Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch mir liegt es am Herzen, zunächst ein Wort des Dankes an die Adresse von Detlef Kleinert zu richten, und zwar - ohne daß ich mich vergewissert habe, ob ich das tun darf - für sämtliche Justizminister seit 1969. Ich jedenfalls habe ihn in meinem Amt als einen ganz großartigen Ratgeber, vor allen Dingen aber auch als jemanden erlebt, der ganz praktisch Kompromisse schmieden kann. Ohne eine solche Fähigkeit und ohne derartige Leistungen und Hilfen ist
Rechtspolitik überhaupt nicht denkbar. - Herzlichen Dank also auch von dieser Seite.
Meine sehr verehrten Damen, meine Herren; ich will hier vorwiegend für den engeren Bereich der Justizpolitik sprechen. Es ist schon bemerkenswert, welch eindrucksvolle Bilanz diese Koalition vorlegen kann. Bemerkenswert ist auch - Herr Schily ist nicht mehr da;
ich will das dennoch aufgreifen -, daß für weite Teile dieser Arbeit die Zustimmung der größten Oppositionsfraktion gewonnen werden konnte. Nur durch eine solche Gemeinsamkeit waren diese Dinge meistens möglich.
Aber ebenso ist es ein Faktum, daß Grüne und PDS - auch das spricht Bände - sich beharrlich jedem noch so kleinen Schritt zur Kriminalitätsbekämpfung verweigert haben. Wie auf dieser Basis Rotgrün irgend etwas zur Förderung der inneren Sicherheit beitragen könnte, ist mir völlig schleierhaft.
Von Reformstau konnte jedenfalls auf dem Feld der inneren Sicherheit überhaupt nicht die Rede sein, und zwar nicht nur auf strafrechtlichem Gebiet, sondern auf anderen Feldern ebenso; ich denke nur - ich erwähne es ausdrücklich - an das Familienrecht, innerhalb dessen wir unter anderem die große Kindschaftsrechtsreform zustande gebracht haben, aber auch an das Prozeß- und vor allem das Wirtschaftsrecht, wo eine Reihe von wichtigen Reformstücken zustande gebracht worden sind. Das ist ein erfreuliches Stück Bilanz am Ende der Legislaturperiode.
Ich will aber doch - weil das bei der ganzen Diskussion hier im Mittelpunkt gestanden hat - vorwiegend auf das strafrechtliche Feld zu sprechen kommen. Mein Reformprogramm für diese Legislaturperiode findet sich im Bundesgesetzblatt. Mein Reformprogramm für die nächste Legislaturperiode wird hierauf aufbauen und umfaßt schlicht zweierlei: zum einen die Justizreform - inklusive der Juristenausbildungsreform - sowie zum anderen den Ausbau des gemeinsamen europäischen Rechtsraumes.
Zurück zur Kriminalitätsbekämpfungspolitik und den dazu in den zurückliegenden Monaten gegebenen Impulsen, zumindest zu jenen, die unter der Führung des BMJ, des Bundesministers der Justiz, gegeben worden sind.
Erstens. Seit April ist mit dem 6. Strafrechtsreformgesetz eine grundlegende Reform in Kraft. Sie hat im Strafgesetzbuch Wertungen aus der Kaiserzeit korrigiert. Seit mehr als 125 Jahren ist das nun endlich zustande gebracht worden. Immateriellen Rechtsgütern, wie Leben, körperliche Unversehrtheit und sexuelle Integrität, wurde ein höheres Gewicht gegenüber materiellen Rechtsgütern, wie etwa wirtschaftlichen Interessen, verliehen. Wir haben damit, so glaube ich, ein eindeutiges und klares Signal gegen Gewalt gesetzt; denn die zunehmende Gewaltbereitschaft ist eines der dramatischsten Entwicklungszeichen in der Kriminalität.
Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Zweitens. Seit Anfang dieses Jahres ist das Gesetz zum Schutz vor Sexualstraftaten in Kraft. Es wird die Sicherheit vor einschlägig vorbestraften Tätern nachhaltig erhöhen. Auch daran sieht man, daß manches nette Wort, was von den Grünen zur Prävention gekommen ist, absolut an der Realität vorbeigeht. Ohnehin ist bemerkenswert, daß Sie, Frau Müller, bei diesem Thema für die Grünen gesprochen haben. Mir ist nicht bewußt, daß Sie Mitglied im Rechtsausschuß, daß Sie Mitglied im Innenausschuß sind.
Ihre Praktiker, die daran arbeiten, schienen nicht in der Lage zu sein, Beiträge zu dieser Debatte zu liefern.
Drittens. Als flankierende Maßnahme wird das Zeugenschutzgesetz den Einsatz von Videotechnologie ermöglichen, um den traumatisierten, jedenfalls gedemütigten Opfern die Konfrontation mit ihrem Peiniger im Gerichtssaal zu ersparen.
Viertens. Eine weitere flankierende Maßnahme ist das DNS-Identifizierungsgesetz; Herr Kollege Kanther hat schon darauf abgehoben. Es wird die Aufklärungsarbeit bei schweren Verbrechen deutlich verbessern.
Fünftens. Dem organisierten Verbrechen sind wir mit einem ganzen Paket von Gesetzen zu Leibe gerückt. Die akustische Wohnraumüberwachung zu Beweiszwecken, wie wir es jetzt korrekt und vornehmer ausdrücken, hat zwar den meisten Staub aufgewirbelt, weil wir uns anfänglich in einigen weltanschaulichen Schützengräben gegenübergelegen haben. Viel wichtiger aber werden die Maßnahmen zur Bekämpfung von Geldwäsche und Korruption
und vor allen Dingen der erleichterte Zugriff auf das verdächtige Vermögen sein.
In diesem Zusammenhang ist bereits seit Mai das Experiment in Kraft, die Finanzbehörden mit in die Pflicht zu nehmen. Es wird hochinteressant sein, durch die jetzt sogar durch die Verfassung vorgeschriebene Berichtspflicht den Nachweis zu erhalten, ob wir hier in irgendeiner Weise weiterkommen. Ich bin da sehr optimistisch.
Schließlich und endlich will ich darauf hinweisen, daß ich in Rom bei der Schaffung des ständigen Internationalen Strafgerichtshofes für die deutschen Interessen eingetreten bin und daß ich es für einen ganz großen Fortschritt halte, daß wir die Einrichtung eines solchen Strafgerichtshofes erreicht haben.
Nur wenn wir es schaffen, zumindest für die Kernverbrechen eine weltweite Strafverfolgung zu organisieren, werden wir dem Gedanken des Rechts als regelnder Norm in der Welt gerecht und uns als Garant von Weltinnen- und -friedenspolitik ernsthaft Gehör verschaffen können.
Meine Damen und Herren, für die nächste Legislaturperiode haben wir bereits etwas Maßgebliches in die Wege geleitet, nämlich die Kommission für die Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems. Wahrscheinlich werden uns nun eine ganze Menge interessanter Diskussionsanstöße auf den Tisch gelegt: über den überwachten Hausarrest, den Führerscheinentzug auch bei Nichtverkehrsdelikten, die Strafbarkeit juristischer Personen, die Schadenswiedergutmachung, die gemeinnützige Arbeit und manches mehr. Diese Vorschläge, wenn sie schlüssig und verfolgenswert sind, werden wir in der kommenden Legislaturperiode umzusetzen haben.
So wichtig diese Reformen waren und so wichtig Reformen des Gesetzesrechts generell sind, so wenig nützt es, wenn sie sich nur auf bedrucktem Papier finden. Entscheidend ist ihre Umsetzung durch die Polizeien, durch die Justizen der Länder. Und hier hapert es. Wir haben in Deutschland kein Gesetzesdefizit mehr, sondern ein Vollzugsdefizit.
Ich will es mir ersparen, den mir in Zahlen vorliegenden Vergleich etwa zwischen Niedersachsen und anderen norddeutschen Ländern oder Bayern und Baden-Württemberg hier vorzutragen.
- auch mit Rheinland-Pfalz;' das ginge auch im Bereich der Justiz.
Stichwort: beschleunigte Verfahren. Man kann in der Tat feststellen, wie viele Straftaten pro 100 000 Einwohner wo geschehen sind. Das alles ist hochinteressant und belegt, daß wir die Länder, insbesondere die, deren Ministerpräsidenten im Wahlkampf den Mund besonders voll nehmen, immer wieder daran erinnern müssen, daß es ihre Aufgabe ist, die Bundesgesetze umzusetzen
und für die Leistungsfähigkeit der Umsetzungsapparate zu sorgen.
Wenn es richtig ist, daß die innere Sicherheit eine wesentliche Rolle bei der Entscheidung des Wählers am 27. September spielt - man könnte gewisse Zweifel daran haben, wenn man sich das große Echo auf die Debatte hier im Plenum vor Augen führt -, dann glaube ich jedenfalls, daß zur Kenntnis genommen wird, daß diese Koalition ihre Aufgabe bezüglich der Gesetze gut erfüllt hat und da, wo weiterhin Reformbedarf besteht, Reformen entschieden und, wie ich meine, auch zielführend in Angriff genommen hat. Im übrigen sind die Vollzugsdefizite von anderen zu verantworten, die jetzt in die Bundespolitik drängen.
Ich hoffe, der Wähler wird das alles in Ruhe und in Sorgfalt und sehr kritisch beurteilen und danach seine Stimmentscheidung treffen.
Vielen Dank.