Rede von
Walter
Kolbow
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu einigen Akzenten der Debatte zu Beginn meiner Ausführungen doch deutlich machen, daß wir hier im Deutschen Bundestag für die Streitkräfte besondere Verantwortung tragen, weil wir über jeden Einsatz der Streitkräfte entscheiden und befinden. Deswegen ist es gerade für uns wichtig, einen Konsens zu suchen und nicht der alten Kohl-Doktrin zu folgen: „Schlagt die Sozis, wo ihr sie trefft!"
Im übrigen habe ich die Erinnerung an ein Zitat von Helmut Schmidt sofort wieder weit von mir gewiesen, weil es möglicherweise unparlamentarisch sein könnte, daran überhaupt zu denken. Ich meine das Zitat, die Tragik in der Politik sei, daß sich die Dummen ihrer Sache immer so sicher sind und die Klugen immer so voller Zweifel.
Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist wichtig, hier eine Rede für Verbesserungen in unseren Streitkräften zu halten statt eine Rede gegen politische Kräfte, obwohl ich deutlich machen will, daß das, was der Kollege Nolting hier ausgeführt hat, sich wohltuend von den Polemiken der Kollegen Breuer und Rossmanith unterschieden hat. Die Aussagen des Kollegen Nolting geben mir auch die Gelegenheit, deutlich zu machen, was von seiten meiner Fraktion schon in einer Zwischenfrage zum Ausdruck gebracht worden ist: daß es eine Unterstützung von Bestrebungen, die Bundeswehr in vier Jahren zu halbieren und danach weiter zu verkleinern, also verdeckt die Freiwilligenarmee zu fordern, von uns, von der Sozialdemokratischen Partei und von unserer Fraktion nicht geben wird.
Ich will hier deutlich machen, daß wir uns bei unseren Truppenbesuchen von der hervorragenden Leistungsbereitschaft der Soldatinnen und Soldaten und der zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überzeugen konnten, die häufig mehr Einsatz zeigen, als eigentlich erwartet werden kann, und die sich in vielen Stunden über die normale Dienstzeit hinaus und oft mit recht bescheidenen Mitteln dafür einsetzen, den Dienstbetrieb aufrechtzuerhalten und die Aufgaben zu erfüllen, die ihnen gestellt sind, die von ihnen verlangt werden. Das sind Leistungen im Alltag, die nie vergessen werden dürfen und an die wir hier in diesem Parlament zu selten denken, weil wir auf die Einsatzaufträge fixiert sind und auf diese schauen müssen. Wir haben die beispiellosen Aufbauleistungen der Bundeswehr an vielen Standorten in den neuen Bundesländern gesehen, die Maßstäbe für das innere Zusammenwachsen in unserem Land gesetzt haben.
Ich habe aber auch - das muß wohl auch Ihr Eindruck sein - bei der Truppe strukturelle, organisatorische und materielle Defizite festgestellt. Um diese geht es hier. Durch sie wird der Dienstbetrieb oft über Gebühr erschwert und belastet. Die Entwicklung ist dadurch gekennzeichnet, daß sich die Schere öffnet zwischen Auftrag und Mitteln sowie „stretched goals", wie ich es in einer Zeitschrift, die in einem Standort herausgegeben wird, gelesen habe, also überdehnten und überzogenen Zielen. Das führe oft, so wird gewarnt, in der Truppe zu inneren Kündigungen. Diese überdehnten Ziele und Forderungen werden zu oft auf allen Führungsebenen weiter gesteckt, so daß sie in der Hierarchie nach unten, also in der Kompanie, im Zug und in der Gruppe, am schwierigsten zu erfüllen sind. Dieser Prozeß verändert die Bundeswehr und schafft ein ungutes Klima. Er zwingt die Menschen ständig an ihre Leistungsgrenzen und verführt dazu, die objektive Wahrheit den vorgegebenen Zielen und Forderungen subjektiv anzupassen, um im grünen Bereich zu bleiben.
So wird kein Vertrauen geschaffen, meine Damen und Herren. So wird auch die Kameradschaft schwer belastet, die für den soldatischen Dienst notwendig ist. Für Führung und Ausbildung gilt: Herausforderung ja, Überforderung nein!
Für den Einsatz gilt: Robustheit ja, aber nicht Rücksichtslosigkeit! Leadership-Programme ohne innere Führung darf es nicht geben.
Ich möchte die letzte Minute meiner Redezeit darauf verwenden, um den tauglichen Versuch am möglicherweise untauglichen Objekt zu machen, nämlich Sie davon zu überzeugen, daß die parlamentarische Wehrstrukturkommission doch notwendig ist. Meine Damen und Herren, Sie haben bisher übergestülpt; Sie haben eine Koalitionsvereinbarung getroffen und dann gesagt, so werde es gemacht. Sie ordnen an, verlangen nur. Wir wollen den gesellschaftlichen Diskurs über die Institution Bundeswehr in der Mitte unserer Bürgerschaft. Wir wollen beteiligen, wir wollen mitnehmen, wir wollen auch geben.
Was heißt hier „ergebnisoffen"? Natürlich muß die Kommission alle Optionen erörtern können. Das bedeutet auch: Wenn sie der Meinung ist, aus sachgerechten Gründen, auch aus Gründen der militärischen Optimierung seien mehr Geld oder eine längere Wehrpflicht bedenkenswerte Optionen, dann müssen wir uns damit auseinandersetzen. Da gibt es Spannbreiten von mehr bis weniger, von kurz bis lang. Aber wenn wir so weitermachen wie bisher und die Gesellschaft nicht mitnehmen und unsere Streitkräfte nicht wieder in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Diskussion rücken, dann wird es uns auch nicht gelingen, die Bedürfnisse der Bundeswehr in der Gesellschaft so zu plazieren, daß sie gerecht behandelt wird.
Deshalb muß auch in dieser Abteilung der Kommission über die Zukunft von Pflicht- und Freiwilligendiensten - vielleicht überzeugt Sie das - im Spannungsfeld von Individualisierung und Solidarität beraten werden; denn es ist auch die Frage - das ist an-
Walter Kolbow
geklungen -, wie wir die Wehrpflicht unter den obwaltenden Umständen intelligent und optimal organisieren, was jetzt nicht der Fall ist.
Meine Damen und Herren, der Satz unseres Parteitagsbeschlusses von Hannover und unseres Wahlprogrammes, daß die Bundeswehr einen unverzichtbaren Dienst für die Gesellschaft leistet und sie jedwede Unterstützung verdient, stellt geradezu den Auftrag dar, möglichst gemeinsam für die Bundeswehr das Beste zu erreichen, weil davon unser Land einen Nutzen hat.