Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Parla-
mentarische Staatssekretärin hat uns gerade mitgeteilt,
daß der Herr Bundesinnenminister zur Zeit in Brüssel
ist. Das mag wichtig sein. Ich will das nicht beurteilen.
Eines weiß ich allerdings auch, Frau Kollegin: Es kann
nicht sein – darüber gibt es Verabredungen –, daß wir
hier eine Debatte in der Kernzeit führen und der zustän-
dige Minister nicht da ist.
Falls es solche Verpflichtungen im Ausland gibt, müs-
sen Sie für eine bessere Koordination zwischen Ihrer
Regierung und Ihrer Fraktion und dafür sorgen, daß die
Debatte zu einem anderen Zeitpunkt stattfindet.
Meine Damen und Herren, das hat etwas mit dem Stil
und, wenn man so will, mit der Kultur zu tun, die wir
hier haben. Es fällt schon auf, wenn bei dieser wichtigen
Kerndebatte um 9.20 Uhr der erste Minister auftaucht.
Auch das geht nicht, und das kann so nicht bleiben.
Ich füge noch ein Drittes hinzu, damit dieses Thema
dann abgeschlossen ist. Hierbei geht es nicht nur um den
Stil, sondern es geht wirklich ums Eingemachte.
In der vorigen Woche, am 26. November um
19.15 Uhr, hat der Kanzleramtsminister in einem we-
sentlichen Fall, im Fall Öcalan, die Fraktionen von
CDU/CSU und F.D.P. darüber informiert, daß die Bun-
desregierung daran festhalte, daß das Auslieferungsersu-
chen nur zurückgestellt werde. Im Laufe des Vormittags
des 27. November hat der Bundeskanzler dann bekannt-
gegeben, man habe darauf verzichtet, ein Auslieferungs-
ersuchen zu stellen.
Die zuständige Justizministerin mußte dann gestern
mitteilen, daß die Lösung der Verfolgung eines Terrori-
sten jetzt darin liege, daß die Bundesrepublik Deutsch-
land Italien auffordert, auf Grund des deutschen Haftbe-
fehls ein Strafverfahren durchzuführen.
Damit sind wir an einem Punkt angelangt, an dem es
wirklich nicht mehr akzeptabel ist, meine Damen und
Herren.
Nehmen Sie zur Kenntnis, Herr Kanzleramtsminister:
Die CDU/CSU-Fraktion wird für solche Veranstaltun-
gen angeblich vertraulicher Unterrichtungen in Zukunft
nicht mehr zur Verfügung stehen. Sie werden sich schon
etwas anderes überlegen müssen oder die Sache bereini-
gen müssen.
Parl. Staatssekretärin Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Dezember 1998 617
(C)
(D)
Meine Damen und Herren, der Kollege Westerwelle
hat bei seinem Bemühen, jedem und allem immer einen
Schritt voraus zu sein, eben einen klugen Satz gesagt.
Er hat nämlich in Richtung Regierung gesagt: Die Rea-
litäten haben sich nicht verändert, seitdem Sie auf der
Regierungsbank sitzen. – Das ist wohl wahr, Herr Kol-
lege Westerwelle, aber das Bewußtsein hat sich anschei-
nend verändert, wie wir gerade gemerkt haben. Die
spannende Frage ist nur, um welches Bewußtsein es
geht. Die Konkretisierung dieser Aussage ist gerade bei
der Frage der Zuwanderung ein ungeheuer wichtiger
Vorgang. Wo hat man schon jemals eine solche Konfu-
sion gesehen, daß auf der einen Seite der Bundesinnen-
minister gemäß dem Motto „Das Boot ist voll“ redet
und auf der anderen Seite die Ausländerbeauftragte der-
selben Bundesregierung das Ganze als politisch gefähr-
lich bezeichnet! Der Bundeskanzler wird einmal klären
müssen, wer eigentlich in diesen Fragen für seine Regie-
rung spricht, Schily oder Beck.
Wahrscheinlich weiß der Herr Bundeskanzler selber
nicht, was er dazu sagen soll, denn er hat ja nun klar und
deutlich erklärt – das nennt man jetzt anscheinend neue
Führung –, es werde kein Einwanderungsgesetz geben.
Der Bundesinnenminister hat demgegenüber sofort ge-
antwortet, es werde vielleicht doch ein Zuwanderungs-
gesetz, aber ohne eine richtige Zuwanderungsquote ge-
ben, denn diese müsse ja bei null liegen. „Konfusion“
dein Name ist Regierung: So stellt sich die Lage in der
Bundesrepublik Deutschland dar.
Auch der Kollege Bürsch hat eben einen interessan-
ten Sachverhalt dargestellt. Er hat uns nämlich mitge-
teilt, daß das, was die Bundesregierung in Sachen
Staatsangehörigkeit beabsichtige, eine vertrauensbilden-
de Maßnahme sei.
Er hat dann weiterhin mitgeteilt, daß man wie folgt zu
verfahren beabsichtige: Zuerst werde man sich dem
Thema doppelte Staatsangehörigkeit widmen und im
Anschluß daran der Zuwanderung. Das finde ich
hochinteressant, nicht nur vom Verfahren, sondern auch
von der Denke her. Zuerst macht man das Tor auf – ich
nenne die Stichwörter Altfallregelung, doppelte Staats-
angehörigkeit und Ehenachzug –, und im Anschluß dar-
an erklärt man, man versuche, das Ganze wieder einzu-
fangen.
Mit diesen Erklärungen wird versucht, die Bürgerin-
nen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland
schlicht zu täuschen.