Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Laschet, es ist ja durchaus mutig, daß Sie sich hier als Mitglied der Gruppe der jungen CDU-Abgeordneten outen; denn gemeinhin sind die dafür bekannt, daß sie den Mund spitzen, aber, wenn es spannend wird, nicht zu pfeifen wagen.
Zu Recht haben Sie die Rede des Bundespräsidenten angesprochen, die wir mit Aufmerksamkeit gelesen haben. Wenn man sie aber genau interpretiert, wird man zu dem Schluß kommen, daß der Bundespräsident mit wohlgesetzten und vorsichtigen Worten genau dieser Bundesregierung manches darüber ins Stammbuch geschrieben hat, was sie in den letzten Jahren versäumt hat.
Sie sprachen die Goethe-Institute an. Dazu kann ich nur sagen: Sie haben zwar eine Selbstverwaltung; aber Sie wissen ja selbst, daß genau die Bundesregierung, die Sie tragen und stützen, die Mittel streicht, so daß mehr und mehr Goethe-Institute im Ausland geschlossen werden müssen und ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen können.
Tilo Braune
- Schauen Sie sich doch einmal die Kritiken der verschiedenen Länder wie Italien und Island an. Ich halte das für fatal und katastrophal.
- Die Welt verändert sich, vor allen Dingen Ihre Welt. Sie wird scheinbar immer kleiner.
Zum Thema zurück. Vorbei sind die guten alten Zeiten, als Deutsch international als Lingua franca der Wissenschaft galt. Vorbei sind auch die Zeiten, als Deutschland Spitzenreiter bei den Ausgaben für Bildung, Wissenschaft und Forschung war. Während andere Industrienationen und sogar Schwellenländer eine Bildungsexplosion erleben, droht die Bundesrepublik im Mittelmaß zu versinken. Inzwischen hat auch der letzte begriffen: Diese Bundesregierung hat es in fataler Ignoranz versäumt, die notwendigen Rahmenbedingungen für einen starken und international attraktiven Studienstandort anzupassen.
Das Resultat sehen wir jetzt. Die Geduld der Studierenden ist zu Recht am Ende; die längst überfälligen Reformen, die die Universitäten so dringend brauchen, sind in der notwendigen Konsequenz zumindest nicht in Sicht.
Die bereits vom Bundestag verabschiedete Novelle zum Hochschulrahmengesetz ist nicht die überfällige Reform, sondern sie ist maximal ein unvollkommener Schritt in diese Richtung. Das Versagen der Bundesregierung läßt sich erneut an den Zahlen des Haushaltes für 1998 festmachen. Während in Großbritannien unter Tony Blair und in Frankreich unter Lionel Jospin massiv in Bildung und Forschung investiert wird, sank in Deutschland der Anteil des BMBF am Bundeshaushalt zwischen 1982 und 1998 von 4,7 auf 3,2 Prozent. Der Etat des Ministeriums verringerte sich allein zwischen 1996 und 1997 um 3,7 Prozent. Hier sind die Fakten, und das sind die Zahlen.
An die Zukunftsfähigkeit dieser Bundesregierung glaubt ohnehin keiner mehr. Die Abspeisung der Studierenden mit geheucheltem Verständnis und einem schwächlichen sogenannten Bibliothekssofortprogramm war eine erbärmliche und inakzeptable Anbiederung an die Demonstrierenden im Herbst.
Die Demonstrationen, Streiks und Proteste der Studierenden waren nur die logische Folge einer chronisch verfehlten Bildungspolitik.
Den vielfältigen verständnisvollen Worten müssen nun endlich Taten folgen. Ich ermutige die Studierenden, auch in Zukunft deutlich und mit Augenmaß für bessere Studienbedingungen einzutreten.
Nach dem Motto „Haltet den Dieb! " versuchen der Kanzler und Herr Rüttgers auch noch, die Verantwortung allein auf die Länder zu schieben. Natürlich steht auch mancher Landesfinanzminister
einem sanierten Haushalt offener gegenüber als steigenden Bildungsausgaben.
Aber das ist doch der Effekt der unsoliden Finanzpolitik der Bundesregierung: Durch permanente Umverteilung und Abwälzung vieler Kosten wird den Ländern ein immer kleinerer finanzieller Spielraum gelassen. Die durch steigende Arbeitslosigkeit hervorgerufenen steuerlichen Mindereinnahmen bei höheren Sozialleistungen sind doch die größten Belastungen und Entwicklungshemmnisse in Deutschland. Ich glaube, diese Bundesregierung ist mittlerweile eine der größten Belastungen und eines der größten Entwicklungshemmnisse für Deutschland.
Trotzdem ist es möglich, auch andere Akzente zu setzen. Während im Bundesdurchschnitt West die staatlichen Mittel für Forschung und Lehre 1997 bei durchschnittlich 11 900 DM pro Student lagen, betrugen zum Beispiel die Ausgaben eines der ärmeren Länder, nämlich Mecklenburg-Vorpommerns, aus dem ich stamme, 37 500 DM je Student.
Hier sieht man, wie Schwerpunkte richtig gesetzt werden, wie richtige Bildungspolitik gemacht wird.
Ich gebrauche ein Bild, um die Situation an den Hochschulen zu beschreiben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, stellen Sie sich vor, Sie müßten in jeder zweiten Parlamentssitzung stehen. Frei werdende Stellen in den Ministerien könnten nicht mehr neu besetzt werden, und Sie müßten die Arbeit Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst übernehmen.
Wegen permanent sinkender Diäten - nur 15 Prozent
erhalten überhaupt noch welche - müßten Sie leider
Tilo Braune
die halbe Woche für 11 DM Stundenlohn kellnern gehen. - So ungefähr geht es doch den Studierenden derzeit in Deutschland. So sehen aber nach meiner Meinung international attraktive und wettbewerbsfähige Hochschul- und Fachhochschulstandorte nicht aus.
Wirken wir so anziehend auf international Studierende?
Belastend kommt noch eine durch Leute wie Herrn Kanther geschürte latente Ausländerfeindlichkeit hinzu.
Für den Innenminister ist ohnehin jeder ausländische Studienbewerber ein verkappter Wirtschaftsflüchtling oder Asylbewerber,
von Ereignissen wie Vorträgen verurteilter Rechtsterroristen in der Bundeswehr-Führungsakademie ganz zu schweigen.
Auch von den ausländerrechtlichen Verwaltungsvorschriften, die den Studienaufenthalt unbürokratisch ermöglichen sollten, haben die Bundesländer bei ihrer Zuarbeit an den Bund seit dem 14. Januar nichts mehr gehört. Diese müssen jedoch auf Grund der besonderen Dringlichkeit vorgezogen werden und dürfen nicht erst im Gesamtpaket dem Bundesrat vorgelegt werden.
Bemerkenswert ist im übrigen, daß im heutigen Antrag der Koalition keinerlei zusätzliche finanzielle Mittel in Aussicht gestellt werden. Allein das Deutsche Studentenwerk hat mit seinem Servicepaket für ausländische Studierende einen Fortschritt erzielt, und dies ohne Zutun der Bundesregierung.
Angesichts solch unattraktiver Studienbedingungen ist es doch kein Wunder, daß immer mehr Studierwillige statt nach Deutschland in die USA oder nach Großbritannien gehen. Der Anteil von 8,2 Prozent ausländischer Studierender an deutschen Hochschulen, von denen auch noch zirka ein Drittel, genau 32,8 Prozent, sogenannte Bildungsinländer sind, die schon die Hochschulzugangsberechtigung in Deutschland erworben haben, bedeutet eine Stagnation. Bei Studierenden aus Japan, aus Indonesien sowie aus wirtschaftlich aufstrebenden Schwellenländern in Afrika und Lateinamerika ist es gar zu einem drastischen prozentualen Rückgang gekommen. Obwohl sich die Anzahl japanischer Studenten im Ausland von 1975 bis 1991 verfünffachte und sich die Zahl der im Ausland Studierenden aus Indonesien verdoppelt hat, kommt in Deutschland davon nichts an.
Doch selbst wenn weitere Studierende nach Deutschland kommen wollen, so werden sie zusätzlich von unterfinanzierten Hochschulen, von der restriktiven Ausländerpolitik Kanthers und von dem Mangel an Stipendienmöglichkeiten abgeschreckt.
Da Herr Rüttgers die notwendigen Mittel nicht akquirieren kann, versucht er es nun mit Aktionismus, der ihn nichts kostet. Nehmen wir zum Beispiel die angesprochene Novelle zum Hochschulrahmengesetz. Das Vorhaben zunächst ist positiv. Eine Entschlackung, Straffung, Entbürokratisierung ist überfällig. Doch dies allein ist keine Problemlösung und führt noch nicht aus der derzeitigen Misere. Die Einführung der Studienabschlüsse Bachelor und Master ist lediglich ein erster Schritt zur Internationalisierung, wobei die Bundesregierung noch nicht einmal mitteilen kann, an welche der international durchaus unterschiedlichen Abschlüsse man sich anzulehnen gedenkt. Die Gebührenfreiheit an den deutschen Hochschulen ist zweifelsohne ein Standortvorteil, der mit aller Kraft verteidigt werden muß - und wir tun dies -,
der aber - laut Antwort auf die Große Anfrage - für ausländische Studierende durch die langen Studienzeiten und ein daraus resultierendes höheres Berufseintrittsalter nivelliert wird. Solange es uns nicht gelingt, Studiengebühren zu verbieten, wird das Hochschulrahmengesetz nicht die Akzeptanz der Studierenden finden.
Meine erneute Aufforderung geht hier wiederum an die Studenten und an den Bundesrat, auch in diesem Punkt nicht nachzulassen. Die Novelle ist ohnehin Stückwerk. Ohne eine Personalrechtsreform, ohne eine Demokratisierung der Hochschule, ohne angemessene BAföG-Reform, ohne eine deutlich bessere finanzielle Ausstattung der Hochschulen ist das ganze Gerede um Reform unglaubhaft, fader Aktionismus, Schall und Rauch.
Die SPD hat auf ihrem Parteitag in Leipzig in ihrem Parteiprogramm für die Bundestagswahl deutliche Akzente für die Zukunftsfähigkeit der Hochschulen und unseres Landes gesetzt.
Tilo Braune
Wir stehen für die Steigerung der Attraktivität des Studien- und Lebensstandortes Deutschland. Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine bekennen sich unmißverständlich zu einer Verdopplung der investiven Ausgaben für Wissenschaft und Forschung innerhalb von fünf Jahren und zu stärkeren Akzenten in der Bildungspolitik.
Hier werden die richtigen Akzente und Wege aufgezeigt. Mit aktiver Innovationspolitik kann Deutschland wieder einen herausragenden Stellenwert erhalten. Dem Bildungssystem kommt eine tragende Rolle zu. Wir werden einladende Bedingungen für ausländische Studierende schaffen und Hemmnisse für unsere jungen Gäste abbauen. Die Eliten anderer Staaten sollen eingeladen und nicht abgeschreckt werden. Die SPD steht für Internationalität und Zukunftsfähigkeit dieser Republik.
Jedem muß klar sein: Wer Stillstand, soziale Kälte, Reformunfähigkeit, mangelnde Innovation abschaffen will,
wer die Zukunftsfähigkeit Deutschlands will, der muß diese Regierung abwählen.
Ich bedanke mich.