Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir entscheiden heute über drei wichtige Gesetze: über das Gesetz gegen Sexualdelikte, über das Sechste Strafrechtsreformgesetz, ein Gesetz zur Strafrahmenharmonisierung, sowie über ein Gesetz zum Schutz von Zeugen, die Opfer sind, und in diesem Zusammenhang eine Teilregelung für den Opferanwalt. Mit diesen Gesetzen werden tiefgreifende Neuerungen im Strafrecht und im Strafprozeßrecht eingeführt. Das gilt insbesondere für das Sechste Strafrechtsreformgesetz, das eine umfangreiche Veränderung des besonderen Teils des Strafgesetzbuches vorsieht.
Damit setzen wir die Linie fort, die wir mit dem Gesetz gegen die organisierte Kriminalität aus dem Jahre 1992, dem Gesetz gegen die Geldwäsche aus dem Jahre 1993, dem Verbrechensbekämpfungsgesetz aus dem Jahre 1994 und dem Antikorruptionsgesetz aus dem Sommer dieses Jahres begonnen haben. Die Linie setzt sich jetzt, wo die Widerstände gegen den Lauschangriff gefallen sind, weiter fort. Wir werden hoffentlich noch vor Weihnachten ein Gesetz einbringen, um dies im Grundgesetz, aber auch in einem darunterliegenden Gesetz abzusichern. Im Zusammenhang damit wollen wir ein Gesetz gegen den illegalen Geldtransfer und ein Gesetz zur Novellierung des Geldwäschegesetzes verabschieden.
Diese Gesetze zeigen zusammen mit den heute zu verabschiedenden Gesetzen, daß eine Umorientierung im Strafrecht stattgefunden hat. Wir gehen weg von dem Versuch, immer nur den Täter in den Mittelpunkt zu stellen, hin zu dem Versuch, mehr das Opfer zu sehen und vor allem die öffentliche Sicherheit, die Sicherheit unserer Bevölkerung und hier im Sexualstrafrecht insbesondere die Sicherheit unserer Kinder in den Vordergrund zu stellen.
Es geht in der Rechtspolitik ganz offensichtlich, und zwar übereinstimmend, wieder mehr darum, das Strafrecht und das Strafvollzugsrecht auch als ein Mittel der Verbrechensbekämpfung anzusehen. Das war es natürlich schon immer. Aber es ist in den Debatten der zurückliegenden Zeit vielleicht mehr in den Hintergrund getreten. Jetzt wollen wir es wieder in den Vordergrund rücken, ohne deswegen allerdings andere wichtige Elemente der Kriminalitätsbekämpfung für geringfügig zu erklären. Wir wollen nur beides wieder gleich gewichten.
Wir meinen nicht, daß wir die Kriminalität allein auf Arbeitslosigkeit und auf Perspektivlosigkeit zurückführen können. Das sind gewiß wichtige Gründe. Nach unserer Auffassung kann Kriminalität aber auch dadurch bekämpft werden, daß wir dem Täter sagen: Wir haben eine gut funktionierende Polizei; du mußt damit rechnen, daß du entdeckt wirst; wenn du entdeckt wirst, wirst du hart verurteilt; wenn du verurteilt wirst, dann wird die verhängte Strafe auch vollstreckt. Diese ganz simple Abschreckung mit Hilfe des Strafrechts haben wir in der Vergangenheit vielleicht etwas zu sehr vernachlässigt. Die vorliegenden Gesetzentwürfe zeigen - im Grunde genommen besteht hierüber in allen großen Parteien Übereinstimmung; das beweist auch Schröder aus Niedersachsen -, daß wir diesem Teil der Verbrechensbekämpfung wieder eine größere Bedeutung beimessen wollen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei der Beratung dieser Gesetzesvorlagen kam es uns zunächst insbesondere darauf an, das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten schnell zu verabschieden. Die besondere Dringlichkeit dieses Gesetzes wurde uns durch die Ereignisse des vergangenen Jahres, durch die Konferenz von Stockholm, die Geschehnisse in Belgien, aber auch die Ereignisse, die wir hier in Deutschland erlebt haben, vor Augen geführt. Täglich müssen wir mit neuen derartigen Taten rechnen. Dies alles hat uns bewogen - das wollen wir frei bekennen -, darüber nachzudenken, ob die jetzigen Regelungen, die wir haben, ausreichen, um diesen Taten entgegentreten zu können. Wir kamen zu dem Ergebnis, daß wir die Entscheidung aus dem Jahre 1972, als die Kinderschändung - § 176 des Strafgesetzbuches - vom Verbrechen zum Vergehen herabgestuft wurde, korrigieren müssen - wir sind übereinstimmend dieser Meinung -,
und zwar nicht vollständig, aber doch zumindest in den Fällen, bei denen eine besonders schwere Kinderschändung vorliegt. Im neuformulierten § 176 a markieren wir eine solche Tat als Verbrechen und verschärfen die Strafe in einem ganz entschiedenen
Norbert Geis
Maß von sechs Monaten bis zum Höchstmaß von zehn Jahren auf jetzt ein bis 15 Jahre. Das ist eine ganz klare und eindeutige Entscheidung.
Als wir von der Union dies vor einem Jahr vorgeschlagen haben, wurde uns Populismus vorgeworfen. Man hat uns gesagt: Ihr wollt nur augenblicklichen Strömungen folgen und den Leuten, die das draußen laut fordern, gerecht werden; es geht euch gar nicht um die Sache, sondern mehr um Anerkennung in der Öffentlichkeit.
Ich will überhaupt nicht verschweigen, daß wir uns natürlich auch von der aufgewühlten Volksmeinung haben beeindrucken lassen. Bei Unterschriftensammlungen wurde beispielsweise innerhalb von 14 Tagen eine Million Unterschriften zusammengebracht. Das zeigt, daß die Menschen Sorge haben. Es wäre völlig verfehlt, wenn wir als Parlamentarier uns dieser Sorge nicht annehmen wollten.
Aber nachdem uns zunächst einmal Widerspruch entgegengebracht wurde bei der Forderung, Taten nach § 176 zum Verbrechen hochzustufen, hat man dann doch die eigene Meinung geändert. Der Bundesrat, der in seiner ersten Stellungnahme noch gemeint hat, man könne diese Verbrechen nicht mit einer Verschärfung von Strafen bekämpfen, übertrifft uns jetzt sogar. Er fordert, wie Sie wissen, den gesamten § 176, also auch die Begehensformen, von denen wir sagen, daß wir sie nicht zum Verbrechen hochstufen können, nunmehr genau so einzustufen.
Wir haben uns dieser Auffassung aus einem ganz bestimmten Grund nicht angeschlossen. Es gibt nämlich die Erheblichkeitsschwelle des § 184 c des Strafgesetzbuches. Diese bedeutet, daß nur dann, wenn eine Tat von einer gewissen Erheblichkeit festgestellt wird, überhaupt die Frage auftaucht, ob sie strafbar ist oder nicht. Diese Begrenzung hat ihren guten Sinn; denn dann werden nicht alle Annäherungsversuche, auch wenn Sie plump sind, gleich als Vergehen oder gar als Verbrechen eingestuft. Deswegen ist die Erheblichkeitsschwelle richtig.
Aber es gibt auch viele Taten, die knapp über der Erheblichkeitsschwelle liegen. Dann ist der Tatbestand des § 176 gegeben; dann ist die Tat ein Vergehen. Aber weil diese Taten so knapp über der Erheblichkeitsschwelle liegen, hat das Gericht im Einzelfall das Bedürfnis - wer einmal eine solche Strafverhandlung im einzelnen miterlebt hat, sieht das auch ein -, jetzt nicht mit der ganzen Fülle des Strafrechtes reagieren zu müssen, sondern vielleicht mit einem Strafbefehl reagieren zu können oder ein solches Verfahren gegen Auflagen vielleicht sogar einmal einzustellen. Das ist aber nicht mehr möglich, wenn diese Taten von Anfang an als Verbrechen eingestuft werden. Aus diesem Grund ist es richtig, zwischen Vergehen und - bei schweren Taten - Verbrechen zu unterscheiden.
Dies hat auch noch folgenden wichtigen Hintergrund: Wenn wir das nicht so regeln, werden die Gerichte, die sich ja um den Einzelfall zu kümmern haben, sehr schnell dazu neigen, die Erheblichkeitsschwelle, von der ich vorhin gesprochen habe, noch höher anzusetzen und noch mehr Straftaten unter diese Schwelle fallen zu lassen. Das wäre genau das Gegenteil dessen, was wir erreichen wollen.
Ich halte diese Regelung deshalb für sehr sinnvoll; deswegen verteidige ich sie auch gegen die Auffassung des Bundesrates.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir berücksichtigen das Interesse der Bevölkerung an Sicherheit auch dann, wenn es um den Straftäter im Strafvollzug und um die Frage geht, ob er nach Verbüßung von zwei Dritteln seiner Strafe auf Bewährung entlassen werden kann. Wir stellen hier klar: Dies kann nur möglich sein, wenn die öffentliche Sicherheit gewährleistet ist, das heißt, wenn davon auszugehen ist, daß sich der Täter normgerecht verhalten wird.
Wenn er die Strafe voll verbüßt hat, aber immer noch die Gefahr besteht, daß er neue Straftaten begeht, sieht das Strafgesetzbuch jetzt schon die Möglichkeit der Sicherungsverwahrung vor. Dafür sind aber erhebliche Schwellen zu überwinden. Wir sind der Meinung gewesen, daß diese Schwellen bei Sexualstraftätern und Aggressionstätern gesenkt werden müssen. Wir müssen es leichter ermöglichen, solche Täter in die Sicherungsverwahrung zu nehmen. Ich weiß, daß die Sicherungsverwahrung ein schwerer Eingriff ist. Sie ist Wegnahme der Freiheit, ohne daß Verschulden vorliegt. Der Täter hat ja seine Strafe voll abgebüßt und ist eigentlich ein freier Mann. Deswegen ist die Sicherungsverwahrung in einem solchen Fall eine schwierige Sache. Das sehen wir so. Dennoch sehen wir auf der anderen Seite das große Bedürfnis nach Sicherheit für unsere Bevölkerung und unsere Kinder. Deshalb meinen wir, daß, so wie wir es vorgesehen haben, nach der zweiten Wiederholungstat die Möglichkeit bestehen muß, den Täter, wenn die Gutachter ihm nach wie vor Gefährlichkeit bescheinigen, in Sicherungsverwahrung zu nehmen. Dazu stehen wir auch.
Die SPD wird den Antrag stellen, dem Gericht die Möglichkeit einzuräumen, eine solche Entscheidung unter Vorbehalt zu treffen. Das Gericht kann sich also vorbehalten, die Sicherungsverwahrung zu einem späteren Zeitpunkt dann doch noch auszusprechen. Ich möchte diesen Antrag nicht einfach in Bausch und Bogen ablehnen, weil ich die dahinterstehende Motivation kenne, billige und anerkenne. Aber wir sollten da erst einmal Erfahrungen sammeln und Praktiker zu Wort kommen lassen. Der Antrag wurde erst in der letzten Woche gestellt. Er wurde zwar vorher schon diskutiert, kam aber erst in dieser Woche konkret auf den Tisch. Deshalb wollen wir dazu zunächst Praktiker anhören. Dann können wir darüber entscheiden.
Norbert Geis
Lassen Sie mich noch einen weiteren Punkt ansprechen. Meine Zeit ist leider schon fast abgelaufen
- ich meine die Zeit hier.
- Erst als ich es ausgesprochen hatte, habe ich die Doppeldeutigkeit bemerkt, aber ich freue mich, daß Sie heute morgen schon zu solchen Scherzen bereit sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort zum Sechsten Strafrechtsreformgesetz sagen. Das wurde ja lang und heiß diskutiert und ist im Grunde genommen von dem gesamten Gesetzgebungsvorhaben, das wir heute in dreifacher Weise zu verabschieden haben, eigentlich das schwerwiegendste. Es steht zwar auf Grund des Kampfes gegen die Sexualstraftäter jetzt nicht im Vordergrund, aber ist schwerwiegend, weil im Grunde genommen der ganze Bereich des besonderen Teils des Strafgesetzbuches in irgendeiner Weise verändert worden ist. Es ist ein großes Werk. Ich möchte dem Justizministerium für die Vorlage dieses Werkes ausdrücklich meine Hochachtung zollen.
Es gab darin verschiedene Punkte, bei denen wir uns auseinanderdividiert haben. Wir werden auch hier erleben, daß wir in verschiedenen Punkten nicht übereinstimmen, obwohl in vielen anderen Punkten eine große Übereinstimmung zwischen den Parteien festgestellt werden kann.
Einen wichtigen Punkt möchte ich noch erwähnen, weil er bei der Diskussion in der Öffentlichkeit eine gewisse Rolle gespielt hat: Das ist der schwere Raub. Für die Ahndung des schweren Raubes sehen wir jetzt gewissermaßen eine Dreiteilung vor: eine Strafe nicht unter fünf Jahren für den - gestatten Sie mir den Ausdruck - ganz schweren Raub, also für den Fall, daß der Täter die Waffe verwendet. Für den Fall, daß er die Waffe nur mit sich führt - es gibt noch andere Fälle, die unter diese Kategorie fallen -, sehen wir eine Eingangsstrafe von drei Jahren vor. Für den minderschweren Fall schließlich sehen wir eine Eingangsstrafe von einem Jahr vor.
Nach dem Vorschlag der Eingangsstrafe von nur drei Jahren hat man uns vorgeworfen, das könnte ein falsches Signal sein. Ich verstehe diese Befürchtung. Aber wenn man den ganzen Sachverhalt richtig bedenkt, kommt man zu dem Ergebnis, daß dies eine Verschärfung der jetzigen Praxis darstellt.
Denn was ist geschehen? Wir haben im Augenblick die Mindeststrafe von fünf Jahren bei schwerem Raub. Für den minderschweren Fall haben wir die Mindeststrafe von einem Jahr. Was haben die Gerichte im Einzelfall gemacht? Sie wollten das Strafmaß von fünf Jahren nicht aussprechen, weil sie meinten, das werde der Tat nicht gerecht. Sie sind in 70 bis 80 Prozent der Fälle einfach auf den minderschweren Fall ausgewichen und haben Strafen von einem Jahr bis zu drei Jahren ausgesprochen.
[BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Unglaublich!)
Diese Rechtsprechung versuchen wir zu korrigieren, indem wir in solchen Fällen eine Mindeststrafe von drei Jahren vorsehen. Wir verbessern also im Grunde genommen die Praxis, die im Augenblick herrscht, im Sinne eines besseren Schutzes vor Verbrechen. Deswegen bejahen wir die gesamten Regelungen des Sechsten Strafrechtsreformgesetzes.
Die Koalition hat mit diesem Gesetzentwurf erneut bewiesen, daß sie in der Rechtspolitik handlungsfähig ist.