Rede von
Prof. Dr.
Edzard
Schmidt-Jortzig
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Lieber Herr Meyer, das glaube ich ganz und gar nicht. Dies paßt zu dem, was ich eben angedeutet habe. Sie wollen das gesamte große Kunstwerk auf einen Schlag schaffen, wissen aber genau, daß dies nicht funktioniert. Deswegen sind Sie dagegen, daß man das Gesamtwerk schrittweise ansteuert.
Wir fangen mit der Strafrechtsreform an. Dann machen wir die Sanktionensystemreform. Sie wissen, daß wir dies wollen. Dafür wird es eine Kommission geben, die noch vor dem Weihnachtsfest eingesetzt werden wird.
Dann schaffen wir uns Stück für Stück das Gesamtwerk.
Einfach zu sagen: „Weil dies noch nicht das Gesamtkunstwerk ist, sind wir dagegen, praktische Schritte voranzugehen" halte ich für eine Reformpartei für völlig unangängig. Ich glaube nicht, daß das die richtige Methode ist.
Lassen Sie uns zunächst die Strafrechtsreform zustande bringen und dann die Sanktionenreform ansteuern. Ich glaube, dies ist die richtige Reihenfolge. Dann können wir wirklich etwas vorweisen. Dies ist besser, als wenn wir mit großen Reden durch die Lande ziehen und hinterher an den Verhältnissen scheitern.
Ein Gedanke zieht sich wie ein roter Faden durch diese Reform, und zwar durch alle drei Teile, nämlich der bessere Schutz der Opfer. Dies kann man noch so heftig verbal leugnen, es ist aber so.
Das Strafrecht kann zwar das Leid der Opfer nicht ungeschehen machen - ich nenne als Beispiel die Sexualverbrechen an Kindern -, es ist aber - hier gibt es im Grunde gar keinen Dissens - die verdammte
Pflicht und Schuldigkeit des Staates, Leib und Leben, Freiheit und Eigentum der Opfer auch mit den Mitteln des Strafrechts zu schützen. Niemand bestreitet, daß der Staat bei dem, was er an Anstrengungen unternimmt, nicht stehenbleiben darf, daß es noch ganz andere Strategien geben muß.
Gestern haben wir das schöne Lisztsche Wort zugrunde gelegt: „Die beste Kriminalitätspolitik ist die Sozialpolitik." Niemand bestreitet das. Aber wir müssen auch die strafrechtlichen Schutzmöglichkeiten für die Opferrechte im Auge behalten. Das will diese Initiative; nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Weil diese Reform dem Rechnung trägt, ist sie, wie ich finde, wahrhaft liberal. Sie baut den Schutz der Grundrechte der Opfer aus, ohne die Rechte der Täter übermäßig zu beschneiden. Sie ist auch eine wahrhaft rechtsstaatliche Strafrechtsreform, weil sie in dem Normenwerk die Gerechtigkeitsempfindungen der Menschen wieder besser zum Tragen bringt.
Lassen Sie mich das an den drei Bestandteilen des Gesamtpaketes, nämlich der Bekämpfung der Sexualdelikte an Kindern, der Strafrahmenharmonisierung und dem Opferschutz im Verfahren, noch einmal kurz aufzeigen.
Von dieser Reform, von dieser Debatte heute muß und wird ein Signal ausgehen: Kinder sollen in Zukunft wirksamer vor sexuellem Mißbrauch geschützt werden.
Dafür sieht die Reform zwei Stufen vor. Stufe eins: Tätertherapie ist Opferschutz; denn die erfolgreiche therapeutische Behandlung eines Straftäters bietet den besten Schutz vor einer Rückfalltat. Dies sage ich, auch wenn wir die genauen Zahlen jetzt noch nicht kennen.
Stufe zwei: Opferschutz verlangt auch Härte gegenüber solchen Straftätern, die trotz langfristiger Inhaftierung und - demnächst hoffentlich durchgehend - diverser Therapien weiterhin eine erhebliche Bedrohung darstellen.
In der ersten Stufe können künftig Sexualstraftäter, die zu mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden sind, ohne ihre Zustimmung in eine sozialtherapeutische Anstalt verlegt werden. Die Umsetzung wird - das wird überhaupt nicht verkannt - erhebliche Anstrengungen der Bundesländer zur Schaffung von Therapieplätzen erfordern. Das wissen wir alle. Aber die Sicherheit der Bevölkerung ist nun einmal nicht zum Nulltarif zu erhalten. Ich appelliere deshalb sehr und mit allem Nachdruck an einige Länder, die sich da noch besonders anstrengen sollten, die fünfjährige Übergangsfrist zu nutzen. Eine ausreichende Zahl von Therapieplätzen ist sich die Gesellschaft wirklich schuldig, weil ohne eine ausreichende Therapieplatzzahl nicht wirksam genug vor gefährlichen Straftätern zu schützen ist.
Ich gebe mich allerdings nicht der Illusion hin, jeder gefährliche Straftäter könne allein durch Therapie veranlaßt werden, keine Straftaten mehr zu begehen. Deshalb, weil wir nicht bei dem einen Schritt
Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
stehenbleiben wollen, sieht der Entwurf in einer zweiten Stufe darüber hinausgehende Maßnahmen vor. Insbesondere bei solchen Tätern, die schwere Sexualverbrechen an Kindern begangen haben, kann eine Strafrestaussetzung zur Bewährung nur erfolgen, wenn ein Rückfall mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist.
Bei Sexual- und Gewaltstraftätern wird das schärfste Schwert unseres Strafrechts, die Sicherungsverwahrung die Brisanz, die in diesem Instrument steckt, ist jedem Rechtspolitiker sofort klar -, wirksam verstärkt und jetzt auch deutlicher eingesetzt werden können. Die Gerichte können die Sicherungsverwahrung schon nach dem ersten Rückfall und nicht erst, wie bisher, nach der zweiten Wiederholungstat verhängen. Schon die erste Sicherungsverwahrung wird unbefristet verhängt, wenn die Gefahr besteht, daß der Täter erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer beschädigt werden.
. Schließlich werden natürlich auch die Strafrahmen angehoben. Für schwere Fälle sexuellen Mißbrauchs von Kindern wird die Höchststrafe von 10 Jahren auf 15 Jahre erhöht, also bis an die Grenze der zeitlich beschränkten Freiheitsstrafe. Verursacht der Täter den Tod des Kindes, kann künftig sogar lebenslange Freiheitsstrafe verhängt werden. Für Wiederholungstäter, die sich auch eine Verurteilung nicht zur Warnung gereichen lassen, gilt künftig eine Mindeststrafe von einem Jahr, so daß die Tat auf jeden Fall in die Kategorie der Verbrechen aufrückt.
Zwar ist kaum anzunehmen, daß triebgesteuerte Täter ins Gesetzbuch sehen, bevor sie zuschlagen. Aber die Heraufsetzung der Strafrahmen ist die deutliche Dokumentierung des Gesetzgebers, daß er dem Schutzgut dieser Vorschriften, also der psychischen und der physischen Integrität der Kinder, höchste Priorität beimißt. Das ist ein ganz wichtiger Gesichtspunkt im Strafrecht, den man nicht zu gering achten darf.
Lassen Sie mich damit zu dem angemesseneren Rechtsausgleich zwischen Opfern und Tätern durch die Strafrahmenharmonisierung kommen. Sie setzt der Unterbewertung höchstpersönlicher Rechtsgüter wie Leib, Leben, körperliche Unversehrtheit, Persönlichkeitsrechte - jetzt ist Herr Beck leider nicht da; dazu hätte ich ihn gerne unmittelbar angesprochen; das scheint ihm nicht ganz zu passen -, also immaterieller Werte gegenüber Vermögensinteressen, den materiellen Werten, ein Ende.
Liebe Frau Däubler-Gmelin, darüber, daß Beschneidung eine gefährliche Körperverletzung ist und in vielen Fällen ein Fall schwerer Körperverletzung sein wird, sind wir uns doch hoffentlich einig.
Deswegen müssen Sie da nicht irgend etwas im Strafgesetzbuch vermissen, weil es dafür ausdrücklich Regelungen gibt.
In diesen Bereichen haben wir die Strafrahmen sogar ausdrücklich erhöht. Ihr Memento an diesem Punkt ist also nicht berechtigt.
- Doch, es stimmt, daß das eine gefährliche Körperverletzung ist. Wollen Sie das bestreiten?
- Es ist in wesentlichen Fällen auch eine schwere Körperverletzung.
In beiden Fällen sind die Strafrahmen heraufgesetzt worden. Das muß man deutlich sagen. Beschneidung ist nur nicht ausdrücklich im Gesetz aufgeführt. Das ist in Ihren Augen möglicherweise ein Manko. Aber in der Sache werden wir Ihrem Anliegen voll gerecht, ob Ihnen das nun angenehm ist oder nicht.