Rede von
Ilse
Janz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wünsche mir, daß der Einzelplan 10 irgendwann einmal nicht zu so später Stunde, sondern vielleicht gleich zu Beginn diskutiert wird.
Ilse Janz
Irgendwie geraten wir immer an den Schluß eines Sitzungstages, und das gefällt mir nicht.
Stagnation in der Landwirtschaft oder Aufbruch zu neuen Wegen? Der EU-Kommissionsvorschlag Agenda 2000 hat aus meiner Sicht endlich dazu geführt, die Debatte um den ländlichen Raum, den Landwirt, neue Agrarstrukturen sowie Finanzen zu beleben. Das heißt auch, daß für die Fortsetzung der Agrarreform 1992 in Deutschland Vorschläge erarbeitet werden müssen, wie aus unserer Sicht die Agrarpolitik in Zukunft gestaltet sein soll. Wir Sozialdemokraten haben auf eine Weiterentwicklung der Agrarreform 1992 gepocht und sie hier im Bundestag ständig angemahnt. Nun bedauern wir es, daß diese Debatte nicht aus dem Bundesministerium heraus, sondern auf EU-Ebene angefacht wurde.
Diese Diskussion, deren Ergebnis auch einschneidende Veränderungen im deutschen Agrarhaushalt mit sich bringen wird, muß nach unserer Auffassung aber von uns mitbestimmt werden. Deshalb erwarten wir hier dringend Ihre Vorschläge, Herr Minister Borchert.
Die Absicht der Kommission, die gemeinsame Agrarpolitik unbürokratischer zu gestalten und sie umweltfreundlicher zu machen, ist doch ein Ansatz, den wir alle teilen. Aber es muß auch dazu kommen. Angesichts der fortlaufenden Debatte darüber, daß die Landwirtschaft der größte Subventionsbestandteil der EG ist - auch wenn im übrigen manche Aussage dazu von manchem sogenannten Experten stark in Zweifel zu ziehen ist -, müssen wir Politiker dafür sorgen, daß Maßnahmen, um auf absehbare Zeit eine vernünftige Kostensenkung im gemeinsamen Agrarbereich durchzusetzen, eingeleitet werden.
Wenn ich mir den Agrarteil der Agenda 2000 daraufhin genau ansehe, dann wird mir klar, daß die Brüsseler Philosophie heißt: Ab dem Jahr 2006 wird die Welt auf den Agrarmärkten anders aussehen, und bis dahin müssen neue Wege gefunden werden. Es sollen durch Preissenkungen verursachte Löcher im Einkommen der Landwirte durch Direktzahlungen aufgefüllt werden. Die Ausgestaltung der Direktzahlung - das muß ich hier deutlich sagen - bereitet uns allerdings einige Probleme. Hierüber müssen wir gemeinsam diskutieren.
Eine neue Reform muß dazu führen, daß es zum Beispiel gelingt, Sprachlosigkeit und Vorurteile zwischen Landwirten und Verbrauchern, Natur- und Tierschützern abzubauen und offensiv eine öffentliche Diskussion zu entfachen. Nur so, also mit allen gemeinsam, kann nach meiner Auffassung ein Erfolg eintreten. Nur so finden wir in der Gesellschaft Mehrheiten für eine vernünftige Finanzierung.
Lassen Sie mich heute nur auf zwei Bereiche der Kommissionsvorlage eingehen, die wir Sozialdemokraten immer angesprochen haben. Zunächst zur
Quotenregelung bei der Milch: Der Milchpreis selbst scheint sich ja nun ein wenig zu stabilisieren, nachdem in den Vorjahren erhebliche Schwankungen und damit auch Einkommenseinbußen für die Milchbauern zu verzeichnen waren. Daß die Quotenregelung im Jahr 2000 ausläuft, war allen bekannt. Deshalb haben wir immer darauf gedrängt, von Ihnen, Herr Minister, Vorschläge zu erhalten, wie es danach weitergehen soll. Nun liegt der Vorschlag der EU auf dem Tisch: Fortführung der Quotenregelung bis zum Jahr 2006. Nach meinen Informationen hat dies auch die Bundesregierung in Brüssel gefordert.
Wir haben allerdings den Eindruck, daß die Kommission alles vermeidet, was eine Fortführung dieses Systems auf Dauer bedeutet. Zusätzlich sieht sie bis zum Jahr 2006 eine schrittweise Absenkung des Interventionspreises um 10 Prozent vor und will dafür als sogenannte Kompensation eine Milchkuhprämie einführen.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat hier im Haus schon mehrfach betont, daß die schlichte Einführung neuer Tierprämien ganz sicher nicht zur Vereinfachung des Prämiensystems beiträgt. Aus unserer Sicht ist die Flächenprämie, die Acker- und Grünland - unterschiedlich gewichtet - mit einbezieht, der sinnvollere Weg. Auch müssen Unterschiede in den einzelnen Regionen Deutschlands beachtet werden.
Herr Minister Borchert, seit 1984 gibt es die Milchquote. Die Preisentwicklung war bisher negativ. Von dem gesteckten Ziel, die Produktion von Überschüssen zu verhindern, sind wir immer noch weit entfernt. Aus diesem Grund genügt es nicht, wenn eine schlichte Fortschreibung des Bestehenden gefordert und allen Alternativen eine Absage erteilt wird.
Die bisherigen Regelungen haben weder ihren Zweck erfüllt, noch bedeuten sie einen Schritt in Richtung einer extensiven und ökologischen Landwirtschaft, mit einer Förderpolitik, die es den landwirtschaftlichen Unternehmen ermöglicht, freie Marktentscheidungen zu treffen. Wie hat es der Bauernverband in einer Mitteilung gesagt? Es müsse der Grundsatz durchgesetzt werden, daß dauerhaft nur diejenigen Quoten haben dürfen, die auch tatsächlich Kühe haben. - Gut.
Daß Sie sich in Brüssel für eine grundsätzliche Ausrichtung der Milchmarktpolitik über das Jahr 2000 einsetzen, begrüßen wir, Herr Minister. Wir erwarten, daß Sie sich auch mit neuen Vorschlägen in Brüssel durchsetzen und unter anderem verhindern, daß es zu zusätzlichen Tierprämien kommt. Aus unserer Sicht sind die Ausgleichszahlungen mit ökologischen und sozialen Kriterien zu verknüpfen.
Ich befürchte auch, daß eine Politik, der wir alle im Bund bisher Vorrang eingeräumt haben - wenn auch zum Teil mit unterschiedlichen Intentionen -, nämlich die Entwicklung ländlicher Räume, von Brüssel als zweitrangig angesehen wird. Soweit die ländli-
Ilse Janz
chen Räume nach dem neuen Ziel 2 förderfähig sind, sollen sie als integrierte Entwicklungsmaßnahme mit dem Regional- und Sozialfonds zusammengelegt werden und aus dem Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft finanziert werden.
Damit gehört dieser Bereich zur Agrarleitlinie. Wir vermuten, daß die Mitgliedstaaten den Agrarmarktmaßnahmen einen höheren Stellenwert einräumen. Genauso problematisch erscheint uns das Zusammenlegen von sehr verschiedenen Programmen wie die Förderung ländlicher Räume, rückläufiger Industriegebiete und städtischer Problemgebiete. Zu unterschiedlich sind diese drei Bereiche, um auszuschließen, daß die Förderung der ländlichen Räume auf der Strecke bleibt.
Die SPD-Bundestagsfraktion fordert daher, auch weiterhin eine eigenständige Förderung der ländlichen Räume im Rahmen der Strukturfonds zu gewährleisten.
Das bedeutet aus unserer Sicht eine Sicherung integrierter Programme auch für die ländliche Entwicklung und eine Hintanstellung reiner Sektorprogramme.
Es muß eine Verzahnung von Markt-, Struktur- und gerade auch Umweltpolitik zur Entwicklung der ländlichen Räume geben. Die vorgesehene Abgrenzung der Ziel-2-Gebiete mit den Kriterien Arbeitslosenquote, Beschäftigungsniveau, Grad der sozialen Ausgrenzung und der - so verstehen wir die Unterlagen - Nichtberücksichtigung der Bevölkerungsdichte, die ein wichtiges Kriterium für die ländlichen Gebiete ist, läßt zudem erahnen, daß die Förderung der ländlichen Räume nicht mehr Priorität genießen soll. Ich persönlich kann mich im übrigen sehr mit den Forderungen der Länderagrarminister anfreunden, die für den ländlichen Raum ein eigenes Ziel 4 fordern. Wir haben uns als Agrarpolitiker in unserer Fraktion bisher aber noch nicht durchsetzen können.
Das ein und dieselben Maßnahmen aus verschiedenen Töpfen finanziert werden sollen, führt nicht nur zu Reibungsverlusten, sondern erfordert auch Mehrkosten. Was aber passiert, wenn die Position des BML - Erhalt eines eigenständiges Förderziels - nicht durchsetzbar ist? Ich habe von Ihnen, Herr Minister, bislang keine Aussagen bekommen, wie die einzelnen Strukturfonds definiert werden sollen, wenn sich die Position einer Zusammenlegung der Förderziele durchsetzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe hier nur zwei Punkte genannt und dazu unsere Bedenken vorgetragen. Ganz sicher gibt es an der einen oder anderen Stelle für uns weitere Probleme. Aber Sie, Herr Minister, sollten sich in Brüssel nicht nur als scharfer Gegner einer neuen Agrarreform gebärden - dies kommt jedenfalls öffentlich immer so rüber -, sondern dafür sorgen, daß in einer sachlichen Diskussion die erforderlichen Änderungsvorschläge eingebracht werden. Das ist für die Diskussion über die zukünftige Höhe und Ausgestaltung des Bundeshaushaltes von größter Bedeutung. Wir alle, die sich seit Jahren intensiv mit dem Bundeshaushalt auseinandersetzen, wissen, daß auch hier Veränderungen nötig sind. Seit Jahren haben wir beim Einzelplan 10 Kürzungen zu verkraften, die nicht inhaltlich, sondern nur finanziell begründet werden.
Wie ist nun die Situation? Jahr für Jahr werden vorab Versprechungen gemacht, die dann nicht eingehalten werden. Ich will hier wieder einmal die Gemeinschaftsaufgabe nennen. Bei der ersten Lesung im Bundestag gab es vollmundige Versprechungen. Dann hat es nach dem Berichterstattergespräch in Ihrem Hause, Herr Minister, eine Pressemitteilung meiner Kollegen von CDU und F.D.P. gegeben. Danach sollte der Titel „Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und Küstenschutz" um 120 Millionen DM aufgestockt werden. Gleichlautend hat auch der Agrarausschuß beschlossen. Bei der Beratung des Einzelplans im Haushaltsausschuß wurde dieser Beschluß von der Regierungskoalition zurückgestellt. In der Bereinigungssitzung wurde er gar nicht erst zur Debatte gestellt. Ich finde dies um so bedauerlicher, als alle Fraktionen gemeinsam Kürzungsmöglichkeiten gesucht und auch gefunden haben, so daß diese 120 Millionen DM vorhanden waren. Aber dann hat der Finanzminister ganz schnell zugegriffen - und weg sind sie.
Bei der Gemeinschaftsaufgabe müssen wir nun mit fast einer halben Milliarde DM weniger auskommen. Das bedeutet zum einen eine Kürzung von 32 Prozent; zum anderen ist damit gerade der investive Teil belastet. Die Bundesländer haben mitgeteilt, daß von den nunmehr angesetzten 1,004 Milliarden DM für Investitionen bereits 985 Millionen DM an Altverpflichtungen bestehen, so daß lediglich 19 Millionen DM für neue Anträge zur Verfügung stehen. Das bedeutet, neue Verpflichtungen können erst ab 1999 eingegangen werden. Auch für den Küstenschutz wird dies ganz sicher nicht ohne Konsequenzen bleiben. Wir haben deshalb heute den Antrag auf Aufstockung der Titel um 120 Millionen DM vorgelegt und erwarten, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und F.D.P., daß Sie diesem Antrag zustimmen werden.
So gut es ist, Herr Minister Borchert, daß es Ihnen gelang, bei der Berufsgenossenschaft Kürzungen zu vermeiden, um so schwerwiegender ist diese drastische Kürzung der Gemeinschaftsaufgabe, da sie weitere Gestaltungsmöglichkeiten für die wirtschaftenden und investierenden Betriebe unmöglich macht bzw. in weite Ferne schiebt. Hier hätten nach meiner Auffassung auch Sie, liebe Kollegen aus den Koalitionsfraktionen, dem Finanzminister nicht nachgeben dürfen.
Um diesen Haushalt überhaupt fahren zu können, wurde zusätzlich zu einem Buchungstrick gegriffen, und die Selbstbewirtschaftungsmittel der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung wurden in Höhe von 1,135 Milliarden DM in den Haushalt eingestellt. Daß dafür nun Zinsen gezahlt werden müs-
Ilse Janz
sen, scheint Sie nicht weiter zu interessieren. Dies geht aber nur einmal. Wo bleibt da die grundsätzliche Perspektive dieses Haushalts?
Dann haben wir ja noch das Stichwort FELEG. FELEG beschäftigt mich schon seit Beginn meiner Tätigkeit im Haushaltsausschuß. 1995 hieß es aus Ihrem Ministerium, es sei mit 2000 Fällen zu rechnen. 1996 waren es schon 7000 Fälle. Es setzt sich so bis heute fort: Permanente Fehleinschätzung der Fallzahlen führte jährlich zu Nachbewilligungen. Für 1997 haben wir gerade 110 Millionen DM zusätzlich beschlossen. Nun ist Ihr Ministerium etwas klüger geworden und für 1998 anders vorgegangen. Zwar wurde im Haushaltsausschuß der von mir eingebrachte Erhöhungsantrag in Höhe von 110 Millionen DM von Ihnen abgelehnt. Aber in der Bereinigungssitzung brachten Sie dann selbst eine Vorlage über 105 Millionen DM ein.
Na bravo, dann haben wir in 1998 nicht so viel nachzubewilligen. Daß zu der Erkenntnis der ordnungsgemäßen Haushaltsführung mehrere Jahre gebraucht wurden, läßt für die Diskussion über die zukünftige Agrarpolitik in Deutschland und die Haushaltsansätze einiges befürchten.
Herr Minister, in sachlichen Fragen haben Sie oft auch Unterstützung der SPD-Bundestagsfraktion erhalten, zum Beispiel bei Ihrem Einsatz in der EU für das Verbot der Treibnetzfischerei. Aber bei einem so verkorksten Haushalt, der weder auf Zukunft gerichtet ist noch finanzielle Perspektiven hat, gibt es keinen Lichtblick. Sich mit von Haushalt zu Haushalt weniger Mitteln weiterzuhangeln, ohne aufzuzeigen, wohin die Reise gehen soll, das ist nicht die Perspektive, mit der Sozialdemokraten arbeiten.
Ihren Einzelplan lehnen wir ab.