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    Plenarprotokoll 13/206 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 206. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 26. November 1997 Inhalt: Absetzung eines Punktes von der Tagesordnung 18631 A Tagesordnungspunkt I (Fortsetzung): Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1998 (Haushaltsgesetz 1998) (Drucksachen 13/8200, 13/8883) . . . 18631 B Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1997 (Nachtragshaushaltsgesetz 1997) (Drucksachen 13/8199, 13/8803) 18631 A Einzelplan 04 Bundeskanzler und Bundeskanzleramt (Drucksachen 13/9004, 13/9025) . . . 18631 B in Verbindung mit Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Abgeordneten Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS: Ausweis der Mittel für den Bundesnachrichtendienst (Drucksachen 13/6531, 13/7299) . . 18631 B Rudolf Scharping SPD 18631 D Michael Glos CDU/CSU 18636 C Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 18642 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . 18648 A, C Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P 18649 B Dr. Gregor Gysi PDS 18654 B, 18685 B Dr. Christa Luft PDS 18657 B Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler . . . 18658 A Oskar Lafontaine, Ministerpräsident (Saar- land) 18669 C Eckart von Klaeden CDU/CSU . . . . 18675 D Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . . 18677 C Dr. Heiner Geißler CDU/CSU 18683 B Rudolf Scharping SPD 18684 A Namentliche Abstimmung 18686 D Ergebnis 18689 C Einzelplan 05 Auswärtiges Amt (Drucksachen 13/9005, 13/9025) . . 18687 B Günter Verheugen SPD 18687 C Dr. Erich Riedl (München) CDU/CSU . 18692 A Otto Schily SPD 18694 B Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18694 C Ulrich Irmer F.D.P 18695 A Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18695 C Dr. Erich Riedl (München) CDU/CSU . 18696 D, 18704 C Dr. Helmut Haussmann F.D.P 18697 C Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18699 A Steffen Tippach PDS 18699 B Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA . 18700 C, 18703 B Ulrich Irmer F.D.P 18702 D Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18703 A Eckart Kuhlwein SPD 18703 C Karl Lamers CDU/CSU 18706 A Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung (Drucksachen 13/9013, 13/9025) . . 18708 A Walter Kolbow SPD 18708 A Dietrich Austermann CDU/CSU . . . 18712 A Erwin Horn SPD 18713 D Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18714 D Jürgen Koppelin F.D.P. . . . . 18716B, 18720 B Uta Zapf SPD 18718 A Otto Schily SPD . 18718 D Ernst Kastning SPD 18719 C Heinrich Graf von Einsiedel PDS . . . 18720 C Volker Rühe, Bundesminister BMVg . 18721 C, 18723 C Dr. Burkhard Hirsch F D P. 18723 B Paul Breuer CDU/CSU 18724 B Manfred Opel SPD 18725 D Namentliche Abstimmungen 18726 D Ergebnisse 18727C, 18730 A Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Drucksachen 13/9019, 13/9025) . . . 18732 C Dr. Emil Schnell SPD 18732 C Michael von Schmude CDU/CSU 18735A, 18742 A Dr. Uschi Eid BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18737 C Armin Laschet CDU/CSU 18737 D Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18738C, 18740C, 18743 A Dr. Winfried Pinger CDU/CSU 18740 B Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P 18740 D Dr. Willibald Jacob PDS 18743 B Carl-Dieter Spranger, Bundesminister BMZ 18744 B Dr. R. Werner Schuster SPD 18746 A Einzelplan 07 Bundesministerium der Justiz (Drucksachen 13/9007, 13/9025) . . . . 18747 C in Verbindung mit Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht (Drucksachen 13/9017, 13/9025) . . . 18747 C Gunter Weißgerber SPD 18747 D Manfred Kolbe CDU/CSU 18749 B Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18751 A Otto Schily SPD 18752B, 18762 A Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . . . 18753 D Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 18754 D Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Bundesminister BMJ 18756 B Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD . 18757 D, 18760 D Norbert Geis CDU/CSU 18758 C Norbert Geis CDU/CSU 18760 A Dr. Susanne Tiemann CDU/CSU . . . 18761 A Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18761 C Einzelplan 06 Bundesministerium des Innern (Drucksachen 13/9006, 13/9025) . . . 18763 C in Verbindung mit Einzelplan 33 Versorgung (Drucksachen 13/9023, 13/9025) . . . 18763 C Uta Titze-Stecher SPD 18763 D Dr. Klaus-Dieter Uelhoff CDU/CSU . . 18766 C Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18768 B Dr. Max Stadler F D P. 18770 A Ulla Jelpke PDS 18771 B Herbert Frankenhauser CDU/CSU . . 18772 C Fritz Rudolf Körper SPD 18773 C Manfred Kanther, Bundesminister BMI 18774 C Nächste Sitzung 18775 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 18777* A Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den Einzelplan 14 - Bundesministerium der Verteidigung Hans Büttner (Ingolstadt) SPD 18777* B Dr. Olaf Feldmann F.D.P 18779* A Gabriele Fograscher SPD 18779* B Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. 18779* D Dr.-Ing. Rainer Jork CDU/CSU und Hans-Dirk Bierling CDU/CSU 18780* A Ernst Kastning SPD 18780* B Roland Kohn F.D.P. 18780* C Manfred Kolbe CDU/CSU 18780* C Heidemarie Lüth PDS 18780* D Dr. Martin Pfaff SPD 18781* B Jürgen Türk F.D.P 18781 * D Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Einzelplans 06 - Bundesministerium des Innern - und des Einzelplans 33 - Versorgung - Manfred Kanther, Bundesminister BMI . 18782* A 206. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 26. November 1997 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Beck (Bremen), BÜNDNIS 26. 11. 97 Marieluise 90/DIE GRÜNEN Dreßler, Rudolf SPD 26. 11. 97 Hartmann, Hanns-Peter PDS 26. 11. 97 Heubaum, Monika SPD 26. 11. 97 Homburger, Birgit F.D.P. 26. 11. 97 Kriedner, Arnulf CDU/CSU 26. 11.97 Kurzhals, Christine SPD 26. 11. 97 Lehn, Waltraud SPD 26. 11. 97 Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 26. 11. 97 Erich Marx, Dorle SPD 26. 11. 97 Reschke, Otto SPD 26. 11. 97 Scheel, Christine BÜNDNIS 26. 11. 97 90/DIE GRÜNEN Schenk, Christina PDS 26. 11. 97 Schlee, Dietmar CDU/CSU 26. 11. 97 Schoppe, Waltraud BÜNDNIS 26. 11. 97 90/DIE GRÜNEN Siebert, Bernd CDU/CSU 26. 11. 97 Stübgen, Michael CDU/CSU 26. 11. 97 Vosen, Josef SPD 26. 11. 97 Dr. Wieczorek, Norbert SPD 26. 11. 97 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den Einzelplan 14 - Bundesministerium der Verteidigung Hans Büttner (Ingoldstadt) (SPD): 1. Meine Ausführungen über die Lage der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie, wie ich sie bereits am 11. November 1993 in einer aktuellen Stunde des Deutschen Bundestages formuliert habe, gilt im Grundsatz noch heute: CDU/CSU und F.D.P. sowie die von ihnen gebildete Regierung haben bis heute im Gegensatz zu den USA, Frankreich, England oder Japan auf eine eigenständige Industrie- und Technologiepolitik verzichtet. Die Investitionsentscheidungen der Regierung sind planlos und auch für die Unternehmen der Luft- und Raumfahrtindustrie kaum planbar. Zu lange wurde im Rahmen der europäischen Koordinierungsbemühungen zivile und militärische Kooperation im Bereich der Luft- und Raumfahrt getrennt verfolgt. Auch nach Abschluß der WTO-Abkommen, die eine staatliche Subventionie- rung ziviler Luft- und Raumfahrtprojekte auf Druck der USA nicht mehr oder nur noch eingeschränkt zuläßt, haben die Bundesregierung aber auch der in Deutschland industriell führende Daimlerkonzern an dieser Trennung festgehalten und damit wesentlich zu erheblichen Arbeitsplatzverlusten in der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie, sowie zu Technologieverlagerungen innerhalb der EU beigetragen. 2. Der Zusammenschluß von McDonnell Douglas und Boeing in den USA führt eindrucksvoll vor Augen, wie vordringlich die Schaffung einer europäischen Luft- und Raumfahrtindustrie ist, die sowohl den zivilen als auch den militärischen Teil umfaßt. Denn nur so lassen sich Synergien in Forschung und Entwicklung sinnvoll zusammenfassen und ermöglichen eine annähernde Wettbewerbsgleichheit mit der US-amerikanischen Konkurrenz, bei der zivile Subvention über den militärischen Bereich auch unter den jetzt gültigen WTO-Regeln möglich bleibt. 3. Bis zum Ende des kalten Krieges 1989 war der militärische Bereich der Luft- und Raumfahrtindustrie weitgehend von rein militärischen Vorgaben bestimmt. Ansätze einer besseren Verzahnung mit dem zivilen Bereich, was technologie- und strukturpolitisch sinnvoll gewesen wäre, sind weitgehend unterblieben und wurden zum Beispiel vom Daimlerkonzern gegen die Vorstellungen der Arbeitnehmervertretung in der Praxis auch nach dem Ende des kalten Krieges konterkariert. Dabei spielte die Regierungskoalition eine erbärmliche Rolle. Obwohl erhebliche staatliche Forschungsmittel und Aufträge dem Konzern zufließen, wurde weitgehend unterlassen, eigene struktur- und technologiepolitische Vorstellungen durchzusetzen. 4. Die Mitte der achtziger Jahre getroffene Entscheidung auf europäischer Ebene ein eigenes Jagdflugzeug, den Jäger 90, zu entwickeln und zu beschaffen, hatte neben den unter dem Gesichtspunkt des kalten Krieges militärischen Anforderungen auch das Ziel, eine eigenständige militärische Komponente einer europäischen Luft- und Raumfahrtindustrie aufzubauen. Ob die damals formulierten militärischen Anforderungen sinnvoll oder zumindest geboten waren, kann heute dahingestellt bleiben. Daß man dabei so sehr auf die eigenständige militärische Komponente im Rahmen europäischer Kooperation setzte, anstatt bereits damals auf eine sinnvolle Verzahnung militärischer und ziviler Komponenten abzuzielen, ist im nachhinein nur damit zu erklären, daß strukturpolitische Entscheidungen angesichts der Erfahrungen des kalten Krieges in dem Glauben getroffen wurden, mit dem militärischen Konzept stünde man auf einer krisenunabhängigen sicheren Seite. Dies erweist sich nun speziell für Bayern nach dem Zusammenbruch des Ostblocks als eine - damals nicht voraussehbare - Fehlentscheidung. 5. Inwieweit der Jäger 90 bzw. der Eurofighter bzw. das EFA 2000 heute militärisch als vordringlich betrachtet werden kann, muß zumindest hinterfragt werden. Sowohl die Veränderung der Bedrohungssituation nach dem Zusammenbruch des Ostblocks als auch die sich neu entwickelnden Aufgabenstellungen einer europäischen Verteidigungsorganisation, haben bereits 1993 den Schluß zugelassen, daß unter den neuen Gegebenheiten eine europäische Entscheidung für den Eurofighter in seiner damaligen Form nicht getroffen worden wäre. Bereits damals bestand unter den Fachleuten die mehrheitliche Meinung, daß angesichts der neuen militärischen Situation und Aufgabenstellung, sowie den gebotenen neuen Kooperationsformen zwischen ziviler und militärischer Luft- und Raumfahrtindustrie in Europa, das Projekt Future Large Aircraft (FLA) Priorität hätte erhalten müssen. Entsprechende Vorschläge hat die SPD-Bundestagsfraktion bereits damals nach Abstimmung mit dem Konzernbetriebsrat der DASA unterbreitet. Ein sinnvolles Umsteuern auf die neuen Gegebenheiten bei Sicherung der vorhandenen Arbeitsplätze sowie des technischen Know how an den Standorten wäre möglich gewesen. Entsprechende Initiativen auf europäischer Ebene hat die Bundesregierung jedoch ebenso unterlassen wie auch der Daimlerkonzern nicht von seiner strikten Trennung von militärischer und ziviler Luft- und Raumfahrt Abstand genommen hat. 6. Die jetzt vorliegende Beschaffungsvorlage für den Eurofighter wird all diesen Anforderungen nicht gerecht. Sie läßt weder erkennen, ob die Gesamtzahl der zu beschaffenden Jagdflugzeuge angesichts der gemeinsamen europäischen Verteidigungsaufgaben sinnvoll ist, noch zeigt sie Perspektiven auf, wie auf Grund der europäischen Haushaltszwänge die notwendige FLA-Projektierung vorangetrieben werden kann. Allerdings ist das Projekt Eurofighter derzeit das wichtigste Unternehmen europäischer Kooperation militärischer Luftfahrt und damit eine wichtige Ergänzung der Bemühungen zum Aufbau einer gemeinsamen europäischen Luft- und Raumfahrtindustrie als Gegenpol zu dem sich übermächtig entwickelnden US-amerikanischen Konzern Douglas/ Boeing. Die trotz hoher nationaler staatlicher Forschungs- und Auftragsmittel wenig nationale Standortverantwortung zeigende Haltung des DASA-Daimlerkonzerns läßt zudem befürchten, daß jetzt ein Ausstieg aus dem Eurofighterprogramm in Deutschland zu einem erheblichen Verlust von Know-how und Arbeitsplätzen im Bereich der Luft- und Raumfahrtindustrie führen würde, was bei einem früheren Tätigwerden der Bundesregierung hätte vermieden werden können. 7. Der Deutsche Bundestag steht auf Grund der konzeptionslosen Luft- und Raumfahrtpolitik der Bundesregierung deshalb vor einer schwierigen Entscheidung: Ein Ja zu der Vorlage bindet auf Jahre die beschränkten öffentlichen Mittel für ein Projekt, das sowohl was das Know-how als auch die Zahl der Jäger angeht, sicherheitspolitisch nicht die höchste Priorität besitzt. Ein Nein würde zwar langfristig die Chancen auf eine schlagkräftige, verzahnte europäische Luft- und Raumfahrtindustrie verbessern, mittelfristig aber Arbeitsplätze und Know-how in Deutschland gefährden und wahrscheinlich unwiderbringlich in andere europäische Länder verlagern. Vor diesem Hintergrund kann ich dem Einzelplan 14 und der darin enthaltenen Beschaffungsvorlage nicht zustimmen. Zwar halte ich eine grundsätzliche positive Entscheidung für die Beschaffung für richtig, nicht jedoch die in der Vorlage genannte Anzahl. Angesichts der Aufgaben, die die nationalen europäischen Streitkräfte im Rahmen der EU und der NATO und als Auftragnehmer von UNO-Aufgaben wahrnehmen können sollen, bezweifle ich, daß die in der Vorlage genannte Beschaffungszahl erforderlich ist. Insofern sehe ich mich auch durch die Stellungnahme des Bundesrechnungshofes bestätigt. Statt dessen ist zu prüfen, die durch eine geringere Beschaffung frei werdenden Mittel unverzüglich in ein FLA-Projekt zu stecken, das sich zudem auch im zivilen Bereich nutzen läßt. Dabei haben auch die Herstellerkonsortien finanzielle Verantwortung mit zu übernehmen. Auf Grund dieser Position kann ich aber auch dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nicht zustimmen. Der Antrag meiner eigenen Fraktion enthält zwar die meisten der von mir aufgeführten Positionen, er kommt jedoch zu einem anderen Schluß, weshalb ich mich dabei, nach sorgfältiger Gewissensprüfung, der Stimme enthalten werde. 8. Diese Entscheidung treffe ich auch mit Rücksicht auf die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Falsche politische Entscheidungen der CDU/CSU und der Bundesregierung sowie des Daimlerkonzerns dürfen nun nicht auf dem Rücken der betroffenen Werktätigen ausgetragen werden. Allerdings weise ich auch entschieden verdeckte Drohungen einiger Betriebsräte zurück, die an dem Abstimmungsverhalten zu dem Projekt ein Für oder Wider von Arbeitnehmerinteressen festmachen wollen. Die Verantwortung für den Verlust von Arbeitsplätzen in der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie tragen ausschließlich die Parteien, die seit nunmehr 15 Jahren die Mehrheit im Parlament stellen. Sie haben sowohl beim Aufbau einer gemeinsamen europäischen Luft- und Raumfahrtindustrie versagt, als auch beim Erstellen eines längerfristig tragbaren europäischen Sicherheitskonzepts. Sie haben zudem alles unterlassen, die Konzerne in die Arbeitsplatz- und Standortverantwortung mit einzubeziehen. Vor allem der Daimlerkonzern, die Bundesregierung und die Bayerische Staatsregierung haben deshalb jetzt dafür zu sorgen, im Interesse der Sicherung der Standorte in Bayern und insbesondere in Manching, daß die technologischen Voraussetzungen des Standorts und die Qualifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dazu genutzt werden, sowohl militärische als auch zivile Entwicklung und Flugerprobung in Manching zu konzentrieren. Nur so läßt sich dau- erhaft garantieren, daß hochwertige Arbeitsplätze in Bayern und am Standort Manching erhalten bleiben. Die Arbeitnehmervertretungen in der Luft- und Raumfahrtindustrie sollten, wie ihre Vorgänger in der Vergangenheit, auf diesen Zusammenhang hinweisen und sich nicht zum Büttel einer arbeitnehmerfeindlichen Industrie- und Wirtschaftspolitik machen lassen. Dr. Olaf Feldmann (F.D.P.): 1. Der Eurofighter ist ein Relikt des kalten Krieges. Weder Freiheit noch Sicherheit Deutschlands hängen vom Eurofighter ab. Der Eurofighter hat keine nationale Priorität. Dem Eurofighter fehlt der militärische Gegner. Der Gegner ist offensichtlich weniger militärischer, sondern mehr industriepolitischer Art. Ich bin nicht bereit, ein Wettrennen zwischen europäischer und amerikanischer Rüstungsindustrie mit deutschen Steuergeldern zu subventionieren. 2. Unsere außenpolitische Leitidee ist zwar supranational, doch verteidigungspolitisch handeln wir immer noch national. Wir müssen unsere sicherheitspolitische Konzeption grundlegend überdenken. Die Umsetzung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, GASP, ist überfällig. Vor der Entscheidung für einen Jäger brauchen wir ein Konzept für eine wirklich gemeinsame Verteidigung in Europa und eine echte Aufgabenverteilung im Bündnis. Nicht jeder Staat muß alles haben: den besten Panzer, den besten Jäger, die beste Fregatte. 3. Die dem Parlament zugesagte Möglichkeit, getrennt über Entwicklung und Beschaffung des Eurofighters jeweils frei entscheiden zu können, ist faktisch nicht gegeben. Dabei zieht das Argument der Vertragstreue im Bündnis allerdings nicht: Es gibt bisher keinen Produktionsvertrag - somit auch keinen Vertrauensbruch. Abgesehen davon sind gerade die Briten aus mehreren Gemeinschaftsprojekten ausgestiegen, vom Kampfhubschrauber Tiger bis zur Panzerhaubitze. 4. Der Eurofighter schafft keine, sondern gefährdet Arbeitsplätze, zum Beispiel im Heeresausrüstungsbereich. Der Verdrängungseffekt im Verteidigungshaushalt ist groß. Auch der Verteidigungsminister kann jede vom Parlament bewilligte Mark nur einmal ausgeben. Die Eurofighter-Arbeitsplätze sind hoch subventioniert und keine Arbeitsplätze unter marktwirtschaftlichen Bedingungen. 5. Angesichts der haushaltspolitischen Situation hat dieses 30 Milliarden teure, größte deutsche Rüstungsprojekt keine Priorität. Diese 30 Milliarden würden besser zur Entlastung des Haushalts und der Steuerzahler eingesetzt. Ich kann der Beschaffung des Eurofighters nicht zustimmen. Da ich den Einzelplan 14 ansonsten mittrage, wähle ich die mildeste Form der Ablehnung und enthalte mich. Gabriele Fograscher (SPD): Die Bundeswehr hat den Auftrag der Landes- und Bündnisverteidigung. Dazu gehört auch in Zukunft die Fähigkeit der Luftverteidigung in einem Verteidigungskonzept der Streitkräfte. Für die Luftverteidigung ist ein modernes Jagdflugzeug unverzichtbar. Die Phantom ist veraltet, es bedarf der Anschaffung eines modernen Jagdflugzeuges. Da eine derartige Investition aus diesen Gründen nötig ist, halte ich es für sinnvoll, daß ein neues Jagdflugzeug in Deutschland bzw. mit deutscher Beteiligung entwickelt und gebaut wird. Sicherlich ist dabei auch die Verläßlichkeit Deutschlands als Bündnispartner von Bedeutung. Obwohl die Beschaffungsvorlage der Bundesregierung für den Eurofighter 2000 nicht alle Fragen beantwortet (technischer Entwicklungsstand, Hauptbewaffnung, Kostenvolumen), kann ich in der jetzigen Situation nur für die Beschaffung des Eurofighters 2000 stimmen. Die Beschaffung des Eurofighters 2000 sichert in den nächsten 15 Jahren etwa 18 000 hochqualifizierte Arbeitsplätze in der Luft- und Raumfahrtindustrie und auch in der Zulieferindustrie. Die meisten dieser Arbeitsplätze befinden sich in Bayern, zahlreiche im Regierungsbezirk Schwaben. Bis heute gibt es kein alternatives ziviles Projekt, das diese Arbeitsplätze sichern könnte. Als bayerische und vor allem als schwäbische Abgeordnete ist mir sehr an dem Erhalt dieser qualifizierten Arbeitsplätze gelegen. Mit der Zustimmung zu diesem Rüstungsprojekt ist mein persönlicher Gewissenskonflikt nicht gelöst. Es bleibt weiterhin mein Ziel, daß Arbeitsplätze im zivilen Bereich gesichert und geschaffen werden, Konversionsprogramme entwickelt und Abrüstungsbemühungen verstärkt werden. Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Ich kann der Beschaffung des sogenannten Eurofighters nicht zustimmen. Nach dem insoweit unwidersprochenen Gutachten des Bundesrechnungshofes beträgt zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Preis für den Ankauf von 180 Flugzeugen über 30 Milliarden DM. Das ist angesichts der finanziellen Lage des Bundeshaushaltes und angesichts des mangelhaften Standes der Entwicklung und Erprobung schon wirtschaftlich nicht vertretbar. Die Zweckbestimmung des Flugzeugs bleibt unklar, sein Export in Länder auch außerhalb der NATO wird nicht verhindert werden können. Ich bin der Überzeugung, daß die Bundesrepublik weit mehr Sicherheit erwerben könnte, wenn sie statt dessen auch nur einen Bruchteil dieses Betrages für soziale Aufgaben, für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und für Bildung und Ausbildung im Inland, in Europa und in Ländern der Dritten Welt investieren würde. Ich begrüße es, daß durch die ausdrückliche Abstimmung im Plenum die individuelle Verantwortung jedes einzelnen Abgeordneten für seine Entscheidung in dieser Sache festgestellt wird. Ich stimme daher dem Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 13/9209 zu und werde mich bei dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/9145 der Stimme enthalten, weil ich die Begründung nicht teile. Dr.-Ing. Rainer Jork (CDU/CSU) und Hans-Dirk Bierling (CDU/CSU): Wenn wir heute der Produktion des Eurofighters im Zusammenwirken europäischer Staaten mit deutschem Anteil zustimmen, dann nicht in Erwartung einer kurzfristigen, unmittelbaren Bedrohung der Bundesrepublik oder allein geprägt durch einen positiven Erwartungseffekt für technische Innovation und Arbeitsplätze in Deutschland. Geprägt durch den tiefen Wunsch, daß gewaltsame Konflikte und Kriege - möglichst bereits im Ansatz - verhindert werden mögen, glauben wir jedoch nicht, daß ein waffenloses, zu wenig wehrfähiges oder gar ein neutrales Deutschland ungefährdet oder zur Friedenssicherung ausreichend in der Lage wäre. Nüchternes Denken und verantwortungsvolles Handeln kann sich nicht auf Utopien und Wunschdenken allein gründen, sondern muß auf realen Bedingungen fußen. Real ist leider in unserer Welt, daß durch Ignoranz und Begierde, gepaart mit Aggressivität, täglich neue größere oder kleinere Konflikte vom Zaune gebrochen werden, daß Wehrlosigkeit eher zu Aggression ermutigt. Wenn Verteidigungsfähigkeit gefragt ist, dann halten wir, auch im Interesse der Sicherheit unserer Soldaten, ein ausreichend hohes technisches Niveau für erforderlich. Verfügbarkeit über Waffensysteme muß im Einklang mit Verantwortung für die Schöpfung einhergehen. Wir vertrauen auf die Mechanismen in unserer Demokratie, die dieser Verantwortung zu entsprechen haben und jedwede Aggression verhindern müssen und können. Wir hoffen und fordern, daß in Zukunft eine aktionsfähige Gemeinschaft, vor allem in Europa, entsteht, die sich rechtzeitig und wirksam dafür einsetzt, daß Kriege bereits im Ansatz verhindert werden. Dann muß auch die Zeit kommen, in der die steigenden Ausgaben für hochkomplizierte Waffensysteme zugunsten humanistischer Anliegen weiter reduziert werden. Ernst Kastning (SPD): Zur Erfüllung des Auftrages der Bundeswehr, der Landes- und Bündnisverteidigung, gehört auch künftig die Fähigkeit zur Luftverteidigung in einem kombinierten Verteidigungskonzept der Streitkräfte. Die Erhaltung der Luftverteidigungsfähigkeit erfordert die Beschaffung eines modernen Jagdflugzeuges, das die Phantom ablöst, deren Lebensdauer erschöpft und deren Technologie veraltet ist. Ausgehend von dieser Grundüberzeugung halte ich aus Gründen der Verteidigungssicherheit (mit industriepolitischem Nebeneffekt) und der Verläßlichkeit Deutschlands im Bündnis die Beschaffung des Waffensystems Eurofighter 2000 für erforderlich. Obwohl die Beschaffungsvorlage der Bundesregierung noch einige Fragen bezüglich des technischen Entwicklungsstandes des Flugzeugs und seiner Hauptbewaffnung sowie des gesamten Kostenvolumens aufwirft, kann ich in der jetzigen konkreten Entscheidungssituation nur mit ja stimmen. Da die Bejahung des Beschaffungsvorhabens Eurofighter nur über die Zustimmung zum Einzelplan 14 zum Ausdruck gebracht werden kann, werde ich dem Einzelplan 14 in der zweiten Lesung zustimmen. Daraus folgt konsequenterweise, daß ich zu allen Anträgen, die die Ablehnung dieses Beschaffungsvorhabens oder die Streichung des entsprechenden Haushaltsansatzes zum Ziel haben, mit nein stimmen werde. Roland Kohn (F.D.P.): Gemäß § 31 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages erkläre ich zu meinem Abstimmungsverhalten zum Eurofighter folgendes: Den vorliegenden Anträgen, die Beschaffung des Eurofighter generell abzulehnen, stimme ich nicht zu. Da der Eurofighter aber mit erheblichen technischen, finanzpolitischen, haushaltspolitischen und sicherheitspolitischen Problemen behaftet ist, trage ich den Beschaffungsvorschlag der Bundesregierung zum Eurofighter nicht mit. Richtig wäre es gewesen, dem Vorschlag des Bundesrechnungshofes zur Risikominderung zu folgen, und jetzt bis zu 100 Flugzeuge zu beschaffen; über die Beschaffung weiterer Flugzeuge jedoch erst nach Abschluß des Truppenversuchs und nach Vorlage der Einführungsgenehmigung für das vollständig ausgerüstete und bewaffnete Waffensystem, voraussichtlich im Jahre 2007, erneut zu beschließen. Manfred Kolbe (CDU/CSU): Grundsätzlich stimme ich dem Bau und der Beschaffung des Eurofighters 2000 zu. Neben der militärischen Notwendigkeit halte ich es insbesondere auch für erforderlich, daß Europa und Deutschland im Flugzeugbau nicht den internationalen Anschluß verlieren. Gerade im Flugzeugbau steckt ein großes Innovationspotential, zum Beispiel in der Flugtechnik, der Computertechnik, der Elektronik und der Metallurgie. Flugzeugbau ist High-Tech, bedeutet Zukunft, und deshalb ist es grundsätzlich richtig, das Flugzeug in Europa zu bauen und nicht in den USA oder Rußland zu kaufen. Vor diesem industriepolitischen Hintergrund ist es aber nicht akzeptabel, daß die Industrie in den östlichen Bundesländern am deutschen Auftragsvolumen von über 23 Milliarden DM nach Mitteilung des Bundesverteidigungsministeriums nur mit 45 Millionen DM beteiligt ist, also mit nur 0,2 Prozent! Seit 1992 ist immer wieder auf die Notwendigkeit einer angemessenen Beteiligung von Unternehmen aus den östlichen Bundesländern an der Produktion hingewiesen worden, ohne daß in diesen fünf Jahren Ergebnisse erzielt worden sind. Die Bundesregierung wird auch unglaubwürdig, wenn sie einerseits von der Wirtschaft ein stärkeres Auftragsvolumen Ost einfordert, andererseits bei eigenen Auftragsvergaben es nicht durchsetzt. Aus diesem Grunde enthalte ich mich heute der Stimme. Heidemarie Lüth (PDS): Ich stimme dagegen, weil der Eurofighter eine militärpolitische Unsinnigkeit ersten Ranges darstellt. Ich stimme dagegen, weil die Anschaffung des Eurofighters nur die Interessen der Rüstungsindustrie befriedigt und ihrer Profitmaximierung dient. Ich stimme dagegen, weil die Anschaffung des Eurofighters mit Anschaffungskosten von über 100 Milliarden DM verbunden ist. Ich lehne die Anschaffung des Eurofighters gemeinsam mit 80 Prozent der Bevölkerung der Bundesrepublik ab. Ich lehne die Anschaffung des Eurofighters ab, weil ich damit auch dem Votum des Petitionsausschusses entspreche. Ich lehne die Anschaffung des Eurofighters ab, weil gerade auch noch in den vergangenen Tagen und Wochen Bürgerinnen und Bürger zum Beispiel in Chemnitz und in Leipzig, Vereine wie Friedensweg e.V. und der Versöhnungsbund e.V. auf den Straßen Unterschriften gegen die Anschaffung gesammelt haben. Ich stimme gegen die Anschaffung des Eurofighters, weil die durch ihn ermöglichte Sicherung der Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie einem Vielfachen in der zivilen Produktion und noch mehr Arbeitsplätzen im sozialen Bereich gegenüberstehen. Ich lehne die Anschaffung des Eurofighters ab, weil mit seinem Bau die weltweite Aufrüstung weiter angeheizt wird. Ich lehne die Anschaffung des Eurofighters ab, weil nicht die Aufrüstung auf der Tagesordnung steht, sondern Senkung der Militärausgaben und Erhöhung der Ausgaben für friedliche Konfliktbewältigung und Zivilen Friedensdienst. Dr. Martin Pfaff (SPD): Auch wenn ich den Haushaltsplan des Bundesministers für Verteidigung in seiner Gesamtheit ablehne, möchte ich mich hiermit für die Fortführung des Projektes Eurofighter aussprechen. Um die wesentlichen Begründungen nochmals klarzumachen, folgen die entscheidenden Punkte: Wie mir die Verteidigungsexperten der SPD-Bundestagsfraktion versichern, benötigt die Bundesrepublik Deutschland aus sicherheitspolitischer Sicht einen Nachfolger für die Phantom. Es wäre naiv davon auszugehen, jegliche Bedrohung von außen sei seit Ende des kalten Krieges ein für allemal vorbei: Ein Ende der Geschichte gibt es nicht. Und ohne Verteidigungsfähigkeit steht unsere Zukunft auf wackligen Füßen. Ich spreche mich für das Projekt aber auch aus, weil wir - als eine der führenden Industrienationen - nicht von der technologischen Entwicklung abgekoppelt werden dürfen. Das Projekt ist eine technologisch gewaltige Herausforderung. Wir sollten selber das produktionstechnische Know-how entwickeln und realisieren, um einen zukunftsfähigen Hochtechnologie- und Produktionsstandort Deutschland zu fördern. Stellt die Bundesrepublik den Nachfolger der Phantom nicht im Inland her, muß dieser im Ausland gekauft werden. Da ist mir das Hemd schon näher als der Rock. Und ich befürworte auch nicht zuletzt als örtlicher Abgeordneter den Bau - und ich sage dies ganz offen -, weil insgesamt 18 000 hochqualifizierte Arbeitsplätze, davon 500 bis 600 allein in Augsburg, betroffen sind - mitsamt der schicksalhaften Bedeutung für die potentiell betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der DASA und deren Familien. Eine - wie oftmals vorgeschlagene - Alternative, einen vergleichbaren Auftrag im zivilen Flugzeugbau aus öffentlichen Mitteln zu realisieren, wäre zwar auch aus meiner Sicht wünschenswert, ist jedoch in Anbetracht der desolaten Haushaltslage leider absolut realitätsfern. Auch wenn mit dem Projekt sofort begonnen würde, würden die Arbeitsplätze nicht rechtzeitig und im nötigen Umfang gesichert. Darüber hinaus möchte ich auch folgendes nochmals betonen: Ich halte die aktuelle und speziell die öffentliche Diskussion um die Produktion des Eurofighters für legitim, notwendig und demokratisch gut. Es darf aber nicht vergessen werden, daß die durchaus begründete und verständliche Heftigkeit der Diskussion, den Gutteil der Brisanz diejenigen zu vertreten haben, die in Bonn an den Schalthebeln der Macht sitzen. Schließlich ist es die Regierungskoalition, welche die Verantwortung für die gegenwärtige wirtschafts- und finanzpolitische Misere trägt. Hätten wir heute nicht ein solch dramatisches Ausmaß an Arbeitslosigkeit, könnten und würden öffentliche Steuermittel reichhaltiger fließen und die kostenbezogene Debatte müßte für niemanden so weit in den Vordergrund gerückt werden. Diese aktuelle Problematik des Eurofighter-Projektes ist nicht von der Opposition zu verantworten. Ich habe mich nachhaltig bemüht, bei den zuständigen Ministerien in Bonn und vor Ort den Vorschlägen der DASA-Betriebsräte in Richtung Konversion zur Realisierung zu verhelfen. Leider waren auch diese Bemühungen vergeblich. Auch deshalb fühle ich mich bestärkt in meiner Haltung für den Bau des Eurofighters. Aus den genannten Gründen stimme ich gegen den gesamten Verteidigungshaushalt, obwohl ich für das Projekt Eurofighter bin, und ich stimme auch deshalb gegen den Antrag der Grünen. Mit vielen Argumenten meiner eigenen Fraktion stimme ich überein, komme aber zu anderen Schlußfolgerungen. Deshalb werde ich mich bei diesem Antrag enthalten. Jürgen Türk (F.D.P.): Ich stimme gegen den oben genannten Änderungsantrag, weil er generell die Streichung der Kosten für die vorgesehene Beschaffung des Eurofighters 2000 vorsieht. Ich habe aber eine ablehnende Haltung gegenüber der mit dem Verteidigungshaushalt zu beschließenden Beschaffungsanzahl des Eurofighters in der Höhe von 180 Stück, den zu hohen Stückpreis und der noch unzureichenden Erprobung. Um auch im Verteidigungsbereich sparsam mit Mitteln umzugehen, möchte ich folgendes empfehlen: Die Beschaffung einer begrenzten Anzahl neuer russischer Jagdflugzeuge (MIG 29 M) mit einem Stückpreis von 40 Millionen DM, und zwar als Ersatz für die alte MIG 29 A, die zur Zeit in der Bundeswehr Dienst tut. Diese kostengünstigere Beschaffung würde gleichzeitig schrittweise die militärische, politische und wirtschaftliche Integration Rußlands nachhaltig fördern. Die Bestellung einer ersten Losgröße Eurofighter 2000 bis zu 100 Stück. Ein weiterer Zukauf wird unter den Vorbehalt des Bedarfes gestellt. Einen Jagdflugzeugmix aus Eurofighter 2000 (mit großem Anteil) und MIG 29 M (mit kleinem Anteil) langfristig in Dienst zu stellen. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Einzelplans 06 - Bundesministerium des Innern - und des Einzelplans 31 - Versorgung - Manfred Kanther, Bundesminister des Innern: Maßstab verantwortungsvoller Innenpolitik ist die Fähigkeit, auf wechselnde gesellschaftliche Problemfelder angemessen und zügig zu reagieren. Diesem hohen Anspruch ist die Bundesregierung auch in der laufenden Legislaturperiode in vollem Umfang gerecht geworden. Innenpolitik muß in erster Linie die innere Sicherheit als Grundlage der freien Entfaltung aller rechtstreuen Bürger festigen. Die Bekämpfung neu eingetretener Gefährdungslagen verlangt aber nicht nur das notwendige gesetzgeberische Instrumentarium. Ergänzend hinzukommen müssen grundlegende administrative Maßnahmen auf nationaler und internationaler Ebene. Überall hat die Koalition in beeindruckender Weise das Handwerkszeug für die Verbrechensbekämpfung verstärkt: Das Verbrechensbekämpfungsgesetz rückt der organisierten Kriminalität über eine Kronzeugenregelung zu Leibe, verschärft den Haftgrund der Wiederholungsgefahr, führt das beschleunigte Verfahren ein und verschärft die Strafvorschriften gegen das Schlepperunwesen. Das Korruptionsbekämpfungsgesetz packt über strengere Strafvorschriften, die Einbeziehung von Korruptionsvorgängen in der privaten Wirtschaft ins Strafrecht sowie über wesentliche Verschärfungen des öffentlichen Dienstrechts einen wichtigen Teilaspekt organisierter Kriminalität an. Das Bundeskriminalamtgesetz gibt der deutschen Zentralstelle zur Verbrechensbekämpfung eine moderne Rechtsgrundlage und klar definierte Eingriffsbefugnisse. Das Bundesgrenzschutzgesetz enthält das notwendige Instrumentarium für die vielfältigen und anspruchsvollen Aufgaben der Polizei des Bundes. Die Novellierung des Ausländergesetzes verbessert die Möglichkeiten zur Abschiebung schwerkrimineller Ausländer, auch als Reaktion auf die Beteiligung an gewalttätigen Demonstrationen. Der in der parlamentarischen Beratung befindliche Gesetzentwurf zur Änderung von Artikel 13 GG wird zusammen mit dem interfraktionellen Gesetzentwurf zur Verbesserung der Bekämpfung der organisierten Kriminalität das elektronische Abhören von Gangsterwohnungen ermöglichen und die Vorschriften gegen die Geldwäsche deutlich verbessern. Nach jahrelangen Auseinandersetzungen können mit diesen Meilensteinen der Verbrechensbekämpfung in Deutschland endlich wichtige Lücken im Schutz der Bürger gegen das organisierte Verbrechen geschlossen werden. Im gemeinsamen Kampf gegen Alltags- und Massenkriminalität habe ich die Länder zu einer „Aktion Sicherheitsnetz" aufgerufen. Eine entschlossene Sicherheitsstrategie, die der heutigen Gefährdungslage gerecht werden will, muß auf einer intensiven Zusammenarbeit mit dem Bürger aufbauen, alle staatlichen und kommunalen Kräfte bündeln, die Präsenz der Polizei verstärken, die Justiz in den staatlichen Sicherheitsauftrag stärker einbeziehen und sich zu einem konsequenten Vorgehen gegen jede Form von Kriminalität und Störung der öffentlichen Ordnung bekennen. Kriminalitätsbekämpfung gibt es allerdings nicht zum Nulltarif. Trotz Haushaltsengpässen hat der Bund seit 1993 seine Aufwendungen für Bundeskriminalamt und Bundesgrenzschutz kontinuierlich gesteigert. Allein für den Bereich des BGS ist der Haushaltsansatz von 2,15 Milliarden DM in 1993 auf 3,12 Milliarden DM in 1998 und damit um mehr als 45 Prozent angestiegen. Die Politik aller Länder muß diesen Weg entschlossen und kreativ mitgehen. Denn hier liegt ein entscheidendes Bewährungsfeld für eine funktionierende föderative Ordnung. Mit dem Aufbau des Europäischen Polizeiamtes Europol sind wir auch im europäischen Bereich entscheidend vorangekommen. Innerhalb eines vernünftigen Kontrollrahmens soll Europol Mitte 1998 seine Tätigkeit als leistungsfähige europäische Zentralstelle aufnehmen und uns international in die Lage versetzen, mit der Entwicklung der organisierten Kriminalität Schritt zu halten. Im Rahmen der Schengener Kooperation wurde die Zusammenarbeit vertieft. Der unverzichtbaren Sicherung der Außengrenzen dient die Neustrukturierung des Bundesgrenzschutzes, die unter anderem die polizeilichen Einsatzschwerpunkte an den Grenzen zu Polen und zur Tschechischen Republik personell und materiell massiv verstärkt. Die Zahl der dort eingesetzten Polizeivollzugsbeamten ist von 2700 im Jahr 1992 auf heute 5800 angestiegen. Nach Abschluß der Reform werden an diesen Grenzen insgesamt 7400 Polizeivollzugsbeamte im Einsatz sein. Das Konzept verdeutlicht insgesamt, daß die Erfüllung des polizeilichen Sicherheitsauftrages oberstes Ziel und damit zentraler Ausgangspunkt aller konzeptionellen Überlegun- gen zur Neukonzeption des Bundesgrenzschutzes ist. Schwerpunkt im Bereich der Ausländerpolitik war die Novellierung des Ausländergesetzes. Sie ermöglicht nicht nur die erleichterte Ausweisung schwerkrimineller Ausländer, sondern regelt auch andere, die Integration von Ausländern verbessernde Bereiche, die sich die Koalition zu Beginn dieser Legislaturperiode zum Ziel gesetzt hatte. Vor allem geht es auch weiterhin um eine entschiedene Umsetzung des geltenden Rechts in administrative Praxis - ein immerwährender Auftrag vor allem für die Länder. Im Bereich des öffentlichen Dienstes gestaltet das Dienstrechtsreformgesetz 1997 das Beamtenrecht unter Aspekten von Effizienz, Leistung, Mobilität und Führungsverhalten im öffentlichen Dienst grundlegend neu. Der versorgungsrechtliche Teil dieser Reform setzt den von mir vorgelegten Versorgungsbericht um: Neben der Anhebung der allgemeinen Antragsaltersgrenzen, der Kürzung der Zurechnungszeiten bei Dienstunfähigkeit und der Begrenzung des Ruhegehalts wird in Zukunft insbesondere die Bildung einer Versorgungsrücklage aus Beiträgen der Beamten im Vordergrund stehen. Diese Rücklage wird bis zum Jahr 2013 auf 66 Milliarden DM angestiegen sein und es damit ermöglichen, die prognostizierten Versorgungsausgaben der Gebietskörperschaften zu mindern. Das ehrgeizige Ziel „schlanker Staat" ist auf gutem Weg. Das Gesetz zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren steht beispielhaft für den Abbau überflüssiger Reglementierung. Die erfolgreiche Neustrukturierung des gesamten Zivilschutzes sollte auch anderen Bereichen erschließbares Verschlankungspotential ebenso wie den Weg zeigen, mit weniger Mitteln effektivere Strukturen zu verwirklichen. Der Sachverständigenrat „schlanker Staat" hat seine Arbeit am 12. September 1997 beendet und konkrete Neuerungsschritte zu diesem Thema und ihrer schnellen Umsetzung in die Praxis vorbereitet. Der auf Staatssekretärsebene eingesetzte Lenkungsausschuß Verwaltungsorganisation wird die vielfältigen Ansätze zur Modernisierung der Bundesverwaltung übergeordnet steuern und jährlich über die Fortschritte der Modernisierungsmaßnahmen auch im Hinblick auf den Berlin-Umzug informieren. Weitere Erfolge kann die Bundesregierung auch in dem schwierigen Bereich der Aussiedlerpolitik verbuchen. Die Lage der deutschen Minderheiten in Osteuropa hat sich fast überall stabilisiert. Mit deutlich weniger als 150 000 Personen ist für 1997 der geringste Zuzug seit 1987 zu erwarten. Schließlich hat das mit den Ländern abgestimmte Wohnortzuweisungsgesetz zu einer besseren Verteilung der Aussiedler in Deutschland beigetragen. Das erleichtert die notwendige Integration. Das gleiche gilt für die eingeführten Sprachprüfungen, die zugleich den Mißbrauch der Zuzugsmöglichkeiten einschränken. Vier Jahre Kulturarbeit des Bundesinnenministeriums stehen für weitere Fortschritte auf dem Weg zur inneren Einheit. Das mit Beginn des Haushaltsjahres 1995 für die neuen Länder und Berlin ins Werk gesetzte „Leuchtturmprogramm" ist auf bundesweite Beachtung gestoßen. Dankenswerterweise hat die Kulturpolitik der Bundesregierung immer großes Verständnis beim Deutschen Bundestag gefunden. Sie kann daher auch 1998 fortgesetzt werden. Vor allem im Denkmalschutz können wir nicht sparen, sondern müssen jetzt handeln, damit nicht unwiderbringliche Kulturgüter verloren gehen. Im Sport ist es in enger Zusammenarbeit mit dem Deutschen Sportbund gelungen, neue Konzepte zu entwickeln, die einen noch effektiveren Einsatz der Bundesmittel zur Förderung des Spitzensports ermöglichen. Gerade mit Blick auf die im nächsten Jahr mit den Olympischen Winterspielen und den Paralympics in Nagano/Japan anstehenden sportlichen Großereignisse sind damit erfolgreiche Weichen für die Zukunft gestellt. Der Sport bleibt aber weiter gefordert, die verschiedenen Strukturelemente in einem nationalen Spitzensportkonzept zusammenzuführen, wobei insbesondere dem Nachwuchsbereich ein besonderer Stellenwert zukommt. Ziel ist es, ein durchgängiges Förderkonzept von der Talentsichtung bis zur Begleitung der Weltklasseathleten zu schaffen.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Helmut Kohl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß natürlich zuerst die drängende Frage des Herrn Abgeordneten Gysi beantworten. Er hat mich gefragt, ob ich Kanzler der Bundesrepublik bleiben will.

    (Zuruf von der PDS: Gute Frage!) Ich sage ein ganz klares Ja dazu.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Dr. Dagmar Enkelmann [PDS]: Sehen das die Wähler auch so?)

    - Und wenn Sie noch so laut dazwischenrufen, es wird so sein, und das wissen Sie auch. Denn das ganze laute Getöse kommt nur von der Opposition.
    Es ist bemerkenswert, daß die Oppositionsredner heute vor allem durch die Lautstärke aufgefallen sind. Die Anlage im Haus ist doch eigentlich in Ordnung. Sie müssen doch nicht so laut reden, um Ihren Mangel an Argumenten zu überdecken. Ich kann das nicht verstehen.
    Es ist doch klar und ihr gutes Recht, daß die Opposition die Debatte über den Etat des Bundeskanzlers zur Generalabrechnung nutzt. Das gehört sich so. Das war immer so im Parlament und wird auch hoffentlich so bleiben.
    Natürlich ist auch wahr, daß das heutige Datum eine Rolle spielt: In zehn Monaten ist Bundestagswahl. Davor gibt es noch vier Landtagswahlen. Wer genug Zeit und Lust hat, möglichst viel Wahlkampf zu üben, der hat jetzt also zehn Monate Gelegenheit dazu. Sie haben heute ein paar Probereden gehalten. Ich kann mir nur wünschen: Halten Sie genau diese Reden; denn die Wirklichkeit des Landes treffen Sie nicht,

    (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Danke gleichfalls, Herr Bundeskanzler!)

    und wenn man die Wirklichkeit im Land nicht trifft, trifft man auch die Wähler nicht. Deshalb sehe ich dem, was Sie so sagen, mit Ruhe entgegen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Sie zeichnen einen Entwurf dieses Landes in Ost und West, Herr Scharping, von dem Sie doch selber wissen, daß es dieses Land so nicht gibt. Sie gehen ja jetzt auf Ihren Parteitag. Ich habe selbst Erfahrungen
    mit dem Auf und Ab von Parteitagen. Da muß man manchmal noch einen draufsetzen, damit man den eigenen Leuten deutlich zeigt, wie stark man ist und daß man vor Kraft kaum laufen kann. Das haben wir auch hier erlebt.
    Es nützt Ihnen aber nichts: Der Parteitag ist die eine Sache, und die Wähler sind eine andere. Deswegen bitte ich Sie, zu einer Debatte zurückzukehren, die sich mit dem Standort Deutschland und den Fragen „Wie geht es uns?", „Was können wir tun?" und „Wo wollen wir auf dem Weg in die Zukunft hin?" befaßt.
    Daß Sie jedes Mittel einsetzen, um an die Macht zu kommen, werfe ich Ihnen auch nicht vor. Sie werfen uns häufig unsere Oppositionsreden vor. Natürlich habe ich als Oppositionssprecher dieses oder jenes anders gesagt als heute als Regierungschef. Nachdem ich als Regierungschef ein paar Jahre älter geworden bin, formuliere ich heute auch manches anders als früher. Aber das ist doch normal, man wird eben älter und nimmt an Weisheit zu. Das ist das, was Ihnen noch fehlt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Eines, meine Damen und Herren von der Opposition, sollten wir aber gemeinsam vor der deutschen Bevölkerung bekennen: Wir kämpfen um jede Stimme, und zwar jeder für sich, jeder für seine Oberzeugung vom besten Weg der deutschen Politik. Wir respektieren den anderen - das ist heute früh bei den Oppositionsrednern nicht ganz klar gewesen -, wir respektieren vor allem, daß der andere den guten Willen hat, das Beste zu leisten. Im übrigen warten wir die Entscheidung der Wähler ab. Wir sind doch nicht in der Abteilung Wahrsagerei, sondern im Deutschen Bundestag. Von mir aus können Sie jeden Tag demoskopische Daten lesen und sich daran berauschen. Entschieden aber wird am Wahltag. Am Wahlabend ein paar Minuten nach 18 Uhr wissen wir das Ergebnis. Jetzt aber bitte ich Sie, daß wir wieder zu einer Diskussion der Vernunft zurückkehren.
    Herr Abgeordneter Gysi, ich möchte Sie einladen - ich bin zwar nicht selbst der Einladende, aber ich bitte die Einladenden, das zu tun -, am 10. Dezember nach Neubrandenburg zu kommen. Dort wird die Deutsche Telekom ihre Leistungen bei der Versorgung der neuen Länder mit Telefonanlagen präsentieren. Da werden Sie einmal hören, was eine Aufholjagd ist. Da werden Sie nämlich erfahren, daß es in den neuen Ländern 1990 1,8 Millionen Telefonanschlüsse gab - das sind 11 Anschlüsse je 100 Einwohner - und daß es heute 8 Millionen sind; das sind über 50 Anschlüsse je 100 Einwohner. Daran sehen Sie, daß ein privatisiertes Unternehmen - dagegen waren Sie ja auch - in wenigen Jahren eine großartige Leistung erbracht hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Dr. Gregor Gysi [PDS]: Das war die Bundespost! Weitere Zurufe von der PDS)

    - Da Sie einen entsprechenden Zwischenruf machen,
    will ich auch darauf hinweisen, daß dadurch Arbeits-

    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    plätze geschaffen worden sind. Es ist ein riesiges Arbeitspensum, das da erledigt wurde.

    (Dr. Gregor Gysi [PDS]: Aber das war noch die Bundespost!)

    Es sind - um das einmal klar zu sagen - Investitionen in Höhe von 50 Milliarden DM getätigt worden.

    (Dr. Gregor Gysi [PDS]: Bundesmittel!)

    Deswegen, Herr Abgeordneter Gysi, werde ich - wie ich es jetzt auch schon tue - im Wahlkampf wieder mit großer Freude auf Straßen und Plätzen zu den Menschen in den neuen Ländern sprechen. Sie werden dann ja auch dort sein. Warten wir einmal in Ruhe ab, was beispielsweise die von Ihnen eben zum Schluß genannten Rentner in den neuen Ländern zu unserer Rentenpolitik sagen, einer Politik, die respektiert, was die Männer und Frauen aus den Jahrgängen 1920 und älter, die auf der Schattenseite deutscher Geschichte zur Zeit der kommunistischen DDR leben mußten, geleistet haben. Wenn im Blick auf ihr Lebensschicksal jetzt sichergestellt ist, daß diese Rentner im gesamtdeutschen Rentenverbund ihre Zukunft finden können und entsprechend ihrer tatsächlichen Lebensleistung im geteilten Deutschland von uns allen solidarisch unterstützt werden, dann ist das eine Leistung, auf die ich stolz bin, zu der ich stehe und immer stehen werde.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich will hier zwar nur auf wenige Punkte aus den Oppositionsreden eingehen, aber ein paar muß ich doch ansprechen. Sehr angetan war ich davon, Herr Abgeordneter Fischer, daß Sie meine Regierungserklärung vom Oktober 1982 vorgelesen haben.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Eine gute Erklärung!)

    Ich hätte sie übrigens gerne eine weitere Stunde lang gehört; denn dann wäre Ihnen eine Menge von dem in Erinnerung gekommen, was Sie bewußt verdrängen,

    (Werner Schulz [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Revival!)

    was damals gesagt wurde und was etwas mit Ihrem Versagen zu tun hat. Sie hätten eine Aussage zum Thema deutsche Einheit gehört, die die Koalition von CDU/CSU und F.D.P. damals nach der Neubildung der Bundesregierung gemacht hat. Sie - vor allem die sozialdemokratischen Kollegen - hätten etwas dazu hören können, daß diese Koalition die Politik von Helmut Schmidt bezüglich der Stärkung der NATO fortführte,

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    die Politik von Helmut Schmidt, der damals von seiner eigenen Partei gestürzt wurde. Alles andere ist eine Vernebelung historischer Tatsachen: Helmut Schmidt wurde von Ihnen verlassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Lachen bei der SPD Zuruf des Abg. Eckart Kuhlwein [SPD])

    Wegen der Kürze der Zeit erspare ich es Ihnen, zu zitieren, was diejenigen, die in den vordersten Bänken der SPD sitzen, damals dazu gesagt haben. Aber es ist doch die Wahrheit. Wie wollen Sie denn eigentlich über die deutsche Einheit reden, wenn Sie nicht gleichzeitig sagen, daß weite Teile der Sozialdemokratie - von den Grünen rede ich schon gar nicht - die Idee der Einheit längst aufgegeben hatten? Sie hatten sich doch angepaßt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Natürlich haben wir auf dem Weg zur deutschen Einheit Fehler gemacht. Auch ich habe das getan; das habe ich oft genug gesagt. Aber wir konnten die Fehler überhaupt nur deshalb machen, weil wir die deutsche Einheit herbeigeführt haben. Sie wären doch überhaupt nicht in diese Lage gekommen!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Das, was ich eben über Ihre damalige Position sagte, gilt ja nicht nur für die deutsche Einheit. Sie hatten auch die Idee der europäischen Einigung aufgegeben. Der Begriff Eurosklerose - eine schlimme Krankheit wurde mit dem Begriff Europa verbunden - war doch auch bei Ihnen verbreitet. Europa galt Ihnen als etwas Gestriges. Sie waren auf einem Weg der Isolierung. Meine Damen und Herren vor allem von der SPD, auf diesem Weg sind Sie auch heute noch.

    (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr richtig!)

    Glauben Sie denn wirklich, daß ein einziger meiner Kollegen in der Europäischen Union, wenn er Ihre Reden, Ihr Programm und das Ihres Partners, des Herrn Fischer und der Grünen, liest, glaubt, daß es eine gute Sache wäre, wenn Sie an die Macht kämen? Keiner will das, keiner! Sie wissen das auch ganz genau.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Dann, Herr Scharping, haben Sie die Jugend angesprochen. Ich fand es schon erstaunlich, wie Sie es getan haben; denn zur Sache haben Sie, sieht man von Ihren Angriffen ab, nichts beigetragen. Es wäre doch eigentlich Sache eines Oppositionsredners gewesen, einmal wirklich intensiv und breit auf die Themen einzugehen, die in diesen Tagen die deutschen Studenten bewegen.
    Die deutschen Studenten haben zu einem Protest hier in Bonn aufgerufen, weil sie genau wissen - das wird ja auch laut gesagt -, daß sie wegen der größeren Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit nach Bonn gehen müssen. Sie wissen aber auch, daß Bonn gar nicht ihr Ansprechpartner ist. Es ist doch gar keine Frage: Was die Studenten wollen, ist etwas - dies ist in der Verfassung für jedermann erkennbar -, was zunächst einmal in den Landeshauptstädten angesprochen werden muß. Wir als Bund haben uns nicht aus der Verantwortung gestohlen.

    (Karl Diller [SPD]: Doch!)

    - Meine Damen und Herren, Sie wissen doch, daß es
    so nicht ist. Wir haben - um das noch einmal klar zu
    sagen - immer wieder mit den Ministerpräsidenten

    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    der Länder darüber gesprochen, daß der Hochschulbereich eine andere Priorität haben muß.
    Nicht alles, aber vieles von dem, wofür die Studenten in diesen Tagen demonstrieren, ist berechtigt und verdient auch unsere Sympathien und unsere Unterstützung.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Meine Damen und Herren, diese Generation will nicht den Staat umstürzen und nicht die Verfassung ändern. Es sind ganz junge Bürger dieser Bundesrepublik, die für sich eine Zukunft erarbeiten wollen - dazu brauchen sie unsere Unterstützung -, die eigene Leistungen bringen, die zügig studieren und, wenn möglich, auch rasch ins Berufsleben gehen wollen. Das sind handfeste Forderungen, nicht jene Dinge, die Herrn Fischer und seine Zeitgenossen damals über die Rollbahn getrieben haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Die Studenten, die jetzt demonstrieren, sind ganz normale junge Leute. Das ist eine Generation, die unsere Sympathien und unser Vertrauen verdient. Deswegen nehme ich diese Art von Demonstration auch nicht auf die leichte Schulter.
    Wir haben im Bund viel getan. Das neue Hochschulsonderprogramm III, das den Hochschulen bis zum Jahr 2000 insgesamt 3,6 Milliarden DM zur Verfügung stellt, davon allein 340 Millionen DM unter anderem für den Ausbau der Studienberatung etc., ist eine gute und vernünftige Sache. Sie haben eben gespottet. Wir haben gestern den zusätzlichen Vorschlag gemacht, 40 Millionen DM zur verbesserten Ausstattung der Universitätsbibliotheken zur Verfügung zu stellen.

    (Zuruf von der SPD: Ohne Gegenfinanzierung!)

    Das ist keine Sache des Bundes, Herr Scharping. Was macht eigentlich der Herr Ministerpräsident Beck? Was macht eigentlich der Ministerpräsident von Hessen? Die müßten doch wissen, wie es in den Uni-Bibliotheken - etwa in Marburg - zugeht; aber sie wissen es nicht, weil sie in Wirklichkeit von der Realität des Lebens Abschied genommen haben, das Studenten heute in Deutschland führen.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was macht ihr denn für eine Finanzpolitik?)

    Mit der Novelle zum Hochschulbauförderungsgesetz sind neue Finanzierungsspielräume und -instrumente für den Hochschulbau geschaffen worden. Wir haben noch eine ganze Menge mehr getan. Im Frühjahr haben wir kurzfristig ein zusätzliches Baupotential von bis zu 2,5 Milliarden DM erschlossen.
    Mir geht es jetzt gar nicht nur um die großen Beträge. Beispielsweise wird mir vorgetragen, welche Mittel Universitätsbibliotheken z. B. in den Massenfächern zur Verfügung stehen - etwa für juristische Kommentare, die zur einfachsten Ausstattung gehören. Da ist es nicht nur eine Frage des Geldes, sondern auch des guten Willens - oder andernfalls des
    totalen Versagens. Das muß man doch einmal klar und deutlich sagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir haben von Grund auf - ich will nur wenige Beispiele nennen - für eine Verstetigung der Mittelausstattung der Deutschen Forschungsgemeinschaft auf hohem Niveau gesorgt. Die Grundfinanzierung liegt jetzt bei über 2 Milliarden DM pro Jahr. Die Steigerungen der letzten Jahre belaufen sich auf jeweils rund 150 Millionen DM. Das kommt der Hochschulforschung zugute und hat auch etwas mit der Zukunft des Forschungsstandortes zu tun.
    Sie greifen immer den Bund an. Aber es ist doch wahr: 90 Prozent der Finanzierung kommen aus den Ländern, und das ist in Ordnung; ich kritisiere es nicht. Das entspricht dem Sinn der Verfassung und unserer Einigung auf diesem Feld. Auf diesem Gebiet sind doch gerade von den Ländern drastische Kürzungen vorgenommen worden.
    Der Abgeordnete Fischer stellt sich hier mit großer Emphase hin und verkündet den Niedergang der Bundesrepublik Deutschland. Sie waren doch hessischer Minister; Sie sind jetzt noch die treibende Kraft der hessischen Grünen. Was machen Sie denn eigentlich in dieser Landesregierung,

    (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

    wo immerhin 25 Prozent der Gesamtkürzungen im Haushalt auf den Bereich Wissenschaft und Kunst entfallen? Hören Sie doch auf, hier dem deutschen Publikum zu sagen, was Sie alles für die Zukunft tun!
    Sie tun überhaupt nichts. Sie haben nur ein Interesse: Sie wollen auf diese Bank - nicht mehr und nicht weniger.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Herr Scharping, Rheinland-Pfalz - davon verstehen wir beide etwas -

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist wahr, vom Rest verstehen Sie nichts!)

    und Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen - mit einer rot-grünen Regierung; dabei ist wieder Herr Fischer mit angesprochen - nehmen unter den westdeutschen Flächenländern bezüglich der Hochschulausgaben pro Kopf der Bevölkerung die schlechtesten Plätze ein.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)

    Nun muß man ehrlich sagen, daß dies noch nicht einmal Länder sind, die in der Proportion besonders belastet sind. Bayern oder Baden-Württemberg haben bezogen auf die Zahl der Einwohner eine viel größere Universitätsdichte, und die Zahlen sind dort günstiger.
    Wenn Sie also schon über die junge Generation reden und dabei dauernd über deren Zukunft sprechen, dann machen Sie doch etwas. Tun Sie etwas! Sitzen Sie hier nicht herum und halten große Reden,

    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    sondern gehen Sie vor Ort unter die Leute, und tun Sie etwas!

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Außerdem haben Sie von Lehrstellen gesprochen, Herr Scharping. Das ist auch so eine tolle Sache, mittlerweile ein förmliches Ritual. Kaum beginnt das Jahr, so prophezeien Sie schon für das übernächste Jahr die Lehrstellenkatastrophe.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Ich zitiere ein paar Beispiele.

    Wir haben Jahr für Jahr - ich gebe zu, unter Schwierigkeiten, was ja angesichts der wirtschaftlichen Probleme nicht verwunderlich ist, auch nicht angesichts des zurückgehenden Verantwortungsbewußtseins in manchen Betrieben, wobei ich Betriebsinhaber genauso wie Betriebsräte nenne - aus Verantwortung für die nachwachsende Generation zusätzliche Anstrengungen unternommen. Das ist die Wahrheit.
    In diesem Jahr steigt die Zahl der Lehrstellenbewerber erneut. Von den insgesamt 630 000 Bewerbern waren nach der neuesten vorliegenden Statistik am 30. Oktober nur noch etwa 18 000 ohne Angebot.
    Das ist eine bravouröse Leistung.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Sie wurde nicht erreicht mittels eines Steuerknüppels
    und nicht, indem man die Leute kujoniert hat, sondern indem man an ihre Gesinnung - von mir aus auch an ihre patriotische Gesinnung - appelliert hat, daß sie etwas für junge Leute tun müssen. Und sie haben es getan.
    Nun kann man noch fragen, ob die Zahl 18 000 zutreffend ist oder ob es nicht weniger sind; denn auch dabei hat sich etwas verändert.
    Ich höre von nicht wenigen, die Lehrstellen anbieten, daß manche, die sich beworben haben, dann eine andere Stelle annehmen, aber nicht absagen, so daß die Stelle zunächst blockiert ist und nicht an andere weitervermittelt werden kann. Ich sehe mich derzeit ziemlich unfähig, zu beurteilen, ob man bei insgesamt 630 000 Bewerbern zuverlässig eine Zahl von 18 000 nennen kann. Aber das will ich jetzt nicht vertiefen; ich habe diesbezüglich meine Zweifel.
    Tatsache ist: Wir haben in diesem Jahr einen Riesenerfolg erzielt. Wir haben erstmals seit zwölf Jahren - auch in wirtschaftlich schwieriger Lage und trotz gestiegener Arbeitslosigkeit - in den alten Bundesländern deutlich mehr Lehrlinge eingestellt. Ich habe allen Grund, denen zu danken, die dabei mitgeholfen haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Das gilt für alle Bereiche der Wirtschaft, wobei der eine oder andere in der Großindustrie noch etwas mehr tun könnte. Ich hätte eigentlich ganz gerne, daß zu den Erfolgszahlen im Hinblick auf den Aktienmarkt gelegentlich auch Erfolgszahlen in bezug auf die Einstellung von Lehrlingen hinzukämen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich bedanke mich ganz besonders beim Mittelstand, beim Handwerk und bei den vielen, die in freien Berufen tätig und die vor die Frage gestellt sind, ob sie es sich erlauben können, drei statt zwei Lehrlinge einzustellen, und dies getan haben. Das, finde ich, ist eine großartige Sache.
    Das gehört zu den erfreulichsten Seiten in der Bundesrepublik, die, Herr Scharping, eben nicht verrottet und vom Egoismus heimgesucht ist. Die Bundesrepublik, die Sie da beschreiben, erlebe ich nur ganz gelegentlich. Die große Mehrzahl der Bürger in Deutschland denkt ganz anders. Das haben wir im Oderbruch und an vielen anderen Beispielen erlebt. Führen Sie sich doch einmal vor Augen, was jetzt vor Weihnachten in karitativer Hinsicht von Millionen und aber Millionen Menschen in Deutschland für die Dritte Welt getan wird. Daher finde ich Ihren Vorwurf ziemlich absurd.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Herr Scharping, wie läuft es denn ab? Am 12. Juli 1996, als Sie überhaupt noch nichts über die tatsächlichen Zahlen wußten, haben Sie im Südwestfunk ein Interview gegeben; so etwas kann man am besten machen, wenn man noch nichts Genaues weiß. Sie haben gesagt, angesichts des wachsenden Lehrstellenmangels sei absehbar, daß die erneute Zusicherung von genügend Ausbildungsplätzen im September nicht eingelöst werde. Tatsache ist: Die Dinge sind positiv gelaufen. Das war im letzten Jahr.
    In diesem Jahr sind Sie vom Südwestfunk weiter nach Süden gewandert und haben am 3. Oktober gegenüber der „Passauer Neuen Presse" gesagt: „In diesen Tagen" - ich sehe Sie richtig vor mir stehen und höre Ihre schmetternde Stimme - „suchen immer noch rund 100 000 Jugendliche einen Ausbildungsplatz". Das heißt, da wird eine Katastrophe an die Wand gemalt. Die ist aber nicht eingetreten. Hören Sie doch auf, von Katastrophen zu reden, die nicht eintreten! Politisch nützt es Ihnen bei den Jungwählern überhaupt nichts.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Mit der Lehrstellenabgabe erreichen Sie nichts; Sie wissen das doch. Wir haben ja eine Abgabe im Bereich der Behinderten. Das ist kein erfreuliches Kapitel. Sie wissen, wie viele sich über diese Abgabe freikaufen. Die Erfahrungen auf diesem Feld bewegen mich - neben anderen Gründen - dazu, absolut gegen eine neue Abgabe zu sein.
    Herr Schröder hat jetzt in dieser Sache etwas Vernünftiges gesagt. Darin könnten Sie ihm einmal folgen. Bei vielem müssen Sie ihm ja nicht folgen; wählen tun Sie ihn auch nicht. Also, insofern könnten Sie wenigstens diese gute Tat vollbringen.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    Ich finde, wir sollten das Lehrstellenthema aus dem politischen Streit heraushalten. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß wir auch große Probleme ganz anderer Art haben und daß die Zahlen, die ich genannt habe, natürlich überhaupt nicht befriedigen können. Es sind Globalzahlen, und die regionale Situation in den neuen Ländern ist völlig anders: Dort gibt es keinen breiten Mittelstand, der erforderlich ist, um eine ausreichende Zahl von Lehrlingen einzustellen.
    Wir müssen auch berücksichtigen, daß sich die Dinge total verändert haben. Wenn wir heute im Kern des Ruhrgebiets einen Lehrstellenmangel haben, dann hat das etwas mit der strukturellen Veränderung zu tun. Vieles in Deutschland hat sich verändert. Deshalb kann man nicht sagen: Jetzt ruhen wir uns aus, weil die Zahlen insgesamt stimmen. Wir müssen vielmehr sehr konkret vor Ort versuchen, Lösungen zu finden. Das tun die zuständigen Bundesminister Norbert Blüm, Jürgen Rüttgers und Günter Rexrodt und alle, die sich damit befassen, nicht zuletzt auch die Industrie- und Handelskammern und die Handwerkskammern. Wenn wir in diesem Fall zu einer Regionalisierung kommen, halte ich das für ganz richtig. Unser Job ist es, für die Ausbildungsplatzsuchenden das Menschenmögliche zu tun.
    Dabei wird es immer das Problem geben, daß sich etwa die Lage in der Vorderpfalz - ich spreche jetzt von meiner Heimat - anders darstellt als beispielsweise die in der Westpfalz und daß die Zahlen für den Bayerischen Wald heutzutage besser aussehen als die für den Kern des Ruhrgebiets. Das ist alles wahr, und das muß berücksichtigt werden.
    Politik ist die Kunst des Möglichen, und in diesem Sinne müssen wir handeln.
    Noch ein letztes zu dem Thema: Ich kann überhaupt nicht verstehen, daß manche - das war nicht heute hier im Saal - in der deutschen Öffentlichkeit so tun, als wäre diese Frage eine Last. Ich finde, es ist ein Geschenk für die Bundesrepublik Deutschland, daß wir bis 2006 noch eine steigende Zahl junger Leute haben, die einen Ausbildungsplatz anstreben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich finde es ausgesprochen positiv und will es hier hervorheben, daß auch im Bereich der Abiturienten, ja, bis hin zum Bereich von jungen Akademikern die Zahl derer wächst, die zusätzlich einen Ausbildungsplatz im dualen System suchen und statt der völligen Verakademisierung Erfahrungen mit der praktischen Berufswelt machen wollen. Ich finde das positiv, und das verdient unsere Unterstützung.
    Ich möchte Sie einfach bitten, daß wir dieses Thema zu den Akten legen und nicht mehr in der Form darüber reden, als wären hier Katastrophen im Gange. Keine Spur davon!

    (Widerspruch bei der SPD)

    - Ja, das ist die Wahrheit. Die Wahrheit ist für Sie zu einfach, das gebe ich zu, aber es ist trotzdem die Wahrheit.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Dann habe ich einen dritten Punkt. Ich habe eigentlich erwartet, Herr Scharping, daß Sie heute noch etwas zum Beschäftigungsgipfel in Luxemburg gesagt hätten. Denn als wir hier vor ein paar Tagen über meinen Vorbericht zum Europäischen Rat sprachen, klang das doch ganz katastrophal. Das war auch wieder so ein Szenario: Die Bundesregierung - und ich natürlich sowieso - werde dort in eine totale Isolierung geraten, und wir seien völlig für uns allein.
    All diese Beschlüsse wurden einstimmig gefaßt. Ich habe selten so viel Harmonie wie bei diesem EGGipfel erlebt, übrigens auch Harmonie mit den neu hinzugekommenen Kollegen aus London und Paris.
    Herr Scharping, Sie wissen es doch auch: Am Vorabend - das ist ja Ihr Job als Vorsitzender der europäischen Sozialdemokratie - und, ich glaube, am Morgen des EU-Gipfels waren Sie doch mit den Kollegen zusammen und haben von ihnen gehört, was mittags gemacht wurde. Wir haben es dann auch gemeinsam beschlossen. Ich kann nicht entdecken, daß wir isoliert waren. Im Gegenteil, eine ganze Menge unserer Formulierungen sind mit aufgenommen worden - auch schon im Vorfeld; und es ist ein großes Verdienst von Jean Claude Juncker, daß diese Konferenz so gut gelungen ist. Das ist doch eine ganz prima Sache. Sie haben eigentlich Grund, sich zu freuen. Es geht nicht bloß um eine Sache von CDU und SPD, sondern um eine Sache, die uns Deutsche betrifft. Das ist ja eigentlich ein Grund, weshalb Sie zufrieden sein können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich will hier gar nicht über alles reden, aber die beschäftigungspolitischen Leitlinien für 1998 sind für uns in der praktischen Arbeit sehr gut verwendbar.
    Wahr ist auch, daß natürlich Arbeitsmarktpolitik eine Sache der nationalen Dimension ist. Das habe ich vorhin gesagt und wurde von Ihnen angegegriffen; aber alle, die in Luxemburg dabei waren, wissen es. Übrigens hat es ein britischer Kollege dort öffentlich gesagt. Deswegen sage ich es auch hier; aus der Sitzung hätte ich es nicht zitiert.
    Es ist klar, daß wir uns gegenseitig helfen, daß wir voneinander lernen. Aber wir können auf diesem Feld nicht eine Politik machen, die zwischen Helsinki und Edinburgh einheitlich sein kann. Das kann sie nicht, weil Tradition und Bedingungen unterschiedlich sind.
    Positiv will ich erwähnen, daß das besondere Programm der europäischen Investitionsbank in Luxemburg genau das leistet, was auch wir wollen, nämlich mehr Wagniskapital für Neugründungen und Infrastrukturvorhaben bereitzustellen. Das hat übrigens die breite Unterstützung der großen Mehrheit des Europäischen Parlaments gefunden.

    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    Man muß einmal die Summe betrachten. In den nächsten drei Jahren werden an die jeweiligen nationalen Instanzen - es wird keine neue Bürokratie aufgebaut - Darlehen in Höhe von 18 Milliarden DM ausgegeben. Damit können immerhin Investitionen von bis zu 55 Milliarden DM ausgelöst werden.
    Das ist, finde ich, die richtige Politik; denn wir werden die Lage auf dem Arbeitsmarkt nur mit einer breiten Neugründungswelle auch bei uns in der Bundesrepublik verbessern können und wenn das Wagnis Selbständigkeit wieder ganz nach vorn kommt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Herr Scharping, Sie hätten gut die Passagen über beschäftigungsfördernde Steuer- und Abgabenpolitik vorlesen können, von denen Sie aber sagen: Die haben wir hineingeschmuggelt. Das ist ganz unsere Meinung. Bloß, wenn sie von Theo Waigel - wie gestern - vertreten wird, dann schreien Sie: Protest. Ja, warum eigentlich? Diese Haltung ist doch vernünftig. Sie können natürlich auch gegen Vernünftiges protestieren. Aber wenn fast alle der gleichen Meinung sind, dann sollten Sie sich gelegentlich überlegen, ob Sie mit Ihrer Minderheitenmeinung auf dem richtigen Weg sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Es ist eine Menge über die Wiedereingliederung von Arbeitslosen beschlossen worden. In den Abmachungen gibt es ganze Passagen, in denen steht, wie man voneinander lernen kann. Darin habe ich etwas Erfreuliches entdeckt. Unter den positiven Beispielen wird unter anderem das duale System in Deutschland erwähnt. Es ist zwar nicht unsere Leistung, sondern die Leistung der Generation vor uns. Trotzdem sind wir auf diesen Exportartikel stolz, der in der ganzen Welt größten Respekt und Bewunderung findet.
    Es sind noch andere Beispiele genannt worden, vor allem Beispiele, die sich auf Dänemark und die Niederlande beziehen. Herr Scharping, ich bin ganz happy, wenn ich lese, daß Sie in Luxemburg folgendes gesagt haben - ich zitiere den entsprechenden Artikel; es sind nur wenige Zeilen -:
    In Luxemburg machte Scharping deutlich, daß er sich durchaus Zwangsmaßnahmen gegen arbeitsunwillige Arbeitslose vorstellen kann.

    (Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.: Oh!)

    Als Vorbild nannte er das dänische Modell. Arbeitslose unter 25 Jahren, die ein Jobangebot nicht annehmen, erhalten dort keine Arbeitslosenunterstützung mehr. „Dies halte ich für gut", sagte Scharping. „Solidarität ist keine Einbahnstraße", begründete er seinen Vorschlag.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Zuruf von der F.D.P.: Bravo!)

    Also, lieber Herr Scharping, wir können schon in dieser Woche darüber miteinander reden.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Respekt!)

    Wenn Sie schon nicht den von mir besonders geschätzten dänischen Kollegen - wie Sie wissen, ist er ein wirklicher Sozialist - heranziehen wollen, dann konzentrieren wir uns auf den Leipziger Oberbürgermeister. Er macht ähnliches. Er ist Mitglied der Sozialdemokratischen Partei. Er kommt sogar, wenn ich mich nicht täusche, aus Hannover.

    (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das wissen wir!)

    Das heißt, da ist jemand ausgewandert; das war klug.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ziehen wir doch den Leipziger Oberbürgermeister heran! Er steht nicht in dem Verdacht - deshalb ist er als Beispiel besonders geeignet -, Parteipolitik zu machen, weil er nicht wieder kandidiert. Er hat interessante Ideen. Ich kann nur bitten, daß quer durch alle Parteien andere Oberbürgermeister, auch die in den alten Bundesländern, einmal auf vergleichbare Ideen kommen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Das heißt: Wenn man will, kann man natürlich etwas tun. An diesen Beispielen erkennen Sie, daß Sie nicht immer nach Gesetzen rufen müssen. Die Rahmenbedingungen sind ja alle vorhanden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wenn man will, kann man etwas tun. Ich rate dazu, daß wir es gemeinsam tun.
    Die Wirtschaftszahlen waren bisher in den Rufen der Opposition vom Niedergang des Landes untergegangen. Als wir im Januar und Februar darüber sprachen, haben Sie Spott und Hohn über den Redner ausgegossen - ich glaube, es war der Kollege Rexrodt, der damals für die Regierung sprach -, als wir von einer Zuwachsrate des Wirtschaftswachstums von zweieinhalb Prozent sprachen. Heute steht das außer jeder Frage.
    Jetzt reden wir vom nächsten Jahr. Alles spricht dafür, daß die wirtschaftlichen Daten - ich spreche jetzt nicht vom Arbeitsmarkt; ich komme noch gleich darauf zurück - auf einen Zuwachs von drei Prozent, vielleicht sogar mehr, hindeuten. Das ist eine gute Botschaft für die Deutschen, weil diese Zahl verspricht, daß das nächste Jahr ein gutes Jahr wird. Ich finde das angemessen, weil es ja ein Wahljahr ist. Wahljahre sollten gute Jahre sein.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Zuruf von der SPD: Das ist das einzige, was Sie interessiert!)

    - Auch Sie haben doch Ihre Freude daran, wenn es ein gutes Jahr wird.
    Der Export boomt. Wir haben einen Zuwachs von 10,5 Prozent im Jahr 1997. Für 1998 erwarten wir ungefähr den gleichen Zuwachs. Aber - das ist das Problem, das uns bedrückt - die alte Erfahrung, die

    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    Wirtschaft zieht an und zieht den Arbeitsmarkt mit, trifft nicht mehr wie bisher zu. Sie trifft auch nicht mehr mit zeitlicher Verzögerung zu, wie das früher der Fall war.
    Um es klar auszudrücken: Ich bin absolut dagegen, daß jetzt von Propheten über die Zahl der Arbeitslosen im Winter spekuliert wird.

    (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Prophet Rexrodt!)

    Ich bin nicht dafür, daß Sie jetzt wieder der Prophet sind - auch ich bin es nicht -, der uns sagt, wie der Winter ausfällt. Aber ich erwarte zum Beispiel von den Bauarbeitgebern - ich habe das dem Kollegen Blüm gesagt; wir werden die Gespräche dieser Tage noch einmal aufnehmen -, daß in diesem Winter nicht wieder unter Mißachtung der Wintergeldregelung Arbeitnehmer in großer Zahl für einige Wochen entlassen werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich bin nachdrücklich dafür, daß sich Gewerkschaften und Arbeitgeber, die vor ein paar Wochen eine förmliche Vereinbarung - der Gesetzgeber hat sie flaniert - unterschrieben haben, an ihre Vereinbarung halten, an das, was sie tariflich beschlossen haben. Ich hoffe, daß wir das Schauspiel vergangener Jahre nicht wieder erleben. Ich finde es nicht in Ordnung, daß die Arbeitnehmer vor Weihnachten entlassen werden mit der klaren augenzwinkernden Maßgabe: Am 1. April könnt ihr wiederkommen. Wir müssen hier zu klaren Verhältnissen kommen. Das sage ich mit großer Eindeutigkeit.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Rudolf Scharping [SPD]: Wer hat das denn so entschieden?)

    Meine Damen und Herren, wir verzeichnen darüber hinaus auch im Beschäftigungsbereich Verbesserungen - langsam, aber immerhin. So wurden allein im Metall- und Elektronikbereich fast 30 000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Wir haben vieles andere erreicht, was positiv ist. Was uns am meisten Sorge macht - das hängt wieder mit der Bauindustrie zusammen -, ist die Entwicklung in den neuen Ländern. Wir haben dort eine überproportionale Ausstattung mit Baubetrieben. Angesichts der gesamtwirtschaftlichen Situation macht uns diese Entwicklung natürlich große Probleme. - Ich will zu diesem Punkt gleich noch in einem anderen Zusammenhang kommen. - Deswegen bin ich dafür, daß wir ungeachtet unserer Auseinandersetzung vor der Wahl jetzt nach Mitteln und Wegen suchen, wie wir dem Arbeitsmarkt helfen können. Wir sind der Meinung, bei der Steuerreform und bei der Rentenreform gibt es solche Chancen. Laßt uns darüber reden!
    Wir haben neben unseren Problemen auf diesem Weg aber auch eine Menge Aktivposten vorzuzeigen. Es zeigt sich jetzt im Vergleich mit anderen Ländern - Sie sind daran mit beteiligt; darüber können Sie sich doch freuen -, daß die Bundesrepublik Deutschland des Jahres 1997 trotz aller Herausforderungen noch immer ein Land mit einer ausgezeichneten Infrastruktur ist. Es zeigt sich, daß die hohe Qualifikation der Arbeitnehmer und das duale Berufsausbildungssystem mit Recht weltweit anerkannt werden.
    Es zeigt sich im übrigen, daß der deutsche Weg der sozialen Marktwirtschaft noch immer der beste ist. Ich vermisse in diesen Tagen - darin stimmen wir sogar überein - den einen oder anderen der großen Gurus, die gesagt haben: Ihr müßt mehr nach Japan reisen.

    (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: War das nicht Lambsdorff?)

    Man konnte den Eindruck gewinnen, man müsse Japanologie betreiben, um in Deutschland Politik wagen zu können. Herr Kollege, ich wollte Ihnen jetzt einmal etwas zu Ihrer Freude sagen, jetzt sind Sie auch wieder nicht zufrieden. Eigentlich müßten Sie jetzt doch klatschen; denn in diesem Fall sind wir doch nicht auseinander.
    Es zeigt sich, daß auch andere ihre Probleme haben, auch hausgemachte, und daß die grundsätzlichen Entscheidungen, die wir getroffen haben, richtig sind. Mit unserem leistungsfähigen Mittelstand haben wir einen hervorragenden Aktivposten. Wir haben auch - das füge ich hinzu, obwohl Sie es leugnen - ein gutes soziales Klima. Jetzt gibt es in den Gewerkschaften und im DGB Streit darüber, was sie zur Bundestagswahl machen sollen. Früher war das viel einfacher. Da hat man sich zusammengesetzt und gesagt: Wählt einen besseren Bundestag. - Ich war nie dagegen; denn die Parole hat immer umgekehrte Folgen gehabt. Wenn sie sagen: „Wählt einen besseren Bundestag" und wir in der Koalition die Wahl gewinnen, dann habe ich überhaupt nichts dagegen.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Aber auch das ist viel differenzierter geworden. Wenn ich die einzelnen Sprecher in den Gewerkschaften höre, muß ich feststellen, daß es große Unterschiede gibt. Das zeigt nur, daß die Menschen, die sich an der Diskussion beteiligen, klug sind. Denn manche von ihnen fragen: Was machen wir denn, wenn wir den wilden Mann spielen, und dieser Mensch sitzt im Oktober noch immer auf seinem Platz? Wir müssen weiter mit ihm reden. - Es ist doch gescheiter, man wählt den Weg der Mitte. Deswegen habe ich den Eindruck, daß wir sagen können: Beim sozialen Klima sind wir ein gutes Stück vorangekommen. Allerdings bin ich ohne Illusion; darüber darf kein Zweifel aufkommen. Am 1. Mai wird es einen gewaltigen Aufmarsch geben. Aber das war beim letzten 1. Mai und beim vorletzten 1. Mai auch so. Deswegen nehmen wir das alles mit Ruhe und Gelassenheit hin.
    Wahr ist aber, daß unser Land an Wettbewerbsfähigkeit verliert und daß wir die Wettbewerbsfähigkeit verbessern müssen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen - ohne gegenseitige Vorwürfe -, daß die anderen besser geworden sind. Wir sind in vielen Bereichen nicht einmal schlechter geworden, aber die an-

    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    I deren sind besser geworden. Wer nach den USA Exportland Nr. 2 in der Welt bleiben will, der muß das endlich begreifen. Das ist mein eigentlicher Vorwurf gegen diese Blockadepolitik im Bundesrat.
    Daß Sie, meine Damen und Herren, zu diesen oder jenen Projekten der Bundesregierung nicht ja sagen, ist normal. Das haben wir auch gemacht. Ich war als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz viele Jahre Sprecher der Unionsgeführten Länder im Bundesrat. Mir können Sie eine Menge Vorhaltungen dieser Art machen. Aber hier geht es um zwei Grundprinzipien der Politik: Die Steuerreform und die Rentenreform sind nicht irgendwelche Themen, sondern betreffen die Zukunftsfähigkeit der Bundesrepublik.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir haben auch gegen Ihren Widerstand eine ganze Menge auf den Weg gebracht. Ich nenne nur das Kündigungsschutzgesetz. Wir haben die Schwelle für die Anwendbarkeit von fünf auf zehn Arbeitnehmer heraufgesetzt.

    (Zuruf von der SPD: Das war eine Leistung!)

    - Aber meine Damen und Herren, das war doch kein Fehler, das war richtig. Dies ist doch kein Verlust an sozialer Sicherheit, wenn es um mehr Beschäftigung geht.
    Ich nenne noch ein Beispiel für unsere Arbeitsmarktpolitik, das Sie besonders empört hat und das am 1. Mai letzten Jahres viele bewegt hat: die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Ich habe Arbeit-
    gebern und Gewerkschaften immer gesagt: Ich will dieses Gesetz nicht, ihr müßt das Problem selbst lösen. Das gehört zur Tarifautonomie. Aber beide sind dann Ostern gekommen und haben gesagt, sie einigen sich nicht. Dann haben wir - auch ich; ich bekenne mich dazu - gesagt:

    (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Da haben Sie sich geopfert!)

    Angesichts der Kostenbelastung für die Betriebe, die nicht bleiben kann, müssen wir das Gesetz machen.
    Das Gesetz hat beispielsweise zur Folge, daß bei einem Großteil von Tarifverträgen - das muß Sie doch nachdenklich stimmen -, bei denen das Gesetz nicht unmittelbar angewandt wurde, es sich in anderer Weise entlastend auf die Wirtschaft ausgewirkt hat.
    Es hat insgesamt die Wirkung, daß die deutsche Wirtschaft um 15 Milliarden DM entlastet wird. Ich höre dies jetzt auch häufig aus der deutschen Wirtschaft. Dies ist eine Leistung, die etwas mit dem Erhalt und der Schaffung von Arbeitsplätzen zu tun hat, und das muß man entsprechend sagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Dann ist noch etwas geschehen - das ist die historische Wahrheit, nach der dauernd gefragt wird -: Der Krankenstand in Deutschland ist auf dem niedrigsten Stand der letzten 20 Jahre. Herr Scharping, in diesem Land, das so vom Elend geplagt ist, ist der Kranken-
    stand plötzlich heruntergegangen. Natürlich hat das auch etwas mit der Arbeitsplatzsituation zu tun. Aber es hat auch etwas mit der wachsenden Erkenntnis zu tun, daß dies eben keine Freizeitgesellschaft ist, sondern ein Land, das Zukunft braucht und deswegen die notwendigen Entscheidungen treffen muß.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Das Arbeitsförderungsgesetz hat viele Anregungen für Unternehmen mit auf den Weg gegeben, zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen; so beispielsweise die Einstellungszuschüsse für Existenzgründer, die Arbeitslose einstellen. Es gab natürlich auch bei uns in der Koalition Leute, die die reine Lehre vertreten und sich in diesem Fall zu Unrecht auf Ludwig Erhard berufen. Dies ist eine Übergangsmaßnahme, die sinnvoll und nützlich ist. Deswegen bin ich dafür, daß wir all diese Dinge jetzt tatsächlich umsetzen und daß wir das Notwendige tun; vielleicht dort, wo wir jetzt allmählich zur Einkehr kommen.
    Ich wiederhole, Herr Scharping: Das, was Sie in Luxemburg über das dänische Vorgehen gesagt haben, habe ich nicht erwähnt, um Ihnen Schwierigkeiten zu machen, sondern ich sage es, weil ich glaube, daß dies einer der Bereiche ist, wo wir enorme Wirkungen auf den Arbeitsmarkt erzielen können. Denn es ist doch wahr: Neben den vielen, die arbeitslos sind und Arbeit suchen, gibt es eine beträchtliche Zahl, die wie Slalomläufer durch die Gegend ziehen und nicht mit Arbeit in Berührung kommen wollen. Auch das ist die Wahrheit.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie bei der F.D.P.)

    Ganz offensichtlich haben Sie gar keinen Kontakt mehr mit Betriebsräten.

    (Widerspruch bei der SPD)

    Reden Sie doch einmal mit Betriebsräten in deutschen Betrieben. Meinen Sie, die deutsche Sozialdemokratie sei darauf abonniert? Sie sind längst nicht mehr die Arbeitnehmerpartei, die Sie einmal waren. Das wissen Sie, und das kann man Ihnen gar nicht oft genug sagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    In dieser Debatte ist der Begriff Globalisierung gebraucht worden. Meine Damen und Herren, ich finde es ganz falsch, daß man die bestehenden Ängste in der Bevölkerung, die in vielen Fällen verständlich sind, schürt, indem man hier eine Antiposition einnimmt.
    Um was geht es denn? Es geht darum, daß sich ein Land wie Deutschland, ein Exportland, in die weltweite Wirtschaft einfügen muß. Wir müssen konkurrenzfähig sein und bleiben, auch bei dem hohen Sozial- und Lohnniveau, das wir nicht aufgeben wollen. Davon kann doch gar keine Rede sein; es geht doch nicht um das Abschaffen des Sozialstaates, sondern um seine Umgestaltung. Auch deutsche Groß- und Mittelbetriebe, die international arbeiten, müssen die Chance haben, außerhalb des Landes Produktions-

    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    Stätten zu bauen, was übrigens in vielen Fällen mit Blick auf die internationale Arbeitsteilung durchaus vernünftig ist. Es gibt keine Nischen, in denen wir uns vor dem Wind der Konkurrenz verstecken können. Flexibilität, Reformbereitschaft und Leistungswille bilden das Begriffstrio, von dem wir ausgehen müssen.
    Ich wünsche mir, daß Sie in der SPD das endlich auch einmal laut sagen. Dann können wir auch über Details streiten. Wir werden keine neuen Exportchancen bekommen, wir werden kein zusätzliches Kapital, keine zusätzlichen Investitionen und damit nicht genügend Innovationen nach Deutschland ziehen, wir werden auch den Wissenstransfer nicht hinreichend voranbringen, wenn wir das Steuersystem nicht ändern. Da können Sie machen, was Sie wollen: Die Zahlen sind ganz eindeutig.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Es ist erfreulich, daß der deutsche Export in diesem Jahr, wie ich schon gesagt habe, um 10 Prozent gestiegen ist. Es ist auch wahr - wenn auch in bescheidenerem Maße -, daß der Exportanteil deutscher Unternehmen am Weltmarkt wieder zunimmt. Eine starke Zunahme deutscher Direktinvestitionen im Ausland ist ein Grund für Zukunftsoptimismus. Aber entscheidend ist, daß gleichzeitig die Auslandsinvestitionen bei uns steigen. Dabei ist es - auch das ist keine parteipolitische Frage - angezeigt, daß wir eine Gefahr erkennen: Zwischen 1985 und 1996 investierten Ausländer in Deutschland 32 Milliarden USDollar, aber 220 Milliarden US-Dollar in Großbritannien und über 500 Milliarden US-Dollar in den USA. Ich bin nicht für Vergleiche im Verhältnis 1 : 1. In Großbritannien investiert eine amerikanische Firma auf Grund der gleichen Sprache natürlich sehr viel leichter als bei uns in der Bundesrepublik. Der Vergleich mit den USA hinkt schon sehr. Aber wahr ist, meine Damen und Herren, daß Sie, wenn Sie das nüchtern betrachten, feststellen müssen: Wir haben in Deutschland zuwenig Auslandsinvestitionen. Das hat mit den Gesamtbedingungen zu tun. Da wird im Ausland manches zu Recht kritisiert und manches ganz zu Unrecht.
    Wir müssen uns der Konkurrenz stellen. Es wäre gut, wenn die Investitionen aus dem Ausland wieder steigen würden. Deswegen bleibe ich bei dem, was hier eigentlich jeder denkt - da hat Herr Fischer, glaube ich, recht; im Prinzip gibt es eine Menge Fragen, bei denen wir gar nicht so weit auseinander sind -: Man muß versuchen, die Steuerreform zu machen.
    Ich kann mich natürlich darauf zurückziehen - das tue ich aber nicht - und sagen: Wenn es mit dem Bundesrat partout nicht geht, suchen wir die Entscheidung beim Wähler. Das machen wir auf alle Fälle, damit da kein Zweifel aufkommt. Ich bin meiner Sache ganz sicher, wie die Entscheidung ausgehen wird.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aber ja!)

    Aber wir verlieren Jahre, wenn erst der nächste Bundestag dieses Gesetz verabschieden kann. Dann
    schreiben wir vielleicht schon das Jahr 2000. Wir haben aber keine Zeit zu verlieren. Das muß man in Deutschland doch endlich begreifen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich bin völlig damit einverstanden, daß wir auch zwischen den Fraktionen und ebenso zwischen den Ländern und dem Bund in einen edlen Wettstreit eintreten, durch den wir bürokratische Hemmnisse, die Investitionen behindern, stärker abbauen können. Ich bin beispielsweise fest überzeugt davon - das hört nicht jedermann gern, aber es gehört dazu -, daß alle Bedingungen für die Frankfurter Börse so sein müssen wie an der Wall Street, wie in London, in Singapur und anderswo. Einen deutschen Sonderweg kann es hier nicht mehr geben. Das heißt: Umdenken auch in Bereichen, die andere nicht ohne weiteres meinen, wenn sie von Umdenken reden. Aber ich beziehe diese Bereiche ausdrücklich mit ein.
    Wir brauchen ein Klima der Innovationen. Damit meine ich das, was ich eben mit „Willen zur Selbständigkeit" beschrieben habe. Jürgen Rüttgers hat recht, wenn er immer wieder darauf hinweist, daß laut Umfragen unter deutschen Studenten rund 40 Prozent am liebsten in den öffentlichen Dienst gehen, während es in den USA 12 oder 13 Prozent sind. Diese mentale Situation müssen wir ändern. Wir müssen die jungen Leute wieder motivieren, etwas zu wagen, etwas zu unternehmen. Das ist ein Teil dessen, was wir für die Zukunft tun können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Jetzt zur Rentenreform. Verstehen kann ich diese Debatte sowieso nicht.

    (Lachen bei der SPD)

    - Sie mögen das verstehen, ich verstehe es nicht. - Bei nüchterner Betrachtung der Lage in unserem Land - von der war doch die ganze Zeit die Rede - muß man doch eigentlich erkennen, daß wir den Entscheidungen, was auch immer wir denken mögen, gar nicht mehr ausweichen können.

    (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: So ist es!)

    Auf der einen Seite sind wir das Land, das zusammen mit Spanien und Italien die niedrigste Geburtenrate in der Europäischen Union hat. Auf der anderen Seite nimmt - das ist höchst erfreulich - das durchschnittliche Lebensalter der Bevölkerung zu. Die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt bei Männern 74 Jahre, bei Frauen 80 Jahre. Unser Land macht auch im Bereich moderner Medizin gewaltige Fortschritte. Bei uns ist es ganz selbstverständlich, daß die Operationen auch bei Menschen in hohem Lebensalter und bei Ortskrankenkassenpatienten nach dem neuesten Stand der Wissenschaft vorgenommen werden, ganz gleich, ob es um einen Bypass, um Hüftgelenksoperationen oder sonst etwas geht. Das sind doch die Tatsachen in unserem Land, von denen man ausgehen muß.
    Es ist dringend erforderlich, daß die Studenten früher von den Universitäten abgehen. Trotzdem be-

    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    wegt sich - damit sind wir wiederum bei den Ländern -, nahezu nichts. Das Durchschnittsalter der Hochschulabsolventen bei uns liegt immer noch bei 29 Jahren, während in den EU-Ländern, die genauso ausbilden wie wir, das Durchschnittsalter bei 25 Jahren liegt. Ein Land muß doch in der Lage sein, in diesem Bereich endlich einmal zu handeln, anstatt eine Verlängerung der Schulzeiten anzustreben. Statt dessen sollte man die Schulzeit richtig ausfüllen. Das macht einen Sinn.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wenn all diese objektiven Daten stimmen, können Sie machen, was Sie wollen; man braucht eine Rentenformel, in die auch die demographische Entwicklung aufgenommen wird. Man kann natürlich über die Ausgestaltung streiten. Wir tun dies in der eigenen Partei mit unglaublicher Inbrunst. Sie glauben gar nicht, was für einen Spaß es macht, darüber im Parteivorstand zum sechsten Mal zu diskutieren.

    (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das muß im Koalitionsausschuß doch noch lustiger sein!)

    Aber das gehört zum Wesen der Demokratie, und folglich machen wir das.
    Nur muß man doch zu dem Ergebnis kommen, entsprechend zu handeln. Ich hätte das auch in den letzten Wochen, seit diese Zahl von 21 Prozent genannt wurde, erwartet. Diese Zahl können wir so nicht hinnehmen, da müssen wir wirklich etwas tun.

    (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Dann mal los!)

    Ich setze immer noch darauf, daß in den Besprechungen, spätestens im Vermittlungsausschuß, ein Stück Vernunft einkehrt. Aber man sollte auch einmal fair über die Gründe dieses Anstiegs reden.
    Es gab eine große Gemeinsamkeit unter Arbeitgebern und Arbeitnehmern - wichtige Repräsentanten der Arbeitgeber sehe ich förmlich vor mir -, auch in den politischen Parteien. Sie alle befürworteten, die Frühverrentung voranzutreiben, auch um Arbeitsplätze für den Nachwuchs frei zu machen. Wir haben aus den letzten fünf Jahren insgesamt 1,1 Millionen Frührentner. Die Rentenversicherung wird dadurch in diesem Jahr um 25 Milliarden DM belastet; das sind gut 1,5 Beitragssatzpunkte. Das ist doch die Wahrheit. Warum sagen wir sie nicht an diesem Pult? Niemand hat das hier gesagt.
    Diese Diskussion müssen wir beispielsweise auch mit Blick auf den Mittelstand aufnehmen.

    (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Richtig!)

    Denn diese Regelung hat weit mehr der Großindustrie als dem Mittelstand genutzt.

    (Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Wenn ich zu Hause einen Handwerksmeister treffe, bekomme ich dies in unmißverständlicher pfälzischer Sprache gesagt.
    Ich nenne ein Beispiel: In einem einzigen deutschen Großunternehmen wurden in den Geschäftsjahren 1990 bis 1997 31 000 Mitarbeiter vorzeitig in den Ruhestand geschickt. Das durchschnittliche Ruhestandsalter liegt jetzt bei 56,5 Jahren. Auch das sage ich nicht anklagend; denn ich war ja an der Regelung beteiligt.
    Wenn der Ministerpräsident Lafontaine nachher ein paar Zahlen aus dem Stahlbereich von Saar oder Ruhr nennen sollte, wird er in bezug auf das durchschnittliche Renteneintrittsalter von ganz anderen Zahlen sprechen. Das haben wir doch gemeinsam gemacht. Und deshalb sollten wir uns zusammen hinstellen und sagen, daß es so war. Aber daß man jetzt auf den Norbert Blüm einprügelt, obwohl alle mitgemacht haben, finde ich nicht fair.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Damit kein Zweifel besteht: Noch wird diese Praxis der Frühverrentung fortgesetzt. In diesem Jahr werden es voraussichtlich 240 000 Personen sein, und im letzten Jahr waren es 224 000. Basis ist die Vertrauensschutzregelung, die von Arbeitgebern und Gewerkschaften für das Gesetz zur Förderung des gleitenden Übergangs in den Ruhestand vehement gefordert wurde.
    Ich drücke mich hier also nicht vor der Verantwortung; ich bitte nur sehr darum, daß wir gemeinsam zu dem stehen, was wir gemeinsam gemacht haben. Es gab ja auch gute Gründe dafür. Ich finde es nicht in Ordnung, daß dann, wenn ein Problem auftaucht, es nur die einen gewesen sein sollen und die anderen so tun, als seien sie nicht dabeigewesen.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Es gibt auch in einem anderen Bereich eine Entwicklung, die man zur Kenntnis nehmen muß. Sie ist grundsätzlich positiv, hat aber ebenfalls Auswirkungen auf die Rentenversicherung. Es gibt erhebliche Einnahmeausfälle bei der Rentenversicherung, weil die Löhne moderat gestiegen sind. Lohnzurückhaltung haben wir immer propagiert. Entsprechende Auswirkungen hatte auch die Neuregelung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Eine maßvolle Tarifpolitik ist höchst erfreulich, aber sie hat Konsequenzen bei der Rentenversicherung.
    Ich komme jetzt zu einem anderen Thema, bei dem ich dringend davor warne, Radikallösungen anzustreben: Es ist im Bereich der 610-DM-Jobs eine Entwicklung eingetreten, die nicht hinnehmbar ist. Das ist doch einfach unbestreitbar. Die 610-DM-Jobs hatten und haben einen Sinn. Deswegen bin ich vehement dagegen, wenn man jetzt sagt: Wir machen einen großen Schnitt und schaffen das alles ab. Damit schafft man mehr Probleme bei der Beschäftigung,

    (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

    als wenn man die gegenwärtige Regelung beibehält.
    Ich sage noch einmal: Ich bin für eine vernünftige Lö-

    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    sung, die zwischen den Extremen liegen und moderat sein muß. Das werden wir anstreben.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Wahr ist, daß die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse seit 1992 um 2 Millionen zurückgegangen sind, und wahr ist ebenfalls, daß wir gleichzeitig eine Zunahme der sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisse um 1,2 Millionen erlebt haben. Unser Ziel kann es nicht sein, die 610-DM-Jobs abzuschaffen;

    (Zuruf von der F.D.P.: Sehr gut!)

    vielmehr lautet unsere Aufgabe, diese Beschäftigungsform auf ein vernünftiges Maß zurückzuführen, wie wir es zuvor gehabt haben. Damit sind wir nicht schlecht gefahren. Ich denke, daß jemand, der über Studenten und andere redet, das nicht völlig aus dem Blick verlieren sollte.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Zum Thema Steuerreform will ich nur noch einmal sagen - Herr Ministerpräsident Lafontaine, das ist auch direkt an Sie gerichtet -: Lassen Sie uns noch einmal überlegen - ich will jetzt gar nichts zu den Details sagen; dazu ist genug gesagt worden -, ob wir ungeachtet aller bisherigen Schlachten nicht doch zu einem Gespräch zusammenkommen können, und zwar ohne persönliche Eitelkeit des einen oder anderen.

    (Lachen bei der SPD)

    - Ich schließe mich dabei voll ein. Was wollen Sie denn eigentlich? Darüber brauchen Sie doch nicht zu lachen. Natürlich muß man sich hier auch ein Stück überwinden. Wenn Sie das nie in Ihrem Leben gemacht haben, dann tun Sie mir leid.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Vielleicht könnten wir auch einen Lösungsweg für die Rente finden. Ich will das jetzt nicht koppeln, aber ein Sachzusammenhang ist ja durchaus gegeben. Wir sollten einen Weg zueinander finden, wir sollten noch einmal gemeinsam Überlegungen anstellen - um der Sache willen, um der Arbeitssuchenden willen -, wie wir zu einer Lösung kommen, wie wir die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft verbessern und - mit einem Wort - ein Stück Zukunft gemeinsam sichern können.
    In diesem Zusammenhang möchte ich noch die folgende kurze Bemerkung machen. Man kann nicht über deutsche Politik reden, ohne zur Kenntnis zu nehmen, wie Deutschland in der Welt gesehen wird. Herr Abgeordneter Fischer, wenn Sie diese 15 Jahre durchschreiten, wie Sie es getan haben, dann muß ich Ihnen sagen: Ich bin stolz darauf, daß Deutschland einen wichtigen, respektablen Platz in der Welt einnimmt. Ich bin stolz darauf, daß wir mit unserer Politik, der Politik der Koalition von CDU/CSU und F.D.P. - auch mit der Politik meiner Außenministerkollegen; ich nenne Hans-Dietrich Genscher genauso wie den jetzigen Außenminister Klaus Kinkel; ich nenne von den Verteidigungsministern den amtierenden Volker Rühe; ich könnte auch noch den Entwicklungshilfeminister und viele andere nennen -, einen Beitrag dazu geleistet haben, daß wir hohes Ansehen genießen. Das Bild, das Sie, Herr Fischer, hier entworfen haben, wird wohl von keinem Menschen außerhalb der deutschen Staatsgrenzen verstanden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wenn die Bundesrepublik Deutschland - heute in Bonn, später in Berlin - nach den Vereinigten Staaten die meisten Besuche auswärtiger Staatsgäste in der Welt aufzuweisen hat, dann hängt das nicht damit zusammen, daß sie hierherkommen, um die Trübsal in einem wichtigen Land zu besichtigen. Vielmehr wollen sie sich anschauen, was wir machen. Es interessiert sie beispielsweise, wie wir das schwierige Problem der Zusammenfügung von West und Ost zu einer Einheit im Sozialen und Wirtschaftlichen lösen. Natürlich sehen sie auch die Probleme, aber ich höre auch sehr viel Bewunderung und Respekt. Wir sind stolz darauf, daß wir das mit auf den Weg gebracht haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wenn es jetzt etwa um die NATO- oder die EU-Erweiterung geht, dann ist Bonn eine allererste Adresse. Ob es sich um Warschau, Prag, Budapest oder Bukarest handelt, alle sagen: Ihr, die Deutschen, müßt uns helfen, diesen Weg zu gehen. So haben auch unsere Nachbarn und Kollegen in Österreich, in Finnland oder in Schweden - leider haben die Norweger anders entschieden - gesagt: Wir danken euch, den Deutschen, denn ihr wart der Anwalt für unseren Beitritt in die Europäische Union.
    Hier geht es nicht um Geschichtsbücher - die schreiben später andere, wir nicht, Herr Fischer. Aber Sie sind vielleicht ganz froh, wenn jemand anderer die Bücher schreibt. Es geht darum, was die historischen Tatsachen sind. Eine historische Tatsache ist, daß Deutschland als Land der Mitte etwas besitzt - ich wähle bewußt das Wort „besitzen", weil das ein wichtiges Wort in diesem Zusammenhang ist -, was wir nie zuvor hatten: exzellente freundschaftliche Beziehungen mit Moskau, mit Paris, mit London und mit Washington. Wann je haben wir das gehabt?
    Sie können mir vieles vorwerfen. Wenn Sie aber an dem jetzigen Zwischenabschnitt von 15 Jahren

    (Lachen bei der SPD)

    - es ist ein Zwischenabschnitt; so sehen es auch die Leute -

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    dies überall auf der Erde hören, dann müßten wir damit eigentlich gemeinsam, ob Sie nun die Regierung mögen oder nicht, als Deutsche ganz zufrieden sein.

    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    Es ist nicht mehr so, daß man, wenn man in der Welt unterwegs ist und sagt, man sei ein Deutscher, noch Probleme bekommt. Die Probleme, die wir immer noch haben, gehen zurück auf die Zeit der nationalsozialistischen Barbarei oder auch der kommunistischen Diktatur. Wir versuchen wiedergutzumachen, wobei wir wissen: Vieles ist nicht wiedergutzumachen. Vieles ist dazu geeignet, zu sagen: Dies ist das neue Deutschland. Und wenn Sie dieses freiheitliche, demokratische Deutschland fair betrachten, kommen Sie zu keinem anderen Ergebnis. Ein Rednerpult in der Frankfurter Paulskirche reicht nicht aus, um ein Zerrbild Deutschlands zu schaffen.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und F.D.P.)

    Wir werden weiter vorangehen beim Bau des Hauses Europa. Das ist unendlich schwierig. Ich kann diejenigen überhaupt nicht verstehen, die glauben, wir könnten wie im Zeitraffer drei Jahrhunderte nationalistischer Geschichte in Deutschland und in Europa hinter uns lassen.
    Es bleibt der Satz richtig, den François Mitterrand in seiner letzten großen, testamentarisch zu verstehenden Rede vor dem Europaparlament wenige Monate vor seinem Tod den Abgeordneten zugerufen hat: „Nationalismus, das ist der Krieg." Wir wollen den Frieden. Wir wollen die Freiheit. Wir wollen in Europa soziale Wohlfahrt. Wir wollen, daß die Deutschen mit ihrer Handschrift ins Buch der Geschichte Werke der Menschlichkeit, der Humanität und der Weltoffenheit schreiben. Wir wollen, wenn 2000, in zweieinhalb Jahren, die Expo eröffnet wird, der Welt in Hannover ein Bild von uns zeigen: vom Deutschland in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts, das aus einer großen Geschichte und Tradition kommt, das aber auch die schrecklichen Kapitel seiner Geschichte kennt. Wir sehen die Geschichte als Ganzes. Daraus versuchen wir den Weg in die Zukunft zu finden.
    Ich kann Sie nur einladen, trotz aller Gegensätze mit dabeizusein. Wenn Wahlen bevorstehen, lassen Sie uns Wahlkämpfe machen. Lassen Sie uns um den besseren Weg ringen. Treten wir vor die Bürger, und lassen wir sie entscheiden. Das ist demokratische Politik. Aber ich rate uns noch einmal, in den zwei entscheidenden Fragen, die Zukunftsfähigkeit bedeuten - Steuerpolitik und Rentenpolitik -, zu überlegen, ob die Zukunft mit Blockade zu gewinnen ist oder ob wir nicht besser noch einmal versuchen, ein Stück Gemeinsamkeit zu finden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Dies ist unsere Politik, die Politik der Koalition von CDU/CSU und F.D.P. Dies ist die Politik der Bundesregierung. Dies ist auch die Politik, für die ich einstehe und für die ich auch in den kommenden zehn Monaten kämpfen werde. Aber lassen Sie uns vorher das tun, was jetzt zu tun ist. Und dazu lade ich Sie ein.

    (Langanhaltender lebhafter Beifall bei CDU/CSU und F.D.P. Zurufe von der SPD: Zugabe!)



Rede von Dr. Burkhard Hirsch
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Ich gebe das Wort dem Ministerpräsidenten des Saarlandes, Oskar Lafontaine, als Mitglied des Bundesrates.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Oskar Lafontaine


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DIE LINKE.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat soeben seine Politik hier dargelegt

    (Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Er hat eine große Rede gehalten!)

    und zur sozialen und zur wirtschaftlichen Lage in Deutschland Stellung genommen. Der Redner der CDU/CSU-Fraktion hat erklärt, dies sei ein erfolgreicher Bundeskanzler.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Jawohl! Zu Recht!)

    Der Bundeskanzler hat erklärt - das war bekannt -: Ich will bleiben. Er hat dann gesagt, daß die Darlegungen der Redner der Opposition die Wirklichkeit in diesem Lande nicht treffen würden.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Das ist schon eine Anmaßung, die ihresgleichen sucht.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Wenn hier darauf hingewiesen wird, daß wir, was die Arbeitslosigkeit angeht, Zahlen haben, die einen wirklichen Nachkriegsrekord darstellen, daß wir uns der Zahl von 5 Millionen Arbeitslosen nähern, wenn hier dargestellt wird, daß wir Rekordschulden haben, die vor einigen Jahren unvorstellbar waren, und daß die Arbeitnehmer unter einer Abgabenlast leiden, die damals unvorstellbar war, wenn darauf hingewiesen wird, daß junge Menschen keinen Arbeitsplatz finden - es geht nicht nur um Ausbildungsplätze - und daß die Armut in Deutschland wieder größer wird, daß 1 Million Kinder von der Sozialhilfe leben, und Sie sich dann hier hinstellen und sagen: Mir geht es gut, und ich werde die Wahlen gewinnen, dann ist das eine Anmaßung, die unerträglich ist, Herr Bundeskanzler.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Sie haben vor einem Jahr gesagt - ich zitiere -: 4,66 Millionen Arbeitslose, das ist „die schwärzeste Zahl in meiner Amtszeit". Ich bin einmal gespannt, was Sie in einigen Wochen zu sagen haben, Herr Bundeskanzler. Deshalb sollten Sie versuchen, wieder zu den Realitäten zurückzukehren. Denn was Sie hier vorgetragen haben, hat nun mit der Wirklichkeit in unserem Lande nichts zu tun. Dieser Vorwurf fällt voll und ganz auf Sie zurück.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Diese Tatsache zog sich durch Ihre ganze Argumentation. Ich beginne zunächst einmal mit Ihrer Be-

    Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland)

    wertung der Europapolitik und des Beschäftigungsgipfels. Da bleibt einem ja fast die Spucke weg. Da ist die gesamte Europäische Gemeinschaft eine ganze Zeitlang dabei, die Bundesregierung, Sie, von der Notwendigkeit dieses Gipfels zu überzeugen. Sie sperren sich dagegen. Es gibt heftigste Diskussionen auf europäischer Ebene, und dann tun Sie hier so, als sei das Ihre Erfindung und Ihr Erfolg. Das ist doch nicht zu fassen!

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Natürlich ist es so, daß Sie in der Europäischen Gemeinschaft mittlerweile isoliert sind. Das sagen alle sozialdemokratischen Regierungschefs. Vielleicht sind Sie, Herr Bundeskanzler, nicht mehr in der Lage, zuzuhören. Sie können hier doch nicht ernsthaft vertreten wollen, daß beispielsweise die Regierung Jospin in der Beschäftigungspolitik und in der Europapolitik den gleichen Kurs fährt wie Sie. Erklären Sie die Menschen doch nicht für dümmer, als Sie selber sind. Das geht meistens ins Auge.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Das wirkliche Ergebnis unserer Begegnung mit der französischen Regierung, die unter dem Vorsitz von Rudolf Scharping stattgefunden hat, war, daß zwei Regierungen weitergehende Ergebnisse blockieren - die Regierung Spaniens und die Regierung der Bundesrepublik Deutschland. Das ist die Wahrheit, Herr Bundeskanzler. Sie waren mitverantwortlich dafür, daß sich die Europäische Gemeinschaft insbesondere in der Diskussion über den Maastricht-Vertrag ausschließlich auf die Bewahrung des Geldwertes konzentriert hat, daß immer wieder Diskussionen nur darüber geführt worden sind, wie sich die Inflation und das jahresbezogene Haushaltsdefizit im Hinblick auf das Kriterium von 3,0 Prozent entwickeln, und daß lange Jahre überhaupt nicht darüber gesprochen wurde, wie es eigentlich den 18 oder 20 Millionen Menschen in Europa geht, die arbeitslos sind. Es ist das Verdienst sozialdemokratischer Regierungen in Europa, dies gegen Ihren Widerstand auf die Tagesordnung gesetzt zu haben.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Sie haben im Vorfeld des Gipfels immer wieder erklärt, daß Sie nicht bereit sind, eine gemeinsame europäische Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik in Angriff zu nehmen, obwohl Art. 103 des Maastricht-Vertrages dazu verpflichtet. Denn die zukünftige Notenbank hat ja gar keinen Partner, wenn es nicht gelingt, eine Art Wirtschaftsregierung zu bilden, wie es die französische Regierung seit langem fordert und wie es auch im Maastricht-Vertrag steht.
    Was nützt denn Ihr Bekenntnis zu dem Wort von François Mitterrand, das Sie vorhin angeführt haben, das richtig ist und das Sie auf außenpolitischer Ebene vielleicht auch beherzigen, wenn Sie in der Wirtschaftspolitik und insbesondere in der Beschäftigungspolitik hartnäckig darauf beharren: Das machen wir in Deutschland; Beschäftigungspolitik ist eine nationale Aufgabe. Das ist eine falsche Antwort. Beschäftigungspolitik ist zwar eine nationale Aufgabe, aber mehr und mehr auch eine europäische Aufgabe. Das müssen Sie erst lernen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Deshalb brauchen wir beispielsweise Rahmenbedingungen auf europäischer Ebene. Das ist unter den europäischen Regierungschefs weitgehend unbestritten. Wir bräuchten einen ersten Einstieg in eine Harmonisierung des Steuersystems. Das haben Sie vor einiger Zeit noch abgelehnt. Es ist gut, daß Sie Ihre Meinung jetzt korrigiert haben. Denn es geht natürlich nicht so weiter, daß sich die Vermögenden durch Wohnsitzverlagerung, die Unternehmen durch Firmensitzverlagerung sowie die Kontobesitzer durch Kontenverlagerung innerhalb Europas der Steuer entziehen und daß die Arbeitnehmer immer höhere Beiträge bezahlen müssen und deswegen nicht mehr wissen, was ihr Stellenwert in Europa eigentlich ist, wenn diese Politik fortgesetzt wird.

    (Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Wenn Sie sich etwa mit Herrn Monti, dem zuständigen Kommissar, der seit Jahren konkrete Vorschläge macht, unterhalten, werden Sie immer wieder hören, daß die Regierung Kohl nicht gerade ein Vorbild ist, wenn es um eine Harmonisierung der Steuern im gesamteuropäischen Kontext geht.

    (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Völlig falsch!)

    - Ich werde mich mit Ihnen, Herr Finanzminister, noch auseinandersetzen. - Ich nehme aber zur Kenntnis, daß Sie jetzt Ihre Meinung geändert haben. Wir begrüßen es, wenn wir hier einer Auffassung sind.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Vor einem Jahr noch nicht!)

    - Vor einem Jahr noch haben Sie versucht, das lächerlich zu machen und zu diffamieren, und haben gesagt, es sei illusionär, darauf zu setzen, daß man in Europa eine Harmonisierung der Steuersätze durchsetzen könne. Wenn Sie jetzt Ihre Meinung geändert haben, ist das ein Fortschritt. Wir begrüßen es.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Sich aber hier hinzustellen und an unsere Adresse zu sagen, daß wir in der Europapolitik isoliert seien und Sie selber sich mitten im Mainstream der europäischen Regierungen befänden, stellt die Wahrheit auf den Kopf. Nein, Sie haben es auf Grund Ihrer verfehlten Wirtschafts- und Finanzpolitik so weit gebracht, daß die große Mehrheit der europäischen Regierungen diese Fragestellung anders beantwortet und Sie zusammen mit Spanien in der Europäischen Gemeinschaft völlig isoliert sind.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland)

    Dann haben Sie die Reformen, die wir im Inneren durchführen müßten, angesprochen. Alles konzentriert sich ja dann auf die Renten- und Steuerreformen. Natürlich möchte ich jetzt dazu Stellung nehmen. Ich hatte ja erwartet, daß heute möglicherweise ein Angebot gekommen wäre. Der Fraktionsvorsitzende der SPD hat dazu etwas gesagt, ebenso der Fraktionssprecher der Grünen. Es wäre denkbar gewesen, daß Sie heute ein Angebot vorgelegt hätten.
    In der Rentenfrage gibt es ja auch Unterschiede zur Partei der Grünen, wie ich den Ausführungen von Herrn Kollegen Fischer entnommen habe. Es geht dabei um die Frage, ob es zur Zeit angemessen und richtig ist, die Renten über die demographische Formel zu kürzen, wie Sie es hier angeboten haben.
    Wir gehen an diese Sache anders heran als viele andere, die sich an der Diskussion beteiligen. Wenn wir über die Rentenfrage diskutieren, lautet die erste Frage für uns nicht: Wie entwickeln sich die Lohnnebenkosten? Das ist zwar eine wichtige Frage, aber diese stellen wir nicht als erste. Die erste Frage, die wir stellen, lautet: Wieviel Geld brauchen Frauen und Männer im Alter, wenn sie ordentlich leben wollen? Diese Frage stellen wir zunächst.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Wenn man diese Frage beantworten will - ich bitte die Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen und Herrn Kollegen Fischer, dieses noch einmal zu überdenken -, muß man von den Durchschnittsrenten ausgehen. Die diesbezüglichen Daten sind kürzlich veröffentlicht worden; ich möchte sie Ihnen noch einmal vortragen. Die Durchschnittsrente für Frauen im Jahre 1996 betrug 929 DM und für Männer 1609 DM. Daß sich diese Zahlen im Einzelfall insbesondere bei Alleinstehenden usw. noch ganz anders darstellen, wissen auch Sie.
    In dieser Frage haben wir eine dezidiert andere Position als die Mehrheit hier im Haus. Wir halten es bei Durchschnittsrenten von 929 DM für schamlos, die Forderung zu erheben, diese Renten weiter zu reduzieren und zu kürzen. Das ist unsere Position.

    (Beifall bei der SPD und der PDS)

    Eine zweite Frage wird überhaupt nicht diskutiert. Haben denn die Beitragszahler, die in die Rentenkassen einzahlen, keine Ansprüche auf Kapitalverzinsung, wie Aktien- oder Immobilienbesitzer oder solche, die private Verträge abschließen? Ist vielleicht denen, die jetzt die Forderung nach einer Kürzung der Renten stellen, entgangen, daß wir zu Beginn der Republik, als wir noch die Kriegsfolgelasten zu tragen hatten, immerhin eine Durchschnittsverzinsung in der Größenordnung von 4 Prozent hatten? Diese Verzinsung hat sich jetzt ins Negative gekehrt, wenn man einmal die Durchschnittsverzinsung hochrechnet.
    Ist es wirklich so, daß die Beitragszahler keine Anrechte haben, etwa an Kapitalrenditen längerfristig beteiligt zu werden, während wir auf der anderen Seite in einer Gesellschaft leben, in der Aktiengewinne nicht besteuert werden, sich das meiste Geldvermögen der Besteuerung entzieht und Spekulationsgewinne in großem Umfang nicht besteuert werden?
    Eine solche Gesellschaft ist sozial ungerecht. Nein, auch die kleinen Leute, die ihre Beiträge zahlen, haben einen Anspruch darauf, daß die Rente so bemessen ist, daß eine ordentliche Verzinsung zugrunde gelegt werden kann. Warum diskutieren Sie darüber überhaupt nicht?

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Fällt Ihnen das nur ein, wenn Sie über Aktien, über Shareholder Value, über Immobilien und über Gewinne der Unternehmen reden? Ist unser Land wirklich so weit gekommen, daß man nicht auch das gleiche Recht für diejenigen einfordert, die die geringsten Beiträge zur Alterssicherung aufbringen können, die angesichts der jetzt großgewordenen Praxis keine Möglichkeit mehr haben, Betriebsrenten in größerem Umfang zu beziehen, und die noch weniger Möglichkeiten haben, privates Immobilienvermögen oder anderes Vermögen zu bilden, um für ihren Lebensabend zu sorgen?

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    An diese Menschen und an niemand anderen haben wir in erster Linie zu denken.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Wenn diese Frage beantwortet ist, ist noch die Frage zu beantworten: Wie kommt es zu diesem Beitragssatz? Herr Bundeskanzler, Sie haben zu recht darauf hingewiesen - das bestreitet niemand -, daß in großem Umfang Vorruhestandsregelungen in Anspruch genommen worden sind. Es wäre unfair und unwahrhaftig, wenn wir nicht sagen würden, daß wir daran mitgewirkt haben. Das ist nicht unsere Art.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Oh! Michael Glos [CDU/CSU]: Aber? Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    - Wir werden vielleicht Zeit haben, über das Bekenntnis zur christlichen Politik in der Alltagspraxis zu diskutieren. Ich könnte darüber ein Kolleg halten, aber ich brauche das gar nicht.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Lesen Sie einmal das Buch von Heiner Geißler - falls Sie, junger Mann dahinten, überhaupt einmal ein Buch lesen. Da werden Sie manches lesen, was Ihnen die Ohren rot werden läßt. Das kann ich zum Anspruch des Christentums und zu Ihrer Praxis sagen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Sehen Sie, Herr Kollege Geißler, es lohnt sich manchmal, Bücher zu schreiben. Die werden dann auch gelesen. Ich habe Ihren Kollegen empfohlen, es auch einmal zu lesen. Sie haben dort sehr kritische

    Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland)

    Worte über den christlichen Anspruch, über das Versprechen des Christentums und die Praxis der Politik gefunden. Ich habe es mit großer Aufmerksamkeit gelesen.
    Wenn Sie weiterdiskutieren, müssen Sie einräumen, daß wir auf ein entscheidendes Problem hingewiesen haben. Bereits im Jahre 1990 hat der Kollege Dreßler - dem ich von hier aus alles Gute und gute Genesung wünschen möchte -

    (Beifall)

    für die auch von uns mitgetragenen Regelungen für die Renten in den neuen Ländern vorgeschlagen, diese wegen der daraus erwachsenden Probleme für die Beiträge wesentlich aus Steuermitteln zu finanzieren.
    Das ist die Auseinandersetzung, die wir mit Ihnen führen, und zwar nicht nur über die Rentenkasse. Wir führen sie auch bei vielen anderen Sozialversicherungsproblemen, die aufgetreten sind. Wir müssen endlich wieder Ordnung in die Sozialkassen bringen, das heißt, Leistungen müssen früheren Beiträgen gegenübergestellt werden, und was darüber hinaus gewährt wird, ist aus Steuermitteln und nicht nur aus den Mitteln der Arbeitnehmerschaft und Beitragszahler zu finanzieren.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Dies ist exakt der schwere Fehler, den Sie gemacht haben. Auch die jüngste Statistik der Europäischen Gemeinschaft weist aus, daß die Abgaben in Deutschland höher sind als in den meisten anderen Mitgliedstaaten und daß sie schneller gestiegen sind als in den meisten anderen Mitgliedstaaten.
    Das ist keine Erblast des Kommunismus und auch keine Erblast der Nazizeit. Das ist schlicht und einfach eine Folge des Fehlers, den Sie begangen haben, indem Sie sagten: Ich verspreche, daß es keine Steuererhöhungen gibt, und finanziere den Aufbau Ost über die Sozialkassen. Das ist ein schwerer struktureller Fehler, der erheblich zur Arbeitslosigkeit beigetragen hat.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Vor diesem Hintergrund haben wir einen ersten Schritt angeboten. Es wäre möglich, daß jetzt einer von Ihnen aufsteht und sagt: Ich habe die Möglichkeit, etwas für die Koalition zu sagen. In der Regel ist das der Bundeskanzler, aber wir können auch andere Regeln in Kauf nehmen. Er könnte sagen, daß Sie bereit sind, die Rentenkasse im Jahre 1998 zu entlasten, indem wir bei der Mehrwertsteuer einen Schritt aufeinander zugehen.
    Unsere Voraussetzung ist, daß wir über die Rentenkürzung - oder die Strukturreform; so wird das von Ihnen genannt - die Wählerinnen und Wähler entscheiden lassen. Wenn jetzt hier einer aufsteht, können wir das abschließen. Solange Sie aber darüber streiten, ob die F.D.P. das will, was die CDU will, und solange die CSU sagt: „Wir machen das Vorziehen
    der Rentenformel überhaupt nicht mit" , das heißt, solange Sie sich nicht einig sind, ist es doch unwahrhaftig und unredlich, immer wieder Blockadevorwürfe zu erheben.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Wenn Sie sich an unsere Adresse wenden, so möchte ich Ihnen folgendes sagen: Die Grundlage des demokratischen Dialogs ist auch, daß man versucht, wahrhaftig zu argumentieren;

    (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

    sonst ist kein demokratischer Dialog möglich. Wer wahrhaftig ist, wird einräumen, daß Sie sich hinsichtlich der Rentengesetzgebung in der Koalition uneinig sind und daß ein klares Angebot auf dem Tisch liegt, das ich wiederholt habe, das zu beantworten Sie aber unfähig sind, weil Sie Streit haben. So platt ist das.

    (Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Ich komme zur Steuerreform. Jeder kann sich irren. Es ist immer unangenehm, wenn man sich geirrt hat. Sie haben den Fehler gemacht, zu Beginn dieses Jahres Ihr Konzept zu erarbeiten, obwohl wir gesagt haben: „Guckt erst einmal in die Kasse hinein, ehe ihr große Versprechungen macht" und obwohl wir zusammen mit anderen dazu geraten haben, die Steuerschätzungen abzuwarten. Ich wende mich jetzt an die Zuschauerinnen und Zuschauer: Jeder Haushalt muß, bevor er irgendwelche Ausgaben verspricht - -

    (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Siehe Saarland!)

    - Ich komme gleich auf das Saarland zurück. Ich verspreche Ihnen, ich komme im Zusammenhang mit dem hervorragenden CSU-Parteitag noch auf das Saarland zurück.

    (Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Saarland!)

    - Gedulden Sie sich, ich komme darauf noch zurück. Es ist notwendig, darauf zurückzukommen. Zunächst sind wir aber noch bei der Steuerschätzung.
    Wir haben gesagt, es ist nicht vertretbar, ein solches Steuerreformkonzept vorzulegen, ohne die Steuerschätzung zu kennen. Sie waren anderer Meinung. Wir halten dies sachlich für einen schweren Fehler. Wir glauben nicht, daß es überhaupt redlich und sinnvoll ist, Steuersenkungen zu versprechen, ohne die Steuerbasis für die nächsten Jahre zu kennen. Sie waren anderer Meinung. Wir halten das für einen schweren Fehler.

    (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Ihr habt es immer noch nicht begriffen!)

    Wir begrüßen es, daß sich mittlerweile auch diejenigen, die Ihnen Beifall gezollt haben, auf den Boden der Realität gestellt haben, wie der DIHT, der gesagt hat, daß es auf Grund der aktuellen Entwicklung der

    Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland)

    Steuereinnahmen aller Staatshaushalte nicht möglich ist, große Steuersenkungen zu versprechen. Warum sind Sie nicht in der Lage, eine ähnlich klare Aussage zu treffen, damit wir eine vernünftige Beratungsgrundlage haben?

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Es ist für mich unfaßbar: Da brechen die Steuereinnahmen aller staatlichen Ebenen ein, und Sie glauben ernsthaft, noch die Fiktion aufrechterhalten zu können, daß Sie dem Volk Steuersenkungen in der Summe von - nach den Berechnungen von Nordrhein-Westfalen, Mehrwertsteuererhöhung eingeschlossen - 40 Milliarden DM versprechen können. Das ist für uns unwahrhaftig und unredlich. Lösen Sie sich von dieser Position, wie es die Sachverständigen und der DIHT getan haben, wie es im Grunde genommen jeder tun muß, der sich einigermaßen ernsthaft mit der Entwicklung der Staatsfinanzen auseinandersetzt.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Michael Glos [CDU/CSU]: Märchenstunde!)

    So, wie Sie an dieser Stelle eine klare Aussage verweigern, weil Sie untereinander zerstritten sind - denn die F.D.P. muß, koste es, was es wolle, als Steuersenkungspartei dargestellt werden -, tricksen Sie auch bei den anderen Steuerfragen. Warum sind Sie so unredlich?
    Mehrwertsteuer. Sie haben doch vorgeschlagen, die Mehrwertsteuer zur Senkung des Rentenversicherungsbeitrages einzusetzen. Das ist doch die Wahrheit. Sie haben ebenfalls vorgeschlagen, die Mehrwertsteuer einzusetzen, um die Steuerreform zu finanzieren. Auch das ist die Wahrheit. Sie haben also zwei Punkte vorgeschlagen. Warum tun Sie in der Öffentlichkeit so, als sei - auch der F.D.P.-Vorsitzende hat sich wieder so geäußert - über eine Mehrwertsteuererhöhung jetzt überhaupt nicht zu diskutieren, da dies ein großer Schaden für Wachstum und Beschäftigung sei? Warum sind Sie so unwahrhaftig, in einem Satz, in einem Atemzug eine bestimmte Sache und das Gegenteil davon zu behaupten? Es ist doch unglaublich, was Sie sich hier erlauben.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Man muß auch zuhören können! Das ist ein Hörfehler!)

    Sie haben nicht nur über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um zwei Punkte diskutiert, sondern auch über eine Anhebung der Mineralölsteuer. Das sind die Steuerdiskussionen, die Sie geführt haben. Bei der Anhebung der Mineralölsteuer oder der Mehrwertsteuer wird nicht unter ökonomischen Gesichtspunkten diskutiert, sondern da wird nur darüber diskutiert, was populär ist und was nicht, weil man vor lauter Angst vor den Wahlen völlig entscheidungsunfähig geworden ist.
    Die Frage, was man jetzt anhebt, die Mineralölsteuer - -

    (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Ich streite mit Ihnen doch nicht über Populismus!)

    - Herr Gerhardt, nun tun Sie doch nicht so dick! Daß Sie jetzt hier so tun, als hätten Sie keine Angst vor den Wahlen, das erinnert doch wirklich an das Kleinkind, das im Walde pfeift, weil es Angst hat, daß der schwarze Mann kommt.

    (Beifall bei der SPD Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Sie haben das Thema Mehrwertsteuer nicht richtig wiedergegeben! Sie haben einen Hörfehler!)

    Eine rationale Debatte darüber - wenn es schon unvermeidlich ist, diese Steuern anzuheben, um die Lohnnebenkosten abzusenken -, welche Steuererhöhung jetzt in die Landschaft paßt, haben Sie bis zum heutigen Tage nicht geführt. Sie haben beispielsweise Japan angesprochen; das ist doch hier alles ausgebreitet worden. Die japanische Binnenwirtschaft - darüber wird in Japan noch diskutiert - hat nach einer Mehrwertsteueranhebung einen erheblichen Einbruch gehabt. Wir haben hier in Deutschland im Einzelhandel jetzt im fünften Jahr teilweise reale Rückgänge des Umsatzes. Meinen Sie, da sei es unproblematisch, über Mehrwertsteuererhöhung zu diskutieren?

    (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Sie diskutieren doch darüber! Zurufe von der CDU/ CSU: Beck!)

    - Dies habe ich auch dem Kollegen Beck, der eine Erhöhung auf 18 Prozent vorgeschlagen hat, gestern in einem Telefonat gesagt. Es ist doch ein ganz normaler Sachverhalt, daß auch wir unterschiedliche Positionen haben. Das wird ja überhaupt nicht bestritten. Nur ist es bei uns so, daß wir uns dann auf eine einheitliche Linie verständigen

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    und auch bereit sind, diese dann umzusetzen, was Sie, meine Damen und Herren, nicht mehr können.

    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

    Nun komme ich zum CSU-Parteitag. Mit großem Interesse habe ich gehört, daß Herr Stoiber vorgetragen hat, daß Landwirtschaftssubventionen etwas ganz Hervorragendes seien und daß man sie eigentlich immer weiter nach oben fahren müsse, während alle anderen Subventionen schädlich seien. Er hat nur noch vergessen, zu sagen, daß natürlich auch die Subventionen in Militärtechnik ganz hervorragend seien. Er verfährt nach dem Motto: Alles, was an Subventionen nach Bayern fließt, ist gut; bei dem Rest sind wir dagegen. Das wird auf Dauer auch für die Regierung der CSU in Bayern nicht gut sein. Ich sage das hier einmal in aller Klarheit.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland)

    Die anderen Länder lassen es sich auf Dauer nicht gefallen, was da an Selbstherrlichkeit und unredlicher Argumentation immer wieder zu hören ist.
    So ist beispielsweise jetzt die glorreiche Idee aufgekommen - das haben die Kollegen Scharping und Fischer bereits angesprochen -, man solle bei der Sozialversicherung regionalisieren und sich aus der Solidargemeinschaft ausklinken. Das ist wirklich eine nicht zu überbietende Dreistigkeit: Das strukturschwache Land Bayern hat jahrzehntelang vom Solidarausgleich gelebt. Es ist schäbig, jetzt anzudiskutieren, sich aus dem Solidarausgleich zu verabschieden.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Das gilt dann auch für den Bund-Länder-Finanzausgleich, meine Damen und Herren. Das ist doch wirklich der Gipfel der Unverfrorenheit: Dieses Land ist jahrzehntelang Nehmerland im Bund-Länder-Finanzausgleich.

    (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Alles zurückbezahlt! Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Wir haben daraus etwas Sinnvolles gemacht!)

    Jetzt wird Bayern angesichts der neueren Entwicklung nach der deutschen Einheit zum Geberland, und nun fällt Ihnen plötzlich ein, das müsse zurückgeführt werden, jetzt sei Schluß mit der Solidarität. Ich nenne das schäbig, um das hier einmal in aller Klarheit zu sagen.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Ich komme nun zu Ihnen, Herr Finanzminister. Sie tun immer so - die Nummer haben Sie hier schon zehnmal abgezogen -, als kämen die Zuwendungen an das Saarland aus Ihrer persönlichen Tasche und als müßte alle Welt Ihnen für die Großzügigkeit dankbar sein, die Sie an den Tag legen.
    Meine Damen und Herren, es ist richtig, daß das Saarland, das die Kohle- und Stahlkrise zu bewältigen hat und auf Grund seiner Geschichte zweimal zu unterschiedlichen Währungsräumen gehörte, immer noch Strukturprobleme hat und daß es, nachdem die Montankrise ausgebrochen ist - vorher war das nicht der Fall -, die solidarische Unterstützung anderer Länder braucht.
    Aber, meine Damen und Herren, von Bayern haben wir aus zweierlei Gründen keine Belehrung zu erfahren. Ein Grund besteht im Bund-Länder-Finanzausgleich. Zum zweiten aber hat sich kein Land der Bundesrepublik Deutschland so wie das Land Bayern in den letzten Jahrzehnten mit über 100 Milliarden DM aus dem Bundeshaushalt bedient. Sie sollten schweigen, ehe Sie mit Fingern auf andere zeigen.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Das gilt für den Militäretat, über den nachher abgestimmt werden wird, das gilt für den Verkehrsetat, das gilt für den Forschungsetat, das gilt natürlich für den Agraretat und für viele andere Bereiche.
    Sie haben keinen Grund, mit dem Finger auf andere Länder zu zeigen. Wenn uns jetzt Bürgerinnen und Bürger aus Bayern zuhören, dann sage ich ihnen: Eine Regierung der CSU, die in diesem Ausmaße gegenüber anderen Ländern unfair ist, vertritt das Land Bayern schlecht und könnte eines Tages mit den Rechnungen konfrontiert werden.

    (Beifall bei der SPD Lachen bei der CDU/ CSU)

    Der Höhepunkt ist dann immer, daß Sie die Finanzentwicklung des Saarlandes ansprechen und daraus das Versagen ableiten. Nun, da gibt es objektive Zahlen, Herr Kollege Waigel. Herr Bundeskanzler, Sie sahen sich ja auch bemüßigt, vor dem CSU-Parteitag so zu argumentieren.

    (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Ich doch nicht!)

    - Sie haben etwas zur Finanzentwicklung gesagt. Ich habe es selbst gehört, Herr Bundeskanzler.

    (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wir waren sogar dabei! Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Ich war dort!)

    Ich wette mit Ihnen, daß Sie etwas gesagt haben. - Was wetten Sie? Sie können mir gleich die Wette abgeben; ich halte sie.
    Auf jeden Fall haben Sie darauf hingewiesen, daß der saarländische Ministerpräsident wegen der schlechten Finanzwirtschaft an der Saar keinen Grund habe, hier zu argumentieren.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Richtig!)

    Im Jahre 1985, in dem wir - ein außergewöhnlicher Vorgang - an der Saar eine absolute Mehrheit erreicht hatten, weil die Vorgängerregierung, bestehend aus CDU und F.D.P. nicht als in der Lage dazu eingeschätzt wurde, die Stahl- und Bergbaukrise zu bewältigen, hatten wir eine Zinssteuerquote von 19,6 Prozent. - Das können Sie mitschreiben. - Zur damaligen Zeit hatte der Bund eine Zinssteuerquote von 14,3 Prozent, glaube ich; die Kommastelle mögen Sie bitte überprüfen.
    Nun haben wir - das ist eine schlechte Entwicklung, die ich bedauere - diese 19,6 Prozent leider nicht zurückführen können. Vielmehr ist die Zinssteuerquote auf Grund der ständigen Bergbaukrise und der Stahlkrise trotz der Hilfen auf 22 Prozent angestiegen. Das ist eine sehr, sehr nachteilige Entwicklung.
    Im gleichen Zeitraum aber haben Sie nicht um drei Punkte zugelegt, sondern um zehn Punkte, nämlich von 14 auf über 24 Prozent. Wenn Sie sich dann als Vorbild in der Finanzpolitik gerieren, dann befinden Sie sich außerhalb der Zahlenwelt, aber so ist es bei vielen anderen Beispielen ja auch.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Wenn Sie dann sagen, wir hatten zur Bewältigung der Stahlkrise die Bundeshilfen zur Verfügung, so ist

    Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland)

    das richtig. Wir hatten Bundeshilfen erhalten, und dafür ist das Land auch dankbar.
    Sie aber hatten zur Bewältigung des Aufbaus Ost die Möglichkeit, auf beträchtliche Steuer- und Abgabenerhöhungen pro Jahr zurückzugreifen, und Sie haben in diesem Zeitraum Bundesbankgewinne kassiert, was Sie vorher hier immer heftigst kritisiert haben.
    Halten Sie sich also bei der Finanzpolitik zurück. Sie haben viel schlechtere Zahlen als Länder, auf die Sie mit dem Finger zeigen, Herr Bundesfinanzminister.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Wo haben wir die kassiert?)

    Noch einmal zur Steuerreform: Sie haben gestern hier gesagt - ich weiß nicht, wer Ihnen das aufgeschrieben hat; Sie haben abgelesen, und dem zuzuhören habe ich mir angetan -, wenn wir die Rentenreform und die Steuerreform so realisieren, wie sie sich jetzt abzeichnet, wird sich ein Investitionsfeuerwerk entwickeln. - Haben Sie eigentlich irgendeinen Ökonomen in Ihrem Ministerium? Wer hat Ihnen denn so etwas aufgeschrieben?

    (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Sie sind keiner!)

    Glauben Sie wirklich, daß ein Investitionsfeuerwerk losgeht, wenn wir jetzt die Mehrwertsteuer anheben, um einen weiteren Anstieg der Sozialversicherungsbeiträge zu verhindern? Haben Sie nicht gehört, daß zum Beispiel das Handwerk sagt, ein Punkt Mehrwertsteuer koste dort 60 000 Arbeitsplätze? - Also reden Sie doch nicht so leichtfertig und so leichtsinnig daher, führen Sie die Öffentlichkeit nicht in die Irre, meine Damen und Herren!

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Die Steuerreform hätte natürlich Investitionen zur Folge, wenn Ihr ursprüngliches Projekt, in größerem Umfang etwa konjunkturstützend Steuersenkungen durchzuführen, realisiert worden wäre und nicht von gleich hoch bezifferten Kürzungen in den Haushalten begleitet würde. Das ist die ökonomische Gleichung.
    Wenn Sie aber jetzt eingesehen haben - Sie nickten vorhin ein wenig; ich weiß nicht, wie weit Sie in der Diskussion sind -, daß es angesichts des dramatischen Wegbrechens der Staatseinnahmen völlig unverantwortlich ist, den Wählerinnen und Wählern Steuersenkungen von 40 Milliarden DM zu versprechen, dann sind wir bei einer aufkommensneutralen Steuerreform, die kein Investitionsfeuerwerk in Gang setzen wird. Erzählen Sie doch den Leuten nicht einen solchen ökonomischen Unfug! Ich muß das einmal in aller Härte sagen.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir können im Moment folgendes machen - ich biete
    es Ihnen noch einmal an; sperren Sie die Ohren auf -:

    (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir haben die Möglichkeit - Herr Kollege Schäuble, schreiben Sie mit -, den Eingangssteuersatz auf 22 Prozent zu senken.

    (Vorsitz : Vizepräsidentin Michaela Geiger)

    Die SPD ist bereit, den Spitzensteuersatz auf 49 Prozent zu senken, wohl wissend, daß jeder Prozentpunkt, den wir oben wegnehmen, 2 Milliarden DM kostet. Wir legen Wert darauf, daß beim Grundfreibetrag und beim Kindergeld etwas getan wird, weil wir der Auffassung sind, daß wir insbesondere diejenigen Familien stärken müssen, die das Geld auch ausgeben.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Wir weisen Diskutierende in Steuersachen darauf hin, daß jede Mark, die wir unten nachlassen, auch dem Millionär zugute kommt. Voraussetzung ist - das können Sie morgen haben; aber Sie sind handlungsunfähig -, daß Sie aufkommensneutral gegenfinanzieren und daß dies mit dem Finanzministerium in Nordrhein-Westfalen abgeglichen wird.

    (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Wir haben es doch beschlossen! Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Der Bundestag hat es schon beschlossen! Sie haben es wohl noch nicht zur Kenntnis genommen!)