Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Gemessen daran, daß Enquete-Kommissionen keine tagesaktuellen Schlagzeilen zu Mißständen oder politisch-personellen Kontroversen produzieren, ist die Medienwahrnehmung, das öffentliche Interesse an unserer Arbeit schon bemerkenswert gewesen. Die Resonanz - bei Würdigung auch all der kritischen Begleitstimmen, die es gegeben hat - ist überwiegend positiv.
Dann gibt es Ministerien wie die für Umwelt, Städtebau und Forschung, die aus unseren Beratungen Honig saugen und Themen sowie Stichworte mit einer manchmal unglaublichen Geschwindigkeit aufgreifen, um damit eigene Gesprächsrunden, Workshops und programmatische Versatzstücke zu organisieren. Was dann hinterher tatsächlich in Entscheidungen umgesetzt wird, ist das andere. Gleichwohl freuen wir uns natürlich darüber, daß wir den Ministerien Impulse geben können.
Ich nehme dies zum Anlaß, darauf hinzuweisen, daß es ein strukturelles Ungleichgewicht zuungunsten des Parlamentes gibt. So haben die Beamten der Ministerien jederzeit Zugang zu all unseren Beratungen, während die Ministerien ihre interne Wissensanreicherung meistens als Closed-shop-Veranstal-
Ursula Burchardt
tung betreiben. Besonders ärgerlich war es, daß das BMBF trotz mehrfacher Wünsche der Enquete-Kommission, in die Beratungen über das neue Umweltforschungsprogramm einbezogen zu werden, dies völlig ignoriert hat. Man hat zwar Gewerkschaften, Verbände und die Wirtschaft daran beteiligt. Aber für Abgeordnete war dies eine geschlossene Veranstaltung. Ich denke, das ist schlechter Stil.
Was die parlamentarische Rezeption betrifft, muß man einfach einmal daran erinnern, daß die Forderung nach einer nationalen Umweltstrategie, einem nationalen Umweltplan bereits einstimmig vom Bundestag beschlossen wurde. Ich erinnere an die Beschlußempfehlung „Forschungspolitik für eine zukunftverträgliche Gestaltung der Industriegesellschaft". Ich bringe das insbesondere auch Ihnen, Frau Kollegin Homburger, in Erinnerung. Denn das, was Sie soeben hier an Schwarzweißmalerei im Zusammenhang mit dem technischen Fortschritt geboten haben, war, so glaube ich, unserer Debatten nicht würdig und fällt in altes Lagerdenken zurück, das wir in der Kommission an dieser Stelle nicht hatten.
- Das, was Sie hier geboten haben, ist der Rückfall in die klassische Lagermentalität: Die einen sind gegen technischen Fortschritt und malen ihn als böses Szenario an die Wand, und die anderen sind für ihn, weil in diesem Bereich das Heil der Welt liegt. Ich glaube, genau diese Auseinandersetzung haben wir in der Enquete-Kommission überwunden. Ich halte dies für einen großen Fortschritt und möchte alle Kollegen und Kolleginnen bitten, auch die Fortschritte, die manchmal nur in kleinen Schritten erfolgen, hier entsprechend zu würdigen.
Was die Kritik bzw. den Antrag der PDS angeht, so muß man feststellen: Das ist ein klassisches Eigentor. Herr Köhne, jetzt sind Sie angesprochen. Gerade bei denjenigen Punkten, die Sie in Ihrem Antrag am heftigsten kritisieren, gab es in der laufenden Arbeit weder eine Beteiligung noch konkrete und praktische Beiträge Ihrerseits. Wenn man auf diese Art und Weise Fundamentalopposition betreiben will, sollte man sich ernsthaft überlegen, ob man Mitglied einer Enquete-Kommission bleiben will, die auf Zusammenarbeit angelegt ist - nicht aber auf Konsens um jeden Preis.
Frau Enkelmann hat heute in der Debatte zuvor darauf hingewiesen, wie sehr die PDS die demokratische Teilhabe und Beteiligung wertschätzt. Dann aber muß ich sagen, daß Sie mit Ihrem Antrag, mit dem Sie den Mitgliedern der Kommission - nicht nur den Abgeordneten, sondern auch den Sachverständigen - aufdrücken wollen, was sie in den nächsten Monaten zu tun haben, genau das Gegenteil von dem tun, was Sie nach außen immer proklamieren. Das muß man einmal ganz deutlich sagen. Es ist nämlich ärgerlich, wenn Leute nicht mitarbeiten, keine Beiträge liefern, hinterher aber alles in Grund und Boden kritisieren.
Nachhaltige Entwicklung, meine Damen und Herren, heißt: anders entscheiden als bisher. „Anders entscheiden" setzt neues Denken voraus. Das ist der Kerngehalt des vielgerühmten und vielzitierten Begriffs Innovation. Deshalb ist dies eines unserer zentralen Themen.
Fakt ist: Wer von Modernisierungsdefiziten redet, darf über die eigenen nicht schweigen. Wir haben festgestellt, daß das politische System in alten Denkmustern und Routinen verharrt. Notwendig sind tatsächlich institutionelle Innovationen.
Ich will zwei nennen, die aus unserer Arbeit resultieren. Das erste ist die Rolle der Ökologie; sie gehört tatsächlich ins Zentrum der Entscheidungsfindung. Sie haben recht, Frau Kollegin Homburger und Herr Kollege Fritz: Wir haben gesagt, daß Nachhaltigkeit drei Dimensionen hat. Das Innovative aber ist, daß die Ökologie endlich ins Zentrum der Entscheidungsfindung kommt und nicht weiter hinter die anderen Bereiche zurückfällt. Das heißt: Sie kann nicht mehr nur die Rolle spielen, in einem Ressort oder in Einzelprogrammen bei anderen Ministerien „geparkt" zu werden. Sie gehört in das Zielbündel der Entscheidungsfindung, so wie das innovative Unternehmen bereits betreiben.
Der zweite Ansatzpunkt, den wir herausgefiltert haben, ist: Globalisierung muß als Chance erkannt werden und für Gestaltungsspielräume genutzt werden. Unsere Studien und Expertenrunden belegen, daß es genügend Gestaltungsspielräume gibt. Dies wird gerade am Beispiel „Bauen und Wohnen" - ich nenne als Stichworte: Flächenverbrauch, Energie- und Stoffströme - überdeutlich. Ich denke, wenn sich das demokratisch-parlamentarische System nicht selbst der Legitimation berauben will, dann kommt es darauf an, diese Freiheitsräume, anknüpfend an ökologische Spielräume, auszuloten, regional- und sektorspezifisch zu entwickeln und europäisch zu vernetzen.
Sie werden jetzt sicher sagen: Das wird ja wohl nicht alles zum Thema „institutionelle Innovation" gewesen sein. Wir bleiben dran. Dringend zu klären ist beispielsweise das Problem: Wie lassen sich langfristige Bedürfnisse kommender Generationen betreffende Entscheidungen in einem politischen System durchsetzen, das in vier- bis fünfjährigen Zyklen agiert? Brauchen wir für ökologische Kreisläufe eine Art Pendant zur Bundesbank? Oder muß man, wenn man Nachhaltigkeit eher von der ökonomischen Seite her betrachtet, Natur als Produktionsfaktor wie Kapital und Arbeit werten? Und was heißt das dann beispielsweise für Verhandlungssysteme, gerade vor dem Hintergrund, daß wir eine klare staatliche Rahmensetzung, klare Zielvorgaben wollen, daß wir wollen, daß auch möglichst viel selbst geregelt werden soll, Selbstverpflichtungen aber - so das Kartellamt und eine Studie des BMWi - ordnungspolitisch nicht durchhaltbar sind? Letztlich, so
Ursula Burchardt
denke ich, kommen wir, gerade wenn wir nach marktwirtschaftlichen Instrumenten suchen, auch an einer Prüfung von Versicherungslösungen nicht vorbei.
Meine Damen und Herren, das sind einige der Fragen, die in den nächsten Monaten zur Klärung anstehen. Ich bin sicher, daß wir, auch wenn wir nicht alles schaffen werden, was wir uns vorgenommen haben, für die Modernisierungsdebatten dieser Tage zwar keine Rezepte, aber doch manche Impulse geben können.
Im übrigen gilt: Wir können nur so viel leisten, wie wir tatsächlich an Ressourcen zur Verfügung stehen haben. Da muß ich eine deutliche Kritik an das gesamte Haus, auch an den Haushaltsausschuß, äußern: Das, was wir im Moment an personellen und finanziellen Ressourcen zur Verfügung haben, ist die absolut unterste Grenze. Wenn sie unterschritten wird, wird es unseriös. Dann kann man auch keine Erwartungen mehr an die Leistungsfähigkeit von Enquete-Kommissionen stellen.
Um noch einmal auf die Impulse zurückzukommen, die wir geben wollen: Ob sie aufgenommen werden oder nicht, wird ein Testfall für die Lernfähigkeit des politischen Systems. Die Innovationsforschung lehrt uns, daß im globalen Wettbewerb nur lernfähige Systeme dauerhaft überleben können.