Rede von
Erich G.
Fritz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Herr Kuhlwein, die Bundesregierung hat sich gerade durch ein wichtiges Ressort, das Wirtschaftsressort, verstärkt.
Ihre etwas abschätzige Bemerkung zum Postministerium muß ich gleich zurechtrücken. Es gibt überhaupt nichts Nachhaltigeres als das, was das Postministerium tut, nämlich sich abzuschaffen. Wenn das manch anderer an anderer Stelle tun würde, wäre das sehr hilfreich.
Meine Damen und Herren, die Diskussion des Zwischenberichts der Enquete-Kommission gibt zunächst einmal Anlaß - Frau Caspers-Merk, Sie haben das bereits getan -, den Beteiligten, den Kollegen und Mitarbeitern in der Kommission, aber auch all denjenigen, die Informationen und Sachverstand in vielfältiger Weise eingespeist und dadurch wesentlich dazu beigetragen haben, daß die Arbeit geleistet werden konnte, zu danken.
Die Enquete-Kommission arbeitet in einem ganz anderen Umfeld als in der letzten Legislaturperiode. Damals hatten wir sozusagen ein Alleinstellungsmerkmal. Wir waren diejenigen in Deutschland, die sich mit diesem Thema auseinandergesetzt haben. Viele standen dem Ziel der nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung mißtrauisch gegenüber; viele wußten auch noch gar nichts damit anzufangen. Mittlerweile hat die Diskussion über mögliche Konzepte für nachhaltige Entwicklung in Deutschland an Breite gewonnen.
Die grundsätzliche Arbeit der Kommission steht im Wettbewerb mit Entwürfen von Nichtregierungsorganisationen und Verbänden. Die internationale Diskussion geht weiter. Nachbarländer haben Konzepte entwickelt. Bundesbehörden - nicht zuletzt das Bundesumweltministerium - und Bundesländer arbeiten ganz konkret an Schritten hin zu einem Konzept der Nachhaltigkeit.
Diese Parallelität kann nur nützen. Ich glaube, sie zeigt auch, daß die Diskussion der letzten fünf Jahre nicht umsonst war. Es ist wie auf der Rennbahn im Stadion: Wenn man alleine seine Runden zieht, dann wird man schnell müde. Wenn noch andere da sind, dann motiviert das; denn man möchte nicht überholt werden. Insofern ist es auch ein Ansporn für die Kommission, daß viele im Wettbewerb mit ihr stehen.
Durch das gleichzeitige Vorangehen hat sich die an die Arbeit der Kommission gerichtete Erwartung natürlich erhöht. Dabei ist uns selbst klargeworden, daß nicht alle Facetten dessen, was im Einsetzungsbeschluß des Deutschen Bundestages steht, von der Kommission auch erfüllt werden kann. Ich glaube dennoch, daß die Kommission ganz wichtige Schritte getan und einige eingeleitet hat, die die Diskussion aller Beteiligten weiter befruchten werden.
Der Zwischenbericht der Enquete-Kommission zeigt deutlich, daß der Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung nicht mit isolierten umweltpolitischen Handlungsoptionen beschritten werden kann. Deshalb war mir einiges von dem, was Frau CaspersMerk gesagt hat, etwas zu stark auf die Umweltseite konzentriert. Vielmehr brauchen wir einen integrativen Ansatz - wir denken, daß wir ihn in der Kommission gefunden haben -, der soziale, ökonomische und ökologische Ziele im Leitbild einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung zusammenführt.
Das ist im übrigen auch das, was die Christlich Demokratische Union bei der Verabschiedung des Grundsatzprogramms unter „ökologische und so-
Erich G. Fritz
ziale Marktwirtschaft" verstanden hat. Deshalb ist es überhaupt nicht erstaunlich, daß die Rede von Herrn Dr. Schäuble neulich, die mit Recht viel zitiert wird, weil es eine gute Rede ist, dies zum Inhalt hatte. Sie trifft den Kernbereich dieser Problematik; aber damit sind wir noch nicht am Ziel dieser Diskussion.
Frau Caspers-Merk, Sie haben die Frage gestellt, warum es eigentlich so schwer ist voranzukommen. Ich glaube, die Antwort ist ganz einfach: Dieser Ansatz verlangt so viel Bereitschaft, sich auf neues Denken einzulassen, daß dies von einer Gesellschaft, die lange Jahre nur darauf konzentriert war, in welcher Zeit etwas besser, in welcher Zeit etwas mehr wird, eine völlige Umstellung des normalen Interessenspiels erfordert. Denn schließlich sind wir weitgehend nach Interessen organisiert. Was wir in der letzten Periode im Zusammenhang mit der chemischen Industrie erlebt haben, macht aber Mut und zeigt, daß dann, wenn man sich bemüht, den Gedanken im Diskurs voranzutreiben, ein Ergebnis herauskommt und die Verantwortlichen sich darauf einlassen, weil sie feststellen: Dies ist ein Weg, auf dem man eine neue Entwicklung in Gang setzen kann.
An manchen Stellen wird die Rolle des Staates noch überschätzt. Ich glaube, auch in diesem Haus gibt es dafür einige Beispiele. Ich sage: Ja, der Staat kann im ökologischen Bereich durchaus verbindliche Ziele setzen. Das hat die Enquete-Kommission beispielhaft in den Bereichen „Böden" sowie „Bauen und Wohnen" aufgezeigt. Wir haben Umweltziele, Umweltqualitätsziele und Umwelthandlungsziele definiert. Ich staune über das Echo auf dieses Bemühen. Das ist ein Baustein, den andere aufgreifen und in Regierungshandeln umsetzen können.
Aber ansonsten muß in der nachhaltigen Entwicklung die Rahmensetzung so erfolgen, wie sich das in der sozialen Marktwirtschaft bewährt hat. Die Steuerung geschieht im ökonomischen und sozialen Bereich, nicht vorwiegend über Gesetze, sondern über den Markt, über persönliche Wertentscheidungen, über staatliche Rahmenbedingungen, ganz entscheidend über Einstellungsveränderungen im gesellschaftlichen Bereich. Dieser Prozeß unterliegt unendlich vielen Einflußfaktoren. Diese sind in einer Kommission gar nicht so leicht zu erfassen.
Deshalb kann nur scheitern, wer jetzt meint, noch so gut gemeinte Pläne, die sich auf die Dekretierung durch den Staat verlassen, seien die Lösung des Problems. Da steckt der Fehler schon im System; denn die jeweils entstehende Tendenz zur Überregulierung liegt ja im System Staat begründet. Deshalb muß eine zukunftsfähige Strategie zur Nachhaltigkeit die privaten Akteure viel stärker im Blick haben als die herkömmliche Umweltpolitik.
Die stärkere Übertragung von Verantwortung auf Private wird aber nur gelingen, wenn man den Mut hat, mehr Vertrauen in die Eigenverantwortung, die Übernahme von Verantwortungsbereitschaft und das Eigeninteresse der privaten und wirtschaftlichen Akteure zu legen. Die Bereitschaft dazu korrespondiert natürlich wieder mit der Frage, wie die Rahmensetzung des Staates erfolgen wird. Wir haben also eine Situation, die geradezu die Steuerungsinstrumente und die Mobilisierung der Bürger im Erhardschen Sinne herausfordert. Vielleicht sollten wir uns das noch einmal anschauen.
Die Arbeit der Enquete-Kommission wird am Ende daran gemessen werden, ob es ihr gelingt, einen offenen, für breite Beteiligung und Mitgestaltung geeigneten Weg für eine Strategie der Nachhaltigkeit in Deutschland zu finden. Auf die Suche gemacht haben sich viele. Das ist gut so. Es muß ein Suchprozeß sein, weil nur dadurch ein Zusammenwirken von staatlichen und privaten Akteuren möglich wird. Wir brauchen in diesem Prozeß den Einsatz der Politik und der Unternehmen, der privaten Organisationen und der Gewerkschaften. Wir müssen den privaten Architekten genauso erreichen wie die privaten Haushalte, die Handwerksmeister, die kleinen Institute, wie die großen Einheiten und Initiativen.
Vor allen Dingen muß der langfristige Vorteil einer Veränderung für jedermann erkennbar werden. Es ist, glaube ich, eine der Schwächen bei unserer Diskussion, daß alle noch denken, da komme etwas Bedrohliches auf sie zu, etwa, was ihnen viel abfordere. Wir müssen viel stärker betonen, welche Chancen auf Dauer für die Entwicklung unserer Gesellschaft in einer solchen Veränderung stecken.
Die Enquete-Kommission muß bis zum Ende der Legislaturperiode nach diesen Erfahrungen vor allem die Gestaltbarkeit dieses noch weitgehend zufälligen, sehr pluralen Prozesses deutlich machen und Grundlagen für die nötigen Rahmenbedingungen erarbeiten. Für den Bereich der Ökologie ist dazu ein gutes Beispiel gelungen; ich habe es gerade schon angeführt.
Ich glaube, daß wir durch die Definition und die Entwicklung eines Rasters für konkrete Umweltziele, Umweltqualitätsziele und Umwelthandlungsziele den Dialog ein ganzes Stück beeinflußt haben, weil wir für Vereinheitlichung sorgen. Es wird an mehr Stellen die gleiche Sprache gesprochen. Das ist ein wichtiger Fortschritt.
Wesentlich schwieriger als die Festlegung von Zielen im ökologischen Bereich ist allerdings die Abwägung mit ökonomischen und sozialen Zielen. In beiden Bereichen hat der Staat nur eingeschränkte Möglichkeiten der Einflußnahme. Die Wertvorstellungen und Ziele entstehen dort viel stärker individuell und sind weniger direkt durch staatliches Handeln zu beeinflussen. Aus diesen Gründen wird die Formulierung entsprechender Ziele in der Kommission nicht einfach sein. Sie ist auch nicht aus sozusagen wissenschaftlich begründeten Vorgaben wie bei Schadstoff- oder Umweltbelastungsgrenzen abzuleiten.
Es kann also nur darum gehen, den Rahmen darzustellen, der mit ökologischen Zielen korreliert oder auch konkurriert, und eine offene Diskussion über die Abwägung zu ermöglichen. Ich glaube, es ist unsere Aufgabe, einmal zu zeigen, daß das überhaupt geht, daß es möglich ist, daß man das nicht dem Zu-
Erich G. Fritz
fall überlassen muß, sondern daß es dafür Prozesse geben kann, die nicht zufällig oder gottgewollt oder was auch immer sind, sondern, für jedermann durchschaubar, zu Ergebnissen führen. Es wird ein wichtiger Lernprozeß für die nötigen Auseinandersetzungen um das Maß ökologischer Zielsetzungen sowie um die Wahl der richtigen Instrumente und den Zeitrahmen sein, in dem die Ziele erreicht werden können.
Wichtiger aber als alle quantitativen Vorgaben ist in diesem Prozeß die Entwicklung von Formen der Beteiligung der Akteure, auf deren freiwilliges und bewußtes Verhalten eine Nachhaltigkeitsstrategie unerläßlich angewiesen ist. Ich glaube, daß nur dann, wenn das gelingt, eines der Papiere, die es bis heute schon gibt, auf Dauer überhaupt eine Wirkung erzeugen wird. Ansonsten wird das alles nur Papier bleiben. Viele der Länder, die wir gesehen haben und mit denen wir gesprochen haben, legen den Verdacht nahe, daß es dabei bleiben soll.
Die Anhörungen der Enquete-Kommission haben gezeigt, daß an vielen Stellen in Deutschland nach Wegen gesucht wird. Unternehmen haben ihre Bemühungen um betriebswirtschaftlich und ökologisch vernünftige Verringerungen des Material- und Energieeinsatzes vorgestellt. Nichtregierungsorganisationen haben ihre Bemühungen um neue Ansätze bei der Nachhaltigkeitsstrategie vorgestellt und werden in Kürze in einer weiteren Anhörung zu Wort kommen. Viele Initiativen im Rahmen der lokalen Agenda 21 arbeiten am gleichen Ziel. Frau CaspersMerk hat zu Recht gesagt, es könnten noch mehr sein. Aber man muß dazu sagen: Unabhängig von der politischen Mehrheit in den jeweiligen Gemeinden haben diese Initiativen ganz unterschiedliche Unterstützung in ihrem kommunalen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umfeld. Nicht überall haben sie solche Startvorteile wie in Bayern, dem Land, in dem man als erstes den Schritt unternommen hat.
Die Bundesregierung unterstützt unsere Arbeit durch die Arbeit des Bundesumweltministeriums. Anregungen sind schrittweise auch schon umgesetzt und weiterentwickelt worden. Die Arbeitsgruppen des Bundesumweltministeriums für „Schritte zu einer nachhaltigen, umweltgerechten Entwicklung" haben bereits im Juni 1997 erste Ergebnisse vorgelegt. Dies ermuntert uns, diesen Weg weiterzugehen. Dies dient auch einer Verbreiterung der Basis.
Aufgabe der Enquete-Kommission ist es, die Zieldefinition über den rein ökologischen Bereich hinaus auch durch Abwägung mit ökonomischen und sozialen Zielen zu konkreten Handlungsoptionen zu entwickeln. Kriterien und Ziele müssen so gefaßt werden, daß sie in einer breiten öffentlichen Diskussion die Bereitschaft zur Veränderung fördern. Die Instrumente, die zum Erreichen so gefundener Ziele eingesetzt werden können, müssen eine vernünftige und akzeptierbare Mischung aus staatlichen Rahmenbedingungen und privaten Veränderungsmöglichkeiten darstellen.
Es geht darum, daß diejenigen, die konkret etwas verändern müssen, auch den Gestaltungsspielraum dafür haben, daß sie ermuntert werden und sehen, daß sich damit auch ihr eigener Vorteil verbinden kann.
Die Erfolge der Umweltpolitik in den vergangenen Jahren haben auch den internationalen Handlungsspielraum ausgeweitet. Ich glaube, daß wir als Deutsche sagen können, daß wir daran maßgeblich beteiligt sind. Wir alle wissen, daß das Modell der Industriestaaten nicht der Maßstab einer nachhaltigen internationalen Entwicklung sein kann und daß wir auf diesem Weg viel Geduld brauchen.
Ich wünsche der Enquete-Kommission für die Bewältigung der großen Aufgaben in den wenigen noch verbleibenden Monaten viel Erfolg.
Herzlichen Dank.