Rede von
Kristin
Heyne
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stelle fest, daß
sich mit der Wahl doch einiges hier im Haus verändert
hat. Zum Beispiel war es in der letzten Legislatur häufig
ziemlich mühsam, eine Debatte über die Ökosteuer auf
die Tagesordnung zu bekommen, und in der Regel fand
sie dann zu später Stunde statt. Jetzt aber haben wir
praktisch jede Sitzungswoche die Gelegenheit, über die
Ökosteuer zu reden, und das zu prominenter Zeit. Herz-
lichen Dank also an die F.D.P.!
Aber, Herr Thiele, es hat sich heute wieder einmal
gezeigt, daß für Sie Ökosteuer und Benzinsteuer eigent-
lich ein und dasselbe ist.
Das greift natürlich viel zu kurz; denn die Benzinsteuer
ist nur ein kleiner Teil davon.
Wenn Sie sich den ersten Schritt unserer ökologisch-
sozialen Steuerreform angucken, dann werden Sie die
Erfahrung machen, daß man auch mit einer äußerst
bescheidenen Anhebung des Benzinpreises eine sehr
respektable Ökosteuer auf die Beine stellen kann.
Wir haben vor der Wahl angekündigt, daß wir in die-
ser Legislatur eine Absenkung der Sozialversicherungs-
beiträge auf unter 40 Prozent anstreben; dies ist zu
100 Prozent in unserem Koalitionsvertrag umgesetzt
worden. Ich bin sicher, daß wir dieses Ziel erreichen.
Für die Festlegung der Tarife in der zweiten Stufe der
Ökosteuerreform haben wir sehr bewußt die Zeit nach
unserer EU-Ratspräsidentschaft gewählt. Wir werden
versuchen, in dieser Zeit gemeinsam einen wesentlichen
Schritt bei der Energiesteuer zu tun. Danach werden wir
sehen, wie der nächste Schritt, der Schritt auf nationaler
Ebene, auszusehen hat. Natürlich werden wir dabei auch
auf die Preisentwicklung achten;
denn zum Beispiel muß man davon ausgehen, daß die
Preise beim Mineralöl noch weiter sinken, und sinkende
Preise geben keinen Anreiz, das Dreiliterauto zu kaufen,
welches doch gerade unser Exportschlager werden soll.
Dafür aber muß es auch im Inland erfolgreich sein.
In der vergangenen Woche wurde wieder einmal die
Begehrlichkeit nach höherer Mehrwertsteuer laut; das ist
bekanntlich auch schon in der Zeit vor der Bundestags-
wahl geschehen. Ich glaube, ich muß heute nicht noch
einmal darüber reden, was eine Mehrwertsteuererhö-
hung für den Handel und das Handwerk und damit für
die Arbeitsplätze in diesem Bereich bedeuten würde.
Die Kritik der Opposition gerade an diesem Punkt aber
zeugt doch von einem ultrakurzen Gedächtnis;
denn hätten wir Ihre große Einkommensteuerreform so
durchgeführt, wie sie auf dem Tisch gelegen hat – jeder
kennt sie ganz genau –, hätten wir eine so riesige Finan-
zierungslücke, daß wir mit einer satten Mehrwertsteuer-
erhöhung rechnen müßten. Das ist so sicher wie das
Amen in der Kirche.
Mit dieser Erhöhung hätten Sie dann Ihre sogenannte
Nettoentlastung – die Absenkung der Steuerverpflich-
tung – für Besserverdienende und Gutverdienende be-
zahlt. Gezahlt aber hätten in besonderem Maße Men-
Heinz Seiffert
652 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Dezember 1998
(C)
schen mit niedrigem Einkommen und gerade Familien
mit Kindern; denn bei Windeln, Kleidung und Spielzeug
läßt sich nur schwer sparen.
Darum – das will ich hier ganz klar sagen – kommt eine
Erhöhung der Mehrwertsteuer für uns nicht in Frage,
schon gar nicht als Gegenfinanzierung für eine Ein-
kommensteuerreform.
Wir haben im europäischen und im internationalen
Vergleich keinen ungewöhnlich hohen Anteil am Steuer-
aufkommen aus direkten Steuern; da liegen wir im nor-
malen Mittel. Wir nehmen aber inzwischen bei den So-
zialversicherungsabgaben eine traurige Spitzenposition
ein. Hier gilt es, endlich Entlastung zu schaffen.
Wir werden bei den Sozialversicherungsbeiträgen
und damit bei den Kosten der Arbeit Entlastung schaf-
fen. Zur Gegenfinanzierung wollen wir aber nicht all-
gemeine Verbrauchsteuern einsetzen, sondern den Ver-
brauch besteuern, der sich verringern muß. Und das ist
der Umwelt-, das ist der Energieverbrauch.
Die Ökosteuer ist die Steuer, bei der das Ausweichen
explizit erwünscht ist. Dies ist zum Beispiel möglich
durch das Abschalten der Stand-by-Funktionen im
Haushalt, beim Fernsehen und beim CD-Player, oder in-
dem man das Auto mal stehen läßt oder es sich – das ist
noch besser – mit ein paar Leuten teilt. Das geht ganz
gut; ich praktiziere dies inzwischen seit vielen Jahren.
Wer sich so verhält, kann nach der ökologisch-sozialen
Steuerreform sogar als Gewinner herausgehen.
Mit dem Einstieg in die ökologisch-soziale Steuerre-
form korrigieren wir eine gefährliche Fehlentwicklung
im bundesdeutschen Steuersystem. Wir machen Arbeit
billiger und Umweltverbrauch teurer.
Lassen Sie mich zum Schluß noch eine Anmerkung
zu Ihrem Gedächtnis machen, Herr Thiele. Ich beziehe
mich auf das Flugbenzin. Ich kann mir nicht vorstellen,
daß Sie völlig vergessen haben, daß es vor nicht einmal
einem Jahr in diesem Hause einen fraktionsübergreifen-
den Antrag gab, der die Bundesregierung aufgefordert
hat, in den internationalen Gremien dafür zu sorgen, daß
die Steuer auf Flugbenzin endlich erhoben werden darf.
Heute zahlt der Pendler Steuer; sogar die Bahn zahlt für
die Dieselloks Steuer. Nur der Flug wird nicht besteuert.
Dies ist nicht sozial und nicht ökologisch, sondern ein-
fach Unfug.