Rede von
Prof. Dr.
Jürgen
Rochlitz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit der Einsetzung der Enquete-Kommission hofften nicht nur wir Bündnisgrünen, daß ein parlamentarisches Gremium eine Politik der Nachhaltigkeit über den Tag hinaus, also über die Wahlperiode hinweg, formulieren werde.
Immerhin wurde damals unter anderem beschlossen, die Grundlagen für einen nationalen Umweltplan zu erarbeiten. Dies klang erfrischend angesichts einer immer mehr in die Defensive, ja auf den Rückzug gedrängten Tagesumweltpolitik. Schon seit etwa 1990 war der kräftige Gegenwind für die Umweltpolitik merklich, der einerseits durch den Umbruch in Mittel- und Osteuropa und andererseits durch die steigende Massenarbeitslosigkeit verursacht wurde.
In der Diskussion um den Wirtschaftsstandort Deutschland wurde und wird weiterhin offen ein Abbau der Umweltpolitik gefordert. Diesen Forderungen kam die Bundesregierung geflissentlich nach: Deregulierungen, sogenannte freiwillige Vereinbarungen und Gesetzesnovellen mit negativen oder zweifelhaften umweltpolitischen Folgen waren das Ergebnis.
In dieser Stimmungs- und Interessenlage war es schon von besonderer Bedeutung, daß sich alle Fraktionen zu den Inhalten des Einsetzungsbeschlusses bereit fanden. Allen Beteiligten - insbesondere in den Koalitionsfraktionen, Herr Fritz - ist dafür zu danken, ebenso wie Ihnen für Ihre heutige nachdenkliche Rede.
Aber das Lobeslied der Vorredner auf die Arbeit der Enquete-Kommission muß deutlich relativiert werden. Eigentlich geschah nur Selbstverständliches, nämlich die parlamentarische Aufnahme der weitreichenden internationalen Verpflichtungen der Konferenz von Rio von 1992. Die Förderung nachhaltiger Entwicklung und der dringende Handlungsbedarf zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrund-
Dr. Jürgen Rochlitz
lagen auch für künftige Generationen gehören zum Kern dieser Konferenzvereinbarungen.
Sie hätten eigentlich zu Regierungshandlungen führen müssen. Doch den Kanzler-Ankündigungen von 1992 und später folgten nur leere Worte. Das nötige beherzte Anpacken zum Konkretisieren eines Wegs zur Nachhaltigkeit blieb bis heute aus. Nicht nur die Bundesregierung, alle Parteien und so manche Nichtregierungsorganisation knickten vor dem Zeitgeist einer radikalen Ökonomisierung ein.
Insbesondere die Medien - von der Tageszeitung bis zum Fernsehen - verstärken diesen Effekt und beteiligen sich an einer Desinformation der Bevölkerung durch Verbreitung von Ökooptimismus oder Katastrophenmeldungen. Die wichtigen Informationen dazwischen fehlen.
Der Gier nach weltweit einzufahrenden Gewinnen werden nicht nur Arbeitsplätze geopfert, sondern auf der Strecke bleiben sowohl der Schutz unserer Lebensgrundlagen als auch die Kultur des sozialen Miteinander.
Von ersten Schritten, geschweige denn von einem Weg in Richtung nachhaltige Entwicklung ist unter diesen Bedingungen keine Spur zu vermelden. So erleben wir eine Bundesregierung und mit ihr bisher noch eine Mehrheit der Gesellschaft, die beinahe achtlos der Zerstörungsbilanz nur eines einzigen Tages zuschauen, wie sie kürzlich vom Umweltbundesamt dargestellt wurde. An einem Tag werden weltweit - und dies sind nur einige Beispiele - 55 000 Hektar Tropenwald vernichtet, 20 000 Hektar Ackerland anderen Zwecken geopfert oder vernichtet, 100 bis 200 Arten ausgerottet und die Atmosphäre mit 60 Millionen Tonnen CO2 belastet.
Von einer Trendumkehr sind wir noch weit entfernt, wenn angesichts der diesjährigen Menetekel an der Wand - das Oder-Hochwasser und die jetzt brennenden Wälder in Indonesien, beides letztlich auch indirekt Folgen der zunehmenden Erderwärmung - nicht Besinnung statt kurzfristiger Betroffenheit am Fernseher einkehrt. Besinnung auf die ökologischen Notwendigkeiten zur Stabilisierung unserer Lebensgrundlagen hätte gerade in der EnqueteKommission stattfinden müssen. Kolleginnen und Kollegen mit dem nötigen Feingespür dafür gäbe es über Parteigrenzen hinweg.
Doch leider wirken der Druck der Tagespolitik und der Einfluß der ökologisch unsensibilisierten Kollegen aus den Fraktionen - ich meine zum Beispiel diejenigen, die heute nicht anwesend sind - wie Bremsklötze. Es kam bisher nicht entsprechend dem Auftrag des Bundestages zur Festlegung von konkreten Umweltzielen, selbst nicht in den von der Kommission ausgewählten Beispielfeldern Bauen und Wohnen, wenn man einmal von einer halbherzigen Forderung der Reduktion des Flächenverbrauchs absieht.
Damit bleibt die Kommission deutlich hinter Reduktionsforderungen zurück, die schon 1994 vom
Sachverständigenrat für Umweltfragen aufgestellt worden sind. Zwar hat zumindest die chemische Industrie unter BASF-Chef Jürgen Strube gelernt, daß Sustainable Development auch ihr Handeln angeht. Dieser Erkenntnisgewinn verdient Unterstützung. Wenn jedoch die formulierten Umweltziele der Kommission an mangelnder Konkretisierung kranken, dann geht die Rücksicht auf die mit Sitz und Stimme in der Enquete-Kommission vertretene Chemieindustrie entschieden zu weit.
Die Mehrheit der Kommission hat übersehen, daß der Begriff der nachhaltigen Entwicklung eng mit der Orientierung am Vorsorgeprinzip gekoppelt ist. Dieses erfordert aber sowohl konkrete, das heißt bezifferte Ziele, als auch einen konkreten Zeithorizont. Gleichwohl konnte sich die Kommission dazu nicht aufraffen. Deswegen mußte ich gerade hierzu ein ausführliches Sondervotum abgeben. Dabei habe ich lediglich einige der Langzeitforderungen des Sachverständigenrates für Umweltfragen wie zum Beispiel die 80 prozentige Reduktion der versauernd wirkenden Schadgase bis 2010 oder die Ausweitung der Naturschutzflächen aufgenommen.
Wie ein absurdes Theater mutet die Behandlung der Problematik von Gefahren und unvertretbaren Risiken durch die Kommission an. Sowohl der Sachverständigenrat für Umweltfragen als auch das Bundesumweltamt betrachten Gefahren und unvertretbare Risiken als Elemente der Nichtnachhaltigkeit. Das Umweltbundesamt formulierte jüngst als Handlungsgrundsatz für die nachhaltige Entwicklung:
Gefahren und unvertretbare Risiken für den Menschen und die Umwelt durch anthropogene Einwirkungen sind zu vermeiden.
Damit stellte es fest, daß Gefahren und unvertretbare Risiken vor allem nachfolgende Generationen unzumutbar belasten oder gefährden können.
Die Enquete-Kommission war in ihrer Mehrheit noch nicht einmal willens, im Zwischenbericht festzuhalten, daß sie über die Notwendigkeit eines solchen zusätzlichen Nachhaltigkeitsgrundsatzes diskutiert hatte. Zu klaren Aussagen, daß und warum die Mehrheit einen solchen Grundsatz nicht für nötig hält, konnte sie sich bisher noch nicht durchringen. Hintergrund für dieses Verhalten der Mehrheit ist, daß es hier um die Problematik von Atom-, Gen- und anderen Risikotechniken geht.
Meine Damen und Herren, der Endbericht ist noch nicht geschrieben. Es besteht also noch die Möglichkeit, die dargestellten Notwendigkeiten für den Prozeß der nachhaltigen Entwicklung in den Endbericht aufzunehmen. Ich hoffe dabei auf die Unterstützung aller, die an einer dauerhaft stabilisierten Umwelt Interesse haben.
Danke schön.