Rede von
Heinz
Seiffert
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Staatsse-
kretärin Hendricks, haben Sie Probleme mit der Wahr-
nehmung der Wirklichkeit? Lesen Sie keine Zeitungen?
Haben Sie nicht davon Kenntnis erhalten, daß gestern
abend beim Herrn Bundeskanzler eine Versammlung
stattfand? Warum mußte sie sein, wenn bei Ihnen alles
paletti ist und in geordneten Bahnen abläuft, wie Sie es
hier darstellen wollen?
Sie geben mit Ihrer Steuerpolitik vor, daß Sie
Wachstum und Beschäftigung fördern wollen, daß Sie
die Investitionskraft der Unternehmen stärken wollen,
daß Sie Arbeitnehmer und Familien spürbar entlasten
wollen und daß es mehr Steuergerechtigkeit geben wird.
– Ja, klatschen Sie nur. Sie machen zur Zeit alles falsch.
Mit solch vollmundigen Versprechungen sind Sie in
den Wahlkampf gezogen. Sie haben damit viele hinters
Licht geführt,
und Sie haben viele aus der Neuen Mitte dazu bewogen,
Sie zu wählen.
Nun zeigen Sie, die Regierung und die Koalition, seit
vier Wochen, wie Sie Ihre Versprechen wirklich ge-
meint haben. Sie legen den Entwurf eines sogenannten
Steuerentlastungsgesetzes vor, mit dem Sie die Unter-
nehmen und insbesondere den Mittelstand bis 2002 mit
Steuern in Höhe von fast 35 Milliarden DM mehr bela-
sten wollen.
Gerade bei denjenigen, die Sie auffordern zu investieren,
kassieren Sie am schlimmsten ab.
Den Familien mit Kindern versprechen Sie eine Er-
höhung des Kindergeldes, ohne konkret darzulegen, wie
Sie dies finanzieren wollen.
Aber genau diesen Familien sagen Sie bereits jetzt, daß
sie damit zu rechnen haben, daß die Mineralölsteuer
erhöht wird und daß sie Steuern auf Gas, Strom und
Heizöl zahlen müssen. Das Ganze tarnen Sie dann als
ökologische Steuerreform.
Namhafte Genossen schlagen auch vor, die Mehr-
wertsteuer zu erhöhen. Das verstehen Sie wohl unter
Steuerharmonisierung in Europa. Sie meinen, da hätten
wir im europäischen Vergleich noch ein bißchen Luft,
und diese Luft müsse man natürlich nutzen. Anderen ist
schon lange das steuerfreie Flugbenzin ein Dorn im
Auge.
Also wird hierauf eine Steuer verlangt. Auch diese
könnte man ja als ökologisch wertvoll verkaufen.
Die Steuerfachleute der SPD im Sportausschuß pla-
nen offenbar eine Sondersteuer für Sportmillionäre und
natürlich auch für ehemalige Spitzensportler, die ihr
Einkommen ja ohnehin längst in Österreich, in der
Schweiz oder in Monaco versteuern. Die werden zittern!
Schaun mer mal.
Meine Damen und Herren von der Regierung und der
Koalition, jeden Tag treiben Sie buchstäblich eine neue
Steuersau durch das Dorf.
Es gibt täglich neue Zahlen und Ideen. Keiner weiß
noch, was gilt. Wie es beliebt und wie man es hören
will, so stellen Sie Ihre Vorhaben dar. Dem Bauernver-
band kündigt Ihr Sprecher an, daß es ja wohl nie so
schlimm kommt, wie es im Gesetzentwurf steht. Ich fra-
ge mich nur: Warum formuliert man das dann so? Hin-
sichtlich der von Ihnen gewollten Abschaffung der
Teilwertabschreibungen scheinen Sie langsam zu erken-
nen, was Sie damit anrichten würden. Ihre ganzen Vor-
schläge sind nicht durchdacht. Wenn Sie so weiterma-
chen, dann wird „nachbessern“ das Unwort des Jahres
1998.
Ich würde nicht so weit gehen und Sie, die ganze
SPD-Fraktion, als Chaostruppe bezeichnen. Aber einen
klaren nachvollziehbaren Kurs haben Sie in den letzten
Wochen nun wahrhaftig nicht gefahren.
Sie haben mit dieser Chaospolitik die Menschen und die
Wirtschaft verunsichert. Niemand glaubt mehr ernsthaft,
durch Ihre Reform und die Kindergelderhöhung netto
wirklich entlastet zu werden. Man tut gut daran. Jeder
spürt doch, daß Sie umverteilen wollen, weil Sie zum
Sparen nicht in der Lage sind. Was Sie mit der linken
Hand geben, kassieren Sie mit der rechten wieder ab.
Das nennen Sie dann ökologische Steuerreform, Zwang
zur Harmonisierung, Steuervereinfachung, und welche
Schlagworte Sie auch immer vorbringen.
Sie haben den Unternehmen, dem Handwerk und dem
gesamten Mittelstand mit diesen Steuergesetzentwürfen
eindeutige Signale gegeben: Sie wollen wieder die Be-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Dezember 1998 651
(C)
(D)
lastbarkeit der Wirtschaft testen. Damit verhindern Sie
die Fortsetzung unseres Aufschwungs.
Damit machen Sie Arbeitsplätze am Standort Deutsch-
land kaputt.
Sie haben vor der Wahl versprochen: „Wir sind be-
reit“. Wir merken jetzt, daß Sie bereit und zu allem fä-
hig, aber nicht in der Lage sind, eine gescheite Politik zu
machen. Sammeln Sie Ihre als Steuerreform getarnten
Abkassiermodelle wieder ein! Gehen Sie in den näch-
sten vier Wochen in sich, und legen Sie dann ein ver-
nünftiges Steuerkonzept etwa so, wie es Ihr Kollege
Clement vorgeschlagen hat, vor.
Sie können auch die von uns beschlossene und von Ih-
nen blockierte Steuerreform wieder einbringen.
Wir verzichten auf das Urheberrecht. Jedenfalls wäre
alles andere besser als der Kuddelmuddel, den Sie ange-
richtet haben. Kommen Sie über Weihnachten endlich
zur Besinnung!