Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich wollte gerade
zu den von mir gemachten und auch heute noch als ge-
nauso aktuell empfundenen Äußerungen sagen, daß wir
dieses voll und ganz unterstützen und daß auch für die
Bundesregierung – Sie sprachen ja von einem Seiten-
wechsel hier im Parlament – das Thema auf der Tages-
ordnung bleibt.
Aber, Herr Westerwelle, wir können und sollten uns da-
bei Zeit lassen. – Ich fahre jetzt fort. Ich glaube, damit
ist Ihre Frage erst einmal beantwortet, so daß Sie Platz
nehmen können.
– Doch. Ich führe das jetzt aus, aber Sie müssen nicht so
lange stehenbleiben.
– Ja, weil ich es jetzt in Ruhe erklären möchte.
– Machen Sie es, wie Sie wollen, Herr Westerwelle.
– Wenn es für Ihr Stehvermögen nötig ist, machen Sie
es.
Ich möchte es Ihnen an Hand Ihres Gesetzentwurfes
erklären. Herr Westerwelle, es ist nun einmal in der au-
genblicklichen Situation praktisch unmöglich – aber das
wollen Sie –, Migration mit gesetzlichen Mitteln zu re-
geln und zu steuern, ohne dabei zusätzliche Zuwande-
rungswege zu öffnen. Dafür liefert nun Ihr Entwurf den
in Paragraphen gegossenen Beweis.
Sie präsentieren ein ungeheuer kompliziertes büro-
kratisches Gebilde mit Gesamthöchstzahlen, Teilquoten
und einem zusätzlichen Verwaltungsapparat. Lassen Sie
doch einmal selbstkritisch Revue passieren, was Sie dort
an Umständlichkeiten niedergeschrieben haben. Ich zi-
tiere aus § 5 Ihres Gesetzentwurfes. Hören Sie bitte zu:
Eine nachträgliche Abänderung und ein gegenseiti-
ger Ausgleich verschiedener Teilquoten innerhalb
des Jahres, für das die Gesamthöchstzahl festge-
setzt worden ist, sowie die Übertragung der Zahl
der Zuwanderungsgenehmigungen auf die Teil-
quote des nachfolgenden Jahres
sind möglich.
Klar ist nach der Lektüre solcher Sätze nur, warum
Ihr Gesetz eine eigene Bundesbehörde erfordert. Un-
klar bleibt, worin die Transparenz der Regelung beste-
hen soll, die Sie gleich zu Beginn des Textes als politi-
sches Ziel benennen.
Aber viel bedenklicher erscheint mir der Geist, der
das gesamte Gesetz durchzieht. Sie wollen die Zuwan-
derung nicht erhöhen; das ist verständlich und auch
richtig. Weil es keine Erhöhung geben kann, schichten
Sie um, und zwar mit dem Ziel, bestimmte Personen-
gruppen in unser Land zu holen, andere aber eher zu-
rückzuhalten bzw. ihr Herkommen zeitlich zu verzö-
gern. Das heißt, Zuwanderung soll stärker an den Inter-
essen der Bundesrepublik orientiert sein, etwa nach
dem Motto: Wen können wir als leistungskräftige Steu-
erzahler und Zahler von Sozialabgaben brauchen? Ich
meine – damit ich nicht mißverstanden werde –, selbst
diese eigennützige Grundidee ist legitim. Sie liegt sogar
in der Tradition klassischer Einwanderungsländer mit
ihren Gesetzen.
Nur: Ihr Gesetzentwurf, liebe Kolleginnen und Kol-
legen von der F.D.P., macht diese Rechnung auf Kosten
nachziehender Familienangehöriger – das kam hier
schon zur Sprache –, möglicherweise schutzbedürftiger
Menschen und der Spätaussiedler auf. Die Zahl der
Spätaussiedler soll – so steht es im Gesetzentwurf –
kontinuierlich gesenkt werden. Der Familiennachzug
wird ebenfalls in die Aufnahmequote integriert, also
zeitlich gestreckt. Nichts anderes geht aus dem Text
hervor.
Daran, liebe Kolleginnen und Kollegen, scheiden sich
nun wirklich die Geister. Für die Bundesregierung steht
fest: Die Möglichkeiten des Zugangs nach Deutschland,
für die uns das Grundgesetz und internationale Ver-
pflichtungen zum Schutz der Flüchtlings- und Men-
schenrechte die Basis liefern, müssen voll gewährleistet
bleiben. Asylsuchende, nachziehende Familienangehöri-
ge und Bürgerkriegsflüchtlinge entziehen sich deshalb
jeder Aufnahmequote. Für Spätaussiedler gibt es schon
eine jährliche Höchstgrenze. Sie wird seit geraumer Zeit
deutlich unterschritten.
Ob wir nun darüber hinaus ermöglichen sollen und
können, daß Menschen aus wirtschaftlichen Gründen in
diesem Land eine Lebensperspektive finden, und das in
Quoten nennen, ist eher eine Frage der Zukunft als der
Gegenwart. Wir können und sollen uns mit der Lösung
Zeit lassen, und wir sollten sie vordringlich im Konsens
mit den Partnern in der Europäischen Union suchen.
Fürs erste, meine Damen und Herren, setzt die Bun-
desregierung andere Prioritäten. Absoluten Vorrang hat
ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht. Die Vorbe-
reitungen für das neue Gesetz sind bereits geleistet.
Dann haben wir endlich ein Angebot zur vollen politi-
Dr. Guido Westerwelle
616 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Dezember 1998
(C)
schen und gesellschaftlichen Teilhabe an die lange bei
uns lebenden Zuwanderer gerichtet, und dann sind die
dringend notwendigen Weichen für eine neue Offensive
der Integration gestellt.
Die Innenminister der Länder arbeiten – das wissen
Sie – darüber hinaus an einer Altfallregelung für ehe-
malige Asylbewerber mit langjährigem Aufenthalt in
Deutschland. Außerdem wollen wir ausländischen Ehe-
gatten und Ehegattinnen nach zwei Jahren ehelicher
Gemeinschaft das eigenständige Aufenthaltsrecht ein-
räumen – auch dies ist eine lang erhobene Forderung –,
und wir loten die Chancen zur humanitäreren Ausge-
staltung des Flughafenverfahrens im Asylrecht aus.
Meine Damen und Herren, Sie sehen also: Ein reiches
Betätigungsfeld breitet sich vor uns aus. Es wäre gut,
wenn die parlamentarische Opposition dieses Hauses
diese wirklich dringlichen Reformvorhaben konstruktiv
begleitete und ihnen einen breiten Konsens ermöglichte.
Zumindest bei der F.D.P., die unsere Ansichten ja wei-
testgehend teilt, habe ich durchaus Hoffnung, daß das
geschieht. Denn diesen Konsens in der Migrationspolitik
haben wir dringend nötig.
Deswegen appelliere ich zum Schluß an Sie, meine
Damen und Herren, und an uns alle: Hören wir endlich
damit auf, die Debatte um Zuwanderung, um Asyl, um
Flüchtlingspolitik und um Integration zu polemisieren
und zu polarisieren!
Es nützt weder den Menschen nichtdeutscher Herkunft,
die bei uns zeitweilig Schutz suchen oder dauerhaft
bleiben wollen, noch nützt es den Deutschen, von denen
sich mancher mit der Thematik durchaus schwertut und
auch mit den Schwierigkeiten vor Ort zu kämpfen hat.
Dies ist völlig unbestritten.
Deswegen helfen uns Beschönigung und auch Dämo-
nisierung nicht weiter, wohl aber umfassende Aufklä-
rung sowohl über Vorteile als auch über die Probleme
mit der Migration. Ich kann uns alle nur dringend er-
mahnen, so zu verfahren und die Sachlichkeit, die heute
morgen so oft beschworen worden ist, dann auch zu
praktizieren.