Rede von
Dr.
Heidi
Knake-Werner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn die Gewinne und Vermögenseinkommen heute den gleichen Steuersätzen unterlägen wie vor dem Regierungsantritt Kohls, dann hätte Minister Waigel jährlich 100 Milliarden DM mehr in seinen Kassen. Darauf haben Sie aber bewußt verzichtet, und deshalb sind die Kassen leer. Statt dessen streichen Sie soziale Leistungen, kürzen und bauen ab - und dies betrifft all die Menschen, die auf öffentliche Solidarität angewiesen sind. Statt die sozialen Sicherungssysteme armutsfest und leistungsfähig zu machen, singen Sie das Hohelied der privaten Vorsorge. Das ist zutiefst unsozial.
Darauf ist der Kollege Blüm, der hier für Arbeit und Soziales zuständig ist, auch noch stolz. Erst ge-
Dr. Heidi Knake-Werner
stern hat er die 98 Milliarden DM, die jährlich in seinem Bereich gespart werden, damit gerechtfertigt, daß er dies für die Beitragszahler, die abhängig Beschäftigten getan habe. Was haben die - darf ich Sie das einmal fragen - eigentlich davon gehabt? Haben Sie vielleicht deren Beitragssätze gesenkt? Nein, die sind so hoch wie nie zuvor. Obendrein haben Sie ihnen noch die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gekürzt und das Schlechtwettergeld gestrichen. Das ist die Bilanz Ihrer Politik. Profitiert haben allein die Unternehmen und sonst niemand. Das ist Klientelpolitik reinsten Wassers.
Bei einer Bilanz Kohlscher Politik stehen auf der einen Seite die Erfolge für die Bezieher von Gewinnen und Vermögenseinkommen und auf der anderen Seite eben der dramatische Abbau von Arbeitsplätzen und die höchsten Arbeitslosenzahlen seit Kriegsende, die zunehmende Verarmung. Knapp 3 Millionen Menschen sind in diesem Land von Sozialhilfe abhängig, in Ostdeutschland jedes fünfte Kind. Das ist in einem so reichen Land wie der Bundesrepublik doch unglaublich.
Die wirtschaftliche Roßkur, mit der Sie in den neuen Ländern ganze Industrien plattgemacht haben, hat eben keine blühenden Landschaften hervorgebracht, sondern nur ein blühendes Geschäft für die westdeutschen Aufkäufer und eine Wirtschaftsstruktur, die so aussieht, daß auf 1000 Einwohner halb soviel Industriearbeitsplätze kommen wie in Spanien. Ist das nicht ein unglaublicher Skandal?
Da nehmen Ihnen die Menschen in Ostdeutschland einfach nicht mehr ab, daß der Aufschwung Ost für Sie oberste Priorität hat. Was hier passiert ist, ist nicht Weltklasse, das ist noch nicht einmal Kreisklasse.
Was haben Ihre Reformen für den Arbeitsmarkt tatsächlich bewirkt? Was hat die Auflockerung des Kündigungsschutzes gebracht? Gar nichts, nicht einmal im Handwerk. Im Gegenteil, dort sind Arbeitsplätze zu Hunderttausenden vernichtet worden. Und Rexrodt will den Kündigungsschutz, wie er heute in einem Interview verkündet, noch weiter auflockern.
Was hat die Änderung des Ladenschlußgesetzes gebracht? Nichts weiter als eine immense Zunahme von 620- und 520-DM-Jobs. Ich sage es noch einmal in aller Deutlichkeit: Das sind keine Jobs, die Zuverdienst bringen, sondern das sind für 3 Millionen Frauen die einzige Einnahmequelle. Deshalb wollen wir sie nicht streichen, aber wir wollen jede bezahlte Arbeitsstunde sozialversichern.
Der Obermegaflop in Ihrer Beschäftigungspolitik sind nun wirklich die Jobs in Privathaushalten. Sie haben mickerigste Ergebnisse erzielt. Aber dafür nehmen Sie einen Steuereinnahmeverlust von 300 Millionen DM hin. Das Bemerkenswerteste an dieser Initiative, die Sie gestartet haben, ist, daß manche Hausangestellten mehr Steuern zahlen als ihre Arbeitgeber.
Jetzt, kurz vor den Wahlen, greifen Sie zu einem Mittel, das Sie bisher immer als Rückfall in die Mottenkiste des Staatssozialismus denunziert haben. Sie pumpen Geld in den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor - sinnvoll und lange von uns gefordert. Aber daß Sie es jetzt tun, ist ein durchsichtiges wahltaktisches Manöver auf dem Rücken der Arbeitslosen. Das zeigt die Charakterlosigkeit Ihrer Politik.
Obendrein - weil das gestern von Minister Blüm immer wieder bemüht worden ist - ist genau das Wählerbetrug. Wir sind weit entfernt von einer Trendwende am Arbeitsmarkt. Auch das wissen Sie. Ihr Finanzplan drückt das deutlich aus.
Allein schon deshalb wird am 27. September eine Richtungsentscheidung getroffen werden müssen. Die Wählerinnen und Wähler wissen das. Ob damit allerdings ein Richtungswechsel verbunden sein wird, das wage ich noch ein bißchen zu bezweifeln. Ein Kanzlerkandidat, der nach seinem eigenen Bekenntnis wenig anders, aber alles besser machen will, will eben keinen Richtungswechsel, sondern in erster Linie an die Macht kommen, wogegen ich im Moment gar nichts habe.