Rede von
Oskar
Lafontaine
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DIE LINKE.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Herr Bundesminister, Sie haben mir dieselbe Frage zum selben Gegenstand schon einmal von dieser Stelle aus gestellt. Es ist richtig, daß Beitragszahler die Arbeitnehmer sind. Sie sollten aber vielleicht noch hinzufügen, daß Beitragszahler auch die Unternehmen sind, um das abzurunden, damit man die Parität der Entlastung sieht.
Aber wenn ich sage, daß Sie bei Rentnern und Arbeitslosen gespart haben, habe ich von Rentnern und Arbeitslosen gesprochen und nicht von Beitragszahlern. Verschieben Sie hier nicht die Problematik. Arbeitslose und Rentner haben nicht zuviel Geld, sondern sie haben oft zuwenig Geld, und Sie haben zuviel gekürzt. Das sieht die große Mehrheit der Deutschen genauso.
Herr Kollege Blüm, daß Sie auch noch stolz darauf sind, bei Rentnern und Arbeitslosen 98 Milliarden DM im Jahr gespart zu haben, hätte ich eigentlich nicht geglaubt. Das muß ich Ihnen sagen.
Ich gehe weiter auf Ihre These ein, daß das Gerede vom Sozialabbau trotz der Einsparungen von 98 Milliarden DM ein törichtes Gerede sei. Dazu spreche ich einige wenige Punkte an, wie etwa die Kürzung der Lohnfortzahlung. Die Verhinderung dieser Kürzung im Rahmen der Tarifverhandlungen hat ja bekanntlich dazu geführt, daß große Kompensationen erfolgen mußten. Im letzten Jahr hatten wir zum er-
Ministerpräsident Oskar Lafontaine
stenmal nach dem Kriege - das gab es vorher noch nicht - sinkende Nettolöhne. Vielleicht ist diese Tatsache da oder dort nicht sofort erkannt worden: Ein Land, das sinkende Nettolöhne aufweist, sollte sich fragen, ob es auf dem richtigen Weg ist.
Bei der Kürzung der Lohnfortzahlung geht es um die soziale Gerechtigkeit, die uns Sozialdemokraten ein wichtiger Wert für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft ist. Warum? Werden jemandem von uns die Bezüge gekürzt, wenn er krank wird? Werden den Herren Henkel, Stihl oder Hundt die Bezüge gekürzt, wenn sie krank werden? Dieser Personenkreis könnte eine Kürzung verkraften. Wieso glauben wir eigentlich, daß wir diese Kürzungen den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zumuten können? Ich werbe hier dafür, daß in diesem Lande wieder der Grundsatz gilt: Was du nicht willst, das man dir tu', das füg auch keinem anderen zu. Das sollte der Grundsatz einer Politik sein, die in der Gesellschaft in breitem Maße akzeptiert wird.
Oder nehmen Sie den Abbau des Kündigungsschutzes. Würde einer von uns gerne einen Vertrag eingehen, nach dem er am nächsten Morgen gekündigt werden kann? Ich frage: Würden die genannten Herren der Unternehmensverbände, Henkel, Stihl und Hundt, solche Verträge unterschreiben, bei denen sie ohne eine Millionenabfindung gekündigt werden können?
Ich sage noch einmal: Was du nicht willst, was man dir tu', das füg auch keinem anderen zu. Wenn der Abbau des Kündigungsschutzes eine solch tolle Reform ist, dann können die Wählerinnen und Wähler am 27. September dafür sorgen, daß sie in den Genuß dieser Reform kommen. Das wäre die adäquate Antwort auf diese tolle Reform, für die Sie überall im Lande werben.
Rentenkürzung. Ich mache noch einmal alle, die an dieser Debatte teilnehmen, darauf aufmerksam, daß Sie, vor Wahlen stehend, in Bayern gesagt haben: Bei dem Personenkreis mit 45 Versicherungsjahren nehmen wir die Kürzung zurück. Ich sage aber den Wählerinnen und Wählern: Wenn die F.D.P. weiterhin in der Koalition bleibt, wird daraus nichts. Das alte Spiel würde dann wieder beginnen: Die CSU würde so tun, als hätte sie mit der Politik in Bonn überhaupt nichts zu tun, und sie würde sagen, daß an allem die böse F.D.P. schuld sei. Damit wäre man wieder aus dem Schneider. So darf man nicht vorgehen.
Wir werden diese Rentenkürzung aufheben. Wir denken dabei auch, aber nicht in erster Linie, an die, die 45 Versicherungsjahre haben; wir denken vor allem an die Kriegerwitwen, die ihre Männer im Krieg verloren haben, die die Kinder allein großgezogen haben, die zu wenig geklebt haben, die von kleinen Renten leben müssen und die keine Nebeneinkünfte haben. Mein Wort steht: Diesen Menschen die Rente zu kürzen ist und bleibt schamlos! Die Wählerinnen und Wähler haben über diese Politik zu entscheiden.
Das Ganze läuft natürlich auf eine systematische Schwächung der Binnennachfrage hinaus. Ich kann es nur wiederholen: Vom Export allein können Sie den Beschäftigungsaufschwung nicht in Gang setzen.
Wenn Sie sich die Situation in den Vereinigten Staaten, die ja sehr große Handelsbilanzdefizite haben, oder wenn Sie sich die Situation in Dänemark, Holland und in anderen Ländern anschauen, dann können Sie erkennen: Ohne das Anspringen der Binnenwirtschaft gibt es nicht den von uns gewollten Beschäftigungsaufschwung. Mit all Ihren Maßnahmen haben Sie 98 Milliarden DM bei Rentnern und Arbeitslosen gekürzt. Damit haben Sie die Kaufkraft, die den Einzelhandelsgeschäften direkt zugute käme, und die Binnennachfrage massiv geschwächt.
Herr Kollege Waigel, Sie haben Herrn Dornbusch zitiert. Darauf bin ich Ihnen noch eine Antwort schuldig. Sie haben einen Ökonomen des MIT zitiert. Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, daß ich in den letzten Jahren die verschiedensten Ökonomen zitiert habe. Herr Dornbusch ist auch mir bekannt. Ich stimme mit ihm zwar da oder dort nicht überein. Nur, wenn wir schon Herrn Dornbusch zitieren, dann zitiere ich jetzt das, was er kürzlich schrieb:
Deutschland dreht sich im Kreis, besessen von einer sinnlosen Standortdiskussion, legislativen Ansätzen zur Förderung der Wirtschaftsdynamik und weitverbreiteten Subventionen zur Förderung des Wohlstands. All dies wird noch durch „Waigelismus" verschlimmert -
ein oberflächliches Bekenntnis zur Verantwortung in der Fiskalpolitik, welches grundsätzlich eher die Furcht vor kühnen, wachstumsorientierten Entscheidungen widerspiegelt.
Wenn Sie also schon Dornbusch zitieren, dann schauen Sie, was er sonst so geschrieben hat.
Es gibt im MIT einen renommierten Nobelpreisträger. Er heißt Modigliani, nicht mit dem Künstler zu verwechseln. Nun lese ich Ihnen vor - Sie provozieren mich dazu, ich wollte es eigentlich nicht tun -, was er über Sie gesagt hat:
Meiner Ansicht nach ist Theo Waigel, was die
Wirtschaft angeht, ein Ignorant. Er mag ein Ex-
Ministerpräsident Oskar Lafontaine
perte in zahlreichen Dingen sein, aber von Wirtschaftspolitik versteht er überhaupt nichts.
Soweit ein Nobelpreisträger der Nationalökonomie.
Sie sehen also: Im MIT gibt es ein paar Ökonomen, die Ihren Auffassungen nahestehen. Das ist richtig.
Letztendlich ist es nicht so, daß in der Wirtschaftswissenschaft immer nur eine Richtung vertreten wird. Aber die große Mehrheit der Ökonomen des MIT hält Ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik für grundsätzlich falsch, um das hier anzumerken. Vielleicht sollten Sie sich einmal die Mühe machen, deren Ausarbeitungen und deren Ratschläge zu überlegen.
Das gilt im übrigen auch - man kann nicht alles ansprechen - für die Entwicklung der Weltfinanzmärkte. Sehen Sie, Herr Kollege Waigel, ich habe das öfters schriftlich dargelegt. Ich habe immer wieder dafür geworben, daß wir zunächst nicht nur ein europäisches Währungssystem schaffen und dann den Euro, sondern daß wir diesen Mechanismus auf die wichtigsten Weltwährungen übertragen. Da geht es nicht um feste und unverrückbare Wechselkurse, sondern es geht um ein stabiles Wechselkurssystem mit Zielzonen, wie es der Vorgänger des jetzigen amerikanischen Notenbankpräsidenten, Paul Volcker, vorgeschlagen hat. Das wäre die logische Fortsetzung dessen, was wir in Europa versuchen.
Wenn Sie im Amt blieben und Ihre bisherige Politik fortsetzen würden, wäre das kein Beitrag zur Stabilisierung der Wechselkurse in aller Welt, insbesondere der Währungen der wichtigsten Handelsländer.
Sie haben bei der Steuerpolitik auf europäischer Ebene dazugelernt. Das ist begrüßenswert. Sie müssen jetzt eine Debatte führen angesichts der Tatsache, daß wir weltweit Spekulationen haben, die mit den realwirtschaftlichen Vorgängen nichts mehr zu tun haben, was im Jahre 1973 niemand sehen konnte, als das System von Bretton Woods zusammenbrach. Sie müssen jetzt darüber nachdenken, ob die gegenwärtigen Zustände auf den Weltfinanzmärkten fortgesetzt werden können oder ob wir nicht doch, wie von uns gefordert, wiederum einen internationalen Ordnungsrahmen brauchen, der, soweit es denn irgend geht, die Spekulation auf den Weltfinanzmärkten eindämmt.
Im übrigen - wenn wir schon die Weltfinanzmärkte und die Entwicklung beim Rubel und beim Yen ansprechen - haben wir mit Interesse verfolgt, was sich Ihr Wahlkampfmanager - so nennt er sich wohl - jetzt wieder ausgedacht hat: Bei dieser Krise könne man darauf hoffen, daß die Aktien der Union wieder steigen würden. Wir haben Immobilienspekulanten, Währungsspekulanten und manchmal Aktienspekulanten. Jetzt haben wir auch Krisenspekulanten. Ich warne Sie: Spekulieren Sie nicht auf die Krise, in der Hoffnung, daß es dann vielleicht einen Strohhalm für Sie gibt. Das ist kein verantwortungsvolles Herangehen.
Sehen Sie, auch das ersparen Sie mir jetzt nicht: Wenn Sie Helmut Kohl als Weltklasse plakatieren
und ihn zum Stabilitätsanker erklären, dann möchte das noch hingehen, solange eben nicht folgendes passiert, daß nämlich der Ruf der Jungsozialisten
„Kohl muß weg" - ich habe ihn manchmal als sprachlich etwas hart empfunden - ein solcher Erfolgsschlager wurde, daß zuerst Westerwelle darauf herumsurfte, dann fast die ganze F.D.P. und dann mehr und mehr die CDU. Herr Solms hat vorhin geklatscht, Herr Geißler hat das wenigstens nicht getan, als Sie gesagt haben, Helmut Kohl sei der Fels in der Brandung. Meine Damen und Herren, wenn Sie auf der einen Seite den Rücktritt von Helmut Kohl fordern und ihn auf der anderen Seite gleichzeitig als Weltklasse und als Fels in der Brandung feiern, dann muß ich sagen, daß das irgendwie nicht zusammen paßt. Die Wählerinnen und Wähler bekommen das nicht so richtig mit.
Es war mir natürlich auch ein gewisses Vergnügen, das reumütige Klatschen von Wolfgang Schäuble zu beobachten.
Es war zwar ein reumütiger Beifall, aber immerhin hat Wolfgang Schäuble gezeigt, daß er die Einheit von Fraktion und Partei im Auge hat.
Manchmal ist es eben so, daß gewisse Parteien in Schwierigkeiten sind. Man muß dann versuchen, die Wahlaussagen einigermaßen zur Deckung zu bringen. Daß dem bei Ihnen nicht so ist, ist ja keine Erfindung von mir. Heute habe ich zum Beispiel gelesen, ein Mitglied der Koalition - ich sehe ihn hier; aber ich will ihn gar nicht ansprechen - habe sich geäußert, sie könnten den Kohl nicht mehr sehen. Das ist einfach kein angemessener Umgangsstil.
Aber das wird auch nicht besser, Herr Kollege Waigel, wenn Sie sich mit den Worten vernehmen lassen, Sie seien der eigentliche Außenminister, und gleichzeitig sagen: „Der Euro spricht deutsch." Ich möchte Sie doch bitten, letzteres zu unterlassen. „Der Euro
Ministerpräsident Oskar Lafontaine
spricht bayerisch" konnten Sie angesichts der Haltung Stoibers nicht sagen.
Wissen Sie, „Der Euro spricht deutsch" hört sich in den Hauptstädten Europas merkwürdig an. Sie sollten solche Töne wirklich unterlassen. Ich bitte Sie im Interesse unseres Ansehens in Europa darum.
Meine Damen und Herren, historisch war es so - auch wenn Sie das vielleicht nicht wissen -, daß der Euro nicht von Helmut Kohl durchgesetzt wurde.
- Nein, von Schröder auch nicht. Da haben Sie recht.
- Der Euro wurde von dem französischen Staatspräsidenten durchgesetzt, der nach der deutschen Einheit diesen Vertrag zur Bedingung des weiteren Vorgehens gemacht hat. Das ist die historische Wahrheit. Also lassen Sie das Gerede von „Der Euro spricht deutsch"!
Herr Bundeskanzler, vielleicht unterhalten Sie sich einmal mit Herrn Genscher über diese Frage. Ich will das nicht weiter vertiefen. Das ist auch alles schriftlich fixiert. Vielleicht sollte man nicht nur die eigenen Memoiren, sondern auch die anderer lesen. Das weitet manchmal den Horizont.
Noch einmal: Es lag in der großen Linie französischer Außenpolitik, so vorzugehen. Deshalb ist es eine Chance - das war der ganze Sinn -, die europäische Einigung zustande zu bringen. Weder der Euro noch die europäische Einigung sprechen dabei deutsch. Sie sprechen viele Sprachen, und so sollte es auch bleiben.
Ich möchte noch ein paar Worte zum Aufbau Ost sagen. Ich will überhaupt nicht in Abrede stellen, daß dabei eine ganze Reihe richtiger Entscheidungen getroffen wurde, daß vieles geleistet worden ist und - auch dem stimme ich zu - daß die westdeutschen Steuerzahler in großem Umfang ihren Beitrag geleistet haben, um den Aufbau in den neuen Ländern zu finanzieren. Wir sollten uns gemeinsam freuen, daß das dort entsprechend anerkannt und aufgenommen wird. Ich sage also gerade nicht, alle Entscheidungen, die getroffen wurden, seien falsch gewesen. Eine ganze Reihe von Entscheidungen war richtig. Wer sollte das bestreiten?
Dennoch muß ich in dieser Debatte zwei Dinge ansprechen: Wir halten es für falsch, jetzt den BundLänder-Finanzausgleich in Frage zu stellen, weil 87 Prozent der Mittel in den Osten fließen. Deshalb sage ich den Menschen in den neuen Ländern: Solche Vorstöße haben keine Chance. Die SPD steht dafür, daß sie keine Chance haben.
Und auch in Sachen Bodenrecht setzen wir unsere Politik fort. Wir haben uns damals nicht durchgesetzt mit der Forderung, das Prinzip Rückgabe vor Entschädigung nicht in den Vertrag zu schreiben. Alle Beteiligten wissen: Wir wollten das anders. Was daraus geworden ist, wissen viele: ein Vermögensaufbau West in vielfältiger Form. Das wird im Osten heftig kritisiert; wie wir meinen: zu Recht. Deshalb sage ich für die deutschen Sozialdemokraten: Am Bodenrecht wird nicht weiter herumgefummelt.
Was wir brauchen, ist eine Verstetigung der Investitionen in den neuen Ländern. Was wir brauchen, ist eine Konzentration auf die gewerbliche Produktion. Ich glaube, das ist mittlerweile unstreitig. Und wenn darüber Einigkeit besteht, dann ist das auch in Ordnung. Ich sage aber noch einmal: Wenn man diese ganze Reihe von Versprechungen macht, dann muß man sie auch mit der eigenen Finanzpolitik und den Steuersenkungsversprechungen in Übereinstimmung bringen.
Ich wende mich jetzt einmal an die F.D.P. Nicht ich, sondern Zeitungskommentatoren haben auf Grundlage Ihrer Parteitagsbeschlüsse Steuerausfälle in Höhe von 150 Milliarden DM hochgerechnet. Ich bitte Sie, diese noch einmal zu überprüfen und bezüglich Ihrer Versprechungen vielleicht zu Zahlen zu kommen, die sich noch irgendwo im Grenzbereich der Realität bewegen. So nämlich kann man Staatsverdrossenheit schüren. Die Wählerinnen und Wähler wollen nicht permanent in die Irre geführt werden.
Ich möchte noch den Bereich der Förderung von Forschung, Bildung und Ausbildung ansprechen und sagen, daß diese in den vergangenen Jahren immer die wichtigste Investition war, die wir in Deutschland überhaupt tätigen konnten. Denn ein Land, das keine Rohstoffe hat, muß in die Fähigkeiten der Menschen, in die Fähigkeiten der Köpfe investieren. Da ist in den letzten Jahren einiges falschgelaufen.
- Ich greife das gerne auf und sage noch einmal: Es ist unredlich, Steuervorschläge vorzulegen, die die Länder mit weiteren Steuerausfällen in Höhe von 25 Milliarden DM konfrontieren würden, um dann zu
Ministerpräsident Oskar Lafontaine
sagen: Ihr tut zuwenig für Schulen, Universitäten, Polizei usw. Das ist einfach unredlich.
Im übrigen ist das Steuerrecht auch gar nicht so konzipiert, daß der Bund, wenn er irgendwelche strukturfördernden oder stimulierenden Wirkungen entfalten will, zunächst an Steuern herangeht, die sowohl den Bund als auch die Länder und die Gemeinden betreffen. Die Finanzverfassung sieht etwas anderes vor. Diese Debatte aber möchte ich jetzt nicht beginnen. Vielleicht führen wir sie in anderer Form an anderer Stelle fort.
Auf jeden Fall - das sage ich noch einmal - ist auch die Ausbildung in Deutschland die Grundlage unseres Wohlstandes.
Ein Land, das ein Privatvermögen von über 10 000 Milliarden DM hat, wenn auch ungleich verteilt, muß jedem Jugendlichen eine Ausbildungsstelle zur Verfügung stellen. Das Geld dazu haben wir.
Wir stimmen überein, daß es wünschenswert ist, wenn die Wirtschaft dies von sich aus leistet. Da gibt es, soweit ich das verfolgt habe, nirgendwo Widerspruch. Ich füge aber hinzu: Wenn der Trend weitergeht, daß über 60 Prozent der Betriebe nicht ausbilden - wir danken den etwa 33 Prozent, den Handwerksmeistern, den Mittelständlern, den Selbständigen und den Einzelhändlern, die ausbilden -,
dann werden wir die Betriebe, die nicht ausbilden, belasten und die Betriebe, die ausbilden, entlasten. Anders ist das nicht zu machen. Als Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz hat der jetzige CDU-Vorsitzende dies im übrigen ebenfalls gefordert. - Das ist unsere Position. Die Wählerinnen und Wähler werden darüber entscheiden.
Ich kann im Rahmen dieser Haushaltsdebatte nicht all unsere Linien ansprechen. Die Tatsache aber, daß die Zahl der Kinder aus den Arbeitnehmerhaushalten an den Universitäten immer weiter zurückgeht, ist eine Fehlentwicklung.
In unserem Lande sind die Begabungen gleichverteilt. Sie sind Gott sei Dank nicht nach dem Wohlstand der Eltern verteilt. Deshalb müssen wir, so schwer es auch immer ist, die Rahmenbedingungen so gestalten, daß die Frage, ob jemand eine gute
Ausbildung erhält, nicht vom Einkommen seiner Eltern abhängig ist.
Zu einem anderen Thema - ich möchte dies nicht so ausführlich ansprechen -, zum Thema des Umweltschutzes. Ich will hier nur klarstellen: Die Energiepolitik ist nun einmal der Schlüssel, wenn es darum geht, für kommende Generationen, die heute noch keine Lobby haben, eine lebenswerte Umwelt sicherzustellen. Deshalb müssen wir dort investieren. Deshalb brauchen wir dort neue Technologien. Und deshalb müssen wir auch unser Steuer- und Abgabenrecht dieser Zielsetzung anpassen.
Es ist nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa falsch, die Arbeit immer stärker zu belasten und den Umweltverbrauch relativ zu entlasten. Deshalb brauchen wir diese Reform. Da hat in Ihrer Partei Schäuble recht, und die, die ihn bremsen, haben unrecht, um das in aller Klarheit zu sagen.
Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Vor der Wahl bieten wir zwei unterschiedliche Politikvorstellungen, Politikkonzepte an.
- Sehen Sie. Wir haben das Testat von Schäuble. Es gibt Unterschiede. Auch hier ist Ihr Wahlkampf etwas unschlüssig. Die einen behaupten, es gebe keine, die anderen behaupten, es gebe Unterschiede. Das soll in der Demokratie auch so sein.
In diesem Land hat sich die soziale Achse hin zu den höheren Einkommen, den größeren Vermögen verschoben. Mehr und mehr Menschen sind deshalb unzufrieden. Ich sage an die Adresse der Jugendlichen nicht nur in den neuen Ländern, sondern auch in den alten Ländern, die rechts gewählt haben, und an die Adresse der Langzeitarbeitslosen, die vielleicht aus Verzweiflung rechtsradikale Parteien gewählt haben: Die Lehre der Weimarer Republik ist: Rechtsradikale haben in deutschen Parlamenten nichts verloren. Sie haben diesem Land nur Krieg und Unglück gebracht.
- Ich will das Wort „linksradikal" gerne einmal aufnehmen. Wenn Sie diese Watschen auch noch wollen, können Sie sie gerne haben. Die Partei des Helmut Kohl und die Partei des Herrn Gerhardt arbeiten in den neuen Ländern überall mit der PDS zusammen,
Ministerpräsident Oskar Lafontaine
und Sie haben hier Leute, die als Blockflöten Mauerbau und Stacheldraht gerechtfertigt haben. Da führen Sie dann eine so verlogene Kampagne! Es ist doch lächerlich, was Sie aufführen.
Es ist nun einmal so: Sie haben sich in vielfältiger Form in Widersprüche verwickelt. Sie sind untereinander zerstritten, und Sie sind auch nicht wahrhaftig. Deshalb wollen immer mehr Menschen in Deutschland den Wechsel. Wir werden diesen Neuanfang demnächst beginnen. Deshalb wird der Bundeshaushalt demnächst in anderer Form vorgelegt.