Rede von
Dr.
Guido
Westerwelle
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(F.D.P.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Wir haben heute einen Sachver-
halt auf der Tagesordnung, der dieses Haus seit vielen
Jahren beschäftigt. Ich selbst gehöre dem Deutschen
Bundestag seit knapp drei Jahren an. Allein in dieser
Zeit hat es regelmäßig Debatten dazu gegeben.
Ich möchte mit dem, was ich hierzu zu sagen habe,
vor allem dazu beitragen, daß wir die Diskussion über
Migrationspolitik, Zuwanderungspolitik, über Integrati-
onspolitik, Ausländerpolitik in Deutschland insgesamt
versachlichen.
Wir erleben mittlerweile eine Diskussion, die nie-
mandem in diesem Hohen Hause gefallen kann. Wenn
es eine spektakuläre Abschiebung eines ausländischen
jungen Straftäters gibt, dann erleben wir in der Öffent-
lichkeit eine Diskussion, die rational kaum noch nach-
vollziehbar ist. Ich meine, wir alle sollten daran arbeiten,
daß die vielen hunderttausend Ausländer, die in
Deutschland leben und sich integrieren, durch eine sol-
che Debatte nicht kriminalisiert werden. Die jungen
Ausländer in Deutschland sind nicht lauter Mehmets. Es
ist wichtig, daß wir immer wieder darauf hinweisen.
Aus Sicht der Freien Demokraten sollte die Zuwan-
derungspolitik vor allem versachlicht werden. Das ist
der Sinn des von uns vorgelegten Gesetzentwurfs. Es
geht darum, daß die Migrationspolitik in Deutschland
zwei Ziele berücksichtigen muß: erstens die kontrollierte
und gesteuerte Zuwanderung und zweitens die vernünf-
tige Integration vor allem der hier geborenen Kinder.
Beides gehört zusammen. Es sind zwei Seiten derselben
Medaille. Deswegen ist es ein Fehler, das eine Vorhaben
gegen das andere auszuspielen.
Wir brauchen einerseits eine Modernisierung des
Staatsangehörigkeitsrechts, um die Kinder, die hier
Präsident Wolfgang Thierse
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geboren werden, besser zu integrieren. Wir brauchen
andererseits eine Begrenzung, Steuerung und Kontrolle
der doch faktisch vorhandenen Zuwanderung nach
Deutschland, worüber wir in den letzten Debatten immer
wieder gesprochen haben.
Ich möchte an die Parteien SPD und Grüne appellie-
ren. Nach dem Regierungswechsel haben Angehörige
Ihrer Parteien auf der Regierungsbank dieses Hauses
Platz genommen. Damit hat sich sozusagen Ihre Blick-
richtung in diesem Hause verändert. Die gesellschaftli-
che Realität hat sich aber nicht verändert. Deswegen
möchte ich Ihnen sagen: Halten Sie an dem fest, was Sie
selbst in der letzten Legislaturperiode immer wieder
vertreten haben!
Sie, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen
von den Grünen, haben einen Gesetzentwurf zur Zu-
wanderung eingebracht. Sie, meine sehr verehrten Kol-
leginnen und Kollegen von der SPD, haben einen Antrag
zur Zuwanderung eingebracht. Diese beiden Vorlagen
stammen aus der letzten Legislaturperiode. Darin for-
dern Sie ein Zuwanderungsbegrenzungs- und Zuwande-
rungskontrollgesetz. Die Realitäten haben sich aber
nicht dadurch verändert, nur weil Sie jetzt auf den Ses-
seln der Regierungsbank sitzen.
Die heutige Diskussion ist bemerkenswert. Wir erle-
ben, daß die Grünen in öffentlichen Diskussionen den
Bundesinnenminister als – wörtlich – Kronzeugen aus-
länderfeindlicher Ressentiments und Aggressionen be-
zichtigen.
Man sollte sich an das erinnern, was hier im letzten
Jahr diskutiert wurde. Ich zitiere aus dem Stenographi-
schen Bericht der Parlamentssitzung vom 5. Juni 1997.
Dort heißt es:
Seit Jahrzehnten gibt es eine Zuwanderung nach
Deutschland. Der Bundesinnenminister aber argu-
mentiert nach der Devise, daß nicht sein kann, was
nicht sein darf. Ich muß schon sagen: Es zeugt von
Realitätsverlust und ideologisch geprägtem Starr-
sinn, wenn man vor diesen Tatsachen die Augen
verschließt.
Das hat nicht ein Abgeordneter der heutigen Opposi-
tion gesagt, sondern Sie, Frau Kollegin Sonntag-
Wolgast. Wenn man nicht wüßte, daß Ihre Partei heute
den Innenminister stellt, dann könnte man meinen, daß
sich nichts verändert hat. Nach der oben zitierten Aussa-
ge schloß sich der Zuruf des heutigen Bundesinnenmi-
nisters Schily an: „Der Staatssekretär macht das auch!“
Sie wollen von Ihrer damaligen Position nichts mehr
wissen. Wir bedauern das sehr.
Die Union hat in der letzten Koalition immer eine an-
dere Meinung vertreten. Deswegen kann ich ihr nicht
vorwerfen, daß sie sich unserem Vorhaben nicht an-
schließt. Sie aber haben uns in der letzten Legislaturpe-
riode immer wieder aufgefordert, einen Gesetzentwurf
vorzulegen, was wir aus Koalitionsgründen nicht getan
haben. Deswegen müssen Sie heute, wo Sie die Regie-
rung stellen, den Mut zur eigenen Courage haben.
Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, der vor
allem eine Begrenzung der Zuwanderung beabsich-
tigt. Frau Kollegin Beck, ich habe sehr genau nachgele-
sen, was Sie zu unserem Gesetzentwurf erklärt haben.
Sie haben keinen leichten Stand. Ich hoffe und wünsche
Ihnen, daß für Sie der heutige Tag kein schlechter Start
als neue Ausländerbeauftragte wird.
Ich möchte Ihnen folgendes anbieten. Sie haben sich
im Detail in mehreren Interviews mit unserem Gesetz-
entwurf auseinandergesetzt, was ich sehr begrüße. Sie
haben da und dort sehr konkret andere Vorstellungen.
Wir sind heute in der ersten parlamentarischen Bera-
tung. Wir sagen Ihnen: Auch wenn Sie an Details dieses
oder jenes ändern wollen, lassen Sie uns darüber spre-
chen, was der vernünftigere Weg ist! Lassen Sie uns
aber nicht aus politischen Opportunitätsgründen darauf
verzichten, eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen
Maßnahmen schon in dieser Legislaturperiode anzuge-
hen und nicht erst am Sankt-Nimmerleins-Tag.
Wir sind als Freie Demokraten der Auffassung, daß
Deutschland mehr Kontrolle über die Zuwanderung
braucht und nicht mehr Zuwanderung.
Aber in Deutschland findet eine Zuwanderung faktisch
statt. Ob wir es wollen oder nicht: Es wird auch künftig
eine Zuwanderung nach Deutschland geben. Wir müssen
dafür sorgen – das liegt in unserem nationalen Interesse
–, daß diese Zuwanderung kontrolliert, gesteuert statt-
findet und sich auch nach eigenen gesellschaftlichen,
wirtschaftlichen und sozialen Interessen ausrichtet.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, es geht nicht darum, die Tür zu
öffnen oder andererseits eine Diskussion unter der Über-
schrift „Das Boot ist voll“ zu führen. Es geht darum, daß
Politik mit der Wahrnehmung von Wirklichkeit beginnt.
Wir wollen einerseits die Zuwanderung steuern; ande-
rerseits sieht unser Gesetzentwurf auch eine bessere In-
tegration, eine bessere Eingliederung vor. Deswegen
schreiben wir obligatorische Sprach- und Eingliede-
rungskurse für Zuwanderung vor, die übrigens auch zur
Voraussetzung für Einbürgerungsansprüche gemacht
werden sollen.
Was unsere humanitären Verpflichtungen angeht,
die ja schon in den Art. 16 und 6 unseres Grundgesetzes
besonders hervorgehoben und geschützt sind, ändert die-
ses Zuwanderungsbegrenzungsgesetz der F.D.P. über-
Dr. Guido Westerwelle
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haupt nichts; denn natürlich müssen zuvor die grundge-
setzlichen Ansprüche erfüllt werden, muß zuvor der
Verfassung entsprochen werden. Wenn also durch Asyl,
Bürgerkriegsflüchtlinge oder Familiennachzug die jähr-
lich festzusetzende Zuwanderungsquote bereits erfüllt
oder übererfüllt ist, gibt es keine Zuwanderung. Ande-
rerseits hat aber ein solches Zuwanderungsbegrenzungs-
gesetz tatsächlich schon jetzt eine steuernde Wirkung;
denn unser Gesetzentwurf sieht beispielsweise vor, daß
derjenige, der einen Asylantrag stellt, gleichzeitig kei-
nen Zuwanderungsantrag stellen kann. Asyl und Zu-
wanderung schließen sich nach unserer Vorstellung aus.
Deswegen kann dies auch für viele, die bisher vielleicht
unberechtigterweise den Weg des Asylrechts gehen
wollen, Anlaß und Motivation sein, darauf zu verzich-
ten, damit sie sich die Tür für eine materiell berechtigte
Zuwanderung nicht verschließen.
Das Zuwanderungsbegrenzungsgesetz hat allein durch
seine Verabschiedung schon eine kontrollierende und
begrenzende Wirkung, meine sehr geehrten Damen und
Herren.
Es gibt jährliche Quoten, die von einer entsprechen-
den Kommission festgesetzt werden müssen. Die Teil-
quoten müssen angerechnet werden. Es kann sehr wohl
auch in kurzer Zeit passieren, daß uns Mangelberufe
oder beispielsweise die demographische Entwicklung
unserer Gesellschaft an einigen Stellen dazu zwingen,
bei Zuwanderungen nachzusteuern.
Das alles sind keine neuen Argumente, sondern sol-
che, die Sie uns in der letzten Legislaturperiode als Op-
positionsparteien immer wieder vorgehalten haben. Sie
haben damals der F.D.P. gesagt, obwohl wir in einer
Koalition waren, in der unser Koalitionspartner dies
nicht akzeptieren konnte: Habt Mut, geht voran, legt den
Entwurf vor. Sie haben damals Frau Kollegin Schmalz-
Jacobsen, die diesen Gesetzentwurf aus Gründen der
Koalitionsraison nicht einbringen konnte, immer wieder
heftig dafür kritisiert. Wir haben uns damals nicht eini-
gen können, und Sie wissen, daß der Koalitionsvertrag –
wie bei Ihnen heute auch – vorsah, daß man einen Ge-
setzentwurf dann nicht einbringen kann.