen Situation, für die
otwendigen Reformen in Verwaltung, Regierung und
ei den Sicherheitsorganen sowie für den Kampf gegen
ie Korruption. Damit kann mehr Vertrauen im Land ge-
chaffen werden. Außerdem kann damit eine nachhaltige
estigung der demokratischen Strukturen einschließlich
es Schulwesens und der Gleichberechtigung von Män-
ern und Frauen sowie von Jungen und Mädchen er-
eicht werden.
Vor diesem politischen Hintergrund bittet die Bundes-
egierung um die konstitutive Zustimmung dieses Hau-
es zu dem von ihr gemachten Vorschlag.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der
FDP)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich, eine
ruppe afghanischer Parlamentarierinnen begrüßen
u können, die Deutschland, Berlin und unser Parlament
esuchen.
(Beifall)
ir wünschen Ihnen für Ihre parlamentarische Arbeit
nd die Entwicklung Ihres Landes alles Gute.
Nun erteile ich das Wort Kollegen Rainer Stinner,
DP-Fraktion.
Dr. Rainer Stinner (FDP):
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
en! Ich stehe noch ganz unter dem Eindruck eines ein-
tündigen Gespräches von Mitgliedern des Verteidi-
ungsausschusses mit unseren parlamentarischen
olleginnen aus Afghanistan. Ich kann nur sagen: Die
nformationen, die wir bekommen haben, waren in ihrer
reite, Vielfalt und Tiefe sehr beeindruckend. Ich würde
ir wünschen, dass das, was wir in dieser Stunde gehört
aben, der ganze Deutsche Bundestag einmal live hätte
rleben können. Das hätte sicher sehr viel Eindruck ge-
acht. Nochmals ganz herzlichen Dank für die umfang-
eichen Informationen!
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4973
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Dr. Rainer Stinner
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
bei Abgeordneten der LINKEN)
Die FDP-Fraktion wird der Verlängerung des Manda-
tes zustimmen. Nach dem Gespräch von heute bin ich
umso mehr davon überzeugt, dass dies eine richtige Ent-
scheidung ist. Das Gespräch hat zu zusätzlichen Argu-
menten für diese Entscheidung geführt.
Wir alle wissen, Afghanistan erlebt eine dramatische
Entwicklung. Ich will es einmal so ausdrücken: Wir sind
in der Gefahr, den Kampf um Afghanistan zu verlieren.
Damit meine ich nicht in erster Linie den militärischen
Kampf. Ich meine den Kampf um die Herzen, um die
Unterstützung und um das Verständnis der afghanischen
Bevölkerung. Das ist der eigentlich entscheidende
Kampf, in dem wir stehen. Wir müssen alles dafür tun,
diesen Kampf zu gewinnen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Wir wissen, der militärische Einsatz kann dafür nur
die Voraussetzung sein. Die eigentliche Entwicklung der
Gesellschaft muss – das wissen wir doch alle – auf zivi-
lem Gebiet erfolgen. Deshalb müssen wir das Entspre-
chende tun. Wir müssen aus dieser Situation aber auch
die entsprechenden politischen Konsequenzen ziehen,
die unser politisches Handeln prägen.
Die Bundesregierung hat ein Afghanistankonzept
vorgelegt; das finde ich positiv. Ich halte es auch für po-
sitiv, dass hier erstmals ein sehr realistisches Bild ge-
zeichnet wird. Es findet keine Beschönigung mehr statt.
Das halten wir für gut und richtig. Dies wurde schon dar-
gestellt und findet unsere volle Unterstützung. Das muss
auch so sein. Denn wir müssen uns klar machen, vor
welch schwieriger Aufgabe wir dort insgesamt stehen.
Wir müssen natürlich auch mit unseren Partnerlän-
dern – hinter verschlossenen Türen; das sehe ich ein –
offen über Defizite sprechen, was den Aufbau der Justiz,
die Drogenproblematik und die Entwaffnung angeht.
(Uta Zapf [SPD]: Auch was die Polizei an-
geht!)
Wir müssen uns bewusst sein, dass auch auf unserem
eigenen Gebiet, dem Polizeiaufbau, Beschönigungen
nicht angebracht sind.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU und der SPD)
Wir sind beim Polizeiaufbau – dies ist die deutsche Auf-
gabe – im Hintertreffen in Bezug auf das, was wir errei-
chen wollten. Ich kritisiere in keinster Weise die ge-
machten Anstrengungen. Aber die Maßnahmen der
Bundesregierung werden nicht an den gemachten An-
strengungen, sondern an den Ergebnissen gemessen. Die
Ergebnisse sind – das müssen wir ohne jede Aggressivi-
tät feststellen – heute noch nicht so, wie sie sein sollten.
Wir alle wissen, eine funktionierende Polizei ist ein ganz
wesentliches Element jeder Exitstrategie. Von daher soll-
ten wir hier mehr tun.
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Wenn wir also Erfolg haben wollen – und wir müssen
rfolg haben –, dann sollten wir aus dieser Analyse poli-
ische Konsequenzen ziehen. Das möchte ich in der mir
erbleibenden Zeit kurz tun.
Erstens. Nach unserer Meinung muss Afghanistan ein
irkliches Schwerpunktland deutscher Entwicklungs-
usammenarbeit werden.
(Beifall bei der FDP)
ir wissen, dass dieser Bereich ein entscheidendes
pielfeld ist, um Erfolg zu haben. Es muss ein wirkli-
hes Schwerpunktland werden. Wenn Sie vergleichen, in
elcher Höhe wir heute Entwicklungshilfe zum Beispiel
n China und an Afghanistan geben, dann stellen Sie
est, dass da eine Disproportionalität besteht. Ich möchte
ie bitten, in den Haushaltsberatungen eine entspre-
hende Schwerpunktverlagerung einzuleiten. Ich weiß,
as geht nicht von heute auf morgen. Aber es ist völlig
nfassbar, dass China auf Dauer mehr Entwicklungshilfe
ekommt als das Kernland Afghanistan, um das wir uns
ümmern müssen.
Zweitens. Wir müssen den Polizeiaufbau noch wichti-
er nehmen. Wir erleben in Afghanistan, dass es zuneh-
end schwieriger wird, Polizeiberater zu rekrutieren. Wir
rleben, dass die Polizeiberaterpositionen einiger PRTs
icht besetzt sind. Auch das müssen wir ernster nehmen.
uch hier erwarten wir, dass in den Haushaltsberatungen
ntsprechende Vorkehrungen getroffen werden.
Drittens. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass
nsere Soldatinnen und Soldaten ohne Wenn und Aber
n Afghanistan geschützt werden. Das bezieht sich so-
ohl auf geschützte Fahrzeuge als auch auf den Feldla-
erschutz. Ich darf Ihnen berichten: Der Zulauf ge-
chützter Fahrzeuge ist kein Problem der Produktion der
ndustrie – ich füge hinzu: Die kann 30 Dingos pro Mo-
at produzieren –, sondern ein Problem der Finanzie-
ung.
Deshalb wird bis zum Jahr 2011, was unter sicher-
eitspolitischen Gesichtspunkten fast dem Sankt-Nim-
erleins-Tag entspricht, die Auslieferung von 149 Din-
os verschoben. Auch das muss entsprechend angepasst
erden.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Viertens. Die FDP-Fraktion verlangt – ich habe das
uch schon im Ausschuss verbalisiert –, dass der Vertei-
igungsausschuss des Bundestages zeitnah informiert
ird, wenn deutsche Soldaten außerhalb unseres Kern-
ebietes – Nordafghanistan und Kabul – eingesetzt wer-
en. Die Mandatsverlängerung enthält eine Klausel, die
as theoretisch ermöglicht. Wir möchten darüber infor-
iert werden.
Fünftens. Wir erwarten, dass dieses Afghanistanpro-
ekt vom Kabinett in seiner Gesamtheit nach außen als
emeinsames Projekt vertreten wird. Auf Arbeitsebene
äuft die Zusammenarbeit in Afghanistan gut. Das Pro-
lem liegt aber, meine sehr geehrten Damen und Herren
inister, sofern anwesend, im Kabinett. In der Öffent-
ichkeit wird nicht deutlich, dass die Frau Ministerin und
4974 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
Dr. Rainer Stinner
Herr Minister Jung ein wirkliches Team sind, die an ei-
nem gemeinsamen Projekt arbeiten. Das ist der Eindruck
der Öffentlichkeit.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Die kommen beide aus Südhessen! – Carl-
Ludwig Thiele [FDP]: Ist das wahr?)
Wir sind ein Land und Sie stellen gemeinsam die Bun-
desregierung. Wir erwarten, dass Sie das deutlicher zum
Ausdruck bringen. Warum machen Sie nicht einmal ge-
meinsam eine Reise nach Afghanistan? Warum stellen
Sie sich nicht gemeinsam in Afghanistan vor und sagen:
Wir haben ein gemeinsames Projekt, an dem wir, die wir
aus verschiedenen politischen Richtungen kommen, zu-
sammenarbeiten müssen.
(Unruhe)
– Dieses Dreamteam scheint euch wirklich zu beeindru-
cken.
(Heiterkeit im ganzen Hause – Jürgen Trittin
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Soll man ge-
mein sein, Herr Stinner?)
Wir brauchen nicht nur gemeinsame militärische Ein-
satzregeln, die Rules of Engagement, wir brauchen auch
– so formuliere ich das einmal – Rules of Behavior. Wir
müssen dafür sorgen, dass die Soldaten der ISAF der af-
ghanischen Bevölkerung mit Respekt gegenübertreten.
Nur so können wir die Herzen und Unterstützung gewin-
nen. Auch darüber müssen wir mit unseren Kollegen in
den anderen Ländern sprechen.
(Beifall bei der FDP)
Wir müssen – das ist mein letzter Punkt – einen Ziel-
status für dieses Land definieren. Für mich ist politisch
völlig indiskutabel, dass die Bundeswehr in 20 Jahren
noch immer in Afghanistan sein soll. Wir müssen den
angestrebten Zustand definieren. Dabei möchte ich uns
alle um Realitätsnähe bitten. Wir werden aus Afghanis-
tan nicht die Schweiz machen können. Das wollen wir
auch gar nicht. Außerdem ist die Frage, ob jeder unserer
Standards unmittelbar übertragbar ist. Wir sollten dies-
bezüglich sehr realitätsnah sein.
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Nur wenn
wir und unsere Partner der ISAF an diesen politischen
Aufgaben hart arbeiten und sie einer Lösung näher brin-
gen, macht ein militärischer Einsatz überhaupt Sinn. Das
ist die Voraussetzung. Wir müssen auch den Soldaten
klar machen, dass wir an einem politischen Prozess ar-
beiten, um ihnen zu zeigen, dass wir ihre schwere Arbeit
schätzen und dass wir sie unterstützen.
Wir fordern die Bundesregierung auf, diese Aufgaben
energisch anzupacken. Dabei haben Sie unsere volle Un-
terstützung.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort dem Bundesminister der Verteidi-
gung, Franz Josef Jung.
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(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD)
Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi-
ung:
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
en! Die Bundesregierung bittet den Deutschen Bundes-
ag um Zustimmung zur Verlängerung des ISAF-Manda-
es für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan.
Wir diskutieren über die teilweise schwierige Lage in
fghanistan. Ich komme gleich darauf zurück. Ich
enke, man darf dabei nicht verkennen, was dort inner-
alb der letzten fünf Jahre, seit dem Sturz des Taliban-
egimes, geleistet worden ist. Es ist zu Recht darauf hin-
ewiesen worden. Es gibt eine Verfassung, es gab Präsi-
entschaftswahlen und vor fast einem Jahr fanden die
arlamentswahlen statt. Wenn heute Parlamentarierin-
en aus Afghanistan unter uns sind, zeigt das aus meiner
icht, dass sich der demokratische Prozess positiv entwi-
kelt hat. Das finde ich sehr gut.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Der Petersbergprozess wurde mit den Wahlen abge-
chlossen. Anfang dieses Jahres fand die Londonkonfe-
enz statt, auf der im Hinblick auf Stabilisierung und
iederaufbau eine Konzeption für die nächsten fünf
ahre entwickelt worden ist. Ich glaube, ein ganz ent-
cheidender Punkt ist, dass im Hinblick auf Stabilität
nd Sicherheit zwar noch ein weiter Teil des Weges be-
chritten werden muss, dass der Wiederaufbauprozess
ber noch stärker ins Blickfeld genommen werden muss.
ch finde, dass gerade hier die Bundesregierung einen
ntscheidenden Schritt nach vorne gegangen ist und dass
er Einsatz der Bundeswehr, wie er beispielsweise im
orden Afghanistans durchgeführt wird, ein Stück als
eispielhaft bezeichnet werden kann.
ISAF hatte großen Anteil daran, dass Afghanistan in
en letzten Jahren diese erfolgreiche politische Entwick-
ung – ich habe sie gerade aufgezeigt – genommen hat.
ch glaube, dass es ganz wichtig ist, dass wir dort, wo
ir jetzt Aufgaben übernehmen – im Norden Afghanis-
ans, in Masar-i-Scharif, wo wir das Camp aufbauen, in
aizabad, Kunduz und in Kabul –, Stabilität und Wieder-
ufbau zusammenführen. Das ist ein ganz wichtiger
unkt der vernetzten Sicherheitspolitik.
Herr Kollege Stinner, ich muss darauf hinweisen, dass
ier eine sehr gute Zusammenarbeit erfolgt. Wöchent-
ich findet eine Abstimmung statt, die vonseiten des
undesaußenministeriums unter Beteiligung beispiels-
eise des Entwicklungsministeriums, des Verteidi-
ungsministeriums und des Innenministeriums durchge-
ührt wird, um genau diese Dinge fortzuentwickeln.
(Dr. Rainer Stinner [FDP]: Habe ich angespro-
chen!)
Natürlich wissen wir, dass – ich formuliere es einmal
ie folgt – die Aktivitäten, die wir in Afghanistan wahr-
ehmen, zunächst nicht von allen gutgeheißen wurden.
ber Tatsache ist, dass wir mittlerweile das Kommando
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4975
(A) )
(B) )
Bundesminister Dr. Franz Josef Jung
im Norden haben. Unsere italienischen Freunde, die das
Kommando im Westen haben, sehen diese Konzeption
ebenfalls als richtig an. Im Süden haben die Kanadier
und unsere englischen Freunde das Kommando, die das
ebenfalls so sehen. Mittlerweile unterstützen auch un-
sere amerikanischen Freunde diesen Prozess, wobei, wie
Sie wissen, vorgesehen ist, im September 2006 die vierte
Stufe umzusetzen.
Der Kommandeur der US-Truppen in Afghanistan hat
es so formuliert: Das effektivste Waffensystem, das wir
haben, ist der wirtschaftliche Wiederaufbau. Das zeigt
den richtigen Weg. Wir brauchen Stabilität. Wir brau-
chen aber auch Wiederaufbau, damit die Menschen die
positive Entwicklung sehen, damit sie nicht das Gefühl
haben, hier ist eine Besatzungsarmee. Sie müssen von
diesem positiven Prozess überzeugt sein.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie
bei Abgeordneten der FDP)
Sicherheit entsteht nicht allein durch Truppenpräsenz,
sondern vor allem durch erlebbare Fortschritte beim
Wiederaufbau. Deshalb ist der Weg, den wir eingeschla-
gen haben, richtig. Wir sollten ihn fortsetzen. Dieser
Weg und damit unser Einsatz im Norden Afghanistans
findet übrigens die breite Zustimmung der Bevölkerung.
Dies ist auch ein Schutz für unsere Soldatinnen und Sol-
daten im Hinblick auf die Umsetzung ihrer nicht einfa-
chen Aufgaben. Wir haben im Norden Afghanistans
bereits mehr als 250 Projekte der zivil-militärischen Zu-
sammenarbeit durchgeführt. Wir werden dem weiterhin
Rechnung tragen.
Dieser erweiterten Rolle, die wir seit dem vergange-
nen Jahr mit diesem Mandat wahrnehmen – die Um-
strukturierung ist jetzt erfolgt –, wollen wir auch mit
dem zukünftigen Mandat Rechnung tragen. Deshalb bit-
ten wir um eine inhaltlich unveränderte Fortschreibung
des Mandats mit einer Personalobergrenze von 3 000 Sol-
datinnen und Soldaten.
Ich betone auch im Hinblick auf die Diskussion der
letzten Wochen noch einmal, dass unser Aufgaben-
schwerpunkt im Norden Afghanistans und in Kabul lie-
gen wird. Zur Unterstützung des Gesamtauftrags können
unabweisbare Notwendigkeiten entstehen, zum Beispiel
Aufklärung, Führung, Transport oder Logistik. Wir ha-
ben die Obleute gerade über diese Maßnahmen infor-
miert. Ich nehme das auf, Kollege Stinner, was Sie ge-
sagt haben: Wir werden das weiterhin so machen. Denn
ich bin der Auffassung, dass wir eine breite Unterstüt-
zung für die Aufgabe brauchen, die wir dort wahrneh-
men.
Aber um es noch einmal klar zu sagen: Es gibt keine
dauerhafte Verlegung der deutschen Truppen, sondern
wir bleiben im Aufgabengebiet, im Norden Afghanistans
und in Kabul. Das wird auch unser zukünftiger Auftrag
sein.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD und der FDP)
Wir haben dort jetzt circa 2 800 Soldatinnen und Sol-
daten im Einsatz. Weil sich die Sicherheitslage dort in
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en letzten Monaten verschärft hat, habe ich, wie Sie
issen, angeordnet, dass wir dort nur noch mit
eschützten Fahrzeugen fahren. Es sind jetzt ausrei-
hend Fahrzeuge im Einsatz, um das zu ermöglichen.
ber damit hier keine falsche Vorstellung entsteht: Es ist
atürlich weiterhin notwendig, dass die Soldatinnen und
oldaten auf Patrouille gehen, dass sie in den Ortschaf-
en sind, dass sie Kontakt mit der Bevölkerung haben,
ass sie dort Gespräche führen. Das ist mit Risiko ver-
unden. Deshalb ist es, wie ich finde, richtig, dass wir
it geschützten Fahrzeugen fahren. Aber es ist wichtig,
ie Bevölkerung von dem positiven Prozess zu überzeu-
en und positive Akzente zu setzen. Auch das wird unser
uftrag sein.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Zudem haben wir die Aufklärung verstärkt, um zu-
ätzlich für Sicherheit zu sorgen; denn der Schutz unse-
er Soldatinnen und Soldaten liegt uns besonders am
erzen.
Gerade vor dem Hintergrund dieser getroffenen Maß-
ahmen haben wir aus meiner Sicht zu Recht die Hoff-
ung, diesen Stabilisierungs- und Wiederaufbauprozess
ositiv fortsetzen zu können. Was wäre die Alternative?
enn wir diese Maßnahmen jetzt beenden würden, dann
estünde die Gefahr, dass das Land einen Rückfall auf
en Stand von vor über fünf Jahren erleiden würde, als
fghanistan im Grunde genommen ein Ausbildungszen-
rum für den Terrorismus war.
Deshalb brauchen wir weiterhin diesen Auftrag, um
tabilität und Wiederaufbau gewährleisten zu können,
m Sinne einer friedensstiftenden Mission dort, aber
uch im Hinblick auf die Sicherheit unserer Bürgerinnen
nd Bürger; denn nur so können dort Gefahrenlagen und
erroristische Situationen unmittelbar bekämpft werden,
evor sie unsere Bürgerinnen und Bürger in Deutschland
rreichen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte da-
um, das so angelegte Mandat zu verlängern. Ich füge
inzu: Ich finde, unsere Soldatinnen und Soldaten leisten
ort einen beispielhaften Einsatz. Es ist, wie ich gerade
argelegt habe, durchaus ein risikoreicher Einsatz. Aber
enn ich sehe, wie breit die Zustimmung der Bevölke-
ung ist und mit welchem Engagement die Soldatinnen
nd Soldaten ihren Auftrag ausführen, um Stabilität zu
ewährleisten, aber auch Wiederaufbau zu ermöglichen,
uss ich feststellen: Dies ist genau der richtige Weg.
eshalb bitte ich Sie um eine breite Unterstützung.
iese Unterstützung haben unsere Soldatinnen und Sol-
aten verdient.
Besten Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegin Monika Knoche, Frak-
ion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
4976 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
Monika Knoche (DIE LINKE):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen Kolleginnen des afghanischen Parlamentes! Als
die Twin Towers einstürzten, war klar: Diesen horrenden
Terrorakt werden die USA mit Krieg beantworten. Un-
eingeschränkte deutsche Kanzlersolidarität führte zu ei-
ner Beteiligung an dem Krieg gegen Terror. Und das Er-
gebnis? Nach fünf Jahren gleicht die Situation in
Afghanistan der im Irak.
Was Rot-Grün mit der Vertrauensfrage erzwang,
führte trotz internationaler Sicherheitstruppe weitgehend
in eine Bilanz des Scheiterns. Kabul kontrolliert das
Staatsgebiet nach wie vor nicht. Während kanadische
Sozialdemokraten dieser Tage eine Rückführung ihrer
Soldaten erwägen, will Deutschland mit noch mehr
schwerem Gerät im härtesten Einsatz der NATO/ISAF
bestehen. Ich rede hier für eine Exitstrategie.
(Zuruf von der SPD: Ach je!)
Ein Rückzug, sagt die Regierung, käme einer Nieder-
lage gleich. Zu gewinnen ist die Mission aber auch nicht.
Was Sie jetzt vorhaben, kommt einer never ending story
gleich. Die USA führen den Krieg, die ISAF assistiert.
Zwar werden die ISAF-Soldaten nicht als Feinde der Be-
völkerung wahrgenommen, doch können sie ISAF und
Enduring Freedom nicht mehr trennen. Vielleicht trägt
das KSK dazu bei.
Die Lage ist instabiler als je zuvor. Im Süden geben
die Taliban den Ton an. Ich zitiere drei Zeitungen, „Die
Welt“, die „FAZ“ und die „taz“.
„Die Welt“ sagt:
Was als Aktion für Stabilität und Wiederaufbau auf-
gelegt war, ist plötzlich zu einem vollständigen
Guerillakrieg geworden.
Die „FAZ“:
Die Amerikaner igeln sich ein, die Taliban greifen
an … Die Afghanen haben genug vom Krieg.
Die „taz“:
Im afghanischen Sumpf muss die NATO sich einge-
stehen, was sie überhaupt leisten kann – und not-
falls abziehen.
Liest man das Afghanistankonzept der Regierung, so
findet man, was die Konsequenzen betrifft, Schönfärbe-
rei vor. Die Regierung leugnet das Scheitern. Sie be-
nennt die neuen Gefahren von Attentaten und Anschlä-
gen nicht.
(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist ja
nun wirklich nicht wahr!)
Durch die Strategie der so genannten Doppelhutkon-
struktion – die USA stellen den Kommandeur von ISAF,
der zugleich OEF befehligt –
(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Sie hat das
Konzept nicht gelesen!)
sollen Synergien zwischen einer völkerrechtswidrigen
Operation und dem NATO-geleiteten ISAF-Mandat ent-
stehen.
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Die Regierung weigert sich beharrlich, zur Kenntnis
u nehmen, dass der Kampf gegen den Terror nicht
urch Krieg zu gewinnen ist. Die afghanische Bevölke-
ung braucht dringlichst Wirtschaftsprogramme, Be-
chäftigung, Wiederaufbauhilfe und soziale Unterstüt-
ung, um sich wieder auf ihre eigenen kulturellen und
issenspotenziale besinnen zu können. Die Menschen
ollen Zukunft.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos])
ekommen haben sie unter Karzai Korruption, einen
lorierenden Drogenanbau und die Vertreter ebendieser
arlords und Drogenbarone in der Regierung. Auf dem
etersberg wurden sie allesamt zu Tisch gebeten. Heute
eherrscht die Burka das Straßenbild und Mädchenschu-
en sind die Zielscheibe von Angriffen. Die Grenzen zu
akistan sind nicht sicher. Was tut Deutschland, was tun
ie USA, um hier Einfluss zu nehmen? Das bleibt ein
ragezeichen.
Ich stelle fest: Keines der kriegslegitimierenden Ziele
urde erreicht. Eines stimmt aber immer: Aus einer Nie-
erlage wird nicht dadurch ein Erfolg, dass man sie leug-
et. Afghanistan soll auf unsere volle Unterstützung zäh-
en können.
(Zurufe von der CDU/CSU: Wie denn? – Sagen
Sie uns doch auch mal, was Sie wollen!)
ir sollten garantieren, die KSK-Einsätze zu beenden,
en Abzug der Bundeswehr einzuleiten, die Entwick-
ungszusammenarbeit zu intensivieren, die Beachtung
er Frauen- und Menschenrechte voranzutreiben und die
orruptionsbekämpfung durch eine sinnvolle Drogenpo-
itik in Angriff zu nehmen. Das bedeutet die Subventio-
ierung der agrarischen Produktion und einen lizenzier-
en, legalen und kontrollierten Mohnanbau für den
ufbau eines staatlichen Monopols der Mohnaufberei-
ung für medizinische Zwecke.
Meine Herren und Damen, Afghanistan braucht nach-
altige Unterstützung, ISAF eine Exitstrategie. Das
eld, das für das Militär bereitgestellt wird, ist besser in-
estiert in Wirtschaftshilfe, Rechtsstaatsbildung, Ar-
utsbekämpfung, Polizei und die Sicherung der Gren-
en. Durch all das wird die Zivilgesellschaft gestärkt.
m sie sollte es uns doch eigentlich gehen.
Danke.
(Beifall bei der LINKEN – Karin Kortmann
[SPD]: Blanker Zynismus! Das kann doch
nicht wahr sein! Das ist schon widerlich!)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Winfried Nachtwei,
raktion Bündnis 90/Die Grünen.
Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ollegin Knoche, Sie haben behauptet, die Bundesrepu-
lik habe ihr Kriegsziel in Afghanistan nicht erreicht.
ie haben offensichtlich überhaupt nicht verstanden, wo-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4977
(A) )
(B) )
Winfried Nachtwei
rum es der Bundesrepublik und der internationalen Ge-
meinschaft insgesamt in Afghanistan geht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)
Gerade das deutsche Engagement in Afghanistan ist ein
schlagendes Beispiel dafür, dass wir nicht die berühmte
uneingeschränkte Solidarität praktiziert haben, sondern
einen eigenständigen, UN-treuen Weg gegangen sind.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
CDU/CSU und der FDP)
Vorhin wurden bereits die 14 sehr geehrten Kollegin-
nen und Kollegen aus allen Landesteilen Afghanistans
begrüßt. Auch ich, Kollege Stinner, bin noch äußerst be-
eindruckt von der Begegnung mit ihnen. Ohne der Re-
gierung zu nahe treten zu wollen, muss ich sagen: Das
eine Stunde dauernde Gespräch mit ihnen war für mich
lehrreicher als 50 Stunden Unterrichtung durch die Bun-
desregierung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der
SPD – Vereinzelt Heiterkeit)
Ihnen sage ich meinen ganz herzlichen Dank! Ich danke
Ihnen für Ihr tolles Engagement und für Ihre sehr offe-
nen und kritischen Worte. Ihre Botschaft war eindeutig:
ISAF muss fortgeführt werden. Aber es müssen massive
Veränderungen vorgenommen werden; sonst sind die
bisherigen Erfolge akut bedroht.
Die internationale Diskussion ist sehr stark von den
Forderungen nach mehr Soldaten und nach größerer
Kampfbereitschaft in Richtung Süden geprägt. Diese
Perspektive ist nicht nur verkürzt. Ich sage ausdrücklich:
Das ist ein Irrweg.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Bundesregierung hat ein neues Afghanistankon-
zept vorgelegt. Der darin dargelegte, durchdeklinierte,
umfassende Ansatz ist richtig. Wir entnehmen diesem
Afghanistankonzept wichtige Informationen und Anre-
gungen. Insofern ist dieses Afghanistankonzept hilf-
reich. Wenn man öfter vor Ort ist, wenn man viele Kon-
takte nach Afghanistan hat, muss man allerdings
einräumen, dass es auch verbesserungsfähig ist. An man-
chen Stellen ist es noch zu blass.
(Beifall der Abg. Uta Zapf [SPD])
Ich stelle ein paar Fragen, auf die dort keine Antwort
gegeben wird: Warum kam es zu einem so breiten Auf-
stand im südlichen Afghanistan? Warum wächst die Ab-
neigung in Teilen der afghanischen Bevölkerung nicht
nur gegenüber der Regierung, sondern auch gegenüber
der internationalen Gemeinschaft insgesamt? Welche
Rolle spielen dabei die Art und Weise der Drogenbe-
kämpfung, die Art und Weise der militärischen Terrorbe-
kämpfung und das oft rücksichtslose Umgehen mit den
Traditionen und Werten der Einheimischen?
Was sind die Schlussfolgerungen? Die deutschen Bei-
träge gelten – diese Erfahrung habe ich gemacht – insge-
samt als besonders sinnvoll und wirksam, sie sind durch-
weg gut angesehen. Der deutsche ISAF-Beitrag, der
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indeutig auf den Norden bezogen ist, muss unbedingt
ortgeführt werden. Kollegin Knoche, das müssen einige
ndlich in den Kopf kriegen: Es gibt in Nachkriegssitua-
ionen wie dieser keinen Aufbau, keine Entwicklung
hne ein Mindestmaß an Sicherheit. Das ist die simple,
ber entscheidende Erfahrung, die hier umgesetzt wird.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Ab-
geordneten der FDP)
Anderes muss deutlich verbessert werden, verstärkt
erden, korrigiert werden. Ich habe Hinweise darauf be-
ommen, dass das richtige Konzept der Provincial-Re-
onstruction-Teams in der Umsetzung doch an vielen
tellen hakt. Hier muss vieles zusammengeführt werden.
en qualitativ ausgezeichneten deutschen Beitrag zum
olizeiaufbau müssen wir quantitativ aufstocken. Bisher,
as müssen wir eingestehen, ist er quantitativ ein Kle-
kern.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN und der SPD)
ier müssen wir auch quantitativ klotzen.
Ferner müssen wir unsere Bemühungen um den Auf-
au verstärken, Stichwort: Afghan Ownership.
Schließlich brauchen wir eine Korrektur auf parla-
entarischer Ebene. Ich stelle fest, dass wir den ganzen
omplex, die Riesenherausforderung Afghanistan, viel
u sehr in den einzelnen Ausschüssen, ressortorientiert,
iskutieren.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
ie verschiedenen Ausschüsse müssen zusammenkom-
en. Was wir aus dem Verteidigungsministerium mitge-
eilt bekommen, müssen wir zusammenführen mit dem,
as wir aus den anderen Bereichen bekommen. Dann
önnen wir den richtigen, umfassenden Ansatz auf der
arlamentarischen Ebene vernünftig begleiten, kontrol-
ieren, weiterbringen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
CDU/CSU und der FDP)
An der Staatengemeinschaft ist es, Überprüfungen
nicht der Konzepte; da gibt es viele und die sind insge-
amt schlüssig und gut – und Korrekturen bei der Be-
ämpfung von Drogenanbau und Terrorismus und nicht
uletzt beim Umgang mit den Traditionen und Werten
er afghanischen Bevölkerung vorzunehmen.
Sehr geehrte Kolleginnen aus Afghanistan, Sie haben
ns bei Ihrem Besuch deutlich gemacht, dass ISAF un-
edingt fortgesetzt werden muss, dass sich aber zugleich
er Kurs der internationalen Gemeinschaft gehörig än-
ern muss. Ich sage Ihnen: Wir haben verstanden. Wir
assen Sie nicht im Stich, und zwar zu unserem gemein-
amen Nutzen. Das haben wir nicht nur im Kopf, son-
ern auch im Herzen.
Ich danke Ihnen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Ab-
geordneten der FDP)
4978 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
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Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Detlef Dzembritzki,
SPD-Fraktion.
Detlef Dzembritzki (SPD):
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, wenn
auch mit einer Ausnahme, die Beiträge, die wir hier im
Haus gehört haben, ausgesprochen wohltuend, weil man
doch sehr viel Übereinstimmung feststellt. Das gilt für
den Beitrag des Staatsministers, aber auch für die Bei-
träge von der FDP und den Grünen. Da spiegelt sich der
Grundkonsens in diesem Hauses wider.
Wir alle wissen – ich denke, es ist richtig, dass das an-
gesprochen worden ist –, dass die Situation in Afghanis-
tan trotz mancher Fortschritte nicht einfacher geworden
ist. Wir alle wissen auch, dass die militärische Präsenz
deswegen notwendig bleibt. Wir wissen aber auch – ich
unterstütze das, was der Kollege Nachtwei und Herr
Dr. Stinner eben gesagt haben –, dass die zivilen Struk-
turen weiterhin zügig aufgebaut werden müssen, weil
das der Hoffnungsträger ist. Wenn wir diese Hoffnung
nicht erfüllen, dann ist die Gefahr sehr groß, dass auch
deutsche Truppen als Besatzungstruppen und nicht als
diejenigen, die dort Hilfe organisieren, empfunden wer-
den.
Es war immer klar, dass der deutsche militärische
Beitrag zu ISAF in klarer Abgrenzung zur Operation
Enduring Freedom steht. Hier gab es nie ein Missver-
ständnis. Ich denke, dass wir immer gewusst haben, dass
dieser Beitrag als flankierende Maßnahme zum zivilen
Wiederaufbau Afghanistans verstanden wird.
Meine Damen und Herren, einige von uns waren ja in
Afghanistan und können die Situation realistisch ein-
schätzen. Sie wissen, dass die Arbeit, die die Frauen und
Männer der Bundeswehr, aber auch – das füge ich hinzu –
die zivilen Helfer der Entwicklungszusammenarbeit dort
hervorragend leisten,
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
unter Bedrohung ihres eigenen Lebens geleistet wird.
Umso mehr ist dieser Einsatz zu schätzen und umso
mehr müssen wir hier mit vernünftigen Maßnahmen und
vernünftigen Argumentationen operieren.
Es ist schon gesagt worden und ich bitte um Verständ-
nis, dass auch ich das noch einmal wiederhole: Ohne
diesen Einsatz wäre der Besuch unserer afghanischen
Kolleginnen nicht denkbar. Frau Kollegin Knoche, seit
vorgestern Abend war ich auf Ihren Beitrag gespannt.
Sie waren dabei und wir haben das Gespräch mit den
Kolleginnen geführt. Sie haben eine Kollegin sogar ge-
fragt: Wie sehen Sie denn diesen ISAF-Einsatz?
(Monika Knoche [DIE LINKE]: Sie haben uns
sehr unterschiedlich geantwortet!)
Die Kolleginnen aus Afghanistan haben uns erklärt, dass
sie überhaupt nicht die Möglichkeit und Chance hätten,
ihr politisches Engagement einzubringen und politische
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erantwortung zu übernehmen, wenn es diesen ISAF-
insatz nicht gäbe.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
m uns ein Stückweit zu zeigen, dass sogar bei Ihnen
achdenklichkeit entsteht, hätten Sie das fairerweise
arstellen und uns teilhaben lassen sollen, wie Sie mit
olchen Informationen umgehen.
(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Ein Fetzen
Ehrlichkeit!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor wenigen Tagen
urde uns von der Bundesregierung ein Afghanistan-
onzept vorgelegt. Ich finde das interessant, aber ich
enke, dass wir alle darin übereinstimmen, dass hier
urchaus noch ein Stückchen Substantiierung möglich
st und dass man sich damit auseinandersetzen kann, so-
ass noch ein wenig mehr Zielorientierung deutlich
ird. Nach wie vor begrüße ich die ressortübergreifende
usammenarbeit und ich unterstreiche das, was der Kol-
ege Nachtwei gesagt hat: Auch wir als Parlamentarier
tehen in der Verantwortung, diese Zusammenarbeit zu
erbessern. Ich will gleich hinzufügen: Auch wir stehen
enerell in der Verantwortung, den Kontakt zum afgha-
ischen Parlament zu verbessern.
(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Richtig!)
Wir müssen ihnen zum Beispiel die Information ge-
en, welche materielle und welche finanzielle Hilfe ge-
eistet wird, damit auch die Parlamentarierkollegen dort
issen, was die Regierung eigentlich tut. Dann können
uch nicht solche Missverständnisse wie das entstehen,
ls Herr Dr. Stinner den Versuch gemacht hat, die Ent-
icklungszusammenarbeit mit Afghanistan und die mit
hina gegeneinander auszuspielen. Ich will nur festhal-
en, dass wir mit den 80 Millionen Euro, die Afghanistan
rhält, im Spitzenfeld liegen.
(Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministe-
rin: Das ist die Spitze!)
„Das ist die Spitze“, sagt die Ministerin. – Sie haben
hina problematisiert. Lassen Sie uns das an anderer
telle tun. Ich persönlich habe eine Vielzahl Argumente
afür, dass es richtig ist, mit diesem Land wirtschaftlich
usammenzuarbeiten. Es ist nicht korrekt, den Eindruck
u erwecken, als würden für China Mittel abgezwackt,
ie eigentlich für Afghanistan vorgesehen gewesen sind.
eswegen habe ich diese Zahl hier erwähnt.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Christian
Ruck [CDU/CSU])
Wenn man sich die Situation in den Regionen ansieht,
ann weiß man, dass es notwendig ist, sowohl die mate-
ielle als auch die gesellschaftliche Infrastruktur zu ver-
essern. Wir brauchen Straßen und wir brauchen fähige
enschen, die in der Lage sind, Wirtschaftskreisläufe in
ang zu setzen und Eigenverantwortung im Land wahr-
unehmen. Ich finde es nach wie vor problematisch, dass
nternationale Organisationen – zum Teil auch wir selbst,
nsbesondere aber die Vereinten Nationen – die eigenen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4979
(A) )
(B) )
Detlef Dzembritzki
Kräfte des Landes, deren Anzahl langsam steigt, sofort
absorbieren. Ein Arzt, ein Lehrer, ein Ingenieur entschei-
det sich eher, Fahrer bei der UN zu werden, als einen Job
innerhalb der Regierung und der kommunalen Struktu-
ren anzunehmen. Auch diese Problematik müssen wir in
den Griff bekommen. Ich denke, das kann ein Thema für
die Reformdebatte innerhalb der UN sein.
Ich glaube, dass wir ein weitaus stärkeres Gewicht
darauf legen müssen, uns in den beruflichen Bereichen
– etwa bei den Qualifizierungsmaßnahmen – stärker ein-
zubringen.
Wir müssen auch zunehmend bereit sein, uns kriti-
schen Diskussionen zu stellen. Ich denke, dass es wirk-
lich wichtig ist, dass wir uns – aufbauend auf dem
Afghanistankonzept der Bundesregierung – regelmäßig
vonseiten der Regierung berichten lassen, welche Er-
folge im zivilen Bereich erzielt worden sind und wo kri-
tische Punkte sind.
Herr Dr. Stinner, Sie haben von Verhaltensweisen ge-
sprochen. Ich stimme Ihnen völlig zu: Wir müssen auch
einmal den Mut haben, das Verhalten unserer Freunde zu
diskutieren. Wir müssen den Mut haben, die Frage zu
stellen, ob das Vorgehen der Vereinigten Staaten in allen
Situationen hilfreich ist.
Wir müssen uns auch – liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, ich weiß, dass das eine sehr problematische Diskus-
sion ist – die kritische Frage stellen, wie wir den Zugang
zur Bevölkerung zum Beispiel in den Nordregionen, wo
wir tätig sind, verbessern können. Denn wir sehen die
Notwendigkeit, dort immer stärkeres Gerät einzusetzen,
und die Abstände werden im wahrsten Sinne des Wortes
immer größer. Wie können wir wenigstens in den zivilen
Bereichen stärkere Kooperationsmöglichkeiten schaffen
und wie können wir erreichen, dass sich das Handeln
schneller vollzieht, sodass tatsächlich spürbare Verbes-
serungen eintreten?
Wir müssen uns genauso, zum Teil gegenüber unserer
Bevölkerung, aber in besonderer Weise gegenüber der
afghanischen Bevölkerung, mit dem Problem auseinan-
der setzen, dass viel Geld zur Verfügung gestellt wird,
aber von dem vielen Geld nicht alles dort ankommt, wo
es ankommen soll. Ist das schlechte Informationspolitik?
Liegt es teilweise an Korruption, mit der wir uns aus-
einander setzen sollten? Ich denke, das ist ein ganz wich-
tiger Punkt.
Ich möchte die Bundesregierung ausdrücklich ermuti-
gen, die Schritte der Dezentralisierung weiterzugehen.
Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir uns dort einbrin-
gen und dass wir nicht nur für die Zentrale, sondern ge-
rade im dezentralen Bereich Hilfe leisten. Ich denke hier
auch an die Provinzräte. Ich habe mich in Kunduz mit
denen zusammengesetzt; das war ein Querschnitt der
Bevölkerung, engagierte Leute. Wir müssen schauen,
wie wir ihnen zum Erfolg verhelfen können, damit sie
sich gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, die sie in
diese Funktion eingesetzt haben, rechtfertigen können.
Es gibt viele Möglichkeiten, hier anzuknüpfen.
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Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Kollege Dzembritzki, Sie müssen zum Ende kom-
en.
Detlef Dzembritzki (SPD):
Lieber Herr Präsident, ich sage, dass wir alle Mühen
nternehmen müssen, im Interesse unserer Kolleginnen
nd natürlich auch unserer Kollegen in Afghanistan.
ber Womanpower verdeckt hier Manpower enorm.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der FDP)
ir wissen, dass wir mit dem Einsatz von ISAF ein gu-
es Werk tun. Lassen Sie uns dieses gute Werk auch wei-
erhin zivil erfolgreich begleiten!
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der
FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort dem Kollegen Bernd
chmidbauer, CDU/CSU-Fraktion.
Bernd Schmidbauer (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
nd Kollegen! Herr Dzembritzki, es ist wohltuend, dass
ier – im Unterschied zu den Debatten der letzten Tage,
ls es um ähnliche Dinge ging – die Übereinstimmung
ahezu bei 100 Prozent ist. Ich begrüße das außerordent-
ich. Das zeigt deutlich, wie die Arbeit im Ausschuss ab-
äuft, und das zeigt deutlich, welche Fortschritte ge-
acht wurden, unabhängig davon, wie man das bewertet
der eine sieht die Dinge etwas pessimistischer, der an-
ere kann sie etwas positiver darstellen.
Fünf Jahre nach dem Sturz des Talibanregimes ist es
elungen, die Brutstätte des Terrorismus auszutrock-
en, den Sumpf auszutrocknen. Das allein ist ein ganz
ichtiger Punkt und ist der Erfolg schlechthin, den wir
rreicht haben, ein wichtiger Schlag gegen den interna-
ionalen Terrorismus.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
as können manche natürlich negieren. Es gehört eben
in klarer Blick dazu, aber den habe ich vorhin erlebt. In
en Aussprachen mit den Vertreterinnen und Parlamen-
arierinnen Afghanistans Fragen zu stellen und hinterher
ie Antwort so darzustellen, dass sie einem ins Konzept
asst, ist nicht die edle Art.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich finde es gut, dass die internationale Gemeinschaft
ezeigt hat, dass wir uns nicht einschüchtern lassen, son-
ern entschlossen gegen den internationalen Terrorismus
orgehen. Dies wurde auch klar. Was die Attentate der
etzten Jahre angeht, ist bekannt, wo die Beteiligten her-
amen und wo sie ausgebildet wurden. Das macht deut-
ich, was bisher erreicht wurde. Ich denke, dass die
nternationale Gemeinschaft sowohl politisch als auch
irtschaftlich viel für das Land geleistet hat.
4980 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
Bernd Schmidbauer
Ich erinnere an den großen Bogen der Konferenzen
von Petersberg bis hin zu London, wo der Afghanistan-
Compact als Fahrplan für die weitere Arbeit in diesem
Land eine große Zustimmung erhalten hat. Ich will aber
in diesem Zusammenhang anmerken, dass es nun um die
Umsetzung geht. Notwendig sind entsprechende Kon-
trollen, die laufend erfolgen müssen. Das hat sich bei ei-
nigen Schwerpunkten als schwierig erwiesen. Bei der
Drogenbekämpfung beispielsweise war immer wieder
davon die Rede, dass es eine Lead-Nation gibt. Inzwi-
schen firmiert der London-Compact als Partnerschaft. Es
bleibt aber wichtig, dass wir Kontrollen durchführen und
Fortschritte abfragen können, um zu erkennen, welche
Anstrengungen unternommen werden.
Verteidigungsminister Jung und Herr Erler haben be-
reits darauf hingewiesen: Das Land hat einen gewählten
Präsidenten und ein gewähltes Parlament. Der Aufbau
der staatlichen Institutionen, der Justiz, der Armee und
der Polizei geht voran. Auch wenn das afghanische Volk
noch weit von einer Demokratie nach unseren Vorstel-
lungen entfernt ist, so sehen wir doch, dass in Afghanis-
tan Schritt für Schritt auf eine demokratische politische
Ordnung hingearbeitet wird. Es ist zwar wünschenswert,
dass die Fortschritte schneller erreicht werden, aber man
muss realistisch sein. Ich erinnere noch einmal an die
Ausgangssituation: Afghanistan ist eines der ärmsten
Länder der Erde, das nach 22 Jahren Krieg und Bürger-
krieg völlig zerstört ist. 6 Millionen Afghanen sind in
andere Staaten geflohen. Kriminalität, Korruption und
Drogenwirtschaft sind nach wie vor an der Tagesord-
nung. In vielen Regionen herrschen Hungersnot und
Wassermangel.
Aktuell geht es um die Fortsetzung der Beteiligung
bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz in Af-
ghanistan. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat
am vergangenen Dienstag zur Entscheidung über den
Einsatz im Libanon gesagt – ich zitiere –:
Immer dann, wenn der Bundestag einen solchen
Einsatz zugelassen hat, dann haben wir dies getan,
um Frieden zu schaffen …
Das ist die Grundlage unseres Handelns. Es ist auch die
Grundlage für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanis-
tan.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Die Bundesregierung hat ihr neues Afghanistankon-
zept vorgelegt. Unter anderem wird darin deutlich ge-
macht, dass sich die Situation in den Regionen erkenn-
bar verschlechtert hat. Ich gehe einen Schritt weiter und
beurteile die Sicherheitslage als äußerst kritisch. Die
Berichte, die wir erhalten, sprechen eine eindeutige
Sprache. Es ist in diesem Land zu den heftigsten und er-
bittertsten Kämpfen seit dem Sieg über die Taliban im
Jahr 2001 gekommen. Der UNO-Sonderbeauftragte be-
richtet, dass die internationale Gemeinschaft mit einem
Aufstand konfrontiert ist und dass das Reservoir der Ta-
libanrebellen, die sich in den Nachbarländern aufhalten,
unerschöpflich ist.
Fraglich ist aber, ob es eine Alternative gibt. Wir kön-
nen doch nicht nur die Situation beklagen. Was den Dro-
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enanbau angeht, hat sich die Situation in der Tat ver-
chlechtert. Der Opiumanbau hat von 4 100 Tonnen im
ahr 2005 auf 6 100 Tonnen im Jahr 2006 zugenommen.
(Monika Knoche [DIE LINKE]: Was halten
Sie denn von meinem Vorschlag?)
ies entspricht einem Weltmarktanteil von 92 Prozent.
as ist die Realität. Es ist aber kein Grund, über
xitstrategien nachzudenken – wie es eine Vorrednerin
n dieser Debatte getan hat –; vielmehr sind mehr Aus-
auer, Geduld und auch noch größere Anstrengungen
otwendig, um letztlich gegen die Talibanrebellen, die
arlords, Kriminalität, Drogenanbau und Korruption in
fghanistan erfolgreich zu sein. Das ist die einzige Al-
ernative. Wichtig ist nicht nur militärisches Engage-
ent, sondern auch die internationale Hilfe für den zivi-
en Wiederaufbau. Die Entwicklungshilfeministerin hat
arauf hingewiesen, dass wir da an der Spitze liegen.
aran erkennt man, dass wir uns bemühen und dass wir
ns nicht verstecken, sondern einen hohen Einsatz brin-
en, um ein Gesamtkonzept, das aus militärischen, zivi-
en, politischen, entwicklungspolitischen und polizeili-
hen Elementen besteht, umzusetzen.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Bernd Schmidbauer (CDU/CSU):
Was auf der Konferenz in London verabschiedet
urde, muss sich bewähren.
Vieles von dem, was der Kollege vorhin angespro-
hen hat, teile ich voll und ganz, etwa die Forderung
ach einer Verstärkung des Polizeieinsatzes.
Ich möchte der Bundeswehr, unseren Soldatinnen und
oldaten für ihren Einsatz unter lebensgefährlichen Be-
ingungen in Kabul und im Norden Afghanistans beson-
ers danken. Der Deutsche Bundestag weiß, was unsere
oldatinnen und Soldaten leisten. Die CDU/CSU-Frak-
ion erwartet, dass unsere Soldatinnen und Soldaten die
estmögliche Ausrüstung für ihren gefährlichen Dienst
rhalten. Darüber wird zurzeit ja debattiert. Der Verteidi-
ungsminister hat heute davon gesprochen. Im Namen
nserer Fraktion sage ich der Bundeswehr und allen Sol-
aten herzlichen Dank.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
ch denke, dass bei allen Problemen und Schwierigkei-
en der internationale Einsatz in Afghanistan weiterhin
ußerst wichtig ist.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Antrags auf
rucksache 16/2573 an die in der Tagesordnung aufge-
ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungs-
ntrag auf Drucksache 16/2623 soll an dieselben
usschüsse überwiesen werden, jedoch nicht an den
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4981
(A) )
(B) )
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Rechtsausschuss und an den Haushaltsausschuss. Sind
Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun
Kopp, Martin Zeil, Christian Ahrendt, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Bundeskartellamt stärken – Ausgewogene
Wettbewerbsaufsicht auf den Energiemärkten
– Drucksache 16/1678 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
FDP sechs Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wi-
derspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich erteile als erster Rednerin der Kollegin Gudrun
Kopp, FDP-Fraktion, das Wort.
Gudrun Kopp (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Da-
men! Wir müssen dringend eine riesige Bugwelle von
weiteren Wettbewerbsdefiziten abarbeiten. Als Beispiele
nenne ich die Bereiche Bahn, Post, Telekommunikation
und Energie. Das Bundeskartellamt ist die zentrale
Wettbewerbsbehörde, deren Arbeit von entscheidender
Bedeutung für die Ordnung unserer Volkswirtschaft ist.
Fusionskontrollen, Kartellbekämpfungen und Miss-
brauchsaufsicht sind vornehmste Aufgaben der Wettbe-
werbshüter.
(Beifall bei der FDP)
Schauen wir genauer hin. Die Zahl der Fusionskon-
trollverfahren ist im Jahr 2005 um 15 Prozent gestiegen.
Eine ähnliche Entwicklung lässt sich auch auf EU-Ebene
verzeichnen. Die Bearbeitung von Fusionskontrollen ist
fristgebunden. Das heißt, innerhalb von vier Wochen
muss entschieden werden, ob eine vertiefte Prüfung not-
wendig ist oder nicht. Das wiederum bedeutet, dass eine
solche Prüfung personalintensiv ist. Wenn Sie sich fra-
gen, was wir von der Kartellbekämpfung haben, dann
kann ich Ihnen nur sagen: Der Nutzen für die Volkswirt-
schaft, die öffentliche Hand, die Industrie und die Privat-
wirtschaft, ist sehr groß. Die Bearbeitung einer zweistel-
ligen Zahl solcher Verfahren liegt derzeit beim
Bundeskartellamt auf Halde. Es fehlt an Personal. Das
darf doch eigentlich nicht wahr sein.
(Beifall bei der FDP)
Schauen wir auf den fehlenden Wettbewerb im Ener-
giebereich! Die Regulierung der Netze – sie machen ein
Drittel der Wertschöpfung bei Strom und Gas aus – wird
im Augenblick von der Bundesnetzagentur wahrgenom-
men. Ihr stehen 180 Stellen für die Missbrauchsaufsicht
zur Verfügung. Aber beim Bundeskartellamt sind gerade
einmal drei oder vier Mitarbeiter mit der Missbrauchs-
kontrolle des vor- und nachgelagerten Bereichs – dieser
macht immerhin zwei Drittel der Wertschöpfung aus –
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eschäftigt. Das ist viel zu wenig. Ich betone: 180 Stel-
en stehen der Bundesnetzagentur zur Verfügung – sie
eistet im Übrigen sehr gute Arbeit und hat unsere Unter-
tützung –, während es beim Bundeskartellamt nur drei
der vier Mitarbeiter sind; das rechnet sich nicht. Das
ann niemand wollen.
Ich möchte Ihnen an dieser Stelle einmal deutlich ma-
hen, in welchem Maße das Bundeskartellamt für die
efinanzierung der eigenen Arbeit sorgt. Das Bundes-
artellamt hat im Zeitraum 2000 bis 2005 Bußgelder in
öhe von etwa 900 Millionen Euro verhängt; das ist
ine ganze Menge. Die Wettbewerbshüter in diesem Amt
ahren 60 Prozent ihres Gesamtbudgets in Höhe von
7 Millionen Euro durch Einnahmen wieder ein. Des-
alb ist es absolut notwendig, das Bundeskartellamt
uch materiell zu stärken. Es reicht nicht, wie es Bundes-
irtschaftsminister Glos derzeit plant, die kartellrechtli-
hen Aufgreifkriterien für missbräuchliches Marktver-
alten im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb zu
erändern. Eine rechtliche Stärkung ist sicherlich ein gu-
er Weg. Aber ohne eine personelle und materielle Stär-
ung ist dies alles gar nichts. Man darf nicht vergessen,
ass den Wettbewerbshütern eine milliardenschwere
obbymacht – ich nenne als Beispiel nur die vier Ener-
ieriesen – gegenübersteht. Wir müssen uns klar ma-
hen, dass wir dieser Macht etwas entgegensetzen müs-
en.
(Beifall bei der FDP)
Es ist erfreulich, dass gerade in der letzten Zeit die
ntscheidungen des Bundeskartellamtes gerichtlich be-
tätigt wurden. Dadurch wird seine Arbeit in besonderer
eise gewürdigt. Ich nenne als Beispiel nur die Ent-
cheidung des Bundeskartellamtes über die Langfristlie-
erverträge für Energieimporte.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Die FDP-Bundestagsfraktion legt Ihnen einen Antrag
or, in dem wir Sie alle bitten, unserem Vorschlag für
ine personelle Stärkung des Bundeskartellamtes zu
olgen. Wir müssen in diesem Bereich Farbe bekennen.
ie Mitglieder des Wirtschaftsausschusses erinnern sich
ielleicht noch daran, dass im Mai dieses Jahres der Prä-
ident des Bundeskartellamtes bei uns zu Gast war und
ns seine Situation dargelegt hat. Ich hatte den Eindruck,
ass alle der Meinung waren, dass wir dringend etwas
un müssen; denn nichts kommt uns Steuerzahler teurer
u stehen als Monopole und Oligopole. Wer beim Bun-
eskartellamt spart, spart an der falschen Stelle.
(Beifall bei der FDP)
Wir wollen, dass die Wettbewerbskontrollbehörden
auf der einen Seite die Bundesnetzagentur und auf der
nderen Seite das Bundeskartellamt – gegeneinander ab-
eglichen werden, damit deutlich wird, wo welche Stel-
en transferiert werden können. Das heißt, dass in Zu-
unft möglicherweise nicht alle 180 Stellen bei der
undesnetzagentur gebraucht werden, sodass wir zu-
indest teilweise Stellen auf das Bundeskartellamt über-
ragen können. Das wäre sinnvoll und würde uns in
4982 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
Gudrun Kopp
volkswirtschaftlicher Hinsicht einen riesengroßen Nut-
zen bringen.
Ich hoffe sehr, dass es nicht beim – zumeist populisti-
schen – Ruf nach mehr Wettbewerb und bei Vorschlägen
für eine Dauerpreiskontrolle – ein schreckliches Wort –
bleibt; denn das ist nicht der richtige Weg. Der Weg be-
steht in mehr Wettbewerb, einer weiteren Öffnung der
Märkte und einem Einschreiten gegen Oligopole und
Monopole zur Stärkung insbesondere der Energiever-
braucher. Das wäre auch ordnungspolitisch ein sehr sau-
berer Weg. Den sollten wir gemeinsam gehen. Ich for-
dere Sie auf, dem Antrag der FDP-Bundestagsfraktion
zuzustimmen und damit einer Stärkung des Bundeskar-
tellamtes nichts mehr in den Weg zu stellen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der FDP)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Albert Rupprecht,
CDU/CSU-Fraktion.
Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU):
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Frau Kopp, das Grundanliegen Ihres Antrags ist in
der Tat richtig.
(Gudrun Kopp [FDP]: Aber?)
Das Bundeskartellamt muss gestärkt werden und es ist
zwingend notwendig, dass gegen die überhöhten Preise
– es sind in der Tat überhöhte Preise – auf dem Strom-
markt vorgegangen wird.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP)
Was wir auf dem Strommarkt erleben, ist ein Trauer-
spiel. Millionen Verbraucher, Tausende Unternehmer
sind von vier großen Stromkonzernen abhängig.
(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: So ist es!)
Die Verbraucher erleben seit dem Jahr 2000 einen dra-
matischen Anstieg der Strompreise, der weit über den
Anstieg der Produktionskosten hinausgeht. Das ist das
Ergebnis von Marktmacht und das Ergebnis eines feh-
lenden Wettbewerbs. Das ist nicht akzeptabel und kann
von uns als politisch Verantwortlichen nicht hingenom-
men werden.
Was wir zudem erleben, ist ein äußerst unfaires Wett-
rennen zwischen Stromkonzernen und Bundeskartell-
amt. Auf der einen Seite versuchen fünf Mitarbeiter im
Bundeskartellamt, nachzuweisen, dass die Stromkon-
zerne ihre Marktmacht missbrauchen. Diesen fünf Mit-
arbeitern stehen auf der anderen Seite Hunderte von
Topjuristen der Topkanzleien dieser Welt gegenüber. Es
kann nicht sein, dass sich staatliche Behörden mit einem
hoheitlichen Auftrag in ein Wettrennen mit privaten Un-
ternehmen begeben müssen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP – Zuruf von der SPD: Genau!)
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ir brauchen endlich mehr Wettbewerb auf dem Ener-
iemarkt. Die Netzagentur hat in den vergangenen Wo-
hen Maßnahmen ergriffen und die Durchleitungsgebüh-
en gesenkt, ein richtiger und wichtiger Schritt für mehr
ettbewerb.
(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
is dieser Wettbewerb funktioniert, muss zumindest vo-
übergehend ordnend eingegriffen werden. Das Bundes-
artellamt muss in die Lage versetzt werden, Missbrauch
on Marktmacht wirkungsvoller zu bekämpfen.
(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)
eswegen müssen wir zweierlei tun: Erstens. Wir müs-
en das Bundeskartellamt personell stärken. Zweitens.
och wichtiger ist – da bin ich anderer Meinung als Sie,
rau Kopp –, dass die Instrumente bzw. die Waffen des
undeskartellamtes geschärft werden. Dazu bedarf es ei-
er Änderung des Wettbewerbsrechts, die Minister
los angekündigt hat.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Dagegen haben
wir nichts als FDP! Das sehen wir auch so!)
Zum ersten Punkt, der Personalfrage: Die FDP
chlägt vor, die Planstellen von der Bundesnetzagentur
mzuschichten und zum Bundeskartellamt zu verlagern.
(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Nicht alle!)
as ist nicht machbar und deswegen der falsche Weg.
(Gudrun Kopp [FDP]: Doch, es ist machbar!)
Es ist nicht machbar. – Die meisten Mitarbeiter der
undesnetzagentur kommen aus dem technischen
ienst und sind in 50 Außenstellen deutschlandweit ver-
eilt tätig. Das Bundeskartellamt aber braucht keine tech-
ischen Mitarbeiter, sondern fachkundige Juristen.
(Zuruf von der FDP)
enau hier hat auch die Bundesnetzagentur selbst Eng-
ässe. Es bringt herzlich wenig in dieser äußerst sensib-
en Phase, in der die Bundesnetzagentur zusätzliche
ufgaben bekommt, zwischen Netzagentur und Bundes-
artellamt Stellen hin- und herzuschieben. Wir brauchen
ielmehr beide Organisationen stark aufgestellt, sowohl
ie Netzagentur als auch das Kartellamt.
(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN)
as heißt dennoch, dass das Kartellamt ausreichend Mit-
rbeiter haben muss. Das ist richtig.
Deswegen glaube ich, dass wir dreierlei tun müssen,
m vernünftige Ergebnisse zu erzielen. Der erste Schritt
st – das ist vonseiten des Ministeriums inzwischen zu-
esagt –, dass zwei zusätzliche Mitarbeiter eingestellt
erden.
(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)
um Zweiten: Es wäre in der Tat vernünftig, wenn wir
as Bundeskartellamt von den Abbauplänen der Bundes-
ehörden in Zukunft ausnähmen, analog den Organen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4983
(A) )
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Albert Rupprecht (Weiden)
der Rechtspflege, die per Haushaltsgesetz von den Ab-
bauplänen ausgenommen werden. Das würde in der
Konsequenz dem Bundeskartellamt jährlich sechs Stel-
len bringen.
(Zuruf von der CDU/CSU: Gute Lösung!)
Zum Dritten: Wenn wir darüber diskutieren, wie wir das
GWB ändern und neue Aufgaben für das Bundeskartell-
amt schaffen, müssen wir in der Konsequenz auch über
zusätzliche Mitarbeiter reden. Aber die Reihenfolge ist
die: Zunächst müssen wir wissen, welche zusätzlichen
Aufgaben sie haben. Dann muss in einem zweiten
Schritt darüber entschieden werden, welche Personal-
ausstattung das Bundeskartellamt bekommt. Wer A
sagt, muss in der Konsequenz auch B sagen.
Mindestens genauso dringend wie die Personalaus-
stattung brauchen wir – da unterscheiden wir uns in der
Einschätzung – schärfere Instrumente. Sonst ist meiner
Meinung nach alles vergebene Liebesmüh. Wer David
gegen Goliath in den Kampf schickt, muss David scharfe
Waffen geben; sonst hat der keine Chance. Deswegen
muss das Wettbewerbsrecht verschärft werden.
Es ist die richtige Entscheidung von Minister Glos ge-
wesen, insoweit die Zügel sehr viel straffer anzuziehen.
(Gudrun Kopp [FDP]: Das habe ich auch nicht
kritisiert!)
In Zukunft müssen die Konzerne – das ist auch richtig –
ihre Preise, ihre Kosten und ihre Kalkulationsmethoden
vor dem Kartellamt rechtfertigen. Bisher ist es umge-
kehrt. Bisher ist es so: Das Kartellamt muss Versorgern
nachweisen, dass sie Verstöße begehen. Dieser Nach-
weis dauert enorm lange und ist äußerst kostenintensiv.
Die Konzerne spielen schlichtweg auf Zeit, gehen in ju-
ristische Auseinandersetzungen und führen das Bundes-
kartellamt letztlich an der Nase herum. Deshalb ist es
richtig und ein mutiger, ein erstklassiger Schritt, hier
Kante zu zeigen und deutlich zu sagen: Die Beweislast
muss umgekehrt werden.
(Gudrun Kopp [FDP]: Ja!)
Wir brauchen darüber hinaus weitere Maßnahmen.
Zum Beispiel muss es in Zukunft möglich sein – auch
das plant das Bundeswirtschaftsministerium; auch das
hat Herr Minister Glos angekündigt –, dass die hohen
Margen, die die Energieversorger kassieren, von vorn-
herein als Missbrauch eingestuft werden – mit allen
rechtlichen Konsequenzen, es sei denn, der Energiever-
sorger kann die Marge rechtfertigen und begründen.
Minister Glos hat hier in der Tat eine energiepoliti-
sche Wende eingeleitet. Ministerium, Kartellamt und
Netzagentur arbeiten Hand in Hand. Was uns alle freut
oder zumindest freuen müsste, ist, dass wir die ersten Er-
folge der schärferen Gangart bereits sehen. Vattenfall hat
angekündigt, die Preise zu senken. In Bayern kündigen
die Versorger an, die Preise in den nächsten Jahren zu-
mindest nicht zu erhöhen. Ich bin mir sicher, dass dies
ohne stärkeren Druck und ohne die Ankündigung des
Wirtschaftsministers nicht geschehen wäre. Es hätte sich
schlichtweg gar nichts bewegt.
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Die Verbraucher freuen sich zu Recht über das Durch-
reifen des Ministers. Der Chef des Verbraucherver-
andes, Herr Richmann, sagt zur Verschärfung des Wett-
ewerbsrechts: Das ist die beste Nachricht für
tromkunden seit langem. – Die „Süddeutsche Zeitung“
chreibt in einer Überschrift: „Glos schafft Ordnung“
nd ergänzt: Ludwig Erhard würde es genauso machen.
Sehr geehrte Damen und Herren, lassen Sie mich zum
chluss zusammenfassen: Das Bundeskartellamt braucht
ine angemessene Personalausstattung. Der FDP-An-
rag geht in die richtige Richtung. Er greift aber bei zwei
unkten zu kurz. Erstens. Die Umschichtung des Perso-
als von der Netzagentur zum Kartellamt ist in der Art
icht praktikabel. Zweitens. Das Kartellamt braucht
chärfere gesetzliche Instrumente. Das ist entscheidend.
as ist der zentrale Punkt. Hierauf gibt Ihr Antrag leider
eine Antwort.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD –
Martin Zeil [FDP]: Wir können nicht alle Ant-
worten in einen Antrag bringen!)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Herbert Schui, Fraktion
ie Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Dr. Herbert Schui (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP
öchte das Bundeskartellamt stärken, um wettbewerbs-
erechte Preise auf dem Strommarkt sicherzustellen.
as ist vom Grundsatz her erfreulich; denn damit wird
on den Wirtschaftsliberalen festgestellt, dass der Markt
m Energiebereich nicht richtig funktioniert. Ähnlich
erlangt der Wirtschaftsminister eine stärkere staatliche
ontrolle des Energiemarkts, eine rechtliche Stärkung
es Bundeskartellamts, eine Umkehr der Beweislast und
ieles mehr. Wirklich erfreulich!
Diese Forderungen machen klar, dass die Liberalisie-
ung der Energiemärkte im Jahr 1998 wirklich keine
orteile gebracht hat. Das Ergebnis ist bekannt: eine
elle von Übernahmen, steigende Energiepreise, baufäl-
ige Stromleitungen, übermäßige Gewinne, mit denen
eitere Übernahmen finanziert werden. So will Eon be-
anntlich für 29 Milliarden Euro den Spanier Endesa
aufen. Der Bundeswirtschaftsminister würde es begrü-
en, sagt er, wenn dieser Coup zustande käme, weil er
eint, dass ein Großkonzern unter deutscher Führung
esser ist als ein Großkonzern unter nichtdeutscher Füh-
ung. Diese Konzentration aber ermöglicht dann noch
öhere Monopolgewinne. Das ist unternehmerisches
entnertum. Das ist Einkommen ohne wirtschaftliche
egenleistung. Das ist unternehmerisches Schmarotzer-
um.
(Beifall bei der LINKEN)
iese harschen Worte habe ich aus den Düsseldorfer
eitsätzen der CDU aus dem Jahre 1949 übernommen.
4984 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
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Dr. Herbert Schui
Damals gab es den Begriff des Sozialschmarotzers noch
nicht.
Die FDP freilich springt mit ihrem Antrag zu kurz.
Sie fordert die Bundesregierung dazu auf, ein paar Mit-
arbeiter von der Bundesnetzagentur abzuziehen und im
Bundeskartellamt einzusetzen. Das verschiebt allerdings
nur das Problem, statt es zu lösen. Wir können davon
ausgehen, dass die Bundesnetzagentur nicht zu üppig
ausgestattet ist. Vielmehr ist insgesamt mehr Personal
für die Gesamtaufgabe notwendig.
Die Stromproduktion ist zu 80 Prozent bei den vier
Großen konzentriert. Diese mächtigen Unternehmen
müssen von einer unterfinanzierten Behörde, dem Kar-
tellamt, beaufsichtigt werden. Beim Verfahren gegen
Eon – so der Präsident des Bundeskartellamtes, Böge, am
10. Mai 2006 vor dem Wirtschaftsausschuss – stünden
den sieben Mitarbeitern seines Amtes namhafte Kanz-
leien und Gutachten von vier renommierten Professoren
gegenüber.
Für eine erfolgreiche Monopolkontrolle ist das Bun-
deskartellamt sicherlich die geeignete Behörde. Aber sie
muss finanziell wesentlich besser ausgestattet sein, als
dies jetzt der Fall ist.
Der Antrag der FDP wird diesen Anforderungen nicht
gerecht; vielmehr muss ein umfassend gestärktes Kartell-
amt fürs Erste mit der Preisaufsicht zusammenarbeiten,
damit die staatlichen Instanzen ihren Aufgaben gerecht
werden können. Damit wir wenigstens die Preise für die
Durchleitung von Strom voll im Griff haben, sollten die
Stromnetze in öffentliches Eigentum überführt werden
– aus denselben Gründen, die dafür genannt werden,
dass wenigstens das Schienennetz bei der Privatisierung
der Bahn im öffentlichen Eigentum bleibt.
(Beifall bei der LINKEN)
Aber machen wir uns nichts vor: Auch ein absolut
kontrolliertes Stromdurchleitungsnetz wird bei den
Stromerzeugern keinen Wettbewerb hervorrufen; denn
wenn neben den vier Großen ein Kleiner versuchen
würde, zu niedrigeren Preisen anzubieten, und dies auch
könnte, weil das Stromnetz in öffentlicher Hand es ihm
ermöglicht, so würde – da können Sie sicher sein – die-
ses Unternehmen innerhalb eines halben Jahres aufge-
kauft werden und dann wäre der Konkurrenzkampf wie-
der beendet.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort dem Kollegen Rolf Hempelmann,
SPD-Fraktion.
Rolf Hempelmann (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!
Der Antrag der FDP trägt einen ausgesprochen ambitio-
nierten Titel: „Bundeskartellamt stärken – Ausgewogene
Wettbewerbsaufsicht auf den Energiemärkten“. In der
Konsequenz allerdings läuft der Antrag im Wesentlichen
darauf hinaus, die Personalausstattung des Bundeskar-
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ellamts zulasten der Bundesnetzagentur zu verbessern.
s bleibt also relativ wenig von dem ambitionierten Titel
brig.
Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Debatten
ber die Wettbewerbsbedingungen auf dem deutschen
nergiemarkt und über die gegenwärtigen Preisentwick-
ungen greift der Antrag also entschieden zu kurz oder,
nders gesagt, er bewegt sich nicht auf der Höhe der ak-
uellen energiepolitischen Diskussion.
Fangen wir an mit dem Punkt: Reduzierung des Per-
onals bei der Bundesnetzagentur. Die Bundesnetzagen-
ur ist eine noch junge Behörde. Sie hat ihre Arbeit vor
inem Jahr aufgenommen. Diejenigen, die sich damals
it dem Energiewirtschaftsgesetz und den entsprechen-
en Verordnungen befasst haben oder die jetzt im Beirat
er Bundesnetzagentur die Arbeit der Behörde verfol-
en, können feststellen, dass es keine einfache Arbeit ist,
ass sie aber durchaus erfolgreich begonnen wurde.
Angesichts der Tatsache, dass noch in diesem Jahr das
onzept einer Anreizregulierung in eine Verordnung ge-
ossen und dann sehr bald umgesetzt werden soll, ist es
eradezu abstrus, Personal von dieser gerade frisch ent-
tandenen Behörde – zugunsten von wem auch immer –
bziehen zu wollen.
(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Es geht nicht um
Personal, sondern um Planstellen, Herr Kol-
lege!)
Meine Damen und Herren, interessanter als der Vor-
chlag der FDP ist da schon der Vorstoß des Bundeswirt-
chaftsministers Glos zur Stärkung der Wettbewerbs-
ufsicht, also die Stärkung des Bundeskartellamtes
enseits von Personalfragen. Ich will ganz ausdrücklich,
m zunächst beim Thema Personal zu bleiben, sagen,
ass ich durchaus all das bestätige, was hier bezüglich
er personellen Unterausstattung des Bundeskartellamtes
nd bezüglich der Waffenungleichheit zwischen Kartell-
mt und denen, mit denen es sich zu befassen hat, also
nsbesondere den großen Energiekonzernen – allein
chon in Bezug auf die Personalfrage besteht diese ja –,
esagt worden ist. Ich frage mich dabei allerdings, wie
an tatsächlich fachkundige Juristen – wobei zu fragen
st, inwieweit die Bezeichnung „fachkundiger Jurist“
icht schon an sich ein Paradoxon darstellt – an diese
ehörde bekommen will. So gut, wie sie in der Wirt-
chaft bezahlt werden, werden wir sie wahrscheinlich
uch beim Kartellamt nicht bezahlen können. Vom
rundsatz her glaube ich aber in der Tat, dass eine bes-
ere Personalausstattung dieser Behörde angezeigt ist.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Kollege Hempelmann, gestatten Sie eine Zwischen-
rage der Kollegin Kopp?
Rolf Hempelmann (SPD):
Aber gerne.
Gudrun Kopp (FDP):
Vielen Dank, Herr Kollege Hempelmann. – Die
80 Planstellen bei der Bundesnetzagentur, die in unse-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4985
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(B) )
Gudrun Kopp
rem Antrag angeführt werden, sind ja derzeit noch nicht
alle besetzt. Der Antrag zielt deshalb auf eine Verlage-
rung von Stellen zum Bundeskartellamt. Wir möchten
nämlich das Gesamtbudget nicht überziehen und neh-
men so Rücksicht auf die Kosten.
Verstehe ich Sie jetzt richtig, dass Sie dafür wären,
zusätzliche Stellen beim Bundeskartellamt zu schaffen,
über die hinaus, die bei der Bundesnetzagentur noch
nicht besetzt sind? Das wäre ja auch ein Weg. Wir haben
uns allerdings extra bescheiden gegeben und haben ge-
sagt: Solange nicht alle 180 Planstellen von der Bundes-
netzagentur gebraucht werden, können wir das Bundes-
kartellamt stärken, das dies ja auch dringend nötig hat.
Rolf Hempelmann (SPD):
Da der Minister ohnehin, wie er gesagt hat, eine No-
vellierung des GWB vorschlagen und die Instrumente
schärfen will, um eine Waffengleichheit zwischen dem
Bundeskartellamt und den vier großen Unternehmen im
Strombereich herzustellen, ist es, wie ich denke, oppor-
tun, seine Vorschläge abzuwarten und zu schauen, wie
sich der Aufgabenkatalog der Behörde dadurch verän-
dert. Dann wird man sehen müssen, wie das personelle
Tableau weiterzuentwickeln ist.
(Gudrun Kopp [FDP]: Also doch nicht mehr
Personal!)
Dann wird man auch im Abgleich mit dem Aufgabenka-
talog der Bundesnetzagentur sehen, inwieweit sich mög-
licherweise durch neue Ausgestaltung der Möglichkeiten
des Bundeskartellamtes Entlastungen an anderer Stelle,
etwa bei der Bundesnetzagentur, ergeben. Das kann ich
aber heute so nicht vorhersagen. Deswegen sage ich:
Das Personal ist zwar ein wichtiges Thema, aber an ers-
ter Stelle steht die Weiterentwicklung des Aufgabenkata-
loges und des Instrumentenkastens dieser Behörde.
(Beifall bei der SPD – Gudrun Kopp [FDP]:
Da kommen wir der Sache näher!)
Der Minister hat also angekündigt, dass er eine GWB-
Novelle in Angriff nimmt und dass er dem Kartellamt
bessere Möglichkeiten zur Feststellung des Missbrauchs
einer marktbeherrschenden Stellung an die Hand geben
will. Ich unterstelle einmal, dass er das dann auch mit
dem notwendigen Personal unterfüttern wird.
Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass das kein
einfach zu beschreitender Weg sein wird. Eben ist ein-
mal das Bild von David und Goliath benutzt worden. Ich
bin in der Tat für Waffengleichheit, ich bin aber nicht für
Rollentausch. Weder die eine noch die andere Seite darf
zum David werden, der sich gegen einen Goliath zu
wehren hat. Insofern muss man sehr genau schauen, wie
man die Instrumente des Bundeskartellamtes schärft,
ohne das Ganze in Beliebigkeit zu stellen, indem zum
Beispiel die Berechenbarkeit von Investitionen für die
Unternehmen untergraben wird.
(Matthias Berninger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Jetzt kommen wir der Sache schon nä-
her!)
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ir wollen ja, dass alle Unternehmen, große wie kleine,
eue wie alte Marktteilnehmer, in den nächsten Jahren
ntensiv investieren, sowohl in die Netze als auch in die
raftwerke. Wir brauchen insbesondere für neue Kraft-
erke mehr Liquidität am Markt. Das ist übrigens der
icherste Weg zu mehr Wettbewerb: Wenn wir mehr
raftwerke bekommen, stärken wir damit die Nachfrage-
eite und sorgen gleichzeitig dafür, dass Preisdruck auf
er Erzeugungsseite entsteht.
Meine Damen und Herren, das Wettbewerbsrecht
uss also so weiterentwickelt werden, dass beide Seiten,
owohl das Bundeskartellamt als auch die von ihm über-
achten Unternehmen, sehr genau wissen, woran sie
ind, und die Folgen ihres Tuns entsprechend abschätzen
önnen.
Wir müssen vermeiden, dass es ein Nebeneinander
on Bundeskartellamt einerseits und Bundesnetzagentur
ndererseits gibt, ohne dass eine deutliche Abgrenzung
wischen den Aufgaben beider Behörden besteht und
hne dass auf die Kompatibilität der Tätigkeiten beider
ehörden geachtet wird.
Wir dürfen keinen Wettlauf organisieren – sozusagen
in „race to the bottom“ –, bei dem die eine Behörde ver-
ucht, die andere Behörde zu überbieten. Dies könnte
eispielsweise dadurch geschehen, dass die eine Be-
örde die Entgelte bis auf ein Minimum absenkt und die
ndere Behörde einen starken Preisdruck erzeugt. Es
ollte auch immer die Tatsache beachtet werden, dass
ir Ansprüche an die Netzqualität, an den Kraftwerks-
ark und an die Versorgungssicherheit haben. Beide Be-
eiche müssen immer zusammen betrachtet werden.
eswegen müssen trotz der Wettbewerbsmentalität zwi-
chen beiden Behörden – wenn sie sich schon
ntwickelt – neben dem Preisniveau auch die Qualität,
ie Versorgungssicherheit und die Notwendigkeit von
nvestitionen im Blick behalten werden.
Nach meiner Auffassung – das hat auch der Kollege
upprecht vorhin schon erwähnt – greift der Antrag der
DP zu kurz. Vor allen Dingen wird darin die Tatsache
issachtet, dass wir an dieser Stelle nicht bei Null an-
angen. Ich habe vorhin schon angedeutet, dass wir mit
er Bundesnetzagentur eine Behörde geschaffen haben,
ie etwa ein Drittel des Strompreises regulieren kann
nd damit bereits erfolgreich begonnen hat. Diese Be-
örde, die zurzeit eine Anreizregulierung entwickelt, ist
efordert, beide Bereiche, also Preis und Qualität, im
uge zu behalten. Wir müssen den gleichen Anspruch
n das Bundeskartellamt stellen. Wir haben bereits jetzt
in wirksames Instrumentarium, um nicht nur im Netz-
ereich, sondern auch darüber hinaus einen Wettbe-
erbsdruck zu erzeugen.
Ich will ein Beispiel aus dem Ruhrgebiet, aus dem ich
omme, nennen. Dort gibt es zurzeit eine ganze Reihe
on Kraftwerksprojekten. Es besteht aber die große Be-
ürchtung, dass das Netz nicht ausreichend ausgelegt ist,
m alle Kraftwerke ans Netz zu bringen. Diejenigen, die
ie Kraftwerke bauen wollen, sind zum Teil große und
tablierte Unternehmen, die schon jetzt in dieser Region
raftwerke unterhalten. Aber zum Teil handelt es sich
uch um kleine und neue Anbieter. Es gibt also einen
4986 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
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Rolf Hempelmann
bunten Strauß von Anbietern. Nun wird es sehr darauf
ankommen – der Minister hat angekündigt, genau dies
tun zu wollen –, dass es zügig eine Kraftwerksanschluss-
verordnung gibt, mit der sichergestellt wird, dass es ei-
nen diskriminierungsfreien Netzanschluss für all diese
Kraftwerke gibt.
Wir müssen natürlich in einem weiteren Schritt dafür
sorgen, dass die notwendigen Netzkapazitäten auf eine
möglichst marktgerechte und marktkonforme Art und
Weise aufgebaut werden. Dies darf nicht im Rahmen von
Staatsdirigismus und schon gar nicht im Rahmen von
Enteignungen und Verstaatlichung der Netze vonstatten
gehen. Denn der Staat ist nie ein besonders guter Inves-
tor gewesen und er war in solchen Angelegenheiten sel-
ten wirtschaftlich besonders erfolgreich.
(Gudrun Kopp [FDP]: Das stimmt! Wohl
wahr!)
Das ist gerade in der Region, aus der viele Ihrer Fraktions-
kollegen kommen, Herr Schui, historisch nachweisbar.
(Dr. Herbert Schui [DIE LINKE]: Deswegen sind
ja bei Ihnen die Strommasten umgekippt!)
Wie gesagt, wir brauchen eine Netzanschlussverord-
nung, mit der ein Anschluss der Kraftwerke sicherge-
stellt wird. Wir brauchen daneben den Ausbau von Netz-
kapazitäten, wodurch es ermöglicht wird, dass wir uns in
den nächsten Jahren auf viele neue Kraftwerksprojekte
freuen können. Ich bin der Überzeugung, dass mit jedem
neuen Kraftwerk das Angebot zunimmt und damit die
Nachfrageseite gestärkt wird. Dadurch ergeben sich po-
sitivere Auswirkungen auf den Wettbewerb als beispiels-
weise durch die von Ihnen vorgeschlagene Verlängerung
einer staatlichen Preiskontrolle.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Matthias Berninger,
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir
uns die Stromrechnung anschauen, dann können wir
feststellen, dass rund 30 Prozent der Kosten auf die Pro-
duktion des Stroms und 30 Prozent auf den Transport
– sprich: auf die Netzentgelte – entfallen. Für 40 Prozent
der Stromkosten ist die Politik auf kommunaler und auf
Bundesebene verantwortlich. Für die Netze ist, wie der
Name schon sagt, die Bundesnetzagentur zuständig. Für
den Bereich der Stromproduktion ist das Bundeskartell-
amt zuständig. Ich teile die Einschätzung, die hier schon
mehrfach vertreten wurde, dass wir dem Bundeskartell-
amt mehr Instrumente, mehr Werkzeuge an die Hand ge-
ben müssen, damit dieses seine Aufgabe im Sinne des
Wettbewerbs und der Verbraucherinnen und Verbraucher
optimal ausfüllen kann.
Eine Einschätzung im FDP-Antrag teile ich nicht. Ich
halte es offen gestanden für einen entscheidenden Web-
fehler dieses Antrages, dass das Problem „Mehr Wettbe-
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erb auf dem Strommarkt“ dadurch gelöst werden soll,
ass wir in eine umfangreiche Diskussion darüber eintre-
en, welche Planstelle von der Bundesnetzagentur zum
undeskartellamt verschoben werden kann.
(Gudrun Kopp [FDP]: Das ist ein Element!)
ir können auch Planstellen zum Beispiel vom zustän-
igen Bundesministerium oder von wo auch immer dort-
in verschieben. Das ist zu kurz gesprungen.
Ich glaube, dass die jetzt im Entwurf des Bundeshaus-
altes vorgesehenen zwei zusätzlichen Stellen für das
undeskartellamt zu wenig sind. Als Parlamentarier
ollten wir dem Kartellamt über die Fraktionsgrenzen
inweg in vorauseilendem Gehorsam mehr Personal zur
erfügung stellen, damit dieser Prozess – zuerst be-
ommt das Kartellamt neue Werkzeuge an die Hand und
enn dann zusätzliches Personal da ist, kann es mit den
erkzeugen auch etwas anfangen – nicht zu lange dau-
rt. Denn die Strompreise sind zu hoch. Sie sind deshalb
u hoch, weil die Marktmacht der vier großen Stromkon-
erne in Deutschland ohne jeden Zweifel zu groß ist. Die
raktionsvorsitzende der Grünen, Renate Künast, hat es
inmal so beschrieben, dass sie sozusagen wie Besatzer
gieren und den Strommarkt in Deutschland in vier Be-
atzungszonen aufteilen.
(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Das Beispiel
von Frau Künast ist ziemlich blöd, oder?)
ie im FDP-Antrag gelobte Novelle zum Energierecht
on 1998 hat eben nicht dazu geführt, dass diese Markt-
acht entscheidend zurückgefahren werden konnte. Wir
üssen hier vonseiten der Politik mehr tun.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
24 von 25 Regulierungsbehörden sind der Meinung,
ass eine eigentumsrechtliche Entflechtung im Bereich
er Stromnetze sinnvoll ist, damit nicht diejenigen, die
en Strom produzieren, über die Kontrolle der Netze den
arkt kontrollieren.
Herr Kollege Hempelmann, wir haben beim Thema
nergiewirtschaft den einen oder anderen Streit in der
ot-grünen Koalition ausgefochten. Wir waren für mehr
ettbewerb; Sie waren für etwas weniger Wettbewerb.
(Rolf Hempelmann [SPD]: Ist das Ihre Erinne-
rung?)
Meine Erinnerung ist in diesem Punkt sehr gut. Wenn
an der Debatte heute aufmerksam zugehört hat, konnte
an feststellen: Kollege Rupprecht ist wesentlich for-
cher und entschiedener als Sie.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die große Koalition sollte die Chance nutzen, auf
em Weg zu mehr Wettbewerb in der Energiewirtschaft
eiterzugehen. Dazu gehört es, über die Trennung der
tromproduktion von den Netzen nachzudenken.
enn 24 von 25 europäischen Regulierungsbehörden sa-
en: „Das ist der richtige Weg zu mehr Wettbewerb“ und
ine – natürlich die deutsche – sagt: „Wir sind da eher
keptisch“, dann sollte man einmal darüber nachdenken.
as hat nichts mit Staatswirtschaft zu tun, sondern
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4987
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Matthias Berninger
schlicht damit, dass es nicht darauf ankommt, dass neue
Kraftwerke gebaut werden. Wenn Sie ein neues Kraft-
werk bauen und es nicht an das Netz anschließen kön-
nen, haben Sie als Investor ein großes Problem. Fragen
Sie einmal diejenigen, die nicht RWE, Eon, Vattenfall
oder EnBW heißen und in ein neues Kraftwerk investie-
ren wollen! Diese vier Monopolisten finden bei jeder
Lösung ein Problem, um Wettbewerber vom Markt fern
zu halten. Daran müssen wir arbeiten; das müssen wir
ändern.
(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto
Solms)
Mein Eindruck ist, dass wir in diesem Zusammenhang
mit dem Bundeskartellamt einen ganz wichtigen zusätz-
lichen Partner gewinnen können.
Auch über die eigentumsrechtliche Entflechtung soll-
ten wir nachdenken. Da gibt es im Bundeskabinett mit
dem Bundesumweltminister Sigmar Gabriel, in der SPD
verantwortlich für einen Kurswechsel in der Energiepo-
litik, einen Verbündeten, mit dem das durchaus möglich
sein sollte.
Das soll aber nicht in Abrede stellen, dass der Bundes-
wirtschaftsminister mit seiner Ankündigung, den Ein-
fluss des Bundeskartellamts in diesem Bereich zu stär-
ken, auf dem richtigen Weg ist. Wir werden ihn dabei
und auch beim Standhalten gegen die Drohung der vier
großen Energiekonzerne mit einem Investitionsstau un-
terstützen. Die Drohung mit einem Investitionsstau ist
nichts anderes als die Ankündigung eines Selbstmordes
aus Angst vor dem Tod. Da sollten wir gelassen sein.
Wir sollten uns nicht ins Bockshorn jagen lassen. Denn
mehr Wettbewerb erzielt man nur dann, wenn man den
großen Monopolen Ärger macht. Insofern freue ich
mich, dass sie in den vergangenen Wochen schmerzver-
zerrt aufgeschrien haben.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/1678 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a bis 11 c auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Öf-
fentlichkeitsbeteiligung in Umweltangelegen-
heiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG
(Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz)
– Drucksache 16/2494 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
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b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über ergän-
zende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Um-
weltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie
2003/35/EG (Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz)
– Drucksache 16/2495 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen vom 25. Juni 1998 über den
Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeits-
beteiligung an Entscheidungsverfahren und
den Zugang zu Gerichten in Umweltangele-
genheiten (Aarhus-Übereinkommen)
– Drucksache 16/2497 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-
erspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlos-
en.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
er das Wort dem Bundesminister Sigmar Gabriel.
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-
chutz und Reaktorsicherheit:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir bera-
en heute in erster Lesung über ein Paket mit drei wichti-
en umweltrechtlichen Gesetzentwürfen – sie sind eben
chon genannt worden –: das Öffentlichkeitsbeteili-
ungsgesetz, das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz und das
rhus-Vertragsgesetz. Damit sollen die Voraussetzungen
ür eine baldige Ratifizierung der so genannten Århus-
onvention durch Deutschland geschaffen werden.
Die Konvention verfolgt mit den drei Säulen Informa-
ion, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz das
iel von mehr Transparenz in umweltpolitischen Ent-
cheidungen, insbesondere für Bürgerinnen und Bürger,
ber auch für Verbände. Damit wird eine höhere Akzep-
anz von Verwaltungsentscheidungen erreicht. Zugleich
st die Etablierung von verfahrensrechtlichen Mindest-
tandards ein effektiver Beitrag zum Schutz der Umwelt
nd zur Verbesserung der Umweltqualität. Das sind
ichtige Instrumente einer modernen Umweltpolitik.
(Beifall bei der SPD)
Die Europäische Gemeinschaft hat zur Anpassung
es europäischen Rechts an das Übereinkommen meh-
ere Richtlinien erlassen, die zu großen Teilen bereits
eutsches Recht sind. Durch die vom Bundeskabinett
eschlossenen Entwürfe zum Öffentlichkeitsbeteili-
ungsgesetz und zum Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz wer-
en die verbliebenen Vorgaben der Richtlinie umgesetzt.
amit wird das Bundesrecht zugleich vollständig an die
orgaben der Århuskonvention angepasst.
4988 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
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(B) )
Bundesminister Sigmar Gabriel
Was sind die zentralen Fortschritte, die mit diesen Ge-
setzen verbunden sind? Wir führen die Verbandsklage
für Umweltverbände ein und bei bestimmten umweltbe-
zogenen Planungen wird erstmals eine Öffentlichkeits-
beteiligung eingeführt.
Über die Verbandsklage für Umweltverbände ist in
den vergangenen Wochen oft debattiert worden. Das ist
ein Streitpunkt, den es schon seit vielen Jahren – auch in
der Ländergesetzgebung – gibt. Es wird immer behaup-
tet, dass sich mit dem Verbandsklagerecht die Verfahren
verlängern würden. Aus meiner Erfahrung als Landespo-
litiker kann ich sagen: Das Gegenteil ist der Fall.
Erstens klagen Umweltverbände in der Regel nur
dann, wenn die Aussicht auf Erfolg groß ist, wenn also
in den Zulassungsverfahren Rechtsfehler bereits relativ
deutlich zu beobachten sind. Das führt bei den Behörden
dazu, dass sie, um solchen Verfahren zu entgehen, mit
der Zulassung bestimmter Vorhaben und den rechtlichen
Voraussetzungen wesentlich penibler umgehen.
Zweitens. Die frühzeitige Beteiligung von Verbänden
entspricht dem Prinzip, dass viele Augen mehr sehen als
zwei, was dazu führt, dass die Planungen besser und
qualifizierter sind und damit Klageverfahren überhaupt
vermieden werden können. Dadurch kommt es eher zur
Verkürzung als zur Verlängerung von Verfahren.
(Beifall bei der SPD)
Von daher ist die Verbandsklage kein Instrument gegen
die Durchsetzung von Zulassungsverfahren, sondern
hilft bei der Beschleunigung.
(Beifall der Abg. Undine Kurth [Quedlinburg]
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wir erweitern darüber hinaus die Bürgerrechte, weil
Umweltverbände jetzt erstmals Rechtsverletzungen wie
Individualkläger geltend machen können. Es ist ange-
messen, dem deutschen Parlament zu sagen, dass es in
der Regierung darüber eine Debatte gab. Ich verhehle
nicht, dass aus meiner Sicht anzustreben gewesen wäre,
den Umweltverbänden auch ein generelles Klagerecht zu
geben.
(Beifall bei der SPD)
Das hätte man aus meiner Sicht machen können. Es be-
inhaltet ein gewisses europarechtliches Risiko, dass wir
auf Individualrechte zurückzugehen. Auf der anderen
Seite kann man auch Verständnis für die Position haben,
die sich in der Bundesregierung durchgesetzt hat. Natür-
lich kann man die Frage stellen, ob man einem Verband
mehr Rechte geben sollte, als ein einzelner Bürger in
Deutschland hat, ob man also über das Individualklage-
recht hinausgehen sollte. Man kann schon nachvollzie-
hen, wenn gesagt wird: Nein, wir wollen das Klagerecht
der Verbände an dem Recht orientieren, das auch der
einzelne Bürger in Deutschland hat, und nicht darüber
hinausgehen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das ist eine Position, die man einnehmen kann. Wie ge-
sagt: Ich hätte mir auch den anderen Weg vorstellen kön-
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en. Dies ist aber die Position, die die Bundesregierung
n ihrer Gänze eingenommen hat.
Dem Umweltschutz dient es, wenn der Sachverstand
nd die Kompetenz von Umweltverbänden im Beteili-
ungsverfahren stärker berücksichtigt werden. Den Inte-
essen der Wirtschaft hat die Bundesregierung dadurch
echnung getragen, dass die Verbandsklage individual-
echtlich ausgestaltet worden ist.
Meine Damen und Herren, das Gesetzespaket stellt
inen ausgewogenen Kompromiss zwischen den Interes-
en von Bürgern, Umwelt und Wirtschaft dar. Unser ge-
einsames politisches Ziel sollte ein In-Kraft-Treten der
rei Gesetze noch im Jahre 2006 sein, damit wir Ver-
ragspartei der Århuskonvention sind, wenn wir am
. Januar 2007 die Ratspräsidentschaft der Europäischen
nion übernehmen und dort unsere Führungsrolle aktiv
nd verantwortungsvoll wahrnehmen wollen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Horst Meierhofer von
er FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Horst Meierhofer (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit
en eingebrachten Gesetzentwürfen soll die EG-Öffent-
ichkeitsbeteiligungsrichtlinie in deutsches Recht umge-
etzt werden. Dies sollte – Herr Minister Gabriel hat es
ngesprochen – möglichst bald geschehen; eigentlich
ätte es schon zum 25. Juni letzten Jahres passieren sol-
en. Die Konsequenz ist, dass bereits ein Vertragsverlet-
ungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet wurde.
ber besser spät als nie!
Die FDP hat die Århuskonvention grundsätzlich be-
rüßt. Sie gibt den Bürgerinnen und Bürger grundsätz-
ich mehr Möglichkeiten, sich einzubringen und mit zu
ntscheiden. Dass sie endlich ratifiziert wird, ist aus
icht der FDP deshalb nur richtig. Auch die Entwürfe
er deutschen Umsetzungsgesetze haben ihren Ursprung
etztlich in der Århuskonvention. Hinsichtlich der Öf-
entlichkeitsbeteiligung kann ich nur sagen: Wir Libe-
ale sind natürlich für eine frühzeitige und effektive
eteiligung der Öffentlichkeit.
(Beifall bei der FDP)
Dennoch stellt sich bei der Betrachtung des Gesetz-
ntwurfs die Frage: Schießt der Bund nicht an einigen
tellen über die vorgegebenen Ziele hinaus und wird da-
it nicht unnötigem Verwaltungsaufwand und unnötiger
ürokratie Tür und Tor geöffnet?
(Ulrich Kelber [SPD]: Dafür – aber!)
Ich nenne beispielsweise die Art und Weise der Un-
errichtung der Öffentlichkeit. Es ist so, dass bei der Be-
eiligung der betroffenen Öffentlichkeit im Rahmen der
VP jeder Verband bundesweit, also nicht nur der, der
nter Umständen vor Ort betroffen sein könnte, einzeln
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4989
(A) )
(B) )
Horst Meierhofer
benachrichtigt werden muss. Aus unserer Sicht wäre es
eigentlich vernünftiger, eine zentrale Veröffentlichung
vorzunehmen, die für alle reichen sollte. Das würde we-
niger Bürokratie
(Beifall bei der FDP)
und eine deutliche Reduzierung des Verwaltungsauf-
wands bedeuten. Mit dieser Meinung sind wir nicht al-
lein. Auch der Bundesrat hat das über den Verkehrsaus-
schuss vorgeschlagen.
Es gilt ferner, dass die geplanten Änderungen sich auf
die in den Öffentlichkeitsrichtlinien angesprochenen
Vorhaben beschränken und dass sie nicht über eine Eins-
zu-eins-Umsetzung des Europarechts hinausgehen dür-
fen. Dafür setzt sich die FDP in allen Bereichen ein und
selbstverständlich auch in diesem.
(Beifall bei der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Nicht
mehr Bürgerrechte, als die EU erlaubt?)
Im Vorfeld hat natürlich das Thema Verbandsklage
für Gesprächsstoff gesorgt. Diese soll nun eingeführt
werden. Bis auf die begrenzte naturschutzrechtliche Ver-
bandsklage im Bundesnaturschutzgesetz gab es bisher
keine Möglichkeit, Umwelt- und Naturschutzbelange
losgelöst von Individualinteressen gerichtlich geltend zu
machen.
Nach dem Entwurf des Umwelt-Rechtsbehelfsgeset-
zes sollen nun anerkannte Naturschutzverbände unab-
hängig davon, ob sie in ihren eigenen Rechten verletzt
sind, die Verletzung von Naturschutzvorschriften als
Sachwalter rügen können. Die FDP steht zu einem klar
definierten Verbandsklagerecht im Umweltrecht als Er-
gänzung zum Individualschutzrecht. Schließlich sind wir
als Bundesrepublik Deutschland diese Verpflichtung ein-
gegangen.
Die Befürchtungen – der Herr Minister hat es bereits
angesprochen –, dass die Einführung der Verbandsklage
zu einer Klageflut bei den Verwaltungsgerichten führen
könnte, waren bislang unberechtigt. Die Erfahrungen
zeigen vielmehr, dass sich die Verbände bislang sehr be-
dacht eingeschaltet haben, vermutlich – Sie haben es
richtigerweise angesprochen – auch aus Gründen der
Kosten, die unter Umständen auf die Verbände zukom-
men können. Dennoch und gerade deswegen appellieren
wir an die Naturschutzverbände, sich ihrer Verantwor-
tung bewusst zu sein und es trotz der erweiterten Klage-
rechte auch in Zukunft nicht zu einer Klageflut kommen
zu lassen.
(Beifall bei der FDP)
Wir dürfen nicht vergessen, dass die Einführung der
Verbandsklage eine Ausnahme in der deutschen
Rechtstradition im öffentlichen Recht darstellt. Danach
muss der Kläger die Verletzung eigener Rechte geltend
machen, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist.
Der Entwurf des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes be-
stimmt nun erstmals umfassend etwas anderes. Der An-
wendungsbereich dieser Klagemöglichkeit geht nämlich
wesentlich weiter als bei der im Jahre 2002 eingeführten
Verbandsklage nach § 61 Bundesnaturschutzgesetz. Lei-
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er lässt die jetzige Ausgestaltung ein bisschen zu wün-
chen übrig. Ich darf dazu einige Beispiele nennen:
Zum Ersten dürfen entscheidungsirrelevante Aspekte
icht zum Gegenstand des Streitstoffes im Rechtsbe-
elfsverfahren gemacht werden. Bei dem vorliegenden
ntwurf sind wir uns aber nicht ganz sicher, ob das tat-
ächlich ausgeschlossen ist.
Des Weiteren ist die Regelung hinsichtlich der Be-
chtlichkeit von Verfahrensfehlern unserer Meinung
ach misslungen. Es gibt mittlerweile schon Stimmen,
ie die völlige Streichung dieser Regelung fordern. Zu-
indest ist diese Regelung zu unbestimmt und damit zu
eitgehend.
Ein weiterer Punkt: Wesentliche Verfahrensfehler
ind nach dem Gesetzentwurf in der Regel die Nicht-
urchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung und
ie Nichtdurchführung der Vorprüfung über die UVP-
flichtigkeit. Ob und welche Verfahrensvorschriften da-
eben als wesentlich anzusehen sind, darüber lässt uns
ie Bundesregierung im Moment leider noch im Unkla-
en.
Insgesamt würde ich sagen, es ist alles andere als eine
infache und übersichtliche Regel, die hier geschaffen
ird. Die Bundesregierung hat sich in ihrem Gesetzent-
urf grundsätzlich für ein Anerkennungsverfahren
lagebefugter Naturschutzverbände durch das Umwelt-
undesamt entschieden. Eine Ausnahme soll für Vereini-
ungen gelten, die noch nicht anerkannt sind. In diesem
all soll die Anerkennung auf das im Einzelfall angeru-
ene Gericht verlagert werden. Doch hier fangen die Pro-
leme an: Eine Bindungswirkung für das Umweltbun-
esamt besteht nicht. Vielmehr wird ausdrücklich das
ebeneinander von Inzidententscheidung und Anerken-
ungsverfahren ermöglicht. Das ist weder einfach noch
bersichtlich.
An dieser Stelle und an vielen anderen sieht man, dass
och einiges an Beratungsbedarf vonnöten ist.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der FDP)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Andreas Jung von der
DU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
prechen heute in erster Lesung über drei Gesetze. Es
andelt sich dabei sozusagen um die Großmutter und
hre beiden Enkel. Die Großmutter ist die Århuskonven-
ion, nicht etwa, weil sie schon von 1998 stammt und
lso schon einige Jahre alt ist, sondern weil sie der Ur-
prung ist. Umgesetzt wurde sie quasi durch ihre Toch-
er, die Richtlinie der Europäischen Union. Diese Richt-
inie wiederum setzen wir jetzt mit zwei Fachgesetzen in
eutsches Recht um.
4990 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
Andreas Jung (Konstanz)
Die Gesetze wurden von der Bundesregierung als eil-
bedürftig gekennzeichnet, teilweise – Kollege Meierhofer
hat es angesprochen – wegen der anhängigen Vertragsver-
letzungsverfahren. Das gilt aber nicht für das Århusüber-
einkommen selbst; da läuft ein solches Verfahren nicht.
Die Eilbedürftigkeit wird dort damit begründet, dass die
Präsidentschaft Deutschlands im Europäischen Rat bevor-
steht. Da die Europäische Union das Übereinkommen be-
reits ratifiziert hat und Deutschland damit quasi schon
Vertragspartner geworden ist, wird hierdurch auch ein Si-
gnal gegeben. Herr Minister, ich wünsche mir, dass die
Tatsache, dass das Übereinkommen gerade jetzt ratifiziert
wird, ein Signal dafür ist, dass Deutschland im Rahmen
der Präsidentschaft im nächsten Jahr internationale Um-
weltschutzthemen, insbesondere das wichtige Thema des
internationalen Klimaschutzes, in den Mittelpunkt stellt
und versucht, hier einiges voranzubringen. Ich glaube, das
ist dringend notwendig. Ich hoffe, dass dieses Signal da-
mit verbunden ist.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Zum Übereinkommen selbst möchte ich bemerken,
dass ich das Århusübereinkommen als gutes Beispiel für
internationalen Umweltschutz empfinde, weil es auf je-
den Fall hohe, ehrgeizige Maßstäbe setzt, die zudem in-
ternational sind. Wir werden beim Umweltschutz Fort-
schritte erzielen, in Deutschland, aber auf internationaler
Ebene, gemeinsam mit den Partnern in der Europäischen
Union und weit darüber hinaus. Unsere Sorge war ja im-
mer, dass wir hier höhere Standards als andere haben,
was letztlich dazu führt, dass Investitionsvorhaben an-
derswo umgesetzt werden und Arbeitsplätze abwandern.
Deswegen ist das Wichtige an diesem Übereinkommen,
dass auch die anderen sich diesen Standards verpflichten
und wir somit gemeinsam hohe Standards haben. Das
halte ich für entscheidend.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Die erste Säule des Übereinkommens wurde bereits
mit dem Umweltinformationsgesetz umgesetzt. Ich
denke, das war ein entscheidender Fortschritt. Jeder Bür-
ger hat heute einen einklagbaren Anspruch gegenüber je-
der Behörde, was wichtige Umweltinformationen an-
geht. Damit wurde die Grundlage geschaffen für die
zweite und dritte Säule, über die wir jetzt reden. Nur der
Bürger, der informiert ist, kann tatsächlich seine Rechte
wahrnehmen.
Die zweite Säule ist die Beteiligung der Öffentlichkeit,
das Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz. Hierdurch werden
insbesondere das Bundes-Immissionsschutzgesetz, das
Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung, einige
Verfahrensordnungen, aber auch das Baugesetzbuch, das
Flurbereinigungsgesetz sowie das Kreislaufwirtschafts-
und Abfallgesetz geändert. Schon diese Aufzählung
zeigt, welch große Bandbreite an Investitionsvorhaben,
an Infrastrukturmaßnahmen, an Industrieanlagen hier-
von erfasst wird. Das wiederum zeigt die Bedeutung des
Gesetzes, über das wir heute beraten.
Der entscheidende Fortschritt ist, dass wir von einer
Anhörung der Öffentlichkeit zu einer Beteiligung der
Öffentlichkeit übergehen. Das ist keine Wortklauberei,
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ondern ein handfester Fortschritt. Letztlich bedeutet das
en Schritt vom Bürger als Bittsteller zum mündigen
ürger. Ich denke, das ist ein sehr wichtiger Aspekt.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Diese Regelung wird praktische Auswirkungen ha-
en: Die Behörde muss detailliert über ein Vorhaben in-
ormieren. Sie darf sich nicht in Allgemeinplätzen er-
chöpfen; das ist allerdings auch schon heute so. Aber
ie Verwaltung muss noch viel offensiver arbeiten. Das
rojekt muss in seiner Gänze und mit seinen Auswirkun-
en dargestellt werden. Am Ende des Verfahrens muss
as Ergebnis der Öffentlichkeitsbeteiligung in die das
erfahren abschließende Entscheidung einfließen.
Das bedeutet mit Sicherheit ein Mehr an Transparenz
nd zunächst einmal auch ein Mehr an Verwaltungsauf-
and. Deshalb halte ich es im Übrigen für richtig und
ichtig, diese Regelung eins zu eins umzusetzen und
ichts draufzusatteln, also nichts Unnötiges vorzuschrei-
en.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wenn ich darauf hinweise, dass sich zunächst einmal
in Mehr an Verwaltungsaufwand ergeben kann, dann
erbinde ich damit die Hoffnung, dass ein Mehr an
ransparenz auch zu einem Mehr an Akzeptanz führt.
adurch kann es gelingen, kritische Fragen und Beden-
en schon im Vorfeld aus dem Weg zu räumen und so
treitige Verfahren zu vermeiden. Wenn das gelingt,
ürde der Verwaltungsaufwand für Unternehmen und
ehörden weniger und die Verfahren könnten schneller
bgeschlossen werden, weil es weniger Rechtsstreitig-
eiten gibt.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.
Marco Bülow [SPD])
Wir alle sind nicht blauäugig und wissen daher: Trotz
llem wird es auch in Zukunft Verfahren geben, die man
icht gütlich regeln kann. Es werden also weiterhin strei-
ige Verfahren stattfinden. In diesem Zusammenhang
omme ich auf die dritte Säule zu sprechen, die den Zu-
ang zu den Gerichten regelt.
In den bisherigen Redebeiträgen ist schon angespro-
hen worden: In der Tat erfährt das deutsche Verwal-
ungsrecht hiermit eine einschneidende Veränderung.
isher galt der Grundsatz, dass derjenige klagen kann,
er sich in seinen eigenen Rechten verletzt fühlt. Die
inzige Ausnahme stellt das Bundesnaturschutzgesetz
ar, in dem die Verbandsklage schon heute verankert ist.
as Verbandsklagerecht soll jetzt erheblich ausgeweitet
erden. Ich habe die Bereiche, die davon betroffen sind,
ereits angesprochen.
Wir alle wissen – das ist schon thematisiert worden –,
ass die Verbandsklage in der Vergangenheit kritisch be-
rteilt wurde. Man fragte sich: Führt sie nicht dazu, dass
eder gegen alles klagen kann, also zu einer Prozessflut?
Wichtig ist: Verbandsklage ist nicht gleich Verbands-
lage. Deshalb ist es ein großer Erfolg, dass die Rege-
ung, die im ursprünglichen Gesetzentwurf von Herrn
rittin enthalten war, verhindert werden konnte: dass
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4991
(A) )
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Andreas Jung (Konstanz)
jede Bürgerinitiative – ich hätte fast gesagt: jeder Feier-
abendstammtisch – klagen darf und dass an die Vereine
und Verbände, die klagen dürfen, keinerlei Anforderun-
gen gestellt werden.
Die Regelung, die im vorliegenden Gesetzentwurf ge-
troffen wurde, sieht solche Anforderungen vor. Die Um-
welt- und Naturschutzverbände, die das als Satzungsziel
formuliert haben und ein beständiges Engagement zei-
gen, sollen klagen dürfen, wie es schon heute im Bun-
desnaturschutzgesetz vorgesehen ist. Hier hat sich diese
Regelung bewährt. Warum sollte man das Rad neu erfin-
den, wenn es schon rollt?
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich habe von einer Eins-zu-eins-Umsetzung gespro-
chen. Kollege Meierhofer hat dazu gesagt: Es gibt man-
che Bereiche, in denen der Gesetzentwurf über eine
Eins-zu-eins-Umsetzung hinausgeht. Dazu hört man al-
lerdings unterschiedliche Einschätzungen. So gibt es
eine wichtige Frage, die auch Minister Gabriel angespro-
chen hat: Worauf kann sich ein Verband, der klagt, beru-
fen – nur auf eine Verletzung subjektiv-öffentlicher
Rechte, also etwa auf die Verletzung der Rechte eines
anderen? In diesem Zusammenhang wird kritisiert, man
bleibe hinter einer Eins-zu-eins-Umsetzung zurück.
Beide Bewertungen machen deutlich: Es besteht noch
Beratungsbedarf. Diese Fragen werden in den weiteren
Beratungen zu prüfen, zu diskutieren und zu klären sein.
Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Stellungnahmen
des Bundesrates. Diese Stellungnahmen stellen jedoch
die Gesetzentwürfe in ihrem Grundsatz nicht infrage. Sie
enthalten lediglich Vorschläge zu Detailregelungen zu-
gunsten von Vereinfachungen und zur Vermeidung von
Dopplungen. Obwohl es hier noch Beratungsbedarf gibt,
bin ich sicher, dass wir mit der Verabschiedung dieser
Gesetzentwürfe einen wichtigen Beitrag zu mehr Um-
weltschutz und mehr Bürgerbeteiligung in Deutschland
leisten können.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Lutz Heilmann von der
Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Lutz Heilmann (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Endlich hat die Regierung Gesetzentwürfe zur Umset-
zung der Århuskonvention und der EU-Richtlinie zur
Öffentlichkeitsbeteiligung vorgelegt. Ich bin mir aber si-
cher: Hätte die EU nicht bereits ein Vertragsverletzungs-
verfahren eingeleitet, wären selbst die vorliegenden Ge-
setzentwürfe nicht zustande gekommen. Ich hätte mir
von Regierungsseite und von Koalitionsseite ein biss-
chen mehr Selbstkritik gewünscht und nicht nur die Su-
che nach Ausreden. Die Gesetzentwürfe machen eines
deutlich: Sie haben die Intention, dass Deutschland in
diesen Bereichen europäisches Schlusslicht bleibt. Aber
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icht nur das – es wurde schon angesprochen –: Mit die-
en Gesetzentwürfen brechen Sie sogar Ihren Koalitions-
ertrag, in dem Sie erklärten, EU-Richtlinien eins zu
ins umzusetzen. Wie Umweltverbände jetzt feststellten,
ind Ihre Gesetzentwürfe allenfalls eine Eins-zu-null-
omma-sechs-Umsetzung.
Worum geht es konkret? Sinn der Århuskonvention
nd der daraus abgeleiteten Richtlinie zur Öffentlich-
eitsbeteiligung ist, die Beteiligung der Bürgerinnen und
ürger sowie von Verbänden an umweltrelevanten Ent-
cheidungen zu verbessern und ihnen besseren Zugang
u Gerichten zu gewähren. Davon ist in Ihren Gesetzent-
ürfen nicht viel übrig geblieben. Im Gegenteil, Ihre
esetzentwürfe zeigen, welch geringen Stellenwert Sie
er demokratischen Teilhabe der Bürgerinnen und Bür-
er beimessen. Kollege Jung, ich muss Ihnen eins sagen:
ür mich waren die Bürgerinnen und Bürger nie Bittstel-
er beim Staat. Für mich sind es die Bürgerinnen und
ürger, die sich das Gremium Staat geben, um ihre Ziele
urchzusetzen.
Den Spielraum bei der Umsetzung der Richtlinie ha-
en Sie über die Grenze des rechtlich Zulässigen hinaus
usgereizt. Zum Beispiel soll es keine Erweiterung der
echte der Bürgerinnen und Bürger, vor Gericht zu zie-
en, geben. In Deutschland wird es den Bürgerinnen und
ürgern deshalb auch weiterhin nur dann möglich sein,
en Klageweg zu beschreiten, wenn sie persönlich be-
roffen sind. Wird also ein angrenzendes Naturschutzge-
iet abgebaggert, ist der Klageweg versperrt. Umwelt-
erbände erhalten ein Verbandsklagerecht nur bei
rittschützenden Tatbeständen. Verbände, die sich für
mweltbelange einsetzen, können damit auch zukünftig
icht gegen Verstöße gegen den Naturschutz, den Tier-
chutz oder den Klimaschutz klagen.
(Beifall des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU])
ur Verdeutlichung: Bisher ist die Verbandsklage nur im
undesnaturschutzgesetz geregelt; das wurde schon an-
esprochen. Klimaschutz, Tierschutz und die ökologi-
che Intaktheit der Flüsse fallen nicht darunter. Eine Kla-
emöglichkeit auf diesen Gebieten ist somit nicht
egeben.
Aber selbst das Bundesnaturschutzgesetz wird dank
er Föderalismusreform, die Sie vor wenigen Wochen
m Eiltempo hier durchgezogen haben, bald das Papier
icht mehr wert sein, auf dem es steht. Denn mit Ihrer
öderalismusreform haben Sie die Zuständigkeit für den
aturschutz und damit auch die Verbandsklage den Län-
ern übertragen. Wenn man sich die Kampagnen gegen
mweltverbände in einigen Bundesländern anschaut,
raucht man kein Prophet zu sein, um zu erkennen, dass
ie Verbandsklage bald der Vergangenheit angehören
ird. Deshalb wird Ihr Gesetzentwurf unter Umständen
u der absurden Situation führen, dass die Naturschutz-
erbände künftig zwar gegen die Lärmbelästigung von
nwohnerinnen und Anwohnern klagen können, aber
erade nicht mehr in Naturschutzangelegenheiten.
Mit den vorgelegten Gesetzentwürfen bleibt Deutsch-
and bei den Klagemöglichkeiten für Bürgerinnen und
ürger sowie Verbände in Umweltangelegenheiten euro-
äisches Schlusslicht. So bringen Sie Deutschland – was
4992 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
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(B) )
Lutz Heilmann
Sie immer wieder propagieren – nicht nach vorne. Des-
halb lassen Sie uns die Chance nutzen und Deutschland
vom letzten Platz wenigstens ins Mittelfeld zurückholen.
Ich fordere Sie auf: Setzen Sie die Richtlinie wenigstens
eins zu eins um und bleiben Sie Ihrem Koalitionsvertrag
treu! Glauben Sie mir: Es fällt mir schwer genug, Sie an
die Einhaltung Ihres Koalitionsvertrages zu erinnern.
(Ulrich Kelber [SPD]: Das steht gar nicht im
Koalitionsvertrag!)
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl
von Bündnis 90/Die Grünen.
Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Minister Gabriel! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Was ist Öffentlichkeitsbeteiligung über-
haupt, warum wird sie praktiziert und wer ist diese Öf-
fentlichkeit, die beteiligt werden soll? Demjenigen, der
etwas plant, der investieren will, etwas unternehmen
will, ist sie oft eher lästig – das ist dann die berühmte
„Bürokratie“, die man abschaffen muss, oft auch die
„unnötige Bürokratie“, Herr Jung –, eine Spezies, die
mitreden will, obwohl sie von der Hauptsache: der Un-
ternehmung, der Planung, dem, worum es eigentlich
geht, gar nichts versteht. Aus dieser Perspektive ist es
sinnvoll, es mit der Beteiligung der Öffentlichkeit nicht
zu übertreiben.
Diesem Anspruch wird die Koalition mit ihrem
Antrag – das sehe ich ganz anders als Sie, Herr
Meierhofer – durchaus gerecht. Dulden wir die Öffent-
lichkeit, informieren wir sie, gewähren wir ihr Einblick –
aber auch nicht viel mehr.
Eine solche Sicht der Dinge vernachlässigt zwei
wichtige grundsätzliche Wahrheiten und macht es den
viel umworbenen Investoren nicht einfacher, sondern
letztlich schwerer. Erste Wahrheit. Betroffene und inte-
ressierte Bürgerinnen und Bürger – diese organisieren
sich manchmal auch in Feierabendvereinen, Herr Jung –
wissen oft mehr über ihre direkte Umwelt, über die vor-
handene Pflanzen- und Tierwelt, als es jeder Planer oder
Verwaltungsmitarbeiter wissen kann.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das heißt, durch die Öffentlichkeitsbeteiligung können
wichtige Aspekte in die Planungsprozesse eingespeist
und damit die Entscheidungsgrundlagen für Pla-
nungsabwägungen fundiert verbreitert werden. Der
Investor kann frühzeitig Unwägbarkeiten und Alterna-
tivmöglichkeiten erkennen, die ihm die Planung erleich-
tern. Das hilft, Kosten zu sparen, wenn er dies nutzt.
Zweite Wahrheit. Eine richtige und weit reichende
Öffentlichkeitsbeteiligung hilft, die Akzeptanz für das
Vorhaben und für das Verwaltungshandeln zu steigern,
wenn das Verfahren zur Zufriedenheit aller Beteiligten
organisiert wurde.
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(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN)
ir wissen: Akzeptanz ist die beste Konfliktprävention.
eshalb ist es richtig, dass diese Beteiligung gemäß der
uropäischen Richtlinie zur Öffentlichkeitsbeteiligung
rühzeitig und umfassend genug vorgesehen ist, dann
ämlich, wenn noch alle Optionen offen sind.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ignorieren Sie
iese grundlegenden Einsichten Europas ein Stück weit.
ch will nicht behaupten, dass alles, was von Europa
ommt, immer der Weisheit letzter Schluss ist. Aber Eu-
opa hat gute und weise Ziele. Eines dieser Ziele ist es,
ine Union moderner demokratischer Bürgerinnen und
ürger zu bilden. Moderne Bürgerinnen und Bürger
ollen beteiligt werden. Sie wollen sehen, dass es sich
ohnt, sich zu engagieren – von mir aus auch in einem
eierabendverein –, und dass durch dieses Engagement
erbesserungen erreicht werden können.
Jetzt noch einige Worte zu den Änderungsanträgen
er unionsgeführten Bundesländer im Bundesrat. Mit 22
er 23 Änderungsanträge wollen Sie die Standards für
ie Öffentlichkeitsbeteiligung noch einmal absenken,
bwohl Sie schon mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
en Anforderungen von Europa kaum genügen können.
o, meine Damen und Herren von der Union, kommen
ir nicht zu einem modernen Europa mit mündigen Bür-
ern.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
ie demonstrieren hier leider eine Unfähigkeit zu moder-
en Reformen. Sie verkennen, wie dringend wir den
ündigen Bürger und die mündige Bürgerin brauchen.
it Ihrer Politik des Misstrauens gegenüber der Öffent-
ichkeit tragen Sie wenig dazu bei, unser Land für den
eg in die Zukunft fit zu machen.
Im Gegensatz dazu werden wir im entsprechenden
usschuss Änderungsanträge vorlegen, mit dem der
eist von Århus wieder belebt wird.
Danke schön.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Matthias Miersch
on der SPD-Fraktion.
Dr. Matthias Miersch (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An
ieser Stelle kann man wieder einmal sehr gut den Aus-
pruch unseres Fraktionsvorsitzenden Peter Struck zitie-
en, dass ein Gesetzentwurf nie so aus dem Bundestag
erauskommt, wie er eingebracht wurde. Wir haben
eute die unterschiedlichen Sichtweisen wahrgenom-
en. Ich glaube, wenn wir alles zusammentun, werden
ir zu einem guten Ergebnis kommen.
An die Opposition gerichtet, die in diesem Fall wieder
inmal nicht einheitlich stimmt,
(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Wie bei Ihnen!)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4993
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Dr. Matthias Miersch
muss man sagen: Frau Kotting-Uhl, es ist gut, dass Sie
zumindest anerkannt haben, dass man die Dimension
dieses Gesetzentwurfes als historisch bezeichnen kann.
Bundesminister Gabriel hat zu Recht ausgeführt, dass es
in der Bundesrepublik Deutschland bisher noch nie ein
Verbandsklagerecht mit diesen Möglichkeiten, mit die-
ser Reichweite gegeben hat.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Wenn wir uns darüber hinaus anschauen, wie weit die
gerichtliche Kontrolle der Überprüfung gehen kann,
dann stellen wir fest, dass erstmals in das Gesetz hinein-
geschrieben wird, dass es bei bestimmten Verfahrensver-
letzungen zwingend zu einer Aufhebung kommt. Das
wird zu einer elementaren Änderung der Rechtspre-
chung des Bundesverwaltungsgerichts führen; denn das
Bundesverwaltungsgericht hat bislang nur gefordert,
dass nachgewiesen wird, dass die Entscheidung nicht an-
ders ausgefallen wäre. Insofern glaube ich schon, dass
das Gesetzeswerk, das wir heute beraten, ein Meilenstein
ist.
All diejenigen, die immer sagen, dass sie das Euro-
parecht in diesem Bereich eins zu eins umsetzen wol-
len, lade ich dazu ein, sich dies einmal genau anzu-
schauen.
Es hat keinen Sinn – auch wenn wir den zeitlichen
Druck haben –, ein Gesetz zu verabschieden, das ein
neues Verletzungsverfahren oder ein neues Klageverfah-
ren zur Folge hat, das die Bundesrepublik Deutschland
verliert.
Es ist sinnvoll, sich einmal die Ziele des Gesetzes vor
Augen zu führen. Zum ersten Mal ist es nicht der Dritte,
der in seinen Rechten verletzt sein muss; es ist vielmehr
die breite Öffentlichkeit, die ihre Rechte geltend machen
kann. Dabei kann es beispielsweise um einen wichtigen
Aspekt der Nachhaltigkeit gehen. Darüber hinaus stellt
sich die Frage, inwieweit man Verfahrensfehler nicht nur
individuell rügen kann. – Wenn man diese Zielsetzung
des Gesetzes betrachtet und berücksichtigt, dass ein brei-
ter Zugang zu den Gerichten gefordert wird, muss man
sich zwei Punkte sehr genau anschauen; ich bin dem
Kollegen Jung außerordentlich dankbar dafür, dass er
das hier noch einmal dargestellt hat.
Punkt eins: die Klagebefugnis. Wenn ein Verband die
Interessen der Öffentlichkeit geltend machen soll und
breiten Zugang zu den Gerichten haben soll, dann kann
es aus meiner Sicht nicht sein, dass die Klagebefugnis
nur auf die individuellen Rechte Dritter beschränkt wird.
Vielmehr müssen dann Verbandsinteressen und die Inte-
ressen der Öffentlichkeit ebenso geltend gemacht wer-
den dürfen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Punkt zwei. Wenn wir uns die gegenwärtige europäi-
sche Rechtsprechung anschauen und betrachten, wie der
Europäische Gerichtshof den Umgang mit Verfahrens-
fehlern handhabt, dann stellen wir fest, dass er nicht nur
den Grundsatz des Bundesverwaltungsgerichts gelten
lässt, sondern sehr wohl auch Verfahrensfehler in den
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ittelpunkt seiner Prüfung rückt. – § 2 und § 4 sollten
ir uns also noch einmal sehr genau anschauen.
Nun zu Ihnen, Herr Meierhofer: Transparenz ist die
rundlage dafür, dass gute Entscheidungen getroffen
erden. Jeder von uns muss es aushalten, dass es eine
erichtliche Kontrolle gibt, und zwar eine weit gehende
erichtliche Kontrolle. Es stellt sich die Frage, wie wir
iese Kontrolle gestalten. Als Strafrechtler sage ich: Je-
and, der in Untersuchungshaft sitzt, muss innerhalb
on sechs Monaten angeklagt worden sein. Warum ist es
ns nicht möglich, in der verwaltungsgerichtlichen
echtsprechung ähnliche Organisationsabläufe vorzu-
chreiben? Da sind natürlich auch die Länder gefordert.
All das spielt eine Rolle genauso wie die Frage, in-
ieweit wir den Streitwert mit berücksichtigen; denn
iele Verbände sind nicht in der Lage zu klagen, weil sie
as Prozessrisiko nicht eingehen können. Das alles sind
unkte, die wir hier nach der ersten Lesung einbringen
önnen. Nach den Redebeiträgen von Ihnen allen glaube
ch, dass es eine konstruktive Zusammenarbeit werden
ann. Ich freue mich auf die Beratungen in den Fachaus-
chüssen und lade Sie alle herzlich dazu ein.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzent-
ürfe auf den Drucksachen 16/2494, 16/2495 und
6/2497 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
chüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vor-
chläge? – Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überwei-
ungen so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Barbara Höll, Dr. Kirsten Tackmann, Kersten
Naumann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der LINKEN
Überschuldung privater Haushalte wirksam
bekämpfen
– Drucksache 16/1544 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es dage-
en Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das
o beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
erin der Kollegin Dr. Barbara Höll von der Fraktion Die
inke das Wort.
(Beifall bei der LINKEN)
4994 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
knapp 20 Minuten beginnt heute in der Bundeshaupt-
stadt die Lange Nacht der Schuldnerberatung. Ab 18 Uhr
können sich Betroffene einmal ohne die sonst übliche
lange Anmeldungszeit beraten lassen. Angesichts von
1 200 Privatinsolvenzen allein von April bis Juni dieses
Jahres hier in Berlin, einer 70-prozentigen Steigerung
gegenüber der Zahl vom Vorjahr, dürfte der Andrang
groß sein.
In Deutschland sind mehr als 3 Millionen Haushalte
überschuldet; mehr als 6 Millionen Menschen sind da-
von betroffen. Hinter dieser Zahl verbergen sich viele
Einzelschicksale. Angesichts dessen scheint die Lange
Nacht der Schuldnerberatung – eingebettet in die lau-
fende Aktionswoche – das Mindeste zu sein, was getan
werden muss, um auf ein facettenreiches Problem mit
weit reichenden Konsequenzen für Wirtschaft und Poli-
tik, unser aller Zusammenleben und vor allem für die
einzelnen Menschen, die betroffen sind, aufmerksam zu
machen.
Schulden und Schuldenmachen sind in unserer Ge-
sellschaft etwas Alltägliches. Wir sprechen aber heute
über Überschuldung. Dabei geht es nicht unbedingt um
große Summen. Bereits die Jahresabrechnung der Miet-
nebenkosten kann Menschen in die Katastrophe führen.
Angesichts dauerhafter Arbeitslosigkeit, geringer Ein-
kommen, von Krankheit und Trennungssituationen oder
der Geburt von Kindern besteht oftmals kaum eine
Chance für die Einzelnen, aus ihrer Situation herauszu-
kommen. Sie sind verarmt und befinden sich in einer
hoffnungslosen Situation.
In meiner Heimatstadt Leipzig ist eine Steigerung der
Privatinsolvenzen um 21 Prozent zu verzeichnen. Der
Umfang der Schuldnerberatung und die Zahl der Insol-
venzverfahren nehmen parallel stetig zu. Wir haben in
unserer Stadt sechs Beratungsstellen. Wurden in einer
Beratungsstelle im Jahr 2001, also noch vor fünf Jahren,
jährlich 42 Fälle von Privatinsolvenzen bearbeitet, so
waren es im vergangenen Jahr 418 Fälle. Das wirklich
Erschreckende daran ist, dass nur 2 Prozent der betroffe-
nen Menschen über ein Einkommen verfügen, das über
der Pfändungsfreigrenze liegt. Das heißt, sie haben keine
Chance, aus eigener Kraft aus ihrer Situation herauszu-
kommen.
Am 16. August dieses Jahres sprang in Frankfurt an
der Oder ein junger Mann aus dem fünften Stock seines
Mietshauses. Er hatte 885,29 Euro Mietschulden. Die
Zwangsräumung war angedroht, obwohl er mehrfach
seine Bereitschaft zur Mitarbeit an der Schuldentilgung
signalisiert hatte. – Dies ist kein Einzelschicksal. Hinter
der Zahl überschuldeter Haushalte verbergen sich viele
menschliche Tragödien. Die Armutssituation ist für die
Betroffenen äußerst belastend und folgenschwer. Sie hat
auch weit reichende Konsequenzen. Ich glaube, der
größte Fehler, den wir machen können, ist das Verharm-
losen, indem man so tut, als seien das alles Menschen,
die mal über ihre Verhältnisse konsumiert hätten.
Die wahren Ursachen der steigenden Zahl von Über-
schuldungen werden gern übersehen und wenig themati-
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iert. Meines Erachtens sind sie vor allem in einer Politik
egründet, die den Reichtum und das Vermögen schützt,
ördert und vermehrt und Millionen Menschen in immer
chnellerem Tempo ins soziale Abseits befördert.
(Beifall bei der LINKEN)
artz IV, Lohndumping, Arbeitslosigkeit, wachsende
usgaben für Wohnen, Gesundheit und Bildung, ein sin-
endes Realeinkommen und breit angelegte steuerliche
enachteiligungen der Habenichtse bilden den wirt-
chaftspolitischen Boden, auf dem die Überschuldung
rivater Haushalte gedeiht und wächst. Hinzu kommt ein
mmer aggressiveres Marketing der Banken und Kauf-
auskonzerne. Verlockende unseriöse Kreditangebote
reiben gerade Geringverdienende, Arbeitslose und
unge Menschen in die Schuldenfalle. So paradox es
lingen mag: Auch an Armut lässt sich verdienen; das
ezieht sich gerade auf Kreditinstitute, Banken und In-
olvenzvollstrecker.
Einigkeit sollte darüber herrschen, dass die effektivste
rävention in der schlichten Aufgabe besteht, den Men-
chen ein eigenes Einkommen zu garantieren, von dem
ie in Würde leben können. Das wäre durch die Schaf-
ung von – auch öffentlich geförderten – Arbeitsplätzen,
urch Mindestlöhne und die Abschaffung der folgen-
chweren Hartz-IV-Regelungen möglich.
Mit dem von uns vorgelegten Antrag werden wir das
roblem der Verschuldung von Menschen sicherlich
icht lösen können. Aber wir können einen wichtigen
eitrag leisten, nämlich dass die Finanzierung der
chuldnerberatungsstellen sichergestellt wird. Dazu
ind neben den Kommunen und Wohlfahrtsverbänden
uch die Länder und wir im Bundestag gefordert, mit ge-
etzlichen Regelungen eine dauerhafte Finanzierung der
chuldnerberatungsstellen zu garantieren, sodass eine
em tatsächlichen Bedarf entsprechende Beratung ange-
oten werden kann, die die Betroffenen ohne lange War-
ezeiten in Anspruch nehmen können.
Ich denke, dass die heutige Debatte einen Einstieg be-
euten kann. Wir sollten die heutige Lange Nacht der
chuldnerberatung in der Hauptstadt Berlin unterstüt-
en. Ich wünsche allen, die sich heute Nacht engagieren,
lles Gute und hoffe, dass sie mit der Beratung helfen
önnen.
Danke.
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ursula Heinen von der
DU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ursula Heinen (CDU/CSU):
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
iebe Kolleginnen und Kollegen! Die genannten Zahlen
ind in der Tat alarmierend. Nachdem es 1999 noch
,7 Millionen überschuldete Privathaushalte in Deutsch-
and gab, sind es mittlerweile 3,1 Millionen. Eine halbe
illion weiterer Haushalte ist darüber hinaus akut über-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4995
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(B) )
Ursula Heinen
schuldungsgefährdet. Der 2. Armuts- und Reichtumsbe-
richt der Bundesregierung hat deutlich aufgezeigt, dass
Überschuldung eine der wesentlichen Ursachen für Ar-
mut und soziale Ausgrenzung ist.
(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Das stimmt!)
Es handelt sich also um ein Thema, das wir sehr ernst
nehmen müssen.
Für Verschuldung gibt es weit mehr Gründe als die
von meiner Vorrednerin genannten. Veränderungen der
persönlichen Lebenssituation können Ursache für Ver-
schuldung sein, beispielsweise wenn der Partner stirbt,
eine Ehe scheitert, ganz plötzlich Arbeitslosigkeit ein-
tritt, die Selbstständigkeit scheitert oder eine Krankheit,
etwa eine Psychose oder Alkoholsucht, auftritt. Aber
auch die mangelnde Finanzkompetenz des Einzelnen
kann zur Verschuldung führen, unabhängig davon, wie
sich die sonstige Situation darstellt.
Erschwerend kommt hinzu, dass Überschuldung oft
nicht einen Einzelnen, sondern auch die Familienange-
hörigen betrifft. Sie alle können sich wahrscheinlich vor-
stellen, wie es ist, wenn sich die Kinder plötzlich nichts
mehr leisten können, wenn sie an einer Klassenfahrt
nicht teilnehmen können, weil die Eltern kein Geld ha-
ben. Für die Kinder ist es natürlich schwierig, mit der Si-
tuation umzugehen und einzugestehen, dass die Eltern
wenig Geld haben.
Es ist aber auch für die sonstige Umgebung schwie-
rig, beispielsweise für den Arbeitgeber, der erlebt, dass
es bei einem Arbeitnehmer immer wieder zu Pfändungen
kommt, oder für die Gläubiger, die versuchen, ihr Geld
zu bekommen. Nicht alle, die Geld verliehen haben, sind
böse Menschen. Man hat etwas gekauft, eine Leistung
bekommen und derjenige, der die Leistung erbracht hat,
möchte natürlich das Geld dafür sehen. Letztendlich
wirkt sich die private Überschuldung auch auf die öf-
fentlichen Haushalte aus.
Ich glaube, wir sind uns in diesem Haus einig, dass
die Betroffenen ohne Hilfe von außen oft nicht klarkom-
men. Deshalb gibt es seit Anfang der 80er-Jahre Schuld-
nerberatungsstellen, die sich aktiv um die Menschen
kümmern, die so verschuldet sind, dass sie nicht mehr al-
lein aus der Misere herauskommen. Das, was diese Bera-
tungsstellen für die Betroffenen erreichen, ist für unsere
Gesellschaft unglaublich wichtig. Die Schuldnerbera-
tung nimmt eine bedeutende Rolle in unserem gesell-
schaftlichen Leben ein. Sie nimmt – das ist unbestritten –
eine Schlüsselposition bei der Entschuldung ein.
Es gibt gute aktuelle Zahlen zu den Leistungen der
Schuldnerberatungsstellen, die das Bundesministerium
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend veröffentlicht
hat: Nach einjähriger Beratung sank der Anteil derjeni-
gen überschuldeten Haushalte, in denen keiner Berufstä-
tigkeit nachgegangen wurde, von 50 Prozent auf 40 Pro-
zent, also um 10 Punkte. Der Anteil der Überschuldeten,
die den Weg in gesicherte Arbeitsverhältnisse fanden, er-
höhte sich von 28 Prozent auf immerhin 46 Prozent. Die
Gläubigerzahl konnte im Durchschnitt um ein Fünftel re-
duziert werden. Die Schuldnersumme sank um durch-
schnittlich 8 000 Euro. Die Ausgaben für die Hilfe zum
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ebensunterhalt im Rahmen der Sozialhilfe sanken um
in Drittel. – Das sind tolle Leistungen, die mit Hilfe der
chuldnerberatungsstellen erbracht worden sind.
Blickt man auf die Struktur der Beratungsange-
ote, erkennt man, dass es eine ganze Reihe von Trägern
ibt, die sich im Bereich der Schuldnerberatung engagie-
en. In Deutschland gibt es 1 200 Beratungsmöglichkei-
en. Die größten Träger sind der Deutsche Caritasver-
and, das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche
n Deutschland, das Deutsche Rote Kreuz, der Deutsche
aritätische Wohlfahrtsverband, die Arbeiterwohlfahrt,
ie Verbraucherberatungsstellen der Länder sowie die
ozialämter der Gemeinden, Städte und Landkreise. Ih-
en allen sollten wir ein herzliches Dankeschön für ihre
rbeit sagen; denn wir alle haben etwas davon.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der
FDP)
Nun zur Finanzierung: Nach dem Sozialrecht sind
ie Kommunen aufgefordert, Schuldnerberatungsstellen
ur Verfügung zu stellen. Den größten Kostenanteil tra-
en dabei die Bundesländer, die Kommunen sowie die
räger der Beratungsstellen. Genauso wie in vielen an-
eren Bereichen – darauf wurde schon hingewiesen; das
st unstrittig – gibt es finanzielle Engpässe. Nicht alle
enschen können so gut beraten werden, wie sie es ver-
ient haben oder wie es wünschenswert ist. Aber Sie von
er Linken machen es sich mit Ihrer Forderung nach ei-
er Finanzierung durch den Bund zu einfach. Damit
ommen wir nicht weiter.
(Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann
[FDP])
s ist sicherlich beliebt, zu sagen: Bund, hilf uns; an-
onsten fällt uns zu diesem Thema nichts ein. Ich meine
ber, dass Überschuldung ein gesamtgesellschaftliches
roblem ist und dass wir bei der Unterstützung der
chuldnerberatungsstellen wesentlich mehr Kräfte brau-
hen.
Was können wir tun? Wir können beispielsweise zu-
ammen mit der Wirtschaft über Kooperationsangebote
ur Finanzierung der Beratungsstellen sprechen. Bereits
eute existieren gemeinsame Projekte von Beratungs-
tellen und Sparkassen. Mittlerweile sind in vier Bundes-
ändern Sparkassenverbände an der Finanzierung von
chuldnerberatungsstellen beteiligt. Das geschieht in
iedersachsen und Schleswig-Holstein auf freiwilliger
asis, während in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-
falz eine solche Beteiligung durch das Landessparkas-
engesetz vorgeschrieben wird. Wenn ich sehe, wie Sie
ich engagieren, dann frage ich mich, warum Sie in
ecklenburg-Vorpommern und Berlin nicht die Chance
enutzt haben, entsprechende Verpflichtungen einzuge-
en und die Banken zu motivieren, sich an der Finanzie-
ung der Schuldnerberatungsstellen zu beteiligen. Das
äre besser gewesen, als hier nach dem Bund und einer
ntsprechenden Bundesfinanzierung zu rufen. Man kann
ndere, kreative Wege gehen. Die Kooperation mit den
parkassen etwa halte ich für einen richtigen Weg.
Die Bundesregierung muss außerdem dafür sorgen,
ass die Gespräche zwischen der Arbeitsgemeinschaft
4996 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
Ursula Heinen
der Schuldnerberatung der Verbände einerseits und den
Bundesverbänden der Kredit-, Versicherungs- und Woh-
nungswirtschaft sowie den Verbänden des Handels und
der Inkassounternehmen andererseits wieder aufgenom-
men werden, um zusätzliche Quellen für die Finanzie-
rung der Schuldnerberatungsstellen zu erschließen. Es
wäre eine gute Sache, wenn wir gemeinsam dafür sorg-
ten, dass das Familienministerium die Federführung bei
dieser Aufgabenwahrnehmung hat und versucht, alle Be-
teiligten ins Boot zu holen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Frau Kollegin Heinen, erlauben Sie eine Zwischen-
frage der Frau Kollegin Dr. Höll?
Ursula Heinen (CDU/CSU):
Ja.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Frau Dr. Höll, bitte schön.
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):
Frau Kollegin, das können wir ganz kurz machen. Da
Sie über unseren Antrag reden, möchte ich Sie fragen, ob
Sie bereit sind, den Punkt II.2 in Gänze zur Kenntnis zu
nehmen. Ich darf zitieren:
Die Kreditinstitute und Wirtschaftsverbände wer-
den, wie in anderen Ländern bereits der Fall,
– wir beziehen uns auf europäische Länder –
entsprechend der durchschnittlichen Gläubigerstruk-
tur an der Finanzierung beteiligt …
Das heißt, wir haben sehr wohl im Blick, dass sich Ban-
ken, Kreditinstitute und Wirtschaftsverbände an der Fi-
nanzierung der Schuldnerberatungsstellen beteiligen soll-
ten. Unser Blick ist also nicht nur auf die Sparkassen
beschränkt. Die Beteiligung der Sparkassen ist vielleicht
ein kleiner Schritt. Aber wir sollten – entsprechend der
Gläubigerstruktur – weitergehen. Das ist ein breiterer
Ansatz.
Ursula Heinen (CDU/CSU):
Ich bin nur etwas erstaunt darüber, dass Sie in Ihrem
Antrag völlig außer Acht lassen, dass in vier Bundeslän-
dern bereits Kooperationen zur Finanzierung bestehen,
während in den Bundesländern, in denen Sie an der Re-
gierung beteiligt sind, solche Kooperationen nicht statt-
finden. Es verwundert mich, dass Sie alle anderen in die
Pflicht nehmen wollen, sich aber dort, wo Sie die Verant-
wortung tragen, um diesen Punkt nicht kümmern.
(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Nein, so geht
das nicht! Man sollte schon einmal gucken,
was im Antrag steht!)
Ein Verweis auf andere europäische Länder ist sicherlich
sinnvoll. Aber ich halte es auch für sinnvoll, sich die
Praxis in den Bundesländern einmal genau anzuschauen.
Das haben Sie nicht gemacht. Der Schwerpunkt Ihrer
Argumentation liegt darauf, dass der Bund seine Finan-
zierungsbeteiligung ausbauen muss.
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(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Lassen Sie mich noch drei Punkte ansprechen, in de-
en zurzeit Reformbedarf besteht. Der erste Punkt ist,
ass der Bund im Bereich der Rechtsetzung aktiv wer-
en muss. Es gibt Verbraucherinsolvenzverfahren, aber
ir brauchen schnellere Verfahren. Es ist erforderlich,
ass die angekündigte Reform der Verbraucherinsolvenz-
erfahren endlich auf den Tisch kommt.
Der zweite Punkt betrifft strukturelle Maßnahmen.
ie Finanzdienstleister müssen sich verpflichten, we-
entlich besser über ihre Produkte zu informieren, sie
ransparenter zu gestalten und ihren Beratungspflichten
ntensiver nachzukommen, als es zurzeit der Fall ist. Wir
ls Bundestag müssen darauf achten, dass die Vereinba-
ung zum Girokonto für jedermann eingehalten wird.
ieses Thema haben wir im Ausschuss für Verbraucher-
chutz regelmäßig auf der Tagesordnung. Darüber müs-
en wir die Kreditinstitute berichten lassen.
Der letzte Punkt ist, dass wir Maßnahmen zur Stär-
ung der Eigenkompetenzen brauchen. Das heißt, dass
an auch schon mit Kindern den richtigen Umgang mit
eld üben muss. Es gibt in vielen Bundesländern mitt-
erweile Projekte in Schulen, in denen der Umgang mit
eld erläutert wird. Auch das ist ein Weg in die richtige
ichtung. Wenn wir diese Maßnahmen umsetzen, schaf-
en wir es vielleicht, das Problem an der Wurzel zu fas-
en, anstatt nur auf die Arbeit der Schuldnerberatungs-
tellen zu verweisen.
In diesem Sinne kann ich nur sagen, dass Ihr Antrag
en Schuldnerberatungsstellen erst einmal nicht weiter-
ilft. Uns würde es weiterhelfen, wenn Sie konstruktiv
n den anderen Punkten mitarbeiten würden.
(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Zum Giro-
konto für jedermann haben wir auch einen An-
trag vorgelegt!)
Danke.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Michael
oldmann von der FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Hans-Michael Goldmann (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
in durchaus froh darüber, dass es hier einen Grundan-
rag von Ihrer Partei, Frau Dr. Höll, gibt. Ich bin auch
er Meinung, dass man das Thema sehr ernst nehmen
uss. Was mich aber schon ein bisschen irritiert, ist,
elche Schlüsse Sie aus einem sehr schwierigen Sach-
erhalt ziehen und wie mutig Sie sind.
Angesichts der Tatsache, dass wir in besonderer
eise Schuldnerberatung notwendig haben, durchaus
uch in Bundesländern, in denen Sie Mitverantwortung
ragen bzw. bisher getragen haben, und dass wir in Ber-
in eine Lange Nacht der Schuldnerberatung haben,
uss man sich doch einmal fragen, woher das alles
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4997
(A) )
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Hans-Michael Goldmann
rührt. Warum muss man in Berlin ein halbes Jahr warten,
bis man bei der Schuldnerberatung einen Termin be-
kommt? Warum sind in Berlin 300 000 Menschen ar-
beitslos und warum geraten diese wegen ihrer Arbeitslo-
sigkeit in die Schuldenfalle? Wenn Sie diese Fragen
verinnerlichen, dann kommen Sie sehr schnell zu dem
Ergebnis, dass der Lösungsvorschlag, den Sie in Ihrem
Antrag entwickeln, ganz sicherlich nicht die Lösung ist.
(Beifall bei der FDP)
Es geht nicht darum, dass der Staat mehr Geld zur Verfü-
gung stellt, um die Schuldnerberatung zu verbessern,
sondern es geht darum, die Arbeitsmarktsituation so zu
verbessern, dass weniger Menschen Schulden machen.
(Beifall bei der FDP – Dr. Barbara Höll [DIE
LINKE]: Man muss beides machen!)
– Das sprechen Sie in Ihrem Antrag aber gar nicht an.
Wenn Sie beides tun wollen, dann finde ich das prima.
(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: In diesem
Antrag geht es ja um die Finanzierung! Das
andere betrifft Steuer-, Wirtschafts- und Sozial-
politik!)
– Wir haben ein Verständnisproblem. Sie können die
Schuldnerberatung noch so gut finanzieren, aber wenn
Sie das Problem der Arbeitslosigkeit nicht in den Griff
bekommen, dann werden Sie in diesem Bereich nicht er-
folgreich sein.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der
CDU/CSU)
Sie können noch so viel Schadensbewältigung betreiben
wollen, aber wenn Sie nicht für Aufklärung, Information
und Bildung sorgen, was Frau Heinen völlig zu Recht
angesprochen hat, und schon in der Schule damit anfan-
gen, dann werden Sie das Problem nicht in den Griff be-
kommen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der
CDU/CSU)
Ich will allerdings auch sagen, dass es aktuelle Ent-
wicklungen gibt, die einen Beitrag zur Verschärfung die-
ses Problems leisten; das sage ich Ihnen ganz ruhig und
gelassen. Die Mehrwertsteuererhöhung ist für viele
Menschen ein weiterer Weg in die Schuldenfalle.
(Beifall bei der FDP)
Mir ist es unverständlich, dass Sie diesen Weg gehen. Es
gibt ein anderes Problem, um das wir uns intensiv küm-
mern müssen: Das ist die Explosion der Energiekosten,
die wir im Moment haben und die die Menschen auch
belastet. Wir müssen dringend für mehr Markt in diesem
Bereich sorgen und wir müssen dringend dafür sorgen,
dass die Energiepreise für die Menschen erträglicher
werden.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der
CDU/CSU)
Arbeitslosigkeit, Unkenntnis und zum Teil – auch das
will ich sagen – Verantwortungslosigkeit sind nach mei-
nem Verständnis für die Schuldensituation verantwort-
lich. Ich finde es schon schlimm, wenn auch Eltern, die
nicht so gut gestellt sind, sozusagen alles mitmachen,
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en Kindern alles geben wollen, auch sich selbst alles
eben wollen, was sie sich eigentlich nicht leisten kön-
en. Dass sie dann von Banken angesprochen werden,
ie ihnen schnell Geld zur Verfügung stellen wollen, ist
uch nicht richtig. Wir müssen wirklich einmal daran er-
nnern, meine ich, dass sehr viele Menschen für ihr
chuldenproblem auch ein Stück Eigenverantwortung
ragen. Wir dürfen nicht immer nach der Lösung durch
en Staat rufen, sondern wir müssen besonders an die
etroffenen appellieren, ihrer Verantwortung gegenüber
hren Finanzmitteln gerecht zu werden. Das sollte dann
uch in einem solchen Antrag angesprochen werden.
(Beifall bei der FDP)
Die FDP hat sich immer dafür eingesetzt, dass dann,
enn geholfen werden muss, auch geholfen wird. Wir
ind für Schuldnerberatung. Ich bin froh darüber, dass
ie Finanzmittel für die Schuldnerberatung von unserer
eite immer so zur Verfügung gestellt worden sind, wie
as notwendig gewesen ist. Ich appelliere wirklich noch
inmal sehr nachdrücklich an Sie: Sorgen Sie aktiv da-
ür, dass sich die Situation der Schuldnerberatungsstel-
en dort, wo Sie noch Verantwortung tragen, zum Bei-
piel in Mecklenburg-Vorpommern oder hier in Berlin,
erbessert!
Allerdings müssen wir auch Weichenstellungen im
ereich der Gesetzgebung vornehmen. Notwendig ist
ine Anpassung des Kontopfändungsrechts an die Be-
eutung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs. Die Justiz-
inisterin hat schon beim Amtsantritt erklärt, dass die
undesregierung eine Reform des Zwangsvollstre-
kungsrechts in Angriff nehmen will. „Wo ist das Eck-
unktepapier, das diese Dinge voranbringt, wo sind die
orschläge, die hier auf den Tisch gelegt werden müs-
en?“, könnte man die Ministerin fragen, wenn sie denn
a wäre. Aber vielleicht tragen Sie, lieber Kollege
panier, das an sie heran. Ich habe den Eindruck, dass
uch Sie in diesem Bereich Handlungsbedarf sehen.
Ich freue mich auf die Ausschussberatung, weil es
otwendig ist, wirklich deutlich zu machen, dass wir zu
inem Gleichgewicht von Eigenverantwortung und Hil-
estellung für diejenigen kommen müssen, die ohne
chuld in Not geraten sind; diese Menschen gibt es.
(Vorsitz: Vizepräsidentin Katrin Göring-
Eckardt)
Ich will noch einmal betonen: Sie können noch so viel
achen – wenn Sie nicht das Kernproblem der Arbeits-
osigkeit verringern, wenn Sie nicht dafür sorgen, dass
ehr Menschen in Arbeit kommen, dann werden Sie
ieses Problem nicht lösen, sondern nur Pflaster vertei-
en. Das ist in diesem Bereich zu wenig.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der FDP)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Ich erteile das Wort Wolfgang Spanier für die SPD-
raktion. Oder wollten Sie doch nicht tauschen?
(Wolfgang Spanier [SPD]: Doch, wir tauschen
lieber!)
4998 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
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(B) )
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
– Dann gebe ich das Wort Marianne Schieder für die
SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Marianne Schieder (SPD):
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es ist zwar schon gesagt worden, aber auch
ich möchte noch einmal betonen, dass das Anliegen, das
diesem Antrag zugrunde liegt, nämlich die Überschul-
dung privater Haushalte wirksam zu bekämpfen, ein sehr
wichtiges und ein sehr berechtigtes ist. In der Tat laufen
zunehmend mehr Haushalte in Deutschland in die Schul-
denfalle und brauchen dringend Hilfe, um sich wieder
von der übergroßen Schuldenlast befreien zu können.
Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Herr Kollege
Goldmann, wirklich nicht jedes Thema eignet sich dafür,
die Mehrwertsteuerdebatte aufzumachen.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg.
Dr. Barbara Höll [DIE LINKE] – Ulrike
Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber
das schon!)
– Na ja.
Seit 1993 hat sich die Zahl der überschuldeten Haus-
halte in der Bundesrepublik auf heute circa 3 Millionen
verdreifacht. Dies bedeutet, dass immerhin 8,1 Prozent
aller Haushalte auf absehbare Zeit zahlungsunfähig sind.
Weitere 570 000 gelten als akut überschuldungsgefähr-
det und laufen Gefahr, noch zu diesen 8,1 Prozent hinzu-
zukommen. Diese Zahlen machen deutlich, dass die
Überschuldung privater Haushalte ein wirklich großes
Problem ist und dass dringender Handlungsbedarf be-
steht.
Es wird auch etwas getan. Die rot-grüne Bundesregie-
rung hat 1999 mit dem Verbraucherinsolvenzverfahren
auch für private Haushalte die Möglichkeit geschaffen,
Konkurs anzumelden und im Wege des Restschuldbe-
freiungsverfahrens ihre Schuldenlast abzubauen. Die
Justizministerkonferenz der Länder hat im Juni 2006 ei-
nen Gesetzentwurf der Bund-Länder-Arbeitsgruppe
„Neue Wege zu einer Restschuldbefreiung“ beraten
und zur Kenntnis genommen. Auf der Grundlage dieses
Entwurfs wird im Bundesjustizministerium derzeit ein
Referentenentwurf erarbeitet. Es gibt also eine Weiter-
entwicklung des Verfahrens.
Die Schuldnerberatung, die im Mittelpunkt des vor-
liegenden Antrags steht, ist ein sehr geeignetes Instru-
ment, um wirksam gegen die Überschuldung privater
Haushalte zu kämpfen. Die in den Schuldnerberatungs-
stellen tätigen Männer und Frauen leisten eine hervorra-
gende Arbeit.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Sie beraten nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern
umfassend und gehen der Ursache auf den Grund. Nicht
umsonst sind es gerade die Wohlfahrtsverbände, die
diese Beratungsstellen einrichten; denn sie können mit
Blick auf die verschiedenen Ursachen nicht nur Ange-
bote zur finanziellen Beratung, sondern auch andere An-
gebote machen.
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Allerdings ist auch Fakt, dass nur 12 Prozent aller
berschuldeten Haushalte von den Beratungsstellen un-
erstützt werden können; denn mit den zur Verfügung
tehenden knappen Finanzmitteln können die Träger der
ntsprechenden Beratungsstellen nicht mehr bewälti-
en. Eine Beratung für lediglich 12 Prozent der Betroffe-
en ist selbstverständlich zu wenig. Der Auf- und Aus-
au eines bedarfsgerechten und flächendeckenden
etzes an Beratungsstellen ist dringend erforderlich.
Dass dies nur möglich sein wird, wenn dafür seitens
es Staates die entsprechenden Finanzmittel zur Verfü-
ung gestellt werden, ist auch klar. Aber liebe Kollegin-
en und Kollegen von der Fraktion Die Linke, liebe Frau
ollegin Höll, wir können dieses Problem nicht lösen.
er Bund ist dafür nämlich nicht zuständig – und das
issen Sie ganz genau.
Abgesehen davon, dass schon ein Blick ins Gesetz ge-
ügt, um dies festzustellen, hat Ihnen die Bundesregie-
ung bereits mehrfach in Antworten auf Ihre Kleinen
nfragen dargestellt, dass es für den Bund keine Mög-
ichkeit gibt, sich an der Finanzierung der Schuldnerbe-
atungsstellen zu beteiligen.
(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Doch!)
ie Zuständigkeit ist klar verteilt: Die Schuldnerbera-
ung ist Ländersache. Nach den langen Debatten, die wir
um Thema Föderalismusreform hier hinter uns gebracht
aben, sollten auch Sie wissen, dass wir aus einer Län-
ersache nicht einfach eine Bundessache machen kön-
en.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU – Dr. Barbara Höll [DIE
LINKE]: Wir wollen ja auch keine Bundessa-
che daraus machen!)
Wer sich in den Bundesländern umsieht, stellt selbst-
erständlich schnell fest, dass die Umsetzung der Auf-
abe sehr unterschiedlich gehandhabt wird und es in der
at da und dort noch viel zu tun gibt. Dies gilt in ganz
esonderem Maße auch für das Bundesland, aus dem ich
omme, für den Freistaat Bayern.
Wer hier etwas verbessern will, muss das Anliegen
orthin bringen, wo es hingehört, nämlich in die dafür
uständigen Landtage, und nicht hier in den Bundestag.
n den Landtagen muss gehandelt werden. In den Land-
agen müssen die finanziellen Mittel zur Verfügung ge-
tellt werden und muss darauf geachtet werden, dass
irklich ein flächendeckendes Netz an Beratungsstellen
ufgebaut wird und auch erhalten werden kann.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion
ie Linke, in den Landtagen müssen Sie beschließen
assen, was Sie hier von uns fordern. Ich bitte Sie deswe-
en: Ziehen Sie Ihren Antrag heute zurück und bringen
ie ihn an der richtigen Stelle ein, nämlich in den Land-
agen. Wir können ihm – nicht, weil wir nicht wollen,
ondern weil wir nicht zuständig sind – heute auf keinen
all zustimmen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU – Dr. Barbara Höll [DIE
LINKE]: Wir stimmen ja heute noch nicht ab!)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 4999
(A) )
(B) )
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Kollegin Schieder, in diesem Haus war das Ihre
erste Rede. Dazu gratulieren wir Ihnen alle ganz herzlich
und wünschen viel Erfolg.
(Beifall)
Als Nächstes spricht Ulrike Höfken für Bündnis 90/
Die Grünen.
Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Eines ist richtig: Die Koalition hat kein aus-
reichendes Konzept für verschuldete Haushalte. Die bis-
herigen Regelungen – das wissen wir – reichen nicht
aus. Wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen brau-
chen wir eine Kultur der zweiten Chance, eine humane
Antwort auf die rüden Praktiken, wie wir sie besonders
ausgeprägt in der Kreditbranche finden.
Im Koalitionsvertrag, aber auch in der Regierungspo-
litik der großen Koalition fehlt jedoch ein überzeugender
Ansatz. Die Unterstützung und der Ausbau von Schuld-
nerberatungsstellen sowie die vorsorgende Verbrau-
cherberatung sind wirklich dringend erforderlich. Die
Wartezeiten dort sind lang. Aber das – darauf hat die
Kollegin von der SPD zu Recht hingewiesen – fällt tat-
sächlich in die Verantwortung der Länder.
Wer – wie ich mit dem Kollegen Terpe gerade vor
drei Wochen – in der Verbraucherzentrale in Rostock
gewesen ist, der kann ganz besonders erschüttert darüber
berichten, dass gerade dort, wo die PDS bzw. die Linke
mit in der Regierung ist, die Situation besonders fatal ist.
Diese Verbraucherzentrale musste Insolvenz anmelden.
Ich sage einmal ganz klar: Das liegt in Ihrer Verantwor-
tung. Dort ist inzwischen alles gecancelt, was eine vor-
sorgende Verbraucherberatung eigentlich ausmacht. Es
ist alles auf reine Notfallmaßnahmen und auf eine End-
of-the-Pipe-Beratung reduziert, also eine Beratung dann,
wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Wir
werden also den Antrag der Linken ablehnen, weil er in
gewisser Weise unredlich ist.
Trotzdem, Frau Heinen, kann man auf der Bundes-
ebene viel tun. Die Bundesregierung müsste ihre Kom-
petenzen wahrnehmen. An erster Stelle sollte Frau
Zypries den schon im Januar dieses Jahres angekündig-
ten Gesetzentwurf, der jedermann ein Recht auf ein Gi-
rokonto einräumt, vorlegen. Wo bleibt das Gesetz ei-
gentlich?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Marianne Schieder [SPD]: Kommt doch!)
Der Bericht der Bundesregierung vom 14. Juli 2006 hat
den Handlungsbedarf doch mehr als deutlich offen ge-
legt. Das Konzept der Selbstverpflichtung der Kredit-
wirtschaft ist nach zehn Jahren gescheitert. Ich zitiere
aus dem Bericht:
… steht es für die Bundesregierung fest, dass es
sich bis heute um ein unverändertes Phänomen …
handelt.
Weiter heißt es,
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dass sich die Empfehlung des Zentralen Kreditaus-
schusses aus dem Jahr 1995 zum Girokonto für je-
dermann in der Praxis nicht in dem gewünschten
Umfang bewährt hat.
ie lange wollen Sie sich jetzt noch auf der Nase he-
umtanzen lassen, Kollegen und Kolleginnen von der
roßen Koalition? Wollen Sie etwa die gescheiterte
elbstverpflichtung durch eine neue „Selbstverpflich-
ung, die diesen Namen verdient“ – das ist wieder ein Zi-
at aus dem Bericht – ersetzen?
(Mechthild Rawert [SPD]: Nein! Wollen wir
nicht! Seien Sie beruhigt!)
Das hoffe ich.
Man muss sich einmal klar machen, was das heißt.
ieses Land kann es sich doch nun wirklich nicht leis-
en, dass jährlich allein bei Sozialtransfers geschätzte
0 Millionen Euro verloren gehen. Diese landen nämlich
ls teure Bareinzahlungsgebühren bei den Banken. Für
eden der Betroffenen macht das etwa 460 Euro im Jahr
us. Ich will jetzt gar nicht von der Mehrwertsteuererhö-
ung reden, die da dann auch noch draufgeschlagen
ird. Ganz klar ist: Hier braucht es eine Lösung und die
ann die Bundesregierung herbeiführen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Handeln Sie also so, wie wir es in unserem Gesetzent-
urf, den wir am 7. März vorgelegt haben, vorgeschla-
en haben. Die Bundesregierung muss endlich eine ver-
raucherfreundliche Überarbeitung des Insolvenzrechtes
orlegen, vor allem bezüglich der Kontopfändungen.
(Ursula Heinen [CDU/CSU]: Genau!)
ie muss die Zuständigkeiten für Schuldenprobleme von
rivaten Haushalten in der Bundesregierung klar benen-
en und dann auch wahrnehmen. Sie muss Pilotprojekte
das ist schon erwähnt worden – wie die Arbeitshilfe
Unterrichtshilfe Finanzkompetenz“ für Lehrerinnen
nd Lehrer ausweiten. Ich halte es auch nach wie vor für
ichtig – das ist ja auch insgesamt ein Anliegen des Ver-
raucherschutzausschusses –, das Fach „Hauswirt-
chaft“ im Sinne von privater Kompetenz für Wirtschaft
ieder einzuführen bzw. auszuweiten. Das heißt, wir
ordern die Bundesregierung auf, hier einen Aktions-
lan vorzulegen und wirklich gegen die Verschuldung
nzukämpfen.
Danke schön.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Jetzt spricht Wolfgang Spanier, SPD-Fraktion.
Wolfgang Spanier (SPD):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
olleginnen und Kollegen! Wir alle sind uns einig,
(Ursula Heinen [CDU/CSU]: Nicht alle!)
ass die wachsende Überschuldung privater Haushalte
ine Besorgnis erregende Entwicklung darstellt. Wir
ind uns sicherlich auch alle über die Bedeutung der
5000 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
)
Wolfgang Spanier
Schuldnerberatungsstellen in unserem Land einig, die
wirklich eine hervorragende Arbeit leisten.
Es ist gerade darauf hingewiesen worden, dass es seit
1999 das Verbraucherinsolvenzverfahren gibt. Das
heißt, dass es auch für einen privaten Schuldner tatsäch-
lich die Möglichkeit gibt, nach mehreren Jahren redli-
chen Verhaltens – ich nenne es einmal so – die Rest-
schuld erlassen zu bekommen und einen neuen Start ins
Leben zu unternehmen. Seit 1999 sind immerhin
200 000 Anträge auf Aufnahme dieses Verfahrens ge-
stellt worden. Die ersten – das dauert ja eine gewisse
Zeit – sind bereits erfolgreich abgeschlossen worden.
Von Jahr zu Jahr steigt die Zahl der Anträge. Im letzten
Jahr waren es 66 000. Insgesamt hat also die Akzeptanz
dieses Verfahrens, das in der Zeit von Rot-Grün auf den
Weg gebracht wurde, eine erfreuliche Entwicklung ge-
nommen.
Wir sind uns nicht einig, was den Antrag der Fraktion
Die Linke betrifft.
(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Bedauerlich!)
Ich bin Frau Schieder sehr dankbar, dass sie in ihrer ers-
ten Rede hier im Deutschen Bundestag die Sache auf den
Punkt gebracht hat.
(Mechthild Rawert [SPD]: Das kann sie sehr gut!)
Sie hat nämlich festgestellt, dass der Bund in diesem Be-
reich – das ist schlicht und einfach eine verfassungs-
rechtliche Beurteilung – für die Finanzierung nicht zu-
ständig ist. Er darf ein solches Gesetz nicht erlassen. Der
Bund ist auch nicht zuständig für die Finanzierung von
Verfahrenswegen. Das fällt nun einmal in den Zustän-
digkeitsbereich der Länder. Man muss klar sagen, dass
es sich nicht um ein Abwiegeln des Problems, sondern
um eine Tatsache handelt, um die wir nicht herumkom-
men. Der Bundesgesetzgeber sollte sich auf die Aufga-
ben konzentrieren, für die er zuständig ist. In diesem
Punkt möchte ich Frau Höfken voll und ganz unterstüt-
zen.
Es liegen in diesen Wochen einige wichtige Gesetz-
gebungsvorhaben an, die eine deutliche Verbesserung
bewirken können. Ich nenne zum Beispiel eine verein-
fachte Entschuldung völlig mittelloser Personen, aber
auch eine effektivere und einfachere Gestaltung des Ver-
braucherinsolvenzverfahrens. Ferner gibt es die Siche-
rung der privaten Altersvorsorge von Selbstständigen,
die in die Insolvenz gehen. Diese soll bei einem Kon-
kurs, wenn ich das einmal so salopp sagen darf, nicht
über die Wupper gehen.
All das sind wichtige Vorhaben. In der Tat haben wir
an dieser Stelle eine Bringschuld. Es ist sicherlich Auf-
gabe der Regierung und des Parlaments, in den nächsten
Wochen und Monaten diese Vorhaben umzusetzen. Ich
glaube, auf diesen Kern sollten wir im Deutschen Bun-
destag unsere Überlegungen konzentrieren.
Lieber Herr Goldmann, das Thema hat nichts mit der
Mehrwertsteuererhöhung und auch nichts mit dem ge-
setzlichen Mindestlohn zu tun,
(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Doch!)
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ür den ich mich persönlich sehr einsetze. Wir sollten die
hematik Schuldnerberatung, um die es heute geht, nicht
um Vorwand für allgemeinpolitische Ausführungen
ehmen.
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ist die
Mehrwertsteuererhöhung eine Belastung für
diese Menschen oder nicht?)
ir sollten uns auf das konzentrieren, um was es heute
irklich geht.
Lassen Sie mich zum Schluss etwas zum Thema
auswirtschaft und Schule sagen. Ich war fast
5 Jahre Lehrer. Wir müssen wirklich aufpassen, dass
ir nicht die Verantwortung für die Lösung aller gesell-
chaftlichen Probleme in die Schule verlagern und sozu-
agen für jedes Problem ein neues Schulfach fordern.
(Beifall bei der FDP)
ch glaube, das ist wirklich der falsche Lösungsweg. Ich
ill in diesem Zusammenhang gar nicht über die Zustän-
igkeit von Bund und Ländern reden. Aber ich will da-
auf aufmerksam machen, dass das Familienministerium
ereits seit Jahren Unterrichtshilfen für Lehrerinnen und
ehrer genau zu dieser Problematik anbietet.
Schönen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU – Hans-Michael Goldmann
[FDP]: Ich denke, das ist Ländersache!)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Damit schließe ich die Aussprache.
Zwischen den Fraktionen ist Überweisung der Vor-
age auf Drucksache 16/1544 an die in der Tagesordnung
ufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
inverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überwei-
ung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleich-
terung von Planungsvorhaben für die Innen-
entwicklung der Städte
– Drucksache 16/2496 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Es ist hierzu verabredet, eine halbe Stunde zu debat-
ieren. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so
eschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem
arlamentarischen Staatssekretär Achim Großmann.
Achim Großmann, Parl. Staatssekretär beim Bun-
esminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
as Bauplanungsrecht ist zentraler Pfeiler einer funk-
ionsfähigen und nachhaltigen Stadtentwicklung: Es
(B)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 5001
(A) )
(B) )
Parl. Staatssekretär Achim Großmann
schafft die Basis für Investitionssicherheit und solide
Wirtschaftsbedingungen ebenso wie für Wohnen, sozial
gerechte Infrastruktur und für eine lebenswerte Umwelt.
Mit dem Gesetzentwurf greift die Bundesregierung
zentrale Anliegen der Stadtentwicklung auf. Die Heraus-
forderungen des wirtschaftlichen und demografischen
Wandels konzentrieren sich besonders in den Städten
und Gemeinden. Dies erfordert die Orientierung der
Siedlungsentwicklung auf die Innenstädte, auf die Wie-
derherstellung und die Sicherung funktionsfähiger, urba-
ner Stadtzentren und -quartiere sowie die zügige
Durchführung notwendiger Anpassungsmaßnahmen.
Besonders dringlich ist auch die Stärkung des Ar-
beitsmarktes. Spürbare Fortschritte bedürfen einer Stär-
kung von Investitionen und der Generierung neuen wirt-
schaftlichen Wachstums gerade in den Städten. Zentrales
Anliegen des Gesetzes ist es daher, dass Planungsver-
fahren der Innenentwicklung beschleunigt durchge-
führt werden können. Auch das ist ein Ziel der Koali-
tionsvereinbarung, in der festgelegt wurde, das Bau- und
Planungsrecht zur Stärkung der Innenentwicklung der
Städte und zur Beschleunigung wichtiger Planungsvor-
haben – vor allen Dingen in Bezug auf Arbeitsplätze,
Wohnbedarf und Infrastrukturausstattung – zu vereinfa-
chen und zu beschleunigen.
Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf wird es zu einer
spürbaren Beschleunigung bei der Aufstellung solcher
Bebauungspläne kommen, die Baurechte im besiedel-
ten Bereich der Kommunen schaffen. Die künftige For-
mel im Städtebaurecht lautet: schnelle und konzentrierte
Verfahren bei Investitionsvorhaben der Innenentwick-
lung, Verfahren nach den allgemeinen Anforderungen
und mit förmlicher Umweltprüfung dagegen insbeson-
dere für Vorhaben auf der grünen Wiese. Dies beschleu-
nigt Investitionsvorhaben an städtischen Standorten und
vermeidet Flächenverbrauch. Durch dieses Gesetz kön-
nen die planerischen Aktivitäten der Städte und Gemein-
den auf die Innenentwicklung gelenkt werden.
Wie sehen nun die Eckwerte dieses Gesetzes aus?
Kernbestandteil des Gesetzes ist das beschleunigte Ver-
fahren. Es ist für Bebauungspläne konzipiert, die entwe-
der für eine Grundfläche von weniger als 20 000 Quadrat-
metern – das entspricht ungefähr vier Fußballfeldern –
oder nach einer umweltbezogenen Vorprüfung des Ein-
zelfalls für eine Grundfläche von 20 000 bis weniger als
70 000 Quadratmetern Festsetzungen treffen. Hier sollen
unter anderem eine zeitlich verkürzte Öffentlichkeits-
und Behördenbeteiligung, eine Beschleunigung der Ge-
nehmigungsverfahren, der Verzicht auf eine förmliche
Umweltprüfung mit umfangreichen Formalien und die
Möglichkeit, auch ohne vorhergehende Änderung des
Flächennutzungsplanes vorzugehen, für ein rasches Ver-
fahren sorgen.
Außerdem sind folgende Änderungen vorgesehen:
Die Schaffung und Sicherung der insbesondere für die
verbrauchernahe Versorgung bedeutsamen, zentralen
Versorgungsbereiche in Städten und Gemeinden, soll
auch im Interesse der Stärkung der Innenstädte, durch
ein neues Instrument verbessert werden. Der Abschluss
von Sanierungsverfahren soll erleichtert und beschleunigt
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erden. Die Handhabung des Vorhaben- und Erschlie-
ungsplanes soll zur weiteren Stärkung der Innenentwick-
ng verbessert werden. Im Interesse der Rechtssicherheit
chließlich sollen die Fristen zur Geltendmachung von
ehlern der Bebauungspläne und die Fristen für Nor-
enkontrollverfahren generell auf ein Jahr verkürzt wer-
en und die Bürgerbeteiligung ernster genommen wer-
en.
Der Gesetzentwurf hat bei den damit bisher befassten
achgremien großen Rückhalt gefunden. Das sind die
ommunalen Spitzenverbände, die Wirtschaftsverbände
nd die übrige Fachöffentlichkeit. Der Bundesrat wird
ich morgen in erster Lesung mit dem Gesetzentwurf be-
chäftigen.
In den letzten Monaten haben wir die Gesetzesände-
ungsvorschläge an einige Gemeinden und Städte mit
er Bitte weitergeleitet – das ist schon Tradition, wenn
ir das Baugesetzbuch ändern –, Planspiele durchzu-
ühren, also mit dem neuen Gesetzeswerk sozusagen
chon zu arbeiten und uns dann Defizite und auch Stär-
en des Gesetzentwurfes zu benennen, damit wir wie in
rüheren Gesetzgebungsverfahren darauf reagieren kön-
en. Wir haben also, so glaube ich, nicht nur den Gesetz-
ntwurf gut vorbereitet, sondern auch erste Erfahrungen,
ie in einigen Gemeinden und Städten gesammelt wor-
en sind, berücksichtigt.
Ihnen liegt ein Gesetzentwurf vor, der aus meiner
icht wirklich gut vorbereitet ist. Ich hoffe, dass dadurch
ine zügige Beratung und Verabschiedung des Gesetz-
ntwurfes möglich wird.
Das Gesetzgebungsverfahren ist von der Bundesre-
ierung so vorbereitet, dass das Gesetz noch zum Jahres-
echsel in Kraft treten kann, damit die von ihm ausge-
enden investiven Impulse bald zum Tragen kommen
önnen.
Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Für die FDP-Fraktion hat Patrick Döring das Wort.
(Beifall bei der FDP)
Patrick Döring (FDP):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ehr geehrter Herr Staatssekretär, zur beschleunigten
iskussion über den Gesetzentwurf wollen wir als FDP-
raktion sehr gerne beitragen. Wir unterstützen das An-
iegen der Bundesregierung. Ich denke, das politische
mfeld, in dem sich diese Diskussion heute abspielt, ist
usgesprochen vorteilhaft. Wir, zumindest die ordentli-
hen Mitglieder des Ausschusses für Verkehr, Bau und
tadtentwicklung, können den Trend zurück in die Stadt,
u neuer Zentralität und Urbanität fast mit Händen grei-
en, wenn wir sehen, was dazu alles auf unseren Schreib-
isch kommt.
Deshalb ist es gut, dass dieser Trend jetzt mit einer
eschleunigung der Planungsverfahren unterstützt wird.
ls letzte Woche der Kongress der Stiftung „Lebendige
5002 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
Patrick Döring
Stadt“ in Essen stattfand, konnte man in sehr vielen Ge-
sprächen feststellen, dass die Kommunen diesem Trend
intensiv nachkommen, indem sie eine Nachverdichtung
vornehmen und die Städte attraktiver machen. Deshalb
sind die Ansätze, die dieser Gesetzentwurf zeigt, aus un-
serer Sicht unterstützenswert.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Insbesondere die von Ihnen angesprochene Verkürzung
der Einspruchsfristen ist positiv.
Im Zusammenhang mit der Planungsbeschleunigung
haben wir im Ausschuss noch ein anderes Thema auf der
Tagesordnung. Wir werden sehen, ob wir das genauso
gut und solide hinbekommen wie in diesem Fall.
Auch die Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung
bezüglich des Einspruchs gegen bestehende Bebauungs-
pläne von denjenigen, die schon während der Aufstel-
lungszeit genug Gelegenheit hatten, Einspruch einzule-
gen, ist ausgesprochen positiv. Das sage ich auch vor
dem Hintergrund meiner kommunalpolitischen Praxis-
erfahrungen. Der Verzicht auf die Umweltverträglich-
keitsprüfung bei den von Ihnen genannten Vorhaben ist
gut. Auch das unterstützen wir.
Deshalb will ich nur drei Punkte ansprechen, die wir
aus unserer Sicht in den bevorstehenden Ausschussbera-
tungen intensiv besprechen sollten. Da lässt sich viel-
leicht einiges klären.
Der erste Punkt betrifft die Frage, was eigentlich eine
Innenentwicklung ist. Einige aus der Stadtbauratszene,
mit denen ich gesprochen habe, fragen: Sind damit denn
auch die Stadtteilquartiere gemeint? Wie weit außen
kann „innen“ sein? Ich denke, dass wir das in den Aus-
schussberatungen in bewährt guter Form klären können.
(Beifall bei der FDP)
Der zweite Punkt, der uns zumindest diskussionswür-
dig erscheint, ist die Frage, ob es nicht sinnvoll ist, dieses
beschleunigte Planungsverfahren bei Nachverdichtun-
gen von Wohnquartieren grundsätzlich anzuwenden,
und zwar unabhängig von der Frage, ob es sich um innen
oder außen handelt. Im Zusammenhang mit der nachhal-
tigen Stadtentwicklung wollen wir alle die Lückenbe-
bauung stärker forcieren. Auch darüber können wir im
Ausschuss sorgfältig diskutieren.
Der dritte Punkt, den meine Fraktion ansprechen
möchte, ist – auch Sie haben das angesprochen –, dass
bei laufenden Sanierungsverfahren zukünftig nachträg-
lich Fristen verkürzt werden können. Gelegentlich haben
wir bei denjenigen, die nicht so schnell sanieren können,
weil sie die dafür notwendigen Mittel nicht haben, die
Sorge vernommen, dass ihnen über dieses Verfahren zu-
sätzlicher Druck gemacht wird, dem sie nicht standhal-
ten können. Ich denke, dass wir diese Sorge im Rahmen
der gemeinsamen Beratungen ausräumen können.
Bei alledem, was an dem Gesetz richtig und gut ist,
muss man, wenn man etwas weiter in das politische Um-
feld schaut, feststellen – lassen Sie mich auch das
sagen –, dass es in diesem Haus und im politischen
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pektrum Tendenzen gibt, die für die nachhaltige Stadt-
ntwicklung sowie für die Schaffung von mehr Urbanität
nd Zentralität nicht gut sind. Das betrifft zum Beispiel
ie zuletzt auf dem so genannten Zukunftskongress der
rünen geführte Diskussion über eine Citymaut. Die
enschen werden nicht in die Städte ziehen, um dort zu
ohnen, zu leben und zu arbeiten, wenn man es teurer
acht – oder gar verbietet –, mit dem Auto in die Stadt
u fahren. Eine neue Zentralität, eine nachhaltige Stadt-
ntwicklung und mehr Urbanität werden wir nicht errei-
hen, wenn wir Fahrverbotszonen errichten.
Deshalb müssen wir sehr genau darauf achten, dass
ir den positiven Trend in unseren Städten, der zu mehr
rbanität führt, nicht dadurch stören, dass wir diejeni-
en, die sich zur Stadt bekennen, die in der Stadt leben,
rbeiten und wirtschaften wollen, mit zusätzlichen Be-
astungen und Erschwernissen, insbesondere beim
KW-Verkehr, konfrontieren. Eines ist klar: Die indivi-
uelle Mobilität auch dieser Menschen muss gewährleis-
et sein.
Jeder, der weiß, was in unseren Städten täglich los ist,
eispielsweise beim Lieferverkehr, erkennt, dass Fahr-
erbotszonen kein Weg zu mehr Urbanität sind.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der FDP)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Für die Union erteile ich Peter Götz das Wort.
Peter Götz (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-
en! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der
orbereitung zum Koalitionsvertrag haben wir uns lange
berlegt, ob es klug und richtig ist, in dieser Legislatur-
eriode das Bau- und Planungsrecht erneut in die Hand
u nehmen, zumal vor gut zwei Jahren mit dem Europa-
echtsanpassungsgesetz Bau in einer umfassenden No-
ellierung des Baugesetzbuches eine Reihe von Verein-
achungen und Beschleunigungen beschlossen worden
st. Vieles spricht dafür, das Baugesetzbuch, dessen Um-
etzung im Verwaltungsvollzug lange Vorläufe benötigt,
icht alle paar Jahre zu verändern. Dennoch war es rich-
ig, dass wir vor einem Jahr im November in der Koali-
ionsvereinbarung das Ziel verankert haben, Planungs-
orhaben für die Innenstadtentwicklung der Städte und
emeinden zu erleichtern.
Für die Union möchte ich dankbar anmerken, dass die
eit Jahrzehnten bei Veränderungen im Bau- und Pla-
ungsrecht bewährte Tradition der Planspiele – Herr
taatssekretär Großmann hat es angesprochen – auch bei
iesem Gesetz angewandt worden ist und so gemeinsam
nd in enger Abstimmung mit ausgewählten Kommunen
ereits frühzeitig die Auswirkungen gesetzlicher Ände-
ungen getestet worden sind. Das soll uns ermutigen,
ies auch in Zukunft bei anstehenden Änderungen auf
iesem Gebiet zu tun. Ich würde mir wünschen, dass wir
ergleichbares auch bei anderen Gesetzen, also nicht nur
m Planungsrecht, schaffen.
(Patrick Döring [FDP]: Wie wahr!)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 5003
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Peter Götz
Durch den wirtschaftlichen und demografischen
Wandel stehen wir nicht nur vor großen gesellschaftspo-
litischen, sondern auch vor erheblichen stadtentwick-
lungs- und wohnungspolitischen Herausforderungen.
Die Sicherung der Zukunftsfähigkeit unserer Städte und
Gemeinden ist eine gemeinsame Aufgabe von Kommu-
nen, Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Wir wollen und
brauchen in unserem Land starke Städte und Gemein-
den. Deshalb ist es nur konsequent, im Rahmen unserer
parlamentarischen Zuständigkeit die Bedingungen dafür
weiter zu verbessern. Damit meine ich die finanziellen
Rahmenbedingungen genauso wie die städtebaulichen,
über die wir heute reden.
Mehr denn je müssen wir uns auf die Wiederherstel-
lung und Sicherung funktionsfähiger urbaner Stadtquar-
tiere konzentrieren. Wir alle wissen: Die Wiederbelebung
innerörtlicher Industrie-, Bahn- oder auch Konversions-
brachen ist für alle Beteiligten – egal an welcher Stelle sie
stehen – erheblich anstrengender als das Bauen auf der
grünen Wiese.
(Renate Blank [CDU/CSU]: Richtig!)
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf greifen wir
zentrale, kommunale Anliegen einer modernen Stadt-
entwicklung auf. Wir erreichen damit eine investitions-
freundlichere lokale Politik. Wir bauen unnötige Büro-
kratie ab, fördern urbane Zentren, sichern die
verbrauchernahe Versorgung und ermöglichen gleichzei-
tig eine nachhaltige Stadtentwicklung. Durch die Reakti-
vierung der Innenstädte und Stadtteilzentren werden die
Orte sozialer und kultureller Begegnungen gestärkt und
die Lebensqualität erhöht. Es geht auch um die Sicher-
stellung wohnortnaher Versorgung, die im Hinblick auf
die geringere Mobilität vor allem älterer Menschen be-
sonders geschützt werden muss. Wir fördern so die Iden-
tifikation der Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Heimat.
Wir geben durch die Einführung beschleunigter Be-
bauungsplanverfahren für ausgewählte Projekte den
Gemeinden ein Instrument an die Hand, das der Auffor-
derung unseres Bundespräsidenten „Vorfahrt für Arbeit“
gerecht wird. Mit dem neuen § 13 a erhalten die Kom-
munen die Möglichkeit, einen Bebauungsplan im be-
schleunigten Verfahren aufzustellen, wenn er der Wie-
dernutzbarmachung von Flächen dient.
Nachdem bei der Innenentwicklung europarechtlich
keine Notwendigkeit für eine formelle Umweltverträg-
lichkeitsprüfung mit dem damit verbundenen aufwen-
digen Verfahren einschließlich Umweltbericht besteht,
ist es folgerichtig, darauf zu verzichten.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD und der FDP)
Wir sollten nicht mehr, sondern weniger Bürokratie ein-
fordern.
Ich halte es durchaus für angemessen, bei innerörtli-
chen Projekten auf einen naturschutzrechtlichen Aus-
gleich zu verzichten, soweit nicht eine Grundfläche von
20 000 Quadratmetern – Herr Staatssekretär Großmann
hat es angesprochen – überschritten wird und wenn da-
durch neue Arbeitsplätze geschaffen werden können.
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Auch die beabsichtigten Vereinfachungen im unbe-
lanten Innenbereich machen viel Sinn. Dies führt dazu,
ass die gezielte erstmalige Inanspruchnahme von Flä-
hen für Siedlungszwecke weiter verringert wird. Damit
ird ein wichtiges Ziel unseres Koalitionsvertrages um-
esetzt. Vor dem Hintergrund demografischer Entwick-
ungen sind wir klug beraten, innerörtliche Strukturen zu
tärken. Innenentwickung und Nachverdichtung durch
leinteilige Ergänzung des Siedlungsbestandes bieten
eben ökologischen Motiven auch Kostenvorteile ge-
enüber größeren Siedlungserweiterungen und bauen
leichzeitig einer innerörtlichen Verslumung entgegen.
olche Vorhaben können mit den Mitteln der Städte-
auförderung, sei es aus dem Stadtumbauprogramm oder
em Programm „Soziale Stadt“, begleitet werden und
önnen zusätzlich helfen.
Herr Döring, wenn ich von Innenstadtentwicklung
ede, meine ich nicht nur Stadtzentren und historische
ltstädte, sondern genauso Großsiedlungen und Orts-
erne kleinerer Gemeinden.
(Patrick Döring [FDP]: Meine ich auch! Die
Frage ist, ob Sie es richtig formulieren!)
ch denke, da sind wir uns einig. Vielleicht sollte man
ies noch deutlicher herausstreichen.
Wir sollten auch deutlich machen, dass der Begriff
er Innenentwicklung nicht zu eng gefasst wird.
(Beifall des Abg. Patrick Döring [FDP])
öglichst viele Kommunen und Investoren sollen diese
euregelungen nutzen können.
Auch die vorgesehenen Änderungen beim Abschluss
on Sanierungsverfahren werden zu einer wesentli-
hen Erleichterung für Städte mit Sanierungsgebieten
ühren. Gerade die Erhebung von Ausgleichsbeträgen,
or allem bei lang andauernden Sanierungsmaßnahmen
nd stagnierenden oder gar sinkenden Bodenwerten, ist
in Relikt aus dem Städtebauförderungsrecht der 70er-
ahre, das heute zu Recht infrage gestellt werden muss.
ch selbst stand vor 25 Jahren vor der leidvollen Auf-
abe, nach Abschluss einer Innenstadtsanierung ein Sa-
ierungsverfahren abzurechnen. Es war so gut wie nicht
öglich, das einigermaßen gerecht zu machen.
(Patrick Döring [FDP]: Richtig!)
Wenn es jetzt gelingt, den Abschluss von Sanierungs-
erfahren durch vereinfachte Abrechnungsregeln zu er-
eichtern und von überflüssiger Bürokratie zu befreien,
erden viele Menschen in den Rathäusern, aber auch in
en Aufsichtsbehörden dafür dankbar sein und aufat-
en.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der
FDP)
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich eine
bschließende Bemerkung machen. Die vorgesehenen
ereinfachungen und Beschleunigungen führen zu Kos-
enentlastungen bei den Kommunen und zu einer Entbü-
okratisierung in zentralen Bereichen der Immobilien-
irtschaft. Schon allein deshalb ist es ein gutes Gesetz.
5004 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
Peter Götz
Wir sollten es zügig beraten, damit es bald in Kraft treten
kann.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der
FDP)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Dorothée Menzner spricht für die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Dorothée Menzner (DIE LINKE):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir debattieren hier einen Gesetzentwurf, mit
dem die Regierung dreierlei erreichen will: entbürokrati-
sieren, Verfahren beschleunigen und diese vereinfachen.
Aber wie sagte ein Mitarbeiter einer Bauverwaltung
dazu? Ich zitiere: Es bahnt sich ein gesetzgeberischer
Salto rückwärts an, der die an der Bauleitplanung Betei-
ligten in vergangen geglaubte Zeiten zurückzuwerfen
droht – mit neuen Widersprüchen, neuen Fragen und
neuen Unsicherheiten im Vollzug.
Wir, die Linke, setzen da noch eins drauf. Heidrun
Bluhm, unsere wohnungspolitische Sprecherin, und ich
sind uns einig: Der Kern dieses Gesetzes ist vollkommen
kontraproduktiv.
(Manfred Grund [CDU/CSU]: Unglaublich!)
Da inszenieren Sie einen völlig neuen Plantyp, den – wir
haben es gehört – Bebauungsplan der Innenentwick-
lung. Die Folge ist – auch das wurde eben schon ange-
sprochen –: Bei allen Grundstücken bis zu einer Größe
von vier Fußballfeldern werden die Bebauungspläne
pauschal von Umweltprüfungsverfahren freigestellt.
(Patrick Döring [FDP]: Ja, ist doch richtig!)
Dabei ist jedem, der sich nur im Entferntesten einmal
mit Planung befasst hat, klar: Die Bedeutung einer Flä-
che für Wohnumfeld oder Stadtraum kann nicht an der
Größe gemessen werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Ist es Ihnen so wichtig, Flächen zu verplanen, zu ver-
bauen, zu versiegeln, immer getreu dem Motto: Rendite
vor Nachhaltigkeit, Profit vor Lebensqualität?
(Patrick Döring [FDP]: Was haben Sie denn
für ein Bild von kommunalen Mandatsträ-
gern?)
Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, diesem Ge-
setz zustimmen, dann geben Sie damit innerstädtisches
Grün zur Bebauung frei.
Die Linke meint, in einer Zeit, in der für immer mehr
alte oder finanzschwache Menschen nur das unmittel-
bare Wohnumfeld übrig bleibt, sollten wir mit freien Flä-
chen sorgsam umgehen.
Kolleginnen und Kollegen, ich möchte außerdem
noch anmerken: Das Gesetz, das wir hier debattieren,
widerspricht dem Gesetz zur Anpassung des Baugeset-
zes an EU-Richtlinien vom Juni 2004. Damals wurde die
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mweltprüfung in die Bauleitplanung eingeführt. Nun
chafft die Koalition Verwirrung und tritt sogar die
echtsprechung mit Füßen. Der Europäische Gerichts-
of hat klipp und klar festgestellt, dass es nicht zulässig
st, Schwellenwerte auf der Grundlage von Grundstücks-
rößen festzulegen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nichts gegen behut-
ame Nachverdichtung; aber ich frage mich, wie wir mit
iesem Gesetz den Flächenfraß mindern wollen, wenn
ir in Versuchung geraten, das letzte innerstädtische
rün zuzubauen. Hat sich die Bundesregierung nicht
azu verpflichtet, den Flächenverbrauch bis zum
ahr 2020 deutlich zu verringern, von heute 130 auf dann
0 Hektar pro Tag?
Gehen wir einmal davon aus, der vorliegende Gesetz-
ntwurf würde in Kraft treten. Damit würden Sie nach
nserer Überzeugung nichts erreichen. Wir werden mit
lagen rechnen müssen, weil die Widersprüche zum
U-Recht offensichtlich sind. Wir regen daher an, diesen
esetzentwurf zu überarbeiten, und melden an dieser
telle zwei Verbesserungsvorschläge an:
Erstens. Auf Umweltprüfungen kann nur unter defi-
ierten Bedingungen verzichtet werden, nicht pauschal.
Zweitens. Den Gemeinden dürfen wichtige Steue-
ungsmöglichkeiten nicht aus der Hand genommen wer-
en.
(Peter Götz [CDU/CSU]: Die kriegen doch
neue! – Patrick Döring [FDP]: Die Gemeinden
machen doch den Bebauungsplan!)
Wer auf Kompensationspflichten verzichtet, wird den
lächenfraß nicht mindern und die Stadtentwicklung
icht verbessern. Aus diesem Grund lehnt die Fraktion
ie Linke diesen Gesetzentwurf ab. Er ist nicht geeignet,
en Flächenverbrauch zu verringern, Bebauungsverfah-
en zu beschleunigen oder unsere Städte lebenswerter zu
achen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Für das Bündnis 90/Die Grünen spricht Toni
ofreiter.
Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN):
Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe
olleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Kolleginnen
nd Kollegen von der großen Koalition, es ist auf alle
älle lobenswert, dass Sie die Planungsvorhaben für die
nnenentwicklung der Städte erleichtern wollen. Ihr Vor-
aben als solches begrüßen wir.
(Zurufe von der CDU/CSU: Damit habe ich
nicht gerechnet! – Das Aber kommt bestimmt
noch!)
ber ist dieses Vorhaben, das Sie nun in einen Gesetz-
ntwurf gegossen haben, wirklich zielführend? Beseiti-
en Sie durch diesen Gesetzentwurf die Hemmnisse für
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 5005
(A) )
(B) )
Dr. Anton Hofreiter
die Innenstadtentwicklung? Glauben Sie wirklich, dass
die Innenstadtentwicklung an Umweltprüfungen oder an
der Beteiligung der Öffentlichkeit scheitert? Wo sind die
wirklichen Hinweise darauf?
Ich weiß nicht, wer von Ihnen jemals in der Kommu-
nalpolitik tätig war.
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP – Peter Götz [CDU/CSU]: Jede
Menge, Herr Kollege! – Patrick Döring [FDP]:
Die meisten von uns, Kollege Hofreiter! Das
können Sie mir glauben!)
– Wenn so viele von Ihnen in der Kommunalpolitik tätig
sind, dann sollten Sie sich für diesen Gesetzentwurf
schämen. Denn dann müssten Sie wissen, dass das nicht
daran liegt.
(Patrick Döring [FDP]: Natürlich liegt das da-
ran!)
Welche Gründe gibt es dafür, dass in den Innenstädten
Probleme auftreten? Zum Teil liegt das an extrem über-
höhten Grundstückspreisen. Deshalb sind manche Pro-
jekte nicht realisierbar. Wenn in den Innenstädten Leer-
stände zu verzeichnen sind, hat das meistens mit
Fehlentscheidungen in der Kommunalpolitik oder in der
Landespolitik zu tun,
(Widerspruch bei der SPD)
die es gestatten, dass auf der grünen Wiese Supermärkte
gebaut werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir alle wissen doch, wie unsere Ortschaften inzwi-
schen ausschauen: Es gibt einen Ortskern und ein großes
Industriegebiet am Rande der Stadt. In diesem großen
Industriegebiet findet man Discounter und andere Super-
märkte. Wer hat das zugelassen? Wer hat dem zuge-
stimmt? Wer hat diese Vorhaben erleichtert? Das waren
schwarze und manchmal leider auch rote Landesregie-
rungen. Diese Entscheidungen wurden in unionsgeführ-
ten Rathäusern getroffen, die damit die Verödung der In-
nenstädte selbst eingeleitet haben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie der Abg. Dorothée Menzner [DIE
LINKE] – Peter Götz [CDU/CSU]: Mein Gott!
Jetzt geht es los!)
Dieser Gesetzentwurf ist reiner Aktionismus, ebenso
wie Ihr Infrastruktur-Planungsbeschleunigungsgesetz.
(Zuruf von der CDU/CSU: Davor habt ihr
wirklich Angst! Das war mir klar!)
Warum werden denn viele Vorhaben nicht realisiert? Das
Problem ist, dass trotz der Mehrwertsteuererhöhung
schlichtweg kein Geld da ist. Es gibt planfestgestellte
Projekte in der Größenordnung von mehreren Milliarden
Euro. Werden sie realisiert? Nein, sie werden nicht reali-
siert, weil kein Geld vorhanden ist.
Nachdem ich festgestellt habe, dass dieser Gesetzent-
wurf nicht zielführend ist, frage ich: Ist es sinnvoll, die
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mweltprüfung und die Bürgerbeteiligung abzuschaf-
en?
(Peter Götz [CDU/CSU]: Die Bürgerbeteili-
gung wird doch gar nicht abgeschafft!)
Die Bürgerbeteiligung wird reduziert; in diesem Fall
aben Sie Recht. Nichtsdestotrotz ist dieser Schritt nicht
innvoll. Sie wissen, dass die Verkürzung der Fristen
ntsprechende Auswirkungen hat. Es ist in der heutigen
eit nicht sinnvoll, die Umweltprüfung, die erst vor kur-
em eingeführt worden ist, abzuschaffen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie der Abg. Dorothée Menzner [DIE
LINKE])
n welcher Zeit leben Sie eigentlich? Die Umweltpro-
leme nehmen zu und nicht ab.
Was für eine Regelung wollen Sie einführen? Sie wol-
en die Umweltprüfung für Bebauungspläne, die eine
rundfläche von weniger als 20 000 Quadratmetern be-
reffen, komplett abschaffen. Ist das sinnvoll?
(Patrick Döring [FDP]: Ja!)
ibt es keine Vorhaben mit einer Flächeninanspruch-
ahme von weniger als 20 000 Quadratmeter, die proble-
atisch sein könnten?
(Patrick Döring [FDP]: Aber das kann doch
die Kommunalpolitik entscheiden!)
Das glauben Sie doch nicht im Ernst. Wenn Sie das
irklich glauben, dann würde mich interessieren, welche
orstellungen Sie von bestimmten Betrieben haben.
Spannend finde ich auch, dass die FDP erklärt hat, sie
ill sich ein neues Umweltprofil zulegen, ein besseres
mweltprofil. Und hier ist sie ganz vorn mit dabei, wenn
s darum geht, eine Umweltprüfung abzuschaffen.
(Patrick Döring [FDP]: Natürlich: Bürokratie-
abbau!)
as ist also das neue Umweltprofil der FDP! Von der
DU erwarten wir ja nichts anderes und bei der SPD, na
a, wird es immer schlimmer, seit sie in der großen Koa-
ition ist.
Man kann es ganz kurz zusammenfassen: Wir Grünen
tehen für attraktive Innenstädte. Aber mit diesem Ge-
etzentwurf wird das nicht erreicht; denn Sie wollen die
ürgerrechte beschneiden und die Umweltprüfung ab-
chaffen. Das ist aus unserer Sicht grundlegend abzuleh-
en.
Ich danke Ihnen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Petra Weis hat das Wort für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Petra Weis (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
eine sehr geehrten Damen und Herren! Kollege
5006 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
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Petra Weis
Hofreiter, ob ich Ihre Enttäuschung über meine Partei in
den nächsten vier Minuten verringern kann, wage ich zu
bezweifeln. Aber ich kann Ihnen versichern: Alles das,
was ich sage, meine ich tatsächlich ernst.
Schon an den Ausführungen von Staatssekretär
Großmann und des Kollegen Götz ist deutlich geworden,
dass wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf den Städ-
ten ein weiteres – wie ich finde: ausgesprochen zielfüh-
rendes – Instrument an die Hand geben, mit dem sie zü-
gig auf den gewaltigen Veränderungsbedarf im Zuge des
wirtschaftsstrukturellen und des demografischen Wan-
dels reagieren können. Herr Kollege Döring hat zu Recht
darauf hingewiesen, dass dieses Gesetz zum rechten
Zeitpunkt kommt.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Dazu gehört neben der Schaffung von investitions-
freundlichen Rahmenbedingungen vor allen Dingen die
Möglichkeit, durch die Wiedernutzung von Flächen und
die Nachverdichtung von Flächen den Flächenver-
brauch weiter zu reduzieren. Frau Kollegin Menzner, das
ist in der Tat ein wichtiges Ziel dieses Gesetzentwurfes.
Das vorgesehene beschleunigte Genehmigungsver-
fahren für solche Bauvorhaben in den Innenstädten, bei
denen es darum geht, brachliegende innerstädtische
Grundstücke wieder nutzbar zu machen, begünstigt all
diejenigen Projekte, die der Erhaltung, Erneuerung und
Fortentwicklung bereits vorhandener Ortsteile dienen.
Wir können so in Zukunft darauf setzen, dass bei wichti-
gen Planungsvorhaben, die positive Effekte auf den
Wohnungsmarkt, auf die Infrastrukturausstattung und
natürlich auch auf die Arbeitsplatzsituation erwarten las-
sen, Investitionen erleichtert und beschleunigt werden.
Ein weiterer wichtiger Aspekt des Gesetzesvorhabens
ist die Sicherung zentraler Versorgungsbereiche und
einer verbrauchernahen Versorgung. Dabei geht es
nicht allein um die Stärkung der Zentralität und der Ur-
banität als solche, sondern auch und vor allem um die In-
teressen derjenigen Bewohnerinnen und Bewohner, die
wegen ihrer geringeren Mobilität besonderer Aufmerk-
samkeit bedürfen: Ich rede – Kollege Götz hat schon
darauf hingewiesen – natürlich von der älteren Genera-
tion, einer Bevölkerungsgruppe, die in den nächsten Jah-
ren weiter wachsen wird. Es erübrigt sich fast die Fest-
stellung, dass das, was für ältere Menschen gut und
richtig ist, auch für junge Familien gut ist, die ja eine
weitere Zielgruppe unserer Stadtentwicklungs- und
Wohnungsbaupolitik darstellen.
(Beifall bei der SPD)
Insofern ist es sinnvoll, Bebauungspläne zu ermögli-
chen, mit denen gezielt Bestimmungen über die Zuläs-
sigkeit bestimmter Arten von Nutzungen und damit ins-
besondere Einzelhandelsbetriebe getroffen werden
können. Es ist in diesem gedanklichen Zusammenhang
nur folgerichtig, dass es im Zuge einer Änderung des
§ 34 des Baugesetzbuches zukünftig möglich sein soll,
die entsprechenden Regelungen auch auf Wohnbauvor-
haben auszudehnen.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein weiterer Bau-
stein für eine auf die Städte als wirtschaftliche Zentren
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nd als Orte des sozialen Zusammenhalts konzentrierte
tadtentwicklungspolitik. Wenn Städte Ausgangspunkt
ür Wachstum und Beschäftigung und zugleich für eine
ohe Lebensqualität ihrer Bewohnerinnen und Bewoh-
er sein sollen – ich bin zutiefst davon überzeugt, dass
ie es sind –, dann muss der Innenstadtentwicklung un-
ere besondere Aufmerksamkeit gelten und dann muss
ie Standortqualität der Städte nachhaltig gesteigert und
ie Attraktivität der Quartiere für alle Bevölkerungs-
ruppen verbessert werden. Wenn die Städte Anzie-
ungspunkte für Handel, Gewerbe und Wohnen glei-
hermaßen sind, werden wir mit diesem Gesetzentwurf
azu beitragen, unnötigen Verkehr zu vermeiden und die
tädtische Umwelt- und Lebensqualität zu stärken.
Mit dieser Änderung des Baugesetzbuches schaffen
ir eine weitere Voraussetzung dafür, dass sich quali-
ätsvolles Bauen und akzeptable Kosten auch im Innen-
tadtbereich nicht ausschließen, getreu dem Motto „Zeit
st Geld“. Sollte es uns als Folge dieser Neuregelung ge-
ingen, das große Wort vom Bürokratieabbau mit Le-
en zu erfüllen und diesen Prozess für die Bürgerinnen
nd Bürger ganz praktisch erfahrbar zu machen, wäre
ns fast schon ein kleines Husarenstück gelungen. – Sie
erken schon, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich lasse
ir weder meinen Humor abhanden kommen noch mei-
en unerschütterlichen Glauben an die Gestaltungsfähig-
eit von Politik.
(Beifall des Abg. Dr. Andreas Scheuer [CDU/
CSU])
Ich bin sehr gespannt auf die Ergebnisse des Praxis-
estes in den kommenden Wochen mit ausgewählten
tädten und Gemeinden und natürlich auch auf die wei-
eren Beratungen in den Ausschüssen. Ich setze darauf,
ass wir in enger Abstimmung mit den Akteuren vor Ort
lieber Kollege Hofreiter und liebe Kollegin Menzner,
iesen Akteuren billige ich in diesen und anderen Fragen
brigens hohe Kompetenz zu – ein praktikables und zu-
unftsweisendes Instrument schaffen, das die nachhal-
ige Stadtentwicklung tatsächlich unterstützt.
Ich danke Ihnen, dass Sie mir zum Ende der Debatte
och zugehört haben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
urfs auf Drucksache 16/2496 an die Ausschüsse vorge-
chlagen, die in der Tagesordnung vorgesehen sind. Gibt
s anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Da-
it ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 sowie Zusatzpunkt 9
uf:
14 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Wieland, Volker Beck (Köln), Silke
Stokar von Neuforn, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 5007
(A) )
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Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für
die Anti-Terror-Dateien unter Beibehaltung
der Trennung von Polizei und Nachrichten-
diensten
– Drucksache 16/2071 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Petra Pau, Jan Korte, Kersten Naumann
und der Fraktion der LINKEN
Erhaltung des Trennungsgebots – Keine Er-
richtung gemeinsamer Dateien von Polizeibe-
hörden und Nachrichtendiensten des Bundes
und der Länder
– Drucksache 16/2624 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Zwischen den Fraktionen ist eine Debatte von einer
halben Stunde verabredet, wobei Bündnis 90/Die Grü-
nen fünf Minuten erhalten soll. – Dazu höre ich keinen
Widerspruch. Das ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache, um das Wort dem Kolle-
gen Wolfgang Wieland, Bündnis 90/Die Grünen, zu ge-
ben.
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn es
doch immer so prompt funktionieren würde. Wir haben
diesen Antrag im Juni eingebracht – die Präsidentin hat
den Titel verlesen: „Schaffung einer gesetzlichen Grund-
lage für die Anti-Terror-Dateien unter Beibehaltung der
Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten“ – und
für heute haben wir die Debatte auf die Tagesordnung
setzen lassen. Was geschieht? Das Kabinett hat den
Gesetzentwurf gestern beschlossen.
(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Loben Sie
uns mal!)
Man muss aber auch hier sagen: Was lange währt
– wir hatten es schon lange angemahnt –, ist leider noch
nicht gut geworden. Was ist hier geschehen? Die halbe
Republik wurde mit den Begriffen „Volltextdatei“ und
„Indexdatei“ in eine Art kollektiven Diskussionsprozess
einbezogen. Das alles hat leider nicht dazu geführt, dass
wir einen Gesetzentwurf bekommen werden – er liegt
uns offiziell noch nicht vor, aber informell haben wir ihn
bereits erhalten –, von dem wir sagen könnten, dass der
kreißende Berg eine Maus geboren hat. Lieber Kollege
Benneter, leider hat er einen Datenmoloch geboren.
(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Oh! Haben Sie
ihn denn schon gesehen?)
Das kann nicht so bleiben. Hier ist ein erheblicher Nach-
besserungsbedarf anzumelden.
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(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie der Abg. Gisela Piltz [FDP])
Vielen Dank, Frau Kollegin Piltz. Wir werden uns von
nserer Seite hier Mühe geben müssen. Das gilt auch für
ie vonseiten der Liberalen.
Frau Jelpke, in diesem Zusammenhang ein Wort an die
DS. Ja, auch Sie können das Ganze kritisch begleiten. In
em Antrag, den Sie hier vorgelegt haben, schreiben Sie
llerdings, dass die Trennung von Polizeibehörden und
achrichtendiensten, um die es wesentlich geht, mit die-
em Gesetzentwurf eingeebnet werden würde. Sie schrei-
en, dass es bei einem nahtlosen Informationsaustausch
ur zwei Abteilungen eines Hauses wären. Dazu muss
an Ihnen leider sagen – ich meine das ganz ernst –: Es
t der Traum vieler Konservativer, ein solches Bundessi-
herheitsamt – ich darf mich da nicht versprechen –, wie
s genannt wird, zu schaffen. Es entsteht hier aber nicht,
ollege Gunkel. Das kann man wirklich sagen.
Der PDS muss man sagen: Wer immer ruft, dass es
rennt, den nimmt man nicht mehr ernst, wenn es wirk-
ich einmal brennt. Darüber sollten Sie nachdenken.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der
SPD)
ollege Maurer, Sie sind in Ihrer Polemik immer maß-
os. Dadurch verpufft sie.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie des Abg. Clemens Binninger [CDU/
CSU] und der Abg. Gisela Piltz [FDP])
chauen Sie sich den Antrag, den Sie geschrieben haben,
inmal an. Das zieht einem wirklich die Schuhe aus. Das
ätten wir auch schon vor 30 Jahren in einem Artikel
on Frau Jelpke in einer ganz anderen Zeitung wort-
leich nachlesen können.
(Beifall des Abg. Clemens Binninger [CDU/CSU])
Nun zu unseren Hauptkritikpunkten an dem Entwurf
er großen Koalition im Einzelnen:
Erstens. Der Umfang der gespeicherten Daten wird
infach zu groß werden. Sie schreiben, dass Sie Einzel-
ersonen aufnehmen wollen, die weltweit verbal dazu
ufrufen, Gewalt anzuwenden, oder diese befürworten.
ann müssten Sie beispielsweise mit Herrn
hmadinedschad anfangen, der diese Kriterien beinahe
äglich erfüllt. Nur, welchen Sinn hat es, so viele Primär-
erdächtige in eine Datei aufzunehmen? Wir haben Da-
enfluten, die wir gerade nicht wollten. Wir wollten mit
ieser Antiterrordatei mehr Effizienz erreichen. Sie er-
eichen wir so nicht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Zweitens. Alle Kontaktpersonen eines Verdächti-
en – das ist verfassungsrechtlich sehr bedenklich – sol-
en in die Antiterrordatei aufgenommen werden können.
as sind Personen, die über die hinausgehen, die als
itglieder oder Unterstützer einer terroristischen Verei-
igung primär in diese Datei aufgenommen werden. Kri-
erien, wer eine solche Kontaktperson ist, werden nicht
5008 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
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Wolfgang Wieland
angegeben; dazu wird in der Begründung gesagt: Das
sollen die Polizeien und die Nachrichtendienste nach ih-
ren Erfahrungen entscheiden. – Hier besteht die Gefahr,
dass das soziale Umfeld der verdächtigen Personen ganz
breit erfasst wird. Das geht zu weit. Das ist mit den Frei-
heitsgarantien unserer Verfassung jedenfalls nicht zu
vereinbaren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Drittens. Der Kreis der Behörden, die auf die Datei
zugreifen können, wird wieder ausgeweitet. Auch ein-
zelne Polizeidienststellen, die nicht definiert sind, sollen
Zugriff nehmen können, nicht nur die Landeskriminal-
ämter. Das heißt, zwar nicht jeder Dorfpolizist – nicht je-
der, das ist immer die Angst Ihres bayerischen Kollegen
Beckstein –,
(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Nichts ge-
gen Dorfpolizisten!)
aber jeder Großstadtpolizist, der in entsprechenden Be-
reichen arbeitet, wird dann Zugriff nehmen können.
Darüber hinaus gibt es die Regelung des Eilfalles, die
sehr bedenklich ist; denn im Eilfall soll Onlinezugriff
auf die Volltextdatei genommen werden. Gerade im ter-
roristischen Bereich ist in der Regel von einer gegenwär-
tigen Gefahr für Leib, für Leben und für höherwertige
Rechtsgüter auszugehen.
(Frank Hofmann [Volkach] [SPD]:
Schwarzmalerei!)
Diese Inflation an zugriffsberechtigten Behörden, an
Möglichkeiten, online auf die Volltextdatei zuzugreifen,
verstößt unseres Erachtens gegen das Trennungsgebot
zwischen Polizei und Geheimdienst.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich komme zum Ende, ja.
Ihr Kollege Wiefelspütz,
(Sebastian Edathy [SPD]:
Unser Kollege ist das!)
der heute nicht da ist – wahrscheinlich bereitet er sich
schon auf seinen morgigen Geburtstag vor –, sagte, er
lege großen Wert darauf, dass die Grünen zustimmen.
Wir werden ihm diesen Gefallen gerne tun, allerdings
nur nach erheblichen substanziellen Veränderungen und
Verbesserungen dieses Entwurfes.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Als Nächster spricht Clemens Binninger, CDU/CSU-
Fraktion.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
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Clemens Binninger (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
nd Kollegen! Herr Kollege Wieland, als ich Ihnen in
en letzten Minuten zugehört habe, wurde mir eines
eutlich: warum es Rot-Grün in sieben Jahren nicht ge-
chafft hat, eine Antiterrordatei hinzubekommen.
(Gisela Piltz [FDP]: Das lag ja an Ihrem In-
nenminister in Bayern!)
enn man nach dem Motto „Für jede Lösung ein Pro-
lem“ diskutiert, kann das auch nicht gelingen. Wir ha-
en es in der großen Koalition jetzt hinbekommen. Inso-
ern wird deutlich, dass, wenn man zwei Partner
ustauscht – die Grünen und den Innenminister –, die
inge in diesem Land klappen.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Es ist nur am Ende der Legislaturperio-
de gescheitert!)
eshalb sind wir froh, dass wir jetzt eine Antiterrordatei
ekommen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich will aber vorausschicken, dass wir bei der Be-
ämpfung des internationalen Terrorismus eine große
chwierigkeit haben, nämlich frühzeitig Erkenntnisse
u gewinnen. Ich will das an einem praktischen Beispiel
us den USA deutlich machen. Im Sommer 2001 er-
angte eine US-Sicherheitsbehörde Erkenntnisse da-
über, dass sich eine Gruppe von Flugschülern auffällig
erhält und sich offensichtlich nur für Starts und Lan-
ungen interessiert. Diese Erkenntnis landet bei einer Si-
herheitsbehörde, aber es passiert nicht mehr damit. Eine
eitere Sicherheitsbehörde erhält fast zeitgleich Er-
enntnis darüber, dass eine Person polizeilich auffällt,
erichtlich vorgeladen wird und sich dieser Ladung ent-
ieht. Die Erkenntnisse werden aber nicht zusammenge-
ührt. Hätte man sie zusammenführen können, weil man
ine Datei gehabt hätte, dann wäre aufgefallen, dass es
ich um die gleiche Person handelt. Man hätte einen der
ttentäter, der Todespiloten, frühzeitig identifizieren
nd vielleicht sogar alles verhindern können.
Ich glaube, daraus wird deutlich, wie dringend wir
nseren Sicherheitsbehörden ein Instrument an die Hand
eben müssen, mit dem es gelingt, die bei unterschiedli-
hen Stellen vorhandenen Erkenntnisse zusammenzu-
ühren. Wir brauchen ein Frühwarnsystem. Die Anti-
errordatei wird sozusagen als Radarschirm dienen, der
s ermöglicht, aus verschiedenen Mosaiksteinen der Er-
enntnisgewinnung ein Bild zu zeichnen. Deshalb ist es
otwendig, dass die Antiterrordatei endlich eingerichtet
erden kann.
Zu Ihren Anträgen: Erschrecken Sie nicht, aber ich
uss den Grünen bei aller Kritik in einem Punkt ein Lob
ussprechen.
(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Oh!)
rotz der Forderungen, die Sie stellen und die Sie etwas
ompliziert und bürokratisch vorgetragen haben, beken-
en Sie sich im Grunde zu der Notwendigkeit einer Anti-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 5009
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Clemens Binninger
terrordatei. Ich glaube, darin habe ich Sie nicht missver-
standen. In diesem Punkt verdient Ihre Position meinen
Respekt. So viel zu meiner ungewohnten Herzlichkeit
Ihnen gegenüber.
Der Antrag der Linken – auch dazu haben Sie einiges
ausgeführt, Herr Wieland – ist eine bodenlose Frechheit.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Was?)
Ihre Formulierung zeigt – man kann nur hoffen, dass die
deutsche Öffentlichkeit davon Notiz nimmt –, dass Sie
an der Sicherheit unseres Landes kein Interesse haben.
Mit Ihnen ist keine Politik zu machen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD und der FDP)
Herr Kollege Wieland, Sie haben beschrieben, was in
die Datei aufgenommen wird. Ich will das kurz präzisie-
ren. Es werden drei Personengruppen aufgenommen:
Mitglieder von terroristischen Vereinigungen, gewaltbe-
reite Fanatiker, die dem Terrorismus zuzuordnen sind,
und Kontaktpersonen der beiden erstgenannten Grup-
pen, wenn die Kontakte so eng sind, dass sie Auskünfte
über den Terrorismus geben können. Ich glaube, darüber
kann es keinen Streit geben.
Wichtiger erscheint mir, darauf hinzuweisen, dass alle
diese Daten schon heute vorhanden sind. Die Antiterror-
datei bedeutet keine neue Erhebungsgrundlage für Da-
ten. Die Sorge, dass dadurch eine Datenflut generiert
wird, ist unbegründet. Alle Daten sind heute schon vor-
handen. Sie sind aber auf 37, 38 oder vielleicht noch
mehr Sicherheitsbehörden verteilt. Jetzt geht es darum,
diese Daten – sofern sie für den Terrorismus relevant
sind – zusammenzuführen. Dafür ist die Antiterrordatei
vorgesehen. Es werden also keine neuen Daten erhoben.
Was wird gespeichert? Wir haben lange darüber ge-
stritten, ob eine Volltext- oder eine Indexdatei eingerich-
tet werden soll. Dieser Streit ist Geschichte, weil das
Bundesinnenministerium einen klugen Weg eingeschla-
gen hat: Es sollen Grunddaten eingegeben werden, mit
denen man die Personen identifizieren kann, und es wer-
den erweiterte Grunddaten eingegeben, die etwas über
die Fähigkeiten der Terrorverdächtigen aussagen. Ich
halte das für wichtig, weil wir für die Nachrichtendienste
bereits ein solches System haben. NADIS weist aber ei-
nen großen Mangel auf:
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: NADIS läuft über!)
Es zeigt nur ein Aktenzeichen an. Dann ist eine schriftli-
che Anfrage nötig und es kann einige Wochen dauern,
bis die Erkenntnisse die anfragende Behörde erreichen.
Das können wir uns in diesen Zeiten aber nicht leisten.
Wir brauchen die schnelle Zusammenführung von Er-
kenntnissen und wir brauchen vor allem Daten, die es er-
lauben, bei der Abfrage entsprechende Schlüsse zu zie-
hen. Wenn eine Person kontrolliert oder observiert wird,
dann muss doch die kontrollierende Dienststelle wissen,
ob es sich um eine gefährliche Person oder um einen
Mitläufer handelt, ob er besondere Fähigkeiten hat oder
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affen besitzt und wo er sich aufgehalten hat. Deshalb
alte ich diese Daten für unverzichtbar. Wir haben im
brigen die notwendigen Regelungen in den Gesetzent-
urf aufgenommen, um den Datenschutz zu gewährleis-
en. Für besonders sensible Daten besteht die Möglich-
eit der verdeckten Eingabe, sodass nur die speichernde
ienststelle etwas von der Anfrage erfährt und Verbin-
ung aufnimmt.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Aber nicht aus Datenschutzgründen,
Herr Binninger! Aus Geheimschutzgründen!
Quellenschutz!)
Der Quellenschutz war immer ein Problem. Dieses
roblem haben wir gelöst.
Es gibt die Möglichkeit der beschränkten Datenein-
abe. Insofern sind in dem Gesetzentwurf alle Ihre For-
erungen erfüllt.
Ich darf Sie ermuntern, von Ihrer Grundposition, die
ntiterrordatei mitzutragen, nicht abzuweichen; denn
ir können es uns angesichts der Bedrohungslage nicht
änger erlauben, auf diese Datei zu verzichten. Es ist
ahrscheinlich eines der wichtigsten Instrumente, das
ir den Sicherheitsbehörden in diesem Land zur Verfü-
ung stellen.
Wir müssen schnell dafür sorgen, dass die Datei in
etrieb genommen werden kann.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD)
ie haben zum Schluss Ihrer Rede das Trennungsgebot
ngesprochen. Ich will mich ein bisschen als Hellseher
ersuchen: Ich möchte fast wetten, dass die Rednerin
on der FDP, die nach mir spricht, das Trennungsgebot
usführlicher darstellt.
(Gisela Piltz [FDP]: Werden jetzt schon die
Abgeordnetenbüros überwacht?)
ch glaube, wir sollten im Innenausschuss einmal grund-
ätzlich über das Thema Trennungsgebot diskutieren.
ch würde uns allen empfehlen, bei der Ergründung der
rage, was das Trennungsgebot überhaupt ist, eine ex-
ellente Abhandlung der Wissenschaftlichen Dienste
ieses Hauses zu diesem Thema heranzuziehen. Sie wer-
en dann zwei interessante Punkte finden:
Erstens. In einem Begleitschreiben zum Grundgesetz,
em Polizeibrief der Militärgouverneure, findet sich
in konkreter Satz, auf den immer wieder Bezug genom-
en wird. Dort heißt es nicht, der Nachrichtenaustausch
wischen Nachrichtendienst und Polizei sei untersagt.
ielmehr heißt es dort nur, die Nachrichtendienste – sie
erden dort anders genannt – dürften keine polizeilichen
efugnisse erhalten. Das ist der einzige Satz, der darauf
ezug nimmt.
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: So ist das! Ja,
Wieland, setzen!)
Zweitens. Herr Wieland, es kommt hinzu, dass dieser
olizeibrief 1968 außer Kraft getreten ist. Das heißt, die-
er Polizeibrief gilt gar nicht mehr. Sie müssen sehr
5010 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
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Clemens Binninger
lange in der Verfassung suchen, bis Sie nur im Ansatz
eine Stelle finden – Art. 87 GG wird oft bemüht –, der
dieses Trennungsgebot so explizit beschreibt, wie Sie es
gerne hätten.
(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Art. 87 Abs. 1
Satz 2!)
– Nein, nein, Herr Kollege Benneter!
Ich glaube, dass wir uns beim Thema Trennungsgebot
den Fakten stellen sollten. Man sollte nicht immer dieses
Trennungsgebot in den Vordergrund stellen und damit
notwendige Diskussionen verbauen. Es gibt kein verfas-
sungsrechtliches Trennungsgebot, so wie Sie es immer
beschreiben. Wenn es das geben soll, müssen Sie die
Stelle in der Verfassung klar benennen. Wenn das Gebot
so klar wäre, schlösse es aber eines nicht aus: den not-
wendigen Informationsaustausch zwischen Sicherheits-
behörden, Polizei und Nachrichtendiensten im Rahmen
klarer Regeln. Nur das wollen wir; das halten wir für un-
verzichtbar.
Ich möchte mit den Positionen des BKA-Präsidenten
und des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungs-
schutz schließen. Beide sagten, wir müssten jetzt – auch
vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit den Koffer-
bombern und im Zusammenhang mit dem Nena-Konzert –
wirklich versuchen, frühzeitig Erkenntnisse zu erlangen,
die uns Hinweise auf den Terrorismus geben. Die Anti-
terrordatei ist ein Instrument dazu, weil sie Erkenntnisse
zusammenführt. Deshalb fordere ich Sie noch einmal
auf: Machen Sie im Interesse der Sicherheit unseres Lan-
des mit! Leisten Sie einen Beitrag dazu, dass wir dieses
wichtige Instrument möglichst bald den Behörden zur
Verfügung stellen können.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Für die FDP spricht Gisela Piltz.
(Beifall bei der FDP)
Gisela Piltz (FDP):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach langer Debatte der Innenminister egal welcher
Couleur hat es jetzt einen gemeinsamen Beschluss gege-
ben, der aus unserer Sicht in die richtige Richtung geht;
er ist aber wieder ein typischer Kompromiss à la große
Koalition:
(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Also ein
fauler Kompromiss!)
ein bisschen Index, ein bisschen Volltext, damit beide
Seiten zufrieden sind. Es bleibt abzuwarten, was am
Ende dabei herauskommt.
Grundsätzlich begrüßen wir – Herr Binninger, Sie
hätten uns dafür auch einmal loben können –, dass eine
Indexdatei eingeführt wird.
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(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Ihr habt
heute keinen Antrag gestellt!)
enau wie Sie glauben wir nämlich daran, dass es einen
esseren Datenaustausch zwischen den Behörden geben
uss. Dabei sind zwei zentrale Punkte zu beachten.
In der Tat geht es auch – ich habe den Eindruck, dass
ie mein Büro überwachen lassen – um die Einhaltung
es Trennungsgebotes.
(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Wer hätte
das gedacht, Frau Piltz!)
ch möchte hier jetzt nicht eine staatsrechtliche Vorle-
ung halten. Ich glaube, das können andere besser. Ich
öchte nur einen Satz aus einem Aufsatz von Christoph
usy zitieren:
Am Horizont wird damit der rechtsstaatliche Kern
des Trennungsgebotes erkennbar: Wer (fast) alles
weiß, soll nicht alles dürfen; und wer (fast) alles
darf, soll nicht alles wissen.
ch denke, das fasst das Trennungsgebot ganz gut zu-
ammen. Wir sind 60 Jahre lang gut damit gefahren. Sie
üssen schon gute Gründe haben, wenn Sie so weit ge-
en wollen, wie Sie es jetzt vorhaben. Ich glaube, man
ann es bei gutem Wissen auch anders – zurückhaltender –
egeln. Wenn Sie es so regeln, dass es aus unserer Sicht
erfassungsrechtlich einwandfrei ist, stimmen wir gerne
u.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Wolfgang
Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Aus unserer Sicht ist das Freitextfeld bedenklich;
enn dort kann jede Behörde mehr oder weniger das ein-
ragen, was ihr passt. Der Zugriff auf nicht gesicherte In-
ormationen wird damit erlaubt, obwohl dies für die Ar-
eit mancher Behörden weder erforderlich noch geeignet
st. Das ist aus unserer Sicht ein Verstoß gegen das Tren-
ungsgebot. Das Freitextfeld führt zudem zu missver-
tändlichen Interpretationen. Es muss dabei aber auch
in praktischer Aspekt berücksichtigt werden: Wer soll
as alles eigentlich pflegen und kontrollieren? Auch hier
uss man sich fragen, ob das wirklich notwendig ist.
ir meinen: Nein, nicht in diesem Umfang.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Aus unserer Sicht ist die geltende Einfallregelung
öglicherweise ein Verstoß gegen das Trennungsgebot;
arüber werden wir reden müssen. Ich möchte eine wei-
ere kritische Anmerkung machen. In dem Entwurf eines
emeinsamen Dateiengesetzes steht unter A – Problem
nd Ziel –: Ziel des Gesetzentwurfes ist es, angesichts
er Bedrohung durch den internationalen Terrorismus
en Informationsaustausch zwischen Polizeien und
achrichtendiensten weiter zu verbessern.
In § 6 steht aber, dass eine weitere Verwendung der
aten beispielsweise auch dann möglich ist, wenn dies
er Verfolgung einer besonders schweren Straftat dient.
as hat das denn mit Ihrem ursprünglichen Ziel, eine
ntiterrordatei einzurichten, zu tun? Wir finden, die all-
emeine Strafverfolgung sollte in diesem Gesetz nicht
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 5011
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Gisela Piltz
berücksichtigt werden. Das ist nicht ausgewogen; denn
Erkenntnisse, die mit besonderen Befugnissen von Ge-
heimdiensten gesammelt werden, dürfen von polizeili-
chen Behörden nicht zur allgemeinen Strafverfolgung
genutzt werden. Das ist der Kern des Trennungsgebotes.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie des Abg. Klaus Uwe
Benneter [SPD])
Ein weiterer zentraler Punkt, den wir kritisch sehen,
betrifft den Umgang mit dem Grundrecht auf informa-
tionelle Selbstbestimmung. Der vorgelegte Gesetzent-
wurf enthält – es ist sehr schade, dass wir in erster Linie
über ihn und nicht über die Anträge debattieren – einen
umfangreichen Datenkatalog, den so genannten zweiten
Datenkranz. Es bleibt zu prüfen, ob jedes Merkmal ge-
eignet und erforderlich ist. Für mich jedenfalls ist nicht
jedes Merkmal zwingend notwendig. So kann man bei-
spielsweise lange und trefflich darüber streiten, ob es
sinnvoll ist, die Religionszugehörigkeit als Merkmal
aufzunehmen.
(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Da gibt es
einen Zusatz!)
Die Speicherung der Daten von Kontaktpersonen sehen
wir ebenfalls kritisch. Unbeteiligte dürfen auf keinen
Fall in Verdacht geraten. Das ist noch nicht völlig ausge-
schlossen.
Kurz zu den Anträgen: Die überzogenen Forderungen
und die absolute Verweigerung der Linkspartei nutzen
nichts. Dem Antrag der Grünen kann ich ehrlich gesagt
nicht entnehmen, was mit Projektdateien eigentlich ge-
meint ist. Ich sehe auch hier das Trennungsgebot nicht
ganz eingehalten. Das kann man aber im weiteren Ver-
fahren sicherlich noch klären.
Aus Sicht der FDP brauchen wir ein rechtsstaatlich
einwandfreies Gesetz, ein Gesetz, das diesmal vor dem
Bundesverfassungsgericht Bestand hat. Das ist das Al-
lerwichtigste; denn wir können es uns im Kampf gegen
den Terror nicht leisten, den Entwurf eines Gesetzes zu
verabschieden, das hinterher vom Bundesverfassungsge-
richt gekippt wird.
(Beifall bei der FDP)
Einem rechtsstaatlich einwandfreien Gesetzentwurf wer-
den wir gerne unsere Zustimmung geben. Ansonsten
werden wir nicht zustimmen. Wir hoffen auf die Einsicht
der Regierungskoalition –
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Kommen Sie bitte zum Ende.
Gisela Piltz (FDP):
– ich bin gleich fertig, Frau Präsidentin – und darauf,
dass CDU/CSU und SPD uns, den Kritikern, entgegen-
kommen. Wir helfen Ihnen gerne, aber nur, wenn es
rechtsstaatlich einwandfrei ist.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
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Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Das Wort hat der Kollege Klaus Uwe Benneter, SPD-
raktion.
(Beifall bei der SPD – Wolfgang Wieland
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt keinen
Slalom, sondern klare Worte!)
Klaus Uwe Benneter (SPD):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
ollege Binninger, mein Koalitionspartner,
(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Das sagen
Sie besser dazu!)
wei Anmerkungen zu Ihren Ausführungen: Sie tun dem
ollegen Wieland Unrecht, wenn Sie sagen, dass Rot-
rün die Einrichtung einer Antiterrordatei verzögert
abe. Es waren vielmehr die Bundesländer, die hier
raufsatteln wollten, und zwar in einer Weise, die wir
icht mittragen konnten. Das ist der Grund, warum sich
ie Einrichtung dieser Datei verzögert hat. So viel Wahr-
eit muss sein.
(Beifall bei der SPD, der FDP und dem BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN – Clemens Binninger
[CDU/CSU]: Die Bundesländer sind die glei-
chen! Die Innenminister haben gewechselt!)
Herr Binninger, unserem gemeinsamen Anliegen, das
ir gestern durch die Bundesregierung haben beschlie-
en lassen – wenn ich das einmal so ausdrücken darf –,
(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Aha!)
un Sie keinen Gefallen, wenn Sie sich auf diese Art und
eise gegen das Trennungsgebot aussprechen. Es ist
gal, ob das der Polizeibrief von 1949 oder eine andere
echtsgrundlage ist. Sie können ruhig einmal in Art. 87
bs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes nachschauen.
(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Ich habe es
in der Hand!)
Herr Uhl, Sie werden etwas dazu finden.
(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Ich suche
die ganze Zeit! – Wolfgang Wieland [BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Er wird nie fündig in
der Verfassung!)
s geht darum, dass die Polizei andere Aufgaben hat als
ie Nachrichtendienste. Weil die Nachrichtendienste
icht nur andere Aufgaben, sondern auch andere Befug-
isse haben, dürfen sie ihre Aufgaben nicht mit den poli-
eilichen Befugnissen erledigen. Das steht ihnen nicht
u. Das ist das, was hinter dem Trennungsgebot steht.
(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei
Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
s besteht mit Ausnahme der PDS bei allen Überein-
timmung, dass wir eine Antiterrordatei brauchen. Aber
arauf braucht man, so denke ich, nicht weiter einzuge-
en.
In dem Antrag der Grünen steht wörtlich:
5012 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
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Klaus Uwe Benneter
Eine wirksame Bekämpfung des Terrorismus ist auf
einen funktionierenden Informationsaustausch zwi-
schen den Sicherheitsbehörden des Bundes unterei-
nander und mit den Ländern angewiesen.
Klarer kann man es eigentlich nicht sagen. Herr
Binninger, Sie könnten auch einmal die Grünen zitieren.
Ich finde, wenn die Grünen schon einmal so klar ausdrü-
cken, warum wir eine Antiterrordatei brauchen, dann
sollten wir das alle gemeinsam begrüßen.
(Beifall des Abg. Wolfgang Wieland [BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN])
Wir haben nun aber das Pech, dass die Grünen durch die
Bundesregierung bereits überholt worden sind.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Um einen ganzen Tag!)
– Ja, sie ist fix. – Sie hat gestern zügig, aber sorgfältig ei-
nen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Da spielen
Indexdatei oder Volltextdatei überhaupt keine Rolle
mehr. Das sind irreführende Begriffe, die uns überhaupt
nicht weiterführen.
(Beifall bei der SPD)
Jetzt geht es nur noch um Grunddaten und erweiterte
Grunddaten. Das sind immer noch Grunddaten. Es geht
auch nicht darum, dass wir einen neuen Datenpool schaf-
fen würden, sondern darum, dass alle bereits vorhande-
nen Daten, die aufgrund der gesetzlichen Grundlagen
von den jeweils dafür zuständigen Sicherheitsbehörden
rechtlich einwandfrei erhoben wurden, nun automatisiert
zusammengeführt und automatisiert abgerufen werden
können. Es sollen also nicht irgendwelche neuen Daten
erhoben werden, sondern die alten vorhandenen Daten
werden jetzt in einer Weise zusammengeführt, dass dem
Informationsbedürfnis, das die Sicherheitsbehörden bei
einem wirksamen Kampf gegen den Terrorismus haben,
Rechnung getragen wird.
Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, mit dem
wir in Vorbereitung dieses Gesetzentwurfes sehr gut zu-
sammengearbeitet haben, hat vorsorglich einige Kritik-
punkte genannt, was diesen Gesetzentwurf angeht.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Die Sie ernst nehmen werden, wie ich
Sie kenne!)
– Das sind Punkte, auf die auch wir in unseren gemein-
samen Diskussionen hingewiesen haben. – So muss für
uns klar sein, dass der Kreis der beteiligten Behörden
wirklich klein gehalten wird, und zwar nicht nur aus
datenschutzrechtlichen Gründen, sondern erst recht aus
sicherheitsrelevanten Gründen; denn es wird keine Si-
cherheitsbehörde Daten in diese Datei einstellen und
freigeben, wenn sie davon ausgehen muss, dass diese
breit gestreut werden. Schon aus diesem Grunde müssen
wir uns den Kreis der zu beteiligenden Behörden noch
einmal genau ansehen.
In Bezug auf die Kontaktpersonen, die in dieser Datei
mit aufgeführt werden sollen, werden wir ganz penibel
darauf achten, dass die Regelungen, die das Bundesver-
fassungsgericht in seinem Urteil zur Aufnahme von
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ontaktpersonen in solche Dateien getroffen hat, minu-
iös eingehalten werden, damit wir uns auf verfassungs-
echtlich einwandfreiem Terrain bewegen.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Hans-
Peter Uhl [CDU/CSU] und des Abg. Wolfgang
Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Auch über die Aufnahme von besonderen Bemerkun-
en gibt es bei uns Diskussionsbedarf. Auch wir sind der
uffassung, dass man nicht nur aufgrund von Anhalts-
unkten in eine solche Datei aufgenommen werden darf.
Das müssen dann schon Tatsachen sein, konkrete Tat-
achen, konkretisierbare Tatsachen, aufgrund derer man
ann in eine solche Datei geraten kann. Das kann nicht
infach der Friseur oder der Bäcker von nebenan sein,
ondern nur derjenige, der als Kontaktperson auch einen
ezug zum internationalen Terrorismus hat. So stellen
ir uns das vor.
Noch einmal zum Trennungsgebot. Ich habe schon auf
olgendes hingewiesen: Polizeibehörden dienen der Ab-
ehr konkreter Gefahren, der Verfolgung von Straftaten,
er Ermittlung von Tatsachen aufgrund eines konkreten
erdachts. Verdeckte Ermittlungen und der Einsatz nach-
ichtendienstlicher Mittel sind den Polizeibehörden – das
issen wir – nur ganz eingeschränkt möglich und unter-
iegen einer ganz strengen Zweckbindung. Das ist der
rund dafür, warum wir darauf achten müssen, dass hier
ichts durcheinander gerät. Die Polizeibehörden sind
em Legalitätsprinzip unterworfen.
Das ist etwas anderes als bei den Nachrichtendiens-
en, die weit im Vorfeld Aufklärung betreiben können,
ie aber deshalb auch keine Exekutivbefugnisse haben
ürfen. Sie können sich Informationen holen.
(Dr. Peter Danckert [SPD]: Aber nur das!)
enn sie ihnen nicht gegeben werden, dann dürfen sie
ie sich jedenfalls nicht zu Unrecht einfach aneignen. In-
ofern konzentriert sich die Arbeit der Dienste auf das
ammeln und Auswerten von Informationen, um offene
nd geheim gehaltene Aktivitäten und Pläne von Perso-
en, Organisationen und anderen Staaten möglichst früh-
eitig zu erkennen. Das ist die Aufgabe der Nachrichten-
ienste. Sie unterscheidet sich damit ganz deutlich von
en Aufgaben der Polizeibehörden. Diese unterschiedli-
hen Aufgaben gewähren unterschiedliche Befugnisse.
as gilt es hier insbesondere einzuhalten.
Vonseiten der PDS wurde darauf hingewiesen, dass
ie neue Datei Diffamierung, Denunzierung und Aus-
renzung befördern würde. Diese Gefahr ist mit dieser
atei nicht verbunden.
(Dr. Peter Danckert [SPD]: Die haben sich das
nicht angeschaut!)
ie Behörden werden nur im Rahmen ihrer geltenden
efugnisse und Aufgaben Daten einstellen und übermit-
eln. Man kann nicht so einfach mir nichts, dir nichts an
olche Daten kommen.
Wir trennen ganz klar zwischen Grunddaten und er-
eiterten Grunddaten. Die Grunddaten sind nur sol-
he, die zur Identifizierung von Personen dienen: Name,
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 5013
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Vorname, Geburtsdatum, Familienstand, was man eben
so zur Identifizierung von Personen benötigt. Dann gibt
es noch den Hinweis darauf, ob erweiterte Grunddaten
zu einer bestimmten Person vorhanden sind. Auf die er-
weiterten Grunddaten hat nicht jeder einfach Zugriff,
sondern man muss sich mit der Stelle, mit der Behörde
in Verbindung setzen, die diese Daten gespeichert hat.
Die kann diese Daten freigeben. Nur dann ist der Zugriff
insoweit möglich.
Genau diese klare Trennung, die hier vorgenommen
wird, erlaubt es, in breiterem Umfang Behörden einzu-
beziehen,
(Dr. Peter Danckert [SPD]: Sehr gut gemacht!)
die Landesbehörden, die sich mit Verfassungsschutz und
Kriminalität beschäftigen, und auch die Bundesbehör-
den. Ich denke, dass das Trennungsgebot, das uns grund-
gesetzlich vorgegeben ist, hier eingehalten ist.
Wir sind als Staat verpflichtet, alles zu tun, alles Er-
forderliche und alles Mögliche, um die Bevölkerung vor
dem internationalen Terrorismus zu schützen, aber wir
dürfen dabei nie vergessen, worum es eigentlich geht: Es
geht um das höchste Gut unserer Gesellschaft; es geht
gerade auch im Kampf gegen den internationalen Terro-
rismus darum, unsere Freiheit zu verteidigen und zu
schützen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke für die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im
Kampf gegen den Terror hat die rot-grüne Bundesregie-
rung in den letzten Jahren ein verfassungswidriges Ge-
setz nach dem anderen vorgelegt.
(Lachen des Abg. Wolfgang Wieland [BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN] sowie des Abg.
Clemens Binninger [CDU/CSU])
– Das ist wahr, erst das Gesetz zum großen Lauschan-
griff – ist der nicht zurückgewiesen worden, Kollege
Wieland? –,
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das waren noch CDU/CSU und FDP,
liebe Frau Jelpke!)
dann das Luftsicherheitsgesetz. Ich sage Ihnen schon
heute: Auch das jetzt vom Kabinett beschlossene Gesetz
zur Antiterrordatei wird nach Karlsruhe gehen. Wir wer-
den sehen.
Liebe Kollegen, an dieser Stelle möchte ich ganz klar
sagen – leider muss man das in diesem Hause immer
wiederholen –: Wenn Sie die Verfassung weiter aushöh-
len, um den Terror zu besiegen, dann siegt der Terror.
Das darf unserer Meinung nach nicht sein. Es ist ja nicht
so – Sie tun so, als ob es so wäre –, dass ein Geheim-
dienst die Polizei heute nicht warnen dürfte, wenn er er-
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ährt, dass ein Terroranschlag in diesem Land bevor-
teht. Natürlich darf er das; das ist völlig unbestritten.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Nach Ihrem Antrag nicht mehr!)
Die Antiterrordatei aber soll nicht einen unmittelbar
evorstehenden Anschlag verhindern, sondern sie soll die
usammenarbeit von Polizei und Geheimdiensten auf eine
öllig neue Stufe stellen. Der Datenaustausch zwischen
en unterschiedlichsten Behörden – insgesamt 37 –,
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das werden noch mehr!)
wischen Länder- und Bundespolizei, Zoll, Militäri-
chem Abschirmdienst, Bundesnachrichtendienst und
erfassungsschutz, soll zur Regel werden. Damit wird
ie Trennung zwischen Polizei- und Geheimdienstarbeit
indeutig aufgehoben.
An dieser Stelle noch einmal zu Herrn Binninger, aber
uch zu Herrn Benneter. Geheimdienste und Polizei ha-
en aus gutem Grund völlig unterschiedliche Befugnisse;
as wissen auch Sie. Die Polizei handelt bei konkreten
erdachtsmomenten. Geheimdienste dagegen observie-
en auch unschuldige Menschen mit Methoden, die der
olizei untersagt sind. Die Polizei lässt sich noch kon-
rollieren, während man das von den Geheimdiensten
icht mehr sagen kann. Nicht umsonst haben wir gegen-
ärtig einen Untersuchungsausschuss zum BND-Skan-
al.
Mit der Antiterrordatei käme die Polizei zu Erkennt-
issen, die sie gar nicht gewinnen dürfte, und die Ge-
eimdienste ebenso. Getrennt ermitteln, gemeinsam aus-
erten, das würde die Trennung von Polizei und
eheimdiensten noch weiter aufheben. Effektive Be-
chränkungen für den Datenaustausch sieht die Re-
ierung nicht vor. Im Gegenteil, in so genannten Eilfäl-
en, wie Herr Schäuble gestern bekannt gab, muss man
ur auf den Knopf drücken und alle Daten sind da. Ich
ehe nicht, wo der neue Gesetzentwurf eine Kontrolle
orsieht.
Auch die Grünen – jetzt komme ich zu Ihnen, Herr
ieland – erklären in ihrem Antrag eine Volltextdatei,
us der jede Behörde praktisch online alle möglichen
aten abrufen kann, für rechtsstaatlich unhaltbar. Im-
erhin. Das begrüße ich.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das haben wir immer gesagt!)
ber, Herr Wieland, Sie wollen, weil Sie halt nur eine
hemalige Bürgerrechtspartei sind
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Ah!)
Sie haben sich hier heute ja zum Liberalen bekannt –,
etzt durch die Hintertür eine Volltextdatei einführen.
enn Sie beispielsweise Projektdateien als zeitlich be-
ristete Volltextdateien einführen – das ist ein Zitat –,
ann hilft das auch nichts.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Frau Jelpke, wir regieren zurzeit nicht!
Wachen Sie aus dem Alptraum aus!)
5014 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
Ulla Jelpke
Auch wenn man es zeitlich begrenzt: Verfassungsbruch
ist Verfassungsbruch.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Bundesregierung hat genau die Idee, die in Ihrem
Antrag enthalten ist, in ihren Gesetzentwurf hineinge-
schrieben.
Die Bundesregierung will in der Datei die Religions-
zugehörigkeit erfassen. Das ist eindeutig ein Angriff auf
die Religionsfreiheit. Wenn ich befürchten muss, dass
37 Sicherheitsbehörden meinen Glauben für terroris-
musrelevant halten, überlege ich mir in Zukunft sehr ge-
nau, ob ich mich zu meiner Religion bekenne. Die Bun-
desregierung setzt damit ganz eindeutig Menschen
muslimischen Glaubens unter Generalverdacht. Da sind
wir gänzlich dagegen.
(Beifall bei der LINKEN)
Außerdem will die Bundesregierung praktisch eine
Kontaktschuld einführen. Erfasst werden soll, wer eine
nähere persönliche oder geschäftliche Beziehung zu ei-
nem Verdächtigen hat. Das weitet den Kreis der Durch-
leuchteten ins Uferlose aus –
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ulla Jelpke (DIE LINKE):
– ich komme gleich zum Schluss –: Vermieter, Part-
ner, Kinder, Kommilitonen, Freunde usw. Das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung wird hier gänzlich
ausgehöhlt. Besonders an die rechte Seite gerichtet sage
ich: Der Datenschutzbeauftragte hat genau das kritisiert.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Schluss kom-
men.
Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Wir lehnen den Antrag der Grünen ab und werden uns
vor allem für das Grundgesetz einsetzen; denn wir glau-
ben, dass die vorhandenen Gesetze ausreichen.
Danke.
(Beifall bei der LINKEN – Hans-Joachim Otto
[Frankfurt] [FDP]: Das ist gut, die PDS will
sich für das Grundgesetz einsetzen!)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/2071 und 16/2624 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. –
Damit sind Sie offensichtlich einverstanden. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a und 15 b so-
wie Zusatzpunkt 10 auf:
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15 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung telekommunikations-
rechtlicher Vorschriften
– Drucksache 16/2581 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Telekommunikationsgesetzes
– Drucksache 16/1519 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
P 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias
Berninger, Bärbel Höhn, Dr. Thea Dückert, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND-
NISSES 90/DIE GRÜNEN
Mehr Wettbewerb und Verbraucherschutz auf
dem Telekommunikationsmarkt
– Drucksache 16/2625 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Kultur und Medien
Zwischen den Fraktionen ist eine Debattenzeit von ei-
er halben Stunde vereinbart. – Dazu höre ich keinen
iderspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der
ollegin Dr. Martina Krogmann, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
n dieser Debatte geht es zentral um ein Thema, um das
er Innovation.
(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Um
Wettbewerb!)
s geht um Innovation in einer der wichtigsten Zu-
unftsbranchen in unserem Land, nämlich der Telekom-
unikation. Die gesamte Branche befindet sich gerade
etzt in einem ungeheuer dynamischen Prozess. Durch
eue Technologien und die Konvergenz der Medien, also
urch das Zusammenwachsen von Fernsehen, Telefon
nd Internet auf einer Plattform, haben wir riesige Chan-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 5015
(A) )
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Dr. Martina Krogmann
cen für Wachstum, Innovation und neue Arbeitsplätze.
Dafür ist das Gesetz ein zentraler Baustein.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Es geht um drei Themenbereiche. Es geht um neue
Märkte, es geht um die Stärkung des Vertrauens der Men-
schen in neue Telekommunikationsdienste durch effekti-
ven Verbraucherschutz und es geht darum, Telekommuni-
kationsunternehmen für Kosten zu entschädigen, die
ihnen durch staatliche Strafverfolgungsmaßnahmen ent-
stehen.
Die Regelung in Bezug auf die neuen Märkte, insbe-
sondere der inzwischen berühmte § 9 a des Telekommu-
nikationsgesetzes, ist aus meiner Sicht der wichtigste
Punkt. Deshalb möchte ich mich darauf konzentrieren.
Worum geht es? Mit dem § 9 a setzen wir eine Verein-
barung des Koalitionsvertrages um.
(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]:
Das musste gesagt werden!)
Wir wollen, dass neue Märkte nur dann reguliert werden,
wenn andernfalls die Entwicklung eines nachhaltig wett-
bewerbsorientierten Marktes behindert wird.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD)
Wenn dann reguliert wird, sollen Innovationen und In-
vestitionen bei der Auferlegung der Maßnahmen berück-
sichtigt werden. Um dies zu verstehen, müssen wir uns
vor Augen führen, dass der Telekommunikationsmarkt
ein besonderer Markt ist, weil wir es hier mit ehemaligen
Monopolstrukturen zu tun haben. Wir brauchen Regulie-
rung, um den Zugang zu den Festnetzen zu öffnen und
Chancengleichheit und Wettbewerb überhaupt zu er-
möglichen.
Nun muss man allerdings unterscheiden: Für beste-
hende, das heißt alte Märkte ist dieses Grundprinzip
– wenn auch in unterschiedlicher Intensität – nach wie
vor notwendig und richtig. Wenn wir dieses Prinzip aber
einfach auf neue Märkte übertragen, dann wird doch
kein Unternehmen bereit sein, in neue Märkte zu inves-
tieren. Keiner wird bereit sein, Millionenbeträge in die
Hand zu nehmen, selbst aber das volle Risiko zu tragen,
wenn er diese Investitionen automatisch seinen Wettbe-
werbern zur Verfügung stellen muss, die ohne ein eige-
nes Risiko einfach davon profitieren. Das kann nicht
richtig sein.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Deshalb müssen wir uns darüber Gedanken machen
– und zwar schnell –, wie wir unser Innovationstempo
steigern. Genau dafür schafft der § 9 a Telekommunika-
tionsgesetz die Voraussetzung.
Unser Ziel ist also genauso einfach wie klar: Wir wol-
len, dass sich Investitionen lohnen, von wem auch im-
mer. Deshalb schaffen wir Anreize durch Freistellung
von der Regulierung. Die klare Bedingung dabei ist: Es
muss sich wirklich um etwas Neues handeln. Wir wollen
einen hochinnovativen Markt, in dem die besten Ideen
und Geschäftsmodelle belohnt werden. Wir geben den
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nternehmen das Signal: Zeigt uns, was ihr könnt, zeigt
ns eure Innovationen, dann bekommt ihr die Vorteile,
ie euch als Vorreiter zustehen! Denn es muss sich loh-
en, innovativ zu sein.
Jetzt kommt aber der entscheidende Punkt. Das gilt
ur, solange der Wettbewerb nicht behindert wird. Ge-
au das ist die Balance zwischen Innovations- und In-
estitionsanreizen und Wettbewerb. Diese Balance wol-
en und brauchen wir.
Deshalb will ich hier eines klarstellen: Niemand in
er Koalition, schon gar nicht die Union, hat die Ab-
icht, neue Monopole entstehen zu lassen.
(Dr. Rainer Wend [SPD]: Sehr gut!)
as ist absolut absurd. Wer das behauptet, hat den Ge-
etzentwurf einfach nicht verstanden.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
enn die Balance zwischen Investitionsanreizen und
ettbewerb, von der ich sprach, gilt für jedes auf dem
euen Markt mächtige Unternehmen. Heute kennen wir
ogischerweise nur Unternehmen, die auf bestehenden
ärkten mächtig sind. Wir wissen aber nicht, welche
nternehmen zukünftig auf neuen Märkten mächtig sein
erden. Dies ist ein Gesetz für Unternehmen, die neue
ärkte erschließen, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Es kann jetzt sehr wohl sein, dass das Gesetz schon
ald seinen ersten konkreten Anwendungsfall findet.
as würden wir natürlich begrüßen, weil das hieße, dass
n unserem Land Innovationen entstehen. Es könnte sein,
ass im Zusammenhang mit den VDSL-Investitionen
er Deutschen Telekom AG ein neuer Markt entsteht,
er dann natürlich von der Regulierung freigestellt
ürde. Das wird sich erweisen. Denn wie die neuen
ärkte konkret aussehen werden, welche Produkte also
us Sicht des Verbrauchers nicht substituierbar, also
icht austauschbar sind, kann niemand vorhersehen,
chon gar nicht die Politik. Aber das ist auch nicht un-
ere Aufgabe. Es ist die Aufgabe des Regulierers, dies
emeinsam mit der EU-Kommission im bewährten Ver-
ahren zu prüfen.
Für uns ist völlig klar, dass wir erst einmal abwarten
üssen, ob sich überhaupt ein neuer Markt entwickelt,
evor wir gleich mit der alten Regulierungskeule kom-
en. Das sieht die EU-Kommission genauso. In
rwägungsgrund 15 der Märkteempfehlung der Kom-
ission heißt es, dass „neue und sich abzeichnende
ärkte … grundsätzlich nicht für eine Vorabregulierung
n Betracht“ kommen. Auch die Monopolkommission
ieht das so. In ihrem Sondergutachten dazu heißt es,
ass neue Märkte zunächst von der Regulierung ausge-
ommen werden sollten.
Über die eine oder andere Formulierung des neuen
9 a im Telekommunikationsgesetz wird noch im Laufe
es Gesetzgebungsprozesses zu reden sein. Das Grund-
rinzip aber, die Balance zwischen Investitionsanreizen
nd Wettbewerb zu wahren, muss für mehr Dynamik in
nserem Land bestehen bleiben.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
5016 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
Dr. Martina Krogmann
Für unsere Debatte in den kommenden Wochen liegt
mir eines besonders am Herzen. Jenseits der Linien von
Opposition und Koalition dürfen wir einen Grundsatz
nicht aus den Augen verlieren: In der sozialen Markt-
wirtschaft ist staatliche Regulierung wegen ihres frei-
heitsbeschränkenden Charakters nicht der Normalfall,
sondern die zu begründende Ausnahme. Der sich selbst
tragende Wettbewerb, die Überführung der sektorspezi-
fischen Regulierung in das Wettbewerbsrecht muss un-
ser Ziel bleiben. Mit anderen Worten: Regulierung muss
sich schnellstmöglich selbst überflüssig machen.
An uns als Gesetzgeber liegt es, dafür den Rahmen so
zu setzen, dass dies auch geschieht. Deshalb ist es für
uns im Parlament ganz entscheidend, dass wir uns be-
reits im anstehenden Review-Prozess auf EU-Ebene
frühzeitig einmischen und darauf hinwirken, endlich
transparentere und dynamischere Prozesse zu erreichen,
die diese Zukunftsbranche in Deutschland und in Europa
insgesamt voranbringen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
In diesem Sinne freue ich mich auf eine weitere sach-
liche Debatte heute hier und in den kommenden Wo-
chen, in der es uns allen darum gehen sollte, in unserem
Land durch die richtigen Rahmenbedingungen Anreize
für Investitionen zu setzen und Innovationen zu be-
schleunigen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Das Wort hat der Kollege Hans-Joachim Otto, FDP-
Fraktion.
Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle-
gen! Die Reden der Frau Kollegin Dr. Krogmann hören
sich immer wieder schön an und enthalten viel Richti-
ges. Ich will mit den Punkten beginnen, in denen wir
übereinstimmen.
Wir stimmen völlig darin überein, dass es zwischen
Wettbewerbsfähigkeit und Innovationsbereitschaft eine
Balance geben muss. Wir sind uns weiterhin völlig einig
darüber, dass unsere zentrale Aufgabe darin besteht, ei-
nen sich selbst tragenden Wettbewerb zu erzeugen; denn
Wettbewerb ist immer noch der beste Kundenschutz und
der beste Wachstumsmotor.
Wir sind uns auch darin einig, dass es neue Märkte
gibt, die am Anfang von einer Regulierung freigestellt
werden müssen, damit die Pioniere ihren Pioniergewinn
auch wirklich erzielen können. Das ist eine europaweit
anerkannte Regelung und im Übrigen schon Praxis der
Bundesnetzagentur auf Grundlage des bestehenden Tele-
kommunikationsgesetzes.
Das große Manko der Rede von Dr. Krogmann ist,
dass sie ein bisschen vernebelt, worum es hier geht.
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(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Nein! –
Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Ich habe
gar nichts vernebelt!)
Doch. – Bei dem vorgesehenen § 9 a, der gegenüber
er Vorlage von vor zwei Jahren hinzugekommen ist,
eht es um nichts anderes als um Regulierungsferien für
ie Deutsche Telekom hinsichtlich ihres Produktes
DSL.
(Beifall des Abg. Matthias Berninger (BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Martina Krogmann
[CDU/CSU]: Darum geht es gerade nicht! Sie
haben es nicht verstanden, Herr Otto!)
Liebe Frau Kollegin Dr. Krogmann, ich erahnte diesen
wischenruf. Deswegen habe ich die Koalitionsverein-
arung mitgebracht. Darin steht schwarz auf weiß, dass
s darum geht, die breitbandigen Telekommunikations-
etze eine Zeit lang von Regulierungseingriffen freizu-
tellen.
(Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Sie ha-
ben doch gerade gesagt, dass Sie da zustim-
men!)
ir wissen doch ganz genau, wie das damals ablief. Die
eutsche Telekom AG hat öffentlich gefordert: Ihr
üsst VDSL freistellen, sonst investieren wir nicht. Das
st der Hintergrund.
(Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Wir ma-
chen doch nicht alles, was gefordert wird!)
Liebe Frau Kollegin Dr. Krogmann, ich könnte mir
orstellen, mit Ihnen gemeinsam in § 9 a eine Regelung
u verankern, nach der neue Märkte vorübergehend von
er Regulierung freigestellt werden, wenn § 9 a eine
lare Definition der neuen Märkte enthält.
(Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]:
Die gibt es doch längst!)
s reicht doch nicht, ein vorhandenes Netz ein bisschen
ufzurüsten, breitbandiger und schneller zu machen. Es
eht darum, dass wirklich neue Produkte entstehen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Ich habe mir die Mühe gemacht, einmal zu schauen,
as die Deutsche Telekom in ihren Broschüren in Sa-
hen Innovation VDSL anbietet: E-Learning, E-Govern-
ent – das haben wir alles schon. Durch VDSL wird
ichts wirklich Neues geschaffen. Es ist kein neues Pro-
ukt. Solange es kein neues Produkt gibt, kann es keine
egulierungsferien geben.
Sie haben gesagt: Überlassen wir es doch der Bundes-
etzagentur, festzustellen, was neue Märkte sind. Ich bin
ehr misstrauisch; denn der Koalitionsvertrag sieht aus-
rücklich einen Eingriff in den Wettbewerb vor, indem
DSL freizustellen ist. Es gibt Abhängigkeiten.
(Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]:
Haben wir doch gar nicht!)
Im Koalitionsvertrag steht das drin. – Das ist der Hin-
ergrund. Wir sollten ehrlich miteinander umgehen. Es
eht darum, VDSL freizustellen, damit den Zugang der
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 5017
(A) )
)
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Telekom zum Markt zu sichern, die letzte Meile vom
Wettbewerb freizuhalten, der Telekom den ihr lästigen
Wettbewerb vom Hals zu halten. Das ist der entschei-
dende Punkt.
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Nein!)
Wir sind mit vielen Intentionen des Telekommunika-
tionsgesetzes einverstanden. Wir sind mit den Entschädi-
gungsregelungen einverstanden, wobei wir noch darüber
reden müssen, dass der Bundesrat sie aus dem Gesetz
nehmen will. Wir sind uns einig darin, dass vernünftige
Kundenschutzbestimmungen geschaffen werden müs-
sen, die nicht überzogen sind. Wir sind uns auch einig
darin, dass faire Entschädigungsregelungen vorgesehen
werden müssen. Wir sind uns weiter einig darin, dass wir
einen sich selbst tragenden Wettbewerb brauchen. Ein-
griffe aber, die durch den Koalitionsvertrag zugunsten
eines sehr marktstarken und staatlich beeinflussten Un-
ternehmens getroffen werden, sind nicht marktkonform.
Sie haben im Übrigen vergessen, mitzuteilen, dass die
EU-Kommission genau meiner Meinung ist. Das ist ein
Eingriff in den Markt. Sie hat uns mit einem Marktver-
letzungsverfahren gedroht.
Frau Krogmann, ich habe meine Rede weggelegt und
das Gespräch mit Ihnen aufgenommen. Wir befinden uns
an einem entscheidenden Punkt. In dem Grundsatz stim-
men wir überein: Wir wollen Wettbewerb. Angesichts
dessen sollten wir in § 9 a eine Formulierung finden, die
nicht ein einzelnes Unternehmen, eine einzelne techni-
sche Aufrüstung privilegieren soll, sondern nur tatsäch-
lich neue Märkte und Produkte. Alles andere wäre Prote-
gierung eines Staatsunternehmens. Das kann nicht unser
Ziel sein.
(Beifall bei der FDP)
Wer Wettbewerb will, der kann staatlich beeinflussten
Unternehmen keine Regulierungsferien gewähren. Das
ist die Kernaussage.
In der Tat: Das ist der entscheidende Punkt, von dem
abhängt, ob die FDP-Fraktion sich letztlich für dieses
Gesetz aussprechen wird oder nicht. Wenn Sie bereit
sind, § 9 a so anzupassen, dass klargestellt wird, neue
Märkte heißt neue Produkte, dann werden wir uns einig.
(Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Muss
man aber nicht, weil es Bestand des Wettbe-
werbsrechts ist!)
Wenn Sie aber zugunsten der Deutschen Telekom AG
eine Sonderregelung schaffen wollen, dann werden wir
diesen Weg im Interesse eines sich selbst tragenden
Wettbewerbes nicht mitgehen können.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Martin
Dörmann.
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Martin Dörmann (SPD):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
ollegen! Der Bereich der Telekommunikation zählt zu
en dynamischsten Wirtschaftszweigen. Er ist ein wich-
iger Motor für Innovation und Wachstum in Deutsch-
and. Wir als Verbraucherinnen und Verbraucher profi-
ieren hiervon, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Neue
rodukte und Anwendungen bereichern unsere Le-
ensalltag. Zudem freuen wir uns über sinkende Tele-
onpreise aufgrund des funktionierenden Wettbewerbs.
ie SPD will, dass dies so bleibt und dass die Erfolgsge-
chichte der Telekommunikation in Deutschland fortge-
chrieben wird.
(Beifall bei der SPD)
iesem übergeordneten Ziel dient der Gesetzentwurf der
undesregierung. Er stärkt den Verbraucherschutz und
ill die Rahmenbedingungen für zusätzliche Investitio-
en und Innovationen verbessern.
Lassen Sie mich zunächst auf die Gesichtspunkte des
erbraucherschutzes eingehen. Von einem funktionie-
enden Verbraucherschutz profitieren nicht nur die
unden. Auch die Telekommunikationsunternehmen
erden ihre Produkte nur dann dauerhaft und erfolgreich
latzieren können, wenn die Menschen wissen, dass sie
icht abgezockt werden. Es ist gut, dass die Branche ins-
esamt dies erkannt hat und Verbraucherschutz durch
elbstverpflichtungen umsetzt. Dennoch bedarf es klarer
esetzlicher Regelungen, um schwarzen Schafen von
nfang an keine Chance zu geben und die Kunden vor
bervorteilung und Verschuldung zu schützen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Unter diesen Gesichtspunkten werden wir im neuen
elekommunikationsgesetz bereits bestehende Kunden-
chutzregelungen neuen Geschäftsmodellen anpassen
nd sie weiter verbessern. Wir wollen mehr Preistrans-
arenz, mehr Kostenkontrolle und Jugendschutz. Die
egelungen reichen beispielsweise von Preisobergren-
en und Preisansagepflichten bei Mehrwertdiensten bis
in zu einem besseren Zugang behinderter Menschen zu
elekommunikationsleistungen.
(Otto Fricke [FDP]: Menschen mit Behinde-
rungen!)
Ich möchte einen zweiten Punkt erwähnen, der bis-
ang weniger im Fokus der öffentlichen Debatte steht,
ir aber dennoch wichtig ist. Es geht um die Entschädi-
ung von Unternehmen, die im Rahmen von strafrecht-
ichen Ermittlungsarbeiten in Anspruch genommen wer-
en, indem sie den Behörden bestimmte Daten zur
erfügung stellen. Dadurch entstehen den Unternehmen
icht unerhebliche Kosten. Der Gesetzentwurf der Bun-
esregierung sieht hierzu eine vernünftige Regelung zur
esetzlichen Anknüpfung der noch zu beschließenden
erordnung an das TKG vor.
Im Hinblick auf die im nächsten Jahr anstehende ge-
etzliche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung haben
ie Koalitionsfraktionen bereits im Bundestagsbeschluss
om 16. Februar dieses Jahres deutlich gemacht, dass
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5018 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
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Martin Dörmann
wir eine angemessene Entschädigung der Unternehmen
sicherstellen werden. Dies will ich noch einmal bekräfti-
gen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
In der aktuellen Debatte hat die Frage, ob und inwie-
weit neue Märkte im Bereich der Telekommunikation
reguliert werden sollen, eine besondere Bedeutung. Im
Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD darauf ge-
einigt, insbesondere Anreize für den Aufbau bzw. Ausbau
moderner und breitbandiger Telekommunikationsnetze
zu schaffen. Zu diesem Zweck sollen entsprechende In-
vestitionen für einen gewissen Zeitraum von Regulie-
rungseingriffen freigestellt werden, um dem Investor die
notwendige Planungssicherheit zu geben.
(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Was
ist der neue Markt?)
Dies soll jedoch nur für solche Investitionen gelten,
durch die neue Märkte entstehen. Herr Kollege Otto, es
handelt sich nicht um eine Lex Telekom,
(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Ich er-
innere an die Koalitionsvereinbarung!)
sondern um ein Gesetz, das wir allgemein gültig formu-
lieren müssen und das entsprechende Anforderungen
enthält.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU – Hans-Joachim Otto [Frank-
furt] [FDP]: Jetzt lügen wir uns nicht in die Ta-
sche!)
Ganz wichtig ist, dass es keinesfalls darum geht, Re-
gulierung prinzipiell infrage zu stellen.
Im Gegenteil, gerade die Regulierung im Telekom-
munikationsmarkt war und ist eine echte Erfolgsge-
schichte. Die gesetzlich verankerten Maßnahmen der
Regulierungsbehörde, also der Bundesnetzagentur, ha-
ben in entscheidendem Maße dazu beigetragen, dass wir
im Telekommunikationsmarkt einen funktionierenden
Wettbewerb haben, durch den die Kunden erheblich pro-
fitieren, insbesondere durch dramatisch gesunkene
Preise für das Telefonieren oder für das Surfen im Inter-
net.
(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Dann
brauchen wir doch nicht einzugreifen!)
Dennoch sind die Umsatzerlöse im TK-Bereich seit
Beginn der Liberalisierung deutlich gestiegen, nicht zu-
letzt deshalb, weil Innovationen und neue Produkte hin-
zugekommen sind. Der Wettbewerb funktioniert also
und wir wollen ihn erhalten.
(Otto Fricke [FDP]: Dann darf man auch keine
Ausnahme machen!)
Gerade weil die Regulierung in Deutschland jedoch
so erfolgreich ist, gibt es an einer anderen Stelle ein Pro-
blem, über das wir reden müssen, nämlich bei einem
neuen, gerade erst entstehenden Markt, der zunächst
hohe Investitionen in neue Infrastrukturen erfordert.
Hier ist das Gleichgewicht zwischen dem Risiko einer-
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eits und dem möglichen Ertrag für das Unternehmen
ndererseits fraglich. Für das investierende Unterneh-
en lohnt sich das Investment möglicherweise nicht,
enn es sofort reguliert wird. Denn Regulierung bedeu-
et erheblich geringere Möglichkeiten, für ein neues Pro-
ukt einen guten Preis zu erzielen. In einem neuen Markt
iegt das spezifische Investitionsrisiko gerade darin, dass
ich die Akzeptanz der neuen Produkte erst erweisen
uss und sich nur schwer abschätzen lässt.
(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Wo
sind denn die neuen Produkte?)
ies kann letzten Endes den Vorteil einer solchen Inves-
ition von vornherein infrage stellen. Die Konsequenz
äre – ich weiß nicht, ob Sie das wollen –: Das Unter-
ehmen investiert gerade nicht und es entstehen keine
euen Arbeitsplätze.
Diese Folge gilt es zu vermeiden. Aus diesem Grunde
ieht bereits der europäische Rechtsrahmen vor, dass in
ereichen neuer Märkte zunächst nicht reguliert wird,
m Investitionen nicht zu behindern. Ich finde es schade,
ass das in der öffentlichen Diskussion und leider auch
on manchen Diskutanten, Herr Otto, übersehen wird.
Genau darum geht es im Gesetzentwurf der Bundes-
egierung. Der neue § 9 a des TKG sieht vor, dass neue
ärkte nur dann in die Marktregulierung einbezogen
erden sollen, wenn ansonsten ein nachhaltig wettbe-
erbsorientierter Markt langfristig behindert würde. Da-
it ist das Spannungsverhältnis, um das es hier geht, be-
chrieben.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Kollege, wären Sie mit einer Zwischenfrage des
ollegen Fricke einverstanden?
Martin Dörmann (SPD):
Gerne.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Bitte schön.
Otto Fricke (FDP):
Herr Kollege, ich gestehe Ihnen ja zu, dass Sie Gutes
ollen. Aber weil Sie wiederholt die Begriffe „neue Pro-
ukte“ und „neue Märkte“ verwendet haben – bei den
euen Märkten kann ich mich Ihnen sogar vollkommen
nschließen –, frage ich ausdrücklich: Wo grenzen Sie
wischen einem neuen Produkt und einem neuen Markt
b? Ist für Sie zum Beispiel VDSL ein neues Produkt
der eröffnet es gleichzeitig auch einen neuen Markt?
Martin Dörmann (SPD):
Herr Kollege, ich bin für die Zwischenfrage dankbar.
(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Ver-
längert die Redezeit!)
ir wollen nicht nur Gutes, wir tun auch Gutes.
Die Frage, die Sie stellen, wird nicht der Gesetzgeber
lleine zu entscheiden haben, sondern wir werden in der
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 5019
(A) )
(B) )
Martin Dörmann
Regulierungsbehörde am Ende auch eine Entscheidung
zu treffen haben. Wir werden uns als Gesetzgeber sicher-
lich der Diskussion stellen müssen, inwieweit wir bei-
spielsweise definieren müssen, was neue Märkte sind.
Aber das muss, wenn wir darüber überhaupt diskutieren,
technikneutral sein. Es kann nicht einzig und allein auf
den Einzelfall bezogen sein. Deshalb stellt sich diese
konkrete Frage im laufenden Gesetzgebungsverfahren in
einem bestimmten Licht, sicherlich aufgrund aktueller
Ereignisse; aber der Gesetzgeber muss eine Regelung
finden, die allgemein gültig ist.
(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Kön-
nen wir den neuen Markt denn noch präzisie-
ren?)
Ich komme auf diesen Gesichtspunkt übrigens gleich
noch einmal zu sprechen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Ich habe gerade gesagt, dass das Spannungsverhält-
nis, um das es hier geht, in § 9 a beschrieben ist. Einer-
seits sollen Investitionen in eine effiziente Infrastruktur
gefördert und Innovationen unterstützt werden. Anderer-
seits darf eine hieraus folgende Regulierungsfreistellung
nicht dazu führen, den Wettbewerb auf Dauer auszuhe-
beln. Wir werden im weiteren Gesetzgebungsverfahren
zu prüfen haben, ob diese beiden Ziele durch die vorlie-
gende Gesetzesformulierung schon optimal umgesetzt
sind oder ob es im Detail noch Änderungsbedarf gibt.
Folgende Fragestellungen sollten hierbei aus meiner
Sicht berücksichtigt werden – das ist speziell an die FDP
gerichtet, deren Mitglieder sich gerade unterhalten –:
(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Nein,
ich lausche!)
Was ist erforderlich, damit Deutschland hinsichtlich der
technischen Möglichkeiten nicht hinter vergleichbaren
Staaten zurückbleibt und alle Potenziale für Innovatio-
nen wirklich genutzt werden? Wie stellen wir im Bereich
neuer Märkte sicher, dass Investitionen nicht allein des-
halb unterbleiben, weil durch eine zu frühzeitige Regu-
lierung die notwendige Berechenbarkeit für das investie-
rende Unternehmen von vornherein nicht gegeben ist?
Ist es sinnvoll, den Begriff des neuen Marktes tech-
nikneutral gesetzlich zu definieren, um die Planungssi-
cherheit zu erhöhen?
(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Aha!
So ist das also!)
Schließlich: Mit welcher Regelung können wir einerseits
dem europäischen Rechtsrahmen genügen und anderer-
seits nachteilige Auswirkungen auf den Wettbewerb in
den bereits bestehenden Märkten vermeiden?
(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das
waren also die Fragen! Und was ist mit den
Antworten?)
Um diese und andere Fragen wird es im parlamentari-
schen Verfahren der nächsten Wochen und in der hierzu
vorgesehenen Anhörung gehen. Ich lade alle Kollegin-
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(D
en und Kollegen, auch die von der FDP, ein, daran teil-
unehmen.
(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das
werden wir tun! Keine Sorge!)
ch denke, wir werden interessante Diskussionen führen.
Wir als Regierungskoalition sind uns unserer Verant-
ortung sowohl für die technische als auch für die wett-
ewerbliche Entwicklung bewusst und werden sie wahr-
ehmen. Ich bin davon überzeugt, dass es uns letztlich
elingen wird, sowohl im Hinblick auf die Verbrau-
herthemen als auch hinsichtlich der Regulierung einen
uten Gesetzentwurf zu verabschieden – im Sinne von
ehr Innovationen, Wachstum und Beschäftigung, im
inne eines weiterhin funktionierenden Wettbewerbs auf
em Telekommunikationsmarkt und im Interesse der
erbraucherinnen und Verbraucher.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Die Kollegin Ulla Jelpke hat ihre Rede zu Protokoll
egeben.1)
(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Oh,
wie schade! – Ernst Burgbacher [FDP]: Wie
ärgerlich! Ich bin extra hier geblieben! –
Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Immer diese
Arbeitsverweigerer von der Opposition!)
Ich erteile dem Kollegen Matthias Berninger,
ündnis 90/Die Grünen, das Wort.
(Ernst Burgbacher [FDP]: Na, wenigstens er!)
Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser
esetzentwurf enthält eine ganze Reihe von Punkten,
ie sich mit Fragen des Verbraucherschutzes beschäfti-
en, die heute Abend nicht im Mittelpunkt der Diskus-
ion standen. Ich will allerdings anmerken, dass es im
esetzgebungsverfahren erklärungsbedürftig ist, warum
erbraucherschutzvorschriften, die für ein Telefonat aus
em Festnetz gelten, nicht in gleicher Weise für Telefo-
ate mit dem Mobiltelefon gelten sollen. Ich glaube,
ass das weder unter Gesichtspunkten des Verbraucher-
chutzes noch in Anbetracht des für die Entwicklung der
ärkte sehr wichtigen Themas Verbrauchervertrauen ein
luger Gedanke ist. Über diese Fragen werden wir im
uge der Anhörung ausführlich diskutieren.
Ich würde gern auf die Regulierungsferien des § 9 a
es Telekommunikationsgesetzes zu sprechen kommen.
elbstverständlich haben Sie eine Menge Druck ge-
riegt, seitdem Sie den Koalitionsvertrag de facto zu ei-
em Telefonbuch gemacht haben,
(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN)
Anlage 2
5020 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
Matthias Berninger
in dem für die Deutsche Telekom eine ganze Seite reser-
viert wurde,
(Dr. Rainer Wend [SPD]: Habt ihr auf dem
Dorf so kleine Telefonbücher?)
um ihre Wettbewerber vom Markt auszuschließen. Da-
her ist Ihre Beschreibung des § 9 a TKG zurückhaltender
geworden. Die sehr kritischen Anmerkungen der Wett-
bewerber und der EU-Kommission sowie die Äußerun-
gen von Chefregulierer Matthias Kurth, der ansonsten
immer sehr gelobt wird, haben durchaus Spuren bei Ih-
nen hinterlassen.
Ich will dieses Thema von einer ganz anderen Warte
aufziehen. In Frankreich investieren die Wettbewerber
des dortigen ehemaligen Monopolisten in diese neue
Technologie.
(Klaus Barthel [SPD]: Daran hindert in
Deutschland niemand!)
– Jetzt kommt der Zuruf: „Daran hindert in Deutschland
niemand!“ Aber selbstverständlich! Seitdem Sie in Ihren
Koalitionsverhandlungen über die Lex Telekom disku-
tiert haben,
(Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Das ist
keine Lex Telekom! Sie haben es auch nicht
verstanden, Herr Berninger!)
sind die Wettbewerber der Telekom – zum Beispiel
Hanse Net, das Unternehmen, das eine große Investition
in Hamburg getätigt hat, und andere – massiv ins Hinter-
treffen geraten. Für sie ist das Risiko, zu investieren
– anders als in anderen europäischen Ländern –, viel zu
groß. Das ist unser Problem.
Ich glaube, dass die Telekom, selbst wenn sie keine
Regulierungsferien erhalten würde, durch Ihr Verhalten
eineinhalb, zwei oder sogar zweieinhalb Jahre Vorsprung
im Wettbewerb bekommen hat. Dieses Geschenk haben
Sie auf dem Silbertablett serviert. Die Verbraucherinnen
und Verbraucher werden es mit schlechtem Service und
überhöhten Preisen zu bezahlen haben. Man muss kein
Prophet sein, um diese Entwicklung vorherzusehen.
Wir brauchen schnelle Internetverbindungen. Deutsch-
land ist, was die Breitbandigkeit angeht, noch lange nicht
vorne. Insbesondere in den ländlichen Räumen sind noch
einige Verbesserungen möglich.
(Klaus Barthel [SPD]: Wer hat denn an dieser
Stelle reguliert? – Ernst Burgbacher [FDP]: Oh
ja!)
Das Problem ist, dass Sie an einer Stelle, an der man Zu-
kunftsmärkte fördern und die Wettbewerber zu Investi-
tionen ermutigen könnte, der Telekom permanent den
Teppich ausrollen. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn
es um die Frage geht, ob die alte Infrastruktur der Bun-
despost, die leeren Rohrleitungen, auch für Wettbewer-
ber nutzbar sein soll oder ob Wettbewerber bei der In-
stallation neuer Gerätschaften,
(Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Darum
geht es gar nicht!)
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(D
tatt komplett neue Leitungen zu legen – Beispiel Strom
, Unterstützung durch eine wettbewerbsfreundliche Po-
itik bekommen sollen.
Überall hinterlässt die Koalition Spuren mit dem Er-
ebnis, dass Magenta die Farbe der Wahl ist,
(Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Das ist wirk-
lich schade, Herr Berninger! Echt niveaulos!)
ass also die Telekom den gesamten Markt beherrschen
oll. Das wird im Rahmen der Anhörung deutlich wer-
en. Sowohl Ihr Kopfschütteln als auch Ihre Zwischen-
ufe bestärken mich darin, dass ich Recht habe. Genau
as haben Sie vor. Das steht in Ihrem Programm.
(Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Gucken
Sie lieber mal ins Gesetz!)
ie Interessenvertreter aus diesem Bereich geben das so-
ar relativ offen zu. Daher sollten Sie sich nicht zu stark
eschweren.
(Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Ich bin
wirklich enttäuscht! Ich dachte, Sie hätten die
Gesetzentwürfe gelesen!)
Wir werden alles tun, um, wie es im europäischen
inne ist, auch in Deutschland gerade bei der neuen
echnik Wettbewerb auf dem Telekommunikationssek-
or zu gewährleisten, weil wir glauben, dass mehr Wett-
ewerber eine bessere Infrastruktur schaffen werden als
in Monopolist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
ahinter steht der Glaube an Wettbewerb, ein Glaube,
er in der großen Koalition, zumindest was den Tele-
ommunikationssektor angeht, nicht verbreitet ist. Wenn
ie Ihre Linie durchsetzen, werden Sie in ein paar Jahren
m Telekommunikationssektor wie jetzt im Energie-
ektor mit schwierigen, komplexen Vorgehensweisen die
ontrolle der Monopolisten über die Netze wieder zu-
ückführen müssen. Die Konsequenz wäre, dass wir in
er Zwischenzeit im internationalen Vergleich bezogen
uf die Größe der Bevölkerung weniger Anschlüsse ha-
en und dass die Verbraucherinnen und Verbraucher so
ange für das schlechtere Angebot den höheren Preis zu
ezahlen haben.
(Klaus Barthel [SPD]: Wie kann das sein, wo
es die Regulierungsbehörde noch gar nicht
gibt?)
as schadet am Ende der Entwicklung dieses Zukunfts-
arktes. Noch gibt es solche Regulierungsferien nicht.
ber wenn es die Opposition nicht gäbe und die EU-
ommission nicht und keine Wettbewerber, hätten Sie
eimlich, still und leise den ganzen Weg schon längst
agentafarben gepflastert. Das wissen Sie sehr genau,
ollege Barthel, deswegen ärgern Sie sich ja auch.
Ich danke für die Aufmerksamkeit zur späten Stunde.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Ich är-
gere mich über Sie, dass Sie mit so wenig
Sachverstand über ein so bedeutendes Thema
reden!)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 5021
(A) )
(B) )
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/2581, 16/1519 und 16/2625 an die
in der Tagesordnung vorgesehenen Ausschüsse vorge-
schlagen. – Damit sind Sie offenbar einverstanden. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b auf:
16 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Martin
Zeil, Frank Schäffler, Rainer Brüderle, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Keine Vorzugsbehandlung der Deutschen
Post AG bei der Umsatzsteuer
– Drucksache 16/676 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias
Berninger, Alexander Bonde, Dr. Thea Dückert,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Mehr Wettbewerb bei der Post
– Drucksache 16/838 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt sind zu
Protokoll gegeben.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/676 und 16/838 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Da-
mit sind Sie offenbar auch einverstanden. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Marie-
Luise Dött, Katherina Reiche (Potsdam), Michael
Brand, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dirk
Becker, Marco Bülow, Petra Bierwirth, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Integriertes Küstenzonenmanagement konti-
nuierlich fortentwickeln
– Drucksache 16/2502 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
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1) Anlage 3
2)
3)
4)
(C
(D
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
Auch hierzu sind die Redebeiträge zu Protokoll gege-
en.2)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
rucksache 16/2502 an die in der Tagesordnung vorge-
ehenen Ausschüsse vorgeschlagen. – Auch damit sind
ie einverstanden. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Sevim Dagdelen, Dr. Hakki Keskin, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Auswirkungen des Zuwanderungsgesetzes
sofort evaluieren
– Drucksache 16/1204 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Auch hierzu sind die Redebeiträge zu Protokoll gege-
en3) und es wurde verabredet, die Vorlage auf
rucksache 16/1204 an die in der Tagesordnung aufge-
ührten Ausschüsse zu überweisen. – Damit sind Sie ein-
erstanden. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Überstellungsausführungsgesetzes
und des Gesetzes über die internationale
Rechtshilfe in Strafsachen
– Drucksache 16/2452 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Hierzu sind die Redebeiträge ebenfalls zu Protokoll
egeben.4)
Interfraktionell ist verabredet, den Gesetzentwurf auf
rucksache 16/2452 an den Rechtsausschuss zu über-
eisen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht
er Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm,
Undine Kurth (Quedlinburg), Ulrike Höfken,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
5022 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) (C)
(B) )
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
UN-Moratorium für die Grundschleppnetzfi-
scherei auf der Hohen See durchsetzen
– Drucksachen 16/1151, 16/2565 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Franz-Josef Holzenkamp
Holger Ortel
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Cornelia Behm
Hierzu sind die Redebeiträge ebenfalls zu Protokoll
gegeben.1)
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz auf Drucksache 16/2565 zu dem Antrag der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel
„UN-Moratorium für die Grundschleppnetzfischerei auf
der Hohen See durchsetzen“. Der Ausschuss empfiehlt,
den Antrag auf Drucksache 16/1151 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Damit ist die Beschlussemp-
fehlung mit den Stimmen der Koalition und der FDP ge-
gen die Stimmen der Linksfraktion und von Bündnis 90/
Die Grünen angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspun
Beratung des Antr
Dr. Reinhard Loske, K
Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Kfz-Steuer klimafreundlich reformieren –
CO2-Ausstoß und Verbrauch als Bemessungs-
grundlage
– Drucksache 16/2073 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Auch hierzu sind die Reden zu Protokoll gegeben2)
und es wird Überweisung der Vorlage auf Druck-
sache 16/2073 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie einverstan-
den. Dann ist so beschlossen.
Damit sind wir am Schluss der heutigen Tagesord-
nung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 22. September 2006,
11 Uhr, ein.
en Einsichten! Ich wün-
d.
5 Uhr)
1) Anlage 7
Berichtig
49. Sitzung, Seite IV, Anlage
ist „Michael Brand“ zu lesen.
(D
ung
4, statt „Helmut Brandt“
kt 21 auf:
ags der Abgeordneten
erstin Andreae, Cornelia
Genießen Sie die gewonnen
sche Ihnen einen schönen Aben
Die Sitzung ist geschlossen.
(Schluss: 20.0
2) Anlage 8
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 5023
(A) )
(B) )
zwei Funkmasten möglich. Gerade in BallungszentrenZypries, Brigitte SPD 21.09.2006
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
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Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
21.09.2006
Bär, Dorothee CDU/CSU 21.09.2006
Bellmann, Veronika CDU/CSU 21.09.2006
Dr. Bergner, Christoph CDU/CSU 21.09.2006
Bluhm, Heidrun DIE LINKE 21.09.2006
Eichel, Hans SPD 21.09.2006
Ernst, Klaus DIE LINKE 21.09.2006
Dr. Friedrich (Hof),
Hans-Peter
CDU/CSU 21.09.2006
Hilsberg, Stephan SPD 21.09.2006
Kühn-Mengel, Helga SPD 21.09.2006
Nešković, Wolfgang DIE LINKE 21.09.2006
Nitzsche, Henry CDU/CSU 21.09.2006
Polenz, Ruprecht CDU/CSU 21.09.2006
Roth (Augsburg),
Claudia
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
21.09.2006
Rupprecht
(Tuchenbach),
Marlene
SPD 21.09.2006
Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 21.09.2006
Schily, Otto SPD 21.09.2006
Dr. Schily, Konrad FDP 21.09.2006
Dr. Schwall-Düren,
Angelica
SPD 21.09.2006
Steppuhn, Andreas SPD 21.09.2006
Stiegler, Ludwig SPD 21.09.2006
Dr. Westerwelle, Guido FDP 21.09.2006
(C
(D
Anlagen zum Stenografischen Bericht
nlage 2
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung der Entwürfe:
– Gesetz zur Änderung telekommunikations-
rechtlicher Vorschriften
– Gesetz zur Änderung des Telekommunika-
tionsgesetzes
und des Antrags: Mehr Wettbewerb und Ver-
braucherschutz auf dem Telekommunikations-
markt
(Tagesordnungspunkt 15 a und b und Zusatz-
tagesordnungspunkt 10)
Ulla Jelpke (DIE LINKE): Die Bundesregierung will
ie rechtlichen Grundlagen schaffen, um Mobilfunk-
locker in Gefängnissen einzuführen. Die Fraktion Die
inke ist aus grundsätzlichen Erwägungen gegen dieses
orhaben.
Wir halten nichts davon, Gefangenen zu verbieten,
andygespräche zu führen. Sinn und Zweck von Ge-
ängnisstrafen soll es sein, Straftäter zu resozialisieren.
ei allen Mängeln in der Praxis: An diesem Anspruch
uss sich der Strafvollzug messen lassen. Und wenn
an Gefangene so weitgehend wie irgend möglich iso-
iert, wird man diesem Zweck nicht gerecht. Auch Ge-
angene müssen die Chance haben, Kontakt zu Men-
chen außerhalb der Haftanstalt zu halten. Dazu gehören
uch Telefongespräche. Wie anders soll Resozialisierung
unktionieren?
Grundsätzliche Einwände haben wir auch dagegen,
ntersuchungsgefangenen generell Mobiltelefone zu
erbieten. Wir müssen hier genau differenzieren: Es mag
ei Verdunkelungsgefahr Gründe geben, Telefongesprä-
he einzuschränken, aber wo es diese Gefahr nicht gibt,
uss und darf man auch keine Handys verbieten. Bei
ntersuchungshäftlingen gilt schließlich die Unschulds-
ermutung. Eine solche Klarstellung fehlt im Gesetzent-
urf.
Begründet wird das Handyverbot damit, es diene der
icherheit der Haftanstalt und solle kriminelle Aktivitä-
en von Gefangenen unterbinden. Auch hier muss ich sa-
en: Für diese Zwecke generell Mobiltelefone zu verbie-
en, ist unverhältnismäßig. Man darf nicht jedem
trafgefangenen unterstellen, er würde sofort neue Straf-
aten anzetteln, wenn er ein Telefon in die Hand be-
ommt. Gefangene wurden für eine bestimmte Straftat
erurteilt, bei allen weiteren Vorwürfen gilt auch bei ih-
en die Unschuldsvermutung.
Es gibt noch ein ganz anderes, nämlich technisches
roblem. Niemand kann garantieren, dass Blockaden
on Funkfrequenzen wirklich nur innerhalb der Gefäng-
ismauern wirken. Das stellt der Gesetzentwurf einfach
alsch dar. Das so genannte jamming ist nur zwischen
5024 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
würde man den Mobilfunkverkehr in der Umgebung von
Gefängnissen beeinträchtigen.
Nehmen Sie die Untersuchungshaftanstalt in Berlin-
Moabit. Auf der einen Seite ist ein Park, aber auf der an-
deren Seite stehen Wohnhäuser. Und, noch schöner: Di-
rekt neben dem Gefängnis ist das Kriminalgericht. Rich-
ter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte könnten nicht
mehr telefonieren, von Hunderten von Anwohnern oder
einfach nur Passanten ganz zu schweigen. Ich kann mir
nicht so recht vorstellen, dass die Bundesregierung das
wirklich will.
Der Gesetzesentwurf ist schlicht unreif, er ist nicht
durchdacht – sowohl was die juristische Seite angeht als
auch die technische Umsetzung.
Einen Punkt will ich noch ansprechen, der nun verfas-
sungsrechtlich höchst bedenklich ist. Die Bundesregie-
rung fordert eine generelle Öffnungsklausel im Telekom-
munikationsgesetz, um das jamming zu ermöglichen. Die
Länder könnten dann entscheiden, wo und wann sie von
diesen Möglichkeiten Gebrauch machen. Als mögliche
Einsatzorte werden Fußballstadien und Großveranstal-
tungen genannt. Im Blickfeld sind natürlich auch De-
monstrationen. Wenn die Polizei verhindern will, dass
Demonstranten telefonieren, dann wird der Schalter um-
gelegt. So kann die Demoleitung nicht mehr mit der
Presse kommunizieren. Polizeiübergriffe wären dann
noch einfacher.
Ich sehe darin ein weiteres Beispiel dafür, wie sehr
die Kontroll- und Überwachungsfantasien der Bundesre-
gierung angeschwollen sind. Mit dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit und mit den Werten unserer Verfas-
sung hat das nichts mehr zu tun.
Wir brauchen solche einschränkenden Gesetze nicht.
Zu den Freiheitsrechten gehört auch die Freiheit, zu tele-
fonieren, und das soll so bleiben!
Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
– Keine Vorzugsbehandlung der Deutschen
Post AG bei der Umsatzsteuer
– Mehr Wettbewerb bei der Post
(Tagesordnungspunkt 16 a und b)
Manfred Kolbe (CDU/CSU): Wir sprechen heute
über zwei Anträge, einer von der FDP-Fraktion und ei-
ner von der Fraktion der Grünen, die sich kritisch mit der
Umsatzsteuerbefreiung der Deutschen Post auseinander
setzen.
In ihrem Antrag auf Drucksache 16/676 fordert die
FDP die Aufhebung der Umsatzsteuerbefreiung der Post
für Universaldienstleistungen. Ziel ihres Antrages sei es
die Wettbewerbsgleichheit zu sichern. Mit ihrem Antrag
fordern die Grünen die Bundesregierung ebenfalls auf,
die Umsatzsteuerbefreiung unverzüglich aufzuheben.
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Wie man den Anträgen entnehmen kann, sind beiden
ntragstellern der Wegfall des Briefmonopols zum Ende
es Jahres 2007 und damit das Ende der Umsatzsteuer-
efreiung bekannt. Sie meinen, mit ihren heutigen Bei-
rägen einen wesentlichen Beitrag zum Wettbewerb in
eutschland leisten zu können. Sie beantragen jedoch,
ie Bevorzugung bei der Umsatzsteuer schon vor 2008
u unterbinden. Des Weiteren fordern sie die Bundes-
egierung auf, neue Formen der Briefbeförderung für an-
ere Anbieter mit kostengünstigen Laufzeiten zu schaf-
en. In Pilotprojekten soll der Universaldienst schon vor
008 geöffnet werden.
Zunächst möchte ich Ihnen die postalische und um-
atzsteuerrechtliche Lage erläutern. Die Deutsche
ost AG genießt eine so genannte Exklusivlizenz. Diese
einhaltet, dass die Post das exklusive Recht hat, Briefe
nd Kataloge unter einem Gewicht von 50 Gramm zu
efördern. Die FDP-Fraktion gibt die Lizenz irrtümlich
och mit 200 Gramm an; die Exklusivlizenz wurde be-
eits zum 1. Januar dieses Jahres per Gesetz abgesenkt.
llerdings sind mir wie sicherlich auch Ihnen neben der
ost Unternehmen bekannt, die Briefe unter 50 Gramm,
ie eigentlich in die Exklusivlizenz fallen, befördern.
ies ist darauf zurückzuführen, dass die Bundesnetz-
gentur Lizenzen an Unternehmen vergibt, die Briefe
ualitativ hochwertiger als die Post versenden. An dieser
telle hat sich der Markt also schon geöffnet.
Briefe und Pakete über 200 Gramm dürfen dagegen
uch von Konkurrenzunternehmen der Deutschen Post
efördert werden. Diese werden auch als Universal-
ienstleistungen bezeichnet.
Da der Hauptsitz der Deutschen Post AG in Nord-
hein-Westfalen liegt, ist für die Besteuerung der Deut-
chen Post AG das Finanzministerium des Landes Nord-
hein-Westfalen zuständig. Um Wettbewerbsvorteile zu
ermeiden, sprach sich das Finanzministerium NRW ge-
en eine Befreiung der Umsatzsteuer für die Deutsche
ost AG aus, soweit Universaldienstleistungen betroffen
aren. Darüber setzte sich jedoch die frühere rot-grüne
undesregierung hinweg. Sie gestattete der Post nicht
ur die Exklusivlizenz, sondern erwirkte auch einen
msatzsteuererlass für Universaldienstleistungen der
eutschen Post. Anlass dafür war übrigens der Börsen-
ang der Deutschen Post AG im Jahr 2000, der offenbar
efördert werden sollte.
Bereits 2002 kam die Umsatzsteuerbefreiung negativ
n die Schlagzeilen, durch eine Rüge vom Bundesrech-
ungshof an das Bundesfinanzministerium. Mittlerweile
ahnt auch die Europäische Kommission ein Überden-
en der Befreiung an und droht zudem mit einem Ver-
ragsverletzungsverfahren. Sie fordert die betreffenden
itgliedstaaten, zum Beispiel Großbritannien und
chweden, auf, den Wettbewerb zu fördern.
Lassen Sie mich nun die beiden Anträge bewerten:
ie unmittelbar dem Postwesen dienenden Umsätze der
eutschen Post AG sind gemäß § 4 Nr. 11 b Umsatz-
teuergesetz steuerfrei. Der Befreiungstatbestand basiert
uf der für das deutsche Recht rechtsverbindlichen
. EG-Richtlinie, nach deren Art. 13 A (1) a) die von öf-
entlichen Posteinrichtungen ausgeführten Dienstleistun-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 5025
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gen und die dazugehörenden Lieferungen von Gegen-
ständen umsatzsteuerfrei sind. Als unmittelbar dem
Postwesen dienende Umsätze gelten Leistungen der
Deutschen Post AG aus dem Bereich der Exklusivlizenz
und – der hier infrage stehenden – sonstigen Universal-
dienstleistungen nach der Post-Universaldienstleistungs-
verordnung (PUDLV).
Für 2008 sind Änderungen auf dem Postmarkt zu er-
warten. Das Kabinett hat Mitte Mai 2006 im Rahmen ei-
ner Stellungnahme zum jüngsten Gutachten der Mono-
polkommission bestätigt, dass das Briefmonopol der
Deutschen Post AG – unabhängig von der Entwicklung
in anderen EU-Staaten – Anfang 2008 fallen soll. Der
Postmarkt hat sich auf die Liberalisierung zum 1. Januar
2008 eingestellt. Auch zum Beispiel Großbritannien, die
Niederlande und Schweden haben sich auf dieses Datum
festgelegt. Die Bundesregierung hat in ihrer Stellung-
nahme in Aussicht gestellt, rechtzeitig zum Auslaufen
des Briefmonopols auch die Umsatzsteuerbefreiung für
Leistungen der Deutschen Post AG zu überprüfen, um
Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen.
Im Ergebnis laufen alle Veränderungen darauf hinaus,
dass Postdienstleistungen vollständig der Umsatzsteuer
unterworfen werden müssen. Damit wird einerseits die
Postdienstleistung zukünftig mit 19 Prozent zu besteuern
sein, andererseits hat die Deutsche Post AG dann den
Vorsteuerabzug. Dies führt im Umsatzsteuerbereich zu
der oft geforderten Wettbewerbsneutralität zwischen der
Deutschen Post AG und den neutralen Dienstleistern.
Im Hinblick auf die anstehenden Veränderungen zum
1. Januar 2008 sollte daher kurzfristiger Aktionismus,
wie von der FDP und den Grünen vorgesehen, vermie-
den werden. Die Bundesregierung sollte die notwendi-
gen Maßnahmen mit der gebotenen Sorgfalt prüfen und
vorbereiten. Zudem besteht zumindest derzeit zugunsten
der Deutschen Post AG ein gewisser Vertrauensschutz.
Auch die anderen Marktteilnehmer dürften eine Liberali-
sierung vor dem 1. Januar 2008 nicht ernsthaft erwarten.
Die CDU/CSU-Fraktion lehnt also nicht die Zielrich-
tung ihres Antrages, sondern lediglich seine Einbringung
zum jetzigen Zeitpunkt ab.
Lydia Westrich (SPD): Es ist ja kein neues Thema,
über das wir heute reden. Ihre Anträge richten sich ge-
gen einen Paragrafen im Umsatzsteuergesetz, den Sie,
meine Damen und Herren von der FDP, 1995 selbst be-
schlossen haben. Es ist § 4 Nr. 11 b UStG, der einfach
besagt, dass unmittelbar dem Postwesen dienende Um-
sätze der Deutschen Post AG steuerfrei seien. Sie müs-
sen sich das damals gut überlegt haben, denn schon dort
war abzusehen und/oder beabsichtigt, dass der Markt für
Postdienstleistungen auch für andere Teilnehmer geöff-
net wird. Also sind Sie davon ausgegangen, dass der öf-
fentliche Charakter der Deutschen Post AG trotz der
Umstrukturierung von unserer guten alten Bundespost,
einem Monopolunternehmen, in drei private Unterneh-
men noch nicht völlig aufgegeben ist. Deswegen soll die
Steuerbefreiung für die Umsätze, die unmittelbar zum
Kernbereich der Postdienstleistungen gehören, solange
bestehen bleiben, wie diese als wesentliche Marktseg-
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ente durch die Deutsche Post AG exklusiv bedient
erden.
Auch die besonderen Infrastrukturlasten und die Ein-
altung staatlicher Vorgaben durch die Nachfolgeunter-
ehmen der Deutschen Bundespost waren Gründe für
ie Steuerbefreiung. Und daran hat sich bis heute kaum
twas geändert.
Sie geben in Ihrem Antrag selbst zu, dass Sie 1995,
ls Sie § 4 Nr. 11 b im Umsatzsteuergesetz verankert ha-
en, nicht definiert haben, was unter dem Begriff des
ostwesens zu verstehen ist. Deswegen folgern Sie aus
em von Ihnen unklar gesetzten Begriffsinhalt, dass das
lles auslegungsfähig sei. Sie, Kolleginnen und Kollegen
us der FPD-Fraktion, sind sonst stolz auf Ihre klare
prache. Wenn man Ihren Antrag genau liest, wird darin
ine Unsicherheit sichtbar, die man so von Ihnen nicht
ewohnt ist. Es heißt zum Beispiel „konsequent müsste“
nd viermal „das spricht für“ oder Sie legen aus. Schon
ie Wortwahl markiert Ihre eigenen Zweifel.
Also was soll dann der Antrag zu diesem Zeitpunkt,
a Sie sich selbst nicht sicher sind? Wir müssen uns
ächstes Jahr sowieso intensiv mit diesem Thema be-
chäftigen, wenn die gesetzliche Exklusivlizenz für die
eutsche Post AG ausläuft.
Wir haben im Dezember 1999 die Post-Universal-
ienstleistungsverordnung verabschiedet, unsere schöne
UDLV. Dort wurde der Universaldienst definiert, als
ie Beförderung von Briefsendungen bis 2 000 Gramm,
ie Beförderung von Paketen bis 20 Kilogramm, die Be-
örderung von Zeitungen und Zeitschriften. Damit gehö-
en zum Universaldienst sowohl Dienstleistungen, die
ir ausschließlich der Deutschen Post AG vorbehalten
aben, wie auch Leistungen, die Wettbewerber erbrin-
en.
Für die Deutsche Post AG sind diese Umsätze insge-
amt umsatzsteuerfrei, obwohl die inzwischen sehr viel-
ältigen Wettbewerber dafür Umsatzsteuer entrichten
üssen. Die Monopolkommission hat das in einem Son-
ergutachten als wichtiges Wettbewerbshemmnis be-
eichnet, wie es die Fraktion des Bündnisses 90/Die
rünen in ihrem Antrag beschrieben hat. Allerdings
tellt die Monopolkommission das unmittelbare Wegfal-
en der Exklusivlizenzen als notwendig vorneweg, da die
izenzen das zentrale Hemmnis seien. Beide Forderun-
en müssen auch im Zusammenhang gesehen werden.
chon aus Gründen der Rechtssicherheit muss der vor-
eitige Wegfall der Exklusivlizenzen zurückgewiesen
erden, und beide vorliegenden Anträge machen sich
iese Forderung nicht zu Eigen. Fragt sich nur, warum
ie jetzt auf die Schnelle die zweite Forderung nach
egfall der Umsatzsteuerbefreiung umgesetzt haben
ollen. Auch da gibt es einen gewissen Vertrauensvor-
chuss, den das Unternehmen in die Politik gesetzt hat
nd auf den es seine betrieblichen Entscheidungen aus-
erichtet hat.
Dass wir das nächstes Jahr in aller Gründlichkeit dis-
utieren müssen, steht außer Frage. Aber es verwundert
ich schon, dass in keinem der beiden Anträge auf die
erpflichtungen eingegangen worden ist, die wir der
5026 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
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Deutschen Post AG als einzigem Unternehmen in die-
sem Wettbewerb auferlegt haben. Es ist doch gar nicht
lange her, dass wir alle mit Stapeln von Briefen über-
schüttet wurden, als die DPAG die Anzahl ihrer Filialen
von circa 13 000 auf die von uns geforderte Anzahl von
12 000 senken wollte. Das ist ihr nicht geglückt, weil
viele von uns mit den kommunal Verantwortlichen aller
Couleur und den Bürgerinnen und Bürgern erbittert um
den Erhalt der jeweiligen Filialen und Agenturen gerun-
gen haben. Einer meiner FDP-Ortsbürgermeister hat
zum Beispiel eine große Demonstration in seiner kleinen
Stadt organisiert mit Funk und Fernsehen und dort den
Untergang des ländlichen Raumes an den Himmel ge-
malt, weil die Postfiliale durch eine mobile Einrichtung
ersetzt werden sollte. Diese Filiale wurde erhalten. Es
gibt sie noch, und der Briefkasten am Altersheim hängt
auch wieder, und die Telefonzelle in meiner kleinen Hei-
matgemeinde ist auch noch funktionstüchtig. Der Brief-
träger kommt täglich und er verkauft auch Briefmarken
und nimmt Postsendungen mit. Ich habe in meinem dünn
besiedelten, mit vielen kurvenreichen Straßen ausgestat-
teten Pfälzer Bergland mindestens zehn Gemeinden um
die 200 Einwohner, von einzelnen Mühlen und Aussied-
lerhöfen will ich gar nicht reden.
Ich bin überzeugt davon, dass wir dort von einem täg-
lichen Service schon heute nicht mehr reden würden,
wenn wir der DPAG nicht den Infrastrukturauftrag so
deutlich ins Gesetz geschrieben hätten. Es hat sich in den
letzten Jahren erwiesen, dass sich die Verpflichtung der
Deutschen Post AG zur Erbringung der in der PUDLV
aufgeführten Menge an Universaldienstleistungen be-
währt hat.
Der Bund, also wir, hat nach Vorgabe des Art. 87 f
Grundgesetz zu gewährleisten, dass im Bereich des Post-
wesens flächendeckend angemessene und ausreichende
Dienstleistungen vorhanden sind. Wir haben uns ent-
schieden, die Erfüllung dieser Verpflichtung ausschließ-
lich der DPAG aufzuerlegen. Natürlich war damals die
Situation auch so, dass kein anderes Unternehmen dieses
Bündel von Leistungen zuverlässig erbringen konnte.
Und wir sind nicht enttäuscht worden. Deswegen ist die
Umsatzsteuerbefreiung dieser Universaldienstleistun-
gen nach § 4 Nr. 11 b UStG auch gerechtfertigt bzw.
rechtens. Natürlich kann es durch die unterschiedliche
umsatzsteuerliche Behandlung von Umsätzen bei den
Marktteilnehmern zu Wettbewerbsverzerrungen führen.
Das müssen wir beobachten. Aber es ist vor allem unsere
Aufgabe, genau zu prüfen und abzuwägen, wie die Ver-
pflichtung des Art. 87 f Grundgesetz am effektivsten
eingelöst werden kann. Bis 2008 haben wir uns für den
beschriebenen Weg entschieden. Die Diskussion im
nächsten Jahr mag uns andere Möglichkeiten vor Augen
führen. Die kontroverse Debatte findet ja nicht nur bei
uns statt. Die Europäische Kommission versucht seit ge-
raumer Zeit, eine steuerliche Gleichbehandlung von
Postdienstunternehmen einzuführen. Und Sie wissen,
dass die Haltung der EU-Mitgliedstaaten in dieser Frage
sehr uneinheitlich ist. Von der erforderlichen Einstim-
migkeit sind wir noch weit entfernt. Auch aus diesem
Grund ist es zu empfehlen, jetzt Prüfaufträge zu ver-
geben, die wir dann sorgfältig bewerten können. So
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ommen wir auch nächstes Jahr zu einer guten Lösung.
it Schnellschüssen ist das nicht möglich. Deshalb leh-
en wir Ihre Anträge ab.
Martin Zeil (FDP): Nach § 4 Nr. 11 b Umsatzsteuer-
esetz sind die unmittelbar dem Postwesen dienenden
msätze der Deutschen Post AG von der Umsatzsteuer
efreit. Nach der Interpretation der Bundesregierung be-
rifft diese Steuerbefreiung im Kern die Universaldienst-
eistungen. Somit sind sämtliche Paketdienstleistungen
is zu einem Gewicht von 20 Kilogramm und Briefsen-
ungen bis zu 2 Kilogramm von der Umsatzsteuer be-
reit. Dazu zählen auch Dienstleistungen, die nicht unter
ie Exklusivlizenz der Deutschen Post AG fallen – also
uch Dienstleistungen die bereits heute im Wettbewerb
rbracht werden! Oder anders ausgedrückt: Im Gegen-
atz zur Deutschen Post AG müssen private Anbieter
on Postdienstleistungen die Umsatzsteuer auf ihre
reise zahlen. Nicht nur, dass dadurch der Wettbewerb
Postmarkt massiv verzerrt wird, dem deutschen Finanz-
inister entgehen so jedes Jahr Steuereinnahmen in
öhe von ungefähr 300 Millionen Euro.
Um dies zu ändern, hat die Union den Antrag „Keine
orzugsbehandlung der Deutschen Post AG bei der Um-
atzsteuer“ am 14. Mai 2002 in den Deutschen Bundes-
ag eingebracht. Da der Antrag bei Ihnen bestimmt auf
em Schreibtisch lag und nur durch die kleinen Unstim-
igkeiten und Verzögerungen bei der Gesundheits- und
er Unternehmenssteuerreform noch nicht wieder einge-
racht wurde und da es seit 2002 keine gravierenden Än-
erungen an der Situation gab, haben wir diesen Antrag
och einmal aufgegriffen. Ein Blick in das damalige Ab-
timmungsverhalten stimmt mich – und wahrscheinlich
uch den Finanzminister – zuversichtlich, da nicht nur
nsere Fraktion, sondern natürlich auch die damaligen
ntragsteller, die CDU/CSU Fraktion, diesem Antrag
ugestimmt haben. Bei einer Enthaltung der PDS haben
amals SPD und Grüne den Antrag abgelehnt.
Noch eine Randbemerkung zu dem aktuellen Antrag
er Grünen: Im Grundsatz sind wir uns einig, wir haben
ie von Ihnen geforderte Liberalisierung nur in einem
eparaten Antrag gefordert, um es der Union hier leich-
er zu machen. Es ist aber interessant, das Sie jetzt in der
pposition Dinge fordern, gegen die Sie vehement ge-
ämpft haben, als Sie es noch entscheiden konnten.
Gerade wegen dieser Wankelmütigkeit gibt es in
eutschland die nationalen Wettbewerbshüter wie die
onopolkommission. Diese hat im Dezember des letz-
en Jahres ihr viertes Sondergutachten zur Funktionsfä-
igkeit des Wettbewerbs auf den Märkten für Postdienst-
eistungen vorgelegt. Besonders interessant ist dabei der
eil des Gutachtens „Wettbewerbsentwicklung bei der
ost 2005: Beharren auf alten Privilegien“ – denn hier
ommt die Kommission zu dem Ergebnis, dass das im
ostgesetz genannte Ziel der Erstellung von chancen-
leichem und funktionsfähigem Wettbewerb nach wie
or verfehlt wird. Ein Blick auf die Zahlen bestätigt das:
uf dem Briefmarkt liegt der Marktanteil der Wettbe-
erber der Deutschen Post AG bei knapp 7 Prozent und
elbst im bereits liberalisierten Teil des Briefmarktes
onnten die Wettbewerber lediglich einen Marktanteil
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 5027
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von knapp 17 Prozent erringen. Damit zeigt sich, dass
die Exklusivlizenz der Deutschen Post AG – deren Ende
wir in einem separaten Antrag fordern – das wichtigste
Wettbewerbshindernis auf den Postmärkten darstellt.
Denn nicht nur, dass es so eine starke Beschränkung des
Marktvolumens, auf dem Wettbewerb möglich ist, gibt
und Wettbewerber daran gehindert werden, Größen- und
Verbundvorteile für einen verstärkten Marktauftritt in
den liberalisierten Teilen des Marktes zu nutzen; die Ex-
klusivlizenz schafft auch Raum für wettbewerbsverzer-
rende Quersubventionen und ermöglicht es der Deut-
schen Post AG, ihre Monopolmacht auf benachbarte
Märkte auszudehnen – und das alles mehr zulasten als
zum Nutzen der Postkunden.
Nach Auffassung der Monopolkommission hat die
vollständige Abschaffung der Exklusivlizenz oberste
Priorität, um den Wettbewerb auf den Postmärkten in
Gang zu setzen. Und die nationalen Wettbewerbshüter
kommen weiter zu dem Ergebnis: „Zur Sicherstellung
des Universaldienstes sind exklusive Monopolrechte
nicht notwendig.“ Neben der Exklusivlizenz – so das
weitere Fazit der Kommission – ist die Umsatzsteuerbe-
freiung das wichtigste Wettbewerbshemmnis auf den
Postmärkten. Um das noch einmal klarzustellen: Gegen-
über Kunden, die nicht vorsteuerabzugsberechtigt sind,
beispielsweise Verwaltungen, Kreditinstitute oder Ver-
sicherungen, müssen die Wettbewerber mindestens
16 Prozent und dann ab Januar 19 Prozent günstiger sein
als die Deutsche Post AG. Die Monopolkommission
kommt am Ende zu dem Ergebnis – und ich zitiere
wörtlich –: „Die Umsatzsteuerbefreiung ist abzuschaf-
fen.“
Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zur flächende-
ckenden Grundversorgung machen: Es wird häufig an-
gemerkt, dass die Extragewinne aus dem Monopol und
der Befreiung von der Umsatzsteuer eine Entschädigung
dafür seien, dass die Deutsche Post AG die flächende-
ckende Grundversorgung, also den so genannten Univer-
saldienst, gewährleistet und selbst in dünn besiedelten
Gegenden Post abholt und verteilt. Ich muss hier leider
sagen, dass die Deutsche Post AG an dieser Stelle be-
wusst Ängste schürt, die nicht nur die Mitglieder dieses
Hauses, sondern auch die Verbraucher verunsichern.
Denn auch nach dem Ende des Briefmonopols wird es
selbstverständlich ein Mindestangebot an flächende-
ckenden Postdienstleistungen zu vertretbaren Preisen ge-
ben. Es gibt in Deutschland genug Wettbewerber, die
darauf warten, endlich ein flächendeckendes Angebot
machen zu können. So äußerte sich Herr Thiel, Auf-
sichtsratmitglied der PIN AG – um auch mal ein anderes
Unternehmen zu nennen – vor wenigen Tagen zum Uni-
versaldienst im „Tagesspiegel“: „Wir werden den hand-
geschriebenen Brief von der Hallig in den Bayerischen
Wald oder umgekehrt transportieren. Und wir sind auch
bereit, in den Universaldienst einzusteigen, wenn wir die
gleichen Marktbedingungen bekommen, unter denen die
Post heute agiert.“
Deshalb sollte sich die Bundesregierung nicht erpres-
sen lassen, wenn die Deutsche Post AG ankündigt, mög-
liche Steueraufschläge an die Kunden weiterreichen zu
wollen. Denn zum einen müssen sie dann im Wettbe-
werb mit diesen Preisen bestehen. Und zum anderen gibt
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s auch ganz andere Töne aus dem Unternehmen. So äu-
erte sich zum Beispiel Martin Dopychai, Sprecher der
eutschen Post AG, ebenfalls im „Tagesspiegel“: „Eine
lächendeckende Zustellung wird es weiterhin geben.
azu verpflichten wir uns auch nach dem Auslaufen des
onopols.“
Als Letztes noch ein Blick nach Europa: Die Europäi-
che Kommission ist der Meinung, dass eine Befreiung
er Deutschen Post AG von der Mehrwertsteuer den
ettbewerb behindert. Aus diesem Grund hat sie auch
in Verfahren gegen Deutschland eingeleitet. Die Bun-
esregierung bleibt aber trotz des eindeutigen Urteils der
onopolkommission und der Aufforderung aus Brüssel
ei ihrer wettbewerbsfeindlichen Haltung und sträubt
ich weiterhin dagegen, die deutschen Postmärkte stär-
er für den Wettbewerb zu öffnen. Die Bundesregierung
endet sich damit gegen das einvernehmliche Votum
on nationalen und europäischen Wettbewerbsbehörden,
ie beide in ihren Entscheidungen festgestellt haben,
ass das deutsche Postgesetz und die Praxis der Deut-
chen Post AG gegen jede Form von Wettbewerb versto-
en.
Letztlich werden von mehr Wettbewerb im Brief-
arkt – und das Ende der Umsatzsteuerbefreiung ist ne-
en der weiteren Liberalisierung ein Teil davon – vor al-
em die Kunden durch sinkende Preise und eine
teigerung der Qualität profitieren.
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Es ist über ein Jahr
er, dass der Bund über die Kreditanstalt für Wiederauf-
au Aktien im Werte von 2 Milliarden Euro verkaufte.
eitdem befindet sich die Deutsche Post AG mehrheit-
ich nicht mehr im Staatsbesitz. Der Ausverkauf der Post
ird bis zum Jahre 2007 weitergehen, sodass am Ende
er Bundesanteil auf null sinken wird.
Wie Sie wissen, waren wir gegen eine Postprivatisie-
ung, wie wir auch die Privatisierung der Bahn ablehnen.
enn entgegen anderen Auffassungen war die Post vor-
er keineswegs ein Untergangsunternehmen. Wir waren
nd sind aber auch der Meinung, dass sich die Angebote
er Post sehr wohl von Mitanbietern unterscheide und
aher eine Umsatzsteuerbefreiung gerechtfertigt ist. Die
eutsche Post AG ist eben nicht ein Privatunternehmen
ie jedes andere. Die Deutsche Post AG hat einen ge-
etzlichen öffentlichen Auftrag der flächendeckenden
taatlichen Daseinsfürsorge zu erfüllen. Daran muss sie
ich messen lassen.
Die Deutsche Post AG erzielte im Jahre 2005 einen
esamtumsatz von 44,594 Milliarden Euro. Doch trotz
ieses enormen Umsatzes wurden vom Allgäu bis nach
ügen 40 000 Briefkästen abgebaut; Postfilialen schlie-
en deutschlandweit, Menschen werden entlassen. Die
eutsche Post AG ist ihrem öffentlichen Auftrag nicht
erecht geworden und das kritisieren wir auf das
chärfste. Die steuerliche Behandlung der Deutschen
ost AG stellt auch eine Chance für das Unternehmen
ar, fürsorglich zu handeln und ihren gesetzlichen Auf-
rag wahrzunehmen. Auf eine Gegenleistung der Post
ird seitens der Regierung allerdings „großzügig“ ver-
ichtet.
5028 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
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Die Fraktion Die Linke setzt sich entschieden für eine
Stärkung des öffentlichen Auftrags der Deutschen
Post AG ein und fordert, die flächendeckende stationäre
Postversorgung zu gewährleisten. Die Privatisierungs-
wellen bei Bahn und Post haben nicht wie angekündigt
zu einer verbesserten Leistungsqualität beigetragen. Das
Gegenteil ist leider der Fall. Der Vorstandsvorsitzende,
Klaus Zumwinkel, der den Abbau Tausender Jobs bei
der Post weiter betreiben will, verkündet nun auch noch
weitere Schließungen von Postfilialen im ländlichen
Raum, wenn das Briefmonopol am 31. Dezember 2007
ausläuft. Die im Grundgesetz verankerte Verpflichtung
zur flächendeckenden stationären Postversorgung wird
so weiter eklatant verletzt.
Privatisierung und Börsengang wurden eilig durchge-
zogen wider Verbraucher- und haushälterische Interes-
sen. Nun werden die Konsequenzen lauthals beklagt.
Auch hier waren unsere europäischen Nachbarn außer
den Niederlanden klüger. Sie haben die strategische Be-
deutung funktionierender Infrastruktur für die öffentli-
che Versorgung begriffen und sie nicht Privatinteressen
unterworfen. Die vergangene und die jetzige Bundesre-
gierung scheinen dagegen willfähriges Subjekt für Priva-
tisierungsbeschleuniger zu sein. Die Konsequenzen die-
ser Politik müssen wie so oft die kleinen Verbraucher
tragen.
Die FDP und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
wollen eine Streichung der Umsatzsteuerbefreiung für
die Deutsche Post AG. Das lehnen wir ab und fordern
gleichzeitig die Bundesregierung auf, sich entschieden
für die Erfüllung des öffentlichen Auftrags der Post AG
und die Gewährleistung von Verbraucherrechten einzu-
setzen.
Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Wir begrüßen, dass die Bundesregierung
sich gegenüber der EU-Kommission verpflichtet hat,
2008 vollständigen Wettbewerb im Briefmarkt herzu-
stellen und die Exklusivlizenz 2007 auslaufen zu lassen.
Aber im Sinne von mehr Wettbewerb sollte die Bundes-
regierung noch vor dem Fall des Briefmonopols dafür
sorgen, dass alle Postdienstleistungsunternehmen steuer-
rechtlich gleich behandelt werden, denn zu fairen Wett-
bewerbsbedingungen gehören auch gleiche Steuerbedin-
gungen.
Derzeit ist die Deutsche Post AG sowohl für Leistun-
gen, die sie per Exklusivlizenz im Monopol erbringt, als
auch für die in der Postuniversaldienstleistungsverord-
nung definierten Dienstleistungen von der Umsatzsteuer
befreit. Das ist ungerecht, führt zu erheblichen Wettbe-
werbsverzerrungen und benachteiligt die Mitbewerber,
die Umsatzsteuer zahlen müssen.
Etwa zwei Drittel des gesamten Briefmarktes entfal-
len auf den Bereich der Exklusivlizenz der Post. Mitbe-
werber hingegen sind mit ihren gesamten Dienstleistun-
gen in vollem Umfang umsatzsteuerpflichtig. Das führt
unter anderem dazu, dass Kunden, die nicht vorsteuerab-
zugsberechtigt sind, wie Versicherungen, Banken usw.,
ihre Dienstleistungen mindestens 16 Prozent günstiger
anbieten müssen, um am Markt überhaupt eine Chance
zu haben.
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Ein weiteres Problem sind die durch die einseitige
msatzsteuerbefreiung entstehenden Einnahmeverluste
es Staates. Sie liegen bei einem geschätzten Volumen
on 150 bis 330 Millionen Euro. Der Staat wird diese
erluste umso mehr zu spüren bekommen, wenn erst
inmal die beschlossene Mehrwertsteuererhöhung greift.
Angesichts der hohen Gewinnspannen der Post und
er etablierten Wettbewerber würde eine Aufhebung der
inseitigen Umsatzsteuerbefreiung zur Wettbewerbs-
leichheit und zur Haushaltskonsolidierung beitragen.
nd zwar ohne die Endkunden zusätzlich zu belasten.
enn die Preisobergrenzen sind durch die Bundesnetz-
gentur festgelegt, so dass die Umsatzsteuerangleichung
ediglich die Rendite der Post schmälern würde.
Eine verbraucherorientierte Marktwirtschaft lebt von
ehr Wettbewerb! Aber eine Politik, die Großunterneh-
en als „nationale Champions“ fördert und hofiert, in-
em sie Monopolrenten gewährt, mit denen die Unter-
ehmen weltweit Beteiligungen akquirieren sollen,
eduziert diesen Wettbewerb. Die unerwünschten Folgen
avon sind Preiserhöhungen für die Verbraucherinnen
nd Verbraucher sowie für Unternehmen im Inland. Da-
über hinaus wird der Marktzugang für neue innovative
nternehmen erschwert. Aber genau die brauchen wir in
eutschland dringend, weil sie Investitionen tätigen und
rbeitsplätze schaffen. Nicht zuletzt schadet eine Politik
er Wettbewerbsbehinderung auch den Großunterneh-
en, weil sie durch den fehlenden Wettbewerb träge und
neffizient werden.
Abschließend möchte ich noch einmal betonen, dass
ie vollständige Liberalisierung des Postmarktes zum Ja-
uar 2008 unabdingbar ist, damit die Verbraucherinnen
nd Verbraucher von mehr Service, niedrigeren Preisen
nd mehr Wahlfreiheit profitieren können und der ent-
tehende Wettbewerb zu höherer Effizienz, neuen Ar-
eitsplätzen im Mittelstand und mehr Innovationen füh-
en kann.
Aber bis zum endgültigen Fall des Postmonopols
ollte die Bundesregierung die Mitbewerber zumindest
urch wettbewerbsfreundliche Maßnahmen stärken.
azu gehört in erster Linie die Aufhebung der Umsatz-
teuerbevorzugung der Post, aber auch die Schaffung al-
ernativer Briefbeförderungsformen mit kostengünstigen
arianten und Laufzeiten für Wettbewerber oder die
chrittweise Öffnung des Universaldienstes durch Pilot-
rojekte.
nlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Integriertes Küsten-
zonenmanagement kontinuierlich fortentwi-
ckeln (Tagesordnungspunkt 17)
Ingbert Liebing (CDU/CSU): Integriertes Küstenzo-
enmanagent – kurz: IKZM – will Konflikte lösen, die
urch verstärkte Nutzungsansprüche an unsere Küsten
nd Meere entstehen. Das klingt für viele von Ihnen hier
icherlich wie Fachchinesisch – besonders für die Kolle-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 5029
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ginnen und Kollegen aus den Wahlkreisen, die mehr
Berge als Küste haben.
Die Europäische Kommission definiert IKZM als „ei-
nen dynamischen und kontinuierlichen Prozess, durch
den Entscheidungen für eine nachhaltige Nutzung und
Entwicklung sowie den Schutz der Küsten einschließlich
ihrer Ressourcen getroffen werden“. Auf Basis einer
Empfehlung der Europäischen Union oblag es den Na-
tionalstaaten bis März dieses Jahres, der EU eine natio-
nale Strategie hierfür vorzulegen. Zielsetzung ist dabei,
den Küstenbereich als ökologisch intakten und wirt-
schaftlich erfolgreichen Lebensraum für die Menschen
zu erhalten und zu entwickeln. Damit leistet IKZM zu-
gleich einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Um-
setzung der Lissabonstrategie.
Da mag der Eindruck entstehen, als hätten wir es hier
mit einem vollkommen neuen Denkansatz zu tun. Weit
gefehlt – IKZM ist nichts Neues! Ein holländischer Küs-
tenschutzexperte in schleswig-holsteinischem Landes-
dienst hat bei einer Euregio-Konferenz aller Bürgermeis-
ter der Inseln und Halligen im Wattenmeer von Texel bis
Fanö IKZM so definiert: „Das ist das, was ihr Inselbür-
germeister seit langem Tag für Tag macht. Ihr seid die
richtigen Küstenzonenmanager, indem ihr Interessenaus-
gleich an der Küste organisiert.“
Und genau darum geht es bis der Entwicklung unserer
Küstenregionen. Es geht um Interessenausgleich zwi-
schen ökologischen und ökonomischen Belangen, zwi-
schen Küstenschutz, Naturschutz, Tourismus, Schiff-
fahrt, Energiegewinnung, Hafenwirtschaft, Landwirtschaft
oder Fischerei. Ich habe selbst als Vorsitzender der Euregio
„Die Watten“ im Wattenmeerforum mitarbeiten dürfen,
in dem Entscheidungsträger verschiedener staatlicher
Ebenen und regionaler Interessenorganisationen von
Holland bis Dänemark Szenarien einer nachhaltigen Ent-
wicklung und Strategien für deren Umsetzung erarbeitet
haben. Sie sollen ein gutes ökologisches Schutzniveau
wahren und gleichzeitig die wirtschaftliche Entwicklung
der Region gewährleisten können. Das ist praktiziertes
IKZM!
IKZM stellt den integrativen Ansatz in den Mittel-
punkt, bei dem der Wirtschaftsraum Küste eine zentrale
Rolle spielt. IKZM darf nicht – wie manchmal falsch
verstanden oder befürchtet – als ökologisches Planungs-
instrument dienen. Mein wichtigstes Anliegen bei die-
sem Thema ist, dass die Küstenregionen auch als Raum
gesehen werden, wo Menschen leben und arbeiten;
Räume, die große ökonomische Chancen bergen. Es ist
gut, dass dies unter Federführung des Umweltministe-
riums nicht außer Acht gelassen wird. Das ist die Abkehr
dieser Bundesregierung von früherer rot-grüner, einseiti-
ger Umweltbürokratie.
Wenn ich sage, die nationale IKZM-Strategie beruht
auf einer EU-Empfehlung, riecht das für viele zunächst
nach neuer Bürokratie. Und auch ich sage: Achtung! Wir
müssen aufpassen, dass kein neues Bürokratiemonster
geschaffen wird. Uns Deutschen wird gerne ein Hang
zum Perfektionismus nachgesagt. Wenn ich sehe, dass
Deutschland ein 90 Seiten starkes IKZM-Strategiepapier
vorlegt, während die Niederländer – wie ich höre – mit
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iner 20-seitigen bunten Broschüre auskommen, möchte
ch vor Unverhältnismäßigkeit warnen. Ich will nicht sa-
en, dass das eine besser ist als das andere. Mir ist nur
ichtig – und das haben wir auch in unseren Antrag auf-
enommen –, dass sich die Bundesregierung im Rahmen
er zukünftigen Weiterentwicklung von IKZM dafür
insetzt, den informellen und unbürokratischen Charak-
er dieser Kooperation beizubehalten. Nur so kann auch
n Zukunft das Potenzial von IKZM voll genutzt werden,
hne dabei unnötige Bürokratie zu schaffen. Das ist auch
ichtig, um die Menschen an den Küsten mitzunehmen,
ie IKZM mit Leben erfüllen und umsetzen sollen.
Integrativer Ansatz von IKZM bedeutet zugleich,
ass wir benachbarte Politikbereiche einbeziehen: Ich
omme gerade von einer internationalen Konferenz in
iel, bei der über das Grünbuch zur Meerespolitik der
U diskutiert wurde. Dort wurde deutlich, wie wichtig
s ist, IKZM in einem Zusammenhang mit der gesamten
ebatte um die künftige europäische Meerespolitik zu
ringen. Auch hier geht es um eine integrative Meeres-
olitik, die alle unterschiedlichen Interessen einbezieht.
rünbuch, IKZM, Meeresstrategierichtlinie, Meeres-
chutzpolitik, maritime Politik und maritime Wirt-
chaft – all das müssen wir als Einheit sehen. Mit zuneh-
ender Dichte, Intensität und Vielfalt der Nutzungs-
nforderungen steigen auch die Erfordernisse einer
mfassenden Betrachtung.
Die Bundesregierung hat mit der Vorlage der nationa-
en IKZM-Strategie einen ersten Schritt getan. Meine
raktion begrüßt diesen Strategiebericht ausdrücklich.
ber mit der Erstellung eines schönen Berichts ist das
hema nicht am Ende. Wichtig sind jetzt die Umsetzung
nd der Prozess einer kontinuierlichen Fortentwicklung.
azu wollen wir mit unserem Antrag der Koalitionsfrak-
ionen einen Beitrag leisten.
Dirk Becker (SPD): Bereits seit Jahren oder sogar
eit Jahrzehnten diskutieren wir über eine Verbesserung
er Maßnahmen zum Schutz der Meeresumwelt und der
üstenbereiche. Zwar konnten immer wieder Teiler-
olge, insbesondere auf nationaler Ebene oder in bilate-
alen Vereinbarungen, erzielt werden, jedoch ist die
erausforderung einer engagierteren europäischen Ini-
iative zum Schutz der Küstenlandschaften wie der
eere und ein internationales Vorankommen mit Blick
uf alle Weltmeere bisher noch weit hinter den Erforder-
issen zurückgeblieben.
Insbesondere die Staaten, die im Besonderen auf die
irtschaftliche Nutzung der Meere und Küstenbereiche
ngewiesen sind, haben bisher nur eine geringe Bereit-
chaft erkennen lassen, Fortschritte zum Schutz dieser
ereiche zu erzielen. Zu diesem Themenkomplex wer-
en wir in näherer Zukunft noch mehrfach die Gelegen-
eit zur Beratung haben, unter anderem wenn wir uns
ber die europäische Meeresschutzstrategie unterhalten
erden. Heute geht es um die Beratung einer nationalen
trategie im Rahmen des Integrierten Küstenzonenma-
agements, welche von der Bundesregierung am
2. März 2006 beschlossen wurde. Die Bundesregierung
5030 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
folgt damit einer Empfehlung des Europäischen Parla-
mentes und des Rates vom 30. Mai 2002.
Vorab darf ich der Bundesregierung und hier im Be-
sonderen dem federführenden Bundesumweltministe-
rium für die erarbeitete Bestandsanalyse sowie die ange-
stellten strategischen Überlegungen herzlich danken. Ich
werde auf diesen Bereich später noch kurz eingehen,
möchte aber bereits jetzt zusammenfassend feststellen,
dass ich Ihnen eine umfassende und gute Arbeit vonsei-
ten der SPD-Fraktion attestieren darf.
Der Begriff IKZM, also Integriertes Küstenzonenma-
nagement, wirkt zunächst für den Unbeteiligten wie ein
wahres Buchstabenmonster. Und viele werden damit zu-
nächst recht wenig anfangen können. Also ist als Erstes
die Frage zu beantworten, welches Ziel mit IKZM ver-
folgt werden soll. So kann man einfach zusammengefasst
sagen, dass es zwar um die Betrachtung der Küstenberei-
che mit ihren vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten und
ökologischen Belangen geht. Im Mittelpunkt des IKZM
steht jedoch der Mensch – und dies in dreifacher Hin-
sicht.
So geht es um den Schutz menschlicher Lebensgrund-
lagen und menschlicher Lebensräume jeweils im Ein-
klang mit der Meeresumwelt. Und letztlich auch um den
Schutz des Menschen vor sich selbst als Verursacher von
Störungen im Gleichgewicht der Küsten- und Meeres-
umwelt. Vor diesem Hintergrund will das IKZM den
Küstenbereich als ökologisch intakten und wirtschaftlich
prosperierenden Lebensraum für den Menschen erhalten
und entwickeln. Und ich sagte deutlich, genau in dieser
Reihenfolge. Und zwar in der doppelten Reihenfolge:
ökologisch intakt vor wirtschaftlich prosperierend und
Erhalt vor Entwicklung. Wenn wir hier von Entwicklung
sprechen, dann sage ich auch für meine Fraktion, dass
Entwicklung zu allererst im Sinne einer nachhaltigen
Grundlage für den Erhalt und den Schutz der Küstenbe-
reiche zu verstehen ist. Erst darauf aufbauend folgt der
Bereich einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung
dieser Bereiche.
Was unterscheidet also das IKZM von bisherigen An-
sätzen zum Schutz der Küstenbereiche und im Weiteren
der Meere? Der Lösungsansatz des IKZM setzt im We-
sentlichen auf einen integrativen Ansatz aller gesell-
schaftlichen Bereiche mit ihren unterschiedlichen Inte-
ressen sowie den ökologischen Belangen. Neben diesem
integrativen Ansatz ist die Freiwilligkeit ein Merkmal
des IKZM.
Dementsprechend wurden von Seiten des Umweltmi-
nisteriums sowohl die kommunalen Gebietskörperschaf-
ten als auch die betroffenen Bundesländer sowie die be-
troffenen Verbände, Vereine und Personen im Rahmen
der Aufstellung der Bestandsanalyse und den strategi-
schen Überlegungen beteiligt. Im Ergebnis halten wir
heute daher eine nationale Strategie in den Händen, die
alle relevanten Bereiche, die für eine Diskussion über
den Erhalt und die Entwicklung der Küsten von Bedeu-
tung sind, berücksichtigt. Auf deren Basis ist nunmehr
eine Abwägung und Fortentwicklung des Küstenschut-
zes allumfassend möglich.
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Künftige politische Entscheidungen in diesem Be-
eich werden insbesondere die aufgezeichneten Kon-
liktbereiche im gegenseitigen Ausgleich zu lösen
aben. Ich möchte hier nur drei, vermeintlich konkurrie-
ende Bereiche ansprechen: Zum einen die bereits ange-
prochenen unterschiedlichen Nutzerinteressen wie
eispielsweise die wirtschaftlichen Interessen der Schiff-
ahrt, der Fischerei, der Energie- und Rohstoffgewin-
ung und auf der anderen Seite die Belange des Meeres-
chutzes oder auch des Schutzes unseres Kulturerbes.
ber auch den Konfliktbereich der landwirtschaftlichen
lächenbewirtschaftung, der kommunalen Siedlungs-
teressen oder auch der Gewerbeansiedlung im Einklang
it Belangen des Küstenschutzes oder auch mögliche
onfliktpotenziale zwischen einer stärker touristischen
ntwicklung und den ökologischen Belangen. Wobei ge-
ade beim letzten Punkt zunehmend festzustellen ist,
ass Tourismus und Ökologie sich zum beiderseitigen
utzen bestens ergänzen können, anstatt in ein Konkur-
enzverhältnis zu treten. Neben diesem Konfliktbereich
er unterschiedlichen Nutzerinteressen haben wir als
weiten Problembereich die gemeinsame Bedrohung al-
er Nutzergruppen durch die Auswirkungen des Klima-
andels. Als Folgen seien beispielsweise nur die Über-
äuerung der Meere mit ihren ökologischen Folgen, aber
uch der Anstieg der Meeresspiegel genannt. Der dritte
roblembereich besteht aber ohne Frage auch im Wett-
ewerb der deutschen Wirtschaft im internationalen
ettstreit.
Wenn wir uns die geschilderten Problem- und Kon-
liktbereiche vor Augen führen, ist festzustellen, dass na-
ionale Strategien im Rahmen des IKZM zwar einen
ichtigen Grundbaustein darstellen, quasi eine wichtige
ausaufgabe eines jeden Mitgliedstaates der Europäi-
chen Union – besser noch: eines jeden Küstenanrainers –
nternational sein muss; entscheidend ist jedoch, aus den
ielfaltigen nationalen Grundsteinen die Plattform für ei-
en internationalen Schutz der Weltmeere und damit
uch der Küstenbereiche zu schaffen.
Man neigt als Betroffener gelegentlich zur Betriebs-
lindheit, doch ich glaube, feststellen zu können, dass
nsere bisher getroffenen nationalen Anstrengungen, an-
efangen von denen der Kommunen über die der betrof-
enen Bundesländer bis hin zu denen des Bundes ein gu-
es, solides Fundament darstellen, sodass wir auf einem
uten Weg zu einem wirksamen Schutz unserer Küsten-
ereiche und einer entsprechenden weiteren Entwick-
ung dieser Bereiche sind. Die Hausaufgaben sind dem-
ntsprechend gut gemacht, jedoch dies allein reicht wie
eschrieben nicht. Allein die Tatsache, dass die deut-
chen Küstenbereiche im Vergleich zu den Küsten der
eltmeere eher einen Anteil im Promillebereich darstel-
en, unterstreicht diese Aussage. Also gilt es über den
ellerrand der nationalen Bestandsaufnahme hinaus zu
licken, hinaus zunächst auf das, was zunächst im Rah-
en einer europäischen Politik wünschenswert und not-
endig ist. Und da kann natürlich ein guter nationaler
eitrag der Bundesrepublik Deutschland auch eine Vor-
ildfunktion und darüber hinaus eine Sogwirkung auf
ndere Staaten entfalten. Dies zumindest wäre unser
unsch.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 5031
(A) )
(B) )
Diesem Wunsch entsprechend formuliert der gemein-
same Antrag von CDU/CSU- und SPD-Fraktion die
Aufforderung an die Bundesregierung, im Rahmen des
Ratsvorsitzes 2007 die Zusammenführung eines europäi-
schen IKZM-Prozesses voranzutreiben. Hierzu zählt
zum einen, alle Mitgliedstaaten anzuhalten, zeitnah na-
tionale IKZM-Berichte vorzulegen, dann gemeinsam mit
dem Grünbuch über eine künftige Meerespolitik der EU
und einer gemeinsamen europäischen Meeresschutzpoli-
tik unserem gemeinsamen Anliegen zu einem stärkeren
Schutz unserer Küsten- und Meeresbereiche im Einklang
mit den ökologischen Anforderungen voranzutreiben.
Dies beinhaltet ebenso die frühzeitige Konflikterken-
nung und die Vermeidung eventueller Konflikte zwi-
schen den dargestellten Nutzungsbereichen, aber vor
allem auch den ökologischen und ökonomischen Gleich-
klang bei der weiteren Entwicklung der Küstenbereiche.
Nur gemeinsam werden wir auch die uns alle betreffen-
den gemeinsamen Bedrohungen wie die Folgen des Kli-
mawandels meistern können. Im diesen Sinne bitte ich
Sie um Zustimmung zu diesem gemeinsamen Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD.
Angelika Brunkhorst (FDP): Die wirtschaftliche
Nutzung der Meere und Küsten nimmt weiter deutlich
zu. Neue Nutzungsinteressen gewinnen zunehmend an
Bedeutung und die infrastrukturellen Verbindungen zwi-
schen Meer und Land verstärken sich. Verschiedene
Nutzungsansprüche entwickeln sich dabei gegenläufig
zum gleichzeitig formulierten verbesserten Schutz- und
Erholungsgedanken. Die Europäische Kommission
möchte mit ihrer Meerespolitik diese verschiedenen An-
sprüche in Einklang bringen und zielt auf eine „dynami-
sche maritime Wirtschaft in Harmonie mit der Meeres-
umwelt, unterstützt durch hervorragende Leistungen in
der Meeresforschung“.
Die FDP sieht in einer nachhaltigen Nutzung der
Meere und Küsten, dem Schutz der Meeresumwelt und
der verantwortungsvollen Entwicklung der maritimen
Wirtschaft und des Lebens an der Küste eine besondere
Herausforderung, Aufgabe und Zukunftschance für
Deutschland und Europa. Eine Trennung der Politik zwi-
schen Meer und Küste, wie wir sie mit dem integrierten
Küstenzonenmanagement auf der einen und der europäi-
schen Meerespolitik auf der anderen Seite zurzeit noch
vorfinden, ist widersinnig. Eine effektive europäische
Meerespolitik ist eine strategische Querschnittsaufgabe
der Europäischen Union, der Mitgliedstaaten und der na-
tionalen Regionen. Dabei geht es insbesondere um die
Umsetzung und das Zusammenspiel der verschiedenen
europäischen Schutzstandards, wie zum Beispiel der
FFH- und Vogelschutzrichtlinie, der Wasserrahmenricht-
linie oder auch der Fischerei- und Agrarpolitik. Es ist
notwendig, die Maßnahmen im Bereich der Meere und
Küsten auf eine gemeinsame Grundlage zu stellen. Die
Entwicklung einer europaweit einheitlichen Meerespoli-
tik verlangt eine sektorübergreifende Koordination der
betroffenen Bereiche. Nur ein integrativer Politikansatz
kann die diversen Nutzungs- und Schutzinteressen zu-
sammenführen und gleichsam die ökologische und öko-
nomische Bedeutung der Meere und Küsten hervorhe-
ben. Eine stärkere Verknüpfung der verschiedenen
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aritimen Sektoren und Akteure dient auch einer Ver-
ahrens- und Planungsbeschleunigung.
Die FDP begrüßt die Anstrengungen der EU und der
undesregierung zum Schutz der Meere und Küsten.
eutschland profitiert als Küstenland von einer gesun-
en Meeresumwelt. Meere und Küstenregionen besitzen
in beträchtliches Potenzial für wirtschaftliches Wachs-
um. Die Entwicklung einer Meeresschutzstrategie sollte
uf einer umfassenden Bestandsaufnahme der wirt-
chaftlichen, sozialen und ökologischen Situation der
üstenräume sowie der rechtlichen, politischen und ad-
inistrativen Strukturen und Institutionen beruhen. Der
eeres- und Küstenschutz ist auf eine zielgerichtete Zu-
ammenarbeit angewiesen und sollte auf bereits existie-
en Abkommen und Konventionen aufbauen.
Die Strategie des integrierten Küstenzonenmanage-
ents kann als Bestandteil der europäischen Meerespoli-
ik ein Baustein dieser Bestandsaufnahme der Küstenge-
iete sein. Im Sinne des IKZM soll die Kommunikation
nd Zusammenarbeit der beteiligten Sektoren verbessert
nd bereits existierende Projekte beispielhaft herausge-
tellt werden. Nachfolgend sollten Richtlinien und Maß-
ahmenvorschläge aber auf einer gemeinsamen Richtli-
ie zum Schutz der Meere und Küsten aufbauen. So wie
ie Strategie des IKZM stark auf eine Zusammenarbeit
er betroffenen Sektoren und Akteure setzt, muss dieser
ynergieansatz gleichermaßen auch für die verschiede-
en politischen Prozesse selbst gelten. An eine Politik
ür Meere und Küsten knüpfen etwa die europäischen
asser- und Grundwasserrahmenrichtlinien direkt an.
Es gilt, die gestellten Aufgaben beim Meeres- und
üstenschutz aus einer Hand, transparent und konsulta-
iv zu lösen und für die notwendige Wissensbasis zu sor-
en.
Lutz Heilmann (DIE LINKE): Als schleswig-holstei-
ischer Abgeordneter freue ich mich, dass wir heute
ber die Entwicklung der Küsten in Deutschland debat-
ieren. Wenn ich mir Ihren Antrag ansehe, scheint dies
uch Ihr Wunsch gewesen zu sein, leider aber auch der
inzige. Es reicht aber nicht, nur darüber zu reden!
Ihr Antrag liefert leider keine wegweisenden Vor-
chläge für eine echte Fortentwicklung der nationalen
KZM-Strategie. Substanziell Neues habe ich darin ver-
eblich gesucht.
Die IKZM-Strategie wird auch von der Fraktion Die
inke unterstützt. Sie ist der Versuch, eine nachhaltige
ntwicklung der Küstenzonen zu erreichen. Die von der
undesregierung beschlossene IKZM-Strategie ist aber
ast nur Bestandsaufnahme. Konkrete Handlungsanlei-
ungen oder Lösungsvorschläge für die vielfältigen Kon-
liktfelder enthält diese Strategie nicht. Das Problem
eim IKZM ist, wie bei allen breit angelegten Konzep-
en, deren Umsetzung.
Mit Freude habe ich vor einigen Monaten von Frau
taatssekretärin Klug vernommen, dass die Bundesregie-
ung einen erheblichen Kommunikationsbedarf hierzu
ieht. Nur, gemerkt habe ich davon bislang noch nichts,
uch nicht im Küstenland Nummer eins: Schleswig-Hol-
tein.
5032 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
Damit die IKZM-Strategie ein Erfolg werden kann,
muss der Leitgedanke der nachhaltigen Entwicklung bei
allen Entscheidungen, die die Küsten betreffen, ange-
wandt werden. Alle Entscheidungen müssen deshalb ei-
nem „Nachhaltigkeitscheck“ unterworfen werden. Auch
wenn das beinhaltet, dass, wie Sie es in Ihrem Antrag
fordern, ökologische und ökonomische Aspekte – neben-
bei: wo bleiben bei Ihnen eigentlich die sozialen Aspek-
te? – grundsätzlich gleichberechtigt berücksichtigt wer-
den, kann dies dann nicht gelten, wenn die Küsten selber
in Gefahr sind.
Die Küstenzonen sind die Lebensgrundlagen der dort
lebenden Menschen. Der vom Menschen verursachte
Klimawandel bedroht durch den Meeresspiegelanstieg
aber in erheblichem Ausmaß die Küsten – weltweit, aber
selbstverständlich auch in Deutschland. Dem Schutz der
Küsten ist deswegen absoluter Vorrang einzuräumen!
Das bedeutet natürlich, dass die Deiche für den bis
Ende dieses Jahrhunderts voraussichtlich um etwa einen
Meter höheren Wasserstand und womöglich häufigere
Springfluten ertüchtigt werden müssen. Es ist aber die
Frage, ob die einzige sinnvolle Lösung die schlichte Er-
höhung der Deiche ist, wie sie derzeit die Küstenländer
planen.
Um ein Wandern des Watts zu ermöglichen und den
ökologischen Aspekten Rechnung zu tragen, müssten
die Deiche zumindest an einigen Stellen zurückverlegt
werden. Auch die geplante weitere Vertiefung von Au-
ßenweser und Außenelbe birgt hohe Risiken für den
Hochwasserschutz und sollte deswegen zumindest zu-
rückgestellt werden.
Statt dies im Eilverfahren durchzupeitschen, müssen
die Auswirkungen auf zusätzliche Hochwassergefahren
gründlichst geprüft werden, Abgesehen davon besteht
durch den Bau des Jade-Weser-Ports ohnehin keine Not-
wendigkeit für diese weiteren Vertiefungen.
Die damit verbundenen massiven ökologischen Ver-
schlechterungen sind nicht zu rechtfertigen und auch
nicht an anderer Stelle auszugleichen.
Stichwort: Ökologie. Auffällig ist, dass sowohl in der
nationalen als auch in der schleswig-holsteinischen
IKZM-Strategie bei den Nutzungskonflikten der Natur-
schutz regelmäßig an erster Stelle genannt wird. Beide
Strategien enthalten aber leider keinerlei Lösungsvor-
schläge. Die NATURA-2000-Gebiete dürfen nicht durch
eine Ausnahmegenehmigung nach der anderen Schritt
für Schritt zerstört werden, wie es derzeit leider gängige
Praxis ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Antrag
zeigen Sie, dass Sie die Größe der Aufgabe, die uns in
Zukunft an den Küsten erwartet, nicht erkannt haben.
Diese Debatte wird den Menschen vor Ort, sei es auf den
Halligen, den Ostfriesischen Inseln oder auf Rügen,
nicht helfen.
Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Be-
reits die rot-grüne Koalition hat sich positiv zum Ansatz
des integrierten Küstenzonenmanagements bekannt.
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ies haben wir unter anderem in dem Antrag zur Fische-
eipolitik zum Ausdruck gebracht, den wir im Jahre
005 hier in diesem Haus diskutiert und verabschiedet
aben. Darin haben wir die Bundesregierung aufgefor-
ert, „die bestehende Förderpolitik für die Fischerei an-
upassen und dabei einen integrierten Gesamtansatz zu
ählen, der gezielt ein zweites wirtschaftliches Stand-
ein der Fischerei ermöglicht.“
Nun geht es beim IKZM nicht nur um die Entwick-
ung der Fischerei und um Einkommensalternativen für
rbeitslos gewordene Fischer. Es geht um die Integration
er gesamten wirtschaftlichen und ökologischen Ent-
icklung im Küstenraum. Es geht darum, sämtliche
chutzinteressen mit den Wirtschaftsinteressen in Über-
instimmung zu bringen und einen Beitrag zu wirtschaft-
ich agilen und lebenswerten Küstenräumen zu leisten.
enn man sich beispielsweise die Tourismusbranche an-
chaut, dann wird deutlich, dass eines das andere be-
ingt. Ohne eine intakte Natur kann der Tourismus an
er Küste nicht funktionieren. Hier wird die platte Pa-
ole, dass Naturschutz die wirtschaftliche Entwicklung
emme, aufs Eindrucksvollste ad absurdum geführt.
Beim IKZM geht es vor allem darum, durch frühzei-
ige Kommunikation zwischen den verschiedenen Inte-
essengruppen mögliche Probleme und Konflikte recht-
eitig aufzuzeigen und zu lösen, und zwar, bevor sich die
ronten verhärtet haben. Ich denke, es ist ganz wichtig,
iese zentrale Aussage zu verinnerlichen. Ansonsten
ird man nicht erfassen können, welche Bedeutung das
KZM für die Küstenregionen entfalten kann.
Das IKZM soll kein neues Planungsinstrument sein.
ies schreiben Sie in Ihrem Antrag; und dem können wir
ustimmen. Es gibt bereits hinreichend viele Planungs-
rozesse wie zum Beispiel die Raumordnung. Allerdings
rwarten wir Bündnisgrünen schon, den Ansatz des
KZM auch in formalisierter Form in diese Planungspro-
esse zu integrieren. Denn es ist etwas anderes, ob eine
ehörde von allen Interessengruppen Stellungnahmen
inholt und diese dann im stillen Kämmerlein auswertet,
der ob sie verpflichtet ist, alle Interessengruppen an ei-
en Tisch zu holen und mit diesen offen über die Pla-
ungsvorhaben zu reden und gemeinsam Lösungen und
rforderlichenfalls Alternativen zu entwickeln.
Das IKZM ist breit aufzustellen. Es müssen alle Wirt-
chaftsbranchen, Planungsaufgaben und Schutzinteres-
en im Küstenraum einbezogen werden. Wir begrüßen
aher das nationale Strategiepapier zum IKZM, den das
MU im Auftrag der Bundesregierung vorgelegt hat.
ieser Bericht wird den Anforderungen, ökologische
nd ökonomische Entwicklung gemeinsam zu betrach-
en, gerecht.
Wir begrüßen auch, dass sich die große Koalition in
en ersten beiden Teilen ihres Antrages positiv zum
KZM-Prozesses äußert. Es reicht jedoch nicht, dass Sie
ie Regierung bei der Fortsetzung des IKZM-Prozesses
nterstützen wollen. Vielmehr ist es erforderlich, dass
er Bundestag die Regierung damit beauftragt, den
KZM-Prozess tatsächlich fortzusetzen. Da die EU die
ortsetzung nur empfohlen hat, aber nicht vorschreibt,
ind eine klare Positionierung und ein klarer Arbeitsauf-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 5033
(A) )
(B) )
trag des Bundestages an die Regierung geboten. Ohne
diesen Handlungsauftrag bleibt Ihr Antrag an der ent-
scheidenden Stelle wirkungslos. Was machen Sie denn,
wenn die Bundesregierung entscheiden sollte, den
IKZM-Prozess abzubrechen? Ihr Antrag hindert die Re-
gierung jedenfalls nicht daran.
Enttäuschend ist in Ihrem Antrag außerdem, dass Sie
im Forderungsteil auf der Freiwilligkeit des IKZM-Ver-
fahrens beharren. Sie wollen nicht, dass die EU ihre Mit-
gliedstaaten verpflichtet, IKZM-Prozesse anzustoßen
und durchzuführen. Wenn Sie Ihre Ausführungen über
die Bedeutung des IKZM in den ersten Abschnitten Ihres
Antrages ernst meinen, dann ist Ihr Festhalten an der
Freiwilligkeit des IKZM-Prozesses in den einzelnen
Mitgliedstaaten inkonsequent und macht Ihren Antrag
unglaubwürdig.
Je öfter man Ihren Forderungsteil anschaut, desto
mehr liest er sich als eine Distanzierung vom IKZM. Da
fordern Sie, das IKZM für alle Akteure schlank zu hal-
ten. Sie fordern außerdem, den freiwilligen Ansatz des
IKZM nicht aus den Augen zu verlieren. Und noch ein-
mal fordern Sie, dass die Maßgabe der Freiwilligkeit und
der Entbürokratisierung fortbesteht. Das klingt alles sehr
nach „Ist ja alles schön und gut, solange ihr uns bei den
eigentlichen Entscheidungen damit in Ruhe lasst.“
Aus diesem Grund müssen wir Ihren Antrag – trotz
der schönen Lyrik in der Einleitung – bestenfalls als
wachsweiches und halbherziges Bekenntnis zum IKZM
werten. Nehmen Sie das Thema ernster, seien Sie in Ih-
ren Forderungen konsequenter, dann haben Sie mich und
meine Fraktion an Ihrer Seite.
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Auswirkungen des
Zuwanderungsgesetzes sofort evaluieren (Ta-
gesordnungspunkt 18)
Reinhard Grindel (CDU/CSU): Wer sich nur ein
wenig mit der Ausländer- und Asylpolitik in Deutsch-
land beschäftigt, der weiß, dass die Koalitionsparteien in
diesen Wochen in intensiven Verhandlungen über eine
Änderung des Zuwanderungsrechts befinden. Anlass da-
für sind elf EU-Richtlinien für Ausländer- und Asyl-
recht, die wir in deutsches Recht umsetzen müssen.
CDU/CSU und SPD haben sich im Koalitionsvertrag
darauf verständigt, diese Notwendigkeit der Umsetzung
von EU-Recht zum Anlass zu nehmen, eine Evaluierung
des Zuwanderungsrechts in Deutschland generell vorzu-
nehmen und bei festgestelltem Verbesserungsbedarf für
entsprechende Änderungen im Aufenthaltsgesetz, im
Asylverfahrensgesetz oder auch im Staatsangehörig-
keitsgesetz zu sorgen. Die Evaluierung findet nicht im
stillen Kämmerlein statt. Es sind die Länder und viele
Verbände eingeladen worden, ihre Anregungen mit in
unsere Beratungen einzubringen. Wir haben bereits im
März einen zweitägigen ausführlichen Praktikererfah-
rungsaustausch im Bundesinnenministerium durchge-
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ührt, an dem auch Vertreter der Oppositionsparteien
leider nur über kurze Zeiträume – teilgenommen ha-
en.
Der Evaluierungsbericht des Bundesinnenministe-
iums, der die schriftlichen und mündlichen Stellung-
ahmen sehr präzise und detailliert zusammenfasst, ist
ür jedermann zugänglich. Was die Evaluierung der Inte-
rationskurse anbelangt, ist das anerkannte sozialwis-
enschaftliche Institut Ramboll mit der Überprüfung der
ntegrationskurse beauftragt worden. Seit Juni liegt dazu
in erster Zwischenbericht vor.
Insgesamt muss man deshalb sagen: Der Antrag der
inken ist in weiten Teilen unzutreffend, aber vor allem
ngesichts der bereits getätigten Evaluierungsarbeiten
berflüssig.
Der Eindruck, den sie zu erwecken suchen, als ob mit
em Zuwanderungsgesetz Kettenduldungen generell ab-
eschafft werden sollten, ist unzutreffend. Wir haben
arüber schon mehrfach in diesem hohen Hause debat-
iert. Es war niemals die Absicht, denjenigen ein dauer-
aftes Aufenthaltsrecht zu verschaffen, die durch falsche
ngaben, Verweigerung von Mitwirkungspflichten und
ntertauchen zur Vereitelung von Abschiebungen ihren
ängerfristigen Verbleib in Deutschland selbst verschul-
et haben.
Bei Abschiebungsverboten, dringenden humanitären
der persönlichen Gründen und bei rechtlichen oder tat-
ächlichen Ausreisehindernissen haben ausreisepflich-
ige Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, und
war in mindestens 50 000 Fällen, wahrscheinlich noch
eutlich mehr. Insofern haben wir Menschen, die ihren
ängeren Aufenthalt nicht selbst zu verantworten haben,
it einer Rechtssicherheit ausgestattet und das darf als
umanitäre Verbesserung nicht kleingeredet werden.
Was die Integrationskurse angeht, ist die Behauptung,
er Gesetzgeber habe sein Augenmerk mehr auf die
anktionen als auf die Qualität der Kurse gelegt, abwe-
ig und polemisch. Über 268 000 Ausländer und Aus-
iedler haben eine Zulassung zu den Kursen erhalten.
ber 168 000 haben auch tatsächlich schon bisher einen
urs begonnen. Die Mehrzahl der Kursteilnehmer sind
estandsausländer, also schon seit vielen Jahren in
eutschland. Das heißt, dass das Konzept der nachho-
enden Integration hier aufgegangen ist. Das ist prakti-
che Integrationsarbeit des Bundes, für die wir
40 Millionen Euro im Jahr ausgeben und für die eigent-
ich die Länder zuständig wären. Ich will hinzufügen:
erade bei den Bestandsausländern, die zur Teilnahme
n einem Integrationskurs verpflichtet wurden und die-
er Verpflichtung noch nicht nachgekommen sind, wäre
s Aufgabe der Ausländerbehörden, sich darum zu küm-
ern, dass der Kurs auch tatsächlich besucht wird.
Natürlich gibt es noch Verbesserungsbedarf, über den
ir zum Beispiel schon in der nächsten Woche in einer
rbeitsgruppe des Integrationsgipfels sprechen werden,
ie sich nur mit dem Thema „Integrationskurse verbes-
ern“ beschäftigt.
Es ist richtig: Wir brauchen eine größere Differenzie-
ung des Kursangebots. Wir brauchen zumindest für
5034 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
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Frauen und Jugendliche auch eine höhere Stundenzahl
und Ergänzungen durch Kinderbetreuungs- und Berufs-
praktikumsangebote. Darüber werden wir in der Koali-
tion intensiv beraten. Aber das ist nicht nur eine Aufgabe
für den Bund, sondern auch für die Verantwortlichen vor
Ort in der Kommune. Wir brauchen eine bessere Vernet-
zung der Kursträger – gerade auch im ländlichen Raum –
damit Kurse schneller und in differenzierterer Form zu-
stande kommen. Wir brauchen auch einen besseren In-
formationsaustausch zwischen den Kursträgern, den
Ausländerbehörden, den Agenturen für Arbeit, den
Schulen und den Regionalkoordinatoren des Bundesamt
für Migration, um das Angebot an Integrationskursen zu
verbessern. Wir werden diesen Gedanken der Vernet-
zung in die Integrationskursverordnung aufnehmen und
auf der Grundlage des Ramboll-Berichtes für Verbesse-
rungen sorgen.
Interessant am Antrag der Fraktion Die Linke ist auch,
was dort nicht enthalten ist. Unter der Überschrift „Zu-
wanderungsgesetz evaluieren“ behandelt sie nur zwei
Themenkomplexe: Kettenduldungen und Integrations-
kurse. Die Koalition dagegen wird sich mit einer Reihe
anderer Bereiche beschäftigen, wie dem Evaluierungsbe-
richt auch entnommen werden kann: Erwerbestätigkeit
und Ausbildung, Asylverfahrensrecht einschließlich Asyl-
bewerberleistungsgesetz, Familiennachzug, Beseitigung
von Abschiebehindernissen, innere Sicherheit, Spätaus-
siedler und Staatsangehörigkeitsrecht. Wir wollen ein Ge-
samtkonzept erarbeiten, das am Ende zu einem besseren
Miteinander von Deutschen und Ausländern führt.
Nun kann ich mir denken, dass insbesondere die Ver-
treter der Opposition gerne wüssten, wie dieses Gesamt-
konzept wohl aussehen wird. Dazu kann ich nur sagen:
Wir halten es mit Abraham Lincoln, der einmal gesagt
hat: „Das klügste Tier ist das Huhn. Das gackert erst,
wenn das Ei gelegt ist.“ Ich könnte auch sagen: Wir In-
nenpolitiker sind keine Gesundheitspolitiker. Wir arbei-
ten fair zusammen und werden – darin bin ich zumindest
gerade auch nach unseren heutigen Verhandlungen vol-
ler Hoffnung – zeitnah ein geschlossenes Gesamtkon-
zept vorlegen. Aber ich sage auch: Schon jetzt sind wir
viel weiter, als es der vorliegende Antrag vermuten las-
sen würde.
Rüdiger Veit (SPD): In der einschlägigen Passage
des Koalitionsvertrages vom Herbst des letzten Jahres
heißt es unmissverständlich: „Wir werden das Zuwande-
rungsgesetz anhand der Anwendungspraxis evaluieren.
Dabei soll insbesondere auch überprüft werden, ob eine
befriedigende Lösung des Problems der so genannten
Kettenduldungen erreicht worden ist. Im Rahmen der
Evaluierung ist auch zu prüfen, ob alle Sicherheitsfragen
und humanitären Probleme, etwa mit Blick auf in
Deutschland aufgewachsene Kinder, wie beabsichtigt
befriedigend gelöst sind.“
Insofern haben Sie, meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen von der Links-Fraktion ja durchaus Recht,
wenn Sie darauf aufmerksam machen, dass es hier um
ein gravierendes Problem geht. Darauf aufmerksam zu
machen: Hier will ich Sie ja auch gerne unterstützen.
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eine Unterstützung hört aber dort auf, wo Sie unter-
tellen, dass die mit dem Thema befassten Innenpolitiker
n Bund und Ländern nun beinahe ein Jahr lang nichts in
iesen Fragen getan hätten. Das ist nun wirklich abwe-
ig.
Sie wissen so gut wie ich, dass es bereits einen „Be-
icht zur Evaluierung des Gesetzes zur Steuerung und
egrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des
ufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und
usländern (Zuwanderungsgesetz)“ vom Juli dieses Jahres
ibt. Sie wissen auch, dass es den Praktiker-Erfahrungs-
ustausch im Rahmen der Evaluierung des Zuwanderungs-
esetzes vom 30. und 31. März 2006 im Bundesministe-
ium des Innern gab. Und dass man den dazugehörigen
ericht auf vielen hundert Seiten nachlesen kann.
Aber Sie tun in Ihrem Antrag gerade so, als ob in die-
en wichtigen Fragen zu den Auswirkungen des Zuwan-
erungsgesetzes irgendjemand in der Regierung oder bei
en damit befassten Innenpolitikern im Bundestag sei-
en Winterschlaf hielte. Auch Sie können zwischenzeit-
ich nachlesen, an welchen Stellen es bei der Umsetzung
es Zuwanderungsgesetzes hakt und klemmt und wo
achgebessert werden muss.
In Wirklichkeit sind wir in der Diskussion ja ein paar
esentliche Schritte weiter, als Sie mit Ihrem überholten
ntrag unterstellen.
Wir sind in der Frage der Altfall- bzw. Bleiberechtsre-
elung für sich seit langen Jahren in der Bundesrepublik
ufhaltende Ausländerinnen und Ausländer längst in ei-
er entscheidenden Phase.
In der Sache selbst muss es darum gehen, sicherlich
icht allen, aber doch den meisten derjenigen ausländi-
chen Mitbürgerinnen und Mitbürgern einen gesicherten
tatus zu verschaffen, die schon seit vielen Jahren sich
echtmäßig, aber nur geduldet in Deutschland aufhalten
zw. die bisher langjährig geduldet waren und nunmehr
on Abschiebung bedroht sind. Diese Situation verun-
öglichte es ihnen in aller Regel, in Deutschland Arbeit
ufzunehmen und damit den Lebensunterhalt für sich
nd ihre Familien alleine zu bestreiten. Stattdessen sind
ie auf Transferleistungen angewiesen. Die im Interesse
ller Beteiligten vernünftige Logik läge darin, nunmehr
as, was wir leider mit dem Zuwanderungsgesetz ganz
ffensichtlich nicht erreicht haben, in einem Zug sozusa-
en glatt zu ziehen: Wir geben ihnen und ihren Familien
um einen aus humanitären Gründen ein dauerhaftes
ufenthaltsrecht und belasten zum anderen aber auch
ie öffentlichen Kassen nicht unnötig mit weiteren
ransferleistungen.
Etwas Entscheidendes kommt hinzu: Bei vielen der
etroffenen Familien handelt es sich um solche, bei de-
en einzelne oder mehrere Kinder in Deutschland gebo-
en und/oder aufgewachsen und hier bestens integriert
ind. Warum man ihnen jetzt die Tür weisen sollte, um
ann vielleicht in naher Zukunft im Interesse der Auf-
echterhaltung unserer Sozialversicherungssysteme und
es Arbeitsmarktes Menschen aus Drittländern anzuheu-
rn und sie anschließend mit viel Geld und Mühe in
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 5035
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Deutschland zu integrieren, ist ebenfalls niemandem
vernünftigerweise klar zu machen.
Es versteht sich dabei von selbst, dass wir eine ganze
Reihe von Personen nicht hier bei uns behalten wollen.
Dies mag zum einen solche betreffen, die mit bewusster
Täuschung ihren Aufenthalt in Deutschland künstlich
verlängert haben, die jedwede Integrationsbemühungen
vermissen lassen oder die sogar in erheblicher Weise
straffällig geworden sind. Deswegen brauchen wir abge-
wogene und sinnvolle Kriterien – sei es für den Fall ei-
ner gesetzgeberischen Lösung oder für eine entspre-
chende Beschlusslage der Innenministerkonferenz.
Gleichwohl gibt es noch erhebliche Hürden für eine
Regelung zu überwinden, die großzügig – man könnte
auch sagen: schlicht vernünftig – genug ist, damit wir
die Probleme mit erneut drohenden Abschiebungen nicht
in einem oder zwei Jahren wiederum in großer Zahl auf
dem Tisch haben.
Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble hat in
einem Interview in der „Süddeutschen Zeitung“ vom
22. Juli dieses Jahres auf die Frage des Journalisten
Heribert Prantl: „Wird man die Umsetzung“ (und ge-
meint sind aktuell elf EU-Verordnungen des Ausländer-
und Flüchtlingsrechts) „mit den gesetzgeberischen Fol-
gerungen aus dem Evaluationsbericht und einer Altfall-
regelung in einem Zuwanderungsergänzungsgesetz ver-
binden?“ zu erkennen gegeben, dass er dies gut fände.
Auch darauf setzen die Abgeordneten der sozialdemo-
kratischen Partei Deutschlands in diesem Parlament.
Ich komme somit zu Ihrem zweiten Punkt: der Inte-
gration.
Auch hier, entschuldigen Sie meine Direktheit, ist Ihr
Antrag keineswegs mehr der aktuellste. Alle darin ge-
stellten Forderungen sind bereits in Angriff genommen
worden, auch die Evaluation der Integrationskurse ist
längst im Gange. Es hat dazu bereits am 30./31. März
2006 im Rahmen des Praktiker-Erfahrungsaustausches,
ich erwähnte es bereits im oben genannten Kontext, eine
erste Anhörung gegeben.
Nach einem öffentlichen Ausschreibungsverfahren
wurde im Januar 2006 Ramboll Management mit der
Evaluierung der Integrationskurse nach dem Zuwande-
rungsgesetz beauftragt. Die also längst begonnene Eva-
luierung wird noch bis zum 31. Dezember 2006 fortge-
führt und zu diesem Stichtag mit einem Abschlussbericht
beendet. Ein Zwischenbericht vom Juni 2006 liegt be-
reits vor.
Wie Sie es fordern, wurde dabei davon ausgegangen,
dass die individuellen Bildungs- und Lernvoraussetzungen
der Kursteilnehmer einen maßgeblichen Einfluss auf den
Erfolg der Kurse haben. Dies wurde auch im Ramboll-
Zwischenbericht bestätigt: Die Kursträger wünschen
sich eindeutig eine homogenere Zusammensetzung der
Kurse, was den Bildungsrad betrifft. Hinsichtlich der
Merkmale Muttersprache, Alter und Geschlecht schät-
zen hier die Kursteilnehmer eine heterogene Zusammen-
setzung für besser ein und diese ist in der Praxis auch
häufig schon gegeben.
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Die Qualifikation der Lehrkräfte ist allerdings noch
icht überall gleich gut, wie der Zwischenbericht gezeigt
at, was auch an der stark divergierenden Vergütung der
ehrkräfte hängt.
Hinweisen möchte ich in diesem Zusammenhang
uch auf einen Entschließungsantrag der Regierungs-
raktionen in der Sitzung des Innenausschusses am
0. Mai 2006, in dem wir bereits klar erkennbar Pro-
leme der Durchführung der Integrationskurse benannt
aben, wie zum Beispiel eine bessere Differenzierung
er Kurse und eine längere Kursdauer, die Sicherung der
ualität der Kursträger und ein verbessertes Honorar,
ine verpflichtende Vernetzung des Angebots der Kurs-
räger auf regionaler Ebene, die Erreichbarkeit der Kurse
n räumlicher Hinsicht, die Organisation von kursbeglei-
enden Praktika, die Kinderbetreuung sowie die Zumut-
arkeit der Eigenbeteiligung bei Geringverdienern.
Sie sehen also, wir waren auch auf diesem Felde nicht
ntätig und sind vorbehaltlich des weiteren Analysever-
aufs längst dabei, zu überlegen, wie die erkannten Defi-
ite im System selbst bereinigt werden können, und wer-
en darauf drängen, dass schon jetzt erste Schritte zur
ptimierung der Kurse eingeführt werden.
Jeder und jede, denen diese auch für uns wichtigen
hemen am Herzen liegen, ist natürlich weiterhin aufge-
ordert, Überlegungen im Interesse der betroffenen Men-
chen anzustellen.
Aber bitte, verehrte Kolleginnen und Kollegen von
er linken Seite des Hohen Hauses, bleiben Sie deshalb
och nicht unterhalb des augenblicklichen Diskussions-
tandes und möglicherweise damit auch unterhalb Ihrer
öglichkeiten. Ihr Antrag jedenfalls ist nicht weiterfüh-
end.
Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Die persönliche
ufenthaltsperspektive in Deutschland ist entscheidend
ür die Integrationsbereitschaft von Migrantinnen und
igranten. Ein unsicherer Aufenthaltsstatus erschwert
ie Motivation für Integrationsbemühungen. Deshalb ist
as Problem der Kettenduldungen nach wie vor akut und
rschwert die Bemühungen um eine wirksame Integra-
ionspolitik. Eine Untersuchung der Möglichkeiten und
erspektiven zur Abschaffung von Kettenduldungen fin-
et die Unterstützung der FDP.
Wir müssen tatsächlich zu einem Zustand kommen, in
em es eine klare rechtsstaatliche Entscheidung gibt:
er legal hier ist, muss einen sicheren Aufenthaltsstatus
ekommen und sich mit dieser Perspektive in unsere Ge-
ellschaft integrieren.
Bei den Illegalen aber müssen wir überlegen, unter
elchen Bedingungen wir ihnen eine legale Perspektive
n Deutschland eröffnen können, da der Rechtsstaat Ille-
alität auf Dauer nicht hinnehmen kann. Deshalb ist zu
berprüfen, ob nicht auch bei bisher Geduldeten eher mit
efristeten Aufenthaltstiteln gearbeitet werden kann.
iese geben eine sicherere Perspektive.
Der Rechtsstaat wird unglaubwürdig, wenn er die Un-
echtmäßigkeit eines Aufenthaltes in Deutschland dul-
5036 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
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det: Er ermöglicht dann de facto illegale Zuwanderung,
hält aber zugleich die so Zugewanderten wirksam von
der Integration in unsere Gesellschaft, in Sprache,
Rechtsordnung und auch in den Arbeitsmarkt dauerhaft
ab. Je länger dieser potenzielle Duldungsstatus dauert, je
länger jemand in solcher Unsicherheit leben muss, desto
größer ist die Gefahr der Bildung von Parallelgesell-
schaften und desto mehr sinkt die Bereitschaft und Fä-
higkeit zur Integration.
Wir brauchen uns nicht über die Erfolge von Rechts-
extremisten oder über Ausländerhass wundern, wenn un-
ser Staat die Zuwanderung von Ausländern gleichzeitig
zulässt, für illegal erklärt und die Zugewanderten von
der Integration und der Erwerbsarbeit ausschließt und sie
so dem Vorwurf aussetzt, nicht selbst für ihren Lebens-
unterhalt zu sorgen. Ohne gleichberechtigten Arbeits-
marktzugang können Zuwanderer sich nicht aus ihrer
ökonomischen Abhängigkeit befreien. Erwerbstätigkeit
ist die Grundlage für ökonomische Unabhängigkeit.
Arbeit ist ein entscheidender Integrationsfaktor: Ar-
beit ermöglicht den Zuwanderern, finanziell auf eigenen
Beinen zu stehen, fordert dadurch nicht nur das Selbst-
wertgefühl des Berufstätigen, sondern auch das der Fa-
milienangehörigen. Sie ermöglicht soziale Kontakte und
schafft Akzeptanz in der Bevölkerung. Dies ist auch im
Interesse der Gesellschaft als Ganzes. Deshalb ist es not-
wendig, dass eine Aufenthaltserlaubnis immer auch die
Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ermöglicht. Umge-
kehrt – da ist die Linkspartei wohl anderer Meinung –
muss die rechtskräftige Ablehnung einer Aufenthalts-
erlaubnis auch zu entsprechenden Konsequenzen führen.
Wachsende Demokratieskepsis, Wahlverweigerung
oder das Ausweichen auf Randparteien sollten für uns
alle hier im Haus ein ernstes Warnzeichen sein. Wir
brauchen eindeutige Regelungen: Nur Klarheit schafft
Vertrauen und Perspektiven.
Auch die Evaluation der Sprachkurse wird von der
FDP vorbehaltlos unterstützt. Nicht unterstützen können
wir allerdings die abstruse Begründung, auf die sich die
GEW Bayern stützt. Die Dämonisierung des Marktes als
zynische Kraft, die die Integrationsarbeit kaputtmacht,
ist lächerlich. Der Markt ist auch im Bereich der Integra-
tionsmaßnahmen ein grundsätzlich geeignetes Instru-
ment, ein vernünftiges Preis-Leistungs-Verhältnis zu er-
zielen und einen Ursache-Wirkung-Zusammenhang
herzustellen.
Allerdings müssen hier, wie auf jedem Markt, auf
dem eingekauft werden soll, die Marktteilnehmer ihre
Interessen sorgfältig erwägen. Hier besteht bei der Bun-
desregierung noch Nachholbedarf. In dieser Hinsicht
stimme ich durchaus der Auffassung zu, dass die Inte-
grationskurse stärker zielgruppenorientiert gestaltet und
die Kursdauer und auch die Vergütung der Lehrer an die
zu erreichenden Ziele angepasst werden müssen. Eine
diesbezügliche Anhörung im Innenausschuss hat im
Frühjahr ein durchaus klares Bild ergeben. Deshalb
sollte der Bundesinnenminister sich nicht vom Handeln
abhalten lassen, nur weil die Evaluation noch nicht abge-
schlossen ist. Einige Probleme liegen klar am Tage.
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Dazu gehört auch die Abbrecherquote: Neben der
angelnden Zielgruppenorientierung und Differenzie-
ung der Kurse fehlt eine verbindliche Lernzielkontrolle
nd auch die Auswirkung – in positiver wie negativer
insicht – auf den Aufenthaltsstatus in Deutschland. Der
urserfolg sollte mit dem Aufenthaltsstatus in einen
rsache-Wirkung-Zusammenhang gestellt werden:
benso wie Integrationsverweigerer mit aufenthalts-
echtlichen Konsequenzen rechen müssen, müssen auch
rfolge in der Integration mit einer Verbesserung des
ufenthaltsstatus belohnt werden können.
Die FDP begrüßt den Antrag der Linken im Grund-
atz. Wir sehen Begründung und Form aber doch so kri-
isch, dass wir ihm in der vorliegenden Form nicht zu-
timmen können.
Ulla Jelpke (DIE LINKE): Das Zuwanderungsgesetz
at die Probleme von Hunderttausenden hier lebender
lüchtlinge und ihrer Kinder nicht gelöst. Es liegt zwar
ittlerweile eine Art Evaluation vor. Sie erschien, nach-
em wir unseren Antrag eingereicht hatten. Nur: Was die
undesregierung da vorgelegt hat, beantwortet nicht die
entralen Fragen und Probleme.
Dazu gehören vor allem die so genannten Kettendul-
ungen, die nicht wie versprochen beendet wurden. Über
00 000 Menschen erhalten Quartal für Quartal ihren
euen Duldungsbescheid, jedes Mal ohne zu wissen, ob
hre Duldung auch wirklich verlängert wird, ohne zu
issen, was langfristig aus ihnen werden soll. Die Frage
st: Gibt der Bericht der Bundesregierung Antworten auf
ie Frage, warum es diese Kettenduldungen immer noch
ibt? Gibt er Antworten auf die Fragen, wie die Auslän-
erbehörden ihre Ermessensspielräume nutzen, eine
ufenthaltserlaubnis zu erteilen? Wie sich die Situation
nsbesondere für Kinder und Jugendliche entwickelt hat?
ein, darauf gibt der Bericht keine Antwort. Denn er
tellt diese Fragen gar nicht. Er betrachtet die Betroffe-
en als Lügner und Betrüger, die sich ihren Aufenthalt in
eutschland erschleichen wollen. Das ist die Perspek-
ive, die uns auch die Unionsfraktion immer wieder prä-
entiert, und das ist eine menschenfeindliche Perspek-
ive.
Im Rahmen der Evaluation gab es den Praktikererfah-
ungsaustausch, den das Bundesinnenministerium am
0. und 31. März dieses Jahres veranstaltet hat. Flücht-
ingsorganisationen, Kirchen und Juristen haben darüber
inaus weitere Stellungnahmen abgegeben. Sie alle spra-
hen sich für rechtliche Verbesserungen im Sinne der
lüchtlinge aus. Nur so könne das Problem der Ketten-
uldungen gelöst werden.
Der Bericht hat keine dieser Stellungnahmen und For-
erungen berücksichtigt. In einer Pressemitteilung der
vangelischen und der katholischen Kirche vom 24. Juli
ieses Jahres heißt es: Der Evaluationsbericht ist leider
n vielen Stellen von Misstrauen geprägt. Besonders zu
ritisieren sei es, dass der Bericht zum Problem der Ket-
nduldungen keine Verbesserungen enthalte. Die Flücht-
ngsorganisation Pro Asyl bezeichnete die Evaluation
ls Farce. Die enthaltenen Änderungsvorschläge seien
in „Katalog der asyl- und migrationspolitischen Grau-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 5037
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samkeiten“. Amnesty International beklagt in einer Stel-
lungnahme vom 25. Juli dieses Jahres, dass Migranten
und Schutzsuchende unter den Generalverdacht gestellt
würden, sie wollten die deutschen Gesetze missbrauchen.
Die Bundesregierung hat in ihren Änderungsvor-
schlägen lediglich die restriktiven Vorschläge der Innen-
minister berücksichtigt, der gleichen Innenminister, die
seit Jahren eine wirkliche Lösung des Problems der Ket-
tenduldungen verhindern.
Kettenduldungen treffen die Schwächsten der Gesell-
schaft am härtesten: Kinder und Jugendliche. Viele sind
hier geboren, gehen hier zur Schule. Dann kommt, nach
vielen Jahren, auf einmal ein Bescheid der Ausländerbe-
hörde, dass sie das Land, in dem sie aufgewachsen oder
geboren sind, verlassen müssen. Sie werden in ein Land
abgeschoben, dessen Sprache sie oft nicht sprechen.
Immer wieder berichten Zeitungen von solchen Fäl-
len. Oft protestieren Schülerinnen und Schüler dagegen,
dass ihre Freunde abgeschoben werden sollen. In Düs-
seldorf wird morgen ein „Unterstützerkreis für die Fami-
lie Idic“ mehr als 1 000 Unterschriften an die Ausländer-
behörde übergeben. In dem Aufruf heißt es, ich zitiere:
Das Schicksal der Düsseldorfer Familie Idic, Mut-
ter Resmi Idic mit ihren vier Kindern Semra (17),
Merima (14), Vesna (11) und Edijan (6) – der Vater
wurde im November 2005 abgeschoben –, macht
viele Menschen in unserer Stadt sehr betroffen.
Niemand versteht, warum diese gut integrierte Fa-
milie weiterhin von Abschiebung bedroht ist.
Dies ist nur ein Beispiel von Tausenden. Es zeigt,
dass wir hier über Menschen sprechen, die längst in
Deutschland ihren Lebensmittelpunkt haben. Das wird
auch von den meisten Deutschen anerkannt. 68 Prozent
der Bevölkerung sind dafür, Menschen mit langjähriger
Duldung eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Das hat
eine Umfrage des „Spiegel“ im Juni dieses Jahres ge-
zeigt
Wir reden hier von Menschen, die integriert sind. Ihre
Abschiebung ist selbst dann eine unmenschliche Härte,
wenn ihnen nicht Elend, Krieg und politische Verfol-
gung drohen. Denn auf jeden Fall sind diese Abschie-
bungen Mittel, mit denen Menschen entwurzelt werden.
Dieses Geschäft betreiben ausgerechnet jene, die ein
sichtbares Zeichen gegen Vertreibungen fordern, wenn
es um Deutsche geht. Das ist die pure Heuchelei!
Morgen werden die Innenminister von Bund und Län-
dern wieder einmal über eine Bleiberechtslösung debat-
tieren. Es steht zu befürchten, dass sie sich wieder ein-
mal nicht einigen können. Oder sie beschließen eine
Regelung, die die Probleme nicht löst. Die aktuell disku-
tierten Vorschläge weisen leider in diese Richtung. Die
Erteilung der Aufenthaltserlaubnis wird an Bedingungen
geknüpft, die für viele Geduldete nicht erfüllbar sind.
Eine praktikable Bleiberechtsregelung muss darauf
verzichten, einen Nachweis zu fordern, dass der Lebens-
unterhalt selbstständig bestritten wird. Gerade für Ju-
gendliche, die sich für eine Ausbildung oder ein Studium
entscheiden, ist das ein zentraler Punkt. Auch eine Stich-
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agsregelung, wie sie hier öfter in die Debatte geworfen
ird, ist in hohem Maße unpraktikabel. Das haben die
rfahrungen der 90er-Jahre deutlich gezeigt. Wir for-
ern, dass die Bundesregierung im Rahmen der anste-
enden Änderungen des Zuwanderungsgesetzes entspre-
hende Vorschläge unterbreitet. Morgen demonstrieren
or dem Innenministerium Jugendliche für ein Bleibe-
echt. Ihr Motto: „Hier geblieben!“. Dem schließen wir
ns voll und ganz an!
Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN): Der Evaluierungsbericht zum Zuwanderungsge-
etz, den das Bundesinnenministerium in der Sommer-
ause vorgelegt hat, ist eine große Enttäuschung: In der
nalyse drückt sich das Innenministerium um das Be-
ennen erkennbarer Schwachstellen des Zuwanderungs-
esetzes. Außerdem sind in den Evaluierungsbericht die
on der Einschätzung der Bundesregierung abweichen-
en Stellungnahmen der Verbände nicht eingegangen.
ie wurden zwar in zwei Anlagebänden gesondert veröf-
entlicht. Wer sich hier einen Überblick verschaffen will,
arf gut 1 000 Seiten durchblättern, während der Regie-
ungsbericht schnell auf den Punkt kommt.
Ich nenne zum Beispiel den Bereich der Arbeits-
igration. Hier sollte das Zuwanderungsgesetz den Zu-
ug insbesondere von hochqualifizierten Arbeitskräften
ördern. Union und SPD haben aber im Zuwanderungs-
ompromiss die Hürden so hoch gelegt, dass kaum Spit-
enkräfte nach Deutschland kommen können. Dennoch
ieht die große Koalition hier nur minimalen Handlungs-
edarf, zum Beispiel bei den Gehaltsvoraussetzungen
ür Höchstqualifizierte. Dies reicht aber bei weitem nicht
us. Es müssen auch Zuzugsmöglichkeiten für qualifi-
ierte ausländische Arbeitskräfte, zum Beispiel Ingenieure
der Ärzte, unter Beachtung des Vorrangprinzips für
eutsche und bereits hier lebende Ausländer geschaffen
erden. Weiterhin brauchen wir einen Einstieg in die de-
ografische Zuwanderung über die Einführung eines
unktesystems.
Dies sehen auch Arbeitgeberverbände und der Deut-
che Industrie- und Handelskammertag so. Deren Stel-
ungnahmen anlässlich des vom BMI veranstalteten
Praktiker-Erfahrungsaustauschs“ Ende März 2006 wur-
en offenkundig ebensowenig zur Kenntnis genommen
ie die umfangreichen Ausführungen von Kirchen,
ohlfahrtsverbänden und Menschenrechtsorganisatio-
en zum Komplex des humanitären Aufenthaltsrechts.
er Evaluierungsbericht des BMI ist auch deswegen so
nttäuschend, weil er bei der offenkundigsten Schwäche
es Zuwanderungsgesetzes, nämlich der Vermeidung
on Kettenduldungen und der Schaffung eines Bleibe-
echts für langjährig Geduldete, keine Stellung bezieht.
Auch im Bereich der Integrationspolitik setzt das
MI falsche Akzente. Für meine Fraktion ist klar: Die
ntegrationskurse müssen finanziell besser ausgestattet
nd vom pädagogischen Ansatz her verbessert werden.
as hat für die große Koalition aber nur „nachrangige“
edeutung. Priorität hat im Evaluierungsbericht des
MI allein die Verschärfung von Verpflichtungs- und
anktionsmöglichkeiten der Teilnehmenden. Eine
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erfolgreiche Integration bedarf indes eines gesellschaftli-
chen Klimas, das Zuwanderung und Integration als
Chance für unser Land ebenso wie für die Zuwanderer
begreift.
Beim Schutz von Migrantinnen vor Zwangsverheira-
tung ergibt sich dasselbe Bild. Hier ist der Evaluierungsbe-
richt von Misstrauen gegenüber den betroffenen Menschen
geprägt. So werden vorgeschlagene Beschränkungen des
Schutzes von Ehe und Familie wiederholt damit begrün-
det, dass die bisher geltenden Regelungen zum Miss-
brauch einladen. Belege für solch missbräuchliche Inan-
spruchnahme fehlen jedoch weitgehend. Dort aber, wo
es um aufenthaltsrechtliche Verbesserungen für poten-
zielle Opfer von Zwangsehen geht, sieht das BMI „kei-
nen Gesetzgebungsbedarf“ und stellt sich damit diame-
tral gegen die Stellungnahmen der Verbände anlässlich
des Praktikeraustauschs sowie gegen die Ergebnisse der
Sachverständigenanhörung im Familienausschuss im
Juni 2006.
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Überstellungsausführungsgeset-
zes und des Gesetzes über die internationale
Rechtshilfe in Strafsachen (Tagesordnungs-
punkt 19)
Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/
CSU): Es ist der dritte Anlauf in diesem Hohen Hause,
in dem wir uns mit einer hochkomplexen Materie des
Vollstreckungshilferechts in Strafsachen befassen.
Worum geht es? Viele ausländische Straftäter wün-
schen eine Haftverbüßung in ihrem Heimatland, einige
aber auch nicht. Zu unterscheiden sind drei Fallkonstel-
lationen: Erstens. Die Überstellung erfolgt mit ausdrück-
licher Zustimmung der verurteilten Person. Zweitens.
Die rechtskräftig verurteilte Person hat sich aus dem Ur-
teilsstaat in ihr Heimatland abgesetzt; es liegt ein so ge-
nannter Fluchtfall vor. Drittens. Gegen die verurteilte
Person liegt eine bestandskräftige Ausweisungsverfü-
gung vor, aber sie stimmt einer Überstellung in den Voll-
streckungsstaat nicht zu. – Die beiden letzteren Fälle be-
dürfen einer näheren gesetzlichen Regelung.
Anlass ist das Zusatzprotokoll vom 18. Dezember
1997 zum Übereinkommen über die Überstellung verur-
teilter Personen, dem der Deutsche Bundestag mit dem
Gesetz vom 10. Dezember 2002 zugestimmt hat. Das
Zustimmungsgesetz zum Zusatzprotokoll wurde auch
ausgefertigt und im Bundesgesetzblatt veröffentlicht
– BGBl. 2002 II 2866 –, doch bis heute wurden die Rati-
fizierungsurkunden nicht in Straßburg hinterlegt. Die
Hinterlegung unterblieb offenkundig deshalb, weil das
notwendige Ausführungsgesetz fehlt. Der Gesetzgeber
war zwar nicht untätig geblieben, allerdings fielen ent-
sprechende Gesetzentwürfe sowohl in der 14. als auch in
der 15. Legislaturperiode dem Grundsatz der Diskonti-
nuität zum Opfer. Das bedeutet für Deutschland, dass
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rotz der Anordnung des In-Kraft-Tretens des Zusatzpro-
okolls ein In-Kraft-Treten verhindert wurde. Namhafte
ommentatoren bezeichnen dies als eine für Deutsch-
and „delikate Situation“. Die Praxis braucht ein in allen
ällen funktionierendes Instrument der Überstellung
ringend. Ein Blick auf die Übersicht der Vertragsstaa-
en zeigt, dass Deutschland im Kreise der Mitgliedstaa-
en des Europarats zu den wenigen Staaten gehört, für
ie das Zusatzprotokoll noch nicht gilt. Dringender Um-
etzungsbedarf ist daher gegeben.
Auch für den versierten Juristen handelt es sich um
ine nur mühsam zu durchschauende Materie. Das Zu-
atzprotokoll vom 18. Dezember 1997 verfolgt neben
er Regelung von Fluchtfallen – Art. 2 des Zusatzproto-
olls – das Ziel, die Überstellung verurteilter Personen
n den Vollstreckungsstaat auch gegen deren Willen zu
rmöglichen, wenn gegen sie eine bestandskräftige Aus-
eisungsverfügung vorliegt, die auf der Verurteilung be-
uht (Art. 3 des Zusatzprotokolls). Nach Verbüßung der
trafe darf sich diese Person nicht mehr im Urteilsstaat
ufhalten, sodass der Vollzug im Urteilsstaat keine reso-
ialisierende Wirkung haben kann. Da liegt es doch
ahe, den Verurteilten bereits zur Strafvollstreckung in
ein Heimatland zu überstellen, wo er auf ein straffreies
eben in seinem späteren Lebensumfeld vorbereitet wer-
en kann. Da dies im Interesse des Verurteilten ist, kann
uf seine Zustimmung verzichtet werden. Gesetzestech-
isch wird dieses europapolitische Ziel im Zusammen-
irken eines Zusatzprotokolis, eines nationalen Zustim-
ungsgesetzes zum Zusatzprotokoll und eines heute in
rster Lesung zu debattierenden Ausführungsgesetzes
ewerkstelligt.
Im dritten Anlauf stehen die Karten gut, dieses Aus-
ührungsgesetz über die parlamentarischen Hürden zu
ringen und den derzeit unbefriedigenden Zustand zu
eenden. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ver-
ichtet auf Konfliktpotenzial, indem etwa eine Differen-
ierung zwischen verurteilten Ausländern, die feste Bin-
ungen zu Deutschland haben, und solchen, bei denen
ies nicht der Fall ist, nicht vorgenommen wird; dies war
ei dem Gesetzentwurf der Bundesregierung in der
4. Legislaturperiode noch der Fall.
Der gesetzgeberische Handlungsbedarf bei so ge-
annten Fluchtfallen und fehlender Zustimmung zur
berstellung ergibt sich nun daraus, dass im Zuge des
berstellungsausführungsgesetzes, ÜAG, vom 26. Sep-
ember 1991 auf die nach § 71 Abs. 4 IRG zwingend
orgeschriebene gerichtliche Prüfung der Zulässigkeit
ber die weitere Vollstreckung im Ausland ausdrücklich
erzichtet wird (§ l ÜAG). Dies ist sachlich gerechtfer-
igt, soweit der Verurteilte seiner Überstellung zustimmt.
as ist der im Überstellungsübereinkommen vom
1. März 1983 geregelte Fall.
Auch im Fluchtfall bedarf es einer gerichtlichen Zu-
ässigkeitsentscheidung nicht. Dies wird im Gesetzent-
urf ausdrücklich klargestellt. Schließlich hat sich der
erurteilte freiwillig des Schutzes der deutschen Rechts-
emeinschaft begeben.
Anders stellt es sich jedoch in Fällen dar, in denen der
erurteilte auch gegen seinen Willen überstellt werden
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 5039
(A) )
(B) )
kann, so wie dies nun Art. 3 des Zusatzprotokolls vor-
sieht. In einem solchen Fall ist das Fehlen einer gerichtli-
chen Zulässigkeitsprüfung nicht akzeptabel. Das lässt sich
auch aus der Grundsatzentscheidung des Bundesverfas-
sungsgerichts vom 18. Juni 1997 – BverfGE 96, 100 –
schlussfolgern. Darin hat das Bundesverfassungsgericht
für das gesamte Rechtshilferecht zu § 71 IRG deutlich ge-
macht, dass bei diesem Verfahren neben dem öffentlichen
Interesse an der Strafvollstreckung auch die Grundrechts-
positionen des Verurteilten zu berücksichtigen sind. So
wird mit diesem Gesetzentwurf, den wir heute beraten, die
Wiedereinführung der gerichtlichen Zulässigkeitsent-
scheidung für jene Abschiebefälle verfolgt. Dies, meine
Damen und Herren, macht auch Sinn: Die Entscheidung
über die Abgabe der Strafvollstreckung ans Ausland ist
für den Verurteilten mit zum Teil erheblichen Konsequen-
zen verbunden. Fehlende soziale Kontakte im Heimat-
staat, eine eingetretene Entfremdung von der heimatlichen
Kultur oder etwaige Sprachbarrieren sind in die Abwä-
gung ebenso mit einzubeziehen wie die Vollzugs- und
Vollstreckungspraxis im betreffenden Land. Zu denken ist
beispielsweise an erschwerte Haftumstände. Zu Recht
sieht daher § 71 Abs. 4 Satz l IRG im Rahmen der inter-
nationalen Rechtshilfe die gerichtliche Feststellung der
Zulässigkeit der Vollstreckung einer deutschen Sanktion
im Ausland vor.
Für diese Zulässigkeitserklärung soll nach dem Ge-
setzentwurf der Bundesregierung in Zukunft anstatt des
Landgerichts das Oberlandesgericht zuständig sein. Um
einen Gleichlauf zu erreichen, soll § 71 Abs. 4 IRG ent-
sprechend geändert werden. Damit wäre das Oberlan-
desgericht nicht nur in den Fällen des Zusatzprotokolls
zuständig, sondern auch im sonstigen Anwendungsbe-
reich des § 71 IRG. Künftig wird somit ein mit Rechts-
hilfefragen besonders vertrautes Gericht unmittelbar zu-
ständig sein. Zudem kommt es durch den Wegfall des
Instanzenzuges zu einer Straffung des Überstellungsver-
fahrens.
Zugegebenermaßen lädt die spröde Materie nicht zu
einer breiten politischen Debatte ein. Ich wünsche uns
eine zügige Beratung im Rechtsausschuss. Lassen Sie es
mit drei Anläufen genug sein!
Dr. Peter Danckert (SPD): Ich halte es für zweck-
mäßig, dass wir uns – aufgrund des nicht für den
Alltagsgebrauch vorgesehenen Gesetzentwurfes der
Bundesregierung zur Änderung des Überstellungsaus-
führungsgesetzes und des Gesetzes über die internatio-
nale Rechtshilfe in Strafsachen – zunächst die Reihen-
folge der Änderungen vor Augen halten.
Die §§ l und 2 des Überstellungsausführungsgesetzes
vom 26. September 1991 werden durch die §§ l bis 3 er-
setzt. Wichtig ist insbesondere die Änderung, dass in § 2
Abs. 2 des Überstellungsausführungsgesetzes – ÜAG –
bei Vollstreckungsersuchen nach Art. 3 des Zusatzproto-
kolls der Rechtsweg über § 71 Abs. 4 des Gesetzes über
die internationale Rechtshilfe in Strafsachen – IRG – zur
Anwendung kommen soll. Im Rahmen dieser vorgesehe-
nen Änderung soll zugleich die nach § 71 Abs. 4 IRG
bisher den Landgerichten zugewiesene Zulässigkeitsprü-
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ung in die Zuständigkeit der Oberlandesgerichte über-
ührt werden. Warum sind diese Änderungen überhaupt
otwendig?
In dem Gesetz zur Ausführung des Übereinkommens
om 21. März 1983 über die Überstellung verurteilter
ersonen vom 26. September 1991 – Überstellungsaus-
ührungsgesetz – ÜAG, BGBl. I, S. 1954 – wurde auf die
ach § 71 Abs. 4 IRG zwingend vorgesehene gerichtli-
he Prüfung der Zulässigkeit über die weitere Vollstre-
kung im Ausland verzichtet. Der Grund hierfür war,
ass nach dem Übereinkommen für die Überstellung die
ustimmung der verurteilten Person erforderlich war.
In einem Zusatzprotokoll vom 18. Dezember 1997
um Übereinkommen über die Überstellung verurteilter
ersonen haben die Unterzeichner wesentliche Erleich-
erungen für den Vollstreckungshilfeverkehr vorgesehen.
emäß Art. 3 des Zusatzprotokolls ist eine Überstellung
es Verurteilten in sein Heimatland zur weiteren Straf-
ollstreckung auch ohne Zustimmung des Verurteilten
öglich.
Nach der Systematik des Gesetzes über die internatio-
ale Rechtshilfe in Strafsachen – IRG – muss bei we-
entlichen Eingriffen in die Rechte von Betroffenen eine
erichtliche Zulässigkeitsentscheidung von Amts wegen
orgesehen werden, sofern die Betroffenen dem Eingriff
icht zustimmen. Auch Art. 19 GG gebietet eine gericht-
iche Entscheidung.
Ziel des Gesetzentwurfs ist es demnach, in dem in
rt. 3 des Zusatzprotokolls geregelten Fall der Überstel-
ung zum Zweck der Strafvollstreckung einen rechts-
taatlichen Ausgleich durch eine gerichtliche Zulässig-
eitsüberprüfung vorzusehen.
Ich teile die Auffassung meines Fraktionsvorsitzen-
en Dr. Peter Struck, der angesichts der erheblichen
ragweite, die der Entscheidung über die Vollstreckung
iner Strafe im Ausland für den Verurteilten zukommt,
iese Maßnahme für sinnvoll erachtet. Bei der gerichtli-
hen Prüfung der Zulässigkeit einer Überstellung soll
ntersucht werden, ob bei Abwägung aller persönlichen
mstände eine Überstellung gegen den Willen der ver-
rteilten Person überhaupt in Betracht kommt.
Es sei dahingestellt, ob es geboten erscheint, die ge-
ichtliche Zulässigkeitsprüfung den Oberlandesgerichten
uzuweisen. Hier kann man auch anderer Auffassung
ein, zumal sich die Landgerichte in den letzten Jahren
ntensiv mit diesen Fragen befasst haben. Auf jeden Fall
st die Entscheidung für die Oberlandesgerichte sachge-
echt. In der Frage, ob angesichts der Vollzugs- und Voll-
treckungspraxis im ausländischen Staat eine Überstel-
ung überhaupt zulässig ist und ob ernstliche Gründe für
ie Annahme bestehen, dass der Verurteilte im Falle sei-
er Überstellung politisch verfolgt wird, wird die Sach-
unde der Oberlandesgerichte im Rahmen der internatio-
alen Rechtshilfe von Nutzen sein.
Jörg van Essen (FDP): Im Frühjahr 2005 gaben
ich im Bundesrat – per Protokollerklärungen – die
ayerische Staatsministerin Dr. Beate Merk und der Par-
amentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach, MdB,
5040 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
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gegenseitig die Schuld, dass das Zusatzprotokoll des so
genannten Überstellungsabkommens noch nicht ratifi-
ziert war. Am Ergebnis hat das leider nichts geändert. Im
Herbst 2006 steht die Ratifizierung des Zusatzprotokolls
– von 1997! –, die ich schon Ende 2001 angemahnt
habe, immer noch aus. Dabei erlaube ich mir auf eine
Unterrichtung der Bundesregierung aus dem Frühjahr
1999 hinzuweisen. Damals hieß es zur Ratifizierung des
Zusatzprotokolls:
Die Bundesrepublik Deutschland wird die Ratifika-
tion des Zusatzprotokolls mit Nachdruck in Angriff neh-
men, sobald eine mit Österreich und der Schweiz verein-
barte deutsche Sprachfassung vorliegt.
Die ausstehende Ratifizierung ist vor allem deshalb
ärgerlich, da die Bedeutung der internationalen Vollstre-
ckungshilfe in den vergangenen zehn Jahren weltweit
eher größer geworden ist. Die Globalisierung macht
auch nicht vor der Strafvollstreckung und vor Straftätern
Halt. Straftaten müssen – und nicht etwa erst seit dem
11. September 2001 – immer mehr im internationalen
Zusammenhang gesehen werden. Für einen Rechtsstaat
besteht daher die Aufgabe, einerseits für die Bestrafung
unabhängig vom Tatort zu sorgen, andererseits aber auch
für die entsprechende Vollstreckung der Strafen die not-
wendigen rechtsstaatlichen Voraussetzungen zu schaf-
fen.
Deshalb begrüßt die FDP-Bundestagsfraktion auch
grundsätzlich das Bemühen der Bundesregierung, in die-
sem Bereich endlich Rechtsklarheit zu schaffen. Dabei
unterstelle ich, dass mit dem Gesetzgebungsverfahren
auch endlich die Ratifizierung des Zusatzprotokolls ver-
bunden sein wird. Ich darf an dieser Stelle in Erinnerung
rufen, dass das Vertragsgesetz bereits die Zustimmung
der deutschen Gesetzgebungsorgane gefunden hat und
allein die Bundesregierung – soweit mir ersichtlich – bis
heute die Urkunden in Straßburg nicht hinterlegt hat.
Trotz massiven Drucks der Praxis ist das Zusatzproto-
koll für Deutschland damit immer noch nicht in Kraft.
Zur Rechtssicherheit gehört aber auch eine Verein-
heitlichung der zahlreichen Rechtsakte, die derzeit die
Grundlage des Auslieferungsrechts in Europa bilden.
Kaum ein Rechtsgebiet ist derart unübersichtlich wie das
Auslieferungsrecht. Der Unterausschuss Europarecht be-
fasst sich derzeit mit dem Entwurf eines Rahmenbe-
schlusses für eine Europäische Vollstreckungsanord-
nung. Mit diesem Rahmenbeschluss könnte es endlich
gelingen, zu einer Vereinheitlichung des europäischen
Auslieferungs- und Überstellungsrechts zu kommen.
Das Rechtshilferecht nimmt im transnationalen Straf-
und Strafprozessrecht eine zentrale Rolle ein, dies nicht
zuletzt deshalb, da weltweite Lösungen im Strafrecht
erst im Wachstum befindlich sind und auch nur ausge-
wählte, gravierende Kriminalitätsfelder betreffen kön-
nen. Sie wissen, welche große Bedeutung die FDP-
Bundestagsfraktion insbesondere innerhalb der Europäi-
schen Union der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der
Justiz- und Innenpolitik zumisst. Internationalem Terro-
rismus und Kriminalität kann nur durch gestärkte euro-
päische Handlungsmöglichkeiten begegnet werden.
Wichtig ist hier ein Gleichgewicht von Eingriffs- und
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chutzrechten. Eine Erweiterung der Eingriffsbefugnisse
er Sicherheitsbehörden kann nur einhergehen mit ei-
em Ausbau der prozessualen Beschuldigtenrechte.
Die FDP-Bundestagsfraktion hat daher immer die
uffassung vertreten, dass eine gerichtliche Zulässig-
eitsprüfung bei einer Überstellung gegen den Willen
er verurteilten Person unerlässlich ist. Dies ergibt sich
chon daraus, dass die Rechtsstandards in den europäi-
chen Ländern nach wie vor große Unterschiede aufwei-
en. Dies gilt in besonderer Weise für den Strafvollzug.
ie FDP fordert bereits seit Jahren mutige Schritte hin
u einer echten Harmonisierung der europäischen Straf-
erfahrensgarantien. Die Anerkennung von justiziellen
ntscheidungen erfordert grundsätzlich ein gegenseiti-
es Vertrauen. Vertrauen kann es aber nur dann geben,
enn die Grundsätze über die Strafverfahren und die Be-
chuldigtenrechte in den europäischen Mitgliedstaaten
uf der Grundlage gemeinsamer Rechtsstandards beru-
en. Zu begrüßen ist, dass der Gesetzentwurf die Zuläs-
igkeitsprüfung vor dem Oberlandesgericht vorsieht.
ies ist sachgerecht, da das Oberlandesgericht beim Eu-
opäischen Haftbefehl ebenfalls für die Zulässigkeitsent-
cheidung zuständig ist. Auf eine andere Frage im Zu-
ammenhang mit dem Europäischen Haftbefehl gibt der
esetzentwurf hingegen keine Antwort: Im dem Europa-
atsübereinkommen wird die Prüfung der beiderseitigen
trafbarkeit zwingend vorausgesetzt, während der Euro-
äische Haftbefehl auf die Prüfung verzichtet. Wie sich
iese beiden Regelungen zueinander verhalten, wird die
undesregierung zu beantworten haben.
Anders als das Gesetzgebungsverfahren der rot-grü-
en Bundesregierung, wo ein Ausführungsgesetz zum
usatzprotokoll – als Junktim – verabschiedet werden
ollte, hat sich die jetzige Bundesregierung dafür ent-
chieden, das Überstellungsausführungsgesetz und das
esetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen
u ändern. Inwieweit dies ein gangbarer Weg ist, werden
ie Beratungen im Rechtsausschuss zeigen. Die FDP
ird das Gesetzgebungsverfahren im Rechtsausschuss
onstruktiv begleiten. Dabei sollten wir als Gesetzgeber
ußerordentlich sorgfältig vorgehen. Es wird im Lichte
es Bundesverfassungsgerichtsurteils zum Europäischen
aftbefehl insbesondere darauf ankommen, eine verfas-
ungsgemäße Regelung zu finden. Wir sollten – in unser
ller Interesse – an einer verfassungsfesten Regelung bei
er Vollstreckungshilfe interessiert sein.
Sevim Dagdelen (DIE LINKE): Wir sprechen heute
ber einen veralteten Gesetzentwurf, den die Zeit über-
olt hat und den Brüssel zur Stunde bereits überrundet.
o einfach und vermeintlich klar die hier zu behandelnde
orlage erscheint, so wirr ist ihre Geschichte und so
omplex ist ihre Einordnung in einen größeren Zusam-
enhang.
Betrachten wir zunächst die beabsichtigten Regelun-
en als solche: Es handelt sich um den „Entwurf eines
esetzes zur Änderung des Überstellungsausführungs-
esetzes und des Gesetzes über die internationale
echtshilfe in Strafsachen“, welcher einerseits den An-
endungsbereich des Überstellungsausführungsgeset-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 5041
(A) )
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zes erweitert. Andererseits schreibt er eine zwingende
Prüfung der Zulässigkeit einer Überstellung durch die
Oberlandesgerichte in bestimmten Fällen vor. Dies mu-
tet auf den ersten Blick wenig spektakulär an. Doch die
Änderung des Anwendungsbereiches hat es in sich, ist
sie doch zugleich Voraussetzung für die Anwendbarkeit
des Zusatzprotokolls zum Übereinkommen über die
Überstellung verurteilter Personen vom 18. Dezember
1997.
Dieses Zusatzprotokoll ermöglicht es dann auch
Deutschland – ich verwende nun die Begriffe der Regie-
rungsparteien –, „kriminelle Ausländer“ gegen ihren
Willen zur Strafvollstreckung an ihr „Heimatland“ los-
zuwerden, wenn sie ausreisepflichtig sind. Damit aber
auch alles rechtsstaatlich zugeht, erfolgt die genannte
Prüfung durch das Oberlandesgericht. Dies rief in dem
nun mehr als acht Jahre dauernden Umsetzungsprozess
zwar wiederholt den Unmut der Landespolitiker der
Christdemokraten hervor, beruht aber letztlich auf einem
Kompromiss, mit dem sie gut leben können, da die So-
zialdemokraten im Gegenzug auf eine Beschränkung des
Anwendungsbereichs verzichteten. Noch im Jahre 2002
war nämlich geplant, die Strafen von Ausländern, die
feste Bindungen in Deutschland haben, auch hier zu
vollziehen. Dazu hieß es, eine Wiedereingliederung sol-
cher Personen sei nach Auffassung der Bundesregierung
im fremden Strafvollzug nicht leistbar. Außerdem käme
es zu erheblichen, vom Strafzweck nicht gedeckten Un-
zuträglichkeiten. – Das waren weise und rechtsstaatlich
fundierte Erwägungen, die wohl nicht zuletzt der dama-
ligen Justizministerin geschuldet waren.
Die Vorgängerin von Frau Zypries hatte erkannt, dass
der vorrangige und jahrelang unbestrittene Sinn der in-
ternationalen Vollstreckungshilfe in den Interessen der
verurteilten Person zu sehen ist und seiner Resozialisie-
rung dienen soll. Sie wusste um die elementare Bedeu-
tung der Sprache für den Versuch, Rechtstreue bei einem
Menschen zu wecken, und sie schloss nicht die Augen
davor, dass viele Nichtdeutsche, die hier über eine feste
Bindung verfügen, nur die hiesige Sprache beherrschen.
Vielleicht hatte sie auch erkannt, dass Voraussetzung
einer erfolgreichen Resozialisierung vor allem der Wille
des Verurteilten ist, dass es zur Gewährleistung dersel-
ben also seiner Zustimmung bedarf. Diese Einsicht
würde erklären, warum sie so lange mit der – im Ver-
gleich zum vorliegenden Entwurf schonenden – Ausfüh-
rung des Zusatzprotokolls gezögert hat. Doch wie wir
nun sehen, ist der Schuss leider nach hinten losgegan-
gen: Hat der gute Zweck des Schutzes hier integrierter
Menschen vor dem Strafvollzug in einem ihnen fremden
Land das Mittel der einer Regierung unwürdigen Verzö-
gerungstaktik noch scheinbar gerechtfertigt, sind deren
Folgen nun verheerend. Denn die Zeiten ändern sich.
Wollte sozialdemokratische Rechtspolitik früher noch
die Schwachen schützen, wird heute „kriminellen Aus-
ländern“ und „(Sozial-)Parasiten“ das Handwerk gelegt.
Dieser neue Geist spricht auch aus dem neuen Entwurf,
der nicht auf den zu resozialisierenden Menschen, son-
dern nur auf seinen Pass schaut.
Wie gesagt, es handelt sich um ein veraltetes Gesetz.
Deutschland war bisher in dem Bereich der Überstellung
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erurteilter Straftäter rückständig. Und das war gut so.
enn das Prinzip, das sämtlichen Bestrebungen zur Voll-
treckungsüberstellung gegen den Willen des Verurteil-
en zugrunde liegt, ist unter rechtsstaatlichen und straf-
echtstheoretischen Gesichtspunkten doch mehr als
edenklich. Es ist gefährlich.
Der in diesen Zusammenhang gehörende Entwurf ei-
er Europäischen Vollstreckungsanordnung traf hierzu-
ande fraktionsübergreifend auf Ablehnung. Weil zudem
uf europäischer Ebene der Widerstand groß war, konnte
erhindert werden, dass Brüssel die Logik der Strafvoll-
treckung gänzlich auf den Kopf stellt. So darf deren
ier in Rede stehende Miniaturausgabe in Form des Zu-
atzprotokolls aus folgenden Gründen gleichfalls nicht
ur Ausführung gelangen:
Es besteht ein untrennbarer Zusammenhang zwischen
trafprozessrecht, materiellem Strafrecht und Strafvoll-
ug. Aus diesem hat der Verurteilte einen Anspruch da-
auf, nach den Regeln des Strafvollzugs des Landes be-
andelt zu werden, gegen dessen Rechtsordnung er
erstieß. Er hat hier genauso wie jeder Deutsche, der
ine Straftat beging, das Recht, den deutschen Vorschrif-
en über Bewährung, Freigang und Hafturlaub zu unter-
iegen. Er hat ein Recht, in einer nach deutschen Maßstä-
en ausgestatteten Zelle seine Strafe zu verbüßen, und er
at ein Recht, Besuch von seinem hiesigen Umfeld zu
rhalten. Er besitzt diese Rechte, weil ein deutscher
ichter ihn nach einem auf deutschem Prozessrecht be-
uhenden Verfahren nach dem deutschen Strafrecht ver-
rteilt hat.
Dieser untrennbare Zusammenhang drückt sich auch
n der in § 46 Abs. 1 StGB postulierten Pflicht des Straf-
ichters aus, die Wirkungen, die von der Strafe für das
ünftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwar-
en sind, im Rahmen der Strafzumessung zu berücksich-
igen. Dass hierfür die Ausgestaltung des Strafvollzugs
ntscheidend ist, liegt auf der Hand. Wie aber soll ein
eutscher Strafrichter die Wirkungen des Strafvollzugs
n Aserbaidschan, Tonga oder Bolivien abschätzen?
elbst wenn er dies könnte, weiß er doch zum Zeitpunkt
er Verurteilung meist gar nicht, ob die Vollstreckung
ort oder in Deutschland erfolgen wird. Ihm wird also
urch die Anwendung des Zusatzprotokolls unmöglich
emacht, ein Strafurteil mit gesetzeskonformer Strafzu-
essung zu fällen, von einem gerechten Urteil ganz zu
chweigen. Wollen Sie dies der von Ihnen schon arg ge-
eutelten Justiz wirklich zumuten? Dürfen Sie dies den
etroffenen und ihren Angehörigen antun?
Hinzu kommt, dass nach Aussage der alten Bundesre-
ierung eine Reihe von Staaten erfasst wären, bei denen
m Jahre 2002 berechtigte Zweifel bestanden, ob deren
ollzugs- und Vollstreckungspraxis dem durch die Euro-
äische Menschenrechtskonvention gesetzten Mindest-
tandard entspricht. Diese Zweifel bestehen immer noch.
Aus diesen Erwägungen und weil eine Strafvollstre-
kung in dem Land, dessen Staatsangehörigkeit der Ver-
rteilte besitzt, nur dann dem Ziel der Resozialisierung
ienen kann, wenn er der dortigen Vollstreckung zu-
timmt, fordere ich Sie auf, gegen diesen Entwurf zu
timmen.
5042 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
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Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
Bundesregierung will das Überstellungsausführungsge-
setz und das Gesetz über die internationale Rechtshilfe
in Strafsachen ändern. Dabei unternimmt sie – wie so
oft – nur das zwingend Nötige und unterlässt das rechts-
politisch Erforderliche.
Das Überstellungsausführungsgesetz betrifft Vollstre-
ckungsersuchen nach dem Übereinkommen von 1983
über die Überstellung verurteilter Personen. Danach gilt:
Wenn in Deutschland ein Ausländer zu einer Freiheits-
strafe verurteilt wird und Deutschland einen ausländi-
schen Staat – meist der Staat, dessen Staatsangehörigkeit
der Ausländer besitzt – um die Vollstreckung dieser
Strafe ersucht, muss der Verurteilte der Überstellung
ausdrücklich zustimmen. Erst dann kann eine Überstel-
lung erfolgen. Der im Gesetz über die internationale
Rechtshilfe in Strafsachen zwingend vorgeschriebenen
gerichtlichen Zulässigkeitsprüfung bedarf es hier nicht –
nach dem Motto: Schützt die notwendige Zustimmung
des Betroffenen vor der Überstellung gegen seinen Wil-
len, bedarf es keiner gerichtlichen Prüfung.
Das Zusatzprotokoll von 1997 verzichtet auf das Zu-
stimmungserfordernis in zwei Fällen: So kann die Straf-
verbüßung verurteilter Personen, die aus Deutschland
geflohen sind, gegen deren Willen im Zufluchtstaat er-
folgen. Verurteilte Personen sollen ohne deren Zustim-
mung überstellt werden können, wenn sie aufgrund einer
bestandskräftigen oder vollstreckbaren Ausweisungs-
oder Abschiebungsanordnung ohnehin nach Haftentlas-
sung nicht in Deutschland bleiben können. Diese Rege-
lung will mitnichten lediglich die Länderhaushalte von
lästigen Vollzugskosten verschonen, auch wenn sie sich
sehr wohl so auswirkt. Sie soll vielmehr der Resoziali-
sierung dieser Personen durch Strafvollzug in Deutsch-
land dienen.
Die Bundesregierung schlägt nun vor, für die Fälle
der Ausweisung und Abschiebung die gerichtliche Prü-
fung der Zulässigkeit wieder einzuführen. So weit, so
gut und eine rechtsstaatliche Notwendigkeit – aber so
auch gar nicht neu!
Unter Rot-Grün hat es bereits in der 14. Legislatur-
periode einen Gesetzentwurf zur Umsetzung des Zusatz-
protokolls gegeben, allerdings mit einem wichtigen Un-
terschied, der das rechtspolitisch Erforderliche betrifft:
Wir haben für die Ausweisungs- und Abschiebungsfälle
eine so genannte Inländerklausel vorgeschlagen und
Ausländer mit besonders engen Bindungen an Deutsch-
land aus dem Anwendungsbereich des Zusatzprotokolls
herausgenommen.
Die Vollstreckungshilfe soll der bestmöglichen Reso-
zialisierung des Verurteilten dienen. Diesem Ziel wird
der Regierungsvorschlag nicht gerecht. Die schwarz-rote
Koalition unterliegt offenbar demselben Irrglauben wie
die damaligen Vertreter des Bundesrats, die durch ihren
Einspruch unseren Gesetzentwurf aufgehalten haben.
Die Auffassung ist falsch, dass eine für den Schutz der
Bevölkerung vor Kriminalität und für die Integration des
Verurteilten nach Haftentlassung notwendige Resoziali-
sierung nur dann gelingt, wenn die Strafverbüßung in
dem Staat erfolgt, aus dem der Verurteilte stammt oder
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essen Staatsangehörigkeit er hat. Das Gegenteil ist rich-
ig: Wenn sich der betroffene Ausländer jahrelang in
eutschland aufgehalten hat, hier gar geboren wurde
der über enge familiäre Bindungen verfügt, liegt es
ahe, dass die Resozialisierung in Deutschland am bes-
en gelingen kann, auch wenn der Betroffene nach Straf-
erbüßung – oft nur auf Zeit – im Ausland leben wird.
ie Argumente liegen auf der Hand: Sprache und Le-
ensverhältnisse des Herkunftsstaates sind oft unbekannt
nd der Kontakt während der Haft mit hier lebenden An-
ehörigen kann nicht gewährleistet werden.
Wir dürfen Menschen ohne deutsche Staatsbürger-
chaft, die lange hier leben, auch im Fall einer strafrecht-
ichen Verurteilung nicht wie Durchreisende behandeln.
n diesem Sinne werden wir Vorschläge in der weiteren
ebatte machen und insbesondere in Richtung der SPD-
ollegen appellieren, zu ihrer ursprünglichen Überzeu-
ung zurückzukehren.
Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der
undesministerin für Justiz: Mit dem vorliegenden Ge-
etzentwurf schaffen wir die Voraussetzung für die Hin-
erlegung der Ratifikationsurkunde des Zusatzprotokolls
um Übereinkommen des Europarates über die Überstel-
ung verurteilter Personen. Dies ist ein wichtiger Schritt
ür die Verstärkung der strafrechtlichen Zusammenarbeit
it den Zeichnerstaaten dieses Übereinkommens. Der
undestag hat diesem Zusatzprotokoll bereits 2002 zu-
estimmt. Wir haben allerdings die Ratifikationsurkunde
och nicht beim Europarat hinterlegt, weil wir dafür zu-
ächst unser innerstaatliches Recht in einigen Punkten
npassen müssen.
Ich will zunächst kurz erläutern, welche Neuerungen
as Zusatzprotokoll bringt, und dann darstellen, was wir
n unserem nationalen Recht ändern werden. Das Zu-
atzprotokoll erfasst im Wesentlichen zwei Fallgruppen.
as eine sind die so genannten Fluchtfälle. Der Betrof-
ene flieht aus dem Staat, wo er verurteilt wurde, in
einen Heimatstaat und hofft darauf, von seinem Hei-
atstaat nicht wieder ausgeliefert zu werden. Diese
offnung erfüllt sich leider in vielen Fällen. Denn die
eisten Staaten außerhalb der Europäischen Union lie-
ern eigene Staatsangehörige jedenfalls nicht zur Straf-
ollstreckung aus. Wenn schon nicht ausgeliefert wird,
ann gibt es zwar noch die Möglichkeit, die Strafe in
em Heimatstaat zu vollstrecken. Aber auch das wird
on der Mehrzahl der Staaten nicht gemacht, weil es da-
ür bislang an einer völkervertragsrechtlichen Grundlage
ehlt. Genau hier setzt das Zusatzprotokoll an. Nach dem
usatzprotokoll können wir zukünftig den Heimatstaat,
n den der Betroffene geflohen ist, um Vollstreckung des
rteils ersuchen.
Bei der zweiten Fallgruppe geht es nicht um Flucht-
älle. Die Betroffenen halten sich also noch hier in
eutschland auf, wo sie auch verurteilt worden sind. Sie
ollen ihre Strafe aber in ihrem Heimatstaat verbüßen.
isher war für eine solche Überstellung die Zustimmung
es Betroffenen erforderlich ist. Hier bringt das Zusatz-
rotokoll eine Vereinfachung. Die Überstellung ist auch
hne Zustimmung des Betroffenen möglich, wenn gegen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 5043
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den Betroffenen eine rechtskräftige Ausweisungs- oder
Abschiebeanordnung ergangen ist.
Das sind die Neuerungen, die das Zusatzprotokoll mit
sich bringt. Ich will jetzt kurz darstellen, an welchen
Stellen wir dafür unser nationales Recht anpassen müs-
sen. Zum einen geht es um die Frage der gerichtlichen
Überprüfung. Für das bisherige Übereinkommen ist eine
gerichtliche Überprüfung bei der Überstellung zur Straf-
vollstreckung nicht vorgesehen. Das hat seinen einfa-
chen Grund darin, dass die Überstellung bisher nur mit
Zustimmung des Betroffenen möglich war. Wenn jetzt
die Überstellung auch ohne Zustimmung des Betroffe-
nen erfolgen soll, so wie es das Zusatzprotokoll vorsieht,
dann muss für diese Fälle eine gerichtliche Prüfungs-
möglichkeit gewährleistet werden. Das ist in Art. 1 des
Gesetzentwurfs so vorgesehen.
Die Wiederherstellung der gerichtlichen Prüfungs-
pflicht beschränkt sich aber auf diesen Punkt der Über-
stellung zur Strafvollstreckung. Für die Fluchtfälle sehen
wir keine gerichtliche Überprüfung vor. Hier hat sich der
Betroffene aus eigenem Antrieb in seinen Heimatstaat
begeben und sich damit freiwillig auch wieder der
Rechtsordnung seines Heimatstaates unterworfen. Wenn
wir jetzt diesen Heimatstaat um Vollstreckung einer in
Deutschland ergangenen Strafe bitten, dann muss der
Betroffene das hinnehmen. Für eine gerichtliche Über-
prüfung gibt es keinen Anlass.
Ein weiterer Punkt, den wir in unserem innerstaatli-
chen Recht mit dem Gesetzentwurf regeln, ist die Frage,
welches Gericht zuständig ist. Wir sehen hier eine ein-
heitliche Zuständigkeit der Oberlandesgerichte für alle
Entscheidungen über ausgehende Ersuchen und Vollstre-
ckungen vor. Bisher waren teilweise die Landgerichte
zuständig. Durch die Änderung wird ein Gleichklang
hergestellt. Damit machen wir auch die bei den Oberlan-
desgerichten vorhandene Sachkunde nutzbar.
Ich kommen zu folgendem Fazit: Das Zusatzprotokoll
bringt eine Vereinfachung für die Praxis und kann damit
zu einer Erhöhung der Zahl der Überstellungen verurteil-
ter Ausländer aus den Justizvollzugsanstalten der Bun-
desrepublik Deutschland in ihre jeweiligen Heimatstaa-
ten beitragen. Die Bundesländer, in deren Zuständigkeit
der Strafvollzug liegt, sehen jedenfalls in dem Zusatz-
protokoll ein wichtiges Instrument zur Entlastung des
deutschen Strafvollzuges. Ich hoffe deshalb auf einen
zügigen Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens.
Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: UN-Moratorium für
die Grundschleppnetzfischerei auf der Hohen
See durchsetzen (Tagesordnungspunkt 20)
Bernward Müller (Gera) (CDU/CSU): Die Ökosys-
teme der Meere und Ozeane sind für den Menschen von
großer Bedeutung. Sie liefern wichtige Nahrungsreser-
ven, sind ein noch zum Großteil unerforschtes Refugium
an genetischen und materiellen Ressourcen und sind
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rundlage für unzählige Arbeitsplätze, ob in der Fische-
eiwirtschaft oder dem Tourismus. Mehr als 10 Millio-
en Arten werden mittlerweile in der Tiefsee vermutet.
as ist durchaus vergleichbar mit dem einzigartigen
eichtum der tropischen Regenwälder.
Noch vor hundert Jahren erschien uns der Tiefseebo-
en als tier- und pflanzenleere Wüste. Inzwischen hat
ich das Bewusstsein weltweit verändert. Angestoßen
urch den unmissverständlichen Appell der Wissensge-
einschaft der Tiefseebiologen im Jahr 2004 – American
ssociation for the Advancement of Sience, AAAS – ist
eute die internationale Besorgnis über die Gefährdung
er Artenvielfalt in der Tiefsee durch zerstörerische Fi-
chereimethoden und Umweltverschmutzung real und
ringend.
Grundschleppnetzfischerei: Von allen Fischereime-
hoden gelten einige Formen der Grundschleppnetzfi-
cherei am Meeresboden als die schadvollsten: Sie zer-
tören Tiefseekorallenriffe und andere einzigartige
kosysteme, reduzieren die Artenvielfalt und schädigen
auerhaft sensible Fischbestände. Die riesigen Netze,
eren Öffnungen fußballfeldgroß sein können, sind in
iesen Fällen mit schweren Eisenplatten und Vorlaufket-
en bestückt. Für das Öffnen und Führen der Schlepp-
etze am Meeresboden werden zwei große Scherbretter
erwendet, die bis zu fünf Tonnen schwer sind. Es fällt
icht schwer, sich vorzustellen, was mit der Flora und
auna am Meeresboden geschieht, die sich diesen Fang-
etzen in den Weg stellt.
Dank moderner Navigations- und Sonarelektronik,
etaillierten Seekarten und hoher Motorenleistung kön-
en die Fangboote weit auf hohe See und in Tiefen bis
500 Metern vordringen. Neben den Zielfischen gehen
en Fischtrawlern dabei auch große Mengen an weiteren
ischarten und Korallen ins Netz. Laut eines UNEP-Be-
ichts gingen allein bei der Schleppnetzfischerei vor den
leuten von 1990 bis 2002 mehr als zwei Millionen Ki-
ogramm an Korallen und Tiefseeschwämmen als Bei-
ang wieder über Bord.
Forderung nach einem Moratorium: Liebe Kollegin-
en und Kollegen von Bündnis 90 und den Grünen, Sie
erlangen in Ihrem Antrag kurzfristig ein weltweites
oratorium der UN zur Grundschleppnetzfischerei. Ihnen
ollte bekannt sein, dass 2004 und 2005 ein solches – von
en Teilnehmern der Biodiversitätskonferenz 2004, Um-
eltschutzverbänden und Wissenschaftlern gefordertes –
oratorium bei der UN-Generalversammlung keine
ehrheit gefunden hat und damit gescheitert ist. Dies
un immer noch international einzufordern, zeigt eine in
einen Augen extreme Realitätsferne. Eine Wand fällt
icht unbedingt davon um, wenn man ständig mit dem
opf davor läuft.
Es sind vor allem Industrienationen, die Grund-
chleppnetzfischerei betreiben. Glauben Sie wirklich,
ass ein vollständiges und undifferenziertes Verbot die-
er Fischereipraktiken bei der UN Chancen hat? Und
enn wir weiterdenken über die Verabschiedung eines
olchen Moratoriums hinaus: Glauben Sie wirklich, dass
s nicht umgangen und illegal und noch weniger kontrol-
ierbar weitergefischt wird? Ich denke, damit machen
5044 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
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Sie es sich etwas zu einfach. So kann es nicht funktionie-
ren!
Handlungsspielraum der UN: Die UN hat die Not-
wendigkeit zu handeln durchaus erkannt und es hat Ver-
handlungen zum Schutz der Tiefsee gegeben. Zum einen
wurde eine informelle Arbeitsgruppe gebildet, die sich
den Themen Meeresschutz und nachhaltige Nutzung der
marinen Biodiversität für Gebiete außerhalb nationaler
Rechtsprechung annehmen soll. Da sich keine Mehrheit
für ein Moratorium gefunden hat, einigte man sich zum
anderen in der Kommission für Meere und nachhaltige
Fischerei darauf, dass die Mitgliedstaaten einzeln oder
durch regionale Fischereiorganisationen – so genannte
RFMOs – aktiv werden sollten. In diesem Jahr wird der
Zwischenbericht über den Fortschritt dieser RFMOs er-
wartet.
Sollten die verantwortlichen regionalen Fischereima-
nagementorganisationen es in Zukunft versäumen, effek-
tive Schutzmaßnahmen zu ergreifen, kann unter dem
Vorsorgeprinzip ein zeitlich befristetes Verbot für zerstö-
rerische Fischereipraktiken neu diskutiert werden.
Engagement der EU: Zunächst sollten wir einmal
schauen, wie es vor unserer eigenen Haustür aussieht:
Die EU hat für einen konsequenten Meeresschutz mit
der Ausweisung von ersten Meeresschutzgebieten und
der Nominierung von Natura-2000-Schutzgebieten ge-
mäß der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie begonnen.
Zur Umsetzung des 6. Umweltaktionsprogramms hat
die Europäische Kommission im Oktober 2005 die so
genannte Meeresstrategierichtlinie vorgelegt. Durch eine
sektorenübergreifende Politik mit einem Ökosystemaren
Schutzkonzept sollen praktische Leitlinien festgelegt
werden, um in den europäischen Meeresgewässern Ost-
see, Nordostatlantik und Mittelmeer bis zum Jahr 2021
einen guten Umweltzustand zu erreichen.
Am 7. Juni 2006 hat die Europäische Kommission ihr
Grünbuch für eine Europäische Meerespolitik veröffent-
licht – KOM(2006) 275 –, mit dem der notwendige
Schritt hin zu einer integrierten Meerespolitik auf euro-
päischer Ebene gemacht werden soll.
Die fischereiwirtschaftlichen Aspekte werden in der
EU hauptsächlich durch die Gemeinsame Fischereipoli-
tik der EU – GFP – bestimmt. Seit Dezember 2002 ist
eine reformierte GFP in Kraft, die sich an Prinzipien der
Nachhaltigkeit und ökologischen Belangen orientiert.
Zum konkreten Schutz der Tiefseekorallen bei den
Azoren, Madeira und den Kanarischen Inseln hat die EU
im September 2005 eine Verordnung erlassen, die unter
anderem ein Verbot von Grundschleppnetzen in diesem
Bereich vorsieht.
Hier haben wir eine Vielzahl an Aktivitäten auf euro-
päischer Ebene, die wir in und mit der Europäischen
Union zum Schutz unserer Meere gestalten. Das möchte
ich dem Fatalismus entgegenstellen, der aus Ihrem An-
trag spricht. Ich bin überzeugt, dass wir hier mehr er-
reicht haben und für den Erhalt der biologischen Vielfalt
der Meere erreichen werden, als wenn wir unsere Aktivi-
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äten auf die realitätsferne Einsetzung eines generellen
erbotes bei den Vereinten Nationen beschränken.
Ich denke dabei beispielsweise ganz konkret an die
ntwicklung von Instrumenten zur wirkungsvollen Kon-
rolle der Schwarzfischerei. Was nützen Regelungen und
erbote zum Schutz unserer Meere, wenn wir nichts in
er Hand haben, um deren Einhaltung effektiv durchzu-
etzen?
Die Lösung des komplexen Problems, das vor uns
iegt, ist wesentlich vielschichtiger als ein undifferen-
iertes Verbot. Damit machen Sie es sich zu einfach!
Forschung für einen effektiven Schutz: Die Erfor-
chung der Meere ist ein wichtiger Schritt zu einem ef-
ektiven Schutz der Ozeane. Daher sind vielfältige An-
trengungen wie der jüngst begonnen globale „census of
arine life“ sehr zu begrüßen. Es ist zu erwarten, dass
ie Ergebnisse dieser Forschungen uns wichtige Hin-
eise für einen nachhaltigen Umgang mit den Meeren
iefern. Diese Forschungsanstrengungen sind in wach-
endem Maße notwendig, denn die Meere und damit ihre
kologischen Funktionen sind heute einer Vielzahl von
efährdungen ausgesetzt. Überfischung, zerstörerische
ischereipraktiken wie einige Formen der Grund-
chleppnetzfischerei, Umweltverschmutzung und Kli-
awandel sind nur wenige der Faktoren, die nachweis-
ich zur dauerhaften Schädigung dieses einzigartigen
ebensraumes führen.
Es hat in der Vergangenheit auf nationaler, regionaler
nd globaler Ebene vielfältige Anstrengungen gegeben,
iesen Gefährdungen zu begegnen. Aber sie reichen
icht aus, da das Wissen über die Tiefsee noch in den
nfängen steckt. Zurzeit sind nur 0,01 Prozent der
eere effektiv geschützt.
Unsere Anstrengungen zum Schutz der Meere müs-
en entsprechend dem Vorsorgeprinzip dringend erhöht
erden. Darin stimme ich Ihnen, liebe Kolleginnen und
ollegen von Bündnis 90 und den Grünen, unbedingt zu.
Die wirtschaftliche Nutzung des maritimen Raums
teht in einem ständigen Spannungsfeld mit der Wah-
ung der Meeresökologie. Daher muss die Erforschung
nsbesondere der Tiefsee massiv gefördert werden, um
chutz besonders wertvoller und sensibler Lebensräume
ielgenau zu gewährleisten. Aber auch ohne genaueste
enntnis aller Einzelheiten der Ökologie der Meere soll-
en zuallererst empfindliche Gebiete, zum Beispiel Kalt-
asserkorallenriffe, Seeberge, hydrothermale Quellen,
ringend identifiziert und vor der Zerstörung geschützt
erden.
Aufgrund der Forschungserkenntnisse muss es darum
ehen, schnellstmöglich nicht tolerierbare Eingriffe in
as Ökosystem Meer zu definieren und das Überschrei-
en dieser Toleranzgrenzen zu verhindern.
Unsere Aufgabe als Politiker besteht also konkret da-
in, die Tiefseeforschung zu fördern und politische Maß-
ahmen zum Erhalt der identifizierten schutzbedürftigen
reale umzusetzen, auch mit befristeten Verboten zer-
törerischer Fischereipraktiken.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 5045
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Dies, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von
Bündnis 90 und den Grünen, erscheint mir ein aussichts-
reicher Weg, um die sensiblen Ökosysteme in der Tief-
see effektiv zu schützen.
Biologische Vielfalt und Entwicklungsländer: Als
Entwicklungspolitiker möchte ich noch einen weiteren
Aspekt ansprechen, der in Ihrem Antrag überhaupt keine
Berücksichtigung findet: die Auswirkungen von Überfi-
schung und zerstörerischer Fischereipraktiken auf Um-
welt- und Wirtschaftsinteressen der Entwicklungs- und
Schwellenländer. Die Vernichtung von biologischer
Vielfalt und die Ausrottung ganzer Fischschwärme ver-
schärfen beispielsweise an den überfischten Küsten Afri-
kas den täglichen Lebenskampf, den die Menschen an
Land führen.
Bei der UN-Generalversammlung 2004 forderten
zahlreiche Staaten den Schutz der Biodiversität insbe-
sondere des Pazifischen Ozeans, unter anderem Costa
Rica, Chile im Namen der Rio-Gruppe, Barbados im Na-
men von CARICOM und Samoa im Namen des Pazifi-
schen Insel-Forums.
Gerade im Interesse einer nachhaltigen Politik der
wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung sind
wir verpflichtet, die biologische Vielfalt und die sen-
siblen Ökosysteme der Tiefsee im Bereich dieser Länder
in ihrem Fortbestand zu sichern, und zwar nicht nur im
Sinne des Umweltschutzes als Lebensgrundlage, son-
dern auch im Hinblick auf den Schutz der Ressourcen,
die in der biologischen Vielfalt stecken und wirtschaft-
lich diesen Ländern zugute kommen sollen.
Fazit: Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90
und den Grünen, Sie haben es mit Ihrem Antrag gut im
Sinne des Artenschutzes gemeint. Aber hilfreich und
zielführend ist er in seiner Undifferenziertheit nicht.
Eine Eindämmung zerstörerischer Fischereipraktiken ist
notwendig, darin stimme ich Ihnen zu. Doch, wenn wir
wirklich bei internationalen Verhandlungen erfolgreich
agieren wollen, müssen wir differenzierte Vorschläge zur
Problemlösung vorlegen. Daher lehne ich Ihren Antrag
ab. Wir müssen uns für eine rasche Erforschung der
Ökosysteme der Tiefsee einsetzen, um sensible Lebens-
räume auf hoher See gezielt schützen zu können. Die so
identifizierten Bereiche können wir durch Einrichtung
von kontrollierten Schutzgebieten effektiv vor der Zer-
störung sichern.
Zudem können wir zunächst einmal vor der eigenen
Türe kehren, das heißt unsere Erfolg versprechenden
europäischen Ansätze zum Meeresschutz intensiv weiter
verfolgen. Und wenn wir weltweit agieren, sollten wir
nicht vergessen, die in unsere Strategie einzubeziehen,
die aus eigener Kraft die geringsten Kapazitäten für den
Erhalt einer intakten Meeresumwelt haben: die Entwick-
lungsländer.
Holger Ortel (SPD): Heute geht es um die Grund-
schleppnetzfischerei auf der hohen See, ein Thema, über
das wir uns ernsthaft Gedanken machen müssen.
Was ist überhaupt ein Grundschleppnetz? Grund-
schleppnetze werden von Schiffen gezogen und fangen
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ische, Krebse oder Muscheln, die in der Nähe des Bo-
ens leben. Nach Schätzungen werden rund 40 Prozent
er Weltfischerei-Erträge mit Grundschleppnetzen er-
ielt. Grundfische wie Kabeljau, Dorsch, Scholle, See-
unge, aber auch Nordseekrabben werden mit Grund-
chleppnetzen gefangen. Es gibt je nach Fangobjekt und
anggebiet viele verschiedene Formen von Grund-
chleppnetzen, die in ganz unterschiedlicher Art und
eise funktionieren. Sie bestehen aus einem großen
angsack, der von einem oder mehreren Schiffen durch
as Wasser gezogen wird. Sie werden von Querbäumen
der Scherbrettern offen gehalten. Ein beschwertes
rundtau auf der Unterseite sorgt dafür, dass das Netz
m Meeresboden entlanggezogen werden kann. Dieses
au läuft meistens auf Rollen, kann aber auch mit
cheuchketten ausgestattet sein. Die Einwirkungen auf
en Meeresboden sind deshalb ganz unterschiedlich.
Und hier steckt eine Gefahr: Es gibt einzelne Formen
on Grundschleppnetzen, die den Meeresgrund umwüh-
en. Umweltorganisationen schlagen Alarm und mahnen
n, dass damit unzählige Meerestiere erschlagen oder im
andboden begraben werden. Sie beklagen außerdem,
ass viele Tausende Meerestiere als Beifang in den Net-
en landen und tot wieder ins Meer geworfen werden.
rund genug für Umweltschutzorganisationen, sich
eutlich gegen die Schleppnetzfischerei auszusprechen
nd ein komplettes Verbot zu fordern.
Aus Sicht des Umweltschutzes ist das vordergründig
erständlich, aber viel zu wenig differenziert. Wenn es
estimmte Fangtechniken gibt, die in bestimmten Gebie-
en Probleme verursachen, muss darüber geredet und
uch gehandelt werden. Wir reden heute über die so ge-
annte hohe See. Das ist der Meeresbereich, der außer-
alb der 200-Seemeilen-Zone liegt und nicht einem Staat
ugeordnet ist. Hier gibt es so genannte regionale Fi-
chereiabkommen, in denen sich Staaten zu einem be-
timmten Verhalten verpflichten. Aber es gibt Gebiete,
nsbesondere im Pazifik und auf der Südhalbkugel, die
och nicht von solchen Instrumenten zum Fischereima-
agement abgedeckt sind.
Schutzbedürftig auf der hohen See sind vor allem drei
ereiche: Kaltwasserkorallenriffe, Erhebungen des Mee-
esbodens, so genannte Seeberge, und heiße Quellen.
ier gibt es zum Teil seltene und empfindliche Tierarten,
ie mit bestimmten Netzen mechanisch beschädigt wer-
en können.
Die Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen steigen
emgegenüber in das Boot der Forderung nach einem
auschalen Verbot der Grundschleppnetzfischerei mit
in. Sie haben uns einen Antrag vorgelegt, in dem sie die
undesregierung auffordern, sich in internationalen Gre-
ien vehement für ein weltweites UN-Moratorium der
rundschleppnetzfischerei auf der hohen See einzuset-
en. Außerdem fordern sie für die hohe See die Entwick-
ung eines effektiven Fischereimanagements und die
inrichtung von Schutzgebieten.
Ich begrüße das Engagement der Grünen in dieser Sa-
he. Der Antrag der Grünen geht durchaus in die richtige
ichtung, aber weit über das Ziel hinaus. Sie dürfen sich
icht wundern, dass ihr Antrag bereits sowohl im Ernäh-
ungsausschuss als auch in allen mitberatenden
5046 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
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Ausschüssen schlichtweg abgelehnt werden musste.
Denn ihre Sichtweise ist zu einseitig und nicht differen-
ziert genug. Sie schlagen mit der großen Keule zu und
treffen jede Menge Unschuldige.
Von ihren Fischereiexperten muss ich doch mehr Ein-
sicht in den wirklichen Sachverhalt erwarten können.
Natürlich müssen wir uns um den Schutz der Umwelt
und der Fischereiressourcen kümmern. Wir müssen als
Politiker doch aber auch darüber nachdenken, was es
heißt, die Grundschleppnetzfischerei generell zu verbie-
ten. Ein ganze Branche hängt doch daran, die damit ihrer
Existenzgrundlage beraubt wird. Auch die Versorgung
mit Fisch wird eingeschränkt.
Ich will darlegen, was ich im Einzelnen an dem An-
trag der Grünen kritisiere: Sie fordern den kurzfristigen
Erlass eines UN-Moratoriums der Grundschleppnetzfi-
scherei auf der hohen See durch die nächste UN-Gene-
ralversammlung. Ziel soll es sein, die außerordentlich
reiche, sensible und überwiegend noch unentdeckte Ar-
tenvielfalt der Tiefsee zu schützen. Meine Fraktion und
ich unterstützen unbedingt die Bemühungen, schutzwür-
dige Lebensräume wie Seeberge, hydrothermale Quellen
und Tiefseekorallen zu schützen. Doch deshalb kann
nicht gleich weltweit außerhalb der 200-Seemeilen-Zo-
nen der Einsatz von geschleppten Fanggeräten generell
verboten werden. Das halte ich, ehrlich gesagt, für völlig
unverhältnismäßig, da diese Bereiche nach bisherigen
Kenntnissen nur sehr begrenzte, kleine Teile der Welt-
meere ausmachen. Wäre man der von den Grünen hier
gezeigten Logik in früheren Zeiten gefolgt, dann wäre
die Einführung des Pfluges in der landwirtschaftlichen
Bodennutzung doch nie möglich gewesen!
Wenn sich die Kolleginnen und Kollegen von den
Grünen einmal richtig informiert hätten, dann hätten sie
festgestellt, dass längst nicht alle – nein, im Gegenteil,
sogar nur die wenigsten – geschleppten Fanggeräte Be-
einträchtigungen des Meeresbodens oder sogar die Zer-
störung wertvoller Habitate zur Folge haben.
Ich will ein positives Beispiel nennen, wie man das
Problem angehen kann und muss: Nehmen wir nur die
EU-Verordnung zum Schutz von Kaltwasserkorallen im
EU-Meer. Dort, wo seltene, empfindliche Strukturen wie
etwa Kaltwasserkorallenriffe vorhanden sind, fordert die
Verordnung eine räumliche Kennzeichnung. Diese Be-
reiche müssen dann vor Fischereimethoden geschützt
werden, die tatsächlich einen irreversiblen Schaden an-
richten würden.
So sollte es auch außerhalb der Zuständigkeit der EU
gehandhabt werden: Wir müssen die Wissenschaft so
ausstatten, dass sie die erforderlichen Untersuchungen
über Verteilung und potenzielle Beeinträchtigungen bei-
bringen kann. Es muss klar sein: Was schütze ich mit
welchen Maßnahmen und wovor. Die Schutzmaßnah-
men müssen dann von Fall zu Fall angemessen und vor
allem verhältnismäßig sein. Außerdem brauchen wir vor
allem Instrumente, um diese Beschränkungen auch
durchsetzen und vor allem bestrafen zu können. Was
nützen denn Verbote, die missachtet werden, ohne dass
ein Risiko besteht, zur Rechenschaft gezogen zu wer-
den? Das wirkliche Problem – auch für die Tiefsee –
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ind die illegalen Praktiken. Das ist die IUU- oder Pira-
enfischerei, die wirksam bekämpft werden muss. Hier
offe ich, die Grünen an unserer Seite zu sehen.
Wenn wir so verfahren, dann kommen wir auch zu ei-
em effektiven Fischereimanagement für die hohe See
nd dann können wir auch gezielt notwendige Schutzge-
iete auf der hohen See einrichten. Wir werden deshalb
inen Antrag vorlegen, der die Sache differenzierter an-
eht. Wir unterscheiden zwischen Bereichen auf hoher
ee, die im Bereich der Regelungskompetenz regionaler
ischereimanagementorganisationen liegen, und Berei-
hen auf hoher See, die sich außerhalb der Regelungsbe-
eiche der regionalen Fischereimanagementorganisatio-
en befinden. Sobald in geregelten Bereichen sensible
iefseehabitate vorhanden sind oder sie mit hoher Wahr-
cheinlichkeit zu erwarten sind, sollte ein vorsorgliches
erbot der Grundschleppnetzfischerei verhängt werden.
rundsätzlich verboten werden sollte die Grundschlepp-
etzfischerei in Gebieten, die außerhalb der regionalen
egelungskompetenz liegen.
Ich bin der Meinung, dass wir damit eine Lösung
chaffen, die parteiübergreifend auf Akzeptanz stoßen
ollte. Wir reagieren damit auf die Bedrohung, die die
it einigen Grundschleppnetzen durchgeführte Tiefsee-
ischerei auf die sensiblen Tiefseeökosysteme darstellt.
ir schränken damit auch die Gefahr ein, dass sich diese
rt der Fischerei in den nächsten Jahren zunehmend in
nregulierte Bereiche auf hoher See verlagert. Wir kon-
entrieren unsere Kräfte jedoch ausdrücklich auf die ille-
ale Piratenfischerei, die für unsere Fischereibetriebe,
nsere Fischwirtschaft und vor allem für die natürlichen
essourcen ein ernsthaftes Problem darstellen. Symbol-
olitik, die im Ergebnis dazu führt, dass die Ehrlichen
ieder die Dummen sind, ist mit uns nicht zu machen.
ir suchen die Kooperation mit den verantwortungsbe-
ussten Fischern, die uns mit Fisch versorgen wollen,
hne die Natur zu beeinträchtigen, und stellen nicht die
anze Gruppe der Grundschleppnetzfischer an den Pran-
er.
Heute stimmen wir über den Antrag der Fraktion des
ündnisses 90/Die Grünen ab. Ich plädiere dafür, diesen
ntrag abzulehnen.
Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Der Reichtum
er Meere schien lange Zeit unerschöpflich zu sein. Wir
issen, das ist nicht so. Die Vielfalt und Schönheit der
atur in der Tiefsee ist uns erst in den letzten beiden
ahrzehnten bewusst geworden. Seeberge, Korallenriffe
ind marine, schutzwürdige Biotope, die wir erhalten
ollen.
Noch immer werden in weiten Bereichen die Meere
n einer Weise genutzt und belastet, wie dies an Land seit
ahrzehnten undenkbar ist: Abfallbeseitigung auf den
eeren, die Verwendung von stark belasteten Schwer-
len in Schiffsmotoren, die Überfischung und nicht
achhaltige Nutzung mariner Ressourcen. Wir müssen
angfristig dahin kommen, dass auf See nur das erlaubt
st, was an Land erlaubt ist: eine Ressourcen schonende,
achhaltige Bewirtschaftung der Meere. Aber wie an
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 5047
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Land kann nicht das gesamte marine Ökosystem als
Schutzgebiet definiert werden.
Es besteht bei uns sicher Einigkeit über den Schutz
mariner Biotope und über die Notwendigkeit der Befol-
gung der Nachhaltigkeitsgebote bei der fischereilichen
Nutzung der Meere. Aber die Vorstellungen über die
Prioritätensetzung und die Vorstellungen über die einzu-
schlagenden Wege sind unterschiedlich.
Fische und andere marine Organismen wie Muscheln,
Krebse und Seeigel sind hochwertige Lebensmittel. In
den letzten zehn Jahren sind nach Angaben der FAO die
Preise für Fisch um 250 Prozent gestiegen, die Preise für
Fleisch dagegen nur um 12 Prozent. Dies zeigt den stei-
genden Bedarf.
Für die nachhaltige Bewirtschaftung der internationa-
len Gewässer interessiert sich außer den zuständigen
Wissenschaftlern fast niemand. Es wird nach dem Motto
gehandelt: „Wenn ich den Fisch nicht fange, fängt ihn
mein Konkurrent.“ Eine nachhaltige Bewirtschaftung er-
folgt nur dort, wo die Nutzer davon auch einen Nutzen
haben. Eine wirksame Kontrolle der schon jetzt beste-
henden Gesetze und Vereinbarungen hat sich bis jetzt als
unmöglich erwiesen. Es müssen regionale Verantwort-
lichkeiten vereinbart und es muss sichergestellt werden,
dass die, die eine nachhaltige Bewirtschaftung der Res-
sourcen gewährleisten, auch davon den Nutzen haben.
Nur so kann die Eigenverantwortlichkeit gestärkt wer-
den. Gesetzesübertretungen sind keine Kavaliersdelikte
und müssen bestraft werden!
Insbesondere die hohen Fischpreise sind Motor dafür,
dass der illegale Fischfang dramatisch angestiegen ist.
Dafür gibt es verschiedene Beispiele: Der EU-Kommis-
sar für Fischerei und maritime Angelegenheiten, Joe
Borg, hat im Juni auf der Nordatlantikkonferenz der Fi-
schereiminister dargestellt, dass allein in der Barentsee
jedes Jahr 100 000 Tonnen Kabeljau illegal gefischt wer-
den. Die illegale Seehecht-Fischerei im Südpolarmeer
wurde schon 2001 von Greenpeace Schweiz angepran-
gert. Die dort geltende Konvention zum Schutz der le-
benden Meeresschätze in der Antarktis – CCAMLR –
hat daran nichts geändert. Insgesamt wird das Volumen
der illegalen Fischerei zwischen 1 und 4 Milliarden Euro
geschätzt.
In 2005 hat die FAO, die Ernährungs- und Landwirt-
schaftsorganisation der Vereinten Nationen, ein Modell-
konzept für bessere staatliche Maßnahmen in den Häfen
vorgeschlagen, um die illegale Fischerei besser einzu-
dämmen. Das könnte ein erster Schritt sein.
Vor dem Hintergrund, dass es bisher nicht gelungen
ist, die illegale Fischerei einzudämmen, dass es auch der
EU nicht gelingt, die Zahl der Verstöße gegen gemein-
schaftliches Recht im Bereich der Fischerei zu mindern,
ist es nicht sinnvoll, ein weiteres Verbot wie das Verbot
der Grundschleppnetzfischerei auf hoher See zu erlas-
sen. Die Initiative für ein UN-Moratorium der Grund-
schleppnetzfischerei auf der hohen See ist aller Ehren
wert, aber sie bietet keine Chance, die Ausbeutung der
Meere zu verhindern. Es gibt keine geeigneten Rechtsin-
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trumente und es fehlen die technischen Möglichkeiten,
as Verbot durchzusetzen.
Es ist Symbolpolitik, Verbote zu erlassen, die nie-
and kontrollieren kann, für die es keine Instrumente
ibt, um sie durchzusetzen. Vor allem müssen sich die
ntragsteller die Frage gefallen lassen, was eigentlich
nter Rot-Grün in dieser Frage unternommen und er-
eicht wurde. Fehlanzeige, das ist ein reiner Schauan-
rag!
Es ist im Übrigen sinnvoller, konkrete Schutzgebiete
it Schutzzielen zu definieren, in denen dann, lokal be-
renzt, die reelle Chance besteht, den Schutz auch
urchzusetzen.
Vor dem Hintergrund der wachsenden Weltbevölke-
ung, dem steigenden Bedarf an Fisch, ist eine Ausdeh-
ung der Aquakulturen sinnvoll. Die Aquakulturwirt-
chaft erreicht inzwischen nach Angaben der FAO fast
ie Fangmenge der Fischerei für den menschlichen Kon-
um. Die bevölkerungsstarken Länder der EU, allen
oran Deutschland, weisen ein Handelsbilanzdefizit für
quakulturprodukte auf.
Vor dem Erlassen weiterer Verbote müssen die beste-
enden Konventionen umgesetzt werden, der Beifang
ingedämmt, die Industriefischerei beendet werden. Ver-
ote sind das letzte Mittel. Sie machen nur dann Sinn,
enn sie auch effektiv durchgesetzt werden.
Aus diesen Gründen lehnt die FDP den Antrag auf
nterstützung eines generellen UN-Moratoriums für die
rundschleppnetzfischerei auf der hohen See ab.
Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Der Antrag
er Grünen ist klar und gut begründet. Die Rumeierei
er Koalition und FDP dagegen kleinlich und peinlich.
Dass die Grundschleppnetzfischerei auf hoher See
xtremer Raubbau an der Meeresumwelt ist, sollte sich
angsam herumgesprochen haben. Hier als Gegenargu-
ent anzuführen – wie es die Koalition im Ausschuss
at –, dass es einzelne Gebiete gäbe, in denen das rück-
ichtslose Umpflügen des Meeresbodens angeblich nicht
anz so schädlich sein soll, ist grotesk. Die Argumenta-
ion lässt jegliche Kenntnis für die Funktion von Öko-
ystemen und die Vollzugsprobleme internationaler
chutzvereinbarungen vermissen.
Würde etwa von der Koalition jemand auf die Idee
ommen, innerhalb von CITES den internationalen Han-
el mit Elfenbein wieder freigeben zu wollen, bloß weil
n Botswana oder Kamerun gelegentlich Elefanten aus
u groß gewordenen Herden abgeschossen werden müs-
en? Natürlich nicht. Schließlich würde mit der Handels-
reigabe der profitable internationale Markt für Elfen-
ein wieder aufgemacht. Der Wilderei in ganz Afrika
nd Asien wäre erneut Tür und Tor geöffnet.
Angesichts dieser zwingenden Logik überrascht die
aivität von CDU/CSU, SPD und Liberalen: Selbst
enn es tatsächlich einige Meeresgebiete gäbe, in denen
er Ozeangrund biologisch vergleichsweise wenig viel-
ältig sein würde – wer seine industriellen Fangschiffe
it teuren Grundschleppnetzsystemen ausrüstet, der
5048 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
wird auf hoher See alles umpflügen, was unter den Kiel
kommt. Die globale Wilderei in der Tiefsee muss des-
halb im Keim erstickt werden, indem jegliche Grund-
schleppnetzfischerei verboten wird. Das gilt umso mehr,
als in der Regel in Tiefen von 1 000 bis 2 000 Metern ge-
fischt wird, in denen die dort lebenden Fischarten sehr
langsam wachsen und erst spät fortpflanzungsfähig sind.
Letztlich muss man sich auch vor Augen halten, dass
die Flucht auf den Grund der Tiefsee eine Folge der
Überfischung in den herkömmlichen Fanggebieten und
Fangtiefen ist. Wollen wir aber tatsächlich zulassen, dass
nun unsere Ozeane Schicht für Schicht biologisch ausra-
diert werden, für immer vernichtet werden, bevor sie
überhaupt erforscht werden konnten? Am besten noch
für die Gammelfischerei, deren Millionen Tonnen Fänge
an wertvollen Meerestieren in den Mägen von Rindern,
Schweinen und Hühnern in industrieller Haltung landen?
Die Grundschleppnetzfischerei ist nichts weiter als
eine weitere Umdrehung in der verhängnisvollen Spirale
nicht nachhaltiger Fischerei. Angetrieben wird sie von
den großen Industrienationen und profitgierigen Fische-
rei- und Lebensmittelkonzernen, auch von denen hierzu-
lande. Wir sind zwar keine Fischereination, dafür aber
einer der größten Konsumenten von Meeresfischen welt-
weit. Darum hat die Bundesrepublik eine besondere Ver-
antwortung in dieser Frage.
Als ersten Schritt muss Deutschland deshalb mithel-
fen, zunächst ein weltweites Moratorium der Grund-
schleppnetzfischerei auf der hohen See durchsetzen. Am
Ende sollte ein globales Verbot dieser Fangtechnik ste-
hen.
Parallel ist noch ein weiteres Feld zu beackern: Die
Bundesregierung muss in Brüssel unbedingt dafür sor-
gen, dass der Entwurf der EU-Meeresschutzrichtlinie
zurückgezogen und neu geschrieben wird. Auch der
Sachverständigenrat für Umweltfragen und die Umwelt-
verbände halten dieses Papier für eine vollkommene
Fehlleistung der EU-Bürokratie. Eine nachhaltige Mee-
resschutzpolitik ist damit unmöglich zu organisieren.
Die Verantwortung für den Meeresschutz zurück auf die
Ebene der Mitgliedsländer zu verlagern und gleichzeitig
die gemeinsame Fischerei- und Agrarpolitik ausgerech-
net beim Meeresschutz außen vor zu lassen, ist absurd.
Sorgen wir darum dafür, dass die Weichen auch hier
schnellstmöglich umgestellt werden!
Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
Fischerei mit Schleppnetzen in der Tiefsee ist dabei, ei-
nen der letzten ökologischen Schätze unserer Erde zu
zerstören. Forscher schätzen, dass mehr als zehn Millio-
nen Arten in der Tiefsee leben. Von ihnen kommen sehr
viele nur lokal vor. Die meisten dieser Lebewesen sind
bisher noch völlig unbekannt.
Grundschleppnetze erreichen den Meeresboden bis in
2 Kilometern Tiefe. Mit ihren schweren Eisenplatten und
Vorlaufketten zerstören sie alles, was ihnen in den Weg
kommt. So vernichten sie einzigartige Ökosysteme be-
reits durch einen einzigen Fischzug. Eine Regeneration
der Ökosysteme ist oftmals, wenn überhaupt, erst in sehr
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angen Zeiträumen möglich. Denn viele der Tiefseearten
ind aufgrund ihrer Langlebigkeit und ihrer sehr späten
eschlechtsreife besonders anfällig gegenüber mensch-
ichen Eingriffen wie der Fischerei. Deshalb besteht die
efahr der Überfischung und sogar der Ausrottung von
rten bereits durch einzelne Fischzüge. Diese Gefahr
ird dadurch noch verstärkt, dass viele Arten nur räum-
ich begrenzte Vorkommen haben. Zahlreiche Populatio-
en können daher in kürzester Zeit vollständig überfischt
nd zerstört werden. Mit anderen Worten: Diese Fische-
ei ist alles andere als nachhaltig. Sie ist purer Raubbau.
Aus diesen Gründen muss diese zerstörerische Form
er Fischerei dringend gestoppt werden. Dies könnte die
N-Generalversammlung im Oktober tun, indem sie ein
oratorium der Grundschleppnetzfischerei auf der ho-
en See beschließt. Um einen solchen Beschluss zu errei-
hen, muss sich auch die Bundesregierung in den UN-
remien unmissverständlich für ein solches Moratorium
ussprechen und engagieren. Auch innerhalb der EU
uss sie diese Position klar vertreten, da auch das Votum
er EU innerhalb der UN von Bedeutung ist. Allein mit
eheimdiplomatie wird man einen Beschluss der UN-
eneralversammlung für ein Moratorium der Grund-
chleppnetzfischerei auf der hohen See nicht erreichen.
Eine klare und unmissverständliche Haltung der Bun-
esregierung ist aber bisher nicht erkennbar. Deswegen
aben wir Bündnisgrüne den Antrag in den Bundestag
ingebracht, den wir heute hier abschließend beraten.
arin fordern wir von der Bundesregierung ein Engage-
ent für dieses Moratorium ein. Darüber hinaus fordern
ir von der Bundesregierung, dass sie sich für die Ent-
icklung eines effektiven Fischereimanagements und
ür die Einrichtung von Schutzgebieten auf der hohen
ee einsetzt.
Wir hatten gehofft, dass die große Koalition unseren
ppell aufgreifen würde und bereit wäre, mit uns ge-
einsam einen Antrag für ein Moratorium der Grund-
chleppnetzfischerei auf der hohen See zu verabschie-
en. Dabei hätten wir sicherlich nicht auf einzelnen
ormulierungen beharrt, wenn wir in der Sache vorange-
ommen wären.
Kurz vor den Ausschussberatungen habe ich diesbe-
üglich allerdings sehr widersprüchliche Signale erhal-
en. Die SPD schien bereit zu sein, einen gemeinsamen
ntrag für ein Moratorium mit uns einzubringen. Seitens
er CDU/CSU habe ich hingegen das Gefühl, dass es
rundsätzlich unerwünscht ist, Anträge mit der Opposi-
ion zusammen zu machen. Diese Haltung der Union ist
us meiner Sicht sehr schädlich für die politische Kultur
n Deutschland. Genau diese Haltung dürfte einen weite-
en Beitrag dafür leisten, dass sich immer mehr Men-
chen vom Politikbetrieb im Bundestag abwenden.
iese Ablehnung eines gemeinsamen Antrages wäre
ber zu verschmerzen, wenn, ja wenn denn die große
oalition einen eigenen Antrag für ein solches Morato-
ium einbrächte.
Während der Ausschussberatungen im Juni habe ich
on den Regierungsparteien aber in erster Linie gehört,
nser Antrag sei viel zu weit gehend. Ob und welchen
ntrag die Koalition möglicherweise einbringen wird,
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 5049
(A) )
(B) )
blieb weitgehend unklar. Seither hatten Sie den ganzen
Sommer über Zeit, eine eigene Position zu erarbeiten.
Leider hat die Koalition bis heute keinen Antrag vorge-
legt, der sich dieser wichtigen Problematik widmet. So
werden Sie unseren Antrag – davon müssen wir wohl
ausgehen – heute ablehnen, ohne Alternativen auf den
Tisch zu legen. Das ist ein für den Erhalt der Biodiversi-
tät in der Tiefsee sehr niederschmetterndes Ergebnis, zu-
mal die Generalversammlung der UN, die darüber befin-
den soll, unmittelbar bevorsteht. Ein entsprechendes
Signal wäre so wichtig.
Nichtsdestotrotz wird, so habe ich gehört, weiter an
einer gemeinsamen Position der Koalition gearbeitet.
Möglicherweise wird die Koalition diese auch als Antrag
in den Bundestag einbringen. Möglicherweise! Viel-
leicht aber auch nicht. Wir müssen es weiter abwarten.
Ich hoffe sehr, dass Sie sich tatsächlich auf eine ge-
meinsame Position einigen werden und dass dabei ein
vernünftiges Ergebnis für den Schutz der Tiefsee heraus-
kommt. Über das Ergebnis werden wir uns dann hoffent-
lich hier im Bundestag noch einmal unterhalten.
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Kfz-Steuer klima-
freundlich reformieren – CO2-Ausstoß und Ver-
brauch als Bemessungsgrundlage (Tagesord-
nungspunkt 21)
Patricia Lips (CDU/CSU): Wenn wir heute über eine
Reform der Besteuerung von Kraftfahrzeugen sprechen,
so dürfen wir uns vergegenwärtigen, dass wir es hier mit
einem Urgestein unter den uns bekannten Steuern zu tun
haben.
Galt zu den Anfangszeiten der Motorisierung die Be-
steuerung der Fahrzeuge noch als Luxussteuer, so kann
heute davon nur noch vereinzelt die Rede sein. Schließ-
lich waren im Jahre 2005 mehr als 54,6 Millionen Kraft-
fahrzeuge in Deutschland zugelassen, wobei für die
meisten die Steuer anfiel.
Mitte der 80er-Jahre wurden Fahrzeuge zunächst in
drei Schadstoffgruppen eingeteilt, wobei man sich be-
reits damals auf das bis heute geltende Prinzip einigte,
dass je schlechter die Abgasqualität, desto höher die
Steuer pro angefangene 100 Kubikzentimeter sein
müsse.
1997 wurde dann seitens der damaligen Bundesregie-
rung – die Umweltministerin hieß Angela Merkel – die
Anzahl der Schadstoffgruppen verdoppelt und ein wich-
tiger Schritt hin zum Umweltschutz getan. Es gab fortan
neben sechs Schadstoffklassen ebenfalls eine Steuerbe-
freiung für besonders schadstoffarme Fahrzeuge.
Die Grundlage für die Anhebung der Kraftfahrzeug-
steuer seit dem 1. Juli 1997 war das von uns beschlos-
sene schadstoffbezogene Kraftfahrzeugsteuergesetz vom
18. April 1997, wonach schadstoffarme Autos im Unter-
halt billiger als schadstoffreiche Autos werden sollten.
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Gleichzeitig sollte ein größerer Anreiz geschaffen
erden, emissionsarme PKWs zu kaufen. Seit dem Jahre
005 ist nun die Abgasnorm D 4 europaweit verbindlich.
is Ende 2005 waren Autos, die mindestens die Grenz-
erte der Abgasnorm D 4 einhielten, sogar bis zu einem
ewissen Betrag steuerfrei.
Die Ertragshoheit der Kraftfahrzeugsteuer liegt dabei
ei den Bundesländern, das heißt, die Einnahmen gehen
n die Landeshaushalte. Im Jahre 2004 waren das mehr
ls 8,5 Milliarden Euro.
Heute diskutieren wir erneut eine Reform der Kraft-
ahrzeugsteuer. Doch dies, so lassen Sie mich hinzufü-
en, ist nicht mehr alleine eine deutsche Herausforde-
ung. Darüber hinaus umfasst das Thema gleich mehrere
estandteile:
Erstens: die föderale Struktur Deutschlands. Die Kfz-
teuer ist Ländersache und nur im Dialog zu behandeln.
Zweitens: die finanzielle Seite. Welche Veränderun-
en ergeben sich in den Haushalten bei einer Änderung
n der Grundlage?
Drittens: Wie sind die Auswirkungen auf die Verbrau-
her selbst? Das heißt auch: Wie viele sind negativ bzw.
ositiv von einer Umstellung betroffen? Gibt es Über-
angsfristen oder Ähnliches, auch im Hinblick beispiels-
eise auf den Wiederverkaufswert?
Viertens: Schaffen wir es, auf europäischer Ebene zu
inem einstimmigen Abstimmungsprozess zu kommen?
enn aktuell wird dieses Thema auch dort behandelt.
Fünftens: ein sich daraus ergebendes realistisches
eitliches Verfahren.
Sechstens – natürlich als eigentliches Ziel –: die Be-
ücksichtigung der Umweltkomponente sei es als Anreiz
ür den Autokäufer, sich für ein umweltfreundlicheres
ahrzeug zu entscheiden, oder für die Automobilindus-
rie, entsprechende Fahrzeuge zu produzieren.
Umweltschutz ist in den vergangenen Jahren ver-
ehrt auch zu einer europäischen Angelegenheit gewor-
en. Die Europäische Kommission hat in diesem Sinne
or kurzer Zeit einen Vorschlag für eine Richtlinie vor-
elegt, der bedeuten würde, dass die Mitgliedstaaten ihre
ysteme für die Besteuerung von Personenkraftwagen
mstrukturieren müssten. Die Begründung hierfür – jen-
eits der Umweltkomponente –: Die derzeitige Anwen-
ung von 25 verschiedenen Systemen zur Besteuerung
on Personenkraftwagen in der EU hat bisher in der Tat
u steuerlichen Hindernissen in Form von Doppelbe-
teuerung, grenzüberschreitender Verbringung von Fahr-
eugen aus steuerlichen Gründen, Verzerrungen und In-
ffizienzen geführt, die das reibungslose Funktionieren
es Binnenmarktes beeinträchtigen. Auch deshalb sind
ie Automobilverbände Befürworter einer weit gehen-
en Harmonisierung.
Ziel dieses Vorschlags ist es zum einen, das Funktio-
ieren des Binnenmarktes durch die Beseitigung der
teuerlichen Hindernisse für die innergemeinschaftliche
erbringung von Personenkraftwagen zu verbessern.
5050 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
Zum anderen soll die Nachhaltigkeit durch die Um-
strukturierung der Bemessungsgrundlagen der Zulas-
sungssteuern und jährlichen Kraftfahrzeugsteuern geför-
dert werden, die künftig Elemente mit einem direkten
Bezug auf die Kohlendioxidemissionen der Personen-
kraftwagen enthalten sollen.
Soviel – in wenigen Worten – das Ziel. Das Europäi-
sche Parlament zeigt grundsätzlich Zustimmung, auch
wenn in Detailfragen noch abweichende Meinungen und
Bedenken vorhanden sind.
Der Vorschlag wird jedoch aller Voraussicht nach
auch auf Kritik in einzelnen Mitgliedstaaten stoßen, die
eine stärkere Einmischung der EU in der Steuerpolitik
ablehnen – Großbritannien – oder aber ein Wegbrechen
ihrer bisherigen Steuereinnahmen durch die Umstruktu-
rierung befürchten, Dänemark. Im Sinne eines verant-
wortungsbewussten Umganges mit Umwelt, Steuern und
Haushalt liegt es auch in unserer Verantwortung, diese
Vorarbeiten im Zahlenwerk zu leisten, bevor wir – dem
Inhalt des Antrages entsprechend – innerhalb von weni-
gen Monaten einen Gesetzentwurf vorlegen sollten.
Selbst wenn der Vorschlag der Kommission lediglich
auf die Festlegung einer EU-weiten Struktur für die Be-
steuerung von Personenkraftwagen an sich abzielt und
zu keiner Harmonisierung der Steuersätze führen soll,
gilt es zunächst, auch unter dem Primat der erforderli-
chen Einstimmigkeit aller Nationalstaaten, die „Harmo-
nisierung“ auf dieser Ebene zu erreichen. Immerhin sind
Vorstöße zu einer Reform in der Vergangenheit immer
wieder an dieser Frage letztendlich gescheitert.
Dies ist allemal sinngebender, als ein nationaler Al-
leingang, der im Folgenden wieder Korrekturen oder
Änderungen bedürfte. Wann sich die EU-Finanzminister
mit dieser Reform befassen, ist zurzeit noch offen, je-
doch ziemlich sicher nicht mehr in diesem Jahr.
Eine Reform der Besteuerung von Kraftfahrzeugen
auf Grundlage der CO2-Emissionen wird deshalb per-
spektivisch auch in Deutschland als ein Teil eines größe-
ren europäischen Projekts betrachtet werden müssen.
Der Koalitionsvertrag bestätigt, dass die große Koali-
tion zur Senkung des Kraftstoffverbrauchs von Fahrzeu-
gen und der Verminderung von CO2-Emissionen im ge-
samten Straßenverkehr wirksame Anreize für die
Einführung hocheffizienter Antriebe durch eine am CO2-
und Schadstoffausstoß orientierte Kfz-Steuer schaffen
will. Insofern ist festzustellen, dass von allen Seiten ein
Projekt in Gang gesetzt wurde bzw. wird, dass in die
richtige und identische Richtung weist.
Der Koalitionsvertrag lässt dabei bewusst offen, ob
die Bemessungsgrundlagen der jährlichen Kraftfahr-
zeugsteuern künftig ausschließlich durch eine Kohlen-
dioxidkomponente bestimmt werden soll oder ob das
Gesamtaufkommen aus Zulassung- und jährlichen Kraft-
fahrzeugsteuern zu einem noch zu definierenden Teil aus
der Kohlendioxidkomponente bestehen soll.
Offen ist derzeit ebenfalls, ob dieser Anteil den Vor-
stellungen der EU-Kommission von 50 Prozent bis zum
Jahr 2010 entsprechen soll, oder ob Deutschland einen
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reiwillig höheren Anteil sich auferlegen wird. Bereits
etzt hat die Bundesregierung signalisiert, dass sie einer
bschaffung der Zulassungsteuer positiv gegenüber
teht. Und genau dies ist darin begründet, dass verschie-
ene Ebenen in den Dialog eingebunden werden müs-
en, wie von mir dargestellt.
Wir wissen alle nur zu gut, wie komplex und sensibel
ieser Bereich ist. Vor diesem Hintergrund freue ich
ich auf eine angeregte Diskussion in den kommenden
ochen und Monaten. Der vorliegende Antrag kann als
egleitung der Diskussionen auf europäischer Ebene
erstanden werden, greift jedoch vor und lässt leider
iele Aspekte unberücksichtigt.
Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Wir sind uns alle einig:
ie Reduzierung des CO2-Ausstoßes ist im Angesicht
er unbestreitbaren Erwärmung unseres Klimas eine
entrale Zukunftsaufgabe.
Wir alle wissen auch: Unsere Mobilität – vor allem
nsere Auto-Mobilität – trägt nicht unwesentlich zur
eltweiten CO2-Problematik bei.
Aus diesem Grund haben SPD und Union im Koali-
ionsvertrag festgelegt, wirksame Anreize zur Minde-
ung des Kraftstoffverbrauchs im gesamten Straßenver-
ehr schaffen zu wollen. Wir stehen ohne Abstriche zu
ieser Zielsetzung und sind der Überzeugung, dass die
fz-Steuer hier ein wirksames Instrument sein kann. Die
omentane Differenzierung nach Abgaswerten hat ohne
weifel dazu beigetragen, dass seitens der Automobil-
ersteller verstärkt effizientere Antriebe entwickelt wur-
en.
Sehr geehrte Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen!
ir teilen die in Ihrem Antrag zugrunde liegende Forde-
ung, dass es notwendig ist, das bestehende Instrumenta-
ium der Kfz-Steuer im Hinblick auf CO2-Einsparungen
eiter zu entwickeln. Über das Wie besteht aber unserer
nsicht nach noch Beratungsbedarf.
Fiskalpolitik findet ja bekanntlich nicht im luftleeren
aum statt! Eine Kfz-Besteuerung, die Anreize zur (Neu-)
eschaffung von CO2-ärmeren Fahrzeugen und Neu-
ahrzeugen fördert, wird im Gegenzug vermutlich die
teuerbelastung für viele der jetzigen Altfahrzeuge – mit
ft höherem Sprit-Verbrauch – mehr oder weniger deut-
ich erhöhen. Natürlich wünschen auch wir uns einen
chnellen Austausch von Spritschluckern. Neue bzw.
euere Fahrzeuge aber haben bekanntlich ihren Preis.
nd der kann nicht ohne weiteres jedem ad hoc zugemu-
et werden. Gerade ältere Kfz-Modelle, die durchschnitt-
ich mehr Kraftstoff benötigen, werden ja häufig – oft
uch aus Mangel an finanziellen Alternativen – von
enschen mit kleineren Einkommen gefahren.
Ein Ersatz der Hubraumbesteuerung gegen eine – wie
uch immer bemessene CO2-basierte Kfz-Steuer – darf
oziale Auswirkungen nicht ausblenden! Im Klartext
eißt das: Eine Änderung der Bemessungsgrundlage bei
er Kfz-Steuer darf nicht dazu führen, dass Menschen,
ie sich weder kurz- noch mittelfristig ein neues CO2-
ustoßärmeres Fahrzeug leisten können, überproportio-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006 5051
(A) )
(B) )
nale und unangemessene steuerliche Mehrbelastungen
zu tragen haben!
Ebenso wenig ausgeblendet werden dürfen wirt-
schaftliche Aspekte. Ich weise hier gezielt auf die Situa-
tion klein- und mittelständischer Unternehmen hin, die
über einen großen Nutzfahrzeugbestand verfügen. Die-
ser umfasst häufig ältere Fahrzeuge mit entsprechend
höherem durchschnittlichen Verbrauch, sprich: CO2-
Ausstoß. Eine Umstellung der Besteuerung auf CO2-
Emissionen muss gewährleisten, dass auch Firmen mit
geringer Liquidität genügend Zeit bekommen, sich an
veränderte steuerliche Rahmenbedingungen anzupas-
sen. Die im Antrag enthaltene die Forderung, schon zum
1. Januar 2007 eine Gesetzesänderung herbeizuführen,
erscheint mir daher wenig praktikabel.
Der Möglichkeit, die Kfz-Steuer auf den Bund zu ver-
lagern, räume ich zurzeit nur sehr geringe Aussichten
ein. Das Föderalismusreform-Paket ist ja gerade erst, un-
ter nicht unerheblichen Anstrengungen, geschnürt wor-
den.
Wir begrüßen, dass das EU-Parlament jetzt eine
Richtlinie zum Umbau der Kfz-Steuer verabschiedet hat.
Die Besteuerung von PKW soll künftig stärker an der
Umweltverträglichkeit ausrichtet sein. Ein entsprechen-
der Richtlinienvorschlag der EU-Kommission zur CO2-
bezogenen Kfz-Steuer vom 5. Juli 2005 liegt ebenfalls
vor. Auf der EU-Ebene ist offenbar vieles in Bewegung
gekommen. Das ist gut so!
Es ist auch gut so, dass der Bundestag beim Thema
der CO2-bezogenen Kfz-Steuer Initiative zeigt. Hinsicht-
lich der sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der
vorgeschlagenen Neuausrichtung der Kfz-Steuer sehen
wir aber noch umfangreichen Beratungsbedarf. Das gilt
auch für die föderalen Fallstricke. Wir sprechen daher
die Empfehlung aus, den vorliegenden Antrag in den
nächsten Wochen intensiv im Ausschuss zu beraten.
Michael Kauch (FDP): Mobilität ist genauso Teil
von Freiheit wie der Erhalt von Lebensqualität und na-
türlichen Ressourcen. Der stetig steigende Bedarf nach
Mobilität wird jedoch vielfach begleitet von negativen
Auswirkungen auf die Umwelt. Diesen Konflikt aufzu-
lösen, das ist die Aufgabe moderner Umweltpolitik und
das Ziel einer Politik der nachhaltigen Entwicklung.
Der Mobilitätsbedarf in unserer Gesellschaft wird
auch zukünftig ansteigen. Entscheidend ist, diesen Pro-
zess nachhaltig zu gestalten. Effizienzsteigerungen, neue
Verkehrskonzepte, aber vor allem alternative Kraftstoffe
und Antriebstechnologien können uns helfen, dass Mo-
bilität nicht zulasten der Umwelt geht. Diese Feststel-
lung dürfte von allen geteilt werden. Es ist zudem unbe-
stritten, dass im Verkehrsbereich große wirtschaftlich
sinnvolle CO2-Einsparungspotenziale bestehen. Jedoch
werden Maßnahmen und Instrumente, um diese Poten-
ziale auszuschöpfen, weiter Teil der politischen Auseinan-
dersetzung bleiben. Der vorliegende Antrag von Bünd-
nis 90/Die Grünen zeigt dies deutlich.
Die FDP-Bundestagsfraktion lehnt den Antrag von
Bündnis 90/Die Grünen ab und kritisiert die europäi-
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chen Vorgaben zur CO2-abhängigen Ausgestaltung der
fz-Steuer. Es ist der falsche Weg – auch aus ökologi-
cher Sicht –, die Kfz-Steuer zu erhöhen oder ihre Be-
essungsgrundlage zu ändern. Der richtige Weg wäre es
ielmehr, die Kfz-Steuer abzuschaffen und im Gegenzug
ostenneutral auf die Mineralölsteuer umzulegen. Um
mweltpolitische Ziele zu erreichen, wäre es sinnvoller,
en Schadstoffausstoß pro gefahrenen Kilometer zur
rundlage der Besteuerung zu machen. Eine CO2-bezo-
ene Kfz-Steuer, die allein auf den Besitz eines Fahrzeu-
es und die potenziellen Emissionen abstellt, berück-
ichtigt dagegen nicht den wirklichen individuellen
erbrauch und damit die tatsächliche Schadstoffemis-
ion. Für den Klimaschutz kommt es aber doch darauf
n, wie viel CO2 tatsächlich ausgestoßen wird. Dieses
erücksichtigt allein die Mineralölsteuer, nicht aber die
fz-Steuer. Die Umlegung der Kfz-Steuer wäre zudem
in Beitrag zum Bürokratieabbau.
Wir kritisieren, dass die Europäische Union den Mit-
liedstaaten nun Vorgaben gemacht hat, dass künftig ein
estimmter Anteil der Einnahmen aus der Kfz-Steuer
ufgrund des CO2-Ausstoßes erfolgen soll. Wir sind der
uffassung – und wir haben dies auch während des
echtsetzungsprozesses gesagt –, wenn die EU-Kom-
ission den Mitgliedsstaaten die Ausgestaltung der Kfz-
teuer vorschreibt, dann steht sie im Konflikt mit dem
ubsidiaritätsprinzip. Dies ist keine Frage, die die EU re-
eln muss. Natürlich müssen wir uns den neuen europäi-
chen Anforderungen stellen. Deutschland soll aber nun
ie richtigen Konsequenzen ziehen. Das heißt: nicht die
inführung einer CO2-bezogenen Kfz-Steuer, sondern
ie aufkommensneutrale Umlegung der Kfz-Steuer auf
ie Mineralölsteuer.
Selbstverständlich kann man es hierbei nicht belas-
en. Die Aufgabe, das Verkehrsaufkommen umweltge-
echter und klimaschützender zu gestalten, sollte durch
ehrere Maßnahmen flankiert werden.
Das bedeutet zum Beispiel als langfristige Strategie
ie Einbeziehung des Verkehrs in den Emissionshandel.
leichzeitig sollten auch weiterhin Selbstverpflichtun-
en insbesondere auf internationaler Ebene, Teil einer
O2-Senkungsstrategie bleiben.
Die Entkopplung von Verkehrswachstum und den ne-
ativen Auswirkungen auf Umwelt und Klima ist eines
er herausragenden politischen Aufgaben unserer Zeit.
arktwirtschaftliche Anreize, nicht staatlicher Dirigis-
us sollten in der Verkehrs- und Umweltpolitik Lö-
ungswege sein. Wir bekommen dadurch nicht weniger,
ondern mehr Umweltschutz mit effizienteren und kos-
engünstigeren Methoden.
Barbara Höll (DIE LINKE): Es ist leider eine Tatsa-
he, dass die einst so fröhlich besungene Berliner Luft
urch ihre hohe Schadstoffbelastung immer kränker
acht. Nicht nur in der Bundeshauptstadt, sondern bun-
esweit werden die europäischen Grenzwerte überschrit-
en und nichts geschieht. Besonders Kinder leiden an der
unehmenden Dichte des Kraftfahrzeugverkehrs durch
hronischen Husten, Asthma und Bronchitis.
5052 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
(A) )
(B) )
Neuste Zahlen der Weltgesundheitsbehörde zeigen,
dass wegen der Tage mit hoher Feinstaubbelastung in
der Bundesrepublik jährlich mit 75 000 vorzeitigen Ster-
befällen zu rechnen sei, im übrigen Europa dagegen
„nur“ mit 31 000 Sterbefällen. Feinstaubbelastung ent-
steht durch Kfz-Verkehr. Trotz dieser Tatsachen blockie-
ren die Länder die steuerliche Förderung von Rußfiltern.
Während unsere europäischen Nachbarn gegen die
Feinstaubbelastung kämpfen, werden bei uns die Grenz-
werte bekämpft. Das ist paradox und entwertet alle dies-
bezüglichen Bemühungen. Die Bundesregierung muss
endlich handeln und nicht weiter umweltpolitische
Flickschusterei betreiben. Wir brauchen tragfähige und
schlüssige Konzepte, die auch steuerpolitisch eine Ver-
besserung der Schadstoffbelastung bewirken.
Die Kolleginnen und Kollegen von den Bündnisgrü-
nen müssen sich leider fragen lassen, warum sie sich
nicht in Ihrer Mitregierungszeit tatkräftig für eine Re-
form einer klimafreundlichen Kfz-Steuer eingesetzt ha-
ben, aber noch erstaunlicher ist doch die Tatsache, dass
Sie im Umweltausschuss eine EU-Richtlinie (16/1814)
begrüßen, mit der ursprüngliche Regelungen, etwa zum
Umgang mit Feinstaubbelastung, erheblich aufgeweicht
werden sollen. Der vorliegende Antrag der Bündnisgrü-
nen ist der zweite innerhalb weniger Monate zur steuerli-
chen Förderung.
Die Linke befürwortet eine verbrauchsabhängige,
schadstoffabhängige – CO2, Stickoxide, Feinstaub – als
auch hubraumabhängige Besteuerung von Kraftfahrzeu-
gen. Es geht um grundlegende Novellierungen und nicht
um kleinteiligen Aktionismus.
Ein Maßnahmebündel zum Thema Umweltbelastung
durch Straßenverkehr ist dringend geboten. Das bedeutet
bei der Kfz-Steuer, dass natürlich der Schadstoffausstoß
Teil der Steuerbemessungsgrundlage sein muss. Eine zu-
sätzliche Orientierung an der Hubraumgröße wäre sozial
ausgleichend, sodass etwa Motoren mit mehr als zwei
Litern Hubraum sowohl wegen des Schadstoffausstoßes,
als auch auf den Hubraum besteuert werden. Eine Be-
steuerung, die sich sowohl am Schadstoff- und CO2-
Ausstoß als auch am Hubraum orientiert, ist sinnvoll,
weil sie die Benachteiligung von Menschen verhindert,
die auf ältere Fahrzeuge angewiesen sind.
Hohe Verantwortung liegt bei den Produzenten, der
Automobilindustrie. Die Selbstverpflichtung der Autoin-
dustrie zur Einführung der Rußpartikelfilter führt letzt
endlich nur dazu, dass eine Technik, die seit Beginn des
Jahrzehnts serienreif ist, viel zu schleppend eingeführt
wird. Wenn wir gemeinsam auf dieser Grundlage die
Kfz-Steuer reformieren könnten, wäre dies ein entschei-
dender Schritt zur Verbesserung unserer Umwelt- und
Lebensbedingungen, im Interesse zukünftiger Genera-
tionen.
Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Wir debattieren heute über einen Antrag meiner Frak-
tion, der eigentlich überflüssig sein sollte. Er ist es aber
leider nicht, weil diese Koalition auch in der Umwelt-
politik nicht weiß, was sie will – obwohl in ihrem Koali-
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ionsvertrag eine klare Aussage hierzu zu finden ist. Dort
eißt es nämlich zur Reform der Kfz-Steuer:
Zur Senkung des Kraftstoffverbrauchs von Fahr-
zeugen und der Verminderung von CO2-Emissionen
im gesamten Straßenverkehr werden wir wirksame
Anreize für die Einführung hocheffizienter An-
triebe durch eine am CO2- und Schadstoffausstoß
orientierte Kfz-Steuer schaffen.
Das sind deutliche Worte, denen bislang aber noch
eine Taten gefolgt sind. Dabei hat sich die nach Abgas-
erten differenzierte Kfz-Steuer in der Vergangenheit
ur Förderung emissionsarmer Fahrzeuge bewährt und
ie Entwicklung und Nutzung umweltverträglicherer
ahrzeuge beschleunigt. Die Kfz-Steuer sollte auch wei-
erhin genutzt werden, die Markteinführung verbrauchs-
rmer Autos zu fördern. Damit sich sparsame und um-
eltfreundliche Fahrzeuge am Markt durchsetzen und
ie Einsparpotenziale im Straßenverkehr schneller er-
chlossen wer den, bedarf es zusätzlicher Anreize. Fahr-
euge, die besonders verbrauchsarm sind, würden da-
urch deutlich geringer belastet als große
raftstoffschlucker. Autokäufer erhalten so einen wirk-
amen Anreiz, sich für spritsparende Modelle zu ent-
cheiden. Hierzu sollte die Kfz-Steuer nach den CO2-
missionen bemessen und progressiv gestaltet werden:
e geringer der spezifische Verbrauch und die CO2-
missionen eines Fahrzeugs sind, desto weniger Kfz-
teuer muss gezahlt werden. Diese Maßnahme wirkt so-
ohl auf die Beschaffung als auch auf den schnelleren
ustausch von Altfahrzeugen.
Bei der Reform der Kfz-Steuer sollten die derzeit gel-
enden Schadstoffemissionsklassen bestehen bleiben und
ie Bemessungsgrundlage von der Größe des Hubraums,
ie kein konkretes Maß für den Verbrauch ist, auf die
O2-Emissionen pro Kilometer umgestellt werden. Eine
O2-bezogene Kfz-Steuer für Personenkraftwagen wird
uch von der EU-Kommission in einem Richtlinienvor-
chlag vom 5. Juli 2005 (KOM (2005) 261) gefordert. .
Die Einführung einer solchen CO2-bezogenen Kfz-
teuer wäre ab sofort möglich. Die Kosten dieser Um-
tellung sind relativ zu den erzielbaren Emissionsminde-
ungen sehr gering. Die Kfz-Steuereinnahmen kommen
isher ausschließlich den Ländern zugute. Im Rahmen
er Föderalismusreform war über einen Steuertausch
fz-Steuer gegen Versicherungsteuer zwischen Bund
nd Ländern verhandelt worden, der dann aber an den fi-
anziellen Ausgleichsförderungen der Länder scheiterte.
Unser Appell an die Bundesregierung lautet: Ver-
chleppen Sie nicht länger eine Reform für mehr Um-
elt- und Klimaschutz im Verkehr! Legen Sie endlich
inen Gesetzentwurf vor, der die Umstellung der Bemes-
ungsgrundlage für die Kfz-Steuer vom Hubraum auf
en CO2-Ausstoß zum 1. Januar 2007 gesetzlich regelt.
ies wäre ein dringend notwendiger Anreiz für Fahr-
eughersteller und Verbraucher, den Ausstoß des Treib-
ausgases CO2 im Verkehr spürbar zu senken und damit
em Klimawandel entgegenzuwirken. Wir bieten Ihnen
abei unsere Unterstützung an.
51. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8