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    Plenarprotokoll 13/246 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 246. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abgeordneten Doris Odenthal, Siegfried Hornung, Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Manfred Opel, Ernst Kastning, Richard Schuhmann (Delitzsch) und Volkmar Schultz (Köln) 22897 A Erweiterung der Tagesordnung 22897 B Zur Geschäftsordnung Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22897 C Dr.-Ing. Dietmar Kansy CDU/CSU . . 22898 C Achim Großmann SPD 22899 B Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. . 22900B Klaus-Jürgen Warnick PDS 22901 A Begrüßung der Präsidentin des Bundesrechnungshofes, Frau Dr. von Wedel . . 22991 D Tagesordnungspunkt 1: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1999 (Haushaltsgesetz 1999) (Drucksache 13/11100) 22902 B b) Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 1998 bis 2002 (Drucksache 13/11101) 22902 B c) Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses - zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1995 - Vorlage der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes (Jahresrechnung 1995) - - zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1996 - Vorlage der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes (Jahresrechnung 1996) - - zu der Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 1997 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung (einschließlich der Feststellungen zur Jahresrechnung des Bundes 1995 und 1996) (Drucksachen 13/5141, 13/7352, 13/8550, 13/10904) 22902 C d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Lebenssituation von Kindern und die Leistungen der Kinderhilfen in Deutschland - Zehnter Kinder- und Jugendbericht - mit der Stellungnahme der Bundesregierung (Drucksache 13/11368) 22902 D Jürgen Koppeln F.D.P. (zur GO) . . . 22902 D Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 22903 B Karl Diller SPD 22907 B Oskar Lafontaine, Ministerpräsident (Saarland) 22912 D Dr. Norbert Blüm CDU/CSU . 22916C, 22926 D Dr. Kurt Biedenkopf, Ministerpräsident (Sachsen) 22921 A Siegmar Mosdorf SPD . . . . 22926B, 22927 A Ingrid Matthäus-Maier SPD 22927 C Rolf Schwanitz SPD 22929B, 23002 D Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22929 D Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. . . . . 22933 A Dr. Christa Luft PDS 22937 C, 22945 B Hans-Peter Repnik CDU/CSU 22940B, 22947 A Hans Georg Wagner SPD 22945 D Helmut Rauber CDU/CSU 22946 C Karl Diller SPD 22947 B Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 22949 D Hans Büttner (Ingolstadt) SPD . . . 22951 C Ernst Schwanhold SPD 22952 C Dr. Barbara Höll PDS 22953 C Paul K. Friedhoff F.D.P 22955 C Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister BMBF 22957 B Rudolf Dreßler SPD 22959 C Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 22963 A Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22967 B Dr. Gisela Babel F.D.P 22969 D Petra Bläss PDS 22971 C Ottmar Schreiner SPD 22973 A Dr. Heiner Geißler CDU/CSU . 22976 B, 22979 C Ottmar Schreiner SPD 22973 B Dr. Edith Niehuis SPD 22977 D Dr. Angela Merkel CDU/CSU 22981 D Dr. Christine Bergmann, Senatorin (Berlin) 22982 B Dr. Heiner Geißler CDU/CSU . . . . 22984 A Dr. Barbara Höll PDS 22980 C Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22986 D Sabine Leutheusser-Schnarrenberger F.D.P 22987 D Horst Seehofer, Bundesminister BMG . 22988 D Edelgard Bulmahn SPD 22992 A Dr. Gerhard Friedrich CDU/CSU . . 22996 C Claudia Nolte, Bundesministerin BMFSFJ 22997 B Matthias Berninger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23000 C Johannes Singhammer CDU/CSU . 23001 A Anke Fuchs (Köln) SPD 23001 C Wolfgang Dehnel CDU/CSU 23004 D Dr. Angela Merkel CDU/CSU 23007 A Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23009 B Adolf Roth (Gießen) CDU/CSU 23010 C Dr. Wolfgang Weng (Gerligen) F.D.P. . 23013 A Vizepräsidentin Michaela Geiger . . . 22967 A Tagesordnungspunkt 2: Abschließende Beratungen ohne Aussprache a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, auf Staatsangehörige von Drittländern (Drucksachen 13/9819 Nr. 2.29, 13/10598) . . 23015 A b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Mitteilung der Kommission Aktionsplan zur Förderung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Drucksachen 13/9668 Nr. 2.44, 13/10599) . . . 23015 B c) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung - zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Edelgard Bulmahn, Tilo Braune, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bundesbericht Forschung 1996 (Drucksachen 13/4554, 13/7128, 13/ 9744, 13/9746, 13/11096) 23015 C d) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung - zu dem Antrag der Abgeordneten Günter Rixe, Klaus Barthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Jugend braucht Zukunft - Ausbildungsoffensive jetzt verwirklichen - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Berufsbildungsbericht 1998 (Drucksachen 13/10665, 13/10651, 13/ 11097) 23015D e) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Heidemarie Wieczorek-Zeul, Gerd Andres und weiterer Abgeordneter der Fraktion der SPD Sicherung der Arbeitsplätze bei der Hoechst Marion Roussel Deutschland GmbH (Drucksachen 13/10028, 13/ 11110) 23016B f) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Dietmar Schütz (Oldenburg), Marion Caspers-Merk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Klimaschutz durch Minderung von Stand-by-Verlusten bei Elektrogeräten (Drucksachen 13/9254, 13/11121) . . 23016 B g) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr - zu dem Antrag der Abgeordneten Albert Schmidt (Hitzhofen), Gila Altmann (Aurich), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Novellierung des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm - zu dem Antrag der Abgeordneten Monika Ganseforth, Elke Ferner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm (Drucksachen 13/6346, 13/7498, 13/ 11140) 23016 C h) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Abgeordneten Albert Schmidt (Hitzhofen), Gila Altmann (Aurich), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vorlage eines Gesetzes zum Schutz vor Verkehrslärm an Straßen und Schienen (Drucksachen 13/6958, 13/8925) . 23017 A i) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Abgeordneten Gabriele Iwersen, Achim Großmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Vorlage eines Vierten Berichtes über Schäden an Gebäuden (Drucksachen 13/10449, 13/11145) 23017 A j) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Mitteilung der Kommission Das öffentliche Auftragswesen in der Europäischen Union (Drucksachen 13/ 10588 Nr. 2.21, 13/11160) 23017 B k) Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses Sammelübersicht 375 zu Petitionen (Drucksache 13/11193 [neu]) . . . . 23017 C 1) Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses Sammelübersicht 377 zu Petitionen (Gesetzliche Nichtigkeitserklärung aller NS-Unrechtsgesetze und -urteile) (Drucksache 13/11195) 23017 C m) Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses Sammelübersicht 381 zu Petitionen (Überführung der Ansprüche der Beschäftigten der ehemaligen Deutschen Reichsbahn in die gesetzliche Rentenversicherung) (Drucksache 13/11330) . 23017 D Zusatztagesordnungspunkt 1: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Drucksachen 13/11118, 13/ 11381) 23018A Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. Bürgerkrieg und humanitäre Situation im Süd-Sudan (Drucksache 13/11387) 23018 B Tagesordnungspunkt 3: Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushalts- und Wirtschaftsführung 1998 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 06 29 - Bundesanstalt Technisches Hilfswerk - Titel 532 03 - Hilfsmaßnahmen außerhalb des Bundesgebietes - bis zur Höhe von 12 340 TDM (Drucksachen 13/10929, 13/11122, lfd. Nr. 1.3, 13/11389) 23018 C Nächste Sitzung 23018 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 23019* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 1 (Haushaltsgesetz 1999) Rolf Kutzmutz PDS 23019* B Anke Fuchs (Köln) SPD 23021* C Dr. Barbara 11611 PDS 23022* C 246. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 Beginn: 10.00 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Becker-Inglau, Ingrid SPD 2. 9. 98 Behrendt, Wolfgang SPD 2. 9. 98 * Blunck, Lilo SPD 2. 9. 98 * Brunnhuber, Georg CDU/CSU 2. 9. 98 Eßmann, Heinz Dieter CDU/CSU 2. 9. 98 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 2. 9. 98 * Gysi, Andrea PDS 2. 9. 98 Irber, Brunhilde SPD 2. 9. 98 Jung (Limburg), Michael CDU/CSU 2. 9. 98 Lattmann, Herbert CDU/CSU 2. 9. 98 Müller (Berlin), PDS 2. 9. 98 Manfred Walter Nelle, Engelbert CDU/CSU 2. 9. 98 Peters, Lisa F.D.P. 2. 9. 98 Reichard (Dresden), CDU/CSU 2. 9. 98 Christa Rupprecht, Marlene SPD 2. 9. 98 Schaich-Walch, Gudrun SPD 2. 9. 98 Scheel, Christine BÜNDNIS 2. 9. 98 90/DIE GRÜNEN Schulte (Hameln), Brigitte SPD 2. 9. 98 Stiegler, Ludwig SPD 2. 9. 98 Wöhrl, Dagmar CDU/CSU 2. 9. 98 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 1 (Haushaltsgesetz 1999) Anke Fuchs (Köln) (SPD): Wirtschaftspolitische Kompetenz ist gefragt, wenn es in diesem Land wieder aufwärts gehen soll. Das wird niemand bestreiten. Diese Erkenntnis ist aber gleichzeitig Aufforderung zur Abwahl dieser Bundesregierung. Wer wirtschaftspolitische Kompetenz auf der Regierungsbank will, muß dafür sorgen, daß Gerhard Schröder Bundeskanzler wird. Nur so können wir einen Aufbruch nach vorne schaffen. Heribert Prantl schreibt in der „Süddeutschen Zeitung" vom 29./30. August 1998 zu Recht: In letzter Not hat Kohl seinen alten Gegner Lothar Späth als Helfer engagiert. Er hätte das vor vier Jahren machen müssen. Damals wäre die Zeit gewesen, eine spektakuläre neue Mannschaft zu präsentieren. Neuerdings stellt der Kanzler auch mißbilligend fest, daß die Wirtschaft den Standort Deutschland schlechtredet. Das fällt ihm zu spät auf. Vor zwei Jahren hat Kohl sich das törichte Agitieren der Wirtschaftsfunktionäre zu eigen gemacht und das Bündnis für Arbeit platzen lassen - es war sein kapitalster Fehler. Auf diese Weise gerieten die Reformen seiner Amtszeit in die Konfrontation, standen die Kirchen gegen die Sozialpolitik der Regierung auf - und damit gewannen die Gewerkschaften neue Legitimation. Die Regierung Kohl hat den Konsens geopfert, weil sie sich von der vulgärliberalen Arroganz der Industrieführer vom Schlage Henkel & Co. anstecken ließ. So etwas kann sich allenfalls eine Klientelpartei wie die F.D.P. leisten, nicht aber eine Volkspartei. Die CDU ist durch die konfrontative Sozialpolitik geschwächt worden, und dann leidet sie und ihr Wahlkampf. Die Partei ist also doppelt geschwächt: Durch nachwirkende Fehler und durch die Unklarheiten an der Spitze. Für den Stillstand ist an erster Stelle der Bundeskanzler selbst verantwortlich. Er hat das von den Gewerkschaften angebotene Bündnis für Arbeit ausgeschlagen. Das hat viele Arbeitsplätze gekostet. Das war ein immenser Zeitverlust für die notwendige Modernisierung unseres Landes. Der Kanzler hätte es besser wissen müssen. Denn sozialer Konsens und gesellschaftlicher Zusammenhalt waren in der gesamten Geschichte der Bundesrepublik eine wichtige Produktivkraft. Und wenn die Herren an der Spitze der Unternehmensverbände auch meinen, Wahlkampf für diese Regierung machen zu müssen, so sage ich Ihnen: An ihrer eigenen Basis sieht es anders aus. Dort ist Dialogbereitschaft statt Drohgebärde. Darauf setzen wir, und spätestens nach der Bundestagswahl müssen auch die Herren an der Spitze aus dem Abseits heraus. Wir Sozialdemokraten werden ein Bündnis für Arbeit verwirklichen. Wir vertrauen auf die Konsensbereitschaft im eigenen Lande. Damit knüpfen wir aber auch an die Erfahrungen an, die europäische Nachbarstaaten - wie zum Beispiel die Niederlande und Dänemark - gesammelt haben. Die Arbeitslosigkeit konnte in den Niederlanden gesenkt werden, weil sich Politik, Arbeitgeber und Gewerkschaften an einen Tisch gesetzt und gemeinsam nach Lösungen gesucht haben. Dänemark ist auf dem Weg zur Vollbeschäftigung, weil neben mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt der Staat aktiver mit Beschäftigungsmaßnahmen neue Arbeitsplätze geschaffen hat. Das ist der richtige Ansatz: Arbeitsplätze schaffen statt Arbeitslosigkeit finanzieren. Die Wachstumsschwäche in unserem Land und die hohen Arbeitslosenzahlen sind auch Folge der verfehlten Finanzpolitik. Es ist eine Binsenweisheit: Prozyklische Finanzpolitik in Abschwungphasen kann nicht auf Wachstumskurs führen. Das ist lange bekannt. Wer die Binnennachfrage abwürgt, kann noch so viel Angebotspolitik betreiben: Ohne Absatzchancen bleiben Erweiterungsinvestitionen aus, ohne Erweiterungsinvestitionen entstehen keine neuen Arbeitsplätze. Wir Sozialdemokraten setzen auf Verläßlichkeit und Stetigkeit in der Finanzpolitik. Das ist im übrigen eine der wichtigsten Voraussetzungen, damit Unternehmen und Investoren verläßliche Rahmenbedingungen vorfinden. Bei dieser Bundesregierung konnte man sich nur darauf verlassen, daß das nächste Haushaltsloch größer wird als das vorherige. Damit komme ich zu Ihnen, Herr Rexrodt. Sie haben in den vergangenen Jahren im Blindflug den Kurs der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik eingeschlagen. Seit Ihrem Amtsantritt haben Sie den automatischen Piloten angestellt und gehofft, daß er den Weg alleine finden wird. Aber das Steuerungsprogramm war falsch. Statt im Azorenhoch sind Sie im Islandtief gelandet. Jetzt wollen Sie uns weismachen, wir hätten die warmen Gefilde einer Trendwende am Arbeitsmarkt erreicht, weil es in Island auch schon mal kälter gewesen ist. Das ist die Lage. Erst treibt die Bundesregierung die Arbeitslosigkeit mit Attentismus und falschen Strategien auf 4,8 Millionen hoch. Dann redet sie bei mehr als 4 Millionen Arbeitslosen von einer Trendwende. Das ist keine Trendwende, das ist der Offenbarungseid der Bundesregierung in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Herr Rexrodt, jahrelang haben sie den Standort Deutschland schlecht geredet und den Menschen die Globalisierung als Schreckgespenst an die Wand gemalt. Lohnzurückhaltung und Sozialabbau waren Ihr Credo. Sie haben die Arbeitnehmer zum Kostenfaktor degradiert. Damit muß endlich Schluß sein. Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist nämlich gut, weil wir eine gute Infrastruktur haben, weil wir qualifizierte Arbeitnehmer haben und weil die Menschen leistungsbereit sind und nach vorne schauen wollen. Die SPD wird nach der Bundestagswahl die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit konsequent in den Vordergrund stellen. Für die Wirtschaftspolitik heißt das: Stärkung der Wachstumskräfte für eine dynamische wirtschaftliche Entwicklung, die Arbeitsplätze schafft. Dafür brauchen wir kurzfristig Maßnahmen für eine schnellstmögliche Entlastung am Arbeitsmarkt. Darüber hinaus müssen wir mittel- und langfristig mit einem Strukturwandel durch Innovation Wirtschaft, Staat und Gesellschaft modernisieren. Der Export boomt noch. Das zeigt: Die deutsche Wirtschaft ist wettbewerbsfähig. Ursache der Wachstumsschwäche ist die fehlende Binnennachfrage. Deshalb brauchen wir eine Steuerreform, die Arbeitnehmer und Familien entlastet und damit die Binnennachfrage stärkt. Außerdem brauchen wir eine Senkung der Unternehmenssteuern und eine Senkung der Lohnnebenkosten, um Investitionsanreize zu schaffen. Wir machen aber keine haltlosen Versprechen. 30 Milliarden Mark Nettoentlastung sind nicht finanzierbar. Das unterscheidet uns von dieser Bundesregierung. Für uns steht nicht die Entlastung der Spitzenverdiener im Vordergrund. Denn wir wissen: Die Steuerlast ist in unserem Lande ungerecht verteilt. Die Belastung der Arbeitnehmer mit Steuern und Abgaben ist ständig gestiegen, die Steuererträge aus Unternehmertätigkeit und Vermögen sind gesunken. In der Arbeitsmarktpolitik kommt es darauf an, Arbeitsplätze zu schaffen statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Vordringlich geht es darum, den Jugendlichen wieder eine Perspektive zu geben. Wir werden sofort nach der Bundestagswahl 100 000 neue Stellen für Jugendliche schaffen. Das geht, wie das Beispiel Dänemark zeigt. Schauen Sie sich die Entwicklung der Jugendarbeitslosigkeit dort an. Sie ist drastisch gesunken, und das ist nicht als Geschenk vom Himmel gefallen. Dort ist die Wirtschaftspolitik ihrer Gestaltungsaufgabe nachgekommen, statt Parolen von der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik zu dreschen. Mittel- und langfristig brauchen wir Innovationen in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft. Die Bundesregierung hat die Modernisierung unseres Landes verschlafen. Sie haben die vergangenen Jahre doch nur von Kostensenkung gesprochen. Aber unser Land ist mit Gütern und Dienstleistungen der Spitzentechnologie stark geworden. Die SPD setzt deshalb auf die Zukunftstechnologien. Wir werden zum Beispiel mit einem Hunderttausend-Dächer-Programm die Solartechnik zur Marktreife bringen. Das schafft neue Arbeitsplätze und trägt zu einer umweltschonenden Energieversorgung bei. In diesem Zusammenhang steht auch unser Konzept für eine ökologische Steuerreform. Wir wollen damit die Lohnnebenkosten senken, den umweltschädlichen Energieverbrauch belasten und Anreize für technologische Innovationen zur Energieeinsparung setzen. Das ist moderne Wirtschaftspolitik: Innovationsanreize schaffen, um in der Verkehrstechnologie an der Spitze des Fortschritts zu stehen und die Wettbewerbsposition der deutschen Wirtschaft zu stärken. Den Energieverbrauch senken, weil Wirtschaftswachstum nicht gleichbedeutend sein muß mit höherem Energieverbrauch. Die Umwelt schonen, um die natürlichen Lebensgrundlagen zu bewahren und keinen Raubbau an der Zukunft zu betreiben. Dafür werden wir die marktwirtschatlichen Anreize setzen. Wir werden schrittweise und berechenbar vorgehen, damit sich Bürger und Unternehmen darauf einstellen können. Wirtschaftspolitik für mehr Arbeitsplätze hat als zentrale Aufgabe die Förderung des Mittelstandes. Kleine und mittlere Unternehmen schaffen Arbeitsplätze, und sie tragen die Hauptlast der beruflichen Bildung. Da reicht es nicht, nur von der Mittelstandsförderung zu reden. Die Bilanz der Bundesregierung ist erschreckend: Die Zahl der Unternehmenskonkurse steigt. 1997 hatten wir wieder einen neuen traurigen Pleitenrekord. Die Eigenkapitalausstattung der kleinen und mittleren Unternehmen sinkt beständig. Der Anteil des Selbständigen ist im internationalen Vergleich zu gering. Die SPD wird die Mittelstandspolitik nach der Bundestagswahl in den Vordergrund stellen. Gerhard Schröder hat sein Mittelstandsprogramm vorgelegt. Es ist auf der Basis zahlreicher Diskussionen und Foren erarbeitet worden, die wir in allen Teilen des Landes mit Handwerkern und Managern, mit Verbänden und Kammern, mit Wissenschaftlern und Unternehmensberatern geführt haben. Dabei hat sich gezeigt: Der Mittelstand fühlt sich durch diese Bundesregierung nicht mehr vertreten. Unser Angebot zum Dialog ist auf breite Resonanz gestoßen, und wir werden diesen Dialog mit dem Mittelstand fortsetzen, um unsere Politik an den Bedürfnissen der Praxis messen zu lassen. Wir werden die Mittelstandsförderung bündeln und damit eine Schneise in den Dschungel der unübersichtlichen Vielzahl von Förderprogrammen schlagen. Wir werden für einen besseren Zugang des Mittelstandes zu öffentlichen Aufträgen sorgen. Wir werden die Außenwirtschaftspolitik stärker auf den Mittelstand ausrichten. Die Förderung von Existenzgründungen steht dabei ganz oben auf der Tagesordnung. Jede Existenzgründung schafft im Schnitt 2 bis 6 Arbeitsplätze. Für den Start in die Selbständigkeit fehlt es in der Regel nicht an den Ideen, sondern am Startkapital. Dabei ist genügend Anlagekapital vorhanden. Wir Sozialdemokraten sagen deshalb: Besser in neue Ideen und Unternehmen investieren als in Beton und Boden. Die steuerrechtlichen Rahmenbedingungen für die Bereitstellung von Wagniskapital müssen deshalb verbessert werden. Es ist höchste Zeit, sich der Gestaltungsaufgabe in der Wirtschaftspolitik zu stellen. Die SPD-geführte Bundesregierung wird dies nach der Bundestagswahl tun. Politik im nationalen Rahmen reicht dafür nicht aus. Heute werden etwa 70 Prozent aller wirtschaftsrelevanten Vorschriften in Brüssel erlassen. Deshalb möchte ich noch mal bekräftigen, was Oskar Lafontaine gesagt hat: Wir brauchen eine stärkere Kooperation auf internationaler Ebene. Diese Erkenntnis setzt sich durch, viele reden davon, Regelwerke müßten her, neue Spielregeln, Kooperation. Das ist wichtig für Europa und seine Chancen, einen Beitrag zu fairem Welthandel zu leisten. Die Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik auf europäischer Ebene muß verbessert werden. Wir werden die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in den Mittelpunkt der Europapolitik stellen. Wer wie Herr Rexrodt einer nationalen Beschäftigungspolitik das Wort redet, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Rolf Kutzmutz (PDS): Wir haben vorhin einen mehr oder weniger überzeugenden Wahlkampf auftritt vernommen. Aber, Herr Minister Rexrodt, liegt es wirklich nur am mangelnden Verständnis vieler Menschen für ihre Politik oder sind es deren Ergebnisse, die nach einem Politikwechsel verlangen lassen? Ich erinnere Sie an das Sprichwort: Der Ruhm vieler Propheten beruht auf dem schlechten Gedächtnis ihrer Zuhörer. Das gilt für den Bundeswirtschaftsminister und seinen Kabinettskollegen, deren Wachstumsprognosen - und damit deren Auswirkungen auf Arbeitsplätze, Steuern und Staatsausgaben - sich bekanntlich seit Jahr und Tag in ihrer Wahrscheinlichkeit mit denen der DDR-Plankommission messen können. Die tatsächlichen Ergebnisse der praktischen Politik beider Gremien will ich gar nicht erst vergleichen. Das gilt allerdings auch für die Sozialdemokraten. Vor genau elf Monaten war ein von mir ansonsten sehr geschätzter Kollege von seiner Fraktionsspitze verdonnert worden, hier einen grundlegenden wirtschaftspolitischen Antrag der PDS rhetorisch zu demontieren. So geißelte er unsere Zweifel an der allgemeinen Euphorie über die Globalisierung und beschwor für die SPD - unter dem Beifall der F.D.P. - deren Willen zur Internationalisierung der Waren- und Kapitalströme, weil - ich zitiere aus dem Plenarprotokoll - „wir der festen Überzeugung sind, daß die komparativen Kostenvorteile und die komparativen Vorteile unterschiedlicher Standorte genutzt und umgesetzt werden müssen". Ob er diesen Schwur - zumindest auf die Kapitalströme bezogen - heute wiederholen würde, wage ich zu bezweifeln. Schließlich ist die momentane Entwicklung an den Börsen schon mehr als eine Korrektur; das ist in der Nähe eines Crashs, meint zumindest der in diesen Dingen gewiß kompetente Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter. Dem vorhin zitierten verehrten Kollegen Hiksch gestehe ich in diesem Zusammenhang ja gern zu, daß er in der erwähnten Debatte sich für die Idee einer Tobin-Steuer stark machte, sie als fortschrittliche, also sozialdemokratische, Wirtschaftspolitik bezeichnete. Nur scheint der SPD jener Fortschritt in den letzten elf Monaten abhanden gekommen zu sein. Das Projekt Tobin Tax findet sich in keinem der zahlreichen sozialdemokratischen Programme seit letztem Oktober. Ja, selbst die SPD bügelte eine solche Initiative der PDS - die Bündnisgrünen zogen dann bekanntlich auch noch nach - im Bundestag sogar noch ab. Wenn ein Kanzler Schröder aber mit den morschen Krücken eines Kanzlers Kohl auf das bebende weltwirtschaftliche Parkett will, dann kann ich nur sagen: Hals- und Beinbruch! Wenn wir demokratische Sozialistinnen und Sozialisten im Vorjahr wie auch heute wieder anmahnen, Regionalisierung des Wirtschaftens in den Mittelpunkt der Politik - von den Steuern bis zur Fördermittelvergabe - zu stellen, dann fühlen wir uns natürlich durch die Börsen bestätigt. Viel wichtiger ist aber, daß nur so dauerhafte neue Arbeitsplätze tatsächlich entstehen, daß nur so die Binnennachfrage als wichtigstes Lebenselexier jeder Volkswirtschaft angekurbelt und daß nur so der mit Rücksicht auf die künftigen Generationen überlebenswichtige ökologische Umbau endlich ernsthaft begonnen wird. Mit Aufmerksamkeit habe ich registriert, daß die Sozialdemokraten für ihre Version des heute anberatenen Bundeshaushaltes ein 100 000-SonnendächerProgramm versprechen. Ich erinnere mich noch allzu gut daran, daß in den vergangenen Haushaltsberatungen solche Vorschläge, die Arbeit bringen und Umwelt schonen, keineswegs zum Repertoire sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik, wohl aber dem der PDS gehörten. Im Gegenteil: Noch für den Haushalt 1998 vereinten Sie sich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, bei der von uns vorgeschlagenen drastischen Aufstockung der Fördermittel zur Nutzung erneuerbarer Energien trotz gesicherter Gegenfinanzierung in ihrer Ablehnung zur übergroßen Koalition mit CDU/CSU und F.D.P. Damit Sie nach dem 27. September nicht an programmatischem Gedächtnisschwund leiden, werden wir von der PDS Ihnen dann aber gern auf die Sprünge helfen. Und den Bündnisgrünen sicher auch - falls sie dann, anders als im Vorjahr, im Ausschuß mal da sein sollten. Diese Hilfestellung durch uns scheint mir auch bei einem weiteren unverzichtbaren Projekt der beiden selbsternannten Garanten für einen Wechsel vonnöten: dem Ausstieg aus der Atomenergie. Herr Schröder will zwar nur im Konsens, Herr Fischer und die Seinen zwar erst mal nur über Länderhoheit beim Atomgesetz - aber immerhin versprechen beide, damit zu starten. Wenn es ihnen ernst ist - und zumindest für die Bündnisgrünen dürfte es ja eine Existenzfrage sein -, dann starten sie nicht nur, sondern landen sie gleich: beim sofortigen Ausstieg. Nimmt man alle AKW vom Netz, so geht in Deutschland wegen der vorhandenen Überkapazitäten dennoch keine Lampe aus. Andererseits müßte mittlerweile jeder begriffen haben, daß beispielsweise Transrapid und Expo 2000 wirtschaftlich folgen-, aber finanziell bodenlose Prestigeprojekte sind. Statt solche weiter zu päppeln, nehmen Sie 7 bis 11 Milliarden Mark, und finden Sie damit die Stromgiganten ab! Mehr können diese nach seriösen Untersuchungen, zum Beispiel des DIW, auch im schlimmsten Falle nicht als Entschädigung verlangen. Mit diesen maximal 11 Milliarden Mark öffentlicher Gelder würden schließlich zugleich rund 100 Milliarden privaten Kapitals mobilisiert - zum Abbau und konventionellen Ersatz für die dann 26 Atomruinen in Deutschland. So hätten nicht nur die gigantischen, bisher steuerfreien Rückstellungen der Energiekonzerne endlich ihren Sinn gefunden. Das wäre vor allem ein weiteres echtes Zukunftsinvestitionsprogramm, in Arbeitsplätze und Umwelt gleichermaßen. Darüber hinaus mit einer Effizienz von Steuergeldern, die - gemessen an Ostseewerften Lenna oder Dow Chemical - geradezu traumhaft günstig ist. Schlagen Sie bei dieser Aufgabe also nicht nur Schaum - machen Sie Nägel mit Köpfen! Allerdings habe ich sowohl nach dem wohlfeilen Verlautbarungswahlkampf der letzten Wochen als auch nach dem heutigen Tag allerdings meine Zweifel. Es nützt weder das „Weiter so" der Koalition noch ein „Vieles wird neu - aber nichts wird anders" der SPD. Arbeit und soziale Gerechtigkeit sind ohne Umverteilung auch des Reichtums nicht zu machen. Dr. Barbara Höll (PDS): Die heutige Debatte wird ihrem Anspruch gerecht: Wir diskutieren den letzten Kohl/Waigel-Haushalt, sprich kw-Haushalt. Das bedeutet in der Kürzelsprache des Haushalts „kann wegfallen" . Die Debatte hat eindeutig belegt, daß die Vertreter der CDU/CSU und F.D.P. nur verbal die Grundprobleme der bundesdeutschen Gesellschaft zur Kenntnis nehmen. Sie habe heute nicht eine neue Idee zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit, der Beseitigung der Lehrstellenmisere und der zunehmenden sozialen Ungerechtigkeit vorgestellt. Ihre alten Konzepte, an denen sie krampfhaft festhalten, können Sie noch so schön-färberisch versuchen darzustellen, es wird immer deutlicher, Ihre Politik bedient die wirklich Vermögenden und spaltet die Gesellschaft immer stärker in oben und unten, in arm und reich. Da wir als demokratische Sozialistinnen und Sozialisten in den letzten Jahren bereits vielfältige Vorschläge zu den angesprochenen Hauptproblemen in den Bundestag eingebracht haben und diese auch über die Konzepte von SPD und Bündnisgrünen hinausgehen, möchte ich mich jetzt auf unser Konzept zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit konzentrieren. Die PDS fordert zum einen die substantielle Verkürzung der Arbeitszeit. Heute und in Zukunft wächst die Produktivität dank moderner Technologien so schnell, daß immer weniger Menschen in immer kürzerer Zeit immer mehr Produkte und bezahlte Dienstleistungen herstellen können. Diese Entwicklung kann niemand aufhalten. Sie ist sogar eine große Chance. Aber wir ziehen daraus die Folgerung: Wenn dem so ist, dann sollen alle mehr Freizeit haben - nicht die einen steigenden Leistungsdruck, massenhaft Überstunden und die anderen Arbeitslosigkeit oder unsichere und nicht sozialversicherte stundenweise Jobs. Die moderne Entwicklung verlangt geradezu nach einer gerechteren Verteilung der Arbeit. Das geht nur über Arbeitszeitverkürzung. Die PDS hält es zum anderen in absehbarer Zeit selbst bei Arbeitszeitverkürzung für unmöglich, daß die Privatwirtschaft und der öffentliche Dienst in der Lage sind, fünf bis sieben Millionen Arbeitsplätze - so viele fehlen in Deutschland - zusätzlich zu schaffen. Daraus ziehen wir die Folgerung: Neben Privatwirtschaft und Staatsdienst wird in der Wirtschaft ein dritter Sektor gebraucht, nicht mit ABM, sondern mit normalen Beschäftigungsverhältnissen. Das ist ein Wirtschaftssektor, in dem nicht der Profit das eigentliche Ziel ist - die Amerikaner nennen so etwas Nonprofit-sector -, sondern in dem viele der humanitären, ökologischen, kulturellen, sozialen Aufgaben bewältigt werden, die heute zum großen Teil unerledigt bleiben. Die Unternehmen dieses Sektors müßten 25 bis 30 Prozent Zuschuß zu dem erhalten, was sie selbst erwirtschaften. Aber damit wäre das Geld weit sinnvoller angelegt als gegenwärtig zur Finanzierung von Arbeitslosigkeit, die jährlich 180 Milliarden DM verschlingt. Die PDS drängt zum dritten darauf, die sogenannten Lohnnebenkosten durch eine Wertschöpfungsabgabe zu ersetzen. Gegenwärtig ist es so, daß die Unternehmen die Lohnnebenkosten nach der Zahl der Beschäftigten und der Höhe der Bruttolöhne zu zahlen haben. Je weniger Mitarbeiter und je geringere Bruttolöhne, desto weniger werden sie zur Kasse gebeten. Anders gesagt: Entlassungen und Lohnminderungen werden belohnt. Wir wollen, daß die Unternehmen nach der Höhe des Betriebsergebnisses, des Gewinns und der Wertschöpfung ihren Beitrag leisten sollen, unabhängig von der Zahl der Beschäftigten und der Bruttolöhne. Betriebe mit hoher Wertschöpfung und wenig Beschäftigten - Banken, Versicherungen, hochautomatisierte Fabriken - müßten dann mehr zahlen als bisher, Klein- und Mittelbetriebe mit relativ geringer Wertschöpfung und vielen Mitarbeitern dagegen weniger. Das wäre gerechter als die bisherige Lösung und würde vor allem die Schaffung von Arbeitsplätzen und nicht ihre Vernichtung belohnen. Beispielsweise könnte der Kleinhändler an der Ecke leichter eine Verkäuferin einstellen, ohne befürchten zu müssen, daß ihn die Lohnnebenkosten überfordern. Das sind nur drei wichtige Aspekte des PDS-Konzepts zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit. Es geht dabei natürlich auch um die gerechte Verteilung der Arbeit zwischen Männern und Frauen, um Ökologie, um die Wende zu einer nachhaltigen, zukunftsfähigen Wirtschaft, kurz: um das Anpacken der wichtigsten Probleme, die von der modernen Entwicklung der Produktivkräfte aufgeworfen werden. Die PDS steht für soziale Gerechtigkeit ohne Wenn und Aber. Wir wollen Armut bekämpfen, indem wir Reichtum begrenzen, nicht Arme ausgrenzen. Dazu bedarf es natürlich des politischen Willens zu einer gerechten Umgestaltung des Steuer- und Abgabensystems, unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Wir haben diesen Willen und sind deshalb auch nicht wie die anderen Parteien pessimistisch, die wegen angeblicher Sachzwänge den gegenwärtigen Zustand für alternativlos halten. Wir sehen klare Alternativen. Das betrifft nicht nur die Überzeugung, daß Massenarbeitslosigkeit und soziale Unsicherheit überwunden, eine sozial-ökologische Wende zur Nachhaltigkeit eingeleitet werden können. Das drückt sich auch direkt in den Forderungen für die Jugend aus, genauer gesagt, in den Forderungen der Jugend, die sich die PDS insgesamt zu eigen gemacht hat. Wir vertreten konkrete Vorschläge für die Überwindung von Ausbildungsplatzmangel und Jugendarbeitslosigkeit, für das verfassungsmäßige Recht auf berufliche Erstausbildung, für die Modernisierung der Berufsausbildung, für gleiche Bildungschancen aller Kinder und Jugendlichen, egal welcher Herkunft, aus welchen sozialen Verhältnissen. Wir wollen eine demokratisch reformierte Hochschule ohne Studiengebühren und Zwangsexmatrikulationen. Wir fordern Räume und Freiräume für die Jugendlichen, zum Beispiel ganz konkret für jeweils 1000 Jugendliche einen Jugendclub, den sie selbst gestalten können. Vor allem aber: Junge Menschen sollen selbst Politik machen, ihre Sichtweisen einbringen, ihre Interessen wahrnehmen. Deswegen unterstützt die PDS Kinder- und Jugendparlamente mit realen Mitwirkungsrechten, Jugendinitiativen und alternative Jugendprojekte. Die PDS ist die einzige Partei, die konsequent und umfassend ostdeutsche Interessen und ostdeutsches Selbstbewußtsein vertritt. Wir jammern nicht, und wir fordern nicht, daß Ostdeutschland noch mehr Geld bekommen müßte. Wir fordern, daß die Ostdeutschen endlich mehr geben können: durch mehr Arbeitsmöglichkeiten, dadurch, daß der große Wert ihrer anderen Lebensläufe und anderen Erfahrungen für die ganze Republik genutzt wird, durch Gleichberechtigung und durch reale Mitwirkungsmöglichkeiten an der Gestaltung des Gemeinwesens. Wir wollen nicht, daß die neuen Bundesländer zur Peripherie Deutschlands werden, zu einer Art Süditalien, mit Massenarbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit für Frauen und junge Leute, vermindertem Eigentumsschutz, diskriminierenden Rentenregelungen und Einstellungsbarrieren. Wir wollen, daß der Osten endlich als Chance begriffen wird. Dabei geht es uns nicht nur um die Region, sondern um dauerhaften Nutzen für das ganze Land. Denn wenn der Osten nicht auf eigene Füße kommt, wird der Westen schnell in Atemnot geraten. Es zeigt sich doch immer deutlicher: Die Schwierigkeiten des Ostens sind nur die zugespitzten Probleme des Westens. Bisher war der Osten das Experimentierfeld für Sozialabbau, Einschränkung demokratischer Rechte, Knebelung der kommunalen Selbstverwaltung. Wir sagen: Wenn schon Experimentierfeld, warum dann nicht für den Einstieg in eine neue, sozial gerechte und ökologisch verantwortliche Politik, ohne die es ohnehin für ganz Deutschland keine lebenswerte Perspektive gibt! Deshalb schlägt die PDS für die neuen Bundesländer mit dem „Rostocker Manifest" ein Pilotprojekt Ost „Gerechtigkeit und Entwicklung" vor. Es ist das einzige wirklich alternative, umfassende Programm, das von der Wirtschaft über die Eigentumsfragen bis zu modernen Demokratievorstellungen und zur Wissenschaft und Kultur den gesamten gesellschaftspolitischen Bereich erfaßt, dem Nutzen der ganzen Republik dient und die Chance bietet, die neuen Bundesländer zu einer europäischen Zukunftsregion zu entwickeln. All das hat nichts mit Ostalgie zu tun. Unser Verhältnis zur Vergangenheit, zur DDR ist klar: Wir werden nicht zulassen, daß die Leistungen der Menschen in der DDR gering geschätzt, ihre Biographien verachtet werden. Wir werden aber auch jeder Verklärung der DDR entgegentreten; denn schließlich ist sie wegen ihrer großen Defizite an Demokratie und Emanzipation gescheitert, und niemand will dorthin zurück. Die SED hat früher alles in der DDR hochgejubelt. Die Bundesregierung versucht heute, alles in den Dreck zu treten. Wir bleiben bei einer differenzierten Bewertung und werden uns weiter darum bemühen. Die demokratischen Sozialistinnen und Sozialisten erwiesen sich als die konsequenteste Opposition der Regierung Kohl. Die konsequent kritische Haltung werden wir beibehalten. Egal, ob rotgrüne oder große Koalition, kritischer Druck von links ist auch im 14. Deutschen Bundestag bitter nötig. Wir werden uns dieser Aufgabe stellen.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Oskar Lafontaine


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DIE LINKE.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)

    Herr Stollmann - das ist ja auch bezeichnend - hat erklärt, daß die Sonderergänzungszuweisungen gestrichen werden sollten und daß die kleinen Länder schauen sollten, wie sie zurechtkommen.

    (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Er hat viel erklärt! Was hat er nicht alles erklärt!)

    Auch das ist ein Zeichen der Uneinigkeit innerhalb der Sozialdemokratischen Partei.
    Meine Damen und Herren, die Verbesserung der Situation ist uns aber nicht in den Schoß gefallen. Sie ist auch nicht zufällig gekommen, sondern sie beruht auf wichtigen Entscheidungen dieser Koalition, die gerade auch von Ihnen immer bestritten worden waren. Ich darf auf einige hinweisen: Anhebung des Kindergeldes,

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die F.D.P. war doch gegen die Anhebung des Kindergeldes!)

    Anhebung des Grundfreibetrages, Senkung des Soli, Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, Nicht-mehrErhebung der Vermögensteuer. Allein in diesem Bereich hat es Nettoentlastungen von über 30 Milliarden DM in dieser Legislaturperiode gegeben, die natürlich die Kaufkraft der Arbeitnehmer gefördert und gestützt haben und nicht das Gegenteil.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie wollten das Kindergeld doch nicht erhöhen!)

    - Wir haben es zweimal erhöht, Herr Fischer.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie und das Kindergeld, da lachen ja die Hühner!)

    Dazu kommen eine Reihe von Maßnahmen beim Kündigungsschutz, bei der Lohnfortzahlung, im Arbeitsrecht, bei der Arbeitsförderung sowie die Reform der Gesundheitspolitik, die dazu geführt haben, daß die Defizite der gesetzlichen Krankenversicherung verschwunden sind. Wer hätte das denn noch vor einem Jahr gehofft?

    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sonderlasten für Versicherte und Kranke sind das!)

    Das ist der Einstieg in die Senkung der Kostenbelastung von Arbeitnehmern und Unternehmen. Nur so werden mehr Investitionen angeregt werden können, und nur durch Investitionen entstehen nun einmal
    mehr Arbeitsplätze. Deswegen habe ich es schon bedauert, Herr Ministerpräsident Lafontaine, daß Sie wieder mit der Geschichte von der Binnennachfrage gekommen sind, als könnte allein durch eine Steigerung der Binnennachfrage

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: „Allein" hat er nicht gesagt!)

    die Situation auf dem Arbeitsmarkt verbessert werden.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Da ist ja selbst der BDI mittlerweile weiter!)

    Was mich daran so ärgert, ist, daß Sie damit indirekt unterstellen, daß derjenige, der diese Politik nicht verfolgt, nicht dafür sei, daß die Arbeitnehmer mehr Nettoeinkommen erhalten. Ganz im Gegenteil: Natürlich wollen die, die eine angebotsorientierte Politik vertreten, genau das gleiche, allerdings nur in Verbindung mit der Verbesserung der Angebotsbedingungen. Nur durch Nettosteuersenkung für Arbeitnehmer und Unternehmen, durch Abgabensenkung für Arbeitnehmer und Unternehmen verbessern sich die Investitionsbedingungen für die Unternehmen einerseits und die Nettoeinkommensbedingungen für die Arbeitnehmer auf der anderen Seite.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Nur so wird ein Schuh daraus, und deswegen muß diese Politik weiter verfolgt werden. Nur so können auch mehr Arbeitsplätze geschaffen werden.
    Auf Grund dieser verbesserten Rahmenbedingungen haben nun auch die Auslandsinvestitionen in Deutschland wieder deutlich zugenommen. Während sie im letzten Jahr bei nur 4 Milliarden DM lagen, flossen bereits im ersten Halbjahr dieses Jahres Auslandsinvestitionen in Höhe von 14 Milliarden DM in die Bundesrepublik Deutschland. Der Präsident der amerikanischen Handelskammer in Frankfurt, Fred Irvin, hat vor kurzem in einer Rede bestätigt, daß die großen amerikanischen Tochterunternehmen in Deutschland wieder überwiegend mehr investieren wollten.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Der Steuersatz ist doch immer noch hoch!)

    Er hat ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Abschaffung der Gewerbe- und der Vermögensteuer, die Änderung des Kündigungsschutzes und die Senkung des Solidaritätszuschlages die Voraussetzungen dafür waren, daß sich das Investitionsklima für die ausländischen Firmen hier in Deutschland so dramatisch verbessert hat.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Noch wichtiger ist, daß er gesagt hat, die große Steuerreform würde aus Deutschland über Nacht ein Investitionsparadies machen. - Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Das zeigt, wie die internationalen Fachleute den Standort beurteilen. Deswegen möchte ich auch einmal auf die unterschiedlichen Vorstellungen hinsichtlich einer Steuerreform eingehen.

    Dr. Hermann Otto Solms
    Zunächst einmal bedanke ich mich und unterstütze nachdrücklich den Vorschlag des Bundesfinanzministers, daß die erste Stufe der Steuerreform als Teil eines Gesamtkonzeptes, das natürlich auch nur insgesamt beschlossen werden darf, schon im Jahr 1999 zu Nettosteuerentlastungen in Höhe von 10 Milliarden DM führen soll und führen muß.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Wir werden dieses Steuerreformpaket nach der Bundestagswahl umgehend wieder einbringen und so schnell wie möglich durchberaten und verabschieden. Das ist leistbar und machbar.
    Der Tarifvorschlag der Sozialdemokraten führt zu einer Nettoentlastung von 51,8 Milliarden DM. Die Gegenfinanzierung: etwa 16,5 Milliarden DM plus 2 Milliarden DM mehr Vermögensteuer. Übrig bleibt eine Lücke von 35 Milliarden DM. Die Sozialdemokraten wollen keine oder eine nur geringfügige Nettoentlastung. Ich frage Sie aber: Wie wollen Sie die Lücke finanzieren? Sie behaupten immer, wir würden nicht anständig rechnen. Nun machen Sie ein solches Wahlgeschenk, ohne die Rechnung abzuschließen und zu sagen, wie Sie das bezahlen wollen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Hinzu kommen natürlich die völlig unsystematischen Vorschläge zur Einführung einer Mindeststeuer. Wenn Sie eine Mindeststeuer einführen, dann müssen auch diejenigen Steuern bezahlen, die nach unseren Vorstellungen steuerfrei ausgehen würden. Darauf muß man hinweisen. Das würde gerade die kleinen und mittleren Unternehmen treffen, die wir ja besonders stärken wollen und müssen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, Sie wollen die Gewerbesteuer auf die freien Berufe ausdehnen. Auch das ist kein Beitrag zur Stärkung des Mittelstandes. Außerdem wollen Sie eben die Entlastungen nicht über den ganzen Tarif durchführen, sondern im wesentlichen im unteren Bereich vornehmen. Das wird aber nichts nützen, weil ein gut Teil der Facharbeiter bereits überdurchschnittlich verdienen und auch diese durch eine Absenkung des Tarifs im gesamten Verlauf entlastet werden müssen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Wer eine Mindeststeuer nicht will, sagt damit indirekt, daß er eine Beseitigung der steuerlichen Ausnahmen nicht konsequent mittragen will. Denn wenn Sie das täten, müßte jeder nach der Höhe seines Einkommens Steuern zahlen, unabhängig von der Frage, woher das Einkommen kommt oder wofür es verwendet wird. Das führt natürlich nicht weiter. Das hat Herr Lafontaine ja auch bestätigt, indem er eine Reihe von Bereichen aufgeführt hat, in denen er die steuerlichen Ausnahmen nicht beseitigen will. Sie bekommen aber kein gerechtes Steuersystem, wenn Sie hier nicht den Mut zur Konsequenz haben.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, die „Welt am Sonntag" hat einen Fachmann beauftragt, die Steuerprogramme der verschiedenen Parteien zu testen. Ergebnis: Die F.D.P. hat den „Eichtest" am besten bestanden; die Vorschläge der SPD und der Grünen sind unter den Tisch gefallen. Ich bedanke mich für diese objektive Untersuchung. Das ist genau das, was ich von ihr erwartet habe,

    (Beifall bei der F.D.P.)

    weil wir nämlich ein ganz konsequentes, durchgerechnetes Konzept vorgestellt haben - mit dem Ziel der Entlastung; das darf man nicht vergessen.
    Meine Damen und Herren, was die Sozialdemokraten in ihrem Mittelstandspapier fordern, macht dieses Papier zu einem Abschreckungspapier. Das klingt alles schön, teilweise so, als wäre es von der F.D.P. abgeschrieben. Aber wenn Sie sich die Forderungen anschauen, stellen Sie fest: Es ist das Gegenteil. Sie wollen die Körperschaftsteuer auf 35 Prozent senken. Was bleibt denn dann bei den 90 Prozent Personengesellschaften, die Einkommensteuer bezahlen?

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Optionsmodell!)

    - Optionsmodell oder Betriebssteuer, das führt nicht weiter. Sie wollen die Gewerbesteuer auf die freien Berufe ausdehnen. Sie wollen die Vermögensteuer wieder einführen, und die Grünen wollen noch eine Vermögensabgabe obendrauf. Sie wollen die Mindeststeuer. Sie wollen die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall rückabwickeln. Sie wollen den Kündigungsschutz rückabwickeln.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das ist doch unter Ihrem Niveau!)

    Sie wollen die 620-DM-Verträge abschaffen. Sie wollen eine Ausbildungsplatzabgabe einführen. Alles freudige Botschaften für den Mittelstand! Ich glaube, daß die Vertreter des Mittelstandes wissen, was sie zu wählen haben.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Bei den Renten ist es doch nicht viel anders. Wenn Herr Lafontaine hier von Rentenkürzungen spricht, ist das eine absolute Unwahrheit. Es werden keine Renten gekürzt.

    (Zurufe von der SPD: Natürlich!)

    Die Rentenreform führt dazu, daß der Rentenanstieg in den nächsten Jahren maßvoller ausfällt. Es wird keine einzige Rente gekürzt, und ich verbitte mir, daß Sie diese Lüge ständig wiederholen. Das geht wirklich nicht.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Keine Mehrwertsteuererhöhung ! )

    Wer die Rentenreform zurücknehmen will, der wird dazu beitragen, daß die Rentenbeiträge um 3 Prozentpunkte steigen werden. Das hat das Prognos-Institut errechnet. Das heißt, daß die Beitragszahler im Endeffekt jährlich mit über 50 Milliarden zusätzlich belastet werden. Das ist Ihr Beitrag zur Rentenpolitik. Dadurch wird die Rente nicht auf eine gesicherte Grundlage gestellt. Aber gerade das ist

    Dr. Hermann Otto Solms
    unsere Aufgabe. Wer eine Renten- und Sozialpolitik betreibt, die die Renten und Sozialleistungen auch in Zukunft finanzierbar macht, der betreibt eine soziale Politik, aber nicht derjenige, der sich um Reformen drückt.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Im SPD-Programm ist zu lesen, daß die SPD vor allem eine Erhöhung der staatlichen Zuschüsse zu den Rentenkassen zu Lasten der Steuerzahler will. Das summiert sich auf etwa 45 Milliarden DM. Das muß dann wohl durch Steuererhöhungen finanziert werden, wie denn sonst? Dem Arbeitnehmer ist es doch wirklich egal, ob er nun zuwenig Nettoeinkommen wegen zu hoher Steuern oder wegen zu hoher Abgaben hat. Wenn Sie das von einem zum anderen umverteilen, dann hat der Arbeitnehmer überhaupt keinen Vorteil davon; ihm geht es aber darum, daß er netto mehr in der Kasse hat, damit er über mehr Einkommen verfügen kann.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Bei Ihnen kriegt er gar nichts!)

    Diese unglaubwürdigen Wahlversprechen werden beispielsweise bei der Frage der inneren Sicherheit fortgesetzt. Herr Schröder hat im SPD-Programm dazu folgendes geäußert: Die Strafe muß der Tat auf dem Fuße folgen. - Er hat recht, kann ich dazu nur sagen. Aber Schröder hat mit den SPD-Vertretern im Bundesrat die Einführung der Hauptverhandlungshaft blockiert. Erst mit Kanzlermehrheit konnte sie im Bundestag gegen den Widerstand der SPD durchgesetzt werden. Dabei geht es darum, daß die Strafe der Tat auf dem Fuße folgt.

    (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: So war das!)

    Zweitens. Schröder hat gesagt: Wir dürfen bei ertappten ausländischen Straftätern nicht mehr so zaghaft sein. Wer unser Gastrecht mißbraucht, für den kann nur eines gelten: raus, und zwar schnell.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Gut, sage ich dazu. Wie sehen die Fakten aus? Gegen die Bedenken des Bundesrates hat die Bundesregierung die schnelle Abschiebung ausländischer Straftäter durchgesetzt. 200 000 Straftaten von Ausländern gab es 1996 in Niedersachsen. Was meinen Sie, wie viele ausländische Straftäter aus Niedersachsen abgeschoben wurden? - Ganze vier.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist die sozialistische Wirklichkeit!)

    Soviel ist zur Einhaltung der Versprechen und zur Glaubwürdigkeit von Gerhard Schröder zu sagen.
    Drittens. In Niedersachsen wurde das Asylbewerberleistungsgesetz praktisch nicht angewendet. Es gibt weiterhin Barleistungen statt der vorgesehenen Sachleistungen bzw. Gutscheine.
    Schröder im Wahlprogramm: Auf Bestrafung bei Ladendiebstahl, beim Schwarzfahren und bei anderen Taten der sogenannten Alltagskriminalität wird nicht verzichtet. Das sagt Schröder wortwörtlich. Wie sehen die Fakten in Niedersachsen aus? Die Justizministerin ordnet die De-facto-Straffreiheit bis zu einem Wert des Diebesgutes von 100 DM an.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wer soll euch denn wählen mit solchen Reden?)

    So geht es nicht. Sie können der Öffentlichkeit im Wahlkampf nicht solche Versprechungen machen, wenn alle Fakten dagegen sprechen. Da, wo Sie handeln müssen, zucken Sie zurück. Das ist keine ehrliche Politik, auch nicht, wenn man berücksichtigt, daß der Wahltag in Kürze bevorsteht.
    Wenn Sie von etwas größerer Ferne auf das Geschehen in der Bundesrepublik blicken, dann sehen Sie, daß wir schwierige Aufgaben zu bewältigen haben, daß das Staatsschiff aber auf gutem Kurs ist.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wir haben die riesigen Probleme, die mit der deutschen Einheit verbunden sind, sehr gut gelöst. Wir sind zwar noch nicht am Ende des Prozesses angelangt, aber wir haben riesige Fortschritte gemacht. Wer durch die neuen Bundesländer fährt, der sieht doch überall im Alltag, wo die Verbesserungen stattgefunden haben.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Blühende Landschaften!)

    Wenn Sie die dortige Situation mit der in anderen Ländern vergleichen wollen, dann müssen Sie es mit der Situation der Arbeitnehmer und Unternehmer in Tschechien, in Polen und in Ungarn tun, die ebenfalls Fortschritte machen, aber auf einem sehr viel niedrigeren Niveau.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir sind dankbar!)

    Da können Sie sehen, wie die deutsche Einheit dem Fortschritt geholfen hat.
    Ich bedauere, daß die Arbeitnehmer in Ostdeutschland im Durchschnitt noch nicht 100 Prozent des Westeinkommens haben. Aber sie haben immerhin 80 Prozent erreicht.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das wollten Sie doch nicht! Sie waren doch dagegen! Dr. Dagmar Enkelmann [PDS]: Und die Lebenshaltungskosten?)

    Auch ihr Einkommen wird Schritt für Schritt weiter angehoben werden. Wenn Sie das mit den Verhältnissen in Polen oder Ungarn vergleichen, stellen Sie fest: Die dortigen Einkommen betragen nur 10 Prozent im Vergleich zu denen bei uns.
    Wir haben die Probleme der europäischen Vereinigung, der Erweiterung und der Vertiefung weiterhin zu lösen. Das sind schwierige Aufgaben. Auch hier geht es darum, daß der Kurs mit erfahrener Hand fortgesetzt wird. Wir haben uns der Globalisierung

    Dr. Hermann Otto Solms
    zu stellen, nicht durch Abschottung, wie Herr Lafontaine das vorschlägt,

    (Joachim Poß [SPD]: Was? Er sagt doch genau das Gegenteil!)

    sondern dadurch, daß wir uns dem Wettbewerb stellen. Nur wenn wir uns dem Wettbewerb stellen, können wir bestehen. Aber ich sage Ihnen: Die deutsche Wirtschaft ist so stark, daß sie das von allen Volkswirtschaften in Europa am besten schaffen wird, wenn wir die Hemmnisse beiseite räumen, die dem entgegenstehen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Wenn Sie ins internationale Umfeld schauen, dann sehen Sie riesige Probleme in Rußland, in der Ukraine, in Weißrußland. Sie sehen Bürgerkriege in Serbien, in Afghanistan, in Afrika. Sie sehen die asiatische Finanzkrise, die sich auch auf uns auswirkt. Sie sehen den zunehmenden islamischen Fundamentalismus. Sie sehen die in der Führung gehemmte Weltmacht Vereinigte Staaten. Wir sollten doch froh sein, daß in einer solchen Situation ein stabiles, großes Land in Europa, nämlich Deutschland, den Kurs hält, die Reformen voranbringt und für Stabilität und Anerkennung sorgt.
    Sie sehen es doch auch an der Bewertung der Währung. Alle haben gesagt: Wenn der Euro kommt, dann kommen wir in eine Inflationsphase. - Das Gegenteil ist der Fall. Der Wert der D-Mark und des Euro steigt im Verhältnis zum Dollar. Sie sehen doch das stabilisierende Element auf der Basis des Vertrauens in die deutsche Politik und die deutsche Regierung. Das ist aber die Regierung dieser Koalition.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Noch!)

    In einer solchen Situation, wo wir umgeben sind von Stürmen, sollten wir doch froh sein, daß der Kapitän, Helmut Kohl, und der Steuermann, Klaus Kinkel, weiterarbeiten und die Sache in der Hand behalten, und es ist doch kein Schaden, wenn der Erste Offizier, Wolfgang Schäuble, auch schon das Kapitänspatent in der Tasche hat. Das erhöht doch nur das Vertrauen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    In dieser Situation darauf zu setzen, daß zwei Leichtmatrosen, Gerhard Schröder und Joschka Fischer, die Brücke erklimmen

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Besser Leichtmatrose als Küchenjunge!)

    - er würde es ja gerne tun -, bedeutet nicht nur Risikobereitschaft; das bedeutet schon ausgesprochen auf Baisse zu spekulieren.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Besser Leichtmatrose als ein Schiffbrüchiger!)

    Das kann doch nicht helfen. Das kann man niemandem empfehlen, insbesondere nicht, wenn man sieht, daß im Beiboot Jürgen Trittin und Gregor Gysi nahen, die natürlich ebenfalls die Brücke entern und
    das Ruder in ihre Hand bekommen wollen. Wenn sie es einmal in ihrer Hand haben, dann werden sie es nicht mehr abgeben.
    Meine Damen und Herren, wir setzen auf Erfahrung, auf Stabilität, aber zugleich auch auf marktwirtschaftliche Erneuerung. Wir werden am 27. September die Mehrheit der Stimmen auf uns konzentrieren.
    Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Rede von Hans-Ulrich Klose
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat die Kollegin Dr. Christa Luft, PDS.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Christa Luft


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (PDS)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)

    Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich dachte schon, die Regie würde es wieder schaffen, uns ganz aus der Fernsehzeit herauszudrängen. Das ist nicht gelungen. Ich bedanke mich dafür.

    (Beifall bei Abgeordneten der PDS)

    Mit dieser zweitägigen Haushaltsdebatte wollte sich die amtierende Bundesregierung offenbar noch einmal eine Bühne verschaffen, um ihre Erfolgsbilanz vorzustellen. Ich habe aber eher den Eindruck, daß die Öffentlichkeit heute einer medialen Henkersmahlzeit für diese Mannschaft beiwohnt, der am 27. September gewiß das Urteil durch die Wählerinnen und Wähler ausgesprochen wird, nämlich ein Abwahlvotum.

    (Beifall bei der PDS)

    So ist zumindest die Stimmung in den neuen Bundesländern. Ich darf aus einer in der „Super Illu" heute veröffentlichten Umfrage bekanntgeben, daß in den neuen Bundesländern die derzeitige Koalition gegenwärtig ganze 12 Prozent der Stimmen bekäme
    - das doch aber nicht, wie Ministerpräsident Biedenkopf argwöhnte, weil die PDS dort eine miese Stimmung verbreitet, sondern weil die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern - im übrigen politisch hoch sensibilisiert und hoch gebildet; niemand sollte sie für tumb und für manipulierbar halten
    - viel bitterer empfinden, daß sich die Realität der Bundesrepublik Deutschland in ihrem Alltag immer mehr vom Anspruch des Grundgesetzes entfernt. Deshalb kommt diese Stimmung zustande.

    (Beifall bei der PDS)

    Ich nenne nur die Sozialpflichtigkeit des Eigentums, die im Grundgesetz verankert ist. Wo ist sie geblieben? Der Shareholder value diktiert hier. Die öffentliche Daseinsvorsorge steht im Grundgesetz als Aufgabe für die öffentliche Hand. Sie wird immer mehr abgebaut. Es gibt ein fast leeres Reservoir an öffentlichem Vermögen, das diese Bundesregierung vor 16 Jahren aber voll übernommen hat. Inzwischen gibt es nun sogar schon den Ausverkauf wertvollster Naturschutzflächen in Ostdeutschland. Ich erinnere an die Schorfheide in Brandenburg. Das ist das, was bitter aufstößt.

    Dr. Christa Luft
    Ich nenne noch einen Punkt aus dem Grundgesetz. Dort steht das Recht auf freie Berufswahl für jeden jungen Menschen. Ich weiß nicht, wer von Ihnen sich trauen würde, in eine Veranstaltung zu gehen, in der Hunderte junger Leute sitzen nach x Ablehnungen bei Bewerbungen um eine Ausbildungsstelle. Was würden Sie denen wohl erzählen? Ich treffe jedenfalls, Herr Solms, in den neuen und auch in den alten Bundesländern auf Handwerksbetriebe, auf Handwerker, auf Gewerbetreibende und auf Kleinunternehmer, die einer Ausbildungsplatzumlagefinanzierung sofort gern zustimmen würden. Denn sie wüßten, sie würden davon profitieren. Es sind doch die großen und gutsituierten Mittelständler, die sich von der Ausbildung abgeseilt haben.

    (Beifall bei der PDS)

    Die Menschen in den neuen Bundesländern würden so stimmen, wie ich eben gesagt habe, weil sie wollen, daß der Osten endlich als eine Chance für das ganze Land begriffen wird und daß er nicht ständig nur als Sozialfall gehandhabt wird, der schon soviel gekostet hat. Im übrigen werden ja die Transferleistungen immer noch brutto ausgerechnet.
    Die halbe Million, die dieses heutige und morgige überflüssige Manöver wahrscheinlich kostet, hätte ich gern für meinen Wahlkreis. Ich nehme an, viele andere Abgeordnete hätten das auch gern. Kinderspielplätze könnten gebaut, Jugendfreizeiteinrichtungen erhalten oder Schulen renoviert werden. Das wären alles wichtigere Projekte als verbale Redenschlachten.
    Im übrigen ist ja das, was uns vorgelegt worden ist, sowieso ein Zahlenfriedhof. Das Wirtschaftswachstum, das angegeben worden ist, die Steuereinnahmen oder die Zuwendungen für die Bundesanstalt für Arbeit, die Neuverschuldung, die Zinsausgaben - alles das sind doch inzwischen schon obsolete Zahlen.