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    Plenarprotokoll 13/246 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 246. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abgeordneten Doris Odenthal, Siegfried Hornung, Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Manfred Opel, Ernst Kastning, Richard Schuhmann (Delitzsch) und Volkmar Schultz (Köln) 22897 A Erweiterung der Tagesordnung 22897 B Zur Geschäftsordnung Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22897 C Dr.-Ing. Dietmar Kansy CDU/CSU . . 22898 C Achim Großmann SPD 22899 B Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. . 22900B Klaus-Jürgen Warnick PDS 22901 A Begrüßung der Präsidentin des Bundesrechnungshofes, Frau Dr. von Wedel . . 22991 D Tagesordnungspunkt 1: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1999 (Haushaltsgesetz 1999) (Drucksache 13/11100) 22902 B b) Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 1998 bis 2002 (Drucksache 13/11101) 22902 B c) Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses - zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1995 - Vorlage der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes (Jahresrechnung 1995) - - zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1996 - Vorlage der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes (Jahresrechnung 1996) - - zu der Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 1997 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung (einschließlich der Feststellungen zur Jahresrechnung des Bundes 1995 und 1996) (Drucksachen 13/5141, 13/7352, 13/8550, 13/10904) 22902 C d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Lebenssituation von Kindern und die Leistungen der Kinderhilfen in Deutschland - Zehnter Kinder- und Jugendbericht - mit der Stellungnahme der Bundesregierung (Drucksache 13/11368) 22902 D Jürgen Koppeln F.D.P. (zur GO) . . . 22902 D Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 22903 B Karl Diller SPD 22907 B Oskar Lafontaine, Ministerpräsident (Saarland) 22912 D Dr. Norbert Blüm CDU/CSU . 22916C, 22926 D Dr. Kurt Biedenkopf, Ministerpräsident (Sachsen) 22921 A Siegmar Mosdorf SPD . . . . 22926B, 22927 A Ingrid Matthäus-Maier SPD 22927 C Rolf Schwanitz SPD 22929B, 23002 D Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22929 D Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. . . . . 22933 A Dr. Christa Luft PDS 22937 C, 22945 B Hans-Peter Repnik CDU/CSU 22940B, 22947 A Hans Georg Wagner SPD 22945 D Helmut Rauber CDU/CSU 22946 C Karl Diller SPD 22947 B Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 22949 D Hans Büttner (Ingolstadt) SPD . . . 22951 C Ernst Schwanhold SPD 22952 C Dr. Barbara Höll PDS 22953 C Paul K. Friedhoff F.D.P 22955 C Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister BMBF 22957 B Rudolf Dreßler SPD 22959 C Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 22963 A Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22967 B Dr. Gisela Babel F.D.P 22969 D Petra Bläss PDS 22971 C Ottmar Schreiner SPD 22973 A Dr. Heiner Geißler CDU/CSU . 22976 B, 22979 C Ottmar Schreiner SPD 22973 B Dr. Edith Niehuis SPD 22977 D Dr. Angela Merkel CDU/CSU 22981 D Dr. Christine Bergmann, Senatorin (Berlin) 22982 B Dr. Heiner Geißler CDU/CSU . . . . 22984 A Dr. Barbara Höll PDS 22980 C Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22986 D Sabine Leutheusser-Schnarrenberger F.D.P 22987 D Horst Seehofer, Bundesminister BMG . 22988 D Edelgard Bulmahn SPD 22992 A Dr. Gerhard Friedrich CDU/CSU . . 22996 C Claudia Nolte, Bundesministerin BMFSFJ 22997 B Matthias Berninger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23000 C Johannes Singhammer CDU/CSU . 23001 A Anke Fuchs (Köln) SPD 23001 C Wolfgang Dehnel CDU/CSU 23004 D Dr. Angela Merkel CDU/CSU 23007 A Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23009 B Adolf Roth (Gießen) CDU/CSU 23010 C Dr. Wolfgang Weng (Gerligen) F.D.P. . 23013 A Vizepräsidentin Michaela Geiger . . . 22967 A Tagesordnungspunkt 2: Abschließende Beratungen ohne Aussprache a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, auf Staatsangehörige von Drittländern (Drucksachen 13/9819 Nr. 2.29, 13/10598) . . 23015 A b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Mitteilung der Kommission Aktionsplan zur Förderung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Drucksachen 13/9668 Nr. 2.44, 13/10599) . . . 23015 B c) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung - zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Edelgard Bulmahn, Tilo Braune, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bundesbericht Forschung 1996 (Drucksachen 13/4554, 13/7128, 13/ 9744, 13/9746, 13/11096) 23015 C d) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung - zu dem Antrag der Abgeordneten Günter Rixe, Klaus Barthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Jugend braucht Zukunft - Ausbildungsoffensive jetzt verwirklichen - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Berufsbildungsbericht 1998 (Drucksachen 13/10665, 13/10651, 13/ 11097) 23015D e) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Heidemarie Wieczorek-Zeul, Gerd Andres und weiterer Abgeordneter der Fraktion der SPD Sicherung der Arbeitsplätze bei der Hoechst Marion Roussel Deutschland GmbH (Drucksachen 13/10028, 13/ 11110) 23016B f) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Dietmar Schütz (Oldenburg), Marion Caspers-Merk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Klimaschutz durch Minderung von Stand-by-Verlusten bei Elektrogeräten (Drucksachen 13/9254, 13/11121) . . 23016 B g) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr - zu dem Antrag der Abgeordneten Albert Schmidt (Hitzhofen), Gila Altmann (Aurich), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Novellierung des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm - zu dem Antrag der Abgeordneten Monika Ganseforth, Elke Ferner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm (Drucksachen 13/6346, 13/7498, 13/ 11140) 23016 C h) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Abgeordneten Albert Schmidt (Hitzhofen), Gila Altmann (Aurich), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vorlage eines Gesetzes zum Schutz vor Verkehrslärm an Straßen und Schienen (Drucksachen 13/6958, 13/8925) . 23017 A i) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Abgeordneten Gabriele Iwersen, Achim Großmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Vorlage eines Vierten Berichtes über Schäden an Gebäuden (Drucksachen 13/10449, 13/11145) 23017 A j) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Mitteilung der Kommission Das öffentliche Auftragswesen in der Europäischen Union (Drucksachen 13/ 10588 Nr. 2.21, 13/11160) 23017 B k) Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses Sammelübersicht 375 zu Petitionen (Drucksache 13/11193 [neu]) . . . . 23017 C 1) Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses Sammelübersicht 377 zu Petitionen (Gesetzliche Nichtigkeitserklärung aller NS-Unrechtsgesetze und -urteile) (Drucksache 13/11195) 23017 C m) Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses Sammelübersicht 381 zu Petitionen (Überführung der Ansprüche der Beschäftigten der ehemaligen Deutschen Reichsbahn in die gesetzliche Rentenversicherung) (Drucksache 13/11330) . 23017 D Zusatztagesordnungspunkt 1: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Drucksachen 13/11118, 13/ 11381) 23018A Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. Bürgerkrieg und humanitäre Situation im Süd-Sudan (Drucksache 13/11387) 23018 B Tagesordnungspunkt 3: Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushalts- und Wirtschaftsführung 1998 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 06 29 - Bundesanstalt Technisches Hilfswerk - Titel 532 03 - Hilfsmaßnahmen außerhalb des Bundesgebietes - bis zur Höhe von 12 340 TDM (Drucksachen 13/10929, 13/11122, lfd. Nr. 1.3, 13/11389) 23018 C Nächste Sitzung 23018 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 23019* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 1 (Haushaltsgesetz 1999) Rolf Kutzmutz PDS 23019* B Anke Fuchs (Köln) SPD 23021* C Dr. Barbara 11611 PDS 23022* C 246. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 Beginn: 10.00 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Becker-Inglau, Ingrid SPD 2. 9. 98 Behrendt, Wolfgang SPD 2. 9. 98 * Blunck, Lilo SPD 2. 9. 98 * Brunnhuber, Georg CDU/CSU 2. 9. 98 Eßmann, Heinz Dieter CDU/CSU 2. 9. 98 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 2. 9. 98 * Gysi, Andrea PDS 2. 9. 98 Irber, Brunhilde SPD 2. 9. 98 Jung (Limburg), Michael CDU/CSU 2. 9. 98 Lattmann, Herbert CDU/CSU 2. 9. 98 Müller (Berlin), PDS 2. 9. 98 Manfred Walter Nelle, Engelbert CDU/CSU 2. 9. 98 Peters, Lisa F.D.P. 2. 9. 98 Reichard (Dresden), CDU/CSU 2. 9. 98 Christa Rupprecht, Marlene SPD 2. 9. 98 Schaich-Walch, Gudrun SPD 2. 9. 98 Scheel, Christine BÜNDNIS 2. 9. 98 90/DIE GRÜNEN Schulte (Hameln), Brigitte SPD 2. 9. 98 Stiegler, Ludwig SPD 2. 9. 98 Wöhrl, Dagmar CDU/CSU 2. 9. 98 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 1 (Haushaltsgesetz 1999) Anke Fuchs (Köln) (SPD): Wirtschaftspolitische Kompetenz ist gefragt, wenn es in diesem Land wieder aufwärts gehen soll. Das wird niemand bestreiten. Diese Erkenntnis ist aber gleichzeitig Aufforderung zur Abwahl dieser Bundesregierung. Wer wirtschaftspolitische Kompetenz auf der Regierungsbank will, muß dafür sorgen, daß Gerhard Schröder Bundeskanzler wird. Nur so können wir einen Aufbruch nach vorne schaffen. Heribert Prantl schreibt in der „Süddeutschen Zeitung" vom 29./30. August 1998 zu Recht: In letzter Not hat Kohl seinen alten Gegner Lothar Späth als Helfer engagiert. Er hätte das vor vier Jahren machen müssen. Damals wäre die Zeit gewesen, eine spektakuläre neue Mannschaft zu präsentieren. Neuerdings stellt der Kanzler auch mißbilligend fest, daß die Wirtschaft den Standort Deutschland schlechtredet. Das fällt ihm zu spät auf. Vor zwei Jahren hat Kohl sich das törichte Agitieren der Wirtschaftsfunktionäre zu eigen gemacht und das Bündnis für Arbeit platzen lassen - es war sein kapitalster Fehler. Auf diese Weise gerieten die Reformen seiner Amtszeit in die Konfrontation, standen die Kirchen gegen die Sozialpolitik der Regierung auf - und damit gewannen die Gewerkschaften neue Legitimation. Die Regierung Kohl hat den Konsens geopfert, weil sie sich von der vulgärliberalen Arroganz der Industrieführer vom Schlage Henkel & Co. anstecken ließ. So etwas kann sich allenfalls eine Klientelpartei wie die F.D.P. leisten, nicht aber eine Volkspartei. Die CDU ist durch die konfrontative Sozialpolitik geschwächt worden, und dann leidet sie und ihr Wahlkampf. Die Partei ist also doppelt geschwächt: Durch nachwirkende Fehler und durch die Unklarheiten an der Spitze. Für den Stillstand ist an erster Stelle der Bundeskanzler selbst verantwortlich. Er hat das von den Gewerkschaften angebotene Bündnis für Arbeit ausgeschlagen. Das hat viele Arbeitsplätze gekostet. Das war ein immenser Zeitverlust für die notwendige Modernisierung unseres Landes. Der Kanzler hätte es besser wissen müssen. Denn sozialer Konsens und gesellschaftlicher Zusammenhalt waren in der gesamten Geschichte der Bundesrepublik eine wichtige Produktivkraft. Und wenn die Herren an der Spitze der Unternehmensverbände auch meinen, Wahlkampf für diese Regierung machen zu müssen, so sage ich Ihnen: An ihrer eigenen Basis sieht es anders aus. Dort ist Dialogbereitschaft statt Drohgebärde. Darauf setzen wir, und spätestens nach der Bundestagswahl müssen auch die Herren an der Spitze aus dem Abseits heraus. Wir Sozialdemokraten werden ein Bündnis für Arbeit verwirklichen. Wir vertrauen auf die Konsensbereitschaft im eigenen Lande. Damit knüpfen wir aber auch an die Erfahrungen an, die europäische Nachbarstaaten - wie zum Beispiel die Niederlande und Dänemark - gesammelt haben. Die Arbeitslosigkeit konnte in den Niederlanden gesenkt werden, weil sich Politik, Arbeitgeber und Gewerkschaften an einen Tisch gesetzt und gemeinsam nach Lösungen gesucht haben. Dänemark ist auf dem Weg zur Vollbeschäftigung, weil neben mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt der Staat aktiver mit Beschäftigungsmaßnahmen neue Arbeitsplätze geschaffen hat. Das ist der richtige Ansatz: Arbeitsplätze schaffen statt Arbeitslosigkeit finanzieren. Die Wachstumsschwäche in unserem Land und die hohen Arbeitslosenzahlen sind auch Folge der verfehlten Finanzpolitik. Es ist eine Binsenweisheit: Prozyklische Finanzpolitik in Abschwungphasen kann nicht auf Wachstumskurs führen. Das ist lange bekannt. Wer die Binnennachfrage abwürgt, kann noch so viel Angebotspolitik betreiben: Ohne Absatzchancen bleiben Erweiterungsinvestitionen aus, ohne Erweiterungsinvestitionen entstehen keine neuen Arbeitsplätze. Wir Sozialdemokraten setzen auf Verläßlichkeit und Stetigkeit in der Finanzpolitik. Das ist im übrigen eine der wichtigsten Voraussetzungen, damit Unternehmen und Investoren verläßliche Rahmenbedingungen vorfinden. Bei dieser Bundesregierung konnte man sich nur darauf verlassen, daß das nächste Haushaltsloch größer wird als das vorherige. Damit komme ich zu Ihnen, Herr Rexrodt. Sie haben in den vergangenen Jahren im Blindflug den Kurs der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik eingeschlagen. Seit Ihrem Amtsantritt haben Sie den automatischen Piloten angestellt und gehofft, daß er den Weg alleine finden wird. Aber das Steuerungsprogramm war falsch. Statt im Azorenhoch sind Sie im Islandtief gelandet. Jetzt wollen Sie uns weismachen, wir hätten die warmen Gefilde einer Trendwende am Arbeitsmarkt erreicht, weil es in Island auch schon mal kälter gewesen ist. Das ist die Lage. Erst treibt die Bundesregierung die Arbeitslosigkeit mit Attentismus und falschen Strategien auf 4,8 Millionen hoch. Dann redet sie bei mehr als 4 Millionen Arbeitslosen von einer Trendwende. Das ist keine Trendwende, das ist der Offenbarungseid der Bundesregierung in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Herr Rexrodt, jahrelang haben sie den Standort Deutschland schlecht geredet und den Menschen die Globalisierung als Schreckgespenst an die Wand gemalt. Lohnzurückhaltung und Sozialabbau waren Ihr Credo. Sie haben die Arbeitnehmer zum Kostenfaktor degradiert. Damit muß endlich Schluß sein. Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist nämlich gut, weil wir eine gute Infrastruktur haben, weil wir qualifizierte Arbeitnehmer haben und weil die Menschen leistungsbereit sind und nach vorne schauen wollen. Die SPD wird nach der Bundestagswahl die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit konsequent in den Vordergrund stellen. Für die Wirtschaftspolitik heißt das: Stärkung der Wachstumskräfte für eine dynamische wirtschaftliche Entwicklung, die Arbeitsplätze schafft. Dafür brauchen wir kurzfristig Maßnahmen für eine schnellstmögliche Entlastung am Arbeitsmarkt. Darüber hinaus müssen wir mittel- und langfristig mit einem Strukturwandel durch Innovation Wirtschaft, Staat und Gesellschaft modernisieren. Der Export boomt noch. Das zeigt: Die deutsche Wirtschaft ist wettbewerbsfähig. Ursache der Wachstumsschwäche ist die fehlende Binnennachfrage. Deshalb brauchen wir eine Steuerreform, die Arbeitnehmer und Familien entlastet und damit die Binnennachfrage stärkt. Außerdem brauchen wir eine Senkung der Unternehmenssteuern und eine Senkung der Lohnnebenkosten, um Investitionsanreize zu schaffen. Wir machen aber keine haltlosen Versprechen. 30 Milliarden Mark Nettoentlastung sind nicht finanzierbar. Das unterscheidet uns von dieser Bundesregierung. Für uns steht nicht die Entlastung der Spitzenverdiener im Vordergrund. Denn wir wissen: Die Steuerlast ist in unserem Lande ungerecht verteilt. Die Belastung der Arbeitnehmer mit Steuern und Abgaben ist ständig gestiegen, die Steuererträge aus Unternehmertätigkeit und Vermögen sind gesunken. In der Arbeitsmarktpolitik kommt es darauf an, Arbeitsplätze zu schaffen statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Vordringlich geht es darum, den Jugendlichen wieder eine Perspektive zu geben. Wir werden sofort nach der Bundestagswahl 100 000 neue Stellen für Jugendliche schaffen. Das geht, wie das Beispiel Dänemark zeigt. Schauen Sie sich die Entwicklung der Jugendarbeitslosigkeit dort an. Sie ist drastisch gesunken, und das ist nicht als Geschenk vom Himmel gefallen. Dort ist die Wirtschaftspolitik ihrer Gestaltungsaufgabe nachgekommen, statt Parolen von der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik zu dreschen. Mittel- und langfristig brauchen wir Innovationen in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft. Die Bundesregierung hat die Modernisierung unseres Landes verschlafen. Sie haben die vergangenen Jahre doch nur von Kostensenkung gesprochen. Aber unser Land ist mit Gütern und Dienstleistungen der Spitzentechnologie stark geworden. Die SPD setzt deshalb auf die Zukunftstechnologien. Wir werden zum Beispiel mit einem Hunderttausend-Dächer-Programm die Solartechnik zur Marktreife bringen. Das schafft neue Arbeitsplätze und trägt zu einer umweltschonenden Energieversorgung bei. In diesem Zusammenhang steht auch unser Konzept für eine ökologische Steuerreform. Wir wollen damit die Lohnnebenkosten senken, den umweltschädlichen Energieverbrauch belasten und Anreize für technologische Innovationen zur Energieeinsparung setzen. Das ist moderne Wirtschaftspolitik: Innovationsanreize schaffen, um in der Verkehrstechnologie an der Spitze des Fortschritts zu stehen und die Wettbewerbsposition der deutschen Wirtschaft zu stärken. Den Energieverbrauch senken, weil Wirtschaftswachstum nicht gleichbedeutend sein muß mit höherem Energieverbrauch. Die Umwelt schonen, um die natürlichen Lebensgrundlagen zu bewahren und keinen Raubbau an der Zukunft zu betreiben. Dafür werden wir die marktwirtschatlichen Anreize setzen. Wir werden schrittweise und berechenbar vorgehen, damit sich Bürger und Unternehmen darauf einstellen können. Wirtschaftspolitik für mehr Arbeitsplätze hat als zentrale Aufgabe die Förderung des Mittelstandes. Kleine und mittlere Unternehmen schaffen Arbeitsplätze, und sie tragen die Hauptlast der beruflichen Bildung. Da reicht es nicht, nur von der Mittelstandsförderung zu reden. Die Bilanz der Bundesregierung ist erschreckend: Die Zahl der Unternehmenskonkurse steigt. 1997 hatten wir wieder einen neuen traurigen Pleitenrekord. Die Eigenkapitalausstattung der kleinen und mittleren Unternehmen sinkt beständig. Der Anteil des Selbständigen ist im internationalen Vergleich zu gering. Die SPD wird die Mittelstandspolitik nach der Bundestagswahl in den Vordergrund stellen. Gerhard Schröder hat sein Mittelstandsprogramm vorgelegt. Es ist auf der Basis zahlreicher Diskussionen und Foren erarbeitet worden, die wir in allen Teilen des Landes mit Handwerkern und Managern, mit Verbänden und Kammern, mit Wissenschaftlern und Unternehmensberatern geführt haben. Dabei hat sich gezeigt: Der Mittelstand fühlt sich durch diese Bundesregierung nicht mehr vertreten. Unser Angebot zum Dialog ist auf breite Resonanz gestoßen, und wir werden diesen Dialog mit dem Mittelstand fortsetzen, um unsere Politik an den Bedürfnissen der Praxis messen zu lassen. Wir werden die Mittelstandsförderung bündeln und damit eine Schneise in den Dschungel der unübersichtlichen Vielzahl von Förderprogrammen schlagen. Wir werden für einen besseren Zugang des Mittelstandes zu öffentlichen Aufträgen sorgen. Wir werden die Außenwirtschaftspolitik stärker auf den Mittelstand ausrichten. Die Förderung von Existenzgründungen steht dabei ganz oben auf der Tagesordnung. Jede Existenzgründung schafft im Schnitt 2 bis 6 Arbeitsplätze. Für den Start in die Selbständigkeit fehlt es in der Regel nicht an den Ideen, sondern am Startkapital. Dabei ist genügend Anlagekapital vorhanden. Wir Sozialdemokraten sagen deshalb: Besser in neue Ideen und Unternehmen investieren als in Beton und Boden. Die steuerrechtlichen Rahmenbedingungen für die Bereitstellung von Wagniskapital müssen deshalb verbessert werden. Es ist höchste Zeit, sich der Gestaltungsaufgabe in der Wirtschaftspolitik zu stellen. Die SPD-geführte Bundesregierung wird dies nach der Bundestagswahl tun. Politik im nationalen Rahmen reicht dafür nicht aus. Heute werden etwa 70 Prozent aller wirtschaftsrelevanten Vorschriften in Brüssel erlassen. Deshalb möchte ich noch mal bekräftigen, was Oskar Lafontaine gesagt hat: Wir brauchen eine stärkere Kooperation auf internationaler Ebene. Diese Erkenntnis setzt sich durch, viele reden davon, Regelwerke müßten her, neue Spielregeln, Kooperation. Das ist wichtig für Europa und seine Chancen, einen Beitrag zu fairem Welthandel zu leisten. Die Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik auf europäischer Ebene muß verbessert werden. Wir werden die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in den Mittelpunkt der Europapolitik stellen. Wer wie Herr Rexrodt einer nationalen Beschäftigungspolitik das Wort redet, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Rolf Kutzmutz (PDS): Wir haben vorhin einen mehr oder weniger überzeugenden Wahlkampf auftritt vernommen. Aber, Herr Minister Rexrodt, liegt es wirklich nur am mangelnden Verständnis vieler Menschen für ihre Politik oder sind es deren Ergebnisse, die nach einem Politikwechsel verlangen lassen? Ich erinnere Sie an das Sprichwort: Der Ruhm vieler Propheten beruht auf dem schlechten Gedächtnis ihrer Zuhörer. Das gilt für den Bundeswirtschaftsminister und seinen Kabinettskollegen, deren Wachstumsprognosen - und damit deren Auswirkungen auf Arbeitsplätze, Steuern und Staatsausgaben - sich bekanntlich seit Jahr und Tag in ihrer Wahrscheinlichkeit mit denen der DDR-Plankommission messen können. Die tatsächlichen Ergebnisse der praktischen Politik beider Gremien will ich gar nicht erst vergleichen. Das gilt allerdings auch für die Sozialdemokraten. Vor genau elf Monaten war ein von mir ansonsten sehr geschätzter Kollege von seiner Fraktionsspitze verdonnert worden, hier einen grundlegenden wirtschaftspolitischen Antrag der PDS rhetorisch zu demontieren. So geißelte er unsere Zweifel an der allgemeinen Euphorie über die Globalisierung und beschwor für die SPD - unter dem Beifall der F.D.P. - deren Willen zur Internationalisierung der Waren- und Kapitalströme, weil - ich zitiere aus dem Plenarprotokoll - „wir der festen Überzeugung sind, daß die komparativen Kostenvorteile und die komparativen Vorteile unterschiedlicher Standorte genutzt und umgesetzt werden müssen". Ob er diesen Schwur - zumindest auf die Kapitalströme bezogen - heute wiederholen würde, wage ich zu bezweifeln. Schließlich ist die momentane Entwicklung an den Börsen schon mehr als eine Korrektur; das ist in der Nähe eines Crashs, meint zumindest der in diesen Dingen gewiß kompetente Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter. Dem vorhin zitierten verehrten Kollegen Hiksch gestehe ich in diesem Zusammenhang ja gern zu, daß er in der erwähnten Debatte sich für die Idee einer Tobin-Steuer stark machte, sie als fortschrittliche, also sozialdemokratische, Wirtschaftspolitik bezeichnete. Nur scheint der SPD jener Fortschritt in den letzten elf Monaten abhanden gekommen zu sein. Das Projekt Tobin Tax findet sich in keinem der zahlreichen sozialdemokratischen Programme seit letztem Oktober. Ja, selbst die SPD bügelte eine solche Initiative der PDS - die Bündnisgrünen zogen dann bekanntlich auch noch nach - im Bundestag sogar noch ab. Wenn ein Kanzler Schröder aber mit den morschen Krücken eines Kanzlers Kohl auf das bebende weltwirtschaftliche Parkett will, dann kann ich nur sagen: Hals- und Beinbruch! Wenn wir demokratische Sozialistinnen und Sozialisten im Vorjahr wie auch heute wieder anmahnen, Regionalisierung des Wirtschaftens in den Mittelpunkt der Politik - von den Steuern bis zur Fördermittelvergabe - zu stellen, dann fühlen wir uns natürlich durch die Börsen bestätigt. Viel wichtiger ist aber, daß nur so dauerhafte neue Arbeitsplätze tatsächlich entstehen, daß nur so die Binnennachfrage als wichtigstes Lebenselexier jeder Volkswirtschaft angekurbelt und daß nur so der mit Rücksicht auf die künftigen Generationen überlebenswichtige ökologische Umbau endlich ernsthaft begonnen wird. Mit Aufmerksamkeit habe ich registriert, daß die Sozialdemokraten für ihre Version des heute anberatenen Bundeshaushaltes ein 100 000-SonnendächerProgramm versprechen. Ich erinnere mich noch allzu gut daran, daß in den vergangenen Haushaltsberatungen solche Vorschläge, die Arbeit bringen und Umwelt schonen, keineswegs zum Repertoire sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik, wohl aber dem der PDS gehörten. Im Gegenteil: Noch für den Haushalt 1998 vereinten Sie sich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, bei der von uns vorgeschlagenen drastischen Aufstockung der Fördermittel zur Nutzung erneuerbarer Energien trotz gesicherter Gegenfinanzierung in ihrer Ablehnung zur übergroßen Koalition mit CDU/CSU und F.D.P. Damit Sie nach dem 27. September nicht an programmatischem Gedächtnisschwund leiden, werden wir von der PDS Ihnen dann aber gern auf die Sprünge helfen. Und den Bündnisgrünen sicher auch - falls sie dann, anders als im Vorjahr, im Ausschuß mal da sein sollten. Diese Hilfestellung durch uns scheint mir auch bei einem weiteren unverzichtbaren Projekt der beiden selbsternannten Garanten für einen Wechsel vonnöten: dem Ausstieg aus der Atomenergie. Herr Schröder will zwar nur im Konsens, Herr Fischer und die Seinen zwar erst mal nur über Länderhoheit beim Atomgesetz - aber immerhin versprechen beide, damit zu starten. Wenn es ihnen ernst ist - und zumindest für die Bündnisgrünen dürfte es ja eine Existenzfrage sein -, dann starten sie nicht nur, sondern landen sie gleich: beim sofortigen Ausstieg. Nimmt man alle AKW vom Netz, so geht in Deutschland wegen der vorhandenen Überkapazitäten dennoch keine Lampe aus. Andererseits müßte mittlerweile jeder begriffen haben, daß beispielsweise Transrapid und Expo 2000 wirtschaftlich folgen-, aber finanziell bodenlose Prestigeprojekte sind. Statt solche weiter zu päppeln, nehmen Sie 7 bis 11 Milliarden Mark, und finden Sie damit die Stromgiganten ab! Mehr können diese nach seriösen Untersuchungen, zum Beispiel des DIW, auch im schlimmsten Falle nicht als Entschädigung verlangen. Mit diesen maximal 11 Milliarden Mark öffentlicher Gelder würden schließlich zugleich rund 100 Milliarden privaten Kapitals mobilisiert - zum Abbau und konventionellen Ersatz für die dann 26 Atomruinen in Deutschland. So hätten nicht nur die gigantischen, bisher steuerfreien Rückstellungen der Energiekonzerne endlich ihren Sinn gefunden. Das wäre vor allem ein weiteres echtes Zukunftsinvestitionsprogramm, in Arbeitsplätze und Umwelt gleichermaßen. Darüber hinaus mit einer Effizienz von Steuergeldern, die - gemessen an Ostseewerften Lenna oder Dow Chemical - geradezu traumhaft günstig ist. Schlagen Sie bei dieser Aufgabe also nicht nur Schaum - machen Sie Nägel mit Köpfen! Allerdings habe ich sowohl nach dem wohlfeilen Verlautbarungswahlkampf der letzten Wochen als auch nach dem heutigen Tag allerdings meine Zweifel. Es nützt weder das „Weiter so" der Koalition noch ein „Vieles wird neu - aber nichts wird anders" der SPD. Arbeit und soziale Gerechtigkeit sind ohne Umverteilung auch des Reichtums nicht zu machen. Dr. Barbara Höll (PDS): Die heutige Debatte wird ihrem Anspruch gerecht: Wir diskutieren den letzten Kohl/Waigel-Haushalt, sprich kw-Haushalt. Das bedeutet in der Kürzelsprache des Haushalts „kann wegfallen" . Die Debatte hat eindeutig belegt, daß die Vertreter der CDU/CSU und F.D.P. nur verbal die Grundprobleme der bundesdeutschen Gesellschaft zur Kenntnis nehmen. Sie habe heute nicht eine neue Idee zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit, der Beseitigung der Lehrstellenmisere und der zunehmenden sozialen Ungerechtigkeit vorgestellt. Ihre alten Konzepte, an denen sie krampfhaft festhalten, können Sie noch so schön-färberisch versuchen darzustellen, es wird immer deutlicher, Ihre Politik bedient die wirklich Vermögenden und spaltet die Gesellschaft immer stärker in oben und unten, in arm und reich. Da wir als demokratische Sozialistinnen und Sozialisten in den letzten Jahren bereits vielfältige Vorschläge zu den angesprochenen Hauptproblemen in den Bundestag eingebracht haben und diese auch über die Konzepte von SPD und Bündnisgrünen hinausgehen, möchte ich mich jetzt auf unser Konzept zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit konzentrieren. Die PDS fordert zum einen die substantielle Verkürzung der Arbeitszeit. Heute und in Zukunft wächst die Produktivität dank moderner Technologien so schnell, daß immer weniger Menschen in immer kürzerer Zeit immer mehr Produkte und bezahlte Dienstleistungen herstellen können. Diese Entwicklung kann niemand aufhalten. Sie ist sogar eine große Chance. Aber wir ziehen daraus die Folgerung: Wenn dem so ist, dann sollen alle mehr Freizeit haben - nicht die einen steigenden Leistungsdruck, massenhaft Überstunden und die anderen Arbeitslosigkeit oder unsichere und nicht sozialversicherte stundenweise Jobs. Die moderne Entwicklung verlangt geradezu nach einer gerechteren Verteilung der Arbeit. Das geht nur über Arbeitszeitverkürzung. Die PDS hält es zum anderen in absehbarer Zeit selbst bei Arbeitszeitverkürzung für unmöglich, daß die Privatwirtschaft und der öffentliche Dienst in der Lage sind, fünf bis sieben Millionen Arbeitsplätze - so viele fehlen in Deutschland - zusätzlich zu schaffen. Daraus ziehen wir die Folgerung: Neben Privatwirtschaft und Staatsdienst wird in der Wirtschaft ein dritter Sektor gebraucht, nicht mit ABM, sondern mit normalen Beschäftigungsverhältnissen. Das ist ein Wirtschaftssektor, in dem nicht der Profit das eigentliche Ziel ist - die Amerikaner nennen so etwas Nonprofit-sector -, sondern in dem viele der humanitären, ökologischen, kulturellen, sozialen Aufgaben bewältigt werden, die heute zum großen Teil unerledigt bleiben. Die Unternehmen dieses Sektors müßten 25 bis 30 Prozent Zuschuß zu dem erhalten, was sie selbst erwirtschaften. Aber damit wäre das Geld weit sinnvoller angelegt als gegenwärtig zur Finanzierung von Arbeitslosigkeit, die jährlich 180 Milliarden DM verschlingt. Die PDS drängt zum dritten darauf, die sogenannten Lohnnebenkosten durch eine Wertschöpfungsabgabe zu ersetzen. Gegenwärtig ist es so, daß die Unternehmen die Lohnnebenkosten nach der Zahl der Beschäftigten und der Höhe der Bruttolöhne zu zahlen haben. Je weniger Mitarbeiter und je geringere Bruttolöhne, desto weniger werden sie zur Kasse gebeten. Anders gesagt: Entlassungen und Lohnminderungen werden belohnt. Wir wollen, daß die Unternehmen nach der Höhe des Betriebsergebnisses, des Gewinns und der Wertschöpfung ihren Beitrag leisten sollen, unabhängig von der Zahl der Beschäftigten und der Bruttolöhne. Betriebe mit hoher Wertschöpfung und wenig Beschäftigten - Banken, Versicherungen, hochautomatisierte Fabriken - müßten dann mehr zahlen als bisher, Klein- und Mittelbetriebe mit relativ geringer Wertschöpfung und vielen Mitarbeitern dagegen weniger. Das wäre gerechter als die bisherige Lösung und würde vor allem die Schaffung von Arbeitsplätzen und nicht ihre Vernichtung belohnen. Beispielsweise könnte der Kleinhändler an der Ecke leichter eine Verkäuferin einstellen, ohne befürchten zu müssen, daß ihn die Lohnnebenkosten überfordern. Das sind nur drei wichtige Aspekte des PDS-Konzepts zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit. Es geht dabei natürlich auch um die gerechte Verteilung der Arbeit zwischen Männern und Frauen, um Ökologie, um die Wende zu einer nachhaltigen, zukunftsfähigen Wirtschaft, kurz: um das Anpacken der wichtigsten Probleme, die von der modernen Entwicklung der Produktivkräfte aufgeworfen werden. Die PDS steht für soziale Gerechtigkeit ohne Wenn und Aber. Wir wollen Armut bekämpfen, indem wir Reichtum begrenzen, nicht Arme ausgrenzen. Dazu bedarf es natürlich des politischen Willens zu einer gerechten Umgestaltung des Steuer- und Abgabensystems, unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Wir haben diesen Willen und sind deshalb auch nicht wie die anderen Parteien pessimistisch, die wegen angeblicher Sachzwänge den gegenwärtigen Zustand für alternativlos halten. Wir sehen klare Alternativen. Das betrifft nicht nur die Überzeugung, daß Massenarbeitslosigkeit und soziale Unsicherheit überwunden, eine sozial-ökologische Wende zur Nachhaltigkeit eingeleitet werden können. Das drückt sich auch direkt in den Forderungen für die Jugend aus, genauer gesagt, in den Forderungen der Jugend, die sich die PDS insgesamt zu eigen gemacht hat. Wir vertreten konkrete Vorschläge für die Überwindung von Ausbildungsplatzmangel und Jugendarbeitslosigkeit, für das verfassungsmäßige Recht auf berufliche Erstausbildung, für die Modernisierung der Berufsausbildung, für gleiche Bildungschancen aller Kinder und Jugendlichen, egal welcher Herkunft, aus welchen sozialen Verhältnissen. Wir wollen eine demokratisch reformierte Hochschule ohne Studiengebühren und Zwangsexmatrikulationen. Wir fordern Räume und Freiräume für die Jugendlichen, zum Beispiel ganz konkret für jeweils 1000 Jugendliche einen Jugendclub, den sie selbst gestalten können. Vor allem aber: Junge Menschen sollen selbst Politik machen, ihre Sichtweisen einbringen, ihre Interessen wahrnehmen. Deswegen unterstützt die PDS Kinder- und Jugendparlamente mit realen Mitwirkungsrechten, Jugendinitiativen und alternative Jugendprojekte. Die PDS ist die einzige Partei, die konsequent und umfassend ostdeutsche Interessen und ostdeutsches Selbstbewußtsein vertritt. Wir jammern nicht, und wir fordern nicht, daß Ostdeutschland noch mehr Geld bekommen müßte. Wir fordern, daß die Ostdeutschen endlich mehr geben können: durch mehr Arbeitsmöglichkeiten, dadurch, daß der große Wert ihrer anderen Lebensläufe und anderen Erfahrungen für die ganze Republik genutzt wird, durch Gleichberechtigung und durch reale Mitwirkungsmöglichkeiten an der Gestaltung des Gemeinwesens. Wir wollen nicht, daß die neuen Bundesländer zur Peripherie Deutschlands werden, zu einer Art Süditalien, mit Massenarbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit für Frauen und junge Leute, vermindertem Eigentumsschutz, diskriminierenden Rentenregelungen und Einstellungsbarrieren. Wir wollen, daß der Osten endlich als Chance begriffen wird. Dabei geht es uns nicht nur um die Region, sondern um dauerhaften Nutzen für das ganze Land. Denn wenn der Osten nicht auf eigene Füße kommt, wird der Westen schnell in Atemnot geraten. Es zeigt sich doch immer deutlicher: Die Schwierigkeiten des Ostens sind nur die zugespitzten Probleme des Westens. Bisher war der Osten das Experimentierfeld für Sozialabbau, Einschränkung demokratischer Rechte, Knebelung der kommunalen Selbstverwaltung. Wir sagen: Wenn schon Experimentierfeld, warum dann nicht für den Einstieg in eine neue, sozial gerechte und ökologisch verantwortliche Politik, ohne die es ohnehin für ganz Deutschland keine lebenswerte Perspektive gibt! Deshalb schlägt die PDS für die neuen Bundesländer mit dem „Rostocker Manifest" ein Pilotprojekt Ost „Gerechtigkeit und Entwicklung" vor. Es ist das einzige wirklich alternative, umfassende Programm, das von der Wirtschaft über die Eigentumsfragen bis zu modernen Demokratievorstellungen und zur Wissenschaft und Kultur den gesamten gesellschaftspolitischen Bereich erfaßt, dem Nutzen der ganzen Republik dient und die Chance bietet, die neuen Bundesländer zu einer europäischen Zukunftsregion zu entwickeln. All das hat nichts mit Ostalgie zu tun. Unser Verhältnis zur Vergangenheit, zur DDR ist klar: Wir werden nicht zulassen, daß die Leistungen der Menschen in der DDR gering geschätzt, ihre Biographien verachtet werden. Wir werden aber auch jeder Verklärung der DDR entgegentreten; denn schließlich ist sie wegen ihrer großen Defizite an Demokratie und Emanzipation gescheitert, und niemand will dorthin zurück. Die SED hat früher alles in der DDR hochgejubelt. Die Bundesregierung versucht heute, alles in den Dreck zu treten. Wir bleiben bei einer differenzierten Bewertung und werden uns weiter darum bemühen. Die demokratischen Sozialistinnen und Sozialisten erwiesen sich als die konsequenteste Opposition der Regierung Kohl. Die konsequent kritische Haltung werden wir beibehalten. Egal, ob rotgrüne oder große Koalition, kritischer Druck von links ist auch im 14. Deutschen Bundestag bitter nötig. Wir werden uns dieser Aufgabe stellen.
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    Rede von Andrea Fischer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Nein, im Moment nicht. - Es stellt sich nämlich die Frage, wie man eine Dienstleistung, die durch den Kombilohn öffentlich gefördert wird, definiert, wo man aufhört und wie man dem Handwerksmeister erklärt, daß seine Beschäftigungsverhältnisse im Gegensatz zu anderen Betrieben, in denen Niedrigqualifizierte arbeiten, nicht gefördert werden. Sie wissen das alles ganz genau; deswegen bleibt von diesem mutigen, neuen Weg am Ende nur ein Experiment übrig.
    Es ist sicherlich schön, Experimente zu machen, aber trotzdem kann ich nicht erkennen, daß die Regierung wirklich neue Wege geht. Sie wissen alle, daß man, wenn man vermeiden will, daß systematisch Niedriglöhne geschaffen werden und immer mehr Anreiz für Arbeitgeber entsteht, zu sagen, wir zahlen einfach nur die Hälfte, der Staat wird den Rest schon dazugeben, Bedingungen an solche Lohnsubventionen knüpfen muß. Damit sind wir bei Lohnkostenzuschüssen; diese stellen aber in keiner Weise einen neuen Weg dar. Sie haben an diesem Punkt gar keine neuen Ideen zu bieten. Deswegen kann ich überhaupt nicht erkennen, daß Sie ernsthaft etwas dafür tun, wenigstens auf den Stand der Arbeitslosigkeit zurückzukommen, bei dem Sie vor 16 Jahren die Regierungsgeschäfte in diesem Land übernommen haben.
    Wir müssen außerdem - wenn es denn wirklich um neue Wege geht - die Arbeit umverteilen. Dafür ist existentiell, daß es sich die Menschen auch leisten können, Arbeit umzuverteilen. Dann kommt natürlich einerseits die Einkommensteuer ins Spiel, die gerade die kleinen und mittleren Einkommen entlasten muß. Sonst brauchen wir über so etwas gar nicht zu reden; sonst könnten die Menschen ihren Lebensunterhalt nicht mehr von ihrem Einkommen bestreiten.
    Wir brauchen andererseits aber auch Sozialreformen, die den Menschen die Botschaft senden, daß sie geschützt sind - selbst wenn sie flexibler und längere Zeit in ihrem Leben in Teilzeit arbeiten. Es ist eines Ihrer großen Versäumnisse in der Rentenpolitik, daß Sie in diesem Punkt nichts getan haben, um auf einen besseren Weg zu kommen.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Sie haben bei allen Kürzungsmaßnahmen im Sozialbereich auf Einkommensgrenzen verzichtet. Sie haben die Höher- und Besserverdienenden bei diesen Kürzungen völlig ungeschoren gelassen. Sie sind mit der Heckenschere vorwärts marschiert. Das war auch der Befund des Bundesarbeitsministers Blüm am 15. Oktober 1982. Das kann ich als Befund am Ende der Amtszeit des Bundesarbeitsministers Blüm im September 1998 ebenfalls blanko unterschreiben.
    Schauen wir uns das an: Nirgendwo haben Sie so gnadenlos zugeschlagen wie bei den Behinderten. Sie haben durch verschiedene Änderungen im Sozialrecht die Gefahr heraufbeschworen, daß die Fortschritte, die in den letzten Jahren für die Selbstbestimmung von Behinderten und für ihre eigenständige Lebensführung erreicht worden sind, zurückgedreht werden und wir wieder bei einer „Satt-undsauber-Pflege" der 50er Jahre landen.

    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Zurufe von der CDU/CSU: Na, na, na! Das stimmt doch nicht!)

    Sie haben eben gesagt, Sie wollten nicht, daß alte Menschen bei ihrer Rente auf eine Bedürfnisprüfung angewiesen sind. Was sonst wird Ihre Reform der Erwerbsunfähigkeitsrenten denn bewirken? Damit haben Sie die Erwerbsunfähigkeitsrentner systematisch in die Sozialhilfe getrieben, weil die Erwerbsunfähigkeitsrenten nicht mehr reichen.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

    Was ist mit dem Zahnersatz, den Sie allen jungen Leuten nicht mehr gönnen wollen? „Nach mir die Sintflut" - das ist Ihre Politik! Die Jungen von heute werden es schon nicht merken. Wenn sie ihn eines Tages brauchen, sind wir schon längst vom Acker -. Das ist eine Politik, die deutlich macht, daß die Interessen der jungen Leute von heute Sie einen feuchten Kehricht interessieren.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Für mich ist das eine der bittersten Bilanzen von 16 Jahren Regierung Kohl: Durch all das, was da geschehen ist, sind die Legitimation des Sozialstaates und die Zustimmung zum Sozialstaat zerstört worden. Das kann man an den vielen Debatten merken, in denen jeder dem anderen etwas mißgönnt und immer Angst hat, er komme irgendwie zu kurz. Wir merken das aber natürlich auch daran, daß immer mehr Menschen aus der Sozialversicherungspflicht flüchten. Darauf haben Sie keine Antwort. Sie haben sich an diesem Punkt in den letzten Jahren regelmä-

    Andrea Fischer (Berlin)

    Big zerstritten, obwohl Sie sehen, was das für die Sozialversicherungen bedeutet.
    Dazu gehört auch - das ist ebenfalls Bestandteil der Bilanz von Bundesarbeitsminister Blüm -, daß die wirklich wegweisenden Reformen, die notwendig gewesen wären, um diesen Sozialstaat so zu verändern, daß er zu unseren veränderten Lebens- und Arbeitsverhältnissen paßt, entweder unterblieben sind oder auf bestimmte Reformnotwendigkeiten zu spät reagiert wurde - insbesondere in der Rentenpolitik. Eine immer größer werdende Zahl von jungen Leuten - 30 bis 40 Prozent der heutigen jungen Leute - glauben nicht mehr daran, daß die Renten sicher sind und daß sie eines Tages durch den Generationenvertrag noch fair behandelt werden. Das ist auch Teil Ihrer Bilanz, die Sie als derjenige vorlegen, der in den letzten 16 Jahren für die Rentenpolitik zuständig gewesen ist.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Was schlagen Sie denn vor, Frau Fischer?)

    Was passiert in einem Land, in dem die Stimmung inzwischen so ist, daß wir einen alltäglichen Krieg in den Zahnarztpraxen erleben? Da wird doch die Bundesregierung die Geister nicht mehr los, die sie gerufen hat, indem sie den Markt in die Praxen eingeführt hat. Jetzt kämpfen alle gegen alle, und die Patienten sind die Dummen; sie blicken überhaupt nicht mehr durch. Daß es im Gesundheitswesen ganz offensichtlich nicht mehr um die Gesundheit geht, sondern nur noch darum, wer am meisten daran verdient, haben doch auch Sie zu verantworten.
    Sie haben die Kassen erst arm gemacht, indem Sie die Bemessungsgrundlagen verändert haben. Dann haben Sie sich das Geld von den Patienten über die Zuzahlungen zurückgeholt. Wie sollen die Leute es dann noch gut finden, in der gesetzlichen Krankenversicherung zu sein? Dafür sind Sie verantwortlich!

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

    Ich habe mich in den letzten Jahren beruflich und jetzt auch als Politikerin mit Armutspolitik und Armutsforschung beschäftigt. Ich könnte mit Ihnen Stunde um Stunde über Armutsdefinitionen jeder Art reden und filibustern. Aber das ist nicht der Punkt. Wenn Sie die negative Entwicklung nicht erkennen, dann drückt das aus, daß Sie überhaupt kein Gefühl mehr dafür haben, was die Menschen in diesem Lande wollen und welche Wertvorstellungen sie haben, mit denen Sie Schindluder treiben. Wenn in diesem Land eine Million Kinder von der Sozialhilfe leben, dann brauchen wir nicht darüber zu reden, ob das Armut ist oder nicht. Dann stimmt nämlich etwas in diesem Land nicht; dann ist es ein Skandal.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

    Sie wissen selber, daß das Sozialhilfegesetz als ein Gesetz eingeführt worden ist, das nur in Ausnahmefällen gelten soll. Sind eine Million Kinder für Sie Ausnahmefälle? Wie soll ich verstehen, daß Sie sagen, es gebe hier kein Problem? Hier liegt eines der größten Probleme. Diese Zahl ist neben der Zahl der Arbeitslosen die bitterste Zahl, die die Ära Kohl kennzeichnet.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

    Herr Arbeitsminister Blüm, nehmen wir einmal an, drei Millionen Arbeitslose stünden auf der Straße. Was würden wir dann machen? Sollte man dann das alte Ritual der Auseinandersetzung - die Arbeitgeber beschimpfen die Gewerkschaften; die Gewerkschaften beschimpfen die Arbeitgeber; die Regierung beschimpft die Opposition; die Opposition beschimpft die Regierung - fortführen? Ich fürchte, die Arbeitslosen hätten für diesen Streit kein Verständnis - übrigens zu Recht. Auch diese Entwicklung geht auf Ihr Konto. Sie haben nämlich das Bündnis für Arbeit verbockt, indem Sie Bedingungen eingefordert haben, unter denen das Gespräch, der Dialog nicht mehr möglich gewesen ist.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Auch deswegen braucht es so dringlich eine neue Regierung in diesem Land, die diesen Dialog wieder aufnehmen und die Beteiligten an einen Tisch führen kann, an dem man darüber redet, was notwendig ist. Das geht aber nur, wenn man bereit ist, Fairneß gegenüber allen Beteiligten zu praktizieren, und wenn man eine Idee von sozialer Gerechtigkeit und von einer Modernisierung hat, die nicht die Verlierer einfach billigend in Kauf nimmt. Das geht nur, wenn man weiß, daß ein Bündnis ein Geben und Nehmen ist, und wenn man nicht sagt: Wir machen ein Bündnis, und am Ende sollt ihr abnicken, was wir schon immer gewollt haben.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Dafür brauchen wir ganz dringend - das ist längst überfällig - eine neue Regierung.
    Herr Minister, Sie kennen Ihre Gesetze selber am besten. Sie wissen: Je früher Sie in Rente gehen, um so eher entgehen Sie den Kürzungen, die in den nächsten Jahren geplant sind.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)



Rede von Michaela Geiger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Dr. Gisela Babel, F.D.P.-Fraktion.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Gisela Babel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (F.D.P.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gute Nachrichten aus Deutschland, schlechte Nachrichten aus Deutschland: Es war klar vorhersehbar, daß wir heute in dieser Debatte in unterschiedliche Bewertungen der ökonomischen Daten und ihrer Ursachen einsteigen. Da der Wahltermin vor der Tür steht, muß uns gewiß kein hohes Maß an Rücksicht abgefordert werden.
    Aber eines möchte ich sagen: Unser Volk interessiert mehr das, was in Zukunft kommen wird, als

    Dr. Gisela Babel
    diese larmoyante, langweilige und rückwärtsgewandte Bilanz, die Sie hier präsentieren.

    (Rudolf Bindig [SPD]: Vor der Verantwortung davonschleichen!)

    Das ist keine Politik, von der heute die Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande erkennen können, welches die Rezepte für die Zukunft sind.
    Lassen Sie mich noch einmal die guten Nachrichten auflisten, weil es immer richtig ist, gute Nachrichten zu wiederholen: Wir haben heute in Deutschland ein Bruttoinlandsprodukt, das im ersten Quartal um 3,8 Prozent kräftig angestiegen ist. Wir haben den Zuwachs der Investitionsgüter um 5 Prozent. Der Exportindusirie geht es gut. Allein im ersten Quartal 1998 lag der reale Zuwachs bei 15 Prozent. Wir haben mehr selbständige Existenzgründer. -
    Die Lohnstückkosten sind um 3,4 Prozent zurückgegangen. Ich erinnere an den Kollegen Schreiner, der oft den Anstieg der Lohnstückkosten beklagt hat. Hier ist ein Erfolg hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu sehen. 200 000 weniger Arbeitslose sind ein Hoffnungsschimmer. Ich habe die Abnahme der Arbeitslosigkeit nie überbewertet. Aber sie ist ein Indiz für die positive Entwicklung, weil die Zahl der Arbeitslosen über mehrere Monate hinweg abgenommen hat.

    (Beifall bei der F.D.P.)

    Wichtiger Indikator ist aber die Kurzarbeit. Die Kurzarbeit war immer ein Warnsignal für kommende Arbeitslosigkeit. Sie ist dramatisch zurückgegangen, sie hat sich nämlich halbiert. Die Zahl der offenen Stellen ist förmlich explodiert. Im Juli 1997 gab es 111000 offene Stellen. Heute gibt es 466 000 offene Stellen. Sie wissen, daß diese Zahl eine untere Zahl ist. Das sind nur die gemeldeten Stellen. Eigentlich müssen Sie diese mit drei multiplizieren, dann sind wir schon bei 1,5 Millionen Arbeitsmöglichkeiten in Deutschland.
    Diese Zahlen rechtfertigen es, zu sagen, daß die Reformpolitik unserer Koalition jetzt wirklich gegriffen hat.

    (Beifall bei der F.D.P.)

    Ich wünschte mir, es wäre schon früher so gewesen. Dann stünden wir vielleicht etwas gelassener in der heutigen Debatte. Aber es ist unzweifelhaft, daß die Reformpolitik gegriffen hat.
    Das wird auch durch die Umfrage des DIHT bestätigt, die besagt, daß 50 Prozent der Unternehmer die Möglichkeit nutzen, befristete Arbeitsverträge abzuschließen, und daß sie die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes auf Betriebe mit zehn statt mit vorher fünf Beschäftigten als Flexibilisierung begrüßen. Dadurch haben 11 Prozent der Unternehmer neue Mitarbeiter eingestellt, und 14 Prozent haben das sozusagen auf dem Schreibtisch vor.
    Auch die . Eingliederungszuschüsse werden von 32 Prozent der Unternehmen in Westdeutschland und von 50 Prozent der Unternehmen in Ostdeutschland genutzt. Hier ist auch die Übernahmequote nach Ablauf der Förderung sehr hoch. Übrigens hat der DIHT ebenfalls bestätigt - ich darf das hier dem werten Koalitionspartner anmelden -, daß auch die Beibehaltung der 620-Mark-Jobs richtig wäre; denn wenn sie versicherungspflichtig wären, würden 40 Prozent der Unternehmer diese Jobs nicht mehr anbieten. Das ist doch für uns noch einmal eine Bestätigung.

    (Beifall bei der F.D.P.)

    Aber ich komme jetzt zu den schlechten Nachrichten aus Deutschland. Zu den schlechten Nachrichten aus Deutschland gehört das, was Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, hier verkündet haben. Es ist so jämmerlich, widersprüchlich und auch so wenig mutig, daß es sich - wie ich finde - lohnt, sich damit länger auseinanderzusetzen. Herr Dreßler und Frau Fischer, Sie sagen: Wir wollen die Lohnnebenkosten senken. Alles, was Sie in Ihrem 100-, 200- oder 300-Tage-Programm beschließen, wird die Lohnnebenkosten von heute 42 Prozent auf 50 Prozent anheben, es sei denn - dazu komme ich gleich.
    Die Rücknahme der Rentenreform wird zu einem Anstieg des Rentenversicherungsbeitrages um weitere drei Punkte führen. Die Rücknahme bei der Krankenversicherung und die Rücknahme der Zuzahlung - das klingt alles so schön - werden den Beitrag um 1,2 Prozent anheben. Wenn das Wirklichkeit wird, was Sie zur Arbeitslosenversicherung verkünden, dann wird das die Kosten der Arbeitslosenversicherung weiter in die Höhe treiben. Das ist eine Politik, bei der Sie Ihre Grundsätze durch Einzelmaßnahmen total in Frage stellen, es sei denn - das sage ich Ihnen noch einmal -, Sie würden wirklich alle diese Löcher mit Steuergeldern stopfen. Das ist nach wie vor das Rezept. Bei den Grünen ist es noch ein bißchen verbrämt, versüßt und mit dem Ökologischen verzuckert. Das fehlt bei der SPD ein wenig. Sie geht hierbei unverblümter zu Werke und sagt: erst einmal mehr Steuern, damit in der Sozialversicherung die Beiträge sinken können.
    Meine Damen und Herren, das ist eine wirklich unglaubliche Politik, die Sie hier vorstellen. Sie stellen sie dann auch noch als etwas Neues dar, durch das neue Arbeitsplätze entstehen würden. Sie würgen sozusagen erst einmal mehr Steuergeld aus dem System und stopfen dann die Löcher, die bei den Versicherungen entstanden sind, um schließlich zu sagen: Wir haben die Lohnnebenkosten gesenkt. Diese Politik können Sie meiner Ansicht nach in dieser Weise nicht durchführen.
    Ich habe den Eindruck - ich habe auf Frau Fischer gewartet, aber sie hat keine Andeutung gemacht -, daß die SPD insgeheim diesen Koalitionspartner anfleht, er möge sie hindern, das zurückzunehmen, was in ihrem Parteiprogramm steht. Frau Fischer, Sie haben damals bei der Auseinandersetzung um den Demographiefaktor gesagt, daß man durchaus die Tatsache berücksichtigen müsse, daß unsere Rentner länger leben: die Männer 10 Jahre, die Frauen 18 Jahre. Ich habe jetzt nichts dazu gehört, ob Sie Ihrem großen Koalitionspartner in spe in den Arm fallen wollen, wenn er dies zurücknehmen will. Das haben Sie nicht gesagt. Vielleicht werden Sie sich in dieser Frage noch klarer äußern und sagen: mit uns

    Dr. Gisela Babel
    nicht. Dann wird die SPD an der Realisierung dieses unvernünftigen Vorhabens gehindert.
    Zwei muffige alte Rezepte haben Sie aber in Ihrem Programm aufgelistet. Da wird zunächst - außerordentlich originell - die Abschaffung von Überstunden genannt. Dadurch sollen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstehen, so ähnlich wie in der Diskussion um die 620-Mark-Verträge.

    (Rudolf Dreßler [SPD]: Hat Herr Kohl auch gemeint, im Februar in diesem Hause!)

    Weswegen macht ein Unternehmer Überstunden? Weswegen genehmigen Betriebsräte Überstunden? Davon kein Wort; es geht einfach um die Verteilung: Hier nehme ich ein bißchen Arbeit, flicke es zusammen, und schon habe ich dort ein versicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis. Das zeigt Ihre Ferne von unternehmerischem Denken und vom Verständnis für unternehmerische Zwänge.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU Rudolf Dreßler [SPD]: Das ist eine Beleidigung des Bundeskanzlers!)

    Die Grünen sind für die Ausbildungsabgabe. Da weiß man nun gar nicht, was sie sich überlegen. Wir wissen, daß heute neue Ausbildungsberufe geschaffen werden müssen, damit überhaupt die Möglichkeit besteht, eine Lehrstelle anzubieten. Aber Sie schreiben nur, daß Sie diese neue Belastung für akzeptabel halten.
    Die Änderung der jetzigen Lohnfortzahlungsregelung - einer Ihrer Programmpunkte - führt zu weiterer enormer Belastung der Wirtschaft. Und auch das Kündigungsschutzgesetz, auf dessen Änderung wir uns nach langen Verhandlungen schließlich einigen konnten, soll wieder dahin gehend lauten, daß die Flexibilität hinsichtlich der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses lediglich für Betriebe mit bis zu fünf Betriebsangehörigen gilt.
    Nach all diesen „Reformen" kommen Sie zu dem versöhnlichen Schluß: Wir brauchen einen runden Tisch, um ein Bündnis für Arbeit zu schmieden. Das kommt mir so vor, als würden Sie nach einem Postkutschenüberfall die Banditen zu Tisch bitten. Die Gerupften sollen am runden Tisch Platz nehmen, um ein Bündnis für Arbeit zu schließen. Glauben Sie das im Ernst?
    Lassen Sie mich zusammenfassen: Noch nie wäre ein Wechsel zu Ihrer Politik verhängnisvoller als jetzt. Nur wenn der Reformkurs beibehalten und fortgesetzt wird, wird die Arbeitslosigkeit erfolgreich bekämpft werden.
    Ich bedanke mich.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)