Rede von
Peter
Rauen
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Frau Staatssekretä-
rin, sehr geehrte Frau Kollegin Hendricks, Sie haben
sich heute hier hingestellt und behauptet, daß die kleinen
und mittleren Unternehmen mit der Steuerreform entla-
stet würden. Dies ist in Wahrheit das Gegenteil dessen,
was im Gesetzentwurf steht.
Wenn Sie mir das nicht glauben, lesen Sie zumindest
nach, was Herr Clement in seinem Brief dazu geschrie-
ben hat.
Ich habe noch Kanzler Schröder im Ohr, der mit sei-
ner Regierungserklärung erreichen wollte, daß die Men-
schen in Deutschland bei dem Wort „Reformen“ nicht
mehr erschrecken und zusammenzucken. Er hat nach
einem Monat sein Ziel erreicht: Die Notare in Deutsch-
land müssen bis Sylvester Nachtschichten einlegen, und
die Leute bekommen kaum mehr Termine, weil alle
noch retten wollen, was zu retten ist. Die Banken in
Luxemburg können in diesen Tagen den Ansturm deut-
scher Sparer, die ihnen ihr Geld in Milliardenhöhe
anvertrauen, nur mit Mühe bewältigen.
Die vorgelegten Entwürfe zu Steuer- und Sozialre-
formen sind ein einziges Verwirrspiel. Eine wirtschafts-,
finanz- und sozialpolitische Linie ist nicht erkennbar.
Die sogenannte ökologische Steuerreform erweist sich
immer mehr als eine Lachnummer.
Alles zusammengenommen ist sie für die Leistungsträ-
ger in unserer Gesellschaft, für Facharbeiter, Angestellte
und Unternehmer eine einzige Steuererhöhungsorgie.
Aus dem Regierungslager wird von einigen bei der
Wirtschaft der Eindruck erweckt, als sei ein einheitlicher
Steuersatz von höchstens 35 Prozent auf Unternehmens-
einkünfte bereits Gegenstand des vorgelegten Gesetz-
entwurfes und der aktuellen Beratung. Dies ist aber
überhaupt nicht der Fall. Da dies aber gemäß Ihrer Ver-
sprechungen noch aussteht und einige von Ihnen wissen,
daß dies mit Ihrer Philosophie zu den Reformen nicht zu
finanzieren ist, schlagen Sie konsequenterweise weitere
Erhöhungen bei der Mineralölsteuer und der Mehrwert-
steuer vor.
Eure Reformen haben im Denkansatz einen entschei-
denden Fehler:
Ihr wollt nicht beim Staat sparen, ihr wollt nicht bei den
sozialen Sicherungssystemen sparen, ihr wollt die
Staatsquote nicht senken; im Gegenteil: Ihr werdet die
Staatsquote erhöhen und damit Wachstum und Beschäf-
tigung abwürgen.
Der von Herrn Clement geschriebene Brief – Herr
Clement sieht dies ja offenbar ähnlich –, kann mich da-
bei überhaupt nicht beruhigen. Herr Clement wird sich
mit seinen steuerpolitischen Vorschlägen genauso wenig
durchsetzen, wie Stollmann Wirtschaftsminister gewor-
den ist.
Ihr werft der alten Regierung vor, Finanzlöcher hin-
terlassen zu haben, ohne es beweisen zu können. Ihr seid
es doch, die ständig neue Finanzlöcher aufreißen, um
Wahlversprechen einlösen zu können:
4,2 Milliarden DM durch die Zurücknahme der Renten-
reform, 14,2 Milliarden DM zur Übernahme der Beiträ-
ge von Kindererziehungszeiten in der Rentenversiche-
rung, 4,5 Milliarden DM bei den 620-Mark-Jobs. Das
Wort „Verschiebebahnhof“ ist für diese Operationen
viel zu milde. Das sind teilweise Taschenspielertricks.
Lothar Binding
660 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Dezember 1998
(C)
Und hören Sie endlich auf, davon zu reden, daß Sie
durch die ökologische Steuerreform die Lohnzusatz-
kosten senken wollen, wie das heute morgen durch die
Kollegin Ganseforth und Herrn Loske geschehen ist.
Wenn überhaupt, senken Sie damit die Sozialversiche-
rungsbeiträge um 0,8 Prozent. Die dadurch mögliche
Senkung der Lohnzusatzkosten verhindern Sie gleich-
zeitig, indem Sie das Lohnfortzahlungsgesetz zurück-
nehmen, wodurch wieder ein erhöhter Anspruch auf be-
zahlte Nicht-Arbeit entsteht. Damit wird die eine Wir-
kung sofort wieder konterkariert.
Wer mit der Sprache und den Begriffen so fahrlässig
umgeht wie Sie, will entweder die Leute täuschen, oder
er weiß nicht, wie sich die Lohnzusatzkosten zusam-
mensetzen.
– Herr Poß, Sie wissen es mit Sicherheit nicht. Das be-
weisen Ihre Zwischenrufe.
Ihre ökologische Steuerreform ist ein Geldbeschaf-
fungsprogramm und sonst nichts.
Ich habe 32 Jahre meines Lebens für zirka 100 Mitar-
beiter geradegestanden und versucht, für diese Arbeit zu
finden. Ich hoffe, dies auch in Zukunft noch tun zu kön-
nen. Wenn Sie aber mit Ihren Reformen nicht stramm
umkehren, werden Sie eines mit Sicherheit nicht errei-
chen, nämlich mehr Beschäftigung für Deutsche in
Deutschland.