Rede von
Albert
Schmidt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Was wir am vergangenen Wochenende am Brenner erlebt haben, war nur ein Anfang. Es war der Anfang vom Ende der Geduld der Menschen, die seit Jahren den zunehmenden Transitverkehr über die Alpen ertragen müssen, die seit Jahren wachsende Verlärmung und Luftverschmutzung hinnehmen müssen, denen seit Jahren regelmäßig Versprechungen hinsichtlich einer Beschränkung der Lkw-Lawinen gemacht wurden, die ebenso regelmäßig nicht eingehalten wurden.
Tatsächlich hat die Zahl der Lastwagen, die auf der Brenner-Achse durch die Alpentäler donnern, seit 1990 fast um die Hälfte, nämlich auf 1,2 Millionen Fahrzeuge pro Jahr, zugenommen. Den Prognosen zufolge soll sie sich bis zum Jahre 2010 noch einmal mehr als verdoppeln.
Deshalb ist es nicht nur verständlich, sondern richtig und notwendig, wenn die Menschen dagegen protestieren, und zwar auch mit spektakulären Maßnahmen.
Wen wundert es, daß zahlreiche Gemeinden, Verbände, sämtliche Parteien - der Bischof von Innsbruck, meine lieben Kollegen von den Christsozialen, sprach von einem Aufschrei der betroffenen Menschen -, daß alle unter der Führung des Transitforums wenigstens für einige Stunden eine symbolische Notbremse gezogen haben, indem sie diese Achse blockierten, was übrigens keineswegs zu dem befürchteten Chaos geführt hat?
Wen wundert es? Es wunderte den deutschen Verkehrsminister. Es wunderte ihn nicht nur, sondern es veranlaßte ihn dazu, sich höchstselbst einzumischen. Per Telefax meinte Herr Wissmann im Tonfall eines römischen Statthalters in der Provinz Austria intervenieren zu müssen, indem er seinen österreichischen Kollegen Caspar Einem in einem Fax darum bat, „alles in Ihrer Macht Stehende zu veranlassen," - so hat er geschrieben - „um die Blockade zu unterbinden." Diese behindere den freien Warenverkehr.
Man stelle sich einmal den umgekehrten Fall vor: Der österreichische Verkehrsminister fordert den deutschen Verkehrsminister dazu auf, Castor-Transporte per Bahn zu unterbinden, weil sie die Gesundheit der Menschen gefährden. Ich kann mir den Aufschrei der Empörung bei der deutschen Bundesregierung lebhaft vorstellen.
Sodann fühlte sich Minister Wissmann dazu berufen, die Forderungen der Speditionswirtschaft nach Schadenersatz öffentlich für berechtigt zu erklären.
Seine bayerischen Kollegen Otto Wiesheu und Adolf Dinglreiter sekundierten, indem sie die Österreicher der Erpressung und der Geiselnahme von Touristen beschuldigten.
Herr Brunnhuber, dies zeigt nur, wie wenig Sie Parteichristen von dem berechtigten Anliegen der Menschen überhaupt verstanden haben - nämlich gar nichts. Denn die Bewohner der Alpentäler sind es doch, die vom Straßenverkehr als Geiseln genommen werden, indem sie Tag und Nacht Lärm und Gestank ertragen müssen. Bei wem können diese Menschen eigentlich ihre Schadenersatzansprüche für die erlittenen Einbußen an Lebensqualität und Gesundheit einklagen? - Das wäre die Frage, die sich Wissmann einmal stellen sollte.
Aber das ist noch nicht alles. Auch an anderer Stelle, nämlich beim Alpentransit durch die Schweiz, als eine Einigung zwischen der Europäischen Union und der Alpenrepublik nach mühsamen Verhandlungen zustande gekommen war - und zwar bewegte sie sich an der untersten Grenze dessen, was für die Schweiz überhaupt noch tolerabel war -, war es niemand anders als der deutsche Verkehrsminister, der mit seinem Veto diese Einigung maßgeblich torpediert hat - und zwar mit so blöden Sprüchen wie: Die Schweiz wird schließlich von Europa umgeben und nicht umgekehrt.
Ich kann Ihnen, Herr Brunnhuber, nur sagen: Mit solchen Äußerungen hat sich Ihr Minister zum Stichwortgeber der europafeindlichen Rechtsaußen in der Schweiz gemacht, die schon immer gewußt haben wollen, daß man von Europa nur gedemütigt wird. Er hat im Umgang mit der Schweiz und mit Österreich nicht nur verkehrspolitisches, sondern auch europa-
und außenpolitisches Porzellan zerschlagen. Das ist die Realität.
- Sie sollten allmählich begreifen, daß geographische und politische Fragen eine unterschiedliche Sensibilität erfordern.
Die Bundesregierung ist mit ihrer Transitpolitik gescheitert. Statt sich endlich für eine europaweite Schwerverkehrsabgabe stark zu machen,
damit durch faire Transportpreise die Güter von Rotterdam bis Genua, von Hamburg bis Milano auf die Schiene kommen,
machen Sie sich zum Büttel der Speditionswirtschaft, statt endlich Vorfahrt für die Gesundheit der Menschen zu verlangen, stellen Sie ein falsch verstandenes wirtschaftliches Interesse an die oberste Stelle, und statt dazu beizutragen, daß die Brenner-Eisenbahn mit ihren Zulaufstrecken schleunigst auf das technisch Mögliche an Kapazität ausgebaut wird - das wäre mehr als das Doppelte der heutigen Lei-
Albert Schmidt
stungsfähigkeit -, phantasieren Sie als Alibi fürs Nichtstun von einem Basistunnel, von dem dieser Minister genau weiß, daß er überhaupt nicht bezahlbar ist.
Die Menschen in Tirol durchschauen dieses Spiel - und nicht nur die Menschen in Tirol. Sie werden sich wieder und immer wieder auf die Autobahn setzen - so lange, bis sich endlich diese falsche europäische Verkehrspolitik ändert. Wir werden an ihrer Seite sein - und das ist ganz wörtlich gemeint. Das vergangene Wochenende, liebe Kolleginnen und Kollegen, war nur ein Anfang.