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    Plenarprotokoll 13/206 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 206. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 26. November 1997 Inhalt: Absetzung eines Punktes von der Tagesordnung 18631 A Tagesordnungspunkt I (Fortsetzung): Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1998 (Haushaltsgesetz 1998) (Drucksachen 13/8200, 13/8883) . . . 18631 B Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1997 (Nachtragshaushaltsgesetz 1997) (Drucksachen 13/8199, 13/8803) 18631 A Einzelplan 04 Bundeskanzler und Bundeskanzleramt (Drucksachen 13/9004, 13/9025) . . . 18631 B in Verbindung mit Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Abgeordneten Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS: Ausweis der Mittel für den Bundesnachrichtendienst (Drucksachen 13/6531, 13/7299) . . 18631 B Rudolf Scharping SPD 18631 D Michael Glos CDU/CSU 18636 C Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 18642 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . 18648 A, C Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P 18649 B Dr. Gregor Gysi PDS 18654 B, 18685 B Dr. Christa Luft PDS 18657 B Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler . . . 18658 A Oskar Lafontaine, Ministerpräsident (Saar- land) 18669 C Eckart von Klaeden CDU/CSU . . . . 18675 D Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . . 18677 C Dr. Heiner Geißler CDU/CSU 18683 B Rudolf Scharping SPD 18684 A Namentliche Abstimmung 18686 D Ergebnis 18689 C Einzelplan 05 Auswärtiges Amt (Drucksachen 13/9005, 13/9025) . . 18687 B Günter Verheugen SPD 18687 C Dr. Erich Riedl (München) CDU/CSU . 18692 A Otto Schily SPD 18694 B Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18694 C Ulrich Irmer F.D.P 18695 A Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18695 C Dr. Erich Riedl (München) CDU/CSU . 18696 D, 18704 C Dr. Helmut Haussmann F.D.P 18697 C Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18699 A Steffen Tippach PDS 18699 B Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA . 18700 C, 18703 B Ulrich Irmer F.D.P 18702 D Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18703 A Eckart Kuhlwein SPD 18703 C Karl Lamers CDU/CSU 18706 A Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung (Drucksachen 13/9013, 13/9025) . . 18708 A Walter Kolbow SPD 18708 A Dietrich Austermann CDU/CSU . . . 18712 A Erwin Horn SPD 18713 D Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18714 D Jürgen Koppelin F.D.P. . . . . 18716B, 18720 B Uta Zapf SPD 18718 A Otto Schily SPD . 18718 D Ernst Kastning SPD 18719 C Heinrich Graf von Einsiedel PDS . . . 18720 C Volker Rühe, Bundesminister BMVg . 18721 C, 18723 C Dr. Burkhard Hirsch F D P. 18723 B Paul Breuer CDU/CSU 18724 B Manfred Opel SPD 18725 D Namentliche Abstimmungen 18726 D Ergebnisse 18727C, 18730 A Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Drucksachen 13/9019, 13/9025) . . . 18732 C Dr. Emil Schnell SPD 18732 C Michael von Schmude CDU/CSU 18735A, 18742 A Dr. Uschi Eid BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18737 C Armin Laschet CDU/CSU 18737 D Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18738C, 18740C, 18743 A Dr. Winfried Pinger CDU/CSU 18740 B Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P 18740 D Dr. Willibald Jacob PDS 18743 B Carl-Dieter Spranger, Bundesminister BMZ 18744 B Dr. R. Werner Schuster SPD 18746 A Einzelplan 07 Bundesministerium der Justiz (Drucksachen 13/9007, 13/9025) . . . . 18747 C in Verbindung mit Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht (Drucksachen 13/9017, 13/9025) . . . 18747 C Gunter Weißgerber SPD 18747 D Manfred Kolbe CDU/CSU 18749 B Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18751 A Otto Schily SPD 18752B, 18762 A Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . . . 18753 D Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 18754 D Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Bundesminister BMJ 18756 B Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD . 18757 D, 18760 D Norbert Geis CDU/CSU 18758 C Norbert Geis CDU/CSU 18760 A Dr. Susanne Tiemann CDU/CSU . . . 18761 A Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18761 C Einzelplan 06 Bundesministerium des Innern (Drucksachen 13/9006, 13/9025) . . . 18763 C in Verbindung mit Einzelplan 33 Versorgung (Drucksachen 13/9023, 13/9025) . . . 18763 C Uta Titze-Stecher SPD 18763 D Dr. Klaus-Dieter Uelhoff CDU/CSU . . 18766 C Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18768 B Dr. Max Stadler F D P. 18770 A Ulla Jelpke PDS 18771 B Herbert Frankenhauser CDU/CSU . . 18772 C Fritz Rudolf Körper SPD 18773 C Manfred Kanther, Bundesminister BMI 18774 C Nächste Sitzung 18775 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 18777* A Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den Einzelplan 14 - Bundesministerium der Verteidigung Hans Büttner (Ingolstadt) SPD 18777* B Dr. Olaf Feldmann F.D.P 18779* A Gabriele Fograscher SPD 18779* B Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. 18779* D Dr.-Ing. Rainer Jork CDU/CSU und Hans-Dirk Bierling CDU/CSU 18780* A Ernst Kastning SPD 18780* B Roland Kohn F.D.P. 18780* C Manfred Kolbe CDU/CSU 18780* C Heidemarie Lüth PDS 18780* D Dr. Martin Pfaff SPD 18781* B Jürgen Türk F.D.P 18781 * D Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Einzelplans 06 - Bundesministerium des Innern - und des Einzelplans 33 - Versorgung - Manfred Kanther, Bundesminister BMI . 18782* A 206. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 26. November 1997 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Beck (Bremen), BÜNDNIS 26. 11. 97 Marieluise 90/DIE GRÜNEN Dreßler, Rudolf SPD 26. 11. 97 Hartmann, Hanns-Peter PDS 26. 11. 97 Heubaum, Monika SPD 26. 11. 97 Homburger, Birgit F.D.P. 26. 11. 97 Kriedner, Arnulf CDU/CSU 26. 11.97 Kurzhals, Christine SPD 26. 11. 97 Lehn, Waltraud SPD 26. 11. 97 Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 26. 11. 97 Erich Marx, Dorle SPD 26. 11. 97 Reschke, Otto SPD 26. 11. 97 Scheel, Christine BÜNDNIS 26. 11. 97 90/DIE GRÜNEN Schenk, Christina PDS 26. 11. 97 Schlee, Dietmar CDU/CSU 26. 11. 97 Schoppe, Waltraud BÜNDNIS 26. 11. 97 90/DIE GRÜNEN Siebert, Bernd CDU/CSU 26. 11. 97 Stübgen, Michael CDU/CSU 26. 11. 97 Vosen, Josef SPD 26. 11. 97 Dr. Wieczorek, Norbert SPD 26. 11. 97 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den Einzelplan 14 - Bundesministerium der Verteidigung Hans Büttner (Ingoldstadt) (SPD): 1. Meine Ausführungen über die Lage der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie, wie ich sie bereits am 11. November 1993 in einer aktuellen Stunde des Deutschen Bundestages formuliert habe, gilt im Grundsatz noch heute: CDU/CSU und F.D.P. sowie die von ihnen gebildete Regierung haben bis heute im Gegensatz zu den USA, Frankreich, England oder Japan auf eine eigenständige Industrie- und Technologiepolitik verzichtet. Die Investitionsentscheidungen der Regierung sind planlos und auch für die Unternehmen der Luft- und Raumfahrtindustrie kaum planbar. Zu lange wurde im Rahmen der europäischen Koordinierungsbemühungen zivile und militärische Kooperation im Bereich der Luft- und Raumfahrt getrennt verfolgt. Auch nach Abschluß der WTO-Abkommen, die eine staatliche Subventionie- rung ziviler Luft- und Raumfahrtprojekte auf Druck der USA nicht mehr oder nur noch eingeschränkt zuläßt, haben die Bundesregierung aber auch der in Deutschland industriell führende Daimlerkonzern an dieser Trennung festgehalten und damit wesentlich zu erheblichen Arbeitsplatzverlusten in der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie, sowie zu Technologieverlagerungen innerhalb der EU beigetragen. 2. Der Zusammenschluß von McDonnell Douglas und Boeing in den USA führt eindrucksvoll vor Augen, wie vordringlich die Schaffung einer europäischen Luft- und Raumfahrtindustrie ist, die sowohl den zivilen als auch den militärischen Teil umfaßt. Denn nur so lassen sich Synergien in Forschung und Entwicklung sinnvoll zusammenfassen und ermöglichen eine annähernde Wettbewerbsgleichheit mit der US-amerikanischen Konkurrenz, bei der zivile Subvention über den militärischen Bereich auch unter den jetzt gültigen WTO-Regeln möglich bleibt. 3. Bis zum Ende des kalten Krieges 1989 war der militärische Bereich der Luft- und Raumfahrtindustrie weitgehend von rein militärischen Vorgaben bestimmt. Ansätze einer besseren Verzahnung mit dem zivilen Bereich, was technologie- und strukturpolitisch sinnvoll gewesen wäre, sind weitgehend unterblieben und wurden zum Beispiel vom Daimlerkonzern gegen die Vorstellungen der Arbeitnehmervertretung in der Praxis auch nach dem Ende des kalten Krieges konterkariert. Dabei spielte die Regierungskoalition eine erbärmliche Rolle. Obwohl erhebliche staatliche Forschungsmittel und Aufträge dem Konzern zufließen, wurde weitgehend unterlassen, eigene struktur- und technologiepolitische Vorstellungen durchzusetzen. 4. Die Mitte der achtziger Jahre getroffene Entscheidung auf europäischer Ebene ein eigenes Jagdflugzeug, den Jäger 90, zu entwickeln und zu beschaffen, hatte neben den unter dem Gesichtspunkt des kalten Krieges militärischen Anforderungen auch das Ziel, eine eigenständige militärische Komponente einer europäischen Luft- und Raumfahrtindustrie aufzubauen. Ob die damals formulierten militärischen Anforderungen sinnvoll oder zumindest geboten waren, kann heute dahingestellt bleiben. Daß man dabei so sehr auf die eigenständige militärische Komponente im Rahmen europäischer Kooperation setzte, anstatt bereits damals auf eine sinnvolle Verzahnung militärischer und ziviler Komponenten abzuzielen, ist im nachhinein nur damit zu erklären, daß strukturpolitische Entscheidungen angesichts der Erfahrungen des kalten Krieges in dem Glauben getroffen wurden, mit dem militärischen Konzept stünde man auf einer krisenunabhängigen sicheren Seite. Dies erweist sich nun speziell für Bayern nach dem Zusammenbruch des Ostblocks als eine - damals nicht voraussehbare - Fehlentscheidung. 5. Inwieweit der Jäger 90 bzw. der Eurofighter bzw. das EFA 2000 heute militärisch als vordringlich betrachtet werden kann, muß zumindest hinterfragt werden. Sowohl die Veränderung der Bedrohungssituation nach dem Zusammenbruch des Ostblocks als auch die sich neu entwickelnden Aufgabenstellungen einer europäischen Verteidigungsorganisation, haben bereits 1993 den Schluß zugelassen, daß unter den neuen Gegebenheiten eine europäische Entscheidung für den Eurofighter in seiner damaligen Form nicht getroffen worden wäre. Bereits damals bestand unter den Fachleuten die mehrheitliche Meinung, daß angesichts der neuen militärischen Situation und Aufgabenstellung, sowie den gebotenen neuen Kooperationsformen zwischen ziviler und militärischer Luft- und Raumfahrtindustrie in Europa, das Projekt Future Large Aircraft (FLA) Priorität hätte erhalten müssen. Entsprechende Vorschläge hat die SPD-Bundestagsfraktion bereits damals nach Abstimmung mit dem Konzernbetriebsrat der DASA unterbreitet. Ein sinnvolles Umsteuern auf die neuen Gegebenheiten bei Sicherung der vorhandenen Arbeitsplätze sowie des technischen Know how an den Standorten wäre möglich gewesen. Entsprechende Initiativen auf europäischer Ebene hat die Bundesregierung jedoch ebenso unterlassen wie auch der Daimlerkonzern nicht von seiner strikten Trennung von militärischer und ziviler Luft- und Raumfahrt Abstand genommen hat. 6. Die jetzt vorliegende Beschaffungsvorlage für den Eurofighter wird all diesen Anforderungen nicht gerecht. Sie läßt weder erkennen, ob die Gesamtzahl der zu beschaffenden Jagdflugzeuge angesichts der gemeinsamen europäischen Verteidigungsaufgaben sinnvoll ist, noch zeigt sie Perspektiven auf, wie auf Grund der europäischen Haushaltszwänge die notwendige FLA-Projektierung vorangetrieben werden kann. Allerdings ist das Projekt Eurofighter derzeit das wichtigste Unternehmen europäischer Kooperation militärischer Luftfahrt und damit eine wichtige Ergänzung der Bemühungen zum Aufbau einer gemeinsamen europäischen Luft- und Raumfahrtindustrie als Gegenpol zu dem sich übermächtig entwickelnden US-amerikanischen Konzern Douglas/ Boeing. Die trotz hoher nationaler staatlicher Forschungs- und Auftragsmittel wenig nationale Standortverantwortung zeigende Haltung des DASA-Daimlerkonzerns läßt zudem befürchten, daß jetzt ein Ausstieg aus dem Eurofighterprogramm in Deutschland zu einem erheblichen Verlust von Know-how und Arbeitsplätzen im Bereich der Luft- und Raumfahrtindustrie führen würde, was bei einem früheren Tätigwerden der Bundesregierung hätte vermieden werden können. 7. Der Deutsche Bundestag steht auf Grund der konzeptionslosen Luft- und Raumfahrtpolitik der Bundesregierung deshalb vor einer schwierigen Entscheidung: Ein Ja zu der Vorlage bindet auf Jahre die beschränkten öffentlichen Mittel für ein Projekt, das sowohl was das Know-how als auch die Zahl der Jäger angeht, sicherheitspolitisch nicht die höchste Priorität besitzt. Ein Nein würde zwar langfristig die Chancen auf eine schlagkräftige, verzahnte europäische Luft- und Raumfahrtindustrie verbessern, mittelfristig aber Arbeitsplätze und Know-how in Deutschland gefährden und wahrscheinlich unwiderbringlich in andere europäische Länder verlagern. Vor diesem Hintergrund kann ich dem Einzelplan 14 und der darin enthaltenen Beschaffungsvorlage nicht zustimmen. Zwar halte ich eine grundsätzliche positive Entscheidung für die Beschaffung für richtig, nicht jedoch die in der Vorlage genannte Anzahl. Angesichts der Aufgaben, die die nationalen europäischen Streitkräfte im Rahmen der EU und der NATO und als Auftragnehmer von UNO-Aufgaben wahrnehmen können sollen, bezweifle ich, daß die in der Vorlage genannte Beschaffungszahl erforderlich ist. Insofern sehe ich mich auch durch die Stellungnahme des Bundesrechnungshofes bestätigt. Statt dessen ist zu prüfen, die durch eine geringere Beschaffung frei werdenden Mittel unverzüglich in ein FLA-Projekt zu stecken, das sich zudem auch im zivilen Bereich nutzen läßt. Dabei haben auch die Herstellerkonsortien finanzielle Verantwortung mit zu übernehmen. Auf Grund dieser Position kann ich aber auch dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nicht zustimmen. Der Antrag meiner eigenen Fraktion enthält zwar die meisten der von mir aufgeführten Positionen, er kommt jedoch zu einem anderen Schluß, weshalb ich mich dabei, nach sorgfältiger Gewissensprüfung, der Stimme enthalten werde. 8. Diese Entscheidung treffe ich auch mit Rücksicht auf die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Falsche politische Entscheidungen der CDU/CSU und der Bundesregierung sowie des Daimlerkonzerns dürfen nun nicht auf dem Rücken der betroffenen Werktätigen ausgetragen werden. Allerdings weise ich auch entschieden verdeckte Drohungen einiger Betriebsräte zurück, die an dem Abstimmungsverhalten zu dem Projekt ein Für oder Wider von Arbeitnehmerinteressen festmachen wollen. Die Verantwortung für den Verlust von Arbeitsplätzen in der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie tragen ausschließlich die Parteien, die seit nunmehr 15 Jahren die Mehrheit im Parlament stellen. Sie haben sowohl beim Aufbau einer gemeinsamen europäischen Luft- und Raumfahrtindustrie versagt, als auch beim Erstellen eines längerfristig tragbaren europäischen Sicherheitskonzepts. Sie haben zudem alles unterlassen, die Konzerne in die Arbeitsplatz- und Standortverantwortung mit einzubeziehen. Vor allem der Daimlerkonzern, die Bundesregierung und die Bayerische Staatsregierung haben deshalb jetzt dafür zu sorgen, im Interesse der Sicherung der Standorte in Bayern und insbesondere in Manching, daß die technologischen Voraussetzungen des Standorts und die Qualifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dazu genutzt werden, sowohl militärische als auch zivile Entwicklung und Flugerprobung in Manching zu konzentrieren. Nur so läßt sich dau- erhaft garantieren, daß hochwertige Arbeitsplätze in Bayern und am Standort Manching erhalten bleiben. Die Arbeitnehmervertretungen in der Luft- und Raumfahrtindustrie sollten, wie ihre Vorgänger in der Vergangenheit, auf diesen Zusammenhang hinweisen und sich nicht zum Büttel einer arbeitnehmerfeindlichen Industrie- und Wirtschaftspolitik machen lassen. Dr. Olaf Feldmann (F.D.P.): 1. Der Eurofighter ist ein Relikt des kalten Krieges. Weder Freiheit noch Sicherheit Deutschlands hängen vom Eurofighter ab. Der Eurofighter hat keine nationale Priorität. Dem Eurofighter fehlt der militärische Gegner. Der Gegner ist offensichtlich weniger militärischer, sondern mehr industriepolitischer Art. Ich bin nicht bereit, ein Wettrennen zwischen europäischer und amerikanischer Rüstungsindustrie mit deutschen Steuergeldern zu subventionieren. 2. Unsere außenpolitische Leitidee ist zwar supranational, doch verteidigungspolitisch handeln wir immer noch national. Wir müssen unsere sicherheitspolitische Konzeption grundlegend überdenken. Die Umsetzung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, GASP, ist überfällig. Vor der Entscheidung für einen Jäger brauchen wir ein Konzept für eine wirklich gemeinsame Verteidigung in Europa und eine echte Aufgabenverteilung im Bündnis. Nicht jeder Staat muß alles haben: den besten Panzer, den besten Jäger, die beste Fregatte. 3. Die dem Parlament zugesagte Möglichkeit, getrennt über Entwicklung und Beschaffung des Eurofighters jeweils frei entscheiden zu können, ist faktisch nicht gegeben. Dabei zieht das Argument der Vertragstreue im Bündnis allerdings nicht: Es gibt bisher keinen Produktionsvertrag - somit auch keinen Vertrauensbruch. Abgesehen davon sind gerade die Briten aus mehreren Gemeinschaftsprojekten ausgestiegen, vom Kampfhubschrauber Tiger bis zur Panzerhaubitze. 4. Der Eurofighter schafft keine, sondern gefährdet Arbeitsplätze, zum Beispiel im Heeresausrüstungsbereich. Der Verdrängungseffekt im Verteidigungshaushalt ist groß. Auch der Verteidigungsminister kann jede vom Parlament bewilligte Mark nur einmal ausgeben. Die Eurofighter-Arbeitsplätze sind hoch subventioniert und keine Arbeitsplätze unter marktwirtschaftlichen Bedingungen. 5. Angesichts der haushaltspolitischen Situation hat dieses 30 Milliarden teure, größte deutsche Rüstungsprojekt keine Priorität. Diese 30 Milliarden würden besser zur Entlastung des Haushalts und der Steuerzahler eingesetzt. Ich kann der Beschaffung des Eurofighters nicht zustimmen. Da ich den Einzelplan 14 ansonsten mittrage, wähle ich die mildeste Form der Ablehnung und enthalte mich. Gabriele Fograscher (SPD): Die Bundeswehr hat den Auftrag der Landes- und Bündnisverteidigung. Dazu gehört auch in Zukunft die Fähigkeit der Luftverteidigung in einem Verteidigungskonzept der Streitkräfte. Für die Luftverteidigung ist ein modernes Jagdflugzeug unverzichtbar. Die Phantom ist veraltet, es bedarf der Anschaffung eines modernen Jagdflugzeuges. Da eine derartige Investition aus diesen Gründen nötig ist, halte ich es für sinnvoll, daß ein neues Jagdflugzeug in Deutschland bzw. mit deutscher Beteiligung entwickelt und gebaut wird. Sicherlich ist dabei auch die Verläßlichkeit Deutschlands als Bündnispartner von Bedeutung. Obwohl die Beschaffungsvorlage der Bundesregierung für den Eurofighter 2000 nicht alle Fragen beantwortet (technischer Entwicklungsstand, Hauptbewaffnung, Kostenvolumen), kann ich in der jetzigen Situation nur für die Beschaffung des Eurofighters 2000 stimmen. Die Beschaffung des Eurofighters 2000 sichert in den nächsten 15 Jahren etwa 18 000 hochqualifizierte Arbeitsplätze in der Luft- und Raumfahrtindustrie und auch in der Zulieferindustrie. Die meisten dieser Arbeitsplätze befinden sich in Bayern, zahlreiche im Regierungsbezirk Schwaben. Bis heute gibt es kein alternatives ziviles Projekt, das diese Arbeitsplätze sichern könnte. Als bayerische und vor allem als schwäbische Abgeordnete ist mir sehr an dem Erhalt dieser qualifizierten Arbeitsplätze gelegen. Mit der Zustimmung zu diesem Rüstungsprojekt ist mein persönlicher Gewissenskonflikt nicht gelöst. Es bleibt weiterhin mein Ziel, daß Arbeitsplätze im zivilen Bereich gesichert und geschaffen werden, Konversionsprogramme entwickelt und Abrüstungsbemühungen verstärkt werden. Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Ich kann der Beschaffung des sogenannten Eurofighters nicht zustimmen. Nach dem insoweit unwidersprochenen Gutachten des Bundesrechnungshofes beträgt zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Preis für den Ankauf von 180 Flugzeugen über 30 Milliarden DM. Das ist angesichts der finanziellen Lage des Bundeshaushaltes und angesichts des mangelhaften Standes der Entwicklung und Erprobung schon wirtschaftlich nicht vertretbar. Die Zweckbestimmung des Flugzeugs bleibt unklar, sein Export in Länder auch außerhalb der NATO wird nicht verhindert werden können. Ich bin der Überzeugung, daß die Bundesrepublik weit mehr Sicherheit erwerben könnte, wenn sie statt dessen auch nur einen Bruchteil dieses Betrages für soziale Aufgaben, für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und für Bildung und Ausbildung im Inland, in Europa und in Ländern der Dritten Welt investieren würde. Ich begrüße es, daß durch die ausdrückliche Abstimmung im Plenum die individuelle Verantwortung jedes einzelnen Abgeordneten für seine Entscheidung in dieser Sache festgestellt wird. Ich stimme daher dem Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 13/9209 zu und werde mich bei dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/9145 der Stimme enthalten, weil ich die Begründung nicht teile. Dr.-Ing. Rainer Jork (CDU/CSU) und Hans-Dirk Bierling (CDU/CSU): Wenn wir heute der Produktion des Eurofighters im Zusammenwirken europäischer Staaten mit deutschem Anteil zustimmen, dann nicht in Erwartung einer kurzfristigen, unmittelbaren Bedrohung der Bundesrepublik oder allein geprägt durch einen positiven Erwartungseffekt für technische Innovation und Arbeitsplätze in Deutschland. Geprägt durch den tiefen Wunsch, daß gewaltsame Konflikte und Kriege - möglichst bereits im Ansatz - verhindert werden mögen, glauben wir jedoch nicht, daß ein waffenloses, zu wenig wehrfähiges oder gar ein neutrales Deutschland ungefährdet oder zur Friedenssicherung ausreichend in der Lage wäre. Nüchternes Denken und verantwortungsvolles Handeln kann sich nicht auf Utopien und Wunschdenken allein gründen, sondern muß auf realen Bedingungen fußen. Real ist leider in unserer Welt, daß durch Ignoranz und Begierde, gepaart mit Aggressivität, täglich neue größere oder kleinere Konflikte vom Zaune gebrochen werden, daß Wehrlosigkeit eher zu Aggression ermutigt. Wenn Verteidigungsfähigkeit gefragt ist, dann halten wir, auch im Interesse der Sicherheit unserer Soldaten, ein ausreichend hohes technisches Niveau für erforderlich. Verfügbarkeit über Waffensysteme muß im Einklang mit Verantwortung für die Schöpfung einhergehen. Wir vertrauen auf die Mechanismen in unserer Demokratie, die dieser Verantwortung zu entsprechen haben und jedwede Aggression verhindern müssen und können. Wir hoffen und fordern, daß in Zukunft eine aktionsfähige Gemeinschaft, vor allem in Europa, entsteht, die sich rechtzeitig und wirksam dafür einsetzt, daß Kriege bereits im Ansatz verhindert werden. Dann muß auch die Zeit kommen, in der die steigenden Ausgaben für hochkomplizierte Waffensysteme zugunsten humanistischer Anliegen weiter reduziert werden. Ernst Kastning (SPD): Zur Erfüllung des Auftrages der Bundeswehr, der Landes- und Bündnisverteidigung, gehört auch künftig die Fähigkeit zur Luftverteidigung in einem kombinierten Verteidigungskonzept der Streitkräfte. Die Erhaltung der Luftverteidigungsfähigkeit erfordert die Beschaffung eines modernen Jagdflugzeuges, das die Phantom ablöst, deren Lebensdauer erschöpft und deren Technologie veraltet ist. Ausgehend von dieser Grundüberzeugung halte ich aus Gründen der Verteidigungssicherheit (mit industriepolitischem Nebeneffekt) und der Verläßlichkeit Deutschlands im Bündnis die Beschaffung des Waffensystems Eurofighter 2000 für erforderlich. Obwohl die Beschaffungsvorlage der Bundesregierung noch einige Fragen bezüglich des technischen Entwicklungsstandes des Flugzeugs und seiner Hauptbewaffnung sowie des gesamten Kostenvolumens aufwirft, kann ich in der jetzigen konkreten Entscheidungssituation nur mit ja stimmen. Da die Bejahung des Beschaffungsvorhabens Eurofighter nur über die Zustimmung zum Einzelplan 14 zum Ausdruck gebracht werden kann, werde ich dem Einzelplan 14 in der zweiten Lesung zustimmen. Daraus folgt konsequenterweise, daß ich zu allen Anträgen, die die Ablehnung dieses Beschaffungsvorhabens oder die Streichung des entsprechenden Haushaltsansatzes zum Ziel haben, mit nein stimmen werde. Roland Kohn (F.D.P.): Gemäß § 31 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages erkläre ich zu meinem Abstimmungsverhalten zum Eurofighter folgendes: Den vorliegenden Anträgen, die Beschaffung des Eurofighter generell abzulehnen, stimme ich nicht zu. Da der Eurofighter aber mit erheblichen technischen, finanzpolitischen, haushaltspolitischen und sicherheitspolitischen Problemen behaftet ist, trage ich den Beschaffungsvorschlag der Bundesregierung zum Eurofighter nicht mit. Richtig wäre es gewesen, dem Vorschlag des Bundesrechnungshofes zur Risikominderung zu folgen, und jetzt bis zu 100 Flugzeuge zu beschaffen; über die Beschaffung weiterer Flugzeuge jedoch erst nach Abschluß des Truppenversuchs und nach Vorlage der Einführungsgenehmigung für das vollständig ausgerüstete und bewaffnete Waffensystem, voraussichtlich im Jahre 2007, erneut zu beschließen. Manfred Kolbe (CDU/CSU): Grundsätzlich stimme ich dem Bau und der Beschaffung des Eurofighters 2000 zu. Neben der militärischen Notwendigkeit halte ich es insbesondere auch für erforderlich, daß Europa und Deutschland im Flugzeugbau nicht den internationalen Anschluß verlieren. Gerade im Flugzeugbau steckt ein großes Innovationspotential, zum Beispiel in der Flugtechnik, der Computertechnik, der Elektronik und der Metallurgie. Flugzeugbau ist High-Tech, bedeutet Zukunft, und deshalb ist es grundsätzlich richtig, das Flugzeug in Europa zu bauen und nicht in den USA oder Rußland zu kaufen. Vor diesem industriepolitischen Hintergrund ist es aber nicht akzeptabel, daß die Industrie in den östlichen Bundesländern am deutschen Auftragsvolumen von über 23 Milliarden DM nach Mitteilung des Bundesverteidigungsministeriums nur mit 45 Millionen DM beteiligt ist, also mit nur 0,2 Prozent! Seit 1992 ist immer wieder auf die Notwendigkeit einer angemessenen Beteiligung von Unternehmen aus den östlichen Bundesländern an der Produktion hingewiesen worden, ohne daß in diesen fünf Jahren Ergebnisse erzielt worden sind. Die Bundesregierung wird auch unglaubwürdig, wenn sie einerseits von der Wirtschaft ein stärkeres Auftragsvolumen Ost einfordert, andererseits bei eigenen Auftragsvergaben es nicht durchsetzt. Aus diesem Grunde enthalte ich mich heute der Stimme. Heidemarie Lüth (PDS): Ich stimme dagegen, weil der Eurofighter eine militärpolitische Unsinnigkeit ersten Ranges darstellt. Ich stimme dagegen, weil die Anschaffung des Eurofighters nur die Interessen der Rüstungsindustrie befriedigt und ihrer Profitmaximierung dient. Ich stimme dagegen, weil die Anschaffung des Eurofighters mit Anschaffungskosten von über 100 Milliarden DM verbunden ist. Ich lehne die Anschaffung des Eurofighters gemeinsam mit 80 Prozent der Bevölkerung der Bundesrepublik ab. Ich lehne die Anschaffung des Eurofighters ab, weil ich damit auch dem Votum des Petitionsausschusses entspreche. Ich lehne die Anschaffung des Eurofighters ab, weil gerade auch noch in den vergangenen Tagen und Wochen Bürgerinnen und Bürger zum Beispiel in Chemnitz und in Leipzig, Vereine wie Friedensweg e.V. und der Versöhnungsbund e.V. auf den Straßen Unterschriften gegen die Anschaffung gesammelt haben. Ich stimme gegen die Anschaffung des Eurofighters, weil die durch ihn ermöglichte Sicherung der Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie einem Vielfachen in der zivilen Produktion und noch mehr Arbeitsplätzen im sozialen Bereich gegenüberstehen. Ich lehne die Anschaffung des Eurofighters ab, weil mit seinem Bau die weltweite Aufrüstung weiter angeheizt wird. Ich lehne die Anschaffung des Eurofighters ab, weil nicht die Aufrüstung auf der Tagesordnung steht, sondern Senkung der Militärausgaben und Erhöhung der Ausgaben für friedliche Konfliktbewältigung und Zivilen Friedensdienst. Dr. Martin Pfaff (SPD): Auch wenn ich den Haushaltsplan des Bundesministers für Verteidigung in seiner Gesamtheit ablehne, möchte ich mich hiermit für die Fortführung des Projektes Eurofighter aussprechen. Um die wesentlichen Begründungen nochmals klarzumachen, folgen die entscheidenden Punkte: Wie mir die Verteidigungsexperten der SPD-Bundestagsfraktion versichern, benötigt die Bundesrepublik Deutschland aus sicherheitspolitischer Sicht einen Nachfolger für die Phantom. Es wäre naiv davon auszugehen, jegliche Bedrohung von außen sei seit Ende des kalten Krieges ein für allemal vorbei: Ein Ende der Geschichte gibt es nicht. Und ohne Verteidigungsfähigkeit steht unsere Zukunft auf wackligen Füßen. Ich spreche mich für das Projekt aber auch aus, weil wir - als eine der führenden Industrienationen - nicht von der technologischen Entwicklung abgekoppelt werden dürfen. Das Projekt ist eine technologisch gewaltige Herausforderung. Wir sollten selber das produktionstechnische Know-how entwickeln und realisieren, um einen zukunftsfähigen Hochtechnologie- und Produktionsstandort Deutschland zu fördern. Stellt die Bundesrepublik den Nachfolger der Phantom nicht im Inland her, muß dieser im Ausland gekauft werden. Da ist mir das Hemd schon näher als der Rock. Und ich befürworte auch nicht zuletzt als örtlicher Abgeordneter den Bau - und ich sage dies ganz offen -, weil insgesamt 18 000 hochqualifizierte Arbeitsplätze, davon 500 bis 600 allein in Augsburg, betroffen sind - mitsamt der schicksalhaften Bedeutung für die potentiell betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der DASA und deren Familien. Eine - wie oftmals vorgeschlagene - Alternative, einen vergleichbaren Auftrag im zivilen Flugzeugbau aus öffentlichen Mitteln zu realisieren, wäre zwar auch aus meiner Sicht wünschenswert, ist jedoch in Anbetracht der desolaten Haushaltslage leider absolut realitätsfern. Auch wenn mit dem Projekt sofort begonnen würde, würden die Arbeitsplätze nicht rechtzeitig und im nötigen Umfang gesichert. Darüber hinaus möchte ich auch folgendes nochmals betonen: Ich halte die aktuelle und speziell die öffentliche Diskussion um die Produktion des Eurofighters für legitim, notwendig und demokratisch gut. Es darf aber nicht vergessen werden, daß die durchaus begründete und verständliche Heftigkeit der Diskussion, den Gutteil der Brisanz diejenigen zu vertreten haben, die in Bonn an den Schalthebeln der Macht sitzen. Schließlich ist es die Regierungskoalition, welche die Verantwortung für die gegenwärtige wirtschafts- und finanzpolitische Misere trägt. Hätten wir heute nicht ein solch dramatisches Ausmaß an Arbeitslosigkeit, könnten und würden öffentliche Steuermittel reichhaltiger fließen und die kostenbezogene Debatte müßte für niemanden so weit in den Vordergrund gerückt werden. Diese aktuelle Problematik des Eurofighter-Projektes ist nicht von der Opposition zu verantworten. Ich habe mich nachhaltig bemüht, bei den zuständigen Ministerien in Bonn und vor Ort den Vorschlägen der DASA-Betriebsräte in Richtung Konversion zur Realisierung zu verhelfen. Leider waren auch diese Bemühungen vergeblich. Auch deshalb fühle ich mich bestärkt in meiner Haltung für den Bau des Eurofighters. Aus den genannten Gründen stimme ich gegen den gesamten Verteidigungshaushalt, obwohl ich für das Projekt Eurofighter bin, und ich stimme auch deshalb gegen den Antrag der Grünen. Mit vielen Argumenten meiner eigenen Fraktion stimme ich überein, komme aber zu anderen Schlußfolgerungen. Deshalb werde ich mich bei diesem Antrag enthalten. Jürgen Türk (F.D.P.): Ich stimme gegen den oben genannten Änderungsantrag, weil er generell die Streichung der Kosten für die vorgesehene Beschaffung des Eurofighters 2000 vorsieht. Ich habe aber eine ablehnende Haltung gegenüber der mit dem Verteidigungshaushalt zu beschließenden Beschaffungsanzahl des Eurofighters in der Höhe von 180 Stück, den zu hohen Stückpreis und der noch unzureichenden Erprobung. Um auch im Verteidigungsbereich sparsam mit Mitteln umzugehen, möchte ich folgendes empfehlen: Die Beschaffung einer begrenzten Anzahl neuer russischer Jagdflugzeuge (MIG 29 M) mit einem Stückpreis von 40 Millionen DM, und zwar als Ersatz für die alte MIG 29 A, die zur Zeit in der Bundeswehr Dienst tut. Diese kostengünstigere Beschaffung würde gleichzeitig schrittweise die militärische, politische und wirtschaftliche Integration Rußlands nachhaltig fördern. Die Bestellung einer ersten Losgröße Eurofighter 2000 bis zu 100 Stück. Ein weiterer Zukauf wird unter den Vorbehalt des Bedarfes gestellt. Einen Jagdflugzeugmix aus Eurofighter 2000 (mit großem Anteil) und MIG 29 M (mit kleinem Anteil) langfristig in Dienst zu stellen. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Einzelplans 06 - Bundesministerium des Innern - und des Einzelplans 31 - Versorgung - Manfred Kanther, Bundesminister des Innern: Maßstab verantwortungsvoller Innenpolitik ist die Fähigkeit, auf wechselnde gesellschaftliche Problemfelder angemessen und zügig zu reagieren. Diesem hohen Anspruch ist die Bundesregierung auch in der laufenden Legislaturperiode in vollem Umfang gerecht geworden. Innenpolitik muß in erster Linie die innere Sicherheit als Grundlage der freien Entfaltung aller rechtstreuen Bürger festigen. Die Bekämpfung neu eingetretener Gefährdungslagen verlangt aber nicht nur das notwendige gesetzgeberische Instrumentarium. Ergänzend hinzukommen müssen grundlegende administrative Maßnahmen auf nationaler und internationaler Ebene. Überall hat die Koalition in beeindruckender Weise das Handwerkszeug für die Verbrechensbekämpfung verstärkt: Das Verbrechensbekämpfungsgesetz rückt der organisierten Kriminalität über eine Kronzeugenregelung zu Leibe, verschärft den Haftgrund der Wiederholungsgefahr, führt das beschleunigte Verfahren ein und verschärft die Strafvorschriften gegen das Schlepperunwesen. Das Korruptionsbekämpfungsgesetz packt über strengere Strafvorschriften, die Einbeziehung von Korruptionsvorgängen in der privaten Wirtschaft ins Strafrecht sowie über wesentliche Verschärfungen des öffentlichen Dienstrechts einen wichtigen Teilaspekt organisierter Kriminalität an. Das Bundeskriminalamtgesetz gibt der deutschen Zentralstelle zur Verbrechensbekämpfung eine moderne Rechtsgrundlage und klar definierte Eingriffsbefugnisse. Das Bundesgrenzschutzgesetz enthält das notwendige Instrumentarium für die vielfältigen und anspruchsvollen Aufgaben der Polizei des Bundes. Die Novellierung des Ausländergesetzes verbessert die Möglichkeiten zur Abschiebung schwerkrimineller Ausländer, auch als Reaktion auf die Beteiligung an gewalttätigen Demonstrationen. Der in der parlamentarischen Beratung befindliche Gesetzentwurf zur Änderung von Artikel 13 GG wird zusammen mit dem interfraktionellen Gesetzentwurf zur Verbesserung der Bekämpfung der organisierten Kriminalität das elektronische Abhören von Gangsterwohnungen ermöglichen und die Vorschriften gegen die Geldwäsche deutlich verbessern. Nach jahrelangen Auseinandersetzungen können mit diesen Meilensteinen der Verbrechensbekämpfung in Deutschland endlich wichtige Lücken im Schutz der Bürger gegen das organisierte Verbrechen geschlossen werden. Im gemeinsamen Kampf gegen Alltags- und Massenkriminalität habe ich die Länder zu einer „Aktion Sicherheitsnetz" aufgerufen. Eine entschlossene Sicherheitsstrategie, die der heutigen Gefährdungslage gerecht werden will, muß auf einer intensiven Zusammenarbeit mit dem Bürger aufbauen, alle staatlichen und kommunalen Kräfte bündeln, die Präsenz der Polizei verstärken, die Justiz in den staatlichen Sicherheitsauftrag stärker einbeziehen und sich zu einem konsequenten Vorgehen gegen jede Form von Kriminalität und Störung der öffentlichen Ordnung bekennen. Kriminalitätsbekämpfung gibt es allerdings nicht zum Nulltarif. Trotz Haushaltsengpässen hat der Bund seit 1993 seine Aufwendungen für Bundeskriminalamt und Bundesgrenzschutz kontinuierlich gesteigert. Allein für den Bereich des BGS ist der Haushaltsansatz von 2,15 Milliarden DM in 1993 auf 3,12 Milliarden DM in 1998 und damit um mehr als 45 Prozent angestiegen. Die Politik aller Länder muß diesen Weg entschlossen und kreativ mitgehen. Denn hier liegt ein entscheidendes Bewährungsfeld für eine funktionierende föderative Ordnung. Mit dem Aufbau des Europäischen Polizeiamtes Europol sind wir auch im europäischen Bereich entscheidend vorangekommen. Innerhalb eines vernünftigen Kontrollrahmens soll Europol Mitte 1998 seine Tätigkeit als leistungsfähige europäische Zentralstelle aufnehmen und uns international in die Lage versetzen, mit der Entwicklung der organisierten Kriminalität Schritt zu halten. Im Rahmen der Schengener Kooperation wurde die Zusammenarbeit vertieft. Der unverzichtbaren Sicherung der Außengrenzen dient die Neustrukturierung des Bundesgrenzschutzes, die unter anderem die polizeilichen Einsatzschwerpunkte an den Grenzen zu Polen und zur Tschechischen Republik personell und materiell massiv verstärkt. Die Zahl der dort eingesetzten Polizeivollzugsbeamten ist von 2700 im Jahr 1992 auf heute 5800 angestiegen. Nach Abschluß der Reform werden an diesen Grenzen insgesamt 7400 Polizeivollzugsbeamte im Einsatz sein. Das Konzept verdeutlicht insgesamt, daß die Erfüllung des polizeilichen Sicherheitsauftrages oberstes Ziel und damit zentraler Ausgangspunkt aller konzeptionellen Überlegun- gen zur Neukonzeption des Bundesgrenzschutzes ist. Schwerpunkt im Bereich der Ausländerpolitik war die Novellierung des Ausländergesetzes. Sie ermöglicht nicht nur die erleichterte Ausweisung schwerkrimineller Ausländer, sondern regelt auch andere, die Integration von Ausländern verbessernde Bereiche, die sich die Koalition zu Beginn dieser Legislaturperiode zum Ziel gesetzt hatte. Vor allem geht es auch weiterhin um eine entschiedene Umsetzung des geltenden Rechts in administrative Praxis - ein immerwährender Auftrag vor allem für die Länder. Im Bereich des öffentlichen Dienstes gestaltet das Dienstrechtsreformgesetz 1997 das Beamtenrecht unter Aspekten von Effizienz, Leistung, Mobilität und Führungsverhalten im öffentlichen Dienst grundlegend neu. Der versorgungsrechtliche Teil dieser Reform setzt den von mir vorgelegten Versorgungsbericht um: Neben der Anhebung der allgemeinen Antragsaltersgrenzen, der Kürzung der Zurechnungszeiten bei Dienstunfähigkeit und der Begrenzung des Ruhegehalts wird in Zukunft insbesondere die Bildung einer Versorgungsrücklage aus Beiträgen der Beamten im Vordergrund stehen. Diese Rücklage wird bis zum Jahr 2013 auf 66 Milliarden DM angestiegen sein und es damit ermöglichen, die prognostizierten Versorgungsausgaben der Gebietskörperschaften zu mindern. Das ehrgeizige Ziel „schlanker Staat" ist auf gutem Weg. Das Gesetz zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren steht beispielhaft für den Abbau überflüssiger Reglementierung. Die erfolgreiche Neustrukturierung des gesamten Zivilschutzes sollte auch anderen Bereichen erschließbares Verschlankungspotential ebenso wie den Weg zeigen, mit weniger Mitteln effektivere Strukturen zu verwirklichen. Der Sachverständigenrat „schlanker Staat" hat seine Arbeit am 12. September 1997 beendet und konkrete Neuerungsschritte zu diesem Thema und ihrer schnellen Umsetzung in die Praxis vorbereitet. Der auf Staatssekretärsebene eingesetzte Lenkungsausschuß Verwaltungsorganisation wird die vielfältigen Ansätze zur Modernisierung der Bundesverwaltung übergeordnet steuern und jährlich über die Fortschritte der Modernisierungsmaßnahmen auch im Hinblick auf den Berlin-Umzug informieren. Weitere Erfolge kann die Bundesregierung auch in dem schwierigen Bereich der Aussiedlerpolitik verbuchen. Die Lage der deutschen Minderheiten in Osteuropa hat sich fast überall stabilisiert. Mit deutlich weniger als 150 000 Personen ist für 1997 der geringste Zuzug seit 1987 zu erwarten. Schließlich hat das mit den Ländern abgestimmte Wohnortzuweisungsgesetz zu einer besseren Verteilung der Aussiedler in Deutschland beigetragen. Das erleichtert die notwendige Integration. Das gleiche gilt für die eingeführten Sprachprüfungen, die zugleich den Mißbrauch der Zuzugsmöglichkeiten einschränken. Vier Jahre Kulturarbeit des Bundesinnenministeriums stehen für weitere Fortschritte auf dem Weg zur inneren Einheit. Das mit Beginn des Haushaltsjahres 1995 für die neuen Länder und Berlin ins Werk gesetzte „Leuchtturmprogramm" ist auf bundesweite Beachtung gestoßen. Dankenswerterweise hat die Kulturpolitik der Bundesregierung immer großes Verständnis beim Deutschen Bundestag gefunden. Sie kann daher auch 1998 fortgesetzt werden. Vor allem im Denkmalschutz können wir nicht sparen, sondern müssen jetzt handeln, damit nicht unwiderbringliche Kulturgüter verloren gehen. Im Sport ist es in enger Zusammenarbeit mit dem Deutschen Sportbund gelungen, neue Konzepte zu entwickeln, die einen noch effektiveren Einsatz der Bundesmittel zur Förderung des Spitzensports ermöglichen. Gerade mit Blick auf die im nächsten Jahr mit den Olympischen Winterspielen und den Paralympics in Nagano/Japan anstehenden sportlichen Großereignisse sind damit erfolgreiche Weichen für die Zukunft gestellt. Der Sport bleibt aber weiter gefordert, die verschiedenen Strukturelemente in einem nationalen Spitzensportkonzept zusammenzuführen, wobei insbesondere dem Nachwuchsbereich ein besonderer Stellenwert zukommt. Ziel ist es, ein durchgängiges Förderkonzept von der Talentsichtung bis zur Begleitung der Weltklasseathleten zu schaffen.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Wolfgang Gerhardt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (F.D.P.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist immer das gute Recht der Opposition, die Leistungen einer Regierung kritisch zu bewerten. Der Kollege Fischer hat das eben für die Zeit vom Beginn der Bundesregierung von CDU/CSU und F.D.P. an bis zum jetzigen Stand getan. Es muß allerdings einiges richtiggestellt werden.
    Diese Bundesregierung ist 1982 in einer Situation angetreten, in der Helmut Schmidt die Lage nicht mehr bewältigen konnte, weil seine eigene Partei weder willens noch konzeptionell fähig war, die wirtschafts- und finanzpolitischen Entscheidungen zu treffen, die notwendig waren.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Die jetzige Bundesregierung hat bis zum Zeitpunkt der deutschen Einheit die Staatsquote erfolgreich reduziert, Haushalte konsolidiert, Vorsorge getroffen, zwei Steuerreformen in Gang gesetzt, Investitionsanreize geschaffen und nahezu 3 Millionen neue Arbeitsplätze in Deutschland ermöglicht.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Als die deutsche Einheit kam, Herr Kollege Fischer, an deren Beispiel Sie die Bundesregierung kritisiert haben, daß sie ihr konzeptionell nicht ausreichend geantwortet hat, befanden sich in den Oppositionsreihen Kräfte, denen ich heute die Frage stelle, ob sie die deutsche Einheit überhaupt wollten. Als die deutsche Einheit kam, waren das die Kräfte, die im Grunde keinen Änderungsbedarf erkannt und die eher gesagt haben: Es kann in den Systemen alles so weitergehen; wir brauchen überhaupt nichts zu verändern. Sie haben, ohne etwas ändern zu wollen, auf die 17 Millionen Deutschen geblickt, die jetzt unter dem Druck großer Veränderungsnotwendigkeiten stehen.
    Wo war denn die Assistenz der Grünen bei dem Beginn der Diskussion über einen neuen Generationenvertrag? Wo haben die Grünen konzeptionell auch nur ein Wort gefunden, der älteren Generation zu sagen, daß wir ihr nicht an die Rente wollen, daß aber ein langsamerer Anstieg der Rente unabdingbar notwendig ist, um die junge Generation nicht über Gebühr zu belasten? Nein, Herr Fischer, Sie haben in das Horn der Sozialdemokratischen Partei hineingeblasen, die bei dem Versuch der Koalition, einen neuen Generationenvertrag konzeptionell zu gestalten, uns in der Öffentlichkeit bezichtigt hat, wir wollten den Rentnern ans Portemonnaie.
    Wo waren die Grünen, als wir ein Stück Flexibilität im Arbeitsmarkt eingefordert haben, als wir die Tarifvertragsparteien aufgefordert haben, die Flächentarife für betriebliche Optionen und eigene Entscheidungen in Betrieben zu öffnen? Sie sind ein Vertreter des starrsten und reguliertesten Arbeitsmarktes, den die Bundesrepublik Deutschland je hatte und der Arbeitsplätze nicht ermöglicht, sondern sie vernichtet.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wo waren die Grünen bisher in der Mineralölsteuer-Diskussion? Ich weiß gar nicht, wie der jetzige Wasserstand bei Ihnen ist. Sie wissen, daß diese Branche 25 000 neue Arbeitsplätze geschaffen hat, daß sie einen Produktionszuwachs hat, daß sie weltweit den Wettbewerb bewältigt und daß sie ein Wachstumsbereich ist, der international Respekt gewinnt. Sie erklären hier die Erhöhung der Mineralöl-

    Dr. Wolfgang Gerhardt
    Steuer als einen Lösungsbeitrag zur Reform sozialer Sicherungssysteme und zu den staatlichen Haushalten.
    Wie ist denn Ihr Verhältnis zur NATO und zur Bundeswehr? Wollen Sie rein, wollen Sie raus? Wollen Sie sie auflösen oder beibehalten? Wie ist Ihr Verhältnis zur Europäischen Union? Wollen Sie sie erweitern, wollen Sie sie vertiefen? Wollen Sie Verträge halten, oder wollen Sie Verträge brechen? Es ist Ihnen nicht vorzuwerfen, daß Sie an die Macht wollen. Die Öffentlichkeit sollte aber erfahren, was Sie damit anzufangen beabsichtigen.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Sie sagen ja zum Euro. Sie sagen nein zum Maastricht-Vertrag. Sie werfen uns vor - das ist die Beschlußfassung Ihres Parteitages in Kassel -, daß wir einseitig auf die Geldwertstabilität setzen. Lieber Herr Fischer, das ist völlig richtig. Wir setzen bei einer zukünftigen europäischen Währung auf die Geldwertstabilität,

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    und zwar ganz klar und zuallererst. Sie wollen eine demokratische Einbettung der unabhängigen Zentralbank. Lieber Herr Fischer, verbergen Sie mit solchen Formulierungen doch nicht, daß Sie unter demokratischer Einbettung eindeutig die Verletzung der Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank meinen.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Das ist die politische Bestimmung Ihrer Politik, die sich gegen Geldwertstabilität richtet.
    Auch in Ihrer Antwort auf die Frage des Kollegen Schäuble sollten Sie die Öffentlichkeit nicht täuschen. Wer die hohe Steuerlast beklagt, der Bundesregierung und dem Bundeskanzler vorwirft, daß sie für die Brutto- und Nettolöhne verantwortlich seien, die niemand mehr begreift und von denen sich Menschen belastet fühlen, der muß der deutschen Öffentlichkeit überzeugend klarmachen, was es bedeutet, eine Grundsicherung für jedermann ohne Bedürftigkeitsprüfung vorzuschlagen, die sich bei Familien mit zwei Kindern auf nahezu 4500 DM beläuft. Wissen Sie, was das ist? - Das ist ein Angriff auf die Leistungsbereitschaft der Menschen in der Bundesrepublik Deutschland. Das ist die Bestrafung der Leistungsbereitschaft.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Zur Bildungspolitik sage ich ganz klar: Herr Kollege Fischer, uns unterscheidet nicht die Bewertung, daß neben der Steuerreform, der Rentenreform und der Reform sozialer Sicherungssysteme die Ausgaben für Bildung und Qualifizierung ein Indikator dafür sind, ob sich dieser Standort nach vorn bewegen will. Bei Ihrer vielfachen Regierungsverantwortung in den Ländern sind Sie der letzte Kollege, der die Verantwortung für dieses Thema hier abladen könnte. Sie haben sich überall dort, wo Sie mitregieren, unter Zurückdrängung Ihrer eigenen Beschlußlage auf den Kurs begeben, die Ausgaben für Bildung und Wissenschaft in den Landeshaushalten zurückzuführen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Es gibt kein Land, in dem Sie Regierungsverantwortung tragen, in dem das nicht geschehen ist. Sie wissen wie ich: Der Kern der verfassungsrechtlichen Zuständigkeit für Bildung, Hochschulen und Kultur liegt bei den Ländern der Bundesrepublik Deutschland. Wir geben den Auftrag an sie weiter. Wenn Sie glaubwürdig sein wollen, gehen Sie zu Ihren jeweiligen Koalitionspartnern in den Ländern und fordern diese auf, die entsprechenden Haushalte zu erhöhen. Dann können Sie hier wieder anklagend auftreten.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Wenn Sie über Bildung und Qualifikation in der jungen Generation sprechen, dürfen Sie der Öffentlichkeit nicht vorenthalten, daß Sie glauben, daß diese junge Generation in den Schulen acht Jahre lang durch Lernentwicklungsberichte unter Zurückdrängung pädagogisch verantwortbarer Leistungsfeststellungen bewertet werden könnte. Frühere Programme der Grünen schlugen die Entschulung der Gesellschaft und die Selbsteinschätzung der Schülerinnen und Schüler vor. Glauben Sie wirklich, daß mit einer solchen Schul- und Bildungspolitik die junge Generation in Deutschland für die Zukunft wettbewerbsfähig gemacht wird? Wir glauben das nicht.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Deshalb sind an Sie einige Kernfragen zu richten: Warum erhöhen Sie nicht dort, wo Sie Regierungsverantwortung tragen, die Haushalte für Bildung, Wissenschaft und Forschung? Warum verdrängen Sie auf Ihrem Parteitag eine Beschlußfassung über einen zentralen, existentiellen Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland, nämlich über die Bündnisverpflichtung dieses Landes? Warum wollen Sie die Mineralölsteuer erhöhen und damit einen Wirtschaftszweig treffen, der durch die Neuschaffung von Arbeitsplätzen in der jetzigen ökonomischen Situation ein Zugpferd ist? Warum wollen Sie in einem Bildungsbereich Leistungsfeststellungen zurückdrängen? Warum verlängern Sie in Sachsen-Anhalt die Schulzeit um ein weiteres Jahr und klagen hier die Problematik des Generationenvertrages ein, wo Sie die junge Generation noch später ins Erwerbsleben entlassen?

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Warum wenden Sie sich an einen möglichen Koalitionspartner, der überhaupt nicht in der Lage ist, sich konzeptionell von alten Positionen wegzubewegen? Die Schröder-SPD hält eine Umlagebelastung der ausbildungswilligen Betriebe für Teufelswerk, die Lafontaine-SPD beschließt sie. Herr Schröder hält die 610-Mark-Verträge bei Zeitungsverlegern und kleinen Geschäften für notwendig, bei großen Firmen will er Quoten einführen. Herr Schreiner sagt: absoluter Quatsch. Die Schröder-SPD fordert in Dresden die Senkung der Unternehmenssteuern, die Lafontaine-SPD lehnt dies ab. Oskar Lafontaine for-

    Dr. Wolfgang Gerhardt
    dert einen Mindeststeuersatz von 20 bis 25 Prozent, der Rest der SPD lehnt diese Kopfsteuer ab. Die Beck-SPD fordert jetzt eine Mehrwertsteuererhöhung von 3 Prozent, das ist nicht die Meinung der Lafontaine-SPD. Die Schröder-SPD glänzt vor jedem Wirtschaftspublikum mit einer angebotsorientierten Investitionsförderung, die Lafontaine-SPD propagiert die Nachfragepolitik der 70er Jahre und die Kaufkrafttheorie der Löhne.
    Es ist nicht der Vorsitzende der F.D.P., der Ihnen das hier vorhält. Man liest jetzt in den Zeitungen, daß auch die Wirtschaft allmählich den Eindruck gewinnt, daß Schröder ein Programm in der Tasche trägt, das ihm der saarländische Ministerpräsident hineingeschoben hat. Das ist ein Programm von vorgestern. Deshalb sage ich Ihnen, Herr Kollege Fischer: Wer hier einen Machtwechsel will, der muß Programme von morgen vortragen. Sie aber gehören zur erstarrtesten Opposition mit den ältesten Programmen, die hier jemals einen Machtwechsel eingefordert hat.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Nun komme ich zu dem Steuerthema: Wir sind bereit, ohne Vorbedingungen - auch ohne Vorurteile - in Verhandlungen zu gehen. Eines wollen wir aber klarstellen: Die alte sozialdemokratische Politik, der sich die Grünen angeschlossen haben, die Bedienung von Gruppenwünschen aus dem Haushalt, ist zu Ende. Wer die Staatsquote senken will, kommt um Sparprogramme nicht herum. Sonst darf er aber nicht sagen, er sei für die Zukunft gerüstet, hier aber säßen die Vertreter der Vergangenheit.
    Eine Steuerreform muß das Grundübel, das wir jetzt zu bewältigen haben, angehen. Dieses Grundübel liegt nicht darin, daß die Menschen in Deutschland unterschiedlich hohe Steuern zahlen; sondern es liegt in der Investitionsschwäche des Standortes Deutschland, die klar zu erkennen ist. Wer die nicht im Ansatz behebt, der kann auch keine Rahmenbedingungen für neue Arbeitsplätze schaffen.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Deshalb dürfen die Gespräche zur Steuerreform keine Gespräche eines neuen Binnenverteilungskampfes in der Bundesrepublik Deutschland sein, in dem sich SPD und Grüne als Vertreter der kleineren Einkommen darstellen und die Koalition als Vertreter größerer Einkommen diffamieren.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: So ist es doch!)

    Die größte soziale Sicherheit, Frau Matthäus, ist ein Arbeitsplatz und nicht die soziale Begleitung von Arbeitslosigkeit.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Was hat das damit zu tun?)

    Darauf wollen wir mit der Steuerreform hinaus.
    Wir hätten sie ja schon beschlossen, wenn Sie sie nicht blockiert hätten. Darauf muß eindeutig hingewiesen werden. Dieses Haus hat im August dieses
    Jahres ein Steuergesetz beraten, das all diejenigen Steuerbefreiungstatbestände, die polemisch als Schlupflöcher bezeichnet werden, zugunsten einer klaren Steuerpflicht beseitigt hätte, der man dann nicht hätte ausweichen können. Das hätte die Steuerstruktur in Deutschland auf gesunde Füße gestellt. Nicht die Koalition hat das abgelehnt, sondern Sie von der Opposition haben das verhindert.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Weil die Steuerstruktur nicht haltmacht vor einem Land, das CSU-regiert ist, das CDU-regiert ist, das CDU-F.D.P. regiert ist oder das rotgrün regiert ist - die Steuerstruktur interessiert das nicht -, spüren Sie derzeit in allen Ländern, daß Sie vor demselben Problem stehen wie die Bundesregierung und die Mehrheit in diesem Haus.
    Jetzt sagen Sie: Auch wir sind zu Gesprächen bereit. - Herzlichen Dank. Ich meine das jetzt nicht abwertend und nicht polemisch. Aber diese Gespräche müssen dann auch zum Kern der Beschäftigungsproblematik vorstoßen, zu dem vorzustoßen wir bereit sind.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Deshalb schlage ich vor, daß wir uns hier in öffentlicher Debatte auf drei Gesprächsthemen verständigen:
    Erstens. Eines der Themen ist nach meiner Überzeugung: Wie gestalten wir in Deutschland eine Steuerstruktur, die Ausweichtatbestände wegnimmt, Entlastungen im Tarifverlauf möglich macht und zugleich Investitionen wieder anregt? Das Gespräch kann nur stattfinden mit dem Blick auf die Gestaltung einer Steuerstruktur zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Zu keinem anderen Zweck sollte es stattfinden.
    Das zweite Thema lautet: Welche unserer umlagefinanzierten sozialen Sicherungssysteme haben sich eher zu einem Hindernis für Beschäftigung entwikkelt? Wie müssen wir sie in ihrem inneren System renovieren? Welchen Beitrag können wir durch indirekte Steuern hilfsweise leisten, um die Beitragsexplosion zu mildern? Das Hinzufügen von indirekten Steuern ist ein hilfsweiser Beitrag; es ist keine Dauerlösung. Es wäre nur ein Verschiebebahnhof, wenn man nicht die Systeme selbst ändern würde.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Deshalb gehört das zusammen.
    Drittens. Sie von der SPD müssen bis zu den Gesprächen die Frage beantworten: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß sich der Altersaufbau der deutschen Bevölkerung weiter unabhängig davon entwickeln wird, wer in diesem Haus die Verantwortung hat? Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus? Wenn Sie die junge Generation glauben machen wollen, es müsse im System der Rentenversicherung nichts geändert werden, es könne alles so bleiben - auch angesichts höherer Lebenserwartung der älteren Generation, angesichts eines Altersaufbaus mit

    Dr. Wolfgang Gerhardt
    größerem Anteil der älteren Generation, angesichts eines späteren Berufseintritts der jungen Generation -, dann betrügen Sie die junge Generation um ihre Zukunftschancen. Sie müssen in der Rentenversicherung zu Änderungen bereit sein, egal, welches Parteibuch Sie in der Tasche haben. Sie kommen darum nicht herum.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Deshalb ist der Vorschlag „Erhöhung der Mehrwertsteuer um einen Punkt zur Reduzierung der Rentenbeiträge, aber keine Strukturreform" falsch. Unter beiden Aspekten kann ein Beitrag geleistet werden, wenn man es verantwortlich macht. Die alleinige Erhöhung der Mehrwertsteuer löst das Problem nicht. Sie entlastet punktuell, und ein Jahr später holt uns das Thema - egal, wer hier Verantwortung hat - wieder ein. Die Rentenreform kann nicht über eine Reduzierung der Beitragsbelastung durch Erhöhung indirekter Steuern vonstatten gehen. Vielmehr muß sie in einen neuen Generationenvertrag in der Bundesrepublik Deutschland eingebettet sein.
    Der alten Generation müssen wir sagen, daß sie nicht in Angst versetzt werden soll. Sie muß wissen, daß ihr von der Rente, die sie sich im Erwerbsleben verdient hat, niemand etwas nehmen will. Sie muß nur akzeptieren können, daß sie einen geringeren Anstieg in Kauf nehmen muß, um ihren eigenen Kindern - das ist die junge Generation - in der Zukunft eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu geben. Wer dies als Griff in das Portemonnaie der Rentnerinnen und Rentner diffamiert, wer dies öffentlich so darstellt, als wolle die Koalition der älteren Generation an redlich erworbenes Geld, der sagt - ich drücke das jetzt noch vorsichtig und zurückhaltend aus - nicht die Wahrheit.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Ich glaube, daß diejenigen die Wahrheit sagen, die beiden Generationen das Problem vor Augen führen und diesem Problem nicht ausweichen.
    Das Gespräch kann auf Grund von drei Komponenten sinnvoll sein: neuer Generationenvertrag, neues Austarieren von direkten und indirekten Steuern, aber auch Rentenstrukturreform für ein Stück Beitragsabsenkung. Meine Damen und Herren von SPD und Grünen, aber auch dann dürfen wir nicht glauben, wir hätten die Probleme der Bundesrepublik Deutschland gelöst. Diese sind viel tiefergehend.
    Es mag ja beklagt werden, daß die Bundesregierung an manche Aufgaben zögerlich herangegangen ist, an manche zu spät, an manche nicht ausreichend. Aber sie ist überhaupt an Aufgaben herangegangen. Ich habe bisher kein einziges Konzept der SPD dafür erkennen können, wie sie das Steuergefüge in Deutschland durch eine Strukturreform auf neue Beine stellen will. Ich kenne kein Konzept der SPD zur Reform der sozialen Sicherungssysteme. Mir ist von der SPD bisher nur bekannt, daß die sozialen Sicherungssysteme so bleiben sollen, wie sie sind. Jeder kleinste Änderungsvorschlag aus den Reihen der
    Koalition ist eher öffentlich diffamiert worden, als daß man auf seiner Grundlage sachlich diskutiert hätte.

    (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr richtig! Leider wahr!)

    Jeder, der heute nur das Wort von der Einführung des Kapitaldeckungsverfahrens als Ergänzung der umlagefinanzierten Systeme in den Mund nimmt, wird als ganz übler, kaltherziger Mensch beschimpft. Sie wissen - Herr Fischer hat das hier eigentlich ausgedrückt; er müßte nur noch etwas ehrlicher sein -, daß das bisherige Umlageverfahren bei der Rente zukünftig nicht mehr die Monopolstellung bei der Sicherung der älteren Generation behalten kann. Herr Fischer, ich ergänze die Diskussion gerne um die Sicherung im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten, ich ergänze sie auch gerne um die Möglichkeiten der Gewinnbeteiligung und Vermögensbildung.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Macht es doch endlich!)

    Nur, dann müssen Sie das auch sagen. Dann müssen Sie eine Reduzierung des Rentenbeitrags der jungen Generation vorschlagen, die auch eine Strukturreform bedeutet. Dann müssen Sie für die Grünen sagen: Der Beschluß einer Grundsicherung, den wir gefaßt haben, ist absoluter Unsinn. - Das Rentensystem der Zukunft muß die Standbeine haben, die Sie hier diskutiert haben.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Ich kenne diese schwierigen Situationen, aber sage Ihnen voraus: Sie werden die konzeptionelle Beschlußlage der Grünen zwar einige Zeit vor der Öffentlichkeit verbergen können.

    (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Ja!)

    Auf Dauer, bis zur Bundestagswahl, wird das aber nicht gelingen, weil sich die deutsche Öffentlichkeit am Ende nicht damit zufriedengeben wird, daß Sie als medienwirksame Persönlichkeit der Vorturner sind. Sie möchte auch wissen, was hinterher gemacht werden soll. Die deutsche Öffentlichkeit sollte wissen, daß sie dann mit Steuererhöhungen, mit weiteren Regulierungsmaßnahmen und mit weiteren Vorkehrungsmaßnahmen von seiten der Behörden konfrontiert wird.
    Ihre Unentschiedenheit in der Frage der NATO bedeutet, daß unsere Partner uns nicht mehr als verläßlichen Bündnispartner ansehen können. Die Frage „Raus aus der NATO oder rein in die NATO?" ist keine beliebige Frage für irgendeinen Parteitag; das ist fundamental für die Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland. Wer diese Frage nicht beantworten kann, ist nicht regierungsfähig.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Wer das nicht beantwortet, ist international nicht handlungsfähig und national nicht regierungsfähig. Das ist keine beliebige Frage wie etwa die Frage der Rentenstrukturreform oder anderer Gesellschaftsverträge, die wir kennen. Die Frage, ob die Bundesrepu-

    Dr. Wolfgang Gerhardt
    blik Deutschland in der NATO bleibt oder nicht, ob wir eine Bundeswehr brauchen - ja oder nein -, ist eine der Kernfragen dieses Landes; sie zielt auf unsere Beständigkeit und Zuverlässigkeit ab.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wehrpflicht: Ja oder nein?)

    - Ich habe mich zu der Frage der Wehrpflicht in aller Öffentlichkeit geäußert und gegenüber meiner eigenen Partei nicht gedrückt. Ihnen, Herr Fischer, werfe ich vor: Sie drücken sich bei dem Thema Grundsicherung und bei dem Thema NATO davor, die erforderlichen Auskünfte zu geben.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nein!)

    Sie können uns vorwerfen, daß wir zuwenig erreicht haben. - Ja, die Staatsquote ist immer noch zu hoch. Aber die einzigen Vorschläge zur Absenkung der Staatsquote kommen von der Koalition und nicht von der Opposition.

    (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Die Freiheit bei den Ladenöffnungszeiten ist immer noch zu gering. Aber die Gegner sitzen in der Opposition; es sind Leute, die das für den Untergang des Abendlandes gehalten haben.

    (Beifall bei der F.D.P.)

    Die bescheidenen Schritte, die wir bei der Flexibilisierung des Arbeitsrechts erreicht haben, reichen den Betrieben nicht. Auch mir reichen sie nicht. Aber von seiten der Opposition ist überhaupt kein Flexibilisierungsvorschlag gekommen. Allein das, was wir beim Kündigungsrecht geändert haben, ist schon ideologisch diffamiert worden, und uns wurde unterstellt, wir wären für Kündigungswellen. Niemand von der Opposition begreift diese Änderung als Chance für Einstellungen, wie wir das tun.

    (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Wir haben eine Steuerreform beschlossen, und Sie haben sie blockiert. Ich will für das Protokoll sagen - zum Mitschreiben; es gerät sonst leicht in Vergessenheit -: Die Koalition von CDU/CSU und F.D.P. hat in diesem Haus im Juli eine Steuerreform beschlossen, die die gleichen Konturen wie die Steuerreformen aufwies, die Wim Kok in Holland, Klima in Österreich und andere Sozialdemokraten in Europa beschlossen haben. Das hatte in diesen Ländern zur Folge, daß das Beschäftigungsproblem besser gelöst werden konnte als in der Bundesrepublik Deutschland. Wir befinden uns im Einklang mit der Mehrheit auch der Sozialdemokraten in Europa. Sie als letzte Bastion der Ewiggestrigen hindern uns daran, die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Deswegen tragen auch Sie Verantwortung.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Die Gesundheitsreform konnte mühselig nur dadurch vorangebracht werden, daß wir die Gesetze so änderten, daß sie nicht mehr zustimmungspflichtig waren. Selbst eine Sozialklausel, die eine Belastung der niedrigen Einkommen verhindern sollte - die wir ja vorgesehen haben -, hat Sie nicht davon abgehalten, das als Teufelswerk zu kennzeichnen,

    (Dieter Schanz [SPD]: Das ist es auch! Gegenruf des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Keine Ahnung von der Materie!)

    die Öffentlichkeit eher zu desinformieren als zu informieren.
    Wenn Sie Ihre Positionen für richtig halten - das kann man ja tun; das muß ich akzeptieren -, dann müssen Sie sich das Etikett, Sie seien zukunftsträchtige Koalitionspartner, abschminken. Das sind Sie nicht, weil Sie bei nahezu jedem großen Problem eine Wirklichkeitsflucht betreiben.

    (Beifall bei der F.D.P.)

    Wir haben die Privatisierungsmaßnahmen langsam und zäh gegen Widerstände vorangebracht. Was steckt denn in den Postkästen der Bundesrepublik Deutschland? Die Postgewerkschaft macht doch mit Ihrer Unterstützung die Menschen glauben, eine private Post würde ihnen fast keine Briefe mehr zustellen. In Finnland ist die Post schon lange privat; dort werden Briefe und Pakete immer noch zugestellt. Die Behauptungen, die der deutschen Öffentlichkeit eingeredet werden, wonach Briefe nur von staatlichen Beamten und Angestellten zugestellt werden könnten, daß im anderen Fall das Abendland zusammenbreche und eine private Post keine ausreichende Versorgung biete, sind kompletter Unsinn. In nahezu allen anderen Ländern gibt es günstigere Tarife bei der Post, und die Menschen bekommen trotzdem Briefe und Pakete.

    (Beifall bei der F.D.P.)

    Wenn ich dem Vorsitzenden der finnischen liberalen Partei schreibe, wird ihm der Brief auch zugestellt, obwohl die Post dort privat ist. Ich möchte das hier einmal erwähnen.
    Sie haben sich in allen Bereichen gesperrt, bei denen wir staatliche Aufgaben abgeben wollten. Herr Fischer, Sie sind im Laufschritt auf die jeweilige Barrikade gesprungen, zuletzt bei der Steinkohle, und tragen hier vor, wir würden die Reformaufgaben nicht anpacken. Sie sind dafür verantwortlich, daß Ihre grünen Kollegen in der Regierung von Nordrhein-Westfalen, die genauso wie Sie großartig über die Zukunftsaufgabe Bildung reden, aus ganz engstirnigen Gründen der Regierungsbeteiligung und des Machterhalts viel Geld in der Steinkohleförderung vergraben haben.

    (Beifall bei der F.D.P.)

    Sie sollten uns nicht erzählen, Sie seien der Reformer!

    Dr. Wolfgang Gerhardt
    Wir stehen nicht nur vor einer schweren und aufwühlenden Wahlentscheidung.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist wahr! Zuruf von der SPD: Vor einer Niederlage!)

    Wir stehen vor der Frage,

    (Dr. Peter Struck [SPD]: Sie stehen mit Ihrer Partei vor der Pleite!)

    ob wir in diesen Wahlkampf gehen nach dem Motto: „Es muß keine großen Veränderungen geben; es kann alles so bleiben". Ich glaube, das können wir nicht. Ich glaube, die Bürger der Bundesrepublik Deutschland wollen sich in den Kernfragen entscheiden. Sie wollen sagen, ob sie sich für morgen oder für gestern entscheiden, für Reformen oder für keine, für Leistungsbereitschaft oder für staatliche Versorgungsvorstellungen, für pädagogisch verantwortbare Leistungsfeststellungen im Bildungssystem oder nur für schulische Begleitung, für ein Land, das seinen Bündnisverpflichtungen nachkommen will, für Aufbruch, für all das, was Tony Blair, Wim Kok, Gonzalez und Aznar in Spanien und Klima in Österreich gemacht haben.
    Diesen Weg will die Koalition gehen. Wir wollen das in die Wege leiten, was anderswo zu großen Erfolgen geführt hat. Wir wollen gemeinsam mit der CDU/CSU, daß sich Deutschland im weltweiten Wettbewerb behaupten kann. Das wollen wir mit einer Politik tun, die die Arbeitslosigkeit zurückdrängt,

    (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Das hätten Sie in den letzten 15 Jahren tun müssen!)

    die eine Steuerreform möglich macht, die eine Renten- und Bildungsreform, die die Öffnung der Märkte, die Absenkung der Staatsquote, den Aufbau in den neuen Ländern und eine einheitliche stabile europäische Währung ermöglicht, sie nutzt, eine europäische Antwort auf die Märkte der Welt gibt und so deutschen Arbeitnehmern hilft, ihre Beschäftigungsinteressen zu verwirklichen - und damit ihre Lebensinteressen. Das ist eine Politik für den Wandel. Sie gibt Menschen Zukunftschancen.
    Sie vertreten eine Politik der Wirklichkeitsflucht. Sie zerstören am Ende soziale Sicherheit. Deshalb möchte ich, daß wir die Bundestagswahl gewinnen. Wir werden unser Bestes tun.
    Herzlichen Dank.

    (Anhaltender Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Gregor Gysi.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Andrea Lederer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (PDS)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, Sie wollten gerne in die Geschichte eingehen als Kanzler der deutschen Einheit, als Kanzler der europäischen Einheit, das heißt: überhaupt als Kanzler, der Einheit schafft, der auch versöhnt.

    (Vorsitz : Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch)

    Ich glaube, Sie leisten augenblicklich den größten Beitrag dazu, als Kanzler in die Geschichte einzugehen, der die Folgen der deutschen Einheit, die Folgen der europäischen Einigung nicht gemeistert hat, der dabei gescheitert ist. So werden Sie allmählich zum Kanzler der Spaltung.

    (Beifall bei der PDS)

    Das gilt für sehr viele Gebiete. Nehmen wir den Vergleich zwischen Ost und West bzw. die Probleme, die wir bei der Vereinigung haben. Haben wir denn noch eine Tendenz der Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West, oder haben wir nicht umgekehrt eine Tendenz dahin gehend, daß die Spaltung zunimmt? Die Arbeitslosigkeit im Westen beträgt 9 Prozent, die im Osten 18 Prozent. Wir haben Regionen wie die Lausitz und Vorpommern mit einer Arbeitslosigkeit von über 30 Prozent.
    Die Strukturdaten sprechen eine deutliche Sprache: 1996 lag der Anteil der neuen Länder an der Wirtschaftsleistung der Bundesrepublik Deutschland bei nur 12 Prozent. Der Ostanteil bei der Produktion lag im Vergleich zum Westen bei einem Fünfzehntel, bei Exporten bei einem Vierzigstel und bei der Industrieforschung geradezu im Promillebereich. Es gab aber eine umfassende Industrieforschung im Osten. Sie ist systematisch abgewickelt und beseitigt worden.
    Das bedeutet: Die Aufholjagd im Osten ist beendet, ehe sie richtig angefangen hat. Erstmals seit der Wende wird das Wirtschaftswachstum mit unter 2 Prozent im Osten geringer ausfallen als im Westen, was nichts anderes heißt, als daß die Unterschiede wachsen.
    Deshalb, Herr Bundeskanzler, nehmen Ihnen viele Leute im Osten übel, daß Sie über das Thema „deutsche Einheit" kaum noch sprechen. Wenn der Bundestag hierzu eine Debatte führt, dann schicken Sie Herrn Rexrodt vor, weil Sie nicht mehr den Mut haben, zu den Zahlen und Ergebnissen Stellung zu nehmen. Das ist inzwischen eine Tatsache!

    (Beifall bei der PDS)

    Die Geldvermögen pro Haushalt sind in den letzten Jahren in Ost und West immer weiter auseinandergedriftet. 51 Prozent der Westhaushalte haben Grundbesitz, aber nur 28 Prozent der Osthaushalte. Dazu haben Sie durch Ihr Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung" einen direkten Beitrag geleistet; denn das war ein Entzug von Eigentum an Grundstücken, Eigenheimen und Wochenendgrundstücken.
    Was Sie über das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung" nicht geschafft haben, das ergänzen Sie jetzt durch maßlos überzogene Gebühren bei Wasser, Abwasser und beim Straßenbau, was die Leute von den Grundstücken vertreibt. Das ist die Realität in den neuen Bundesländern.

    (Beifall bei der PDS)


    Dr. Gregor Gysi
    Die Zahl der Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger ist im Osten um 9,9 Prozent und im Westen um 4,5 Prozent gestiegen. Ich sage das alles gar nicht, um etwa aus meiner Sicht zu spalten; denn die Zahlen im Westen sind schlimm genug. Ich will nur darauf hinweisen, daß die Entwicklung weiter auseinandergeht, daß Sie nicht mehr auf einem Vereinigungskurs, sondern auf einem Spaltungskurs sind, was das Verhältnis von Ost und West betrifft, allerdings mit einer Ausnahme: Die Preise sind inzwischen angeglichen und bei Wasser, Abwasser und Energie in den neuen Bundesländern sogar deutlich höher als in den alten Bundesländern. Aber bei den Einkommen, den Renten, der Sozialhilfe, der Arbeitslosenunterstützung und selbst bei den miserablen Beschäftigungsverhältnissen, für die es hier im Westen 610 DM gibt, während es drüben nur 520 DM gibt, sind die Einkünfte wesentlich geringer. Trotzdem sollen die Leute die gleichen Preise bezahlen. Das müssen Sie ihnen erst einmal erklären, und da dürfen Sie nicht mit irgendwelchen Produktivitätsdaten kommen. Es muß doch machbar sein für die einzelne, für den einzelnen und für die Familie.

    (Beifall bei der PDS)

    Auf andere Dinge aus diesem Bereich will ich gar nicht erst eingehen. Wir sind beim Respekt ostdeutscher Biographien nicht weitergekommen. Sie schaffen weiter Sonderrecht. Noch in dieser Woche wollen Sie im Ernst festlegen, daß Untreue, Betrug und ähnliche Delikte im Osten erst nach zehn Jahren verjähren, während sie im Westen nach fünf Jahren verjähren. Sie müssen dann nicht nur den Täterinnen und Tätern, sondern auch den Opfern von Straftaten erklären, warum der eine einen Strafverfolgungsanspruch verliert, während ihn der andere behält. Das ist alles Irrsinn und auch ziemlich irrational, was auf dieser Strecke stattfindet.

    (Beifall bei der PDS)

    Beim Thema Europa sieht es nicht viel anders aus. Sie waren doch derjenige, der den europäischen Gedanken nach vorne getrieben hat. Sie haben diesen Gedanken, glaube ich, von Adenauer übernommen, und Sie wollten damit ebenfalls in die Geschichte eingehen. Auch hier hat sich doch das Blatt gewendet. Da treffen sich die europäischen Regierungen in Luxemburg und wollen den Leuten in Europa sagen: „Europa bedeutet nicht nur eine Zuständigkeit für den Wert eurer Sparguthaben, bedeutet nicht nur überall Sparhaushalte, bedeutet nicht nur Sozialabbau, sondern Europa soll auch etwas mit mehr Beschäftigung zu tun haben." Da fährt dieser deutsche Bundeskanzler hin, der sonst nicht laut genug „Europa" rufen kann, und sagt: „Nein, Europa darf mit Beschäftigungspolitik nichts zu tun haben. " Das ist völlig absurd, wenn man eine europäische Integration will.
    Dann sagen Sie auch noch, das solle in der Zuständigkeit der nationalen Regierungen bleiben. Da kann man bei Ihrer Regierung nur erschrecken; denn das heißt, Sie wollen so weitermachen wie bisher. Aber Sie haben doch gerade auf dem Gebiet der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit völlig versagt. Da erschiene mir eine europäische Zuständigkeit immerhin hoffnungsvoller als die Reduzierung auf Ihre Zuständigkeit.

    (Beifall bei der PDS)

    Sie haben versprochen, daß es eine Währungsunion in Europa nur gibt, wenn es zugleich eine politische Union gibt. Das haben Sie hier im Bundestag versprochen, Herr Bundeskanzler. Sie müssen doch einräumen, daß Ihr Ziel der politischen Union gescheitert ist. Wir haben keinen europäischen Gesetzgeber. Wir haben keine europäische Verfassung. Wir haben keine europäische Charta sozialer Grundrechte. Wir haben kein europäisches Beschäftigungsprogramm. Das alles haben wir nicht. Aber die Währungsunion wollen Sie pünktlich einführen, und zwar ausschließlich mit fiskalischen Kriterien. Was glauben Sie, was das für ein spannender Wettbewerb in Europa geworden wäre, wenn Sie als Beitrittsbedingung nicht 3,0 Prozent der Nettoverschuldung im Jahr ausgegeben hätten, sondern gesagt hätten: Zur europäischen Währungsunion kann nur beitreten, wer höchstens 3 Prozent Arbeitslosigkeit zu verzeichnen hat,

    (Beifall bei der PDS)

    und jeder, der darüber liegt, scheidet aus. Das wäre eine Stimmung in Europa gewesen! In jedem europäischen Land hätte ein Arbeitsbeschaffungsprogramm das andere abgelöst. Das wäre für die Menschen wirklich sinnvoller gewesen als diese fiskalische Fixierung.
    Aber auch die Bedingungen der Währungsunion stimmen doch nicht. Deshalb sind wir gegen diesen Euro, gegen diese Art von Währungsunion. Eine Währungsunion setzt Angleichungsprozesse voraus. Herr Bundeskanzler, das muß man politisch vorher leisten. Wir brauchen in Europa eine Steuerharmonisierung, eine Angleichung der Löhne sowie eine Angleichung juristischer, ökologischer und sozialer Standards. Das alles sind nämlich Kostenfragen. Das alles haben Sie nicht geleistet. Sie tun vielmehr das Gegenteil: Sie führen den Euro ein und sagen: Der Euro wird es schon richten. Der soll dann die Angleichung erzwingen - aber nach unten und zum Schaden der Bürgerinnen und Bürger in allen europäischen Ländern, auch in der Bundesrepublik Deutschland. Deshalb sagen wir nein dazu.

    (Beifall bei der PDS)

    Sie spalten aber auch in anderer Hinsicht. Sie spalten in Inländerinnen und Inländer sowie Ausländerinnen und Ausländer. Ich will hier einmal eine Zahl nennen - nicht weil sie für mich so wichtig ist, sondern weil sie vielleicht für die Bevölkerung interessant ist -: Der Anteil von Bürgerinnen und Bürgern in der Bundesrepublik Deutschland, die keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, beträgt 8,8 Prozent. In Belgien beträgt dieser Anteil 9,1 Prozent, in Osterreich 9,9 Prozent und in der Schweiz sogar 19,9 Prozent. Dennoch gibt es in keinem anderen Land eine solche auch von der Regierung geschürte Stimmung gegen Ausländerinnen und Ausländer in der Gesellschaft wie in diesem Lande. Es gibt in keinem Land eine derartige rigide Sozialpolitik gegenüber diesen Menschen und eine derartige Verweigerung bei der

    Dr. Gregor Gysi
    Gewährung politischer Rechte wie dem Wahlrecht und - das ist das Schlimmste - gegenüber hier geborenen Kindern sogar die Verweigerung, daß sie wenigstens eine doppelte Staatsangehörigkeit erhalten, um endlich als gleichwertig angesehen zu werden - auch von anderen Kindern. Sie wissen, wie wichtig das für die Entwicklung eines Kindes ist. All diesen Dingen verweigern Sie sich, und deshalb spalten Sie auch auf diesem Gebiet.

    (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Sie spalten auch zwischen Männern und Frauen. Denn Realität in der Gesellschaft ist, daß die Beschäftigungsquote gerade bei Frauen zurückgeht, daß die Arbeitslosigkeit immer weiblicher wird. Wahrscheinlich hat sie deshalb auch einen weiblichen Artikel. Sie haben dafür gesorgt, daß die Altersarmut vorwiegend Frauen trifft. Sie haben in einer Zeit der Massenarbeitslosigkeit festgelegt, daß Frauen ein Jahr länger arbeiten müssen, um einen Rentenanspruch zu erwerben, und haben damit neue Arbeitslosigkeit organisiert. Nein, Sie haben keinen Beitrag zur Gleichstellung der Geschlechter geleistet. Darüber helfen auch Ihre sozusagen ersten Ansätze der Quotierung in der CDU nicht hinweg. Die Frauen sind schlechtergestellt als noch vor fünf Jahren in dieser Bundesrepublik Deutschland.

    (Beifall bei der PDS)

    Dies gilt erst recht für den Osten, weil sie dort geradezu maximal aus dem Erwerbsleben hinausgedrängt worden sind.
    Sie spalten die Menschen in jene, die Arbeit haben, und in jene, die keine Arbeit haben, bzw. in jene, die nur noch so etwas Ähnliches wie Arbeit haben. Denn etwas anderes ist dieser ganze Bereich der Billigjobs nicht, der 610-Mark- und im Osten der 520-Mark-Jobs, nichts als ein billiges Zubrot ohne jede Absicherung im Krankheitsfall, im Falle von Arbeitslosigkeit und im Alter. Dies ist sozialstaatlich überhaupt nicht verträglich. Ich behaupte, daß die massenhafte Ausweitung dieser Jobs grundgesetzwidrig ist, weil sie der Sozialstaatlichkeitsverpflichtung widerspricht, die dort verankert ist.

    (Beifall bei der PDS)

    Im Grunde genommen haben Sie mit Ihrer Gesetzgebung dafür gesorgt, daß die Unternehmen immer stärker dazu neigen, die vorhandenen Arbeitsplätze in für sie kostengünstige Billigjobs aufzuteilen. Sie sind nicht in der Lage, das zu stoppen, weil die F.D.P. Sie daran hindert, obwohl selbst auf Ihrem Parteitag eingesehen wurde, daß hier eine Lösung herbeigeführt werden muß.
    Wenn man Arbeitslosigkeit wirklich bekämpfen will, dann frage ich Sie nach den Maßnahmen, die Sie diesbezüglich vorhaben. Angesichts all dessen, was Herr Gerhardt hier wieder angekündigt und betont hat, sollte er doch einmal sagen, welcher Arbeitslose dadurch Arbeit erhalten hat, daß Sie den
    Kündigungsschutz eingeschränkt haben. Welcher Arbeitslose hat dadurch Arbeit erhalten, daß Sie die Ladenöffnungszeiten erweitert haben? Welcher Arbeitslose hat dadurch Arbeit erhalten, daß Sie die Vermögensteuer abgeschafft haben? Wer von den Vermögenden hat mit dem einbehaltenen Geld Arbeitsplätze geschaffen? Nennen Sie wenigstens ein einziges Beispiel, damit man die Wertmaßstäbe Ihrer Politik wirklich einmal beurteilen kann!

    (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Wenn man Arbeitsplätze schaffen will, dann muß man die Arbeitszeit radikal verkürzen und die Lohnnebenkosten endlich umstellen. Wir schlagen auch im Interesse der Unternehmen seit langer Zeit vor, den Anteil der Unternehmen an den Beiträgen für die Versicherungssysteme nach der Bruttowertschöpfung, nach dem Betriebsergebnis zu berechnen und damit flexibel zu machen. Das heißt, daß Unternehmen mit hohen Gewinnen und wenig Beschäftigten sehr viel mehr als heute in die Versicherungssysteme einzahlen müssen, daß aber jene, die viele beschäftigen, nicht noch obendrein bestraft werden, wie das heute der Fall ist, und bei bestimmten Einbußen tatsächlich zu Entlassungen gezwungen werden. Das kann man doch ändern. Wo gibt es denn einen solchen Reformwillen in dieser Koalition? Wann haben Sie es wenigstens einmal durchgerechnet, meinetwegen auch, um es zu widerlegen? Sie sind ja nicht einmal bereit, sich darüber Gedanken zu machen. Das ist gedanklicher Stillstand, den Sie hier an den Tag legen.

    (Beifall bei der PDS)

    Allerdings gefallen mir auch nicht die Vorschläge der SPD zur Mehrwertsteuererhöhung, weder Ihr Vorschlag einer Erhöhung um 1 Prozent, Herr Lafontaine, noch der Vorschlag einer 3prozentigen Erhöhung von Herrn Beck. Die Mehrwertsteuer ist die ungerechteste Steuer. Die bezahlen alle, Kinder, Rentnerinnen und Rentner, Arbeitslose, Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger. Wir brauchen für die Senkung der Lohnnebenkosten ein anderes System. Wir können die Kosten nicht verschieben, indem wir dort etwas senken bzw. nicht erhöhen und dafür die Mehrwertsteuer immer weiter hinauftreiben. Das kann keine gerechte Lösung für die gesellschaftlichen Probleme in der Bundesrepublik Deutschland sein.

    (Beifall bei der PDS)

    Mir gefällt allerdings, daß Herr Beck die Idee der Luxussteuer aufgegriffen hat, die wir im Frühjahr verbreitet haben. Wir hoffen, daß durch Herrn Beck diese Idee bekannter wird, weil unsere Bemühungen nicht ausgereicht haben. Ich wundere mich aber sehr darüber, daß Herr Glos Ministerpräsident Schröder die Vorliebe für Rolls-Royce und teure Zigarren vorwirft; sonst warnt Herr Glos hier vorne immer vor Sozialneid, aber wenn es sich um eine bestimmte Person dreht, kommt plötzlich sein ganzer Neid heraus.

    (Beifall bei der PDS)


    Dr. Gregor Gysi
    Das ist auch nicht mein Lebensstil, und ich bin sehr dafür, daß er dafür Luxussteuer bezahlt. Wir können uns sofort darauf verständigen. Wenn wir das zusammen mit der F.D.P. einführen, sind wir schon einen bedeutenden Schritt weiter.

    (Beifall bei der PDS Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Vorher rauchen wir aber noch eine!)

    Wer Arbeitslosigkeit bekämpfen will, der müßte ein Zukunftsinvestitionsprogramm mit zehnjähriger Laufzeit schaffen und bereit sein, einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor zu installieren, damit wir endlich Arbeit und nicht Arbeitslosigkeit finanzieren. Ein solcher öffentlich geförderter Beschäftigungssektor im soziokulturellen und im Umweltbereich könnte 1 Million Arbeitsplätze schaffen, allein im nächsten Jahr 100 000. Wir haben das konkret ausgerechnet. Zu 85 Prozent würde er sich selbst finanzieren. Die gesamte Zuzahlung des Bundes würde sich auf 9 Milliarden DM reduzieren. Das ist genau der Betrag, den Sie den Vermögenden durch die Einsparung der Vermögensteuer geschenkt haben.
    Natürlich brauchen wir auch eine Verbesserung der Qualifikation. Sie, Herr Gerhardt, sagen, die Länder seien schuld. Natürlich tragen die Länder einen Teil der Schuld. Für diese Aussage muß ich mich gar nicht verbiegen, da wir an keiner Länderregierung beteiligt sind.