Rede von
Dr. h.c.
Edelgard
Bulmahn
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und liebe Kolleginnen! Bis zum heutigen Tag hätte ich die Bildungs- und Forschungspolitik der Bundesregierung folgendermaßen bilanziert: Homo sapiens versteht zwar verstandesgemäß, was die Stunde geschlagen hat, handelt aber nicht danach. Nach der heutigen Debatte muß ich das leider etwas anders sagen: „Homo rüttgerens" hat auch verstandesgemäß nicht erfaßt, worum es geht.
Nach dem, was Herr Seehofer zur Sozialhilfe ausgeführt hat, muß ich das auf ihn erweitern. Herr Seehofer, was Sie zur Sozialhilfe gesagt haben, grenzt an Heuchelei.
Wer diskreditiert denn seit Jahren Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger? Das sind Sie von der rechten Seite des Hauses.
Ich bin der Auffassung, daß es völlig richtig ist, daß es keine Schande ist, Sozialhilfe zu empfangen. Wer aber verschweigt, daß es nicht die freie Wahl der Frauen und Männer ist, Sozialhilfe zu empfangen, sondern daß es eine Not ist und daß die Menschen dazu gezwungen werden, weil sie keinen Arbeitsplatz erhalten, wer verschweigt, daß das eigentliche Versagen dieser Bundesregierung darin liegt, daß sie die Arbeitslosigkeit nicht bekämpft hat, sondern daß wir Jahr für Jahr eine Steigerung der Arbeitslosenzahlen feststellen müssen, und wer verschweigt, daß es ein Ergebnis Ihrer Politik ist, daß immer mehr Menschen in die Sozialhilfe gedrängt werden - alleinerziehende Frauen entscheiden sich doch nicht dafür, Sozialhilfeempfängerinnen zu sein; sie haben keine andere Wahl, weil sie keinen Arbeitsplatz finden -, der heuchelt. Heuchelei ist das, was die Menschen in diesem Lande absolut zu Recht verärgert.
Wer verschweigt, daß es heute für viele Menschen eben nicht mehr möglich ist, am kulturellen und gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, weil die Sozialhilfe dazu nicht ausreicht, und wer verschweigt, daß viele Frauen immer wieder Prozesse vor den Sozialgerichten führen müssen, damit sie Geld für das Spielzeug oder für den Klassenausflug ihrer Kinder bekommen, der heuchelt.
Wer verschweigt, daß nach unseren Erkenntnissen in den alten Bundesländern auf eine Frau oder auf einen Mann, die Sozialhilfe erhalten, eine weitere Person kommt, die sich scheut, einen Sozialhilfeantrag zu stellen, und wer verschweigt, daß das in den neuen Bundesländern noch dramatischer ist, weil dort nämlich auf eine Person, die einen Sozialhilfeantrag stellt, zwei Personen kommen, die aus Scham keinen Sozialhilfeantrag stellen, der versündigt sich an diesen Menschen.
Das ist der eigentliche Unterschied zwischen der Politik von CDU, CSU und F.D.P. und der der SPD.
Sie gaukeln den Menschen vor, daß man die Lebensverhältnisse durch Sozialabbau, durch Kürzungen, durch eine immer weitere Belastung der durchschnittlich Verdienenden sowie durch eine Rücknahme und Verschlechterung der Bedingungen für diejenigen, die noch in Arbeit stehen, tatsächlich verbessern könnte. Sie scheuen sich, aktiv und offen eine Politik zu betreiben, mit der endlich wieder Arbeit geschaffen wird, damit diese Menschen die Möglichkeit erhalten, sich ihre eigene Existenz zu verdienen. Das ist der eigentliche Unterschied.
Ich muß Ihnen ganz klar sagen: Sie hätten heute darüber reden sollen, wie Sie den Menschen wieder einen Arbeitsplatz verschaffen wollen. Sie werden im September keinen Erfolg haben, weil Ihnen das nicht gelungen ist, uns das aber zum Beispiel in Niedersachsen gelungen ist. Deshalb helfen Ihnen die ganzen Diffamierungen, die Sie heute wieder versucht haben, nicht weiter.
Die Menschen haben gesehen, daß die Arbeitslosigkeit in Niedersachsen überproportional zurückgegangen ist. Das ist es, was sie wollen. Sie wollen keine Almosen, sondern das Recht auf einen Arbeitsplatz. Sie wollen selber für ihre Existenzsicherung aufkommen. Darum hätte es in dieser Debatte gehen müssen.
Wir setzen auf Innovation und nicht auf Sozialabbau. Darüber möchte ich jetzt weiter reden, weil es die Kernfrage betrifft, ob es uns gelingt, in einem größeren Maße Arbeitsplätze zu schaffen.
Edelgard Bulmahn
Als die konservativ-liberale Koalition im Herbst 1982 die Regierungsverantwortung im Bund übernommen hat, verfügte die Bundesrepublik Deutschland über eine gute Ausgangsbasis, auch im Vergleich zu anderen Ländern, im internationalen Wissenschafts- und Technologiewettbewerb. Kein Staat der Welt wandte damals mehr für Wissenschaft, Bildung, Forschung und Entwicklung auf als die Bundesrepublik. Wir standen damals auf Platz eins. Inzwischen, 16 Jahre später, sind wir auf Platz neun abgestürzt. 2,1 Prozent Anteil am Bruttoinlandsprodukt sind bei der wachsenden Bedeutung von Forschung und Entwicklung, bei der wachsenden Bedeutung von Bildung und Qualifizierung für die Entwicklung, für die Entwicklungsfähigkeit und die Zukunftssicherung eines Landes kein tragfähiges Fundament.
Da nützt es auch überhaupt nichts, Herr Minister Rüttgers, wenn Sie über den Investitionsstandort Deutschland schwadronieren. Fakt ist, wir sind auf Platz neun herabgerutscht, und Fakt ist, daß viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, viele Studierende, viele Forscher, viele kleine und mittlere Betriebe inzwischen sagen: So geht es nicht mehr weiter.
Unsere Arbeitsbedingungen haben sich so verschlechtert, daß wir nicht mehr wissen, wie wir das finanzieren und leisten sollen, was wir eigentlich leisten könnten.
Ich sage Ihnen ganz klar: Es gehört schon eine ungeheure Menge Unverfrorenheit dazu, wenn Sie, die über Jahre die Ausgaben für Bildung, Wissenschaft und Forschung gekürzt haben, die den Anteil der Ausgaben des Bundes für Wissenschaft und Forschung von 4,7 Prozent im Jahre 1982 auf inzwischen 3,3 Prozent herabgesenkt haben, im Lande herumgehen und die Notwendigkeit höherer Bildungs- und Wissenschaftsausgaben anmahnen und beklagen.
Das ist eine Dreistigkeit, die nicht oder kaum noch zu übertreffen ist.
Glücklicherweise merken die Leute das. Wenn die realen Pro-Kopf-Ausgaben so, wie Sie es durchgeführt und zu verantworten haben, von 234 DM im Jahre 1982 auf 153 DM in diesem Jahr gesenkt worden sind, dann sind das Kürzungen, die nicht mehr durch Effektivitätssteigerungen, die nicht mehr durch eine bessere Arbeitsleistung im System aufgefangen werden können, sondern die sich dramatisch auf die Bedingungen für Bildung, Wissenschaft und Forschung in diesem Land auswirken. Das sind Kürzungen, mit denen Sie den Menschen in diesem Land Lebenschancen nehmen. Wenn Sie dies nicht begreifen, dann müssen Sie die Quittung erhalten.
Dann müssen andere ran, die nämlich genau dieses wahrmachen und nicht nur schwadronieren und reden, sondern auch entsprechend handeln.
Zu Niedersachsen nur einige wenige Zahlen.
- Ein schönes Land, und die Menschen, die dort leben, finden dies ebenfalls. Wenn Sie sagen: „Ein trauriges Land", dann, so kann ich nur sagen, ist das falsch. Ich finde, diese Menschen haben eine richtige Entscheidung getroffen.
Diese Regierung in Niedersachsen hat in den Jahren 1990 bis 1997 die Wissenschafts- und Forschungsausgaben um 30 Prozent gesteigert, in realen Zahlen von 2,7 Milliarden DM auf 3,5 Milliarden DM. Da kann ich Ihnen nur sagen: Ich wäre froh, wenn wir solche Steigerungsraten auch im Bundeshaushalt hätten. Dann ginge es uns nämlich ein ganzes Stück besser.
Die Bundesregierung - daran gibt es überhaupt nichts zu deuteln - vernachlässigt die junge Generation, und damit versündigen Sie sich an der jungen Generation. Sie haben es mit Ihrer Untätigkeit zu verantworten, daß das duale System der Berufsausbildung in die Krise geraten ist. Trotz des Lehrstellenversprechens und trotz erheblicher öffentlicher Förderung sowohl durch den Bund wie auch durch die Länder gibt es kein ausreichendes Lehrstellenangebot für alle Jugendlichen.
Die Verharmlosung, die Sie immer wieder betreiben und die Sie auch heute wieder betrieben haben, finde ich unerträglich. Das muß ich Ihnen einmal ganz klar sagen. 45 000 arbeitslose Jugendliche - so viele waren es in der offiziellen Statistik im letzten Jahr - sind für Sie offensichtlich kein Problem. Zigtausende, Zehntausende von Jugendlichen - wir wissen nicht genau, wieviel es sind, ob es 70 000, 80 000 oder 90 000 sind -, die in die Schulen zurückgedrängt worden sind, obwohl sie dies eigentlich nicht wollten, sind für Sie offensichtlich kein Problem. Für mich ist das ein Problem. Für mich sind jedes Mädchen und jeder Junge, die keinen Ausbildungsplatz erhalten und denen die Tür vor der Nase zugeknallt wird, wenn sie wirklich den Schritt in das eigenständige Leben machen wollen, ein Problem.
Deshalb finde ich es unerträglich, wenn Sie immer wieder verharmlosen, statt Ihrer Verantwortung wirklich einmal gerecht zu werden, die notwendigen Rahmenbedingungen zu setzen und verläßliche Vereinbarungen zu treffen, damit eine ausreichende Zahl von Ausbildungsplätzen geschaffen wird.
Ich kann nur das wiederholen, was mein Parteivorsitzender heute morgen gesagt hat: Wir werden mit unserem Versprechen und unserem Ziel Ernst ma-
Edelgard Bulmahn
chen, dafür zu sorgen, daß alle Jugendlichen einen Ausbildungsplatz erhalten.
Wir werden versuchen, dies im Bündnis für Arbeit zu erreichen. Einige Tarifvertragsparteien - im übrigen auch in Niedersachsen - haben uns gezeigt, daß sie dazu durch einen Tarifvertrag, der von beiden Tarifvertragsparteien vom Ergebnis her überprüft wird, willens sind.
Wenn uns dies nicht gelingt, wenn die Arbeitgeberseite nicht dazu bereit ist, dies freiwillig, zum Beispiel durch Tarifvertragsvereinbarungen, durch Beteiligung an Verbundsystemen, durch Kammerumlagen oder durch einzelbetriebliche Aufwendungen in die Tat umzusetzen, dann müssen wir den Weg einer gesetzlichen Regelung gehen, so wie es Oskar Lafontaine heute morgen zu Recht gesagt hat. Die Arbeitgeber haben es in der Hand; sie entscheiden es. Wir werden in den Bündnis-für-Arbeit-Gesprächen versuchen, zu verbindlichen Ergebnissen zu kommen. Aber wir brauchen verbindliche Ergebnisse und keine billigen Trostworte von Jahr zu Jahr, so wie Sie sie in den letzten Jahren immer wieder geäußert haben.
Das gleiche gilt im übrigen auch für die Studierenden. Die Studierenden sind immer stärker vom Sozialabbau betroffen worden. Gleichzeitig wird aber darüber geredet, daß die Studienzeiten zu lang sind. Das ist doch wirklich Heuchelei hoch drei! Wenn die Studierenden aus finanziellen Gründen gezwungen sind, neben ihrem Studium - und zwar nicht nur in den Semesterferien, so wie wir das gemacht haben, sondern während des Semesters - zu arbeiten, dann braucht man sich doch nicht über längere Studienzeiten zu wundern.
Können Sie mir einmal begreiflich machen, wie Sie es mit dem Anspruch auf Gewährleistung von Chancengleichheit eigentlich vereinbaren wollen, daß Sie das BAföG Jahr für Jahr ausgehöhlt haben? Das war doch das heimliche Sparschwein von Minister Rüttgers, mit dem er seine anderen Haushaltslücken praktisch überdeckt hat. Sie weigern sich seit mehreren Jahren, die Verantwortung hierfür zu übernehmen. Die Vorschläge, die zu einer wirklichen Verbesserung geführt hätten, sind von Ihrer Seite schlichtweg kalt vom Tisch gewischt worden. Auch deshalb ist es notwendig, daß wir eine andere Bundesregierung erhalten, damit Chancengleichheit nicht nur ein in unserer Verfassung niedergelegter Anspruch ist, sondern ein Leitziel im konkreten politischen Handeln. Auch deshalb brauchen wir eine andere Bundesregierung.
Die Bundesregierung weigert sich, ihre Verantwortung beim Hochschulbau wahrzunehmen. Überlastete Hochschulen, die auch international an Attraktivität in Lehre wie Forschung verlieren, sind die Konsequenz. Im Bereich der Forschungspolitik herrscht seit mehreren Jahren konzeptionelle Ratlosigkeit. Auch das ist nicht dadurch zu überdecken, daß man ein „Programmchen" nach dem anderen „Programmchen" auflegt.
Bildung, Wissenschaft, Qualifikation und Forschung leisten den entscheidenden Beitrag zur Unterstützung des Strukturwandels und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze. Diese Bedeutung wird in den nächsten Jahren noch steigen. Wissenschaft und Forschung sind nicht nur für die Sicherung und für die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen wichtig; sie sind auch wichtig, damit wir tragfähige, zukunftsweisende Antworten auf die Zukunftsfragen unserer Gesellschaft entwickeln. Diese neuen Ideen, die wir für neue Produkte und neue Verfahren brauchen, entstehen in den Köpfen von Menschen. Männer und Frauen sind diejenigen, die diese neuen Ideen entwickeln und die unseren gesellschaftlichen Wohlstand erarbeiten. Deshalb geht ohne gut ausgebildete, qualifizierte Menschen überhaupt nichts, und deshalb brauchen wir eine ausreichende Förderung der Hochschulen, der Forschungseinrichtungen, eine gute berufliche Ausbildung für alle, damit wir die Menschen wieder in die Lage versetzen, dies zu leisten, und damit die Hochschulen und Forschungseinrichtungen wirklich wieder zu Zukunftswerkstätten unseres Landes werden.
Wir brauchen noch mehr. Wir brauchen mehr als Geld. Wir müssen den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, den Studierenden, den Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern auch die Freiräume geben, damit sie mit ihrer Kreativität, mit ihrem Können und ihrem Wissen zur Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft, zur Stärkung unseres Produktionsstandortes beitragen können und nicht durch bürokratische, obrigkeitsstaatliche Regelungen im Haushaltsrecht, im Dienstrecht behindert werden.
Sie hatten nicht die Courage und das Rückgrat, genau diese Aufgaben anzupacken. Unsere Anträge haben Sie immer wieder abgelehnt. Da kann ich nur sagen: Schandbar! Auch das kann man nicht mit Finanzen entschuldigen.
Mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf unterstreicht diese Bundesregierung, daß sie die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat. In dem vorliegenden Haushaltsentwurf ist zwar für nächstes Jahr eine kleine Erhöhung vorgesehen, damit man ein wenig die Kürzungen der letzten Jahre überdecken kann; aber wenn man in die mittelfristige Finanzplanung schaut, muß man leider feststellen, daß nach diesem Jahr nichts mehr geschieht. Bis zum Jahre 2002 bleibt der Haushaltsansatz auf dem gleichen Niveau. Das heißt im Klartext: Er bleibt festgefroren, und trotz steigender Gesamtsumme des Bundeshaushaltes wird der Anteil von Bildung und Forschung dann wieder sinken. In der Konsequenz würde das elf Jahre Nullwachstum bedeuten. Inflationsbereinigt führt das zu massiven Einschnitten und bedeutet
Edelgard Bulmahn
schlechtere Bildungsbedingungen, Abbau und Vernichtung von Forschungskapazitäten, von Knowhow, von Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten.
Ein noch genauerer Blick in den Haushaltsentwurf fördert weitere Ungereimtheiten und Versäumnisse zutage. So wird die Projektförderung keineswegs, wie uns in Pressemitteilungen der Bundesregierung weisgemacht werden soll, hochgefahren. Vielmehr sind bis zum Jahre 2002 weitere Kürzungen von über 100 Millionen DM in diesem volkswirtschaftlich so wichtigen Bereich vorgesehen. Die Mittel für Energieforschung sollen in dem Zeitraum im übrigen genauso wie die für ökologische Forschung und wichtige Schlüsseltechnologiebereiche zusammengestrichen werden, obwohl wir wissen, daß hier ein ganz wichtiger Ansatzpunkt ist, sowohl um umweltpolitische Ziele zu erreichen als auch um das Erneuerungspotential unserer Wirtschaft und unserer Forschungsinstitutionen für Energieeinsparung um- und einzusetzen und den Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung einzuschlagen.
Transdisziplinarität und Internationalität von Wissenschaft und Forschung sind die Erfordernisse der Gegenwart. Aber auch hier nur Worte statt Taten: Sie haben das DAAD-Programm zusammengekürzt. Sie sind nicht bereit, die Forschungsprogramme so umzustrukturieren, daß sie dem Anspruch von Transdisziplinarität wirklich gerecht werden.
Meine Damen und Herren, wir brauchen aber noch mehr. Wir brauchen insgesamt bessere Rahmenbedingungen. Auch das ist eine Binsenweisheit, das wissen wir seit vielen Jahren. Die Bundesregierung redet zwar gelegentlich davon, aber es passiert auch hier nichts. Neue Produkte - wie zum Beispiel die Solartechnik - und viele Umweltschutzprodukte werden sich nur dann verbreiten, wenn der Staat ausreichende Rahmenbedingungen für die Startnachfrage schafft. Das kann öffentliche Beschaffung sein, das kann aber auch die richtige Grenzwertsetzung oder auch eine entsprechende Unterstützung bei Normen- und Standardsetzung sein, weil Sie dort ja auch durchaus eine beratende Funktion haben.
Wir brauchen in Zukunft Wachstum. Wir brauchen vor allen Dingen ein Wachstum unserer Binnenwirtschaft. Wir brauchen aber auch nachhaltiges Wachstum, das in seiner Gesamtbilanz unsere Umwelt erhält und Rohstoffe nicht verschwendet. Wenn wir diesen Weg endlich einmal beschreiten würden, dann würden wir ein Innovationspotential mobilisieren, das nicht nur unter ökologischen Gesichtspunkten Erfolg verspricht, sondern auch unserer Wirtschaft eine gute Ausgangsposition bei der Eroberung von Zukunftsmärkten verschafft. Diese Chance haben Sie nicht begriffen. Ich finde, es ist an der Zeit, daß das Leitziel der Nachhaltigkeit in Forschung und Entwicklung, ebenfalls in der wirtschaftlichen Entwicklung, endlich auch als Chance für Politikmanagement begriffen wird. Sonst verschlafen wir auch hier wieder die Zukunft.
Meine Damen und Herren, es ist ein Fehler, wenn die Politik versuchen würde, alles im Detail zu regeln. Das wollen wir nicht.
Wir wollen aber Leitlinien und Rahmenbedingungen vereinbaren, weil Politik, Frau Baumeister, sich nicht dadurch auszeichnet, daß sie nur nachläuft, sondern Politik zeichnet sich dadurch aus, daß sie Gestaltungsziele verfolgt und auch den Willen hat, diese Gestaltungsziele durchzusetzen.
Deshalb ist es notwendig und richtig, daß auch Leitlinien und Rahmenbedingungen vereinbart werden, die eine zukunftsfähige Entwicklung ermöglichen. Wir müssen gemeinsam Zukunftsvisionen formulieren, Leitbilder entwerfen und Innovationen freisetzen, statt dem Irrglauben zu unterliegen, Innovationen im Detail verordnen zu wollen. Dafür ist, wie gesagt, Gestaltungswille gefragt. Wir haben ihn; bei Ihnen ist er nicht zu finden.
Meine Damen und Herren, unsere Gesellschaft braucht eine neue Gründerwelle. Um die Chancen von neuen Märkten zu nutzen, ist die Förderung der Eigenkapitalbildung für innovative kleine und mittlere Unternehmen von zentraler Bedeutung. Für Unternehmen, die zusätzliche Arbeitsplätze schaffen, wird deshalb von einer SPD-geführten Regierung ein Anteil des Unternehmensgewinns zur Stärkung des Eigenkapitals von der Steuer freigestellt werden. Ebenso werden wir die Zusammenarbeit von Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Unternehmen erleichtern und die Einstellung von Forschungspersonal fördern.
Diese Ansätze werden forschungsintensive und innovative Unternehmen, die sich gerade in einer schwierigen Phase der Etablierung am Markt befinden, stützen. Zudem werden wir ein Schwergewicht auf Existenzgründer und auf den Mittelstand legen. Wir werden das Engagement von Privatanlegern für Wagniskapital für besonders junge Unternehmen fördern.
Von ebenso großer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Vernetzung der vielfältigen Aktivitäten, nicht deren Parallelisierung.
Aktivitäten sowohl von Wirtschaftspolitik als auch von Forschungspolitik, Autonomie und Vernetzung sind deshalb Schlüsselbegriffe einer offensiven Innovations- und Qualifikationsstrategie.
Die Bildungs- und Forschungspolitik einer sozialdemokratisch geführten Regierung wird vor diesem Hintergrund folgende Schwerpunkte setzen.
Erstens. Wir werden Bildung, Wissenschaft und Forschung finanziell und strukturell deutlich stärken
Edelgard Bulmahn
und ihrem Bundeshaushalt wieder Priorität einräumen.
Zweitens. Wir werden die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Bildungs- und Forschungspolitik wieder auf eine vertrauensvolle Grundlage stellen und Schluß machen mit der Konfrontationspolitik, die Sie in den letzten Jahren betrieben haben und die weder den Studierenden noch den Hochschullehrern nützt. Sie ist vielmehr destruktiv. Hier ist eine kooperative, vertrauensvolle Arbeit mehr als überfällig.
Drittens. Wir werden die Hochschulen und Forschungseinrichtungen von bürokratischer Bevormundung befreien und ihnen ein Höchstmaß an Autonomie und Entscheidungsfreiheit einräumen. Wir werden in diesem Zusammenhang die Personalstruktur und das Dienstrecht in Zusammenarbeit mit den Betroffenen grundlegend reformieren, das machen, wozu Sie keine Courage hatten.
Wir werden eine Qualifikationsoffensive starten, weil ohne qualifizierte Menschen nichts läuft. Wir werden eine umfassende Modernisierung der beruflichen Aus- und Fortbildung, die den Grundsätzen der Chancengleichheit, der Gleichwertigkeit und der Durchlässigkeit verpflichtet ist, verwirklichen. Wir werden in diesem Zusammenhang im übrigen dafür sorgen, daß alle Jugendlichen, die ausgebildet werden, einen qualifizierten Ausbildungsplatz angeboten bekommen.
Wir werden die bestehenden Ausbildungsverordnungen zügig modernisieren müssen. Wir werden vor allen Dingen auch die Benachteiligtenprogramme, weil diese wirklich eine deutliche staatliche Förderung und Unterstützung brauchen, bedarfs- und zielgerecht weiterentwickeln; denn das ist Aufgabe der Bundesregierung - momentan also Ihre Aufgabe - in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern.
- Sie müssen gelegentlich bitte auch etwas lesen. Manchmal denke ich, Weiterbildung für den Deutschen Bundestag wäre auch nicht schlecht, vor allem, nachdem ich heute einige Redebeiträge gehört habe und feststelle, daß einige in diesem Haus noch nicht einmal lesen können, da sie uns vorwerfen, daß nach unserem Konzept der Umlagefinanzierung zum Beispiel der Bäckermeister eine Umlage zahlen müßte, wenn er keinen Lehrling findet, obwohl er einen Lehrlingsplatz angeboten hat. Jeder könnte nachlesen, daß das, was Sie sagen, falsch ist und daß wir bei dieser Person keine Umlage erheben könnten.
Ich kann also nur sagen: Lesen können sollte eigentlich Grundvoraussetzung für ein Bundestagsmandat sein.