Rede von
Lothar
Binding
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident!
Sehr verehrte Damen und Herren! Sie werden verzeihen,
daß ich mein Wirklichkeitsbild nicht an dem orientiere,
was ich allmorgendlich in der Zeitung lese.
Sie werden sicherlich verstehen, wenn ich das Thema
der Aktuellen Stunde einmal etwas näher betrachte;
denn hier geht es gar nicht um die seriöse Hinterfragung
eines Steuerkonzeptes, vielmehr geht es um die Kombi-
nation bestimmter Begriffe wie „angekündigte Erhöhun-
gen“, um so die Begriffe „Zukunft“ und „Unsicherheit“
mit dem Begriff der Erhöhung zu verknüpfen. Es geht
dreimal um den Begriff der Steuern, herausgelöst natür-
lich um ein Gesamtkonzept, und es geht darum, den Be-
griff „angekündigte Erhöhung“ mit dem Begriff „Mehr-
wertsteuer“ zu verknüpfen. In der Mathematik ist dies
ein beliebter Trick, denn man kann über die Elemente
der leeren Menge beliebig lange nichts Falsches sagen.
Insofern ist das ein sehr geschickt gewählter Tagesord-
nungspunkt.
Das Ziel dieses Tagesordnungspunktes ist offensicht-
lich, eine ganzheitliche Betrachtung unserer Politik zu
verhindern und davon abzulenken, daß wir uns mit der
Dualität von Angebots- und Nachfragepolitik und der
Schaffung von Arbeitsplätzen auf innovativen Feldern
für die zukünftige Steuerpolitik einen sehr seriösen poli-
tischen Hintergrund geschaffen haben, von den ökologi-
schen Effekten ganz zu schweigen.
Ich denke, daß man zu dieser Erkenntnis schnell
kommen kann, wenn man statt des allmorgendlichen
Blicks in die Zeitungen auf die Zahlen und Fakten zu-
rückgeht.
Es läßt sich sicher schnell zeigen, daß seit Ihrem Amts-
antritt vor 16 Jahren die Steuer- und Abgabenpolitik für
eine Umverteilung zu Lasten der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer genutzt wurde. Das halte ich für ein
absolutes Drama, denn obwohl die Steuereinnahmen in
den letzten Jahren insgesamt sehr stark zurückgegangen
sind und die Steuerquote mit 21,8 Prozent einen histori-
schen Tiefstand erreicht hat, stieg die Steuer- und Abga-
benbelastung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
von 39 Prozent im Jahre 1982 auf 45,5 Prozent heute.
Bekanntlich hat aber weder das eine noch das andere
zu einer Entschuldung des Staates geführt. Ich hatte im
Wahlkampf immer dramatische Probleme, den Men-
schen zu erklären, wieviel eigentlich 1,4 Billionen dar-
stellen – eine Zahl, die wir uns kaum vorstellen können.
Eine Zins-Steuer-Belastung von 25 Prozent war dann
schon leichter zu erklären.
Diese Entwicklung wurde aber durch Ihre unzähligen
Steuererhöhungen nicht einmal gestoppt. Die Umsatz-
steuersätze wurden 1983 erhöht, später die Kfz-Steuer,
die Versicherungsteuer und die Mineralölsteuer um 50
Pfennig – dagegen nehmen sich unsere Überlegungen
geradezu lächerlich aus –,
dann gab es die Einführung einer Zinsabschlagsteuer,
eine Erhöhung der Grunderwerbsteuer usw.
– In diesem Sinne ist der Zusammenhang leicht her-
zustellen. Ich war davon ausgegangen, daß Sie Ihre
Steuerkonzeption in ein Gesamtkonzept eingebettet
haben, aber das Ergebnis Ihrer Politik zeigt, daß das
mißlungen ist.
Deshalb ist es besser, sich die Ergebnisse einer ver-
gangenen Politik anzusehen, als über die Zukunft mit
Ankündigungsfloskeln Befürchtungen zu verstreuen.
Der Tagesordnungspunkt – das sage ich als Neuling –
leuchtet mir auch deshalb besonders leicht ein, weil ich
beobachtet habe, wie im Finanzausschuß gearbeitet
Gisela Frick
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Dezember 1998 659
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wird. Ich habe dort gesehen, daß man mit Geschäftsord-
nungsdebatten, mit Tricks, die jenseits jeglicher sach-
lichen Überlegungen liegen, den Versuch macht, am
Wohl der Bürgerinnen und Bürger vorbeizuarbeiten, und
noch nicht einmal den Versuch macht, selbst einen kon-
struktiven Vorschlag einzubringen.
Ich halte das für eine der schlimmsten Erfahrungen,
die ich als Neuling in einem Ausschuß machen mußte.
Herr Thiele, ich kann es Ihnen nicht ersparen, zu sagen,
daß Sie mir dort ein sehr, sehr bedenkliches Beispiel ge-
liefert haben.
Ich möchte an Sie appellieren, zu einer zielführenden
Arbeit zurückzufinden und im Wettstreit über verschie-
dene Ideen bezüglich unserer Gesellschaft zu arbeiten.
Ich denke, daß Sie uns dabei als konstruktiven Bündnis-
partner finden werden.