Rede von
Volker
Neumann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann sehr gut verstehen, Hanna Wolf, daß du hier erregt sprichst. Denn der Einsatz für Menschenrechte gilt überall, nicht nur in der Welt draußen, sondern natürlich auch im eigenen Land.
Vielleicht gibt uns diese Schilderung Anlaß, in der nächsten Legislaturperiode darüber nachzudenken, ob es nicht doch sinnvoll ist, einen eigenen Menschenrechtsausschuß zu bilden. Diese Diskussion gab es immer am Anfang einer Legislaturperiode. Vielleicht sollten wir noch einmal darüber nachdenken.
Ich möchte aber, wie es schon angekündigt worden ist, am Ende etwas Versöhnliches sagen. Auf einer internationalen Konferenz zu Tibet und Burma, die vor kurzem aus Anlaß des 350. Jahrestages des Westfälischen Friedens in Osnabrück stattfand, hat ein Teilnehmer aus Burma gesagt, „große Hoffnungen und Bescheidenheit in Einklang bringen", das sei Voraussetzung für Menschenrechtsarbeit. Da liegt auch unser persönliches Problem bei den Bemühungen um den bestmöglichen Weg zur Durchsetzung von Menschenrechten: „große Hoffnungen und Bescheidenheit in Einklang bringen."
In dieser Woche gehöre ich dem Bundestag seit 20 Jahren an, wenn auch mit Unterbrechungen. Von Anfang an habe ich im Unterausschuß für humanitäre Hilfe, wie er zuerst hieß, und dann im Unterausschuß für humanitäre Hilfe und Menschenrechte mitgearbeitet und durfte auch vier Jahre lang in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates mitarbeiten. Dessen Arbeit wird in unserem Parlament nicht richtig gewürdigt, obwohl es kaum eine Institution gibt, die soviel wie diese für Menschenrechte und Demokratie in Europa tut. Ich bin froh, daß die Präsidentin Leni Fischer an dieser Debatte teilnimmt.
Ich habe inzwischen gelernt, daß nicht nur Bescheidenheit und Geduld, sondern auch ein langer Atem auf dem mühsamen Weg der kleinen Schritte zur Verwirklichung der Menschenrechte gehören. Menschenrechte und Demokratie sind zwei Seiten derselben Medaille.
Wir haben in den Debatten der letzten 20 Jahre und auch heute wieder stets „gefordert, appelliert, angemahnt, gerügt, verurteilt und kritisiert". Deshalb möchte ich denen, die nach uns diese Arbeit machen, ja machen müssen, ein bißchen Mut ma-
Volker Neumann
chen und ihnen sagen, daß wir in den letzten Jahren Erfolge erzielt haben. Ich sage dies auch mit etwas Stolz, übrigens auch mit Stolz auf den gesamten Bundestag; denn wir sind in Menschenrechtsfragen immer dann stark gewesen, wenn wir gemeinsam gehandelt haben, und schwach gewesen, wenn wir uns gestritten haben.
Da stehen einzelne Menschen beispielhaft für diese Erfolge; diese Menschen haben aber viele, uns oft unbekannte Weggefährten gehabt. Ich denke etwa an Nelson Mandela, Vaclav Havel, Kim Dae Jung und Lech Walesa; auch Cory Aquino auf den Philippinen und Andrej Sacharow gehören dazu. Mandela, Havel, Walesa, Aquino und Kim Dae Jung sind Staatsoberhäupter geworden. Andere sind befreit worden, vor kurzem etwa Wei Jingsheng und Wang Dan in China, in Indonesien unser früherer Parlamentskollege Sri Bintang Pamungkas und der Gewerkschafter Muchtar Pakpahan. Das alles waren Erfolge der Solidarität der demokratischen Parlamente. Wir begleiten auf ihren schweren Wegen den Dalai Lama aus Tibet, Bischof Belo aus Osttimor und Aung San Suu Kyi aus Burma. Auch dies sind nur Beispiele.
An dieser Stelle darf aber auch die für mich schlimmste Niederlage nicht verschwiegen werden, die wir erlitten haben: der Mord an Ken Saro Wiwa und seinen Freunden.
Doch auch wenn wir manchmal hilflos und wütend zusehen müssen, wie Menschen inhaftiert, gefoltert oder auch getötet werden, nur weil sie Menschenrechte für ihr Volk einfordern, so zeigen doch diese kleinen Erfolge, daß sich das Engagement der Demokraten lohnt.
Auch das Menschenrechtssystem hat sich nach dem Zusammenbruch eines Teils des kommunistischen Machtbereichs - ich nehme ausdrücklich China, Nordkorea, Vietnam und Kuba aus - ständig verbessert. Wenn es stimmen sollte, daß der Fortschritt eine Schnecke ist, so gilt das insbesondere für das internationale Recht. Aber das Individualbeschwerderecht der Menschen ist vervollkommnet worden, die Antifolterkonvention gilt - übrigens auch im UN-System -, wir machen, wenn auch viel zu langsame, Fortschritte beim Kampf gegen die Todesstrafe, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wird am 1. November seine Arbeit aufnehmen. Besonders wichtig ist, daß die Universalität und Unteilbarkeit der Menschenrechte nach der Wiener Konferenz in der Welt kaum mehr ernsthaft bestritten werden. Wir haben ein Menschenrechtszentrum in Genf und eine Hochkommissarin erreicht; Herr Staatsminister Schäfer hat darauf hingewiesen. Die Nichtregierungsorganisationen erhalten immer mehr Stimme und Gewicht, und zwar nicht nur bei der Menschenrechtskommission, sondern auch bei unseren Beratungen im Bundestag.
Auch eine andere Institution, von der wir nie geglaubt hätten, daß sie Wirklichkeit wird, könnte eingerichtet werden. Seit Montag tagt in Rom die Konferenz zur Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs. Es ist ein großer Fortschritt, daß wir 53 Jahre nach den Nürnberger Prozessen endlich soweit gekommen sind. Ich hoffe sehr, daß die Konferenz erfolgreich verläuft. Jetzt müssen wir - da meine ich insbesondere die Regierung - alles Mögliche tun, damit es zu einer Einigung kommt. Denken wir an die Opfer der schrecklichen Verbrechen in Ruanda und Jugoslawien, aber auch im Sudan und in Kambodscha, dann wird klar: Die Welt braucht dringend einen internationalen Strafgerichtshof, der unabhängig ist, der effektiv ist und bei dem sich einzumischen keinem Staat erlaubt ist. Wir brauchen keinen Papiertiger.
Jetzt hat die internationale Gemeinschaft die Chance, die Grundlage für mehr Gerechtigkeit in der Zukunft zu legen.
So sind wir: Am Ende habe auch ich wieder gefordert. Wahrscheinlich müssen wir es alle lernen: „große Hoffnungen und Bescheidenheit in Einklang bringen".
Ich bedanke mich.