Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gehört in diesem Haus zu den guten Traditionen, daß in der zweiten Lesung zu den Haushaltsgesetzen die Opposition das erste Wort hat. Wenn man sich die Rede, die der Kollege Diller soeben gehalten hat,
noch einmal vor Augen führt, kann man allerdings einigermaßen froh darüber sein, daß die Opposition, politisch gesehen, nicht auch das letzte Wort in der Haushaltspolitik dieses Landes hat.
Kollege Diller, Sie haben alle Ihre Register gezogen.
Das Haus ist unter der Wucht Ihrer Angriffe fast ins Beben geraten. Es hat aus vielerlei Gründen sehr viele ernste Gesichter gegeben.
Was Sie uns nicht geboten haben, ist, daß Sie zumindest einen kleinen Spaltbreit die Tür zu Ihrem eigenen Atelier geöffnet haben, um darzulegen, an welchem Meisterstück die parlamentarische Opposition in der Haushaltspolitik feilt - totale Fehlanzeige. Mit Polemik bis hin zu Angriffen über moralische Verkommenheit in Sachverhalten, die Sie sehr viel besser kennen, wird die Opposition keine Statur in der Finanz- und Haushaltspolitik bekommen.
Sie haben uns in die virtuelle Welt sozialdemokratischer Haushaltsphantasien geführt. Auf den breiten Spagat zwischen lauter Anklage und maßlosen Forderungen einerseits und der eigenen konzeptionellen Schwäche andererseits wäre mancher Spitzenturner wahrscheinlich stolz gewesen.
Das Dilemma der öffentlichen Haushalte - zu einer gründlichen Aussprache darüber bietet die Debatte in dieser Woche ja Gelegenheit - bedarf keiner Illustration. Wir alle wissen, was es bedeutet, daß die
Adolf Roth
Wirtschaft in einem gesunden Aufwärtstrend ist, daß wir bessere Konjunkturdaten haben,
daß die Exportleistung Deutschlands auf einem Rekordniveau liegt, daß die Kapazitätsauslastung wieder gestiegen ist und daß wir stabile Preise und niedrige Zinsen haben. Obwohl also die Rahmenbedingungen insgesamt günstig sind, befinden sich die öffentlichen Haushalte dennoch in einer bedenklichen Situation, weil sie bei den Steuereinnahmen unter Druck stehen und weil die Verpflichtungen zu sozialstaatlichen Leistungen im Zusammenhang mit der europaweiten Arbeitslosigkeit, die uns hier in Deutschland in besonderem Maße bedrückt, jeden Handlungs- und Bewegungsspielraum im Bereich operativer Zukunftsfelder verschließen. Darauf sollte die Opposition eingehen; Sie aber glauben, Sie befänden sich im politischen Aufwind, wenn Sie aus diesen Schwierigkeiten Honig saugen. Sie täuschen sich aber. Diese Strategie hat nicht die geringste Chance, solange sie rein destruktive Züge trägt. Wir brauchen positive Signale, eine Bereitschaft zum Aufbruch und zum Handeln der parlamentarischen Kräfte in Deutschland. Hier steht auch die SPD in parlamentarischer Verantwortung.
In diesem Zusammenhang müssen wir an erster Stelle die Frage nach der Reform unseres Steuersystems auf die Tagesordnung setzen: Wir brauchen endlich eine Steuerreform mit niedrigeren Sätzen und weniger Ausnahmen. Eine solche Steuerreform wird dem Steuerzahler Perspektiven geben und Entlastungen bringen, vor allem wird sie aber in der Lage sein, die Struktur der öffentlichen Kassen wieder zu verbessern und dem Staat wieder mehr Einnahmen zu bescheren. Das ist der Kernpunkt der Diskussion. Sie blockieren aber diese Reform und verhindern damit wirtschaftliche Dynamik und arbeitsplatzschaffende Investitionen. Dann versteigen Sie sich zu der Aussage - Sie haben es am Wochenende in einem Interview gesagt und jetzt wiederholt -, es sei staatspolitische Pflicht der Sozialdemokratie, das Gesetz für die große Steuerreform, die der Deutsche Bundestag verabschiedet hat, im Bundesrat zu Fall zu bringen und abzulehnen. Das sei eine staatsbürgerliche Pflicht, weil diese Reform den Ruin der öffentlichen Kassen bedeuten würde.
Zunächst einmal haben Sie offensichtlich nicht gespürt und nicht nachvollziehen können, was sich in diesem Jahr in den öffentlichen Kassen tatsächlich abgespielt hat. Mit gleichen Argumentationsmustern haben Sie aber auch in den 80er Jahren die dreistufige Steuerreform von 1986, 1988 und 1990 bekämpft, mit der wir durch eine erhebliche Bruttoentlastung der Bürger erreicht haben, daß trotz sinkender Lasten mehr Steuereinnahmen erzielt und die Staatskassen saniert wurden.
Das ist doch der Wirkungszusammenhang. Genau
darauf zielt auch die Steuerreform ab, die kommen
wird und muß, weil sie in dieser Qualität längst in ganz Europa Wirklichkeit geworden ist.
Deshalb brauchen Sie eine Sanierung Ihrer politischen Altlasten oder eine Frischzellenkur. Anders kann ich das gar nicht sagen, denn Ihre Crash-Spekulationen und Ihre Horrorszenarien bringen Sie nicht weiter.
In der Koalition haben wir im September die Marschroute festgelegt. Wir haben die Risiken der Haushaltsentwicklung realitätsnah bewertet und eine Politik der Vorsorge betrieben. Im Ergebnis haben wir Haushaltsbelastungen in Höhe von insgesamt 21 Milliarden DM allen Unkenrufen zum Trotz aufgefangen. Die Koalition hat sich in dieser Phase als handlungs- und entscheidungsfähig erwiesen.
Ich denke, daß wir bei der Gesamtbilanz dieser schwierigen Haushaltsoperation 1997 und 1998 nach Lage der Dinge ein schlüssiges und tragfähiges Konzept erarbeitet haben. Dafür gebührt dem Bundesfinanzminister, Theo Waigel, der Dank der Mehrheit dieses Hauses.
Erstens. Wir haben die Kreditaufnahme beider Haushaltsjahre um insgesamt 1,7 Milliarden DM unter den Ansätzen der Regierungsentwürfe halten können. Das heißt, sie sinkt im nächsten Jahr auf 56,4 Milliarden DM. Sie entspricht damit dem geltenden Finanzplan, und sie ist auch deutlich niedriger als die geplanten Investitionen des Bundeshaushalts von 58,1 Milliarden DM. Dies zu Ihrem Vorhalt einer angeblichen Verfassungswidrigkeit dieses Bundeshaushalts.
Zweitens. Durch Risikovorsorge in der Haushaltsbewirtschaftung 1997, aber auch durch risikobewußte Veranschlagung 1998, durch strikte Ausgabenkompression tragen wir der angespannten Haushaltslage in dem gebotenen Umfange Rechnung.
Drittens. Der Haushalt ist nicht nur stabilitätsgerecht und konjunkturgerecht. Er flankiert auch die Politik der wirtschaftlichen Gesundung.
Viertens. Letztlich ermöglichen die Bundeshaushalte 1997 und 1998 die Teilnahme Deutschlands an der Europäischen Währungsunion. Auch in dieser Frage hat die Koalition ihr politisches Ziel erreicht.
Meine Damen und Herren, die Botschaft lautet also: Wir haben uns aus den Schwierigkeiten herausgearbeitet. Wir sind durch das Gröbste durch. Wir haben die Talsohle erreicht und durchschritten. Wir werden mit Zuversicht in die Entwicklung des nächsten Jahres gehen. Die Bundesrepublik Deutschland hat mit dieser Bundesregierung und mit dieser politischen Konzeption eine klare Chance in Europa. Wir werden die politische Chance auch nutzen.
Für das Haushaltsjahr 1998 waren Mehrbelastungen von rund 14 Milliarden DM zu bewältigen. Allein die Steuermindereinnahmen des Bundes belaufen sich auf 9,5 Milliarden DM. Darin schlägt sich natür-
Adolf Roth
lich auch der seit langem erkennbare Trend zu intensiver Nutzung von Steuersparmöglichkeiten nieder. Dies ist die Folge einer Politik - wir haben das immer offen ausgesprochen - viel zu hoher Steuersätze bei viel zu vielen Ausnahmetatbeständen.
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben es bis heute dem Haus verweigert, in einem konkreten parlamentarischen Gesetzentwurf Ihr eigenes Konzept zu einer solchen Steuerreform vorzustellen.
Sie haben keins. Sie flüchten sich in allgemeine Beschreibungen politischer Ziele, aber Sie verweigern dieses Reformwerk. Sie haben sich damit nach dem Urteil aller nationalen Experten vollständig nicht nur isoliert. Sie sind nach Lage der Dinge auch die rückständigste Sozialdemokratie in ganz Europa.
Ihre Verweigerungshaltung stößt zunehmend auch im Bereich der eigenen Partei auf scharfe Kritik. Das langjährige sozialdemokratische Mitglied, der Berliner Wissenschaftler Professor Hartmut Jäckel, hat an den Vorsitzenden der Bundestagsfraktion der SPD, Herrn Scharping, einen Protestbrief geschrieben wegen der Verweigerungshaltung seiner Partei. Er hat gesagt:
Ihr verkennt die Stimmung im Lande und seid mit der Weigerung, außerdeutsche Erfahrungen aufzunehmen, schlicht provinziell.
Natürlich hat er recht mit dieser Aussage.
Der Düsseldorfer SPD-Fraktionsvorsitzende Matthiesen hat vor zwei Wochen - ganz unmittelbar gerichtet an seinen eigenen Parteivorsitzenden Lafontaine - vom „elenden Taktieren" gesprochen, das beendet werden müsse. Raus aus dem Bremserhäuschen, sagte er, sonst werden uns die Menschen noch aus dem Tempel jagen.
Ich glaube, diesen Fragen, dieser Diskussion können Sie sich nicht weiter verweigern. Es erstaunt schon, wenn selbst der eine oder andere Politiker der Grünen inzwischen konzeptionell weiter denkt als die SPD-Parteispitze. Ich sage das hier, wir sind in einer offenen Diskussion. Der Kollege Metzger hat in der ersten Lesung am 9. September auf eine bestimmte Struktur der Steuerreform gepocht - er hat es inzwischen oft wiederholt, zum letztenmal heute früh -: „eine Steuerreform, die auf breiter Bemessungsgrundlage ruht und Steuerschlupflöcher schließt, dafür aber durch die Tarifabsenkung dem Staat wieder eine ergiebige und gerechte Einnahmequelle zur Verfügung stellt".
Offenbar hat wenigstens er begriffen, daß nicht allein steuerliche Ausnahmen, die heute gern Schlupflöcher genannt werden, das Problem sind,
sondern das Zusammentreffen von zu hohen Steuersätzen mit den vielen Ausnahmen. Das ist der Befund. Wenn wir uns über diesen Befund im klaren sind, müßte es doch eigentlich möglich sein, sich über die Schrittfolge einer Reform, über die Volumina und darüber, wie das im einzelnen bewältigt werden kann, zu verständigen.
Aber das muß man wollen, meine Damen und Herren von der SPD. Dazu muß auch eine Kompromißbereitschaft erkennbar sein. Die Haushaltsdebatte dieser Woche wird diesen Punkt noch in aller Deutlichkeit herausarbeiten.
Ein Weiteres will ich an die Adresse der SPD-Fraktion kritisch anmerken. Sie verweigern sich in zunehmendem Maße der bundespolitischen Finanzverantwortung, die Ihnen als Teil des Deutschen Bundestages genauso aufgetragen ist wie uns. Sie lassen sich aus parteistrategischen Gründen und im Interesse einer bestimmten Länderstrategie, die über den Bundesrat durchgefochten wird, vor einen bestimmten Karren spannen.
Seit Jahren schon haben führende Haushaltspolitiker, wie der ehemalige Kollege Rudi Walther, aber auch der Kollege Helmut Wieczorek, unser Ausschußvorsitzender, auf die Bedienungsmentalität der Bundesländer hingewiesen, die ihre Finanzierung zum Nachteil des Bundes machen wollen. Das ist zunächst einmal nur eine Bestandsaufnahme. Es stellt sich die Frage, wie wir hier zu einer Änderung kommen.
Wir haben festgestellt, daß die Vermittlungsverfahren der 90er Jahre - seit 1990 hat die SPD mit ihren jeweiligen Partnern im Bundesrat eine strukturelle Mehrheit - zu einer Quotenaufteilung der Steuermasse in der Bundesrepublik Deutschland geführt haben, die schlichtweg alles auf den Kopf stellt, was bis zum Beginn des Wiedervereinigungsprozesses in Deutschland gegolten hat.
1991 hatte der Bund noch einen Anteil von 48 Prozent am gesamten Steueraufkommen. Der Anteil der Länder betrug 34,4 Prozent. Das heißt, unser Anteil am Steueraufkommen war um 13,6 Prozentpunkte höher. Inzwischen hat sich das Blatt total gewendet. Die Bundesländer übertreffen mit 41,7 Prozent den Bund bei ihrem Anteil am Steuervolumen. Unser Anteil wird im nächsten Jahr auf 40,8 Prozent zurückgehen.
Das ist eine geradezu unglaubliche Verschiebung der Gewichte. Das ist nicht nur ein quantitatives Verteilungsproblem, sondern in zunehmendem Maße auch ein qualitatives Strukturproblem für die Gestaltung der öffentlichen Etats in Deutschland.
Ich sage Ihnen: Früher oder später werden wir auf diese Entwicklung Antworten finden müssen. Eine
Adolf Roth
Reform der deutschen Finanzverfassung scheint mir unausweichlich zu sein.
Bundesfinanzminister Theo Waigel hat am 9. September bei der Einbringung des Haushalts auf die Renovierungsbedürftigkeit unseres im Grundsatz bewährten Systems des Föderalismus hingewiesen. Es ging ihm dabei nicht um mehr Zentralismus oder andere Ziele, sondern um die Stärkung der Eigenverantwortung von Bund und Ländern.
Er wollte beide Ebenen dadurch instand setzen, daß sie finanzpolitisch zentrale Politikkonzepte auch autonom durchsetzen können. Das heißt im konkreten Fall: mehr Trennschärfe bei den Aufgaben, mehr Wettbewerb in der politischen Umsetzung, Überwindung oder Rückführung eines inzwischen lähmenden Konsenszwangs. Das hieße in der Konsequenz natürlich auch eine Überprüfung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs mit seiner inzwischen erkennbar schädlichen Tendenz zur Übernivellierung und zur Bestrafung der leistungsfähigeren Bundesländer.
Von seiten der SPD, von seiten der Opposition dieses Hauses hat es darauf nicht die geringste Reaktion gegeben. Ich sage Ihnen: Diese Problematik kann doch nur ignorieren, wer davon überzeugt ist, die Folgen solcher Fehlentwicklungen nicht eines Tages selbst tragen zu müssen.
Der Sachverständigenrat hat in seinem Gutachten,
das er gerade vorgelegt hat, noch einmal mit bohrender Kritik auf das unsägliche Gegeneinander im föderalen System hingewiesen. Er sieht in den derzeitigen Regelungen der Finanzverfassung eine wesentliche Ursache für Blockade und Stillstand und fordert, auf dem Feld der föderalen Finanzbeziehungen den Grundsatz der Autonomie durchzusetzen und die Länder stärker an der konkurrierenden Gesetzgebung zu beteiligen, vor allem aber die Gesetzgebungskompetenzen im Bereich der Steuern klarer zu trennen.
Meine Damen und Herren, ich weiß, daß dies ein schwieriges Thema ist. Ich habe auch nicht die Illusion, daß in einem Wahljahr eine umfassende Reform gelingen kann. Aber ich bin davon überzeugt, daß es dringend notwendig ist, dieses Problem anzupacken, und daß wir um eine Modernisierung der Zusammenarbeit im Bundesstaat und um eine Modernisierung und Reform unserer Finanzverfassung nicht herumkommen.
Ich stimme dem Hamburger Finanzwissenschaftler Krause-Junk zu - der übrigens Mitglied der Steuerreformkommission gewesen ist -, der in der „Welt am Sonntag" gesagt hat:
Ändert die Finanzverfassung! Dann kann eine politische Mehrheit auch eine Steuerreform durchsetzen, und die Minderheit kann für die nächste Wahl ihr eigenes Programm dagegensetzen.
Er sagt:
Es ist nicht der große runde Tisch, sondern der Wettbewerb um die Plätze am kleinen Tisch, der demokratische Reformen herbeiführt.
Dem habe ich in der Sache nichts hinzuzufügen.
Nun zu einigen Einzelheiten des Bundeshaushalts 1998. Nach einem Ausgabenrückgang von 2,4 Prozent im laufenden Jahr erreicht der Etat 1998 mit knapp 457 Milliarden DM wieder das Volumen von 1996; er übertrifft es um lediglich 0,3 Prozent .
Gegenüber dem Regierungsentwurf mußten zusätzlich 3 Milliarden DM für die Arbeitslosenhilfe und vorsorglich 1,5 Milliarden DM mehr als Zuschuß an die Rentenkassen eingestellt werden, falls eine Beitragsanhebung auf 21 Prozent politisch nicht mehr abwendbar ist. Das heißt, auf beiden Feldern weist der Bundesetat 1998 neue Rekordmarken auf.
Für die Bewältigung der Probleme auf dem Arbeitsmarkt geben wir im nächsten Jahr das Fünffache dessen aus, was 1991 aufgewendet wurde, nämlich 45,6 Milliarden DM.
Bei den Zuschüssen zur Rentenversicherung haben wir seit der deutschen Einheit einen Aufwuchs um 50 Milliarden DM; der Bundeszuschuß für die Rentenversicherung beträgt im nächsten Jahr 90,4 Milliarden DM; das ist jede fünfte Haushaltsmark.
Der Sozialhaushalt des Bundes hat damit die Rekordmarke von 176 Milliarden DM überschritten; das sind 38,6 Prozent unserer Gesamtausgaben. Alleine in den beiden Haushaltsjahren 1997 und 1998 belasten die zusätzlichen Aufwendungen für Arbeitsmarkt und Rente den Bundeshaushalt um nicht weniger als 24 Milliarden DM, ohne daß hier - ich darf das einmal sagen - das Stichwort einer Gegenfinanzierung oder Steuererhöhung aufgetaucht wäre.
Meine Damen und Herren, die steuerfinanzierten Zuschüsse des Bundes an die Sozialversicherungskassen erreichen immerhin die Summe von 136 Milliarden DM. Das sage ich zur öffentlichen Diskussion über die Bewältigung der sogenannten versicherungsfremden Leistungen. Ich denke, daß der Hauptteil der sogenannten versicherungsfremden Leistungen in einem Solidarversicherungssystem damit abgedeckt ist. Ohnehin würde eine reine Umfinanzierung keinen Fortschritt in der Sache bringen; es würde keine Absenkung der Staatsquote bedeuten. Eine solche Politik kann auf Dauer gesehen die notwendigen Strukturreformen nicht ersetzen. Das ist die Meinung der Koalition.
Adolf Roth
Seit Jahren absorbieren die Sozialtransfers den gesamten Anstieg der Bundesausgaben mit allen Folgen für die operative Handlungsfähigkeit unseres Staates. Wie der Kollege Diller angesichts dieser überprüfbaren Tatsachen davon reden kann, der Bund habe nachgeordnete Kassen um Milliardenbeträge erleichtert, ist mir rätselhaft. Ich kann dazu nur sagen: Sie schauen offenbar immer in die falschen Bilanzen, bevor Sie sich hier zu solchen Aussagen versteigen.
Mit ebenfalls 90 Milliarden DM schlagen die Aufbautransfers für die neuen Bundesländer zu Buche. Das ist nach wie vor die wichtigste Investition in die zukünftige Entwicklung Deutschlands. Wir haben gerade bei der Gemeinschaftsaufgabe Ost im Wirtschaftsbereich neben der steuerlichen Investitionszulage eine Investitionsförderung, die bis 1997 immerhin 21,6 Milliarden DM an Investitionszuschüssen bereitgestellt hat.
Im parlamentarischen Haushaltsverfahren haben die Koalitionshaushälter per Saldo rund 1,3 Milliarden DM durch eine Fülle von Kürzungen und Umschichtungen eingespart. Ich bedanke mich bei allen beteiligten Kollegen der Koalitionshaushaltsgruppe, insbesondere bei unserem Partner, der F.D.P., und ihrem Haushaltssprecher Wolfgang Weng. Ich bedanke mich aber auch, wie in den Vorjahren, bei unserem Ausschußvorsitzenden, dem SPD-Kollegen Helmut Wieczorek, für seine Führung sowie bei den übrigen Ausschußmitgliedern und unseren Helfern und Mitarbeitern auf allen Ebenen. Wir haben hier eine Form der Zusammenarbeit, die zwar in ihrer Erlebnisqualität nicht immer höchste Stufen erreicht,
aber wir sind miteinander ausgekommen. Das möchte ich hier einmal mit Dankbarkeit offen aussprechen.
Meine Damen und Herren, die abschließenden Konsolidierungsentscheidungen der Koalition standen ja im engsten zeitlichen und Sachzusammenhang mit der Steuerschätzung am 12. November. Vorher wurde dem Ganzen eine sehr dramatische Bedeutung beigemessen. Es gipfelte in der Forderung, die Haushaltsberatungen ganz auszusetzen oder zu vertagen und ein völlig neues Buch aufzumachen. Der Bundesfinanzminister und die Verantwortlichen in der Koalition waren auf das neue Datenbild vorbereitet. Wir haben uns darauf eingestellt und eine vernünftige Politik verabredet. Jetzt haben wir sie ohne Ausweitung des Haushaltsdefizits strikt innerhalb der Grenzen des von uns gesetzten Ausgabenrahmens durchgesetzt. Lieber Kollege Diller, es mag Sie ja irritieren, wenn sich die Lösungen, die wir gefunden haben, nicht nach Ihren Prognosen gerichtet haben. Aber damit müssen Sie wahrscheinlich auch noch weitere Jahre leben: Auch Oppositionspolitik ist immer nur die Kunst des Möglichen.
Meine Damen und Herren, die zusätzliche Verlagerung von Einnahmen in Höhe von 8 Milliarden DM
aus der Telekom-Privatisierung, die hier kritisiert worden ist, hat es ermöglicht, daß wir durch einen einzigen weiteren Entscheid, nämlich durch die Streckung der Tilgung im Erblastenfonds, eine Entlastungswirkung von 6 Milliarden DM im laufenden Haushalt erreichen konnten. Ich lege auf die Feststellung Wert, daß trotz dieser Herabsetzung und auch ohne daß eine einzige Mark aus der Gewinnabführung der Deutschen Bundesbank angetastet worden wäre, der Bund hiermit jährlich im Durchschnitt 1,3 Prozent der hohen Anfangsschuld der DDR-Last von 350 Milliarden DM netto tilgt. Diese Summe beläuft sich neben allen Zinsverpflichtungen in den Haushaltsjahren 1995 bis 1998 auf 17,8 Milliarden DM. Zu diesen Tilgungen aus dem Bundeshaushalt treten die Gewinnabführungen der Bundesbank in Höhe von inzwischen 8,3 Milliarden DM. Im nächsten Jahr kommt mehr dazu, so daß wir Ende nächsten Jahres weit über 30 Milliarden DM aus dieser Erblast getilgt haben werden.
Damit ist unserem Ziel einer kontinuierlichen Rückführung der Erblastschulden Rechnung getragen. Es bleibt dabei: Innerhalb einer Generation soll diese Last getilgt werden. Der SPD-Vorwurf, dies sei eine Verweigerung von Schuldenrückzahlung, dies sei Tilgungsaussetzung, ist von uns in aller Deutlichkeit und in der Sache zurückzuweisen.
Meine Damen und Herren, es bleibt bei der restriktiven Ausgabenlinie des Bundes. Wir haben seit 1992 die Bundesausgaben nur um 10 Prozent insgesamt gesteigert. Das ist ein Ergebnis, das sich sehen lassen kann: 2 Prozent Ausgabensteigerung im Schnitt der Jahre bei einem Zuwachs der Wirtschaftsleistung um durchschnittlich 4 Prozent. Dies ist der Beitrag der auch vom Finanzplanungsrat empfohlenen Politik.
Natürlich führt der Blick auf Schulden, Erblasten und Zinsverpflichtungen bei Haushaltspolitikern zu Mißbehagen. Aber man muß auch die Ursachen bewerten. Noch nie seit Bestehen der Bundesrepublik mußten der Haushaltsgesetzgeber und der Bundesfinanzminister in einem einzigen Jahrzehnt so unglaublich weitreichende Lasten schultern wie in der Folge des Wiedervereinigungsprozesses in Deutschland und angesichts der Umbrüche in der Welt. Weil Sie das Bild gebraucht haben, lieber Kollege Diller: Wenn Franz Josef Strauß es nur geahnt hätte, daß noch in diesem Jahrzehnt die Wiedervereinigung Deutschlands möglich sei, dann wäre er auf die Leistungen stolz gewesen, die seine Regierungskoalition in dieser Finanzierungsfrage erbracht hat.
Deshalb möchte ich Ihnen sagen: Die Koalition steht zu diesem Haushaltswerk. Meine Fraktion unterstützt den Bundesfinanzminister in seinem schwierigen Amt.
- Die Debatte dieser Woche wird zeigen, Herr Kollege Fischer, daß diese Koalition mehr Stabilität als
Adolf Roth
die lärmende Einheit der SPD hat, die sich in den Schlagzeilen des heutigen Tages in besonderer Weise niederschlägt.
Diese Koalition wird mit Verantwortungsbereitschaft und mit Zuversicht an ihre Arbeit gehen. Die Debatte dieser Woche wird zeigen, wer hier den längeren Atem hat.
Herzlichen Dank.