Rede von
Dieter
Schanz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Kollege Koppelin, Sie kennen mich und wissen, daß ich nicht für Schwarzweißmalereien bin. Erstens möchte ich die Gelegenheit ergreifen und mich bei vielen Handwerksbetrieben und Handwerksmeistern ausdrücklich dafür bedanken, daß sie immer bereit gewesen sind, auszubilden.
Zweitens. Ich gebe zu: Es gibt überall im Bildungsbereich Defizite. Dabei nehme ich niemanden aus. Die Probleme, die Sie beschrieben haben, die nach meiner Auffassung aber sekundär sind, gibt es wirklich, und da muß nachgebessert werden. Das gebe ich durchaus zu. Es muß auch gefragt werden, ob in unserer Gesellschaft jedem ein Ausbildungsplatz in seinem Wunschberuf zur Verfügung gestellt werden kann. Das alles ist in der politischen Diskussion anzusprechen, die wir - damit möchte ich die Beantwortung Ihrer Frage abschließen - in diesem Hause gar nicht mehr führen. Hier wird mit Ritualen nach dem Motto gearbeitet: Die Regierung macht alles gut; die Opposition macht alles schlecht - oder umgekehrt. Das führt dazu, daß auch wir im Parlament keine Problemlösung betreiben - eine Problemlösung, die wir gemeinsam im Interesse der jungen Generation anstreben müßten.
Meine Fraktion hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der zum Ziel hat - ich bitte, das auch wirklich zur Kenntnis zu nehmen -, die Ausbildungsbetriebe, von denen ich sprach, zu stärken und andere, die ihrer Verantwortung nicht gerecht werden, in Haftung zu nehmen.
Doch wieder einmal muß ich erleben, daß die Koalition zumeist mit polemischem Spott reagiert. Dahinter verbirgt sich nicht viel Sachverstand. Ich gebe zu: Auch in meiner eigenen Partei gibt es unterschiedliche Auffassungen zu diesem Problembereich. Ich halte das für normal. Ich möchte darüber überhaupt nicht herfallen. Das würde ich auch nicht tun, wenn so etwas bei Ihnen passierte. Ich betone aber: Der Gesetzentwurf hat zum Ziel, Industrie, Handwerk und Gewerbe, das heißt Verantwortliche zu ermuntern und sie in ihrer Bereitschaft zu stützen, jungen Menschen eine Zukunftsperspektive über die Ausbildung zu vermitteln.
Warum nimmt die Koalition, Herr Koppelin, den einen ordnungspolitischen Sündenfall - die direkte Finanzierung von Ausbildung mit Steuermitteln - in Kauf, tadelt aber unseren Gesetzentwurf als Teufelszeug?
Wann endlich, Kolleginnen und Kollegen, überwinden wir das vertrackte Rollenspiel „Die Regierung hat immer recht und macht alles gut, und wir als Opposition begnügen uns mit der bloßen Kritik, sie mache alles falsch"?
Ich bin gespannt, Herr Minister Rüttgers, ob Ihre Äußerungen vom Wochenende der Anfang eines Prozesses sind oder sein können, gemeinsam nach Lö-
Dieter Schanz
sungen zu suchen. Es muß ja nicht erst die Straße sein, die uns auffordert, als Parlament Lösungen zu finden. Politikverdrossenheit, Wahlmüdigkeit und Wahlenthaltung finden in diesem Versagen der Politik ihre Ursache. Sie, Herr Rüttgers, könnten auch ins Kabinett gehen und sagen: Helmut - oder: Theo -, ihr habt mich hängen lassen; ich schmeiße den Krempel hin. Das wäre einmal ein Signal.
Nehmen wir ein weiteres Beispiel aus dem Politikfeld „Forschung und Entwicklung". Noch ist die Bundesrepublik Deutschland auf dem Forschungsfeld „Photovoltaik und Solarenergie" führend. Warum, Herr Minister, sind wir in Deutschland bereit, hinzunehmen, daß uns andere Industrienationen überholen und längst über Markteinführungsstrategien ein zukunftsweisendes Produkt auch im internationalen Wettbewerb durchsetzen? Warum verweigern Sie - besser gesagt: die Bundesregierung in der Gesamtverantwortung - ein Zusammenwirken zwischen Forschung und Wirtschaftspolitik?
Es ist Ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, daß wir auf diesem Forschungsfeld Weltspitze bleiben. In diesem Zusammenhang begrüße ich Ihre diesbezüglichen Bemühungen. Gleichzeitig aber fordere ich ein, daß im Sinne einer ressortübergreifenden Gesamtverantwortung der Bundesregierung die Markteinführung dieser Zukunftstechnologie Platz greift und nicht nur geredet wird.
Einige kurze Bemerkungen zu den vorliegenden Anträgen. Ich bin davon überzeugt, daß sie angesichts der Gesamtsituation im Bereich Forschung, bezogen auf den Einzelplan 30, nicht mehr sind als Kosmetik. Ich sage das auch selbstkritisch. Vor dem Hintergrund der Ankündigungen, die erfolgt sind, und der Realität kann nur ein Politikwechsel die Antwort auf diese verfehlte Politik und Haushaltspolitik der Bundesregierung sein;
denn die Zahlen sprechen eine andere Sprache.
Was ist zu tun? Erstens schritttweise Anhebung der Bundesausgaben für Bildung und Forschung mindestens auf das Niveau zu Beginn der 80er Jahre anteilig zum Gesamthaushalt, zweitens umfassende Modernisierung der beruflichen Bildung - ich meine die zügige Modernisierung der Ausbildungsordnung, die Schaffung neuer Berufsbilder, die Stärkung der Leistungsfähigkeit der Ausbildungsstätten und der Weiterbildung -, drittens Sicherung des dualen Systems der beruflichen Bildung mit seiner grundsätzlich bewährten Verknüpfung von schulischer und praktischer Ausbildung, bei unzureichendem Ausbildungsplatzangebot gerechte Lastenverteilung zwischen ausbildenden und nichtausbildenden Betrieben - siehe SPD-Antrag -, viertens grundlegende Reform der individuellen Ausbildungsförderung, fünftens Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Hochschulen, sechstens Wiedereinführung der steuerlichen FuE-Förderung und Stärkung der mittelstandsspezifischen Förderung, siebentens Reform der Organisationsstrukturen in den FuE-Einrichtungen, die die Flexibilität und die Eigenverantwortung der Einrichtungen stärkt und ihnen die notwendigen Spielräume für Innovationsverbünde von Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft eröffnet, achtens Verbesserung des Transfers, neuntens Bündelung der Forschungsförderung, zehntens Freisetzung von Innovationen durch innovative staatliche Beschaffungspolitik und die Stärkung der Nachfrage nach innovativen Produkten und Dienstleistungen und elftens Verbesserung der administrativen und gesetzgeberischen Rahmenbedingungen für innovative Technologieentwicklung.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß und fasse zusammen: Wir brauchen in Deutschland wieder eine kraftvolle Aufbruchstimmung für Innovationen für Bildung und Forschung. Wir brauchen die Fähigkeit, miteinander sachgerecht nach Lösungen zu suchen. Wir brauchen die Fähigkeit, die eingespielten Parlamentsrituale abzulegen und Problemlösungen für unser Land in Gang zu setzen. Das bisherige Strickmuster wird in der noch interessierten politischen Öffentlichkeit zunehmend lediglich als Wortgetöse wahrgenommen.
Daß ein konstruktives Miteinander möglich ist, erfahre ich immer wieder in den Einzelberatungen des Haushaltsausschusses. Ich fordere von Ihnen, Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, ganz konkret: Lassen Sie es zu, daß dies auch hier in diesem Hohen Hause möglich ist. Wir brauchen den Mut und die Entschlossenheit, Veränderungen in Angriff zu nehmen, und wir müssen wieder stärker in Bildung und Forschung investieren. Mit einer großangelegten Bildungsoffensive wollen wir, was den Politikwechsel betrifft, erreichen, daß die Deutschen wieder eine führende Bildungsnation werden. Ausbildung und Qualifikation sind die wichtigsten Investitionen für die Zukunft unseres Landes.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.