Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat soeben seine Politik hier dargelegt
und zur sozialen und zur wirtschaftlichen Lage in Deutschland Stellung genommen. Der Redner der CDU/CSU-Fraktion hat erklärt, dies sei ein erfolgreicher Bundeskanzler.
Der Bundeskanzler hat erklärt - das war bekannt -: Ich will bleiben. Er hat dann gesagt, daß die Darlegungen der Redner der Opposition die Wirklichkeit in diesem Lande nicht treffen würden.
Das ist schon eine Anmaßung, die ihresgleichen sucht.
Wenn hier darauf hingewiesen wird, daß wir, was die Arbeitslosigkeit angeht, Zahlen haben, die einen wirklichen Nachkriegsrekord darstellen, daß wir uns der Zahl von 5 Millionen Arbeitslosen nähern, wenn hier dargestellt wird, daß wir Rekordschulden haben, die vor einigen Jahren unvorstellbar waren, und daß die Arbeitnehmer unter einer Abgabenlast leiden, die damals unvorstellbar war, wenn darauf hingewiesen wird, daß junge Menschen keinen Arbeitsplatz finden - es geht nicht nur um Ausbildungsplätze - und daß die Armut in Deutschland wieder größer wird, daß 1 Million Kinder von der Sozialhilfe leben, und Sie sich dann hier hinstellen und sagen: Mir geht es gut, und ich werde die Wahlen gewinnen, dann ist das eine Anmaßung, die unerträglich ist, Herr Bundeskanzler.
Sie haben vor einem Jahr gesagt - ich zitiere -: 4,66 Millionen Arbeitslose, das ist „die schwärzeste Zahl in meiner Amtszeit". Ich bin einmal gespannt, was Sie in einigen Wochen zu sagen haben, Herr Bundeskanzler. Deshalb sollten Sie versuchen, wieder zu den Realitäten zurückzukehren. Denn was Sie hier vorgetragen haben, hat nun mit der Wirklichkeit in unserem Lande nichts zu tun. Dieser Vorwurf fällt voll und ganz auf Sie zurück.
Diese Tatsache zog sich durch Ihre ganze Argumentation. Ich beginne zunächst einmal mit Ihrer Be-
Ministerpräsident Oskar Lafontaine
wertung der Europapolitik und des Beschäftigungsgipfels. Da bleibt einem ja fast die Spucke weg. Da ist die gesamte Europäische Gemeinschaft eine ganze Zeitlang dabei, die Bundesregierung, Sie, von der Notwendigkeit dieses Gipfels zu überzeugen. Sie sperren sich dagegen. Es gibt heftigste Diskussionen auf europäischer Ebene, und dann tun Sie hier so, als sei das Ihre Erfindung und Ihr Erfolg. Das ist doch nicht zu fassen!
Natürlich ist es so, daß Sie in der Europäischen Gemeinschaft mittlerweile isoliert sind. Das sagen alle sozialdemokratischen Regierungschefs. Vielleicht sind Sie, Herr Bundeskanzler, nicht mehr in der Lage, zuzuhören. Sie können hier doch nicht ernsthaft vertreten wollen, daß beispielsweise die Regierung Jospin in der Beschäftigungspolitik und in der Europapolitik den gleichen Kurs fährt wie Sie. Erklären Sie die Menschen doch nicht für dümmer, als Sie selber sind. Das geht meistens ins Auge.
Das wirkliche Ergebnis unserer Begegnung mit der französischen Regierung, die unter dem Vorsitz von Rudolf Scharping stattgefunden hat, war, daß zwei Regierungen weitergehende Ergebnisse blockieren - die Regierung Spaniens und die Regierung der Bundesrepublik Deutschland. Das ist die Wahrheit, Herr Bundeskanzler. Sie waren mitverantwortlich dafür, daß sich die Europäische Gemeinschaft insbesondere in der Diskussion über den Maastricht-Vertrag ausschließlich auf die Bewahrung des Geldwertes konzentriert hat, daß immer wieder Diskussionen nur darüber geführt worden sind, wie sich die Inflation und das jahresbezogene Haushaltsdefizit im Hinblick auf das Kriterium von 3,0 Prozent entwickeln, und daß lange Jahre überhaupt nicht darüber gesprochen wurde, wie es eigentlich den 18 oder 20 Millionen Menschen in Europa geht, die arbeitslos sind. Es ist das Verdienst sozialdemokratischer Regierungen in Europa, dies gegen Ihren Widerstand auf die Tagesordnung gesetzt zu haben.
Sie haben im Vorfeld des Gipfels immer wieder erklärt, daß Sie nicht bereit sind, eine gemeinsame europäische Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik in Angriff zu nehmen, obwohl Art. 103 des Maastricht-Vertrages dazu verpflichtet. Denn die zukünftige Notenbank hat ja gar keinen Partner, wenn es nicht gelingt, eine Art Wirtschaftsregierung zu bilden, wie es die französische Regierung seit langem fordert und wie es auch im Maastricht-Vertrag steht.
Was nützt denn Ihr Bekenntnis zu dem Wort von François Mitterrand, das Sie vorhin angeführt haben, das richtig ist und das Sie auf außenpolitischer Ebene vielleicht auch beherzigen, wenn Sie in der Wirtschaftspolitik und insbesondere in der Beschäftigungspolitik hartnäckig darauf beharren: Das machen wir in Deutschland; Beschäftigungspolitik ist eine nationale Aufgabe. Das ist eine falsche Antwort. Beschäftigungspolitik ist zwar eine nationale Aufgabe, aber mehr und mehr auch eine europäische Aufgabe. Das müssen Sie erst lernen.
Deshalb brauchen wir beispielsweise Rahmenbedingungen auf europäischer Ebene. Das ist unter den europäischen Regierungschefs weitgehend unbestritten. Wir bräuchten einen ersten Einstieg in eine Harmonisierung des Steuersystems. Das haben Sie vor einiger Zeit noch abgelehnt. Es ist gut, daß Sie Ihre Meinung jetzt korrigiert haben. Denn es geht natürlich nicht so weiter, daß sich die Vermögenden durch Wohnsitzverlagerung, die Unternehmen durch Firmensitzverlagerung sowie die Kontobesitzer durch Kontenverlagerung innerhalb Europas der Steuer entziehen und daß die Arbeitnehmer immer höhere Beiträge bezahlen müssen und deswegen nicht mehr wissen, was ihr Stellenwert in Europa eigentlich ist, wenn diese Politik fortgesetzt wird.
Wenn Sie sich etwa mit Herrn Monti, dem zuständigen Kommissar, der seit Jahren konkrete Vorschläge macht, unterhalten, werden Sie immer wieder hören, daß die Regierung Kohl nicht gerade ein Vorbild ist, wenn es um eine Harmonisierung der Steuern im gesamteuropäischen Kontext geht.
- Ich werde mich mit Ihnen, Herr Finanzminister, noch auseinandersetzen. - Ich nehme aber zur Kenntnis, daß Sie jetzt Ihre Meinung geändert haben. Wir begrüßen es, wenn wir hier einer Auffassung sind.
- Vor einem Jahr noch haben Sie versucht, das lächerlich zu machen und zu diffamieren, und haben gesagt, es sei illusionär, darauf zu setzen, daß man in Europa eine Harmonisierung der Steuersätze durchsetzen könne. Wenn Sie jetzt Ihre Meinung geändert haben, ist das ein Fortschritt. Wir begrüßen es.
Sich aber hier hinzustellen und an unsere Adresse zu sagen, daß wir in der Europapolitik isoliert seien und Sie selber sich mitten im Mainstream der europäischen Regierungen befänden, stellt die Wahrheit auf den Kopf. Nein, Sie haben es auf Grund Ihrer verfehlten Wirtschafts- und Finanzpolitik so weit gebracht, daß die große Mehrheit der europäischen Regierungen diese Fragestellung anders beantwortet und Sie zusammen mit Spanien in der Europäischen Gemeinschaft völlig isoliert sind.
Ministerpräsident Oskar Lafontaine
Dann haben Sie die Reformen, die wir im Inneren durchführen müßten, angesprochen. Alles konzentriert sich ja dann auf die Renten- und Steuerreformen. Natürlich möchte ich jetzt dazu Stellung nehmen. Ich hatte ja erwartet, daß heute möglicherweise ein Angebot gekommen wäre. Der Fraktionsvorsitzende der SPD hat dazu etwas gesagt, ebenso der Fraktionssprecher der Grünen. Es wäre denkbar gewesen, daß Sie heute ein Angebot vorgelegt hätten.
In der Rentenfrage gibt es ja auch Unterschiede zur Partei der Grünen, wie ich den Ausführungen von Herrn Kollegen Fischer entnommen habe. Es geht dabei um die Frage, ob es zur Zeit angemessen und richtig ist, die Renten über die demographische Formel zu kürzen, wie Sie es hier angeboten haben.
Wir gehen an diese Sache anders heran als viele andere, die sich an der Diskussion beteiligen. Wenn wir über die Rentenfrage diskutieren, lautet die erste Frage für uns nicht: Wie entwickeln sich die Lohnnebenkosten? Das ist zwar eine wichtige Frage, aber diese stellen wir nicht als erste. Die erste Frage, die wir stellen, lautet: Wieviel Geld brauchen Frauen und Männer im Alter, wenn sie ordentlich leben wollen? Diese Frage stellen wir zunächst.
Wenn man diese Frage beantworten will - ich bitte die Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen und Herrn Kollegen Fischer, dieses noch einmal zu überdenken -, muß man von den Durchschnittsrenten ausgehen. Die diesbezüglichen Daten sind kürzlich veröffentlicht worden; ich möchte sie Ihnen noch einmal vortragen. Die Durchschnittsrente für Frauen im Jahre 1996 betrug 929 DM und für Männer 1609 DM. Daß sich diese Zahlen im Einzelfall insbesondere bei Alleinstehenden usw. noch ganz anders darstellen, wissen auch Sie.
In dieser Frage haben wir eine dezidiert andere Position als die Mehrheit hier im Haus. Wir halten es bei Durchschnittsrenten von 929 DM für schamlos, die Forderung zu erheben, diese Renten weiter zu reduzieren und zu kürzen. Das ist unsere Position.
Eine zweite Frage wird überhaupt nicht diskutiert. Haben denn die Beitragszahler, die in die Rentenkassen einzahlen, keine Ansprüche auf Kapitalverzinsung, wie Aktien- oder Immobilienbesitzer oder solche, die private Verträge abschließen? Ist vielleicht denen, die jetzt die Forderung nach einer Kürzung der Renten stellen, entgangen, daß wir zu Beginn der Republik, als wir noch die Kriegsfolgelasten zu tragen hatten, immerhin eine Durchschnittsverzinsung in der Größenordnung von 4 Prozent hatten? Diese Verzinsung hat sich jetzt ins Negative gekehrt, wenn man einmal die Durchschnittsverzinsung hochrechnet.
Ist es wirklich so, daß die Beitragszahler keine Anrechte haben, etwa an Kapitalrenditen längerfristig beteiligt zu werden, während wir auf der anderen Seite in einer Gesellschaft leben, in der Aktiengewinne nicht besteuert werden, sich das meiste Geldvermögen der Besteuerung entzieht und Spekulationsgewinne in großem Umfang nicht besteuert werden?
Eine solche Gesellschaft ist sozial ungerecht. Nein, auch die kleinen Leute, die ihre Beiträge zahlen, haben einen Anspruch darauf, daß die Rente so bemessen ist, daß eine ordentliche Verzinsung zugrunde gelegt werden kann. Warum diskutieren Sie darüber überhaupt nicht?
Fällt Ihnen das nur ein, wenn Sie über Aktien, über Shareholder Value, über Immobilien und über Gewinne der Unternehmen reden? Ist unser Land wirklich so weit gekommen, daß man nicht auch das gleiche Recht für diejenigen einfordert, die die geringsten Beiträge zur Alterssicherung aufbringen können, die angesichts der jetzt großgewordenen Praxis keine Möglichkeit mehr haben, Betriebsrenten in größerem Umfang zu beziehen, und die noch weniger Möglichkeiten haben, privates Immobilienvermögen oder anderes Vermögen zu bilden, um für ihren Lebensabend zu sorgen?
An diese Menschen und an niemand anderen haben wir in erster Linie zu denken.
Wenn diese Frage beantwortet ist, ist noch die Frage zu beantworten: Wie kommt es zu diesem Beitragssatz? Herr Bundeskanzler, Sie haben zu recht darauf hingewiesen - das bestreitet niemand -, daß in großem Umfang Vorruhestandsregelungen in Anspruch genommen worden sind. Es wäre unfair und unwahrhaftig, wenn wir nicht sagen würden, daß wir daran mitgewirkt haben. Das ist nicht unsere Art.
- Wir werden vielleicht Zeit haben, über das Bekenntnis zur christlichen Politik in der Alltagspraxis zu diskutieren. Ich könnte darüber ein Kolleg halten, aber ich brauche das gar nicht.
Lesen Sie einmal das Buch von Heiner Geißler - falls Sie, junger Mann dahinten, überhaupt einmal ein Buch lesen. Da werden Sie manches lesen, was Ihnen die Ohren rot werden läßt. Das kann ich zum Anspruch des Christentums und zu Ihrer Praxis sagen.
Sehen Sie, Herr Kollege Geißler, es lohnt sich manchmal, Bücher zu schreiben. Die werden dann auch gelesen. Ich habe Ihren Kollegen empfohlen, es auch einmal zu lesen. Sie haben dort sehr kritische
Ministerpräsident Oskar Lafontaine
Worte über den christlichen Anspruch, über das Versprechen des Christentums und die Praxis der Politik gefunden. Ich habe es mit großer Aufmerksamkeit gelesen.
Wenn Sie weiterdiskutieren, müssen Sie einräumen, daß wir auf ein entscheidendes Problem hingewiesen haben. Bereits im Jahre 1990 hat der Kollege Dreßler - dem ich von hier aus alles Gute und gute Genesung wünschen möchte -
für die auch von uns mitgetragenen Regelungen für die Renten in den neuen Ländern vorgeschlagen, diese wegen der daraus erwachsenden Probleme für die Beiträge wesentlich aus Steuermitteln zu finanzieren.
Das ist die Auseinandersetzung, die wir mit Ihnen führen, und zwar nicht nur über die Rentenkasse. Wir führen sie auch bei vielen anderen Sozialversicherungsproblemen, die aufgetreten sind. Wir müssen endlich wieder Ordnung in die Sozialkassen bringen, das heißt, Leistungen müssen früheren Beiträgen gegenübergestellt werden, und was darüber hinaus gewährt wird, ist aus Steuermitteln und nicht nur aus den Mitteln der Arbeitnehmerschaft und Beitragszahler zu finanzieren.
Dies ist exakt der schwere Fehler, den Sie gemacht haben. Auch die jüngste Statistik der Europäischen Gemeinschaft weist aus, daß die Abgaben in Deutschland höher sind als in den meisten anderen Mitgliedstaaten und daß sie schneller gestiegen sind als in den meisten anderen Mitgliedstaaten.
Das ist keine Erblast des Kommunismus und auch keine Erblast der Nazizeit. Das ist schlicht und einfach eine Folge des Fehlers, den Sie begangen haben, indem Sie sagten: Ich verspreche, daß es keine Steuererhöhungen gibt, und finanziere den Aufbau Ost über die Sozialkassen. Das ist ein schwerer struktureller Fehler, der erheblich zur Arbeitslosigkeit beigetragen hat.
Vor diesem Hintergrund haben wir einen ersten Schritt angeboten. Es wäre möglich, daß jetzt einer von Ihnen aufsteht und sagt: Ich habe die Möglichkeit, etwas für die Koalition zu sagen. In der Regel ist das der Bundeskanzler, aber wir können auch andere Regeln in Kauf nehmen. Er könnte sagen, daß Sie bereit sind, die Rentenkasse im Jahre 1998 zu entlasten, indem wir bei der Mehrwertsteuer einen Schritt aufeinander zugehen.
Unsere Voraussetzung ist, daß wir über die Rentenkürzung - oder die Strukturreform; so wird das von Ihnen genannt - die Wählerinnen und Wähler entscheiden lassen. Wenn jetzt hier einer aufsteht, können wir das abschließen. Solange Sie aber darüber streiten, ob die F.D.P. das will, was die CDU will, und solange die CSU sagt: „Wir machen das Vorziehen
der Rentenformel überhaupt nicht mit" , das heißt, solange Sie sich nicht einig sind, ist es doch unwahrhaftig und unredlich, immer wieder Blockadevorwürfe zu erheben.
Wenn Sie sich an unsere Adresse wenden, so möchte ich Ihnen folgendes sagen: Die Grundlage des demokratischen Dialogs ist auch, daß man versucht, wahrhaftig zu argumentieren;
sonst ist kein demokratischer Dialog möglich. Wer wahrhaftig ist, wird einräumen, daß Sie sich hinsichtlich der Rentengesetzgebung in der Koalition uneinig sind und daß ein klares Angebot auf dem Tisch liegt, das ich wiederholt habe, das zu beantworten Sie aber unfähig sind, weil Sie Streit haben. So platt ist das.
Ich komme zur Steuerreform. Jeder kann sich irren. Es ist immer unangenehm, wenn man sich geirrt hat. Sie haben den Fehler gemacht, zu Beginn dieses Jahres Ihr Konzept zu erarbeiten, obwohl wir gesagt haben: „Guckt erst einmal in die Kasse hinein, ehe ihr große Versprechungen macht" und obwohl wir zusammen mit anderen dazu geraten haben, die Steuerschätzungen abzuwarten. Ich wende mich jetzt an die Zuschauerinnen und Zuschauer: Jeder Haushalt muß, bevor er irgendwelche Ausgaben verspricht - -
- Ich komme gleich auf das Saarland zurück. Ich verspreche Ihnen, ich komme im Zusammenhang mit dem hervorragenden CSU-Parteitag noch auf das Saarland zurück.
- Gedulden Sie sich, ich komme darauf noch zurück. Es ist notwendig, darauf zurückzukommen. Zunächst sind wir aber noch bei der Steuerschätzung.
Wir haben gesagt, es ist nicht vertretbar, ein solches Steuerreformkonzept vorzulegen, ohne die Steuerschätzung zu kennen. Sie waren anderer Meinung. Wir halten dies sachlich für einen schweren Fehler. Wir glauben nicht, daß es überhaupt redlich und sinnvoll ist, Steuersenkungen zu versprechen, ohne die Steuerbasis für die nächsten Jahre zu kennen. Sie waren anderer Meinung. Wir halten das für einen schweren Fehler.
Wir begrüßen es, daß sich mittlerweile auch diejenigen, die Ihnen Beifall gezollt haben, auf den Boden der Realität gestellt haben, wie der DIHT, der gesagt hat, daß es auf Grund der aktuellen Entwicklung der
Ministerpräsident Oskar Lafontaine
Steuereinnahmen aller Staatshaushalte nicht möglich ist, große Steuersenkungen zu versprechen. Warum sind Sie nicht in der Lage, eine ähnlich klare Aussage zu treffen, damit wir eine vernünftige Beratungsgrundlage haben?
Es ist für mich unfaßbar: Da brechen die Steuereinnahmen aller staatlichen Ebenen ein, und Sie glauben ernsthaft, noch die Fiktion aufrechterhalten zu können, daß Sie dem Volk Steuersenkungen in der Summe von - nach den Berechnungen von Nordrhein-Westfalen, Mehrwertsteuererhöhung eingeschlossen - 40 Milliarden DM versprechen können. Das ist für uns unwahrhaftig und unredlich. Lösen Sie sich von dieser Position, wie es die Sachverständigen und der DIHT getan haben, wie es im Grunde genommen jeder tun muß, der sich einigermaßen ernsthaft mit der Entwicklung der Staatsfinanzen auseinandersetzt.
So, wie Sie an dieser Stelle eine klare Aussage verweigern, weil Sie untereinander zerstritten sind - denn die F.D.P. muß, koste es, was es wolle, als Steuersenkungspartei dargestellt werden -, tricksen Sie auch bei den anderen Steuerfragen. Warum sind Sie so unredlich?
Mehrwertsteuer. Sie haben doch vorgeschlagen, die Mehrwertsteuer zur Senkung des Rentenversicherungsbeitrages einzusetzen. Das ist doch die Wahrheit. Sie haben ebenfalls vorgeschlagen, die Mehrwertsteuer einzusetzen, um die Steuerreform zu finanzieren. Auch das ist die Wahrheit. Sie haben also zwei Punkte vorgeschlagen. Warum tun Sie in der Öffentlichkeit so, als sei - auch der F.D.P.-Vorsitzende hat sich wieder so geäußert - über eine Mehrwertsteuererhöhung jetzt überhaupt nicht zu diskutieren, da dies ein großer Schaden für Wachstum und Beschäftigung sei? Warum sind Sie so unwahrhaftig, in einem Satz, in einem Atemzug eine bestimmte Sache und das Gegenteil davon zu behaupten? Es ist doch unglaublich, was Sie sich hier erlauben.
Sie haben nicht nur über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um zwei Punkte diskutiert, sondern auch über eine Anhebung der Mineralölsteuer. Das sind die Steuerdiskussionen, die Sie geführt haben. Bei der Anhebung der Mineralölsteuer oder der Mehrwertsteuer wird nicht unter ökonomischen Gesichtspunkten diskutiert, sondern da wird nur darüber diskutiert, was populär ist und was nicht, weil man vor lauter Angst vor den Wahlen völlig entscheidungsunfähig geworden ist.
Die Frage, was man jetzt anhebt, die Mineralölsteuer - -
- Herr Gerhardt, nun tun Sie doch nicht so dick! Daß Sie jetzt hier so tun, als hätten Sie keine Angst vor den Wahlen, das erinnert doch wirklich an das Kleinkind, das im Walde pfeift, weil es Angst hat, daß der schwarze Mann kommt.
Eine rationale Debatte darüber - wenn es schon unvermeidlich ist, diese Steuern anzuheben, um die Lohnnebenkosten abzusenken -, welche Steuererhöhung jetzt in die Landschaft paßt, haben Sie bis zum heutigen Tage nicht geführt. Sie haben beispielsweise Japan angesprochen; das ist doch hier alles ausgebreitet worden. Die japanische Binnenwirtschaft - darüber wird in Japan noch diskutiert - hat nach einer Mehrwertsteueranhebung einen erheblichen Einbruch gehabt. Wir haben hier in Deutschland im Einzelhandel jetzt im fünften Jahr teilweise reale Rückgänge des Umsatzes. Meinen Sie, da sei es unproblematisch, über Mehrwertsteuererhöhung zu diskutieren?
- Dies habe ich auch dem Kollegen Beck, der eine Erhöhung auf 18 Prozent vorgeschlagen hat, gestern in einem Telefonat gesagt. Es ist doch ein ganz normaler Sachverhalt, daß auch wir unterschiedliche Positionen haben. Das wird ja überhaupt nicht bestritten. Nur ist es bei uns so, daß wir uns dann auf eine einheitliche Linie verständigen
und auch bereit sind, diese dann umzusetzen, was Sie, meine Damen und Herren, nicht mehr können.
Nun komme ich zum CSU-Parteitag. Mit großem Interesse habe ich gehört, daß Herr Stoiber vorgetragen hat, daß Landwirtschaftssubventionen etwas ganz Hervorragendes seien und daß man sie eigentlich immer weiter nach oben fahren müsse, während alle anderen Subventionen schädlich seien. Er hat nur noch vergessen, zu sagen, daß natürlich auch die Subventionen in Militärtechnik ganz hervorragend seien. Er verfährt nach dem Motto: Alles, was an Subventionen nach Bayern fließt, ist gut; bei dem Rest sind wir dagegen. Das wird auf Dauer auch für die Regierung der CSU in Bayern nicht gut sein. Ich sage das hier einmal in aller Klarheit.
Ministerpräsident Oskar Lafontaine
Die anderen Länder lassen es sich auf Dauer nicht gefallen, was da an Selbstherrlichkeit und unredlicher Argumentation immer wieder zu hören ist.
So ist beispielsweise jetzt die glorreiche Idee aufgekommen - das haben die Kollegen Scharping und Fischer bereits angesprochen -, man solle bei der Sozialversicherung regionalisieren und sich aus der Solidargemeinschaft ausklinken. Das ist wirklich eine nicht zu überbietende Dreistigkeit: Das strukturschwache Land Bayern hat jahrzehntelang vom Solidarausgleich gelebt. Es ist schäbig, jetzt anzudiskutieren, sich aus dem Solidarausgleich zu verabschieden.
Das gilt dann auch für den Bund-Länder-Finanzausgleich, meine Damen und Herren. Das ist doch wirklich der Gipfel der Unverfrorenheit: Dieses Land ist jahrzehntelang Nehmerland im Bund-Länder-Finanzausgleich.
Jetzt wird Bayern angesichts der neueren Entwicklung nach der deutschen Einheit zum Geberland, und nun fällt Ihnen plötzlich ein, das müsse zurückgeführt werden, jetzt sei Schluß mit der Solidarität. Ich nenne das schäbig, um das hier einmal in aller Klarheit zu sagen.
Ich komme nun zu Ihnen, Herr Finanzminister. Sie tun immer so - die Nummer haben Sie hier schon zehnmal abgezogen -, als kämen die Zuwendungen an das Saarland aus Ihrer persönlichen Tasche und als müßte alle Welt Ihnen für die Großzügigkeit dankbar sein, die Sie an den Tag legen.
Meine Damen und Herren, es ist richtig, daß das Saarland, das die Kohle- und Stahlkrise zu bewältigen hat und auf Grund seiner Geschichte zweimal zu unterschiedlichen Währungsräumen gehörte, immer noch Strukturprobleme hat und daß es, nachdem die Montankrise ausgebrochen ist - vorher war das nicht der Fall -, die solidarische Unterstützung anderer Länder braucht.
Aber, meine Damen und Herren, von Bayern haben wir aus zweierlei Gründen keine Belehrung zu erfahren. Ein Grund besteht im Bund-Länder-Finanzausgleich. Zum zweiten aber hat sich kein Land der Bundesrepublik Deutschland so wie das Land Bayern in den letzten Jahrzehnten mit über 100 Milliarden DM aus dem Bundeshaushalt bedient. Sie sollten schweigen, ehe Sie mit Fingern auf andere zeigen.
Das gilt für den Militäretat, über den nachher abgestimmt werden wird, das gilt für den Verkehrsetat, das gilt für den Forschungsetat, das gilt natürlich für den Agraretat und für viele andere Bereiche.
Sie haben keinen Grund, mit dem Finger auf andere Länder zu zeigen. Wenn uns jetzt Bürgerinnen und Bürger aus Bayern zuhören, dann sage ich ihnen: Eine Regierung der CSU, die in diesem Ausmaße gegenüber anderen Ländern unfair ist, vertritt das Land Bayern schlecht und könnte eines Tages mit den Rechnungen konfrontiert werden.
Der Höhepunkt ist dann immer, daß Sie die Finanzentwicklung des Saarlandes ansprechen und daraus das Versagen ableiten. Nun, da gibt es objektive Zahlen, Herr Kollege Waigel. Herr Bundeskanzler, Sie sahen sich ja auch bemüßigt, vor dem CSU-Parteitag so zu argumentieren.
- Sie haben etwas zur Finanzentwicklung gesagt. Ich habe es selbst gehört, Herr Bundeskanzler.
Ich wette mit Ihnen, daß Sie etwas gesagt haben. - Was wetten Sie? Sie können mir gleich die Wette abgeben; ich halte sie.
Auf jeden Fall haben Sie darauf hingewiesen, daß der saarländische Ministerpräsident wegen der schlechten Finanzwirtschaft an der Saar keinen Grund habe, hier zu argumentieren.
Im Jahre 1985, in dem wir - ein außergewöhnlicher Vorgang - an der Saar eine absolute Mehrheit erreicht hatten, weil die Vorgängerregierung, bestehend aus CDU und F.D.P. nicht als in der Lage dazu eingeschätzt wurde, die Stahl- und Bergbaukrise zu bewältigen, hatten wir eine Zinssteuerquote von 19,6 Prozent. - Das können Sie mitschreiben. - Zur damaligen Zeit hatte der Bund eine Zinssteuerquote von 14,3 Prozent, glaube ich; die Kommastelle mögen Sie bitte überprüfen.
Nun haben wir - das ist eine schlechte Entwicklung, die ich bedauere - diese 19,6 Prozent leider nicht zurückführen können. Vielmehr ist die Zinssteuerquote auf Grund der ständigen Bergbaukrise und der Stahlkrise trotz der Hilfen auf 22 Prozent angestiegen. Das ist eine sehr, sehr nachteilige Entwicklung.
Im gleichen Zeitraum aber haben Sie nicht um drei Punkte zugelegt, sondern um zehn Punkte, nämlich von 14 auf über 24 Prozent. Wenn Sie sich dann als Vorbild in der Finanzpolitik gerieren, dann befinden Sie sich außerhalb der Zahlenwelt, aber so ist es bei vielen anderen Beispielen ja auch.
Wenn Sie dann sagen, wir hatten zur Bewältigung der Stahlkrise die Bundeshilfen zur Verfügung, so ist
Ministerpräsident Oskar Lafontaine
das richtig. Wir hatten Bundeshilfen erhalten, und dafür ist das Land auch dankbar.
Sie aber hatten zur Bewältigung des Aufbaus Ost die Möglichkeit, auf beträchtliche Steuer- und Abgabenerhöhungen pro Jahr zurückzugreifen, und Sie haben in diesem Zeitraum Bundesbankgewinne kassiert, was Sie vorher hier immer heftigst kritisiert haben.
Halten Sie sich also bei der Finanzpolitik zurück. Sie haben viel schlechtere Zahlen als Länder, auf die Sie mit dem Finger zeigen, Herr Bundesfinanzminister.
Noch einmal zur Steuerreform: Sie haben gestern hier gesagt - ich weiß nicht, wer Ihnen das aufgeschrieben hat; Sie haben abgelesen, und dem zuzuhören habe ich mir angetan -, wenn wir die Rentenreform und die Steuerreform so realisieren, wie sie sich jetzt abzeichnet, wird sich ein Investitionsfeuerwerk entwickeln. - Haben Sie eigentlich irgendeinen Ökonomen in Ihrem Ministerium? Wer hat Ihnen denn so etwas aufgeschrieben?
Glauben Sie wirklich, daß ein Investitionsfeuerwerk losgeht, wenn wir jetzt die Mehrwertsteuer anheben, um einen weiteren Anstieg der Sozialversicherungsbeiträge zu verhindern? Haben Sie nicht gehört, daß zum Beispiel das Handwerk sagt, ein Punkt Mehrwertsteuer koste dort 60 000 Arbeitsplätze? - Also reden Sie doch nicht so leichtfertig und so leichtsinnig daher, führen Sie die Öffentlichkeit nicht in die Irre, meine Damen und Herren!
Die Steuerreform hätte natürlich Investitionen zur Folge, wenn Ihr ursprüngliches Projekt, in größerem Umfang etwa konjunkturstützend Steuersenkungen durchzuführen, realisiert worden wäre und nicht von gleich hoch bezifferten Kürzungen in den Haushalten begleitet würde. Das ist die ökonomische Gleichung.
Wenn Sie aber jetzt eingesehen haben - Sie nickten vorhin ein wenig; ich weiß nicht, wie weit Sie in der Diskussion sind -, daß es angesichts des dramatischen Wegbrechens der Staatseinnahmen völlig unverantwortlich ist, den Wählerinnen und Wählern Steuersenkungen von 40 Milliarden DM zu versprechen, dann sind wir bei einer aufkommensneutralen Steuerreform, die kein Investitionsfeuerwerk in Gang setzen wird. Erzählen Sie doch den Leuten nicht einen solchen ökonomischen Unfug! Ich muß das einmal in aller Härte sagen.
Wir können im Moment folgendes machen - ich biete
es Ihnen noch einmal an; sperren Sie die Ohren auf -:
Wir haben die Möglichkeit - Herr Kollege Schäuble, schreiben Sie mit -, den Eingangssteuersatz auf 22 Prozent zu senken.
Die SPD ist bereit, den Spitzensteuersatz auf 49 Prozent zu senken, wohl wissend, daß jeder Prozentpunkt, den wir oben wegnehmen, 2 Milliarden DM kostet. Wir legen Wert darauf, daß beim Grundfreibetrag und beim Kindergeld etwas getan wird, weil wir der Auffassung sind, daß wir insbesondere diejenigen Familien stärken müssen, die das Geld auch ausgeben.
Wir weisen Diskutierende in Steuersachen darauf hin, daß jede Mark, die wir unten nachlassen, auch dem Millionär zugute kommt. Voraussetzung ist - das können Sie morgen haben; aber Sie sind handlungsunfähig -, daß Sie aufkommensneutral gegenfinanzieren und daß dies mit dem Finanzministerium in Nordrhein-Westfalen abgeglichen wird.