Rede von
Stephan
Hilsberg
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Minister Rüttgers, auch das beste Selbstlob vermag einen kümmerlichen Haushalt nicht zu verbessern.
Eigentlich hätten Sie nach der Rede des Bundespräsidenten Herzog im Berliner Schauspielhaus, der Sie beigewohnt haben, allen Anlaß, sich hier eines Besseren zu besinnen. Denn die Appelle, die er als konservativer Politiker an Sie gerichtet hat, müßten Ihnen eigentlich in den Ohren klingen. Aber das ist offenbar nicht geschehen. Auch der Antrag, mit dem Sie hier wie Zieten aus dem Busche kommen, ist wahrscheinlich nichts anderes als ein billiges öffentliches Täuschungsmanöver,
eine taktische Finesse, mit der Sie eine substantielle Bildungspolitik, die wir bei Ihnen vermissen, zu kaschieren versuchen.
Wenn die ganze Sache wirklich solide wäre, was hindert Sie dann bitte daran, jetzt eine Finanzierungsaussage zu treffen? Nur die Aussage, allein im Einzelplan 30 könne es nicht gegenfinanziert werden, ist ja wohl haushälterisch völlig unzureichend. Darauf kann man sich mit Sicherheit nicht einlassen, auch wenn wir es natürlich begrüßen, daß sich hier die Bundesregierung offensichtlich eines Besseren besonnen hat und ihren Haushalt um 40 Millionen DM aufzustocken versucht.
Stephan Hilsberg
Nur, angesichts der Kürzungen, die wir in Ihrem Etat seit 1992 Jahr für Jahr erleben, um insgesamt über 700 Millionen DM von ursprünglich 15,6 Milliarden DM auf 14,9 Milliarden DM jetzt, ist dieser Antrag mehr als zweifelhaft. Ich kann nur an die Studenten appellieren, daß sie sich durch dieses billige Täuschungsmanöver von Ihnen nicht für dumm verkaufen lassen.
Ich halte es auch gerade angesichts der Tatsache, daß in unserem Lande Bund und Länder gemeinsam für die Bildungs- und Forschungspolitik zuständig und verantwortlich sind, für fatal und ganz schlimm, in welcher Art und Weise Sie hier ein Schwarzer-Peter-Spiel betreiben. Sie müßten sich doch eigentlich darüber im klaren sein, daß, wenn man mit dem Zeigefinger auf andere Leute zeigt, immer vier Finger auf einen selber zurückweisen.
Zum anderen müßten Sie sich doch auch darüber im klaren sein, daß die Länder in den vergangenen Jahren mit einem gewaltigen Kraftakt erstaunlich weit in Vorleistung getreten sind. Allein die zusätzlichen Finanzmittel, die Brandenburg in den ersten vier Jahren aufgebracht hat
- wie auch immer, es ist brandenburgische Politik gewesen -, und die Leistungen beispielsweise der Niedersachsen, die in der ersten Hälfte der 90er Jahre ihren Etat für Hochschule und Forschung um 35 Prozent aufgestockt haben, sollten Sie beschämen.
Sie, Herr Westerwelle, treten hier nach dem Motto auf: jung, dynamisch, aber leider erfolglos.
Aber was Sie hier geleistet haben, war kein Beitrag zur politischen Kultur hier im Hause. Das, was wir hier erlebt haben, war schlicht und einfach eine Brandstiftung und ein Beitrag zur Politikverdrossenheit. Solche Worte wie „Kürzungsterror" in einem Land, in dem man weiß, was Terror bedeutet, halte ich nicht nur für total überzogen, sondern in jeder Hinsicht für unverschämt.
Wir sind uns bewußt, daß wir uns finanziell in einer absolut schwierigen Situation befinden.
Es ist sehr schwierig, Bildungspolitik zu dem zu machen, was ihr gebührt, nämlich zu einem Flaggschiff der deutschen Politik. Anders kann ich mir gar nicht vorstellen, woher wir die Beiträge zur Schaffung neuer Arbeitsplätze, zur Schaffung neuer Betriebe, geradezu neuer Wirtschaftsbereiche, zur Schaffung neuer Technologien, zu Technologietransfer, zur Entwicklung von neuen Patenten und Ideen bekommen sollen. Auch das Argument, es müsse alles für Soziales ausgegeben werden und wir müßten die deutsche Einheit finanzieren, trägt insoweit nicht, als gerade Bildung und Forschung die entscheidenden Modernisierungsfaktoren sind, geradezu Modernisierungskatalysatoren, die wir jetzt brauchen.
Trotz alledem muß ich sagen, daß der Appell von Roman Herzog, in erster Linie in der Bildung als einem ökonomischen Faktor aufzustocken, insofern nicht trägt, als es nicht reicht, in der Bildung nur einen ökonomischen Faktor zu sehen. Die Bildung ist für alle da. Nur wenn wir uns klarmachen, daß wir Bildung für alle brauchen, läßt sich die Solidarität mobilisieren, die wir brauchen, um der Bildung einen so kräftigen Schub zu geben, wie es notwendig ist.
Natürlich können wir alle - das ist eine Unterstützung - die Proteste der Studenten auf der Straße verstehen. Das halte ich für wichtig, und das ist gut für uns. Aber auf der anderen Seite könnte ich mir vorstellen: Wenn zu diesen Protesten auch mehr in den Blick genommen wird, daß wir eine Reformperspektive für die gesamte Gesellschaft brauchen und nicht nur für Bildung und Hochschule, könnten diese Proteste insgesamt wirksamer vorgetragen werden.
Lobbyismus auch auf hohem Niveau ist und bleibt eben Lobbyismus und reicht nicht aus. Man darf seine eigenen Angelegenheiten nicht mit den Angelegenheiten der Gesellschaft verwechseln.