Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist wirklich ganz erstaunlich, was in der Innen- und Rechtspolitik geleistet worden ist. Wir haben es alle in den Listen in den letzten Wochen und Monaten gesehen. Auch erstaunlich ist daran, mit welchem Maß von Einigkeit - da hat Herr Schily vollkommen recht - die großen Vorhaben, die für uns alle schwer waren, hier verabschiedet worden sind. Frau Müller, auch über so etwas könnte man sich einig werden, wenn Sie nicht immer so ein abstraktes Ziel hätten, ohne gleichzeitig etwas Konkretes zum Weg zu sagen.
Es ist für uns alle bei Fragen der inneren Sicherheit wichtig, das Gleichgewicht zu halten zwischen der Freiheit, die auch und gerade durch die Sicherheit zu bewahren ist, weil die Freiheit sonst nichts wert ist, und den Maßnahmen, die für die innere Sicherheit nun einmal erforderlich sind. Wenn man Sie, Frau Müller, hier so reden hört, was alles an Prävention zu
Detlef Kleinert
tun ist, dann bestreite ich überhaupt nicht, daß es auch in Zukunft noch viele Möglichkeiten für Phantasie und Tatkraft gibt. Nichts ist vollkommen. Es wird vieles zu tun sein. Wir sollten im Wettbewerb versuchen - ohne beckmesserisch zu sagen, wer gerade vorne liegt oder nicht -, die Dinge zu bessern.
Daß wir, bis die Prävention greift, alles gehen und treiben lassen und uns von Ihren Parolen - bezüglich des Wegsperrens und ähnlich abfälliger Bemerkungen über die Justiz, die sich sehr viel Mühe mit der Findung einer gerechten Strafe im Einzelfall macht - beeinflussen lassen, kann doch nicht sein. Ich kann doch nicht erst einmal einige Jahre Chaos veranstalten, nur weil Sie die Hoffnung haben, durch Freigabe von Rauschgift und dergleichen in Zukunft keine Kriminellen mehr im Lande zu haben. Das bezweifle ich übrigens ganz stark.
Ich bin ja bereit, über diesen Punkt zu sprechen. Da gibt es in unserer Fraktion unterschiedliche Stimmungen, aber wohl doch eine sich bildende Mehrheit, daß wir über die ärztliche Behandlung der Rauschgiftsucht als Krankheit - auch mit den dazu geeigneten Medikamenten; das schließt Rauschgifte ein - mit uns reden lassen.
Das ist aber eine ganz andere Sache, als wenn Ihre Freunde in Schleswig-Holstein den Apothekern ansinnen, das, womit man die Gesundheit ruiniert, da zu verkaufen, wo man normalerweise Mittel zur Förderung der Gesundheit anbietet.
Ich würde mir das nicht nur für Apotheken verbitten, selbst für Bioläden würde ich es nicht für richtig halten.
Darüber kann man ja im einzelnen reden, wenn man ganz genau sagt, wie man sich das vorstellt, damit man den Bürgern auch die Gelegenheit gibt, nicht nur Schlagworte zur Kenntnis zu nehmen, sondern selbst mit nachzudenken, wo das Risiko größer ist und wo es geringer ist, daß sich die Sache durch das, was man tut, etwa verschlechtert.
Bei der Prävention fällt mir auch einiges zum Thema Schule ein.
Bei der Prävention fällt mir auch einiges zu den früheren Haltungen der Grünen ein. Ich stehe ja überhaupt nicht an, zu erklären, daß Sie hier sehr ordentlich und manierlich anzuschauen sind - das war ja auch nicht immer der Fall.
Da hat sich ja einiges geändert.
Wenn man aber den jungen Leuten gegenüber eine allgemeine Gleichgültigkeit im Hinblick auf jede Art von zwischenmenschlichen Formen - die ja Sinn machen und die die frühesten Formen der Sozialisierung ganz selbstverständlich mit sich bringen - propagiert, das Schulwesen entsprechend einrichtet und viel mehr an Rechte als an Pflichten und viel mehr an die Schulung der Konfliktfähigkeit als an die Fähigkeit der Konfliktbewältigung denkt, so daß inzwischen die Lehrer aller Schulformen sagen, daß die Experimente, denen sie wie auch die Schüler unterworfen wurden, gescheitert sind, dann muß man diese Erkenntnis nachdrücklich in die Prävention einbeziehen.
Man kann sich nicht immer nur seinen Teil heraussuchen, wenn man sich hier - zu Recht - über die Fragen der Prävention unterhält.
Es ist beachtlich, was geschehen ist. Das ist schon gesagt worden. Wir haben uns innerparteilich sehr viel Mühe gemacht und haben dadurch zu einer gewissen Verzögerung - aber was ist in einem so wichtigen Gesetzgebungsvorhaben schon eine Verzögerung? - beigetragen, indem wir unsere Mitglieder befragt haben, und zwar unter sehr ausführlicher Darlegung des Problems von beiden Meinungsseiten her.
Auf dieser Basis konnten wir, dann allerdings legitimiert, versuchen - so wie überhaupt in der Rechtspolitik; sei es nun in Fragen, die die innere Sicherheit betreffen und die keineswegs mit dem Strafrecht und auch nicht mit der Organisation der Polizei erledigt sein dürfen und sollen; sei es auch in Fragen des Zivilrechts mit all seinen Einflüssen -, auch auf die Gestaltung unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit Einfluß zu nehmen.
All diese Dinge haben wir, in erster Linie mit unserem Koalitionspartner, aber immer wieder auch - dankenswerterweise bei sehr großer Aufgeschlossenheit - mit der sozialdemokratischen Partei zu erörtern versucht. Durch die Grünen sind wir in den meisten Fragen nicht wesentlich behindert worden, weil sie sich bis heute bei der Übung aufgehalten haben, sich in aller Regel der Stimme zu enthalten - was natürlich den Denkapparat und die Entscheidungskraft schont.
Mit der Sozialdemokratie aber haben wir uns in den großen Fragen zusammengefunden. Wenn so viel über Gesetzesflut geredet wird, dann muß man auch wissen: Natürlich sind alle diese Gesetze im Laufe dieser Legislaturperiode und in den letzten 10 Jahren angesprochen worden. Aber es finden sich auch Novellierungen von Gesetzen, die auf diese Weise weniger Text, besseren Text und einleuchtenderen Text bekommen haben. Es finden sich darunter eine Menge von Gesetzen, die mehr Verantwortung an den Bürger zurückgeben und die übertriebene und sehr kostspielige Fürsorge des Staates zurückdrängen.
Detlef Kleinert
Ich erwähne nur noch ganz kurz das Kindschaftsrecht und die an sich selbstverständliche Lösung, zunächst einmal auf die Vernunft der Eltern in der Sorgefrage zu rechnen, statt automatisch dem Richter zuzumuten, den Eltern vorzuschreiben, wer die Sorge haben soll. Das sind doch Fortschritte, die wir gemacht haben,
und es läßt sich in vielen Gesetzen genauso belegen, daß hier mehr Verantwortung an den Bürger zurückgegeben worden ist. Das ist unser Ziel.
Daß wir dabei gut zusammengearbeitet haben, möchte ich zum Schluß, Frau Präsidentin, mit einer kleinen Geschichte unterstreichen. Ich habe vor langer Zeit - das ist so etwa 15 Jahre her - im Volkstheater in Wien einmal ein Stück von Nestroy gesehen. Da sagt der eine Rivale - das war eine furchtbar wilde Rivalisiererei, wie meistens in diesen NestroyStücken - zum anderen:
Form und Inhalt, mein Herr, Ihrer Äußerungen streiten miteinander um die Palme der Niedertracht.
Da habe ich mir gesagt: Das ist etwas Schönes für den Deutschen Bundestag. Irgend jemand wird dir über den Weg laufen, und dann bringst du das einmal an, natürlich indem du sagst, Nestroy hätte es so gesagt, denn man selber sagt so etwas nicht, aber das bringst du einmal an.
Nun muß ich heute feststellen: Ich habe es nicht angebracht, und zwar nicht etwa wegen schwachen Gedächtnisses, sondern weil keine Veranlassung bestanden hat. Es ist das Haus eben doch besser als sein Ruf und besser als das, was darüber erzählt wird, wie man das auch in dieser Stunde wieder feststellen kann. Dafür möchte ich mich bei allen bedanken, vorzüglich dem Rechtsausschuß, danach dem Innenausschuß, dann aber auch dem ganzen Hause. Wir haben ja viele Dinge zusammen getan, gelegentlich auch außerhalb unseres Landes. Das wird immer wieder kritisiert, aber sehr zu Unrecht;
denn wir hätten sonst den einen weniger schätzen gelernt, und wir hätten vielleicht auch bei manchem anderen nicht so früh erkannt, daß er wirklich ein besonders krummer Haken ist.
Bei all diesen Unternehmungen haben wir uns mindestens angenehm kollegial und in vielen Fällen auch freundschaftlich verhalten und sind uns so begegnet.
Wir haben festzustellen, daß die Idee, Politiker wären in besonderem Maße anfällig dafür, sich nicht für ihr dummes Geschwätz von gestern zu interessieren, abwegig ist, weil Natur und Technik des Geschäfts Zuverlässigkeit voraussetzen, weil man sonst aus dem Geschäft raus ist. Ich kenne hier niemanden, der dreimal versucht hätte, mich hinter die Fichte zu führen, und mit dem ich ein viertes Mal versucht haben würde, eine Vereinbarung zu treffen, geschweige denn mündlich. Aber hier werden ständig mündliche Verabredungen getroffen, unter einzelnen und unter Gruppen, und sie werden auch eingehalten. Das ist gut so; es muß so sein, anders funktioniert es nicht. Es ist von der ganz überwiegenden Zahl der Mitglieder des Hauses immer so gehalten worden. Auch dafür meinen herzlichen Dank!
Schließlich möchte ich noch ein wenig - das liegt heute nach dem Vormittag geradezu in der Luft - aufrührerisch wirken, ein wenig agitieren, indem ich sage: Wichtig ist für die Abgeordneten natürlich auch die Unabhängigkeit. Das gilt auch in der Koalition gegenüber der eigenen Regierung.
Das sollten wir immer wieder einmal scharf ins Auge fassen, denn sonst brauchten wir wirklich kein Parlament. Der Versuchungen sind viele, sich in vorauseilendem Gehorsam für die Position des Parlamentarischen Staatssekretärs in Empfehlung zu bringen.
Das sind Übungen, die dem täglichen Verhalten und dem aufrechten Gang doch in einigen Fällen sehr schaden können.
Ich rate davon ab. Versuchen wir, einigermaßen der menschlichen Natur entsprechend so zu bleiben, wie wir es immer versucht und meistens auch erreicht haben.
Noch einmal sehr herzlichen Dank.