Rede von
Dr.
Guido
Westerwelle
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(F.D.P.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident, ich
habe mich für zwei kurze Bemerkungen gemeldet.
Die erste Bemerkung betrifft den Fall Öcalan. Hier
muß eine ausgesprochen schwierige Abwägungsent-
scheidung getroffen werden. Für jede Regierung wäre
Cem Özdemir
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Dezember 1998 623
(C)
(D)
die Schwierigkeit dieselbe. Dies sollten Sie aber auch
kenntlich machen. Eine Scheinlösung vorzutragen, die
Strafverfolgung zu vertagen, bis ein internationaler Ge-
richtshof, von dem wir wissen, daß er in absehbarer Zeit
nicht mit der Arbeit beginnt, die Verantwortung für die-
sen Fall übernimmt, ist in der Tat eine Irreführung der
Öffentlichkeit.
Wenn Sie sagen, es sei eine Abwägungsentscheidung,
dann begründen Sie es auch so vor der deutschen Öf-
fentlichkeit! Es ist eine Abwägungsentscheidung zwi-
schen dem Strafverfolgungsanspruch des Staates auf der
einen Seite und der Opportunität und der Berücksichti-
gung der inneren Sicherheit auf der anderen Seite.
Ein Zweites. Als ich das Thema heute morgen einge-
bracht habe, habe ich am Anfang meiner Rede gesagt:
Mich ärgert, daß in der öffentlichen Debatte so getan
wird, als seien alle jungen Ausländer „Mehmets“. Daß
über dieser Debatte jetzt der Schatten des Falles Öcalan
schwebt, finde ich ausgesprochen bedauerlich. Das ist
nicht vernünftig. Denn in der Öffentlichkeit entsteht der
Eindruck: Staatsangehörigkeit, Einwanderung, Zuwan-
derungsbegrenzung, all das habe nur etwas mit Krimi-
nalitätsbekämpfung zu tun. Es geht nicht an, daß wir die
große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft, die in
Deutschland leben, kriminalisieren, indem wir sie bei
der Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes oder bei der
Zuwanderungsbegrenzung in Haftung für die „Meh-
mets“ und Öcalans nehmen. Das ist nicht fair und dient
auch nicht dem, was wir politisch beabsichtigen.
Deswegen finde ich es sehr bedauerlich, daß die De-
batte am Schluß diese Wendung genommen hat.
Der Fall Öcalan und der Fall „Mehmet“ haben mit der
Debatte um ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht in
Deutschland nichts zu tun. Es gibt den Fall Öcalan und
den Fall „Mehmet“, aber das hat nichts damit zu tun,
daß wir nicht trotzdem eine Modernisierung unseres
Staatsangehörigkeitsrechts – zugunsten der Kinder, die
hier geboren werden – dringend brauchen.