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    Plenarprotokoll 13/246 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 246. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abgeordneten Doris Odenthal, Siegfried Hornung, Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Manfred Opel, Ernst Kastning, Richard Schuhmann (Delitzsch) und Volkmar Schultz (Köln) 22897 A Erweiterung der Tagesordnung 22897 B Zur Geschäftsordnung Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22897 C Dr.-Ing. Dietmar Kansy CDU/CSU . . 22898 C Achim Großmann SPD 22899 B Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. . 22900B Klaus-Jürgen Warnick PDS 22901 A Begrüßung der Präsidentin des Bundesrechnungshofes, Frau Dr. von Wedel . . 22991 D Tagesordnungspunkt 1: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1999 (Haushaltsgesetz 1999) (Drucksache 13/11100) 22902 B b) Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 1998 bis 2002 (Drucksache 13/11101) 22902 B c) Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses - zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1995 - Vorlage der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes (Jahresrechnung 1995) - - zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1996 - Vorlage der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes (Jahresrechnung 1996) - - zu der Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 1997 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung (einschließlich der Feststellungen zur Jahresrechnung des Bundes 1995 und 1996) (Drucksachen 13/5141, 13/7352, 13/8550, 13/10904) 22902 C d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Lebenssituation von Kindern und die Leistungen der Kinderhilfen in Deutschland - Zehnter Kinder- und Jugendbericht - mit der Stellungnahme der Bundesregierung (Drucksache 13/11368) 22902 D Jürgen Koppeln F.D.P. (zur GO) . . . 22902 D Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 22903 B Karl Diller SPD 22907 B Oskar Lafontaine, Ministerpräsident (Saarland) 22912 D Dr. Norbert Blüm CDU/CSU . 22916C, 22926 D Dr. Kurt Biedenkopf, Ministerpräsident (Sachsen) 22921 A Siegmar Mosdorf SPD . . . . 22926B, 22927 A Ingrid Matthäus-Maier SPD 22927 C Rolf Schwanitz SPD 22929B, 23002 D Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22929 D Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. . . . . 22933 A Dr. Christa Luft PDS 22937 C, 22945 B Hans-Peter Repnik CDU/CSU 22940B, 22947 A Hans Georg Wagner SPD 22945 D Helmut Rauber CDU/CSU 22946 C Karl Diller SPD 22947 B Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 22949 D Hans Büttner (Ingolstadt) SPD . . . 22951 C Ernst Schwanhold SPD 22952 C Dr. Barbara Höll PDS 22953 C Paul K. Friedhoff F.D.P 22955 C Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister BMBF 22957 B Rudolf Dreßler SPD 22959 C Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 22963 A Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22967 B Dr. Gisela Babel F.D.P 22969 D Petra Bläss PDS 22971 C Ottmar Schreiner SPD 22973 A Dr. Heiner Geißler CDU/CSU . 22976 B, 22979 C Ottmar Schreiner SPD 22973 B Dr. Edith Niehuis SPD 22977 D Dr. Angela Merkel CDU/CSU 22981 D Dr. Christine Bergmann, Senatorin (Berlin) 22982 B Dr. Heiner Geißler CDU/CSU . . . . 22984 A Dr. Barbara Höll PDS 22980 C Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22986 D Sabine Leutheusser-Schnarrenberger F.D.P 22987 D Horst Seehofer, Bundesminister BMG . 22988 D Edelgard Bulmahn SPD 22992 A Dr. Gerhard Friedrich CDU/CSU . . 22996 C Claudia Nolte, Bundesministerin BMFSFJ 22997 B Matthias Berninger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23000 C Johannes Singhammer CDU/CSU . 23001 A Anke Fuchs (Köln) SPD 23001 C Wolfgang Dehnel CDU/CSU 23004 D Dr. Angela Merkel CDU/CSU 23007 A Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23009 B Adolf Roth (Gießen) CDU/CSU 23010 C Dr. Wolfgang Weng (Gerligen) F.D.P. . 23013 A Vizepräsidentin Michaela Geiger . . . 22967 A Tagesordnungspunkt 2: Abschließende Beratungen ohne Aussprache a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, auf Staatsangehörige von Drittländern (Drucksachen 13/9819 Nr. 2.29, 13/10598) . . 23015 A b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Mitteilung der Kommission Aktionsplan zur Förderung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Drucksachen 13/9668 Nr. 2.44, 13/10599) . . . 23015 B c) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung - zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Edelgard Bulmahn, Tilo Braune, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bundesbericht Forschung 1996 (Drucksachen 13/4554, 13/7128, 13/ 9744, 13/9746, 13/11096) 23015 C d) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung - zu dem Antrag der Abgeordneten Günter Rixe, Klaus Barthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Jugend braucht Zukunft - Ausbildungsoffensive jetzt verwirklichen - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Berufsbildungsbericht 1998 (Drucksachen 13/10665, 13/10651, 13/ 11097) 23015D e) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Heidemarie Wieczorek-Zeul, Gerd Andres und weiterer Abgeordneter der Fraktion der SPD Sicherung der Arbeitsplätze bei der Hoechst Marion Roussel Deutschland GmbH (Drucksachen 13/10028, 13/ 11110) 23016B f) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Dietmar Schütz (Oldenburg), Marion Caspers-Merk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Klimaschutz durch Minderung von Stand-by-Verlusten bei Elektrogeräten (Drucksachen 13/9254, 13/11121) . . 23016 B g) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr - zu dem Antrag der Abgeordneten Albert Schmidt (Hitzhofen), Gila Altmann (Aurich), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Novellierung des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm - zu dem Antrag der Abgeordneten Monika Ganseforth, Elke Ferner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm (Drucksachen 13/6346, 13/7498, 13/ 11140) 23016 C h) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Abgeordneten Albert Schmidt (Hitzhofen), Gila Altmann (Aurich), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vorlage eines Gesetzes zum Schutz vor Verkehrslärm an Straßen und Schienen (Drucksachen 13/6958, 13/8925) . 23017 A i) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Abgeordneten Gabriele Iwersen, Achim Großmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Vorlage eines Vierten Berichtes über Schäden an Gebäuden (Drucksachen 13/10449, 13/11145) 23017 A j) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Mitteilung der Kommission Das öffentliche Auftragswesen in der Europäischen Union (Drucksachen 13/ 10588 Nr. 2.21, 13/11160) 23017 B k) Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses Sammelübersicht 375 zu Petitionen (Drucksache 13/11193 [neu]) . . . . 23017 C 1) Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses Sammelübersicht 377 zu Petitionen (Gesetzliche Nichtigkeitserklärung aller NS-Unrechtsgesetze und -urteile) (Drucksache 13/11195) 23017 C m) Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses Sammelübersicht 381 zu Petitionen (Überführung der Ansprüche der Beschäftigten der ehemaligen Deutschen Reichsbahn in die gesetzliche Rentenversicherung) (Drucksache 13/11330) . 23017 D Zusatztagesordnungspunkt 1: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Drucksachen 13/11118, 13/ 11381) 23018A Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. Bürgerkrieg und humanitäre Situation im Süd-Sudan (Drucksache 13/11387) 23018 B Tagesordnungspunkt 3: Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushalts- und Wirtschaftsführung 1998 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 06 29 - Bundesanstalt Technisches Hilfswerk - Titel 532 03 - Hilfsmaßnahmen außerhalb des Bundesgebietes - bis zur Höhe von 12 340 TDM (Drucksachen 13/10929, 13/11122, lfd. Nr. 1.3, 13/11389) 23018 C Nächste Sitzung 23018 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 23019* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 1 (Haushaltsgesetz 1999) Rolf Kutzmutz PDS 23019* B Anke Fuchs (Köln) SPD 23021* C Dr. Barbara 11611 PDS 23022* C 246. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 Beginn: 10.00 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Becker-Inglau, Ingrid SPD 2. 9. 98 Behrendt, Wolfgang SPD 2. 9. 98 * Blunck, Lilo SPD 2. 9. 98 * Brunnhuber, Georg CDU/CSU 2. 9. 98 Eßmann, Heinz Dieter CDU/CSU 2. 9. 98 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 2. 9. 98 * Gysi, Andrea PDS 2. 9. 98 Irber, Brunhilde SPD 2. 9. 98 Jung (Limburg), Michael CDU/CSU 2. 9. 98 Lattmann, Herbert CDU/CSU 2. 9. 98 Müller (Berlin), PDS 2. 9. 98 Manfred Walter Nelle, Engelbert CDU/CSU 2. 9. 98 Peters, Lisa F.D.P. 2. 9. 98 Reichard (Dresden), CDU/CSU 2. 9. 98 Christa Rupprecht, Marlene SPD 2. 9. 98 Schaich-Walch, Gudrun SPD 2. 9. 98 Scheel, Christine BÜNDNIS 2. 9. 98 90/DIE GRÜNEN Schulte (Hameln), Brigitte SPD 2. 9. 98 Stiegler, Ludwig SPD 2. 9. 98 Wöhrl, Dagmar CDU/CSU 2. 9. 98 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 1 (Haushaltsgesetz 1999) Anke Fuchs (Köln) (SPD): Wirtschaftspolitische Kompetenz ist gefragt, wenn es in diesem Land wieder aufwärts gehen soll. Das wird niemand bestreiten. Diese Erkenntnis ist aber gleichzeitig Aufforderung zur Abwahl dieser Bundesregierung. Wer wirtschaftspolitische Kompetenz auf der Regierungsbank will, muß dafür sorgen, daß Gerhard Schröder Bundeskanzler wird. Nur so können wir einen Aufbruch nach vorne schaffen. Heribert Prantl schreibt in der „Süddeutschen Zeitung" vom 29./30. August 1998 zu Recht: In letzter Not hat Kohl seinen alten Gegner Lothar Späth als Helfer engagiert. Er hätte das vor vier Jahren machen müssen. Damals wäre die Zeit gewesen, eine spektakuläre neue Mannschaft zu präsentieren. Neuerdings stellt der Kanzler auch mißbilligend fest, daß die Wirtschaft den Standort Deutschland schlechtredet. Das fällt ihm zu spät auf. Vor zwei Jahren hat Kohl sich das törichte Agitieren der Wirtschaftsfunktionäre zu eigen gemacht und das Bündnis für Arbeit platzen lassen - es war sein kapitalster Fehler. Auf diese Weise gerieten die Reformen seiner Amtszeit in die Konfrontation, standen die Kirchen gegen die Sozialpolitik der Regierung auf - und damit gewannen die Gewerkschaften neue Legitimation. Die Regierung Kohl hat den Konsens geopfert, weil sie sich von der vulgärliberalen Arroganz der Industrieführer vom Schlage Henkel & Co. anstecken ließ. So etwas kann sich allenfalls eine Klientelpartei wie die F.D.P. leisten, nicht aber eine Volkspartei. Die CDU ist durch die konfrontative Sozialpolitik geschwächt worden, und dann leidet sie und ihr Wahlkampf. Die Partei ist also doppelt geschwächt: Durch nachwirkende Fehler und durch die Unklarheiten an der Spitze. Für den Stillstand ist an erster Stelle der Bundeskanzler selbst verantwortlich. Er hat das von den Gewerkschaften angebotene Bündnis für Arbeit ausgeschlagen. Das hat viele Arbeitsplätze gekostet. Das war ein immenser Zeitverlust für die notwendige Modernisierung unseres Landes. Der Kanzler hätte es besser wissen müssen. Denn sozialer Konsens und gesellschaftlicher Zusammenhalt waren in der gesamten Geschichte der Bundesrepublik eine wichtige Produktivkraft. Und wenn die Herren an der Spitze der Unternehmensverbände auch meinen, Wahlkampf für diese Regierung machen zu müssen, so sage ich Ihnen: An ihrer eigenen Basis sieht es anders aus. Dort ist Dialogbereitschaft statt Drohgebärde. Darauf setzen wir, und spätestens nach der Bundestagswahl müssen auch die Herren an der Spitze aus dem Abseits heraus. Wir Sozialdemokraten werden ein Bündnis für Arbeit verwirklichen. Wir vertrauen auf die Konsensbereitschaft im eigenen Lande. Damit knüpfen wir aber auch an die Erfahrungen an, die europäische Nachbarstaaten - wie zum Beispiel die Niederlande und Dänemark - gesammelt haben. Die Arbeitslosigkeit konnte in den Niederlanden gesenkt werden, weil sich Politik, Arbeitgeber und Gewerkschaften an einen Tisch gesetzt und gemeinsam nach Lösungen gesucht haben. Dänemark ist auf dem Weg zur Vollbeschäftigung, weil neben mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt der Staat aktiver mit Beschäftigungsmaßnahmen neue Arbeitsplätze geschaffen hat. Das ist der richtige Ansatz: Arbeitsplätze schaffen statt Arbeitslosigkeit finanzieren. Die Wachstumsschwäche in unserem Land und die hohen Arbeitslosenzahlen sind auch Folge der verfehlten Finanzpolitik. Es ist eine Binsenweisheit: Prozyklische Finanzpolitik in Abschwungphasen kann nicht auf Wachstumskurs führen. Das ist lange bekannt. Wer die Binnennachfrage abwürgt, kann noch so viel Angebotspolitik betreiben: Ohne Absatzchancen bleiben Erweiterungsinvestitionen aus, ohne Erweiterungsinvestitionen entstehen keine neuen Arbeitsplätze. Wir Sozialdemokraten setzen auf Verläßlichkeit und Stetigkeit in der Finanzpolitik. Das ist im übrigen eine der wichtigsten Voraussetzungen, damit Unternehmen und Investoren verläßliche Rahmenbedingungen vorfinden. Bei dieser Bundesregierung konnte man sich nur darauf verlassen, daß das nächste Haushaltsloch größer wird als das vorherige. Damit komme ich zu Ihnen, Herr Rexrodt. Sie haben in den vergangenen Jahren im Blindflug den Kurs der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik eingeschlagen. Seit Ihrem Amtsantritt haben Sie den automatischen Piloten angestellt und gehofft, daß er den Weg alleine finden wird. Aber das Steuerungsprogramm war falsch. Statt im Azorenhoch sind Sie im Islandtief gelandet. Jetzt wollen Sie uns weismachen, wir hätten die warmen Gefilde einer Trendwende am Arbeitsmarkt erreicht, weil es in Island auch schon mal kälter gewesen ist. Das ist die Lage. Erst treibt die Bundesregierung die Arbeitslosigkeit mit Attentismus und falschen Strategien auf 4,8 Millionen hoch. Dann redet sie bei mehr als 4 Millionen Arbeitslosen von einer Trendwende. Das ist keine Trendwende, das ist der Offenbarungseid der Bundesregierung in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Herr Rexrodt, jahrelang haben sie den Standort Deutschland schlecht geredet und den Menschen die Globalisierung als Schreckgespenst an die Wand gemalt. Lohnzurückhaltung und Sozialabbau waren Ihr Credo. Sie haben die Arbeitnehmer zum Kostenfaktor degradiert. Damit muß endlich Schluß sein. Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist nämlich gut, weil wir eine gute Infrastruktur haben, weil wir qualifizierte Arbeitnehmer haben und weil die Menschen leistungsbereit sind und nach vorne schauen wollen. Die SPD wird nach der Bundestagswahl die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit konsequent in den Vordergrund stellen. Für die Wirtschaftspolitik heißt das: Stärkung der Wachstumskräfte für eine dynamische wirtschaftliche Entwicklung, die Arbeitsplätze schafft. Dafür brauchen wir kurzfristig Maßnahmen für eine schnellstmögliche Entlastung am Arbeitsmarkt. Darüber hinaus müssen wir mittel- und langfristig mit einem Strukturwandel durch Innovation Wirtschaft, Staat und Gesellschaft modernisieren. Der Export boomt noch. Das zeigt: Die deutsche Wirtschaft ist wettbewerbsfähig. Ursache der Wachstumsschwäche ist die fehlende Binnennachfrage. Deshalb brauchen wir eine Steuerreform, die Arbeitnehmer und Familien entlastet und damit die Binnennachfrage stärkt. Außerdem brauchen wir eine Senkung der Unternehmenssteuern und eine Senkung der Lohnnebenkosten, um Investitionsanreize zu schaffen. Wir machen aber keine haltlosen Versprechen. 30 Milliarden Mark Nettoentlastung sind nicht finanzierbar. Das unterscheidet uns von dieser Bundesregierung. Für uns steht nicht die Entlastung der Spitzenverdiener im Vordergrund. Denn wir wissen: Die Steuerlast ist in unserem Lande ungerecht verteilt. Die Belastung der Arbeitnehmer mit Steuern und Abgaben ist ständig gestiegen, die Steuererträge aus Unternehmertätigkeit und Vermögen sind gesunken. In der Arbeitsmarktpolitik kommt es darauf an, Arbeitsplätze zu schaffen statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Vordringlich geht es darum, den Jugendlichen wieder eine Perspektive zu geben. Wir werden sofort nach der Bundestagswahl 100 000 neue Stellen für Jugendliche schaffen. Das geht, wie das Beispiel Dänemark zeigt. Schauen Sie sich die Entwicklung der Jugendarbeitslosigkeit dort an. Sie ist drastisch gesunken, und das ist nicht als Geschenk vom Himmel gefallen. Dort ist die Wirtschaftspolitik ihrer Gestaltungsaufgabe nachgekommen, statt Parolen von der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik zu dreschen. Mittel- und langfristig brauchen wir Innovationen in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft. Die Bundesregierung hat die Modernisierung unseres Landes verschlafen. Sie haben die vergangenen Jahre doch nur von Kostensenkung gesprochen. Aber unser Land ist mit Gütern und Dienstleistungen der Spitzentechnologie stark geworden. Die SPD setzt deshalb auf die Zukunftstechnologien. Wir werden zum Beispiel mit einem Hunderttausend-Dächer-Programm die Solartechnik zur Marktreife bringen. Das schafft neue Arbeitsplätze und trägt zu einer umweltschonenden Energieversorgung bei. In diesem Zusammenhang steht auch unser Konzept für eine ökologische Steuerreform. Wir wollen damit die Lohnnebenkosten senken, den umweltschädlichen Energieverbrauch belasten und Anreize für technologische Innovationen zur Energieeinsparung setzen. Das ist moderne Wirtschaftspolitik: Innovationsanreize schaffen, um in der Verkehrstechnologie an der Spitze des Fortschritts zu stehen und die Wettbewerbsposition der deutschen Wirtschaft zu stärken. Den Energieverbrauch senken, weil Wirtschaftswachstum nicht gleichbedeutend sein muß mit höherem Energieverbrauch. Die Umwelt schonen, um die natürlichen Lebensgrundlagen zu bewahren und keinen Raubbau an der Zukunft zu betreiben. Dafür werden wir die marktwirtschatlichen Anreize setzen. Wir werden schrittweise und berechenbar vorgehen, damit sich Bürger und Unternehmen darauf einstellen können. Wirtschaftspolitik für mehr Arbeitsplätze hat als zentrale Aufgabe die Förderung des Mittelstandes. Kleine und mittlere Unternehmen schaffen Arbeitsplätze, und sie tragen die Hauptlast der beruflichen Bildung. Da reicht es nicht, nur von der Mittelstandsförderung zu reden. Die Bilanz der Bundesregierung ist erschreckend: Die Zahl der Unternehmenskonkurse steigt. 1997 hatten wir wieder einen neuen traurigen Pleitenrekord. Die Eigenkapitalausstattung der kleinen und mittleren Unternehmen sinkt beständig. Der Anteil des Selbständigen ist im internationalen Vergleich zu gering. Die SPD wird die Mittelstandspolitik nach der Bundestagswahl in den Vordergrund stellen. Gerhard Schröder hat sein Mittelstandsprogramm vorgelegt. Es ist auf der Basis zahlreicher Diskussionen und Foren erarbeitet worden, die wir in allen Teilen des Landes mit Handwerkern und Managern, mit Verbänden und Kammern, mit Wissenschaftlern und Unternehmensberatern geführt haben. Dabei hat sich gezeigt: Der Mittelstand fühlt sich durch diese Bundesregierung nicht mehr vertreten. Unser Angebot zum Dialog ist auf breite Resonanz gestoßen, und wir werden diesen Dialog mit dem Mittelstand fortsetzen, um unsere Politik an den Bedürfnissen der Praxis messen zu lassen. Wir werden die Mittelstandsförderung bündeln und damit eine Schneise in den Dschungel der unübersichtlichen Vielzahl von Förderprogrammen schlagen. Wir werden für einen besseren Zugang des Mittelstandes zu öffentlichen Aufträgen sorgen. Wir werden die Außenwirtschaftspolitik stärker auf den Mittelstand ausrichten. Die Förderung von Existenzgründungen steht dabei ganz oben auf der Tagesordnung. Jede Existenzgründung schafft im Schnitt 2 bis 6 Arbeitsplätze. Für den Start in die Selbständigkeit fehlt es in der Regel nicht an den Ideen, sondern am Startkapital. Dabei ist genügend Anlagekapital vorhanden. Wir Sozialdemokraten sagen deshalb: Besser in neue Ideen und Unternehmen investieren als in Beton und Boden. Die steuerrechtlichen Rahmenbedingungen für die Bereitstellung von Wagniskapital müssen deshalb verbessert werden. Es ist höchste Zeit, sich der Gestaltungsaufgabe in der Wirtschaftspolitik zu stellen. Die SPD-geführte Bundesregierung wird dies nach der Bundestagswahl tun. Politik im nationalen Rahmen reicht dafür nicht aus. Heute werden etwa 70 Prozent aller wirtschaftsrelevanten Vorschriften in Brüssel erlassen. Deshalb möchte ich noch mal bekräftigen, was Oskar Lafontaine gesagt hat: Wir brauchen eine stärkere Kooperation auf internationaler Ebene. Diese Erkenntnis setzt sich durch, viele reden davon, Regelwerke müßten her, neue Spielregeln, Kooperation. Das ist wichtig für Europa und seine Chancen, einen Beitrag zu fairem Welthandel zu leisten. Die Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik auf europäischer Ebene muß verbessert werden. Wir werden die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in den Mittelpunkt der Europapolitik stellen. Wer wie Herr Rexrodt einer nationalen Beschäftigungspolitik das Wort redet, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Rolf Kutzmutz (PDS): Wir haben vorhin einen mehr oder weniger überzeugenden Wahlkampf auftritt vernommen. Aber, Herr Minister Rexrodt, liegt es wirklich nur am mangelnden Verständnis vieler Menschen für ihre Politik oder sind es deren Ergebnisse, die nach einem Politikwechsel verlangen lassen? Ich erinnere Sie an das Sprichwort: Der Ruhm vieler Propheten beruht auf dem schlechten Gedächtnis ihrer Zuhörer. Das gilt für den Bundeswirtschaftsminister und seinen Kabinettskollegen, deren Wachstumsprognosen - und damit deren Auswirkungen auf Arbeitsplätze, Steuern und Staatsausgaben - sich bekanntlich seit Jahr und Tag in ihrer Wahrscheinlichkeit mit denen der DDR-Plankommission messen können. Die tatsächlichen Ergebnisse der praktischen Politik beider Gremien will ich gar nicht erst vergleichen. Das gilt allerdings auch für die Sozialdemokraten. Vor genau elf Monaten war ein von mir ansonsten sehr geschätzter Kollege von seiner Fraktionsspitze verdonnert worden, hier einen grundlegenden wirtschaftspolitischen Antrag der PDS rhetorisch zu demontieren. So geißelte er unsere Zweifel an der allgemeinen Euphorie über die Globalisierung und beschwor für die SPD - unter dem Beifall der F.D.P. - deren Willen zur Internationalisierung der Waren- und Kapitalströme, weil - ich zitiere aus dem Plenarprotokoll - „wir der festen Überzeugung sind, daß die komparativen Kostenvorteile und die komparativen Vorteile unterschiedlicher Standorte genutzt und umgesetzt werden müssen". Ob er diesen Schwur - zumindest auf die Kapitalströme bezogen - heute wiederholen würde, wage ich zu bezweifeln. Schließlich ist die momentane Entwicklung an den Börsen schon mehr als eine Korrektur; das ist in der Nähe eines Crashs, meint zumindest der in diesen Dingen gewiß kompetente Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter. Dem vorhin zitierten verehrten Kollegen Hiksch gestehe ich in diesem Zusammenhang ja gern zu, daß er in der erwähnten Debatte sich für die Idee einer Tobin-Steuer stark machte, sie als fortschrittliche, also sozialdemokratische, Wirtschaftspolitik bezeichnete. Nur scheint der SPD jener Fortschritt in den letzten elf Monaten abhanden gekommen zu sein. Das Projekt Tobin Tax findet sich in keinem der zahlreichen sozialdemokratischen Programme seit letztem Oktober. Ja, selbst die SPD bügelte eine solche Initiative der PDS - die Bündnisgrünen zogen dann bekanntlich auch noch nach - im Bundestag sogar noch ab. Wenn ein Kanzler Schröder aber mit den morschen Krücken eines Kanzlers Kohl auf das bebende weltwirtschaftliche Parkett will, dann kann ich nur sagen: Hals- und Beinbruch! Wenn wir demokratische Sozialistinnen und Sozialisten im Vorjahr wie auch heute wieder anmahnen, Regionalisierung des Wirtschaftens in den Mittelpunkt der Politik - von den Steuern bis zur Fördermittelvergabe - zu stellen, dann fühlen wir uns natürlich durch die Börsen bestätigt. Viel wichtiger ist aber, daß nur so dauerhafte neue Arbeitsplätze tatsächlich entstehen, daß nur so die Binnennachfrage als wichtigstes Lebenselexier jeder Volkswirtschaft angekurbelt und daß nur so der mit Rücksicht auf die künftigen Generationen überlebenswichtige ökologische Umbau endlich ernsthaft begonnen wird. Mit Aufmerksamkeit habe ich registriert, daß die Sozialdemokraten für ihre Version des heute anberatenen Bundeshaushaltes ein 100 000-SonnendächerProgramm versprechen. Ich erinnere mich noch allzu gut daran, daß in den vergangenen Haushaltsberatungen solche Vorschläge, die Arbeit bringen und Umwelt schonen, keineswegs zum Repertoire sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik, wohl aber dem der PDS gehörten. Im Gegenteil: Noch für den Haushalt 1998 vereinten Sie sich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, bei der von uns vorgeschlagenen drastischen Aufstockung der Fördermittel zur Nutzung erneuerbarer Energien trotz gesicherter Gegenfinanzierung in ihrer Ablehnung zur übergroßen Koalition mit CDU/CSU und F.D.P. Damit Sie nach dem 27. September nicht an programmatischem Gedächtnisschwund leiden, werden wir von der PDS Ihnen dann aber gern auf die Sprünge helfen. Und den Bündnisgrünen sicher auch - falls sie dann, anders als im Vorjahr, im Ausschuß mal da sein sollten. Diese Hilfestellung durch uns scheint mir auch bei einem weiteren unverzichtbaren Projekt der beiden selbsternannten Garanten für einen Wechsel vonnöten: dem Ausstieg aus der Atomenergie. Herr Schröder will zwar nur im Konsens, Herr Fischer und die Seinen zwar erst mal nur über Länderhoheit beim Atomgesetz - aber immerhin versprechen beide, damit zu starten. Wenn es ihnen ernst ist - und zumindest für die Bündnisgrünen dürfte es ja eine Existenzfrage sein -, dann starten sie nicht nur, sondern landen sie gleich: beim sofortigen Ausstieg. Nimmt man alle AKW vom Netz, so geht in Deutschland wegen der vorhandenen Überkapazitäten dennoch keine Lampe aus. Andererseits müßte mittlerweile jeder begriffen haben, daß beispielsweise Transrapid und Expo 2000 wirtschaftlich folgen-, aber finanziell bodenlose Prestigeprojekte sind. Statt solche weiter zu päppeln, nehmen Sie 7 bis 11 Milliarden Mark, und finden Sie damit die Stromgiganten ab! Mehr können diese nach seriösen Untersuchungen, zum Beispiel des DIW, auch im schlimmsten Falle nicht als Entschädigung verlangen. Mit diesen maximal 11 Milliarden Mark öffentlicher Gelder würden schließlich zugleich rund 100 Milliarden privaten Kapitals mobilisiert - zum Abbau und konventionellen Ersatz für die dann 26 Atomruinen in Deutschland. So hätten nicht nur die gigantischen, bisher steuerfreien Rückstellungen der Energiekonzerne endlich ihren Sinn gefunden. Das wäre vor allem ein weiteres echtes Zukunftsinvestitionsprogramm, in Arbeitsplätze und Umwelt gleichermaßen. Darüber hinaus mit einer Effizienz von Steuergeldern, die - gemessen an Ostseewerften Lenna oder Dow Chemical - geradezu traumhaft günstig ist. Schlagen Sie bei dieser Aufgabe also nicht nur Schaum - machen Sie Nägel mit Köpfen! Allerdings habe ich sowohl nach dem wohlfeilen Verlautbarungswahlkampf der letzten Wochen als auch nach dem heutigen Tag allerdings meine Zweifel. Es nützt weder das „Weiter so" der Koalition noch ein „Vieles wird neu - aber nichts wird anders" der SPD. Arbeit und soziale Gerechtigkeit sind ohne Umverteilung auch des Reichtums nicht zu machen. Dr. Barbara Höll (PDS): Die heutige Debatte wird ihrem Anspruch gerecht: Wir diskutieren den letzten Kohl/Waigel-Haushalt, sprich kw-Haushalt. Das bedeutet in der Kürzelsprache des Haushalts „kann wegfallen" . Die Debatte hat eindeutig belegt, daß die Vertreter der CDU/CSU und F.D.P. nur verbal die Grundprobleme der bundesdeutschen Gesellschaft zur Kenntnis nehmen. Sie habe heute nicht eine neue Idee zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit, der Beseitigung der Lehrstellenmisere und der zunehmenden sozialen Ungerechtigkeit vorgestellt. Ihre alten Konzepte, an denen sie krampfhaft festhalten, können Sie noch so schön-färberisch versuchen darzustellen, es wird immer deutlicher, Ihre Politik bedient die wirklich Vermögenden und spaltet die Gesellschaft immer stärker in oben und unten, in arm und reich. Da wir als demokratische Sozialistinnen und Sozialisten in den letzten Jahren bereits vielfältige Vorschläge zu den angesprochenen Hauptproblemen in den Bundestag eingebracht haben und diese auch über die Konzepte von SPD und Bündnisgrünen hinausgehen, möchte ich mich jetzt auf unser Konzept zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit konzentrieren. Die PDS fordert zum einen die substantielle Verkürzung der Arbeitszeit. Heute und in Zukunft wächst die Produktivität dank moderner Technologien so schnell, daß immer weniger Menschen in immer kürzerer Zeit immer mehr Produkte und bezahlte Dienstleistungen herstellen können. Diese Entwicklung kann niemand aufhalten. Sie ist sogar eine große Chance. Aber wir ziehen daraus die Folgerung: Wenn dem so ist, dann sollen alle mehr Freizeit haben - nicht die einen steigenden Leistungsdruck, massenhaft Überstunden und die anderen Arbeitslosigkeit oder unsichere und nicht sozialversicherte stundenweise Jobs. Die moderne Entwicklung verlangt geradezu nach einer gerechteren Verteilung der Arbeit. Das geht nur über Arbeitszeitverkürzung. Die PDS hält es zum anderen in absehbarer Zeit selbst bei Arbeitszeitverkürzung für unmöglich, daß die Privatwirtschaft und der öffentliche Dienst in der Lage sind, fünf bis sieben Millionen Arbeitsplätze - so viele fehlen in Deutschland - zusätzlich zu schaffen. Daraus ziehen wir die Folgerung: Neben Privatwirtschaft und Staatsdienst wird in der Wirtschaft ein dritter Sektor gebraucht, nicht mit ABM, sondern mit normalen Beschäftigungsverhältnissen. Das ist ein Wirtschaftssektor, in dem nicht der Profit das eigentliche Ziel ist - die Amerikaner nennen so etwas Nonprofit-sector -, sondern in dem viele der humanitären, ökologischen, kulturellen, sozialen Aufgaben bewältigt werden, die heute zum großen Teil unerledigt bleiben. Die Unternehmen dieses Sektors müßten 25 bis 30 Prozent Zuschuß zu dem erhalten, was sie selbst erwirtschaften. Aber damit wäre das Geld weit sinnvoller angelegt als gegenwärtig zur Finanzierung von Arbeitslosigkeit, die jährlich 180 Milliarden DM verschlingt. Die PDS drängt zum dritten darauf, die sogenannten Lohnnebenkosten durch eine Wertschöpfungsabgabe zu ersetzen. Gegenwärtig ist es so, daß die Unternehmen die Lohnnebenkosten nach der Zahl der Beschäftigten und der Höhe der Bruttolöhne zu zahlen haben. Je weniger Mitarbeiter und je geringere Bruttolöhne, desto weniger werden sie zur Kasse gebeten. Anders gesagt: Entlassungen und Lohnminderungen werden belohnt. Wir wollen, daß die Unternehmen nach der Höhe des Betriebsergebnisses, des Gewinns und der Wertschöpfung ihren Beitrag leisten sollen, unabhängig von der Zahl der Beschäftigten und der Bruttolöhne. Betriebe mit hoher Wertschöpfung und wenig Beschäftigten - Banken, Versicherungen, hochautomatisierte Fabriken - müßten dann mehr zahlen als bisher, Klein- und Mittelbetriebe mit relativ geringer Wertschöpfung und vielen Mitarbeitern dagegen weniger. Das wäre gerechter als die bisherige Lösung und würde vor allem die Schaffung von Arbeitsplätzen und nicht ihre Vernichtung belohnen. Beispielsweise könnte der Kleinhändler an der Ecke leichter eine Verkäuferin einstellen, ohne befürchten zu müssen, daß ihn die Lohnnebenkosten überfordern. Das sind nur drei wichtige Aspekte des PDS-Konzepts zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit. Es geht dabei natürlich auch um die gerechte Verteilung der Arbeit zwischen Männern und Frauen, um Ökologie, um die Wende zu einer nachhaltigen, zukunftsfähigen Wirtschaft, kurz: um das Anpacken der wichtigsten Probleme, die von der modernen Entwicklung der Produktivkräfte aufgeworfen werden. Die PDS steht für soziale Gerechtigkeit ohne Wenn und Aber. Wir wollen Armut bekämpfen, indem wir Reichtum begrenzen, nicht Arme ausgrenzen. Dazu bedarf es natürlich des politischen Willens zu einer gerechten Umgestaltung des Steuer- und Abgabensystems, unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Wir haben diesen Willen und sind deshalb auch nicht wie die anderen Parteien pessimistisch, die wegen angeblicher Sachzwänge den gegenwärtigen Zustand für alternativlos halten. Wir sehen klare Alternativen. Das betrifft nicht nur die Überzeugung, daß Massenarbeitslosigkeit und soziale Unsicherheit überwunden, eine sozial-ökologische Wende zur Nachhaltigkeit eingeleitet werden können. Das drückt sich auch direkt in den Forderungen für die Jugend aus, genauer gesagt, in den Forderungen der Jugend, die sich die PDS insgesamt zu eigen gemacht hat. Wir vertreten konkrete Vorschläge für die Überwindung von Ausbildungsplatzmangel und Jugendarbeitslosigkeit, für das verfassungsmäßige Recht auf berufliche Erstausbildung, für die Modernisierung der Berufsausbildung, für gleiche Bildungschancen aller Kinder und Jugendlichen, egal welcher Herkunft, aus welchen sozialen Verhältnissen. Wir wollen eine demokratisch reformierte Hochschule ohne Studiengebühren und Zwangsexmatrikulationen. Wir fordern Räume und Freiräume für die Jugendlichen, zum Beispiel ganz konkret für jeweils 1000 Jugendliche einen Jugendclub, den sie selbst gestalten können. Vor allem aber: Junge Menschen sollen selbst Politik machen, ihre Sichtweisen einbringen, ihre Interessen wahrnehmen. Deswegen unterstützt die PDS Kinder- und Jugendparlamente mit realen Mitwirkungsrechten, Jugendinitiativen und alternative Jugendprojekte. Die PDS ist die einzige Partei, die konsequent und umfassend ostdeutsche Interessen und ostdeutsches Selbstbewußtsein vertritt. Wir jammern nicht, und wir fordern nicht, daß Ostdeutschland noch mehr Geld bekommen müßte. Wir fordern, daß die Ostdeutschen endlich mehr geben können: durch mehr Arbeitsmöglichkeiten, dadurch, daß der große Wert ihrer anderen Lebensläufe und anderen Erfahrungen für die ganze Republik genutzt wird, durch Gleichberechtigung und durch reale Mitwirkungsmöglichkeiten an der Gestaltung des Gemeinwesens. Wir wollen nicht, daß die neuen Bundesländer zur Peripherie Deutschlands werden, zu einer Art Süditalien, mit Massenarbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit für Frauen und junge Leute, vermindertem Eigentumsschutz, diskriminierenden Rentenregelungen und Einstellungsbarrieren. Wir wollen, daß der Osten endlich als Chance begriffen wird. Dabei geht es uns nicht nur um die Region, sondern um dauerhaften Nutzen für das ganze Land. Denn wenn der Osten nicht auf eigene Füße kommt, wird der Westen schnell in Atemnot geraten. Es zeigt sich doch immer deutlicher: Die Schwierigkeiten des Ostens sind nur die zugespitzten Probleme des Westens. Bisher war der Osten das Experimentierfeld für Sozialabbau, Einschränkung demokratischer Rechte, Knebelung der kommunalen Selbstverwaltung. Wir sagen: Wenn schon Experimentierfeld, warum dann nicht für den Einstieg in eine neue, sozial gerechte und ökologisch verantwortliche Politik, ohne die es ohnehin für ganz Deutschland keine lebenswerte Perspektive gibt! Deshalb schlägt die PDS für die neuen Bundesländer mit dem „Rostocker Manifest" ein Pilotprojekt Ost „Gerechtigkeit und Entwicklung" vor. Es ist das einzige wirklich alternative, umfassende Programm, das von der Wirtschaft über die Eigentumsfragen bis zu modernen Demokratievorstellungen und zur Wissenschaft und Kultur den gesamten gesellschaftspolitischen Bereich erfaßt, dem Nutzen der ganzen Republik dient und die Chance bietet, die neuen Bundesländer zu einer europäischen Zukunftsregion zu entwickeln. All das hat nichts mit Ostalgie zu tun. Unser Verhältnis zur Vergangenheit, zur DDR ist klar: Wir werden nicht zulassen, daß die Leistungen der Menschen in der DDR gering geschätzt, ihre Biographien verachtet werden. Wir werden aber auch jeder Verklärung der DDR entgegentreten; denn schließlich ist sie wegen ihrer großen Defizite an Demokratie und Emanzipation gescheitert, und niemand will dorthin zurück. Die SED hat früher alles in der DDR hochgejubelt. Die Bundesregierung versucht heute, alles in den Dreck zu treten. Wir bleiben bei einer differenzierten Bewertung und werden uns weiter darum bemühen. Die demokratischen Sozialistinnen und Sozialisten erwiesen sich als die konsequenteste Opposition der Regierung Kohl. Die konsequent kritische Haltung werden wir beibehalten. Egal, ob rotgrüne oder große Koalition, kritischer Druck von links ist auch im 14. Deutschen Bundestag bitter nötig. Wir werden uns dieser Aufgabe stellen.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Jürgen Rüttgers


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute über den Haushaltsplan 1999. Wir reden auch darüber, was in den letzten vier Jahren erreicht wurde und was in den nächsten vier Jahren geschehen muß.
    Wenn ich die bisherige Debatte auf mich wirken lasse, dann stelle ich fest, daß - bei allen Versuchen von der linken Seite des Hauses, so manches zu vernebeln - doch eines klar geworden ist: Es gibt zwei sehr unterschiedliche Ansätze der Politik in der Frage, wie neue Arbeitsplätze entstehen. Der linken Seite des Hauses geht es immer um das Verteilen: bei den Arbeitsplätzen, bei den Steuern, bei den Ausbildungsplätzen. Demgegenüber denkt die Koalition darüber nach, wie neue Arbeit geschaffen werden kann: durch eine konsequente Standortpolitik und durch eine offensive Innovationspolitik.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das ist der große Unterschied, um den es am 27. September auch geht.
    Nun würde man ja gerne darüber diskutieren, mit welchen konkreten Schritten das geschehen soll. Aber in Deutschland weiß beim besten Willen keiner, was Herr Schröder eigentlich will. Er weiß noch nicht einmal, wer in seinem Schatten- bzw. Gruselkabinett zuständig ist für Forschung und Technologie. Ist es Herr Stollmann, oder ist es Frau Bulmahn? Frau Bulmahn hat selber schon öffentlich darüber geklagt, sie wisse nicht, wofür sie eigentlich zuständig sein solle.

    (Edelgard Bulmahn [SPD]: Das ist falsch!)

    Herr Kollege Friedhoff, Sie haben schon recht: Herr Stollmann ist ein interessanter Fall. Er ist gegen Betriebsräte, er ist gegen Ladenschlußgesetze, er ist gegen Kohlesubventionen, er ist gegen staatliche Steuerung, er ist gegen die Rücknahme der Wirtschaftsreformen. Wenn das Modell Stollmann Grundlage eines Bündnisses für Arbeit werden sollte, dann wird der DGB an den 8 Millionen DM, die er jetzt in den Wahlkampf für die SPD steckt, noch hart zu knabbern haben. Ich jedenfalls würde dem DGB empfehlen, aus den 8 Millionen DM in letzter Minute noch eine Rücklage zu machen. Denn spätestens dann, wenn es eine rotgrüne Regierung gäbe, müßte der DGB eine Ausbildungsplatzabgabe zahlen. Denn im vergangenen Jahr hat er ja nur einen Lehrling ausgebildet.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, die Diskussion heute hat am Punkt Ausbildungsplatzabgabe ganz deutlich gezeigt: Sie wird eingeführt, wenn Rotgrün an die Macht kommt. Man hat versucht zu kalmieren; im Startprogramm der SPD wird sie verschwiegen. Aber Lafontaine hat heute morgen klar gesagt: Mit der SPD gibt es eine Ausbildungsplatzabgabe.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Nein! Das hat er nicht gesagt!)

    Mir aber hat noch nie jemand erklären können, warum ein Bäckermeister eine Ausbildungsplatzabgabe zahlen soll, wenn er keinen Lehrling findet.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir brauchen in diesem Jahr 645 000 Lehrstellen; das sind 10 000 Lehrstellen mehr als im vorigen Jahr. Wir haben gestern von der Bundesanstalt für Arbeit gehört, uns fehlen derzeit noch 20 000 Lehrstellen. Nicht dazugesagt wurde: Das sind 15 000 weniger als zur gleichen Zeit im vorigen Jahr. Diese Stellen werden wir - das hat die Entwicklung in all den letzten Jahren gezeigt - in den nächsten Wochen und Monaten mit Sicherheit noch bekommen. Alleine bei den Industrie- und Handelskammern sind bis Ende Juli bereits 7,2 Prozent mehr Ausbildungsverträge einge-

    Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
    tragen als im Vorjahr. Das heißt im Klartext - da können Sie sagen, was Sie wollen -: In diesem Jahr wird es erneut keine Lehrstellenkatastrophe geben.
    34 neue Berufe, Änderung der Ausbildereignungsverordnung, 4 Prozent mehr Lehrstellen bei der Bundesverwaltung, Sonderprogramm Ost - all das sind konkrete Schritte für junge Leute, die eine Lehrstelle suchen, während der SPD wiederum nur Bürokratie und zusätzliche Abgaben einfallen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Bei der Forschung das gleiche Bild: Die SPD jammert und klagt - und übersieht, daß Deutschland längst zum Innovationsstandort Nummer eins in Europa geworden ist. Mit 15,4 Milliarden DM steigt der Haushalt für Forschung und Bildung im nächsten Jahr um 0,5 Milliarden DM. Er liegt damit, trotz der Rückführung der Staatsquote auf 48 Prozent, die notwendig war, um 200 Millionen DM über dem Volumen des Haushaltes 1994. Bis zum Jahr 2002 wird er gegenüber dem Finanzplan 1997 um mindestens weitere 2,2 Milliarden DM steigen.
    Das heißt, wir können im Bereich Forschung und Technologie auch im Aufbau Ost weiterhin eine Priorität setzen - im nächsten Jahr eine erneute Steigerung, von 3,1 Milliarden DM auf 3,2 Milliarden DM. Wir können bei der erkenntnisorientierten Grundlagenforschung mit einem Anteil von knapp 30 Prozent im internationalen Vergleich weiter an der Spitze liegen. Wir können die Projektförderung um 8,5 Prozent steigern, die institutionelle Förderung um 2,6 Prozent.
    Meine Damen und Herren, neben dem staatlichen Sektor geht es jetzt Gott sei Dank auch im privaten Forschungssektor wieder bergauf. Ich kann Ihnen dazu einige neue Zahlen nennen: Nach den jüngsten Unternehmensmeldungen sind die Ausgaben der deutschen Wirtschaft für Forschung und Entwicklung im vergangenen Jahr gegenüber 1995 um mehr als 10 Prozent gestiegen. Auch beim Forschungspersonal gibt es eine Trendwende. Nachdem die Zahlen 1996 noch gesunken sind, gab es 1997 wieder einen deutlichen Anstieg um 3 Prozent.
    Deutschland ist im Bereich Forschung und Innovation auf dem Vormarsch. Das läßt sich mit Fakten belegen; darüber braucht man nicht groß zu reden.

    (Ottmar Schreiner [SPD]: Hurra!)

    - Sie können von mir aus „Hurra!" brüllen; ich habe überhaupt nichts dagegen. Forschung und Innovation sind nämlich wichtig für neue Arbeitsplätze und die Zukunft dieses Landes. Das kann man, verehrter Kollege Schreiner, inzwischen als großer Schreier in diesem Hause öffentlich bekannt, auch durch Schreien nicht negieren.
    Die Anzahl der Bio-Tech-Firmen hat sich innerhalb von zwei Jahren vervierfacht. Die Anzahl neuer Multimedia-Unternehmen hat sich pro Jahr verdreifacht. In Deutschland wurden im vergangenen Jahr erstmals mehr PCs als Autos verkauft, und wer die deutsche Seele kennt, der weiß, was das heißt. Wir liegen in der Umwelttechnik mit 18,7 Prozent am Weltmarkt wieder auf Platz eins. Bezüglich der Weltmarktpatente liegen wir vor Japan und den USA. Wir haben mit drei neuen Solarzellenfabriken und 50 Megawatt jährlicher Produktionskapazität den Vorstoß in die Weltspitze erreicht; die USA haben zur Zeit 39 Megawatt. Inzwischen werden in der Informationswirtschaft 90 000 Leute gesucht. Die Plätze können nicht besetzt werden, weil die Ausbildung nicht nachgekommen ist.
    Meine Damen und Herren, mir ist inzwischen klar, warum im „Time Magazine" wieder vom „German miracle", dem deutschen Wirtschaftswunder, gesprochen wird. Mir ist klar, warum auf dem amerikanischen Innovationsgipfel in Sachen Innovation, Technologie und Forschung vor der deutschen Konkurrenz gewarnt wird. Ich glaube, daß es für dieses deutsche Innovationswunder nur eine einzige Gefahr gibt, nämlich daß Schröder die Gelegenheit bekommt, das, was er in Niedersachsen gemacht hat, in ganz Deutschland zu wiederholen. Das ist die einzige Gefahr.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    High-Tech-Unternehmensgründungen: Niedersachsen liegt, verglichen mit den anderen Bundesländern, an letzter Stelle. In keinem Land gibt es weniger Unternehmensgründungen im High-Tech-Bereich als in Niedersachsen. Patentanmeldungen: Niedersachsen liegt auf dem drittletzten Platz der westdeutschen Flächenländer, darunter liegen nur noch das Saarland und Schleswig-Holstein. Hochschulausgaben: Niedersachsen liegt auf dem vorletzten Platz aller Bundesländer. 31,28 DM - Sie haben richtig gehört: ganze 31,28 DM - pro Jahr und Kopf ist Herrn Schröder der Hochschulbau wert. Lehrstellen: Auf 100 Bewerber kamen nur 95 Lehrstellenangebote. Das ist die schlechteste Relation in den alten Ländern.
    Der Mann ist eben ein Innovationsrisiko ersten Ranges.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Daß er von Kultur keine Ahnung hat, konnten wir am Sonntag im Fernsehen sehen, als er mit ReichRanicki diskutiert hat. Er hat aber auch von Forschung und Innovation keine Ahnung. Jüngst hat er gefordert, wir müßten etwas beim Risikokapital tun. Der Mann hat einfach nicht mitbekommen, daß 1997 in Deutschland 71 Prozent aller Seed-capital-Finanzierungen Europas bereitgestellt wurden. Er hat nicht mitbekommen, daß 1997 mehr als 450 Millionen DM an Kapitalbeteiligungen für kleine High-TechUnternehmen durch das BTU-Programm mobilisiert wurden - Tendenz steigend: dieses Jahr 750 Millionen DM, nächstes Jahr über 1 Milliarde DM. Er hat nicht mitbekommen, daß ausländische Investoren den Standort Deutschland für Investitionen in Forschung und Technologie wiederentdeckt haben. Er hat nicht mitbekommen, daß junge Leute, die ins Ausland gegangen sind, inzwischen wieder zurückkommen. Es gibt kein Land, meine Damen und Herren, in dem sich in den letzten Jahren so viel in Sachen Innovation getan hat wie in Deutschland.
    Selbst in Sachen Genehmigungen sind wir inzwischen, was keiner geglaubt hat, vorangekommen. Die Dresdner Chip-Fabrik wurde - man höre - in vier

    Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
    Monaten rechtskräftig genehmigt, die neue SiemensFabrik für Medizintechnik in Erlangen in sechs Wochen, die neue Rechnerfabrik von Hewlett Packard bei Böblingen ebenfalls in sechs Wochen. Daß das natürlich wieder in Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen stattgefunden hat, verwundert mich nicht.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Mein Traum wäre jetzt noch, daß das Ganze nicht nur für große High-Tech-Firmen in Deutschland gang und gäbe wird, sondern daß der eben schon angesprochene Bäckermeister für die Erweiterung seiner Backstube überall in Deutschland genau dieselben Genehmigungszeiten bekommt. Das wäre eine riesige Innovation.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Apropos Handwerk: Von den 100 000 jungen Leuten, die jetzt Meister-BAföG erhalten, werden sich 70 000 in den nächsten Jahren selbständig machen. Diese Firmen brauchen wir genauso wie die Technologiefirmen. Wir müssen sie auch genauso behandeln wie jede High-Tech-Investition.
    Es war heute morgen schon spannend, als ich Herrn Lafontaine zum Thema „Meister-BAföG" gehört habe. Das habe ich als zuständiger Minister ja nun höchstselbst gemacht. Wie man so Wahrheit verdrehen oder unter partieller Wahrnehmungsverdrängung leiden kann, habe ich nun wirklich noch nie erlebt.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU - Widerspruch bei der SPD)

    Als ich das Gesetz eingebracht hatte, damals zustimmungspflichtig, ist es an Herrn Lafontaine und Herrn Schröder gescheitert.

    (Vorsitz : Vizepräsidentin Michaela Geiger)

    Erst als ich es zustimmungsfrei wieder eingebracht habe, kam Herr Schröder um die Ecke und hat gesagt: Laßt uns lieber zustimmen, ehe wir nachher auf der Schattenseite der Veranstaltung stehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!)

    Jetzt zu sagen: „Ich habe das gemacht", ist schon ein tolles Stück. Jede Innovation ist der SPD in diesen vier Jahren immer nur unter Zwang abgepreßt worden. Das ist die Wahrheit.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Widerspruch bei der SPD)

    Das gilt übrigens auch für das neue Hochschulrahmengesetz, das Gott sei Dank seit letzter Woche in Kraft ist. Hätten wir das nicht von Anfang an zustimmungsfrei hier im Bundestag beschlossen, wären wir hängengeblieben. Jetzt gibt es mehr Wettbewerb, mehr Freiheit, es gibt mehr Vielfalt und mehr Internationalität für unsere Hochschulen - wieder einmal gegen die SPD, nur mit der Koalition.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, vor einiger Zeit sagte mir ein Aussiedler einen wunderschönen Satz, den ich Ihnen zum Abschluß wiedergeben will - manchmal haben diejenigen, die es von außen betrachten, einen etwas schärferen Blick -: Wissen Sie, Deutschland ist kein Traumland, aber es ist ein Land, in dem man seine Träume verwirklichen kann.
    Daß das so bleibt, dafür werden wir am 27. September sorgen, zusammen mit allen Menschen, die stolz auf dieses Land sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Zurufe von der SPD: Eine schlechte Abschiedsrede! Leeres Geschwätz!)



Rede von Michaela Geiger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rudolf Dreßler, SPD-Fraktion.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Rudolf Dreßler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Entwurf eines Bundeshaushaltes, den die Wählerinnen und Wähler alsbald der Kategorie „Makulatur" zuordnen werden, lohnte die sozialpolitische Auseinandersetzung drei Wochen vor Neuwahlen eigentlich nicht.

    (Beifall bei der SPD)

    Man könnte über ihn hinweggehen. Daß das diesmal anders ist, liegt daran, daß er den vorläufigen Endpunkt einer Entwicklung markiert, die auf eine tiefgreifende Veränderung unserer Gesundheitsversorgung und der Rentenversicherung abzielt.

    (Dr. Renate Hellwig [CDU/CSU]: Nur keine Veränderung, Herr Dreßler!)

    Es ist auch deshalb anders, weil dieser Haushaltsentwurf das indirekte Versprechen der noch amtierenden Koalition enthält, mit dieser Veränderung fortzufahren, wenn Wählerinnen und Wähler sie lassen würden.
    Verändert werden soll nämlich die solidarische Absicherung gesundheitlicher Risiken. An ihre Stelle soll deren weitestmögliche Privatisierung treten. Verändert werden soll die hälftige Finanzierungsverantwortung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. An ihre Stelle soll die ausschließliche oder überwiegende Finanzverantwortung der Arbeitnehmer treten. Verändert werden soll der sozial gerechte Ausgleich zwischen Gesunden und Kranken. An seine Stelle soll eine stärkere Belastung ausschließlich der Kranken treten. Verändert werden soll die Schutzwirkung starker Sozialversicherungssysteme für alle. An ihre Stelle soll peu à peu das individualisierte Versicherungsverhältnis für den einzelnen treten. Verändert werden soll die Akzeptanz unserer Rentenversicherung; statt Sicherheit immer größere Zweifel in die Leistungsfähigkeit dieser Rentenversicherung.
    Das alles, meine Damen und Herren, läßt sich belegen. Die Stichwörter dazu liefern die Regelungen des sogenannten Beitragsentlastungsgesetzes der Bundesregierung, des 1. und des 2. sogenannten GKV-
    Neuordnungsgesetzes, die Kürzungen des zugesi-

    Rudolf Dreßler
    cherten Rentenniveaus, die radikalen Einschnitte in die Erwerbsunfähigkeitsrente. Diese Regelungen zeigen: CDU/CSU und F.D.P. haben das Ziel einer solidarisch organisierten Gesundheitssicherung - das ist eine qualitativ hochstehende Gesundheitsversorgung für alle, unabhängig vom Einkommen und zu tragbaren Preisen - aufgegeben.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Meine Damen und Herren, die Regierung Kohl hat auch eine ausreichende Rentenhöhe aufgegeben. Die Veränderungen, die CDU/CSU und F.D.P. in den vergangenen Jahren bereits durchgesetzt haben und noch weiter durchsetzen wollen, wenn die Wählerschaft sie läßt,

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Tut sie nicht!)

    werden die soziale Krankenversicherung zerstören. Genau das ist auch die eigentliche Absicht.

    (Beifall bei der SPD Dr. Uwe Küster [SPD]: Leider!)

    Die Koalition hat sich angeblich die Stabilisierung der Krankenversicherungsbeiträge zum Ziel gesetzt. Schön wäre es ja, wenn sie es nach 16 Regierungsjahren endlich täte.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Aber sie tut es nicht. Statt dessen veranstaltet sie Schwindelmanöver, zum Beispiel beim Zahnersatz. CDU/CSU und F.D.P. setzen durch, daß nach 1978 Geborene nie mehr in ihrem Leben auch nur einen Pfennig an Zahnersatzleistungen von ihrer Krankenkasse erhalten werden, selbst wenn sie 100 Jahre alt werden sollten.

    (Zuruf von der SPD: Unglaublich!) Was machen die betroffenen Menschen?


    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sie wählen SPD!)

    Es handelt sich ja um Familien mit Kindern. Wenn sie verhindern wollen, daß ihre Kinder später einmal ohne Versicherungsschutz beim Zahnersatz dastehen, bleibt ihnen nur eines: Sie müssen dieses Risiko bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen zusätzlich zu ihrem Krankenkassenbeitrag versichern, sofern sie dazu finanziell in der Lage sind. Ich frage, wo für die Betroffenen der Beitrag eigentlich stabilisiert und wo gespart worden ist.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Die Wahrheit ist, daß nicht nur nichts gespart worden ist, sondern daß die Betroffenen in der Summe noch höhere Beiträge als je zuvor zu zahlen haben.

    (Zuruf von der SPD: So ist es!)

    Die sogenannte Stabilisierung von Gesundheitsausgaben in der Arzneimittelversorgung läuft nach ähnlichem Muster ab: CDU/CSU und F.D.P. haben die Selbstbeteiligung in bis vor kurzem unvorstellbare Höhen getrieben. 9 DM, 11 DM, 13 DM je Pakkung bedeuten in der täglichen Praxis, daß die Patienten einen guten Teil - in manchen Indikationsbereichen bis zu 80 Prozent - der Arzneimittelversorgung ganz allein zu bezahlen haben.

    (Zustimmung bei der SPD Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    - Bei diesem Sachverhalt gibt es einen Abgeordneten der CDU/CSU, der nichts anderes tut, als sich darüber lustig zu machen. Das muß man sich vergegenwärtigen.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie kassieren bei Patienten ab und lachen sich hier im Bundestag einen Ast. Was Sie hier tun, ist so schäbig, Herr Abgeordneter. Sie sollten sich schämen, sich auch noch darüber lustig zu machen, daß Sie bei Patienten abkassieren.

    (Beifall bei der SPD und der PDS)

    Das ist noch nicht einmal Pseudostabilität in der Krankenversicherung, das ist politische Roßtäuscherei.
    Auch sollten Sie Ihren berühmten Satz von der Eigenverantwortung der Leute wirklich einmal einen Augenblick bedenken.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ist der im Schattenkabinett?)

    Heißt das mit anderen Worten, daß ein Krankenversicherter, der nach unseren gesetzlichen Regeln bis zu 11000 DM im Jahr an Krankenversicherungsbeitrag leisten muß, keine Eigenverantwortung zeigt und keine Eigenvorsorge betreibt? Wie behandeln Sie eigentlich Menschen, die so viele Tausende von Mark in die Krankenversicherung einzahlen? Sie tun so, als hätten diese Menschen keine Eigenverantwortung. Es ist unglaublich, wie Sie sich hier benehmen.

    (Beifall bei der SPD Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Der Bundesgesundheitsminister, der diesen Kurs der Entsolidarisierung und Krankenbestrafung anger steuert und zu verantworten hat, gefällt sich heute in der Rolle eines angeblichen Retters der Patienteninteressen. Höhere Zuzahlungen werde es mit ihm nicht mehr geben,

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wer sagt das?)

    hat er 1994 gesagt. Anschließend hat er das Zuzahlungsvolumen mehr als verdoppelt. Wer soll ihm eigentlich heute glauben, wenn er vor Wahlen das gleiche wieder sagt,

    (Zuruf von der SPD: Niemand!)

    zumal die nächsten Zuzahlungserhöhungen durch periodische Dynamisierung und Verknüpfung mit der Beitragssatzerhöhung schon im Gesetz stehen, allerdings erst am 1. Januar 1999 in Kraft treten?

    Rudolf Dreßler
    Die SPD wird bewirken, Herr Seehofer, daß Sie keine Zuzahlungen mehr erhöhen können, weil wir dafür sorgen werden, daß Sie selbst nur noch drei Wochen im Amt bleiben.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ja, es dämmert auch Ihnen langsam, daß Ihre Zeit vorbei ist. Und das ist gut so.

    (Beifall bei der SPD Widerspruch von der F.D.P.)

    Dieser Minister, meine Damen und Herren, der durch seine Gesundheitspolitik die Menschen mit immer höheren Gesundheitsausgaben striezt, ist ja nicht nur für das Gesundheitswesen, sondern auch für die Sozialhilfe zuständig. Nun hat uns Bundesfamilienministerin Nolte in einem ihrer bekannten intellektuellen Höhenflüge mit dem neuen Armutsverständnis dieser Bundesregierung bekannt gemacht.

    (Dr. Uwe Küster [SPD]: Geistige Armut der Bundesregierung! )

    Sinngemäß hat sie gesagt, Armut sei nie allein eine Frage des zu geringen Einkommens, sondern immer auch eine Frage, wie man in der Lage sei, mit geringem Einkommen umzugehen. Intellektuell weniger Begabte als Frau Nolte, also Leute wie ich, neigen dazu, solche Gedankengänge in eine etwas volkstümlichere Sprache zu bringen. In der volkstümlichen Fassung besagt der Satz von Frau Nolte nichts anderes, als daß arm nicht der ist, der zuwenig hat, sondern der, der zu dumm ist, damit umzugehen.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Dieser wahrhaft schändliche Nolte-Satz ist selbst in Wahlkampfzeiten, meine Damen und Herren, unentschuldbar.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS Jörg Tauss [SPD]: So ist sie halt!)

    Er beweist ja nicht nur, daß diese Regierung jeden Kontakt zur Wirklichkeit verloren hat, sondern auch, daß sie bereit ist, um billiger Wahlkampfeffekte willen die Schwächsten in unserer Gesellschaft auch noch verächtlich zu machen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja unglaublich!)

    Wie weit geht Ihre Schamlosigkeit eigentlich, frage ich Sie.
    Da kommt dann der für Sozialhilfe zuständige Herr Seehofer her und setzt noch eins drauf. Er erklärt, die Zahl der Sozialhilfebezieher sei kein Armutsindikator.

    (Bundesminister Horst Seehofer: Das ist doch richtig!)

    - Sagen Sie mal, Herr Seehofer, glauben Sie solchen Quatsch eigentlich selber?

    (Jörg Tauss [SPD]: Ja, der schon!)

    Wenn Sozialhilfebezug kein Beweis für Armut der Betroffenen ist, für was steht er denn? Etwa für ein auskömmliches Leben? Ich weiß ja, daß diese Regierung und insbesondere Herr Seehofer denjenigen, die nicht in ausreichendem Maße für sich selbst sorgen können, ans Leder wollen. Aber dann stehen Sie doch wenigstens dazu und hören Sie auf, finanzielle Hilfsbedürftigkeit von Menschen wider besseres Wissen umzudefinieren!

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Meine Damen und Herren, auch wenn CDU/CSU und F.D.P. das mittlerweile alles vergessen haben:

    (Walter Hirche [F.D.P.]: Sie bauen hier einen Popanz auf, um auf ihn einzuschlagen!)

    Armut beseitigt man dadurch, daß man hilft und sie bekämpft, aber nicht dadurch, daß man sie verleugnet. Das hat überhaupt keinen Zweck.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Armut beseitigt oder bekämpft man im übrigen auch nicht dadurch, daß man das Rentenniveau von 70 auf 64 Prozent zusammenkürzt. Das schafft nämlich immer noch neue Armut.

    (Walter Hirche [F.D.P.]: Bei Willy Brandt 61 Prozent, Herr Dreßler! Das wollen wir mal festhalten!)

    - Ich darf Sie kurz daran erinnern, damit Sie heute noch eine kleine Exkursion mitnehmen: Damals hatten wir die Bruttoanpassung, und damals hatten wir sogar ein Nettorentenniveau von unter 64 Prozent. Dann haben die Regierung Brandt und die Regierung Schmidt das Rentenniveau auf die Höhe von über 70 Prozent gebracht,

    (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Das war ja auch der Höhepunkt der Torheit!)

    die Sie 1982 übernommen haben, meine Damen und Herren. Das wollen wir einmal klarstellen. Biegen Sie also nicht unsere jüngere Geschichte um!

    (Walter Hirche [F.D.P.]: Wir wollen die Beitragsfreiheit, damit Arbeitsplätze entstehen, und Sie verweigern sich!)

    Meine Damen und Herren, noch ein paar Bemerkungen zur Rentenpolitik. Die Rentenpolitik dieser Koalition leidet vor allem an einem: an einem Mangel an Stetigkeit und Verläßlichkeit. Der ist zurückzuführen auf eine beinahe schon hemmungslose Zahlenklempnerei des verantwortlichen Sozialministers. Herr Blüm, wie ist das eigentlich mit der Beitragssatzsenkung auf deutlich unter 20,3 Prozent, die Sie Anfang dieses Jahres für den 1. Januar 1999 in Aussicht gestellt haben? Kommt sie nun, oder kommt sie nicht? Ich will es Ihnen sagen: Sie kommt nicht. Nachdem Herr Blüm selbst schon einräumen mußte, aus dem „deutlich" werde nichts - er redet ja jetzt von 20,2 Prozent -, hat er nun rein zufällig in der Sommerpause folgendes entdeckt: Der aktuelle Beitrag von 20,3 Prozent, den er für die Rentenversicherung im laufenden Jahr festgelegt hat, sei um 0,3 Pro-

    Rudolf Dreßler
    zent zu niedrig angesetzt gewesen, um die gesetzlich vorgesehene Schwankungsreserve zu erfüllen. Also muß nach 1999 nachfinanziert werden. So sieht es das Gesetz vor. Daß das eine SPD-geführte Bundesregierung machen muß, sage ich nur am Rande. Aber das ist die Rentenerblast von Herrn Blüm: eine Ende des Jahres nicht mehr vorhandene gesetzlich vorgeschriebene Schwankungsreserve von 24 Milliarden DM, einer Monatsausgabe. In allen Prognosen wird von maximal 19 Milliarden DM ausgegangen. Das heißt, Norbert Blüm hinterläßt eine 5-MilliardenLücke, die in diesem Haushaltsentwurf nirgendwo gedeckt ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Also: Es müßte nachfinanziert werden. Deshalb prophezeie ich Ihnen: Sie könnten, wenn Sie weitermachen dürften, Herr Blüm, den Rentenbeitragssatz noch nicht einmal von 20,3 Prozent auf 20,2 Prozent senken. Sie würden erhöhen müssen, wenn Sie im Amt blieben. Aber da Sie nicht im Amt bleiben, wird eine sozialdemokratisch geführte Regierung diese Erhöhung verhindern.

    (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Was will denn Herr Riester?)

    - Wir haben nämlich, Frau Dr. Babel, auch wenn Sie es nie begriffen haben, kein Ausgabeproblem in der Rentenversicherung, sondern ein Einnahmeproblem. Ich sage das, damit es ganz klar ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie werden sich, Frau Dr. Babel, an folgendes gewöhnen müssen - auch wenn Sie diesem Hohen Hause nicht mehr angehören -: Egal, ob Walter Riester, Rudolf Dreßler, Ottmar Schreiner oder Ulrike Mascher, wir werden sozialdemokratische Grundsatzpolitik hier mehrheitlich gegen Sie durchsetzen und Ihre Kürzungen korrigieren. Auch das sage ich, damit es völlig klar ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir werden zum Beispiel

    (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Die Steuern erhöhen!)

    das Einnahmeproblem anpacken, indem wir die sogenannten 620-DM-Jobs, die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, sozialversicherungspflichtig machen. Wir werden endlich die Scheinselbständigkeit bekämpfen, die Sie mittlerweile millionenfach in Deutschland haben einführen lassen. Das ist auch ein Einnahmeproblem.

    (Beifall bei der SPD)

    Zurück zur Kürzung des Rentenniveaus: Der erste Schritt soll nach den Beschlüssen von CDU/CSU und F.D.P. am 1. Januar 1999 erfolgen. Das hätte eine Verminderung der Rentenerhöhung zum 1. Juli 1999 von 0,53 Prozent zur Folge. Der Sozialbeirat, also das Beratergremium von Herrn Blüm, prognostiziert in dieser Woche für diesen Fall für 1999 eine Rentennullrunde. Für die Rentner, für die sich der Krankenkassenbeitrag erhöhen würde, ergäbe sich dann sogar ein reales Minus. Ich darf Ihnen sagen, Herr
    Blüm: Auch das wird nicht geschehen, weil eine SPD-geführte Bundesregierung die Senkung des Rentenniveaus unverzüglich rückgängig machen wird. So einfach ist das.

    (Beifall bei der SPD)

    Allein diese beiden Beispiele zeigen: Die Rentenpolitik muß endlich in verläßliche Hände.

    (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Wollen Sie unser Koalitionspartner sein?)

    Sie muß wieder berechenbar werden. Der jetzige Bundesminister, der für die Renten zuständig ist, gehört wahrlich in Rente.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Die Regierung ist nicht nur völlig aus dem Tritt geraten; vielmehr ist sie auch ziellos. Politik als konzeptioneller Gesamtentwurf und Politik als Wertorientierung gibt es schon lange nicht mehr. Unser Land braucht wirklich einen neuen Anfang. In der Sozialpolitik brauchen wir wieder eine klare Zielorientierung statt bloßer Klientelbedienung. Die SPD steht für unsere Sozialsysteme. Wir stehen für die soziale Kranken- und Rentenversicherung. Wir stehen für die Verpflichtung des Staates, für eine bezahlbare und qualitativ hochstehende Gesundheits- und Altersversorgung der Bürger zu sorgen. Deshalb werden wir die Gesundheitsausgaben in einem Korridor von 9 Prozent des Volkseinkommens halten und so den medizinischen Fortschritt weiterhin allen zugänglich machen.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir werden die Gesundheitsvorsorge gleichberechtigt neben die Behandlung von Krankheiten stellen und so die Bekämpfung der Krankheitsursachen endlich ernst nehmen. Wir werden die Finanzierung unserer Krankenhäuser auf eine neue Grundlage stellen und wirtschaftlicher gestalten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist aber eine reaktionäre Sozialpolitik!)

    Wir werden die ärztlichen Honorare an vernünftigen Prinzipien orientieren und endlich dafür sorgen, daß nicht eine immer größer werdende Zahl von zugelassenen Vertragsärzten die finanziellen Grundlagen unserer Krankenversicherung erschüttert. Wir werden den Arzneimittelmarkt neu ordnen und von therapeutischem Unsinn befreien.

    (Beifall bei der SPD Zuruf von der CDU/ CSU: Wundertüte!)

    Wir werden aus der Sozialhilfe wieder ein Instrument zur Armutsbekämpfung statt zur Armutsbestrafung machen, und zwar zur Armutsbekämpfung in besonderen Lebenslagen und nicht als Reparaturbetrieb dieser Gesellschaft.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir werden das Vertrauen in die gesetzliche Rentenversicherung als Kern der Altersversorgungssysteme erneuern und sie wieder auf verläßlichen, kalkulierbaren Boden stellen. Wir werden in einer

    Rudolf Dreßler
    längerfristig angelegten Rentenreform einen Vorsorgefonds schaffen, um so die sich aus der demographischen Entwicklung ergebenden Probleme zu lösen.
    Meine Damen und Herren, es wird Zeit, daß die Gesundheits- und Sozialpolitik wieder auf eine vernünftige Grundlage gestellt wird. Denn eines haben die Menschen bei dieser Koalition in den vergangenen 16 Jahren wirklich begriffen: Eine Gesellschaft macht mehr aus als die Summe aller guten Geschäfte, die sich in ihr erzielen lassen.

    (Beifall bei der SPD)

    Für ein solches Gesellschaftsbild werden wir sorgen. Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)