Rede von
Volker
Beck
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist er-
staunlich, wie schnell die Sensibilität für Tischvorlagen
wächst, wenn man auf der Oppositionsbank sitzt.
Alfred Hartenbach
674 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Dezember 1998
(C)
Angesichts der Marginalien, um die es sich hierbei ge-
handelt hat, muß ich sagen: In meiner Oppositionszeit
habe ich von Ihnen ganz anderes erlebt.
Der vorliegende Gesetzentwurf dient der Sicherung
des ordnungsgemäßen Inkrafttretens der neuen Insol-
venzordnung. Im wesentlichen werden Rechtsanglei-
chungen vorgenommen, die bei der Verabschiedung des
Gesetzes noch nicht erkennbar waren. Die Vorarbeit hat
bereits die alte Regierung geleistet. Dafür danken wir.
Neu sind insbesondere einige Nachbesserungen, die die
neue Regierungskoalition – auch auf Wunsch der Länder
– vorgenommen hat. Hierzu zählt etwa die Einräumung
der Befugnis von Schuldnerberatungsstellen, auch vor
Gericht auftreten zu dürfen – hier wird niemand „ver-
donnert“, sondern die Beratungsstellen wollen es selbst
so –, was von mir ausdrücklich begrüßt wird.
Meine Damen und Herren, die neue Insolvenzord-
nung ermöglicht unter anderem das Privatinsolvenzver-
fahren. Überschuldete Privatpersonen können eine Be-
freiung von ihren Restschulden erlangen und so dem
„lebenslangen Schuldenturm“ entfliehen. Als Gegenlei-
stung hierfür muß der Schuldner während einer sieben-
jährigen „Wohlverhaltensperiode“ den pfändbaren Teil
seines Vermögens an einen Treuhänder abtreten, der den
Erlös an die Gläubiger verteilt. Eine derartige Chance
für einen Neustart ist ein riesiger gesellschaftlicher und
sozialer Gewinn.
Überschuldung ist für Menschen nicht nur eine er-
hebliche psychische Belastung, sie verhindert auch die
Wiedereingliederung in das Erwerbsleben und zemen-
tiert den Bezug von Sozialleistungen. Denn wer keine
Chance hat, jemals wieder mehr als das nach der ZPO
unpfändbare Einkommen zu erwirtschaften, ist wenig
motiviert, sich um einen Arbeitsplatz zu bemühen.
Aber auch für erwerbsunfähige Sozialleistungsemp-
fänger, die überhaupt nicht mehr arbeiten können, ist
die Überschuldung eine unerträgliche Belastung. Auch
sie sehen sich regelmäßigen Pfändungen, Mahnbriefen,
Gerichtsvollzieherbesuchen und Hausbesuchen von In-
kassobüros ausgesetzt. Die Perspektive, diesem Druck
und dem wirtschaftlichen Existenzminimum zu entflie-
hen, fehlt bislang. Neben der materiellen Armut und den
persönlichen Schicksalsschlägen sind sie dauerhaft den
Folgen der Überschuldung ausgesetzt, die wegen der
Scham gegenüber Nachbarn und Verwandten oder auch
Kollegen am Arbeitsplatz oft auch in sozialer Isolation
und gesellschaftlicher Ausgrenzung bestehen. In dieser
Situation befinden sich die Betroffenen oft schon seit
Jahren.
Bisher war es Gläubigern möglich, ihre Forderungen
30 Jahre – unter Umständen sogar noch darüber hinaus –
geltend zu machen. Für die davon betroffenen Menschen
wollen wir eine Verbesserung erreichen; darin sind wir
uns einig. – Ob wir unter diese gesetzliche Regelung al-
lerdings die Schuldverhältnisse der Oppositionsparteien
fallen lassen oder bei diesen Rechtssubjekten nicht lie-
ber an der alten Regelung festhalten sollten, darüber
werden wir uns sicher noch öfters in diesem Hause un-
terhalten. – Angesichts zunehmender Verbraucherüber-
schuldung hat sich dieser Zustand aus sozialen und
volkswirtschaftlichen Gründen als nicht haltbar erwie-
sen.
Meine Damen und Herren, die Regierungskoalition
tritt darüber hinaus für eine Änderung des Rechtsbera-
tungsgesetzes ein, durch die es den Schuldnerbera-
tungsstellen ermöglicht wird, auch vor Gericht aufzu-
treten. Hiermit verbinden wir die Hoffnung auf effizi-
entere Verfahren. Die Schuldnerberatungsstellen sind
auf Grund ihrer vorausgehenden außergerichtlichen Tä-
tigkeit bereits umfassend über die Streitpunkte infor-
miert. Anders als neu hinzugezogene Anwälte müssen
sie sich anläßlich eines Gerichtsverfahrens nicht in eine
komplett neue Materie einarbeiten. Dies führt nach un-
serer Auffassung auch zur Kostenersparnis.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie
behaupten, nur Anwälte hätten die Kompetenz für die
gerichtliche Vertretung. Sie unterstellen, die Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeiter der Schuldnerberatungsstellen
seien dem nicht gewachsen. Sollte dies tatsächlich auf
Grund einer außerordentlich schwierigen Rechtslage der
Fall sein, bleibt den Parteien immer noch die Möglich-
keit, einen Anwalt ihres Vertrauens einzuschalten. Das
werden sie dann auch im eigenen Interesse tun. Es ist
aber auch damit zu rechnen, daß die Schuldnerbera-
tungsstellen schon von sich aus Juristinnen und Juristen
einstellen oder mit Anwälten Generalverträge abschlie-
ßen, um diesem Problem zu begegnen und in der Lage
zu sein, auch komplexe Rechtsprobleme entsprechend
zu würdigen.
Meine Damen und Herren, die Änderungsanträge der
PDS werden wir ablehnen. Die Kollegen der PDS-
Fraktion hatten gestern im Ausschuß Gelegenheit, ihre
Bedenken vorzutragen. Aber sie haben sich nicht an der
Debatte beteiligt, sondern sich durchgehend der Stimme
enthalten. Sie haben uns ihre Änderungsvorschläge nicht
zur Kenntnis gebracht. Meines Erachtens sind sie unnö-
tig, da sie in der Sache keine substantiellen Verbesse-
rungen bringen. Wenn es Ihnen nicht um Show-Anträge,
sondern um die Sache gegangen wäre, hätten Sie im
Ausschuß mit uns darüber reden können. Sie wissen, wir
sind eine konstruktiv und sachlich arbeitende Koalition
und für Anregungen der Opposition immer offen.
Wir hätten, wenn Sie uns in der Sache überzeugt hätten,
sicherlich einen Weg gefunden, um Ihr Anliegen aufzu-
nehmen.
So agieren Sie rein populistisch. Deshalb werden wir Ih-
re Anträge ablehnen.
Volker Beck
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Dezember 1998 675
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