Rede von
Ortrun
Schätzle
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Auf dem internationalen Forum, das unsere Enquete-Kommission „Sogenannte Sekten und Psychogruppen" am vergangenen Montag veranstaltete, wurde von seiten der ausländischen Experten die Meinung geäußert, der vorliegende Zwischenbericht der Enquete-Kommission unterscheide sich in seiner Sachlichkeit sehr von der emotional geführten Diskussion in der deutschen Öffentlichkeit. Diese Beurteilung spricht für sachorientierte Arbeit. Sie erkennt das Bemühen an, sorgfältig, differenziert und wissenschaftlich fundiert die Konfliktfelder aufzuarbeiten, welche die Bevölkerung im Hinblick auf die zunehmende Verbreitung sogenannter Sekten, Gurus und Psychogruppen seit Jahren als beängstigend und bedrohlich empfindet.
Ich möchte an dieser Stelle allen Mitgliedern der Enquete-Kommission „Sogenannte Sekten und Psychogruppen" und dem Fachsekretariat für die hohe Einsatzbereitschaft und gute Zusammenarbeit während des ersten Arbeitsjahres sehr herzlich danken.
Welches sind nun die Gefährdungspotentiale von sogenannten Sekten und Psychogruppen? Was beunruhigt die Bevölkerung? Die Klagen spiegeln sich sowohl in der Öffentlichkeit als auch in den Petitionen wider, die den Deutschen Bundestag erreicht haben. Die Klagen reichen von psychischer Manipulation der Anhänger bis zum psychischen, physischen und finanziellen Ruin.
Diese menschlichen Schicksale entzünden die öffentliche Debatte mit der Frage, ob und inwieweit diese Einzelfälle verallgemeinert werden können und ob der Staat eingreifen müsse. Der Staat handelt. Laut Einsetzungsbeschluß unserer Enquete-Kommission hat sie die Aufgabe, Ziele, Praktiken und Methoden neuerer religiöser und weltanschaulicher Bewegungen und Psychogruppen und deren Konfliktfelder zu analysieren und entsprechende politische Handlungsempfehlungen zu erarbeiten.
So waren Fragen des Verfassungsrechts, des Verfassungsschutzes, der Situation von Kindern und Jugendlichen in sogenannten Sekten und Psychogruppen, deren Innenstrukturen, deren Psychomethoden und deren wirtschaftliche Betätigung sowie Möglichkeiten der Beratung und Unterstützung von Betroffenen und ihren Angehörigen Schwerpunkte unserer bisherigen Arbeit. Anhörungen, Gespräche mit externen Experten, Gutachten und Forschungsaufträge erbrachten zusätzliche wertvolle Erkenntnisse.
Mit dem Zwischenbericht der Enquete-Kommission, unserem Arbeitsprotokoll, gewähren wir heute Einblick in unsere Arbeit, in die bisherigen Ergebnisse, in unsere weiteren Vorhaben, aber auch in die unglaublich schwierigen Abwägungsprozesse darüber, wo staatliches Handeln oder staatliche Zurückhaltung geboten ist.
Wir sind uns schon bewußt, daß in Zeiten beschleunigter politischer, wirtschaftlicher und sozialer Veränderungen das Bedürfnis nach spiritueller und moralischer Orientierung wächst, zumal in einer pluralistischen und dynamischen Gesellschaft nicht alle Bedürfnisse und Sehnsüchte von den traditionellen Institutionen befriedigt werden können.
Es steht dem Staat und seinen Organen aber nicht zu, Urteile über religiöse und weltanschauliche Systeme oder Auffassungen zu fällen. Unsere Enquete-Kommission ist kein Gesinnungs-TÜV. Wir stigmatisieren nicht, wir diskriminieren nicht, sondern die Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit sind für uns zentrale und unveräußerliche Menschenrechte, zu denen wir uns ausdrücklich bekennen.
Wenn aber die Grundrechte mißbraucht werden, wenn Bürgerinnen und Bürger mit zweifelhaften Methoden in Gruppen hineingezogen und dort festgehalten werden, wenn sie Schäden erleiden, muß der Staat einschreiten. Der Staat hat eine soziale Verantwortung für seine Bürger zu tragen. Das gilt insbesondere für die Schwächsten, für Kinder und Jugendliche.
Religionsfreiheit darf unter gar keinen Umständen als Schutzschild für Rechtsverletzungen dienen. Die Religionsfreiheit hört dort auf, wo gegen die Menschenwürde verstoßen wird.