Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Wahlkampf, den wir hier in den letzten drei Tagen erlebt haben bzw. in den Städten und in den Straßen erleben, ist davon geprägt, daß vor wenigen Monaten in Sachsen-Anhalt die rechtsextremistische DVU vor allem mit Themen aus den Bereichen innere Sicherheit, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit entsprechend Stimmen gewonnen hat.
Wenn man die Plakate der Unionsparteien und auch die der SPD betrachtet, dann finde ich es erschreckend, wie viele Parolen sich inzwischen im Wahlkampf ähneln. „Kriminelle Ausländer raus - aber schnell!" Ihr Kanzlerkandidat Schröder nennt die Dinge gleich beim Namen und sagt: Man muß diejenigen Ausländer, die kriminell geworden sind, am Kragen packen und rausschmeißen. Ich meine, daß dieses Verhalten zu einem ganz bestimmten Klima in diesem Land beiträgt, zu einem Klima, das in diesen Tagen im Parlament leider nicht diskutiert wurde.
Wenn wir heute auf den Straßen immer wieder Parolen wie „Arbeitsplätze zuerst für Deutsche" oder „Deutsches Geld für deutsche Arbeitsplätze" lesen und diese Parolen das Bild der Straßen prägen, dann muß man sich fragen, ob das nicht eigentlich schon die Politik in diesem Land ist und wie es eigentlich angehen kann, daß diese programmatische Nähe in der Mitte unserer Gesellschaft dazu führt, daß Rechte in diesem Land immer mehr akzeptiert werden.
Ich möchte Sie daran erinnern: Im vergangenen Jahr, im Jahr gegen den europäischen Rassismus, gab es in diesem Land 11700 Delikte, die einen rechtsextremistischen bzw. rassistischen Hintergrund hatten, 3000 Straftaten mehr als im Vorjahr. Tageszeitungen meldeten einen Höchststand rechter Delikte seit der Einheit. 1997 wurden zahlreiche Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte, auf Kirchen und auf Pfarrer, die Kirchenasyl gewährten, verübt. Ich meine, daß dies für dieses Land ein Skandal ist.
Die Kohl-Regierung nutzt die soziale Unsicherheit der Menschen aus, um von den Folgen ihrer sozialen Kahlschlagpolitik abzulenken. In einer an Spießigkeit kaum zu überbietenden Art und Weise tun
Union und SPD, Herr Schily, so, als wären ausgerechnet diese Opfer der sozialen Ausgrenzung, wie Flüchtlinge, Migranten und Obdachlose, die Hauptverursacher von Kriminalität.
Aber als erstes müssen wir die gesellschaftlichen Ursachen von Kriminalität erkennen und bekämpfen. Das ist hier bereits gesagt worden; ich habe das sehr wohl gehört.
Herr Schily, man darf aber nicht nur auf die Bundesregierung schauen; vielmehr muß man auch Ihre Länderregierungen angucken. Ich vermag leider kaum einen Unterschied zwischen der Politik Ihrer Partei und der der Bundesregierung zu erkennen. Man kann nicht nur darüber jammern, daß die Reichen immer reicher werden; vielmehr muß man Reichtum tatsächlich auch begrenzen, damit Armut bekämpft wird.
1993 sind an der deutschen Ostgrenze bzw. im Mittelmeer Tausende von Flüchtlingen und Migranten elendig umgekommen. Ungeachtet dessen geht die polizeiliche Menschenjagd auf Flüchtlinge und Migranten auch an den Grenzen, insbesondere an der Ostgrenze, weiter. Sicherheitsnetze und Schleierfahndung fördern rassistisches Vorgehen der Polizei. Der erste Berliner Polizeikessel zeigte uns die Auswirkungen des Bundesgrenzschutzgesetzes, daß nämlich „ausländisch aussehende Menschen" - so heißt es in diesem Gesetz - selektiert und entsprechend kriminalisiert und diskreditiert werden.
Zur Zeit zieht durch dieses Land eine Karawane von Flüchtlingen und deutschen Unterstützerinnen und Unterstützern mit der Parole: Wir haben keine Wahl, aber wir haben eine Stimme. Wie kann es angehen, daß Menschen, die 30 oder 40 Jahre in diesem Land leben und arbeiten, nur deshalb, weil sie keinen deutschen Paß haben, immer noch kein Wahlrecht haben? Warum können diese Menschen nicht mitbestimmen? Warum können diese Menschen nicht unter der Bedingung an den Wahlen teilnehmen, daß sie hier wenigstens fünf Jahre ihren Lebensmittelpunkt haben, wenn sie mitbestimmen und mitgestalten wollen? Die PDS hat sich natürlich immer wieder dafür eingesetzt. Wir sind der Meinung, daß nur dadurch, daß diese Menschen die gleichen Rechte wie Deutsche haben, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit in diesem Land bekämpft werden können.
Was lesen wir statt dessen in diesem Haushalt? 32 Millionen DM sollen auch nächstes Jahr wieder für die Vertriebenenverbände ausgegeben werden, die in ihren Reihen rassistische und ausländerfeindliche Parolen dulden und offen zulassen, daß die polnische und tschechische Grenze in Frage gestellt und über diese Länder in hetzerischer Weise berichtet wird. Trotzdem sollen auch im nächsten Jahr wieder 32 Millionen DM für diese Verbände ausgegeben werden.
Ganz zu schweigen von Denkfabriken oder Stiftungen: Die im vergangenen Jahr gegründete und mit Finanzmitteln ausgestattete Bismarck-Stiftung wird im kommenden Jahr wieder 4 Millionen DM er-
Ulla Jelpke
halten. Es ist nachgewiesen worden, daß Rechtsextremisten in diesen Organisationen bzw. Stiftungen ihr Unwesen treiben.
- Das ist kein Quatsch. Das kann ich Ihnen nachweisen. Ich habe leider dafür nicht die Zeit, sonst würde ich es hier gerne tun.
Ich kann Ihnen nachweisen, daß sich solche Organisationen und auch die Rechtsextremisten dadurch, daß sie gefördert werden, entsprechend motiviert fühlen. Ich meine, daß diese Bagatellisierung mit dazu beiträgt, daß nicht ganz ausgeschlossen werden kann, daß vielleicht im nächsten Bundestag auch eine rechtsextremistische Partei sitzt. Ich bin erschrocken darüber, wie wenig dieses Thema hier problematisiert wird und wie wenig auf die eigene Politik geschaut wird, um diese Entwicklungen zu verändern.