Rede von
Eckart
von
Klaeden
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Teilen der öffentlichen Diskussion in Deutschland, aber vor allem im Ausland wird manchmal der Eindruck erweckt, unsere Tätigkeit verletze oder berühre Art. 4 des Grundgesetzes. Ich will in der mir verbleibenden Zeit versuchen, zur Aufklärung dieses Mißverständnisses beizutragen, und will mich zu Anfang deutlich hinter die Aussagen von Frau Schnieber-Jastram und Frau Köster-Loßack zur Religionsfreiheit, insbesondere zum Schutz der ethnischen, religiösen und sozialen Minderheiten, und zum Neutralitätsgebot des Staates stellen. Ich glaube, dazu muß ich hier nichts weiter ausführen.
Daß die Religionsfreiheit in unserer Verfassung einen derartig hohen Stellenwert genießt, findet darin seinen Ausdruck, daß sie durch verfassungsimmanente Schranken geschützt ist. Wir begreifen die Grundrechte in unserer Staatstradition nicht nur als Abwehrrechte, sondern auch als eine staatliche Werteordnung, die die Schutzpflichten des Staates aktiviert. Wenn insbesondere Rechte aus Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes, also das Recht auf Freiheit, Leben und körperliche Unversehrtheit, durch Organisationen gefährdet sind, dann entsteht eine Schutzpflicht des Staates unabhängig davon, ob sich die Organisation, die diese Rechtsgüter gefährdet, Religionsgemeinschaft, Psychogruppe oder sonstwie nennt.
Ich halte es auch für richtig, daß sich, wenn eine Organisation, die über nicht unerhebliche finanzielle Mittel verfügt, von sich selber erklärt, die staatliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland durch eine andere Ordnung ersetzen zu wollen, der Verfassungsschutz diese wenigstens einmal ansieht. Vielleicht kommt er ja zu dem Ergebnis, daß eine solche Gefahr von dieser Organisation nicht ausgeht. Daß man aber grundsätzlich sagt: Wir schauen uns diese Organisation nicht an, kann ich nicht nachvollziehen.
Ich möchte hier ein Beispiel aus der amerikanischen Geschichte nennen, das jedenfalls aus meiner Sicht zeigt, daß eine derartige Aktivität durchaus in demokratischer Tradition steht. In den 60er Jahren hat es in den Vereinigten Staaten, in Mississippi, schwere Rassenunruhen gegeben. Diese Unruhen sind von den dortigen Protagonisten, die diese Unruhen ausgelöst haben, mit religiösen Motiven verklärt worden. Diese religiösen Motive haben das FBI überhaupt nicht davon abgehalten, diesen rassistischen Sumpf auszutrocknen.
Ich meine, daß die Arbeit, die das FBI damals geleistet hat, zu den bemerkenswertesten Teilen der amerikanischen Geschichte gehört. Durch dieses Beispiel wird deutlich, daß das Anführen religiöser Motive noch lange nicht dazu führen kann, sie als gesichert ansehen zu müssen.
Wir haben auch in anderen Punkten eine etwas andere Tradition als die Vereinigten Staaten. Wir bekennen uns zum Beispiel zum Sozialstaatsgebot. Auch daraus ergibt sich für unseren Staat eine stärkere Aufklärungspflicht den Bürgern gegenüber, als das in den Vereinigten Staaten der Fall ist. Ich will aber betonen, daß das aus meiner Sicht keine Frage von mehr oder weniger Grundrechten bzw. Demokratie ist, sondern daß es dort unterschiedliche Staatszielbestimmungen und Wege gibt, die sich alle im demokratischen Spektrum bewegen. Es steht uns daher nicht zu, den amerikanischen Weg zu kritisieren. Es ist aber auch gestattet, darauf hinzuweisen, daß wir an unseren Prinzipien festhalten wollen.
Abschließend will ich die Warnung aussprechen, daß bei uns in Deutschland - diesen Eindruck habe ich manchmal - in der öffentlichen Diskussion der Einfluß und die Gefahr, die von sogenannten Sekten und Psychogruppen ausgehen, überschätzt werden. Wir sollten das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Eine unmittelbare Gefährdung unserer staatlichen Ordnung jedenfalls kann ich bisher nicht erkennen. Und das ist auch gut so.