Rede von
Stephan
Hilsberg
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeder von Ihnen, der einmal in einer Enquete-Kommission mitgearbeitet hat, wird die Fragen, die sich einem nach so langer und durchaus stressiger Arbeit zum Schluß stellen, kennen: Was haben wir da geleistet? Hat sich das überhaupt gelohnt?
Auf der Habenseite der Bilanz der Enquete-Kommission „Deutsche Einheit" stehen zweifellos die bereits installierte Bundesstiftung für Aufarbeitung und das parteiübergreifende Bekenntnis zur dauerhaften Mitfinanzierung vieler Gedenkstätten - auch durch den Bund -, die an die Opfer der zweiten deutschen Diktatur erinnern sollen.
Aber es gibt auch Defizite. Niemandem wird entgangen sein, daß das Interesse an der öffentlichen Arbeit, also an den Anhörungen unserer Kommission, in den vergangenen zwei Jahren spürbar nachgelassen hat. Das war in der ersten Kommission ganz
Stephan Hilsberg
anders. Damals lautete die bange Frage: Kann der Bundestag, können die unterschiedlichen Parteien die Vergangenheit der deutschen Teilung und der SED-Diktatur denn überhaupt gemeinsam aufarbeiten? Der Nachweis gelang uns erstaunlich gut. Deshalb bekam die Nachfolgekommission einen ehrgeizigeren Auftrag, nämlich den, nicht nur die Teilungsgeschichte selbst, sondern auch deren Überwindung aufzuarbeiten. Diese Aufgabe haben wir nur zum Teil bewältigt.
Wohl haben wir uns mit der Rehabilitierung der Opfer, der Bilanz der strafrechtlichen Aufarbeitung, dem Bildungswesen, der Wissenschaft und Forschung, der Wirtschaft, dem Sozialwesen und nicht zuletzt dem Alltag beschäftigt. Wohl haben wir in allen Fällen hochinteressante und nachlesenswerte Anhörungen durchgeführt und sicher auch gewichtige Berichte verfaßt sowie bedenkenswerte Ratschläge für das nächste Parlament erarbeitet.
Doch zur eigentlich spannenden Frage der Nachwirkungen der SED-Diktatur in der politischen Kultur und im Rahmen der weiterwirkenden kommunistischen oder auch postkommunistischen Traditionen und ihrer Geltungsansprüche, die nicht selten verlogen sind und Ressentiments erzeugen, sind wir nur selten - ich meine, zu selten - vorgestoßen. Dies hat damit zu tun, daß die Kommission nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Gegenwart aufarbeiten wollte. Hier schlummern Konflikte, die eine außerordentliche Sprengkraft entfalten können.
Deutschland befindet sich in einer schwierigen Phase seiner Vereinigungsgeschichte, die wir alle als unsere Gegenwart erleben. Gespräche zwischen Ost und West finden nur selten statt, ja man tüftelt noch an den Vorzeichen, unter denen sie stehen sollten. Die einen sprechen von Versöhnung und Amnestie; andere malen abgehackte Hände auf Plakate; dritte schreien nach Umverteilung; wieder andere versuchen immerfort, ostdeutsche Biographien zu schützen. Wer soll sich denn da noch zurechtfinden?
Statt eine klare übersichtliche Situation zu präsentieren, überlagern dichte Nebelschwaden das Bild der politischen Kultur in Deutschland.
Das muß geklärt, muß aufgeklärt werden. Dabei geht es nicht nur um die alte, untergegangene und nicht wiederherstellbare SED-Diktatur, um ihre Erben und ihr Erbe. Dabei geht es vielmehr auch um Selbstverständnisse, besser gesagt: Mißverständnisse der alten Bundesrepublik. Es geht nicht einfach nur um Sünden, die begangen wurden und die man sich um die Ohren haut - oder auch mit Absicht nicht, was man dann Versöhnung nennt. Es geht auch nicht um ein verbindliches Erklärungsangebot für alle gemeinsam; denn hier würde Gemeinschaft und Gesellschaft verwechselt werden. Es geht überhaupt nicht um Erklärungen. Es geht vielmehr um ein anderes Klima. Wir brauchen ein gesellschaftliches Klima, in dem Tabus aufgebrochen werden können, keine Verdrängungen verordnet werden und in dem sich alle Menschen zu ihren Erfahrungen bekennen können,
ohne Gefahr zu laufen, an den Pranger gestellt zu werden.
Ein solches freies, den Mut zur Freiheit - der Freiheit der Entscheidung - vermittelndes gesellschaftliches Klima hat viel mit Aufarbeitung zu tun.
Deshalb ist es so wichtig, daß auch in Zukunft Opfer von ihren traumatischen Erlebnissen berichten können, daß man auch in Zukunft die Staatssicherheit natürlich als eine verbrecherische, kriminelle Vereinigung bezeichnen kann. Man muß darüber sprechen können, daß die Entspannungspolitik natürlich auch Schattenseiten hatte und der Händedruck von Kohl und Honecker das Siechtum der DDR verlängerte. Man muß auch darüber sprechen können, daß der anhaltend große Einfluß der PDS den dringend notwendigen Modernisierungsprozeß in Ostdeutschland behindert und möglicherweise auch teurer macht.
Aufarbeitung ist die geistige Auseinandersetzung mit jenem Prozeß, den wir Geschichte nennen. Das Schicksal jedes einzelnen von uns ist darin eingebettet. Deshalb kann die Geschichte als einzige eine Erklärung dafür liefern, warum wir uns an jenem ganz spezifischen Ort namens Gegenwart befinden. Diesen aber müssen wir kennen, wenn wir uns mit Tatkraft in das Erbe von uns selbst gewählter politischer oder religiöser Traditionen stellen wollen, um von hier aus sowohl unser eigenes Leben zu meistern als auch politischen Einfluß auszuüben. Aufarbeitung kann Identität vermitteln, kann die Gesellschaft und ihre Kräfte transparent machen und kann so alte Fragen neu beantworten. „Aufarbeitung", sagt Erhart Neubert deshalb, „ist Zukunftsgestaltung!" Recht hat der Mann.
Wichtig ist daher die Aufarbeitung an den Schulen. Heute gehen zum Beispiel in Ostdeutschland noch immer unglaublich viele junge Menschen zur Jugendweihe, weshalb manche nicht müde werden, dies als ein Symptom von Ostidentität zu bezeichnen. Ich aber habe das Gefühl, daß den jungen Menschen nicht ein einziges Mal erklärt wurde, daß die Kommunisten in den 50er Jahren die Jugendweihe nur deshalb so propagiert und mit Druck durchgesetzt hatten, weil sie damit den Einfluß der evangelischen Kirchen auf die Jugend in der DDR brechen wollten.
Viele Menschen in Ostdeutschland glauben, daß der Kommunismus nur schlecht realisiert worden, in Wirklichkeit aber eine famose Idee gewesen sei. Wer sagt ihnen eigentlich, daß das eigentliche Problem in der skrupellosen, machtpolitischen Instrumentalisierung der kommunistischen Idee bestanden hat? Die Kommunisten waren doch nicht deshalb so schlimm, weil sie die Klassengesellschaft überwinden wollten, sondern deshalb, weil sie dafür millionenfaches Unrecht, Tod und Vertreibung hingenommen und sogar für historisch notwendig gehalten haben.
Stephan Hilsberg
Die PDS aktiviert bis heute Ressentiments gegen den Rechtsstaat, was man daran erkennen kann, daß sie die Gewaltenteilung abschaffen will. Da will ich das Recht haben, auch in Zukunft öffentlich mein Mißtrauen in ihr Demokratieverständnis zu äußern.
- Herr Heuer, Sie haben ja selber den Verfassungsentwurf der PDS geschrieben und wissen genau, wovon ich spreche. - Ich will auch in Zukunft sagen können, daß Ihr faktischer Vorsitzender, Gregor Gysi, ein Stasi-Spitzel war.
Diesem Urteil muß sich ja nicht jeder anschließen. Aber dann sollte er sich zumindest gegen alle Tabuisierungsversuche wehren, wie sie die PDS gegenwärtig betreibt. Niemand will die PDS zum Verstummen bringen, wohl aber zum Eingeständnis der Wahrheit.
- Ich komme schon noch zu Ihnen von der CDU. Halten Sie sich einmal zurück.