Rede von
Werner
Lensing
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Die letzte Bemer-
kung, Frau Kollegin, ist völlig wahrheitswidrig. Deshalb
dürfen Sie sie hier so auch nicht bringen.
Der Wahrheit eine Gasse, meine Damen und Herren!.
Des weiteren muß man zur Kenntnis nehmen, daß das
eine andere Frage ist als die nach der Ausbildungsfinan-
zierung. In Deutschland sind insgesamt – ich muß wohl
besser sagen: lediglich – 54 Prozent aller Betriebe aus-
bildungsberechtigt. Diese Zahl hat sich reduziert. Aber
wir haben auch eine neue Situation – wenn Sie die Ge-
samtzahlen betrachten und sie mit denen der 80er Jahren
vergleichen –, nämlich die des zusammengewachsenen
Deutschlands. Dazu kommt die Situation – gerade was
die ehemalige DDR angeht –, daß dort unter der un-
glückseligen Regierung der SED der gesamte Mittel-
stand ruiniert worden ist,
so daß es jetzt die allergrößte Mühe kostet, das nach-
wachsende Handwerk überhaupt dazu zu gewinnen –
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Dezember 1998 629
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auch was die finanziellen Voraussetzungen angeht –,
Ausbildungsplätze anzubieten.
Ich freue mich, daß ich, wie ich Ihrem Gesicht ansehe,
zu Ihrer Zufriedenheit habe antworten können.
Die nächste These, meine Damen und Herren: Das
Handwerk baut – gerade vor dem Hintergrund dessen,
was gefragt wurde, möchte ich es noch einmal deutlich
sagen – ein beachtliches Plus von 1,5 Prozent an Lehr-
stellen aus. Ich will allerdings nicht die Nöte in den neu-
en Bundesländern verschweigen; darüber habe ich gera-
de gesprochen.
Nächste These: Der DIHT ermittelte im Jahr 1998
bundesweit bei den Ausbildungsplätzen sogar einen be-
merkenswerten und höchst anerkennenswerten Zuwachs
von 8,4 Prozent. Die deutsche Wirtschaft – das muß man
hier auch sagen dürfen – erreicht damit punktgenau ihre
eigenen freiwilligen Vorgaben von 25 000 zusätzlichen
Ausbildungsverträgen.
Vor diesem Hintergrund – das müßten eigentlich
auch die eifrigsten Umlagebefürworter einsehen – ist ei-
ne Bestrafung der deutschen Wirtschaft durch die Ein-
führung einer Zwangsumlage ein außerordentliches fal-
sches, weil in höchstem Maße kontraproduktives Signal.
Jetzt, meine Damen und Herren, kommt aus meiner
Sicht das Spannendste: Mir scheint, die von mir belegte
Faktenlage hat inzwischen erfreulicherweise selbst die
neue Bundesregierung realisiert,
fällt doch bei der Lektüre der Koalitionsvereinbarung von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf, daß im Vergleich
zu den seitenlangen Erörterungen zur Drogen- und Sucht-
bekämpfung sowie zur Frauen- und Umweltpolitik das
Thema „Berufsausbildung“ ausgesprochen sparsam be-
handelt wird. Dabei findet die Ausbildungsplatzabgabe,
die doch in der vorigen Legislaturperiode so sehr gefor-
dert wurde, kaum noch Berücksichtigung. Herr Hilsberg
hat dies gerade mit seinen Aussagen belegt.
Ich denke, das liegt daran, daß auch SPD und Grüne
eingesehen haben, daß man aus den entsprechenden
Voten in den öffentlichen Anhörungen, aus der eindeu-
tigen Stimmungslage in der deutschen Wirtschaft, aus
der unzweifelhaften Ablehnung aller Wirtschaftsmi-
nister aller Länder und aus der ebenso deutlichen Ab-
lehnung des neuen Kanzlers, des Sachverständigenrates
zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwick-
lung, vieler Wissenschaftler und sogar einiger Gewerk-
schaften lernen kann. Gleichwohl – ich sage es aus-
drücklich – ist die Zurückhaltung der neuen Bundesre-
gierung bei der ehemals so heißgeliebten umlagefinan-
zierten Berufsausbildung lobenswert und hoffentlich
zum Wohle unserer Jugendlichen von Dauer.
Die Umlagefinanzierung à la PDS hilft uns hingegen
in keiner Weise weiter. Vielmehr würde sie die ange-
spannte Situation in den neuen Bundesländern noch in
unverantwortlicher Weise verschärfen und folgende
Probleme vorprogrammieren: einen Rückzug der Betrie-
be aus der Ausbildung, eine Reduzierung des Lehrstel-
lenangebots auf den jeweiligen betrieblichen Eigenbe-
darf und zudem eine – das macht mir besonders Sorge –
schleichende Verlagerung der Berufsausbildung weg
von der echten, weil betrieblichen Ausbildung hin zur
fondsfinanzierten Ausbildung in überbetrieblichen Ein-
richtungen.
Ich könnte mich mit dem PDS-Antrag noch weiter
auseinandersetzen, wenn dieser Antrag nach all den un-
endlichen Diskussionen in der vergangenen Legislatur-
periode heute einige Fragen beantwortet hätte, die bei-
spielhaft lauten: Nach welchen Kriterien will man eine
eindeutige Bemessungsgrundlage oder eine gerechte
Höhe des Abgabensatzes finden? Wer soll die erforder-
lichen komplexen Angaben der Betriebe erstellen? Wer
kann sie überhaupt kontrollieren? Durch welche Maß-
nahmen will man die berufsstrukturelle Fehlsteuerung
abwenden? Wie will man die in solchen Berufen fehl-
ausgebildeten Jugendlichen am Arbeitsmarkt unterbrin-
gen? Vor allen Dingen, meine Damen und Herren: Wie
will man über eine Ausbildungsfinanzierung das pro-
blematische Wahlverhalten der Jugendlichen nachträg-
lich verändern?
Deswegen komme ich zu dem Schluß: Eine von oben
verordnete Umlage führt zu einer Bestrafung einer Viel-
zahl von kleinen und mittelständischen Unternehmen,
die ohnehin schon in finanziellen Schwierigkeiten stek-
ken.
Eines möchte ich noch sagen dürfen, meine Damen
und Herren: Ich bin sehr der Auffassung, daß jedes Plä-
doyer, endlich der ausufernden Bürokratie zum Wohle
des Wirtschaftsstandorts Deutschland Einhalt zu gebie-
ten, durch den vorliegenden Gesetzentwurf der PDS zur
Farce gerät. Auch der Sachverständigenrat hat sich sehr
eindeutig dagegen ausgesprochen.
Was mir aber auch besonders am Herzen liegt, ist
folgendes. Wir alle wissen, daß die Wirtschaft immer
von dem Klima abhängig ist, in dem sie sich zu entwik-
keln hat. Zu den Signalen, die die neue Bundesregierung
jetzt auf weiter Flur setzt, kann ich in der Tat nur sagen,
daß das momentane rotgrüne Chaos in der Steuerpolitik,
das jegliches Fassungsvermögen der Bürgerinnen und
Bürger deutlich übersteigt, in keiner Weise ein Klima
schaffen wird, in dem man bereit ist, zusätzliche Ausbil-
dungsplätze bereitzustellen. Das ist das eigentliche Pro-
blem.
Werner Lensing
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