Meine Damen und Herren! Der Reformentwurf, den wir hoffentlich mit großer Mehrheit verabschieden werden - ich werde ihm zustimmen -, ist notwendig, handwerklich gelungen, klug und wirklichkeitsnah und vor allem menschlich.
Er war notwendig. Gestern hat der Vorsitzende des Familiengerichtstages darauf hingewiesen, daß Familienrechtsreformen offensichtlich immer in 20-Jahres-Schritten notwendig sind: 1957 das Gleichstellungsgesetz, 1977 das 1. Eherechtsreformgesetz, 1997 die Kindschaftsrechtsreform. Was wird 2017 sein? Einiges, denke ich, kennen wir bereits, was hoffentlich schon vorher korrigiert werden wird.
Aber es ist eine große Reform. Die Weichenstellungen haben die Vorteile, die ich gerade nannte.
Die Reform ist notwendig, überreif. Die Fachdiskussion schrie seit langer Zeit nach einer großen Reform; der Rechtsvereinheitlichungsbedarf lag auf der Hand. Im übrigen riefen auch internationale Verpflichtungen - sprich: UNO-Kinderrechtskonvention -, aber vor allem eine völlig geänderte Wirklichkeit gegenüber dem 19. Jahrhundert, das das BGB hervorgebracht hat, danach, daß der Gesetzgeber sich neu orientiert.
Der Gesetzentwurf ist handwerklich gelungen; denn er ist weitgehend widerspruchsfrei - ich sage „weitgehend"; es gibt nach wie vor ein paar Probleme -, weil endlich der alte Verfassungsauftrag des Art. 6 Abs. 5 eingelöst wird. Das Wort „nichtehelich", Herr Pofalla, wird es in Zukunft nicht mehr geben.
Das ist ein Vorteil. Denn was ich schon einmal gesagt habe, gilt insbesondere für Kinder. Ehelichkeit und Nichtehelichkeit sind keine Eigenschaften von Kindern, sondern Eigenschaften der Rechtsbeziehung ihrer Eltern.
Das haben wir Gott sei Dank weitgehend durchgesetzt. Weitgehend! Sie machen Vorbehalte beim Erbrecht. Sie kennen den Stichtag. Sie begründen ihn mit dem Vertrauensschutz. Wir werden dazu einen Änderungsantrag stellen, weil ich mir nicht vorstellen kann, daß Menschen vor 1949 nichteheliche Kinder in die Welt gesetzt haben im Vertrauen darauf, daß sie nicht erben. Diese Vorstellung ist eher eine Karikatur.
Die Reform ist überreif. Sie ist im Ergebnis Gott sei Dank gescheit und wirklichkeitsnah.
Gestern hat Jutta Limbach in einem sehr bemerkenswerten Vortrag über richtiges Recht im Familienrecht dargelegt, daß das Recht in der Familie jedenfalls nicht die Herzen der Menschen bewegt. Vielmehr ist allenfalls Minderung von Schaden gemeint, wenn wir vom Wohl des Kindes sprechen. Daß sich das Recht zurücknimmt, zumindest in den Fällen, in denen keine Konflikte vorhanden sind - wir wissen, das sind die meisten, jedenfalls auch im Scheidungs- und Trennungsfall im Verhältnis zu Kindern -, ist eine gute Sache.
Das. Recht ist wirklichkeitsnah, weil es auf diesen Punkt endlich Rücksicht nimmt: daß wir Menschen nicht in eine Problemlage bringen müssen, die sie gar nicht empfinden. Antragsteller - Antragsgegnerin, Antragsgegner - Antragstellerin: Wir machen Eltern zu Parteien, die sie ohne das Recht und seine Rechtskonstruktionen gegenwärtig gar nicht wären.
Wir haben in diesem Bereich ein Recht, über das Jürgen Schmude, als wir das erste Mal über die Kindschaftsrechtsreform der SPD sprachen, sagte - sehr nachdenkenswert -: Es ist eine weiche Materie mit einem harten Kern. Denn dieses Recht ist emotions-besetzt, auf allen Seiten von Verlustängsten umgeben.
Das Recht kann, wie ich sagte, die Herzen der Menschen nicht ändern. Wo Konflikte sind, wird das Recht allenfalls Konflikte managen und Schärfen mindern helfen. Es wird aber nicht Konflikte beseitigen. Darauf muß es Rücksicht nehmen. Es muß so angelegt sein, daß es nicht von falschen Grundannahmen ausgeht, die in der Wirklichkeit längst widerlegt sind. Ich will ein paar nennen.
Daß zwischen nichtehelichen und ehelichen Kindern unterschieden wird, hat zum Hintergrund eine Vorstellung, die das 19. Jahrhundert noch kannte, die aber durch die Wirklichkeit widerlegt wird, nämlich: In der Ehe geht es Kindern gut, außerhalb der Ehe herrscht Chaos und Verderbnis. Die nichteheliche Mutter ist inkompetent und verantwortungslos. Dasselbe gilt a priori auch für Eltern, die die Unverschämtheit besitzen, sich scheiden lassen zu wollen, obgleich ihre Kinder noch minderjährig sind. - Das ist noch heute eine weit verbreitete Vorstellung.
Aber die Wirklichkeit widerlegt sie. Es gibt kompetente nichteheliche Mütter zuhauf. Es gibt auch Eltern, die nach, in oder sogar durch die Scheidung das Wohl ihrer Kinder bewirken wollen. Es ist nicht so, daß Kinder von Alleinerziehenden grundsätzlich kriminell und drogensüchtig werden. Es ist einfach nicht so, und das Recht hat sich von dieser Annahme zu trennen.
Das Recht hat bisher auch die Vorstellung, in der Ehe herrsche Harmonie und dort, wo Streit sei, sei alles zu Ende. Dies trifft nicht zu. In Ehen wird gestritten, daß es nur so rauscht. Und nach Beendigung ei-
Margot von Renesse
ner Ehe oder ohne Ehe herrscht immer auch wieder Einverständnis. Das Aus- und Einatmen von menschlicher Nähe, von Konflikt, Einverständnis, Spannung und ihrer Lösung ist die Wirklichkeit des Lebens, von der die Familie ein Teil ist. Sich von der Einstellung zu trennen, daß, wo Streit sei, alles zu Ende sei, war hochangebracht.
Ich kenne auch heute noch die Vorstellungen, die Leute haben, die glauben, sie wüßten, was das ist: Scheidung. Sie wollen nicht zur Kenntnis nehmen, daß jeder Fall ein Einzelfall ist - nach dem Motto: Scheidung ist doch, wenn ... - Dummes Zeug!
13 Jahre Tätigkeit als Familienrichterin haben mich gelehrt - als ich jung war, sah auch ich alles ganz anders -, jeden Fall als Einzelfall zu sehen
und vor allem jedes Kind, das mir begegnet, als das Wichtigste auf der Welt zu sehen, als ein Kind, das mein eigenes sein könnte.
Dem muß das Gesetz entsprechen. Das tut es nun weitgehend; ich mache sofort diesen Vorbehalt.
Das Gesetz ist auch menschlich; denn es stellt vor allem die Perspektive des Kindes in den Mittelpunkt. Das kann man schon daran erkennen, daß das Kind mehr Ansprüche hat als je zuvor - wenn auch nicht so viele, wie wir gerne gehabt hätten.
Das Kind hat ein Besuchsrecht, was vor allem ein Signal für Gerichte ist, die es gewöhnt sind, wie der Engel mit dem Flammenschwert vor den Rechten und Entwicklungsinteressen der Kinder zu stehen, aber das Besuchsrecht des getrennt lebenden Elternteils als ein mehr oder minder störendes Restrecht ansehen.
Hier ist das Gesetz wieder menschlich, indem es nicht darauf setzt, daß eine Vollstreckung mit Gerichtsvollzieher, eine Vollstreckung sogar unter strafrechtlichem Druck eventuell die Beziehungspflege ermöglicht, die so nie gelingen und vor allem im Interesse des Kindes so nicht gelingen könnte.
Ich habe erlebt, wie ein Vater seine halbwüchsigen drei Kinder, weil er meinte, es stehe ihm zu, mit dem Gerichtsvollzieher zum Weihnachtenfeiern holen wollte. Anschließend sagte er, er werde sich übet mich beim Landgerichtspräsidenten beschweren, weil ich dazu nicht bereit war.
Solche Vorstellungen gehören zum digitalen Denken, das viele Juristen, aber auch viele Männer haben, das heißt: Ein Gesetz ist nichts wert, wenn es nicht vollstreckbar ist.
Das stimmt nicht. Wir haben in diesem Gesetz ein umfangreiches Verfahren vorgesehen, in dem Sozialinterventionen, Hilfe und Beratung an der vordersten Stelle stehen. Hier hat das Kind erstmalig im Kinder- und Jugendhilferecht einen eigenen Anspruch auf
Beziehungskontinuität und auf Beratung durch das Jugendamt, den das KJHG vorher nicht kannte. Ich halte es für einen Rubikon, der hier überschritten worden ist.
Sie waren damit einverstanden, daß der Verhandlungsverbund, wie wir ihn in unserem Reformentwurf entwickelt hatten, fast so wie wir ihn gemeint haben, in das Gesetz kommt. Herr Pofalla, hier darf ich unseren Änderungsantrag erklären. Es ist nicht so, daß er vorsieht, die gemeinsame Sorge zu konditionieren. Keineswegs! Wir hätten vielmehr im Gesetz gern einen deutlichen Appell daran gehabt, damit die Eltern in den Bereichen, die konfliktträchtig sein könnten, nicht in eine Situation hineinschlittern, die sie nicht übersehen.
Das ist uns nach wie vor so wichtig, daß wir sicherstellen wollen, daß der Richter diese Punkte anspricht. Wir haben nun die richterliche Anhörungs- und Belehrungspflicht, wie wir sie vorgeschlagen haben, aber ohne die Drei-Felder-Wirtschaft, die wir gern gehabt hätten. Sie haben dies als Sorgeplan bezeichnet, den auch ich nicht möchte, den ich für unmöglich halte. Denn ich kenne Eltern, Herr Pofalla, die das wollen - ich sage Ihnen: man könnte sie mit einem nassen Lappen erschlagen -,
die schon von einem dreijährigen Kind wissen, welchen Berufswunsch es später einmal haben wird. Als Richter müssen wir wissen, daß die Eltern dann, wenn sie aus der Tür gehen, nicht als erstes streiten.
Ich möchte noch etwas zur Gewalt sagen. Herr Pofalla, ich weiß nicht, ob die Situation durch unseren Kompromiß nicht schlimmer wird als vorher. Wir haben die Strafbarkeitsschwelle gesenkt. Jetzt ist in der Familie alles strafbar, was auch außerhalb der Familie strafbar ist. Ob dies den Kindern dient und ob die Rechtshygiene nicht durch eine Vielzahl von Verfahrenseinstellungen wieder schwer beschädigt wird, ist die Frage. Wir hätten gern eine Grundsatznorm über Erziehungsstil gehabt. Dort hätte es hingehört und gehört es nach wie vor hin, am besten ins Grundgesetz.
Wir werden uns deshalb mit Ihnen weiter politisch über diese Frage auseinandersetzen. Das müssen wir im Interesse einer Rechtshygiene gegenüber Kindern weit über die Familien hinaus tun. Kinder sind keine Gegenstände, Kinder sind Menschen mit eigenen Grundrechten. Der Respekt vor Kindern gehört zur allgemeinen gesellschaftlichen Verantwortung für Kinder wie auch zur elterlichen Verantwortung.
Zum Schluß möchte ich Ihnen, Herr Pofalla, und den von Ihnen genannten Kolleginnen und Kollegen für ein tolles Stück streitiger Zusammenarbeit danken, wie man es schöner gar nicht haben kann - bei aller Härte der Auseinandersetzungen -, und für ein
Margot von Renesse
insgesamt gleichwohl gelungenes Stück Recht, das auch der Familiengerichtstag sehr gelobt hat.
Ich möchte aber auch den Müttern und Vätern danken, die es - wie wir immer wieder erleben können - aus einem ganz einfachen Grund fertigbringen, Großherzigkeit und Verzeihungsbereitschaft an den Tag zu legen, nämlich weil sie in aller Regel ihre Kinder lieben. Bei der Härte der Auseinandersetzungen zwischen den Verbänden habe ich manchmal gedacht: Verbände haben leider keine Kinder. Der Machtkampf wird abstrakt, er wird zum Machtkampf zwischen Mann und Frau, und das Kind verliert sein Gewicht. - Schade.
Im Ergebnis haben wir auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem BMJ zu danken. Herr Minister, es muß eine Freude sein, ein Ministerium mit solchen Mitarbeitern zu führen. Ich hoffe, daß wir diese Freude bald mit Ihnen teilen können bzw. daß wir sie übernehmen.
Ein Wort noch zur Verfahrenspflegschaft. Die Justizminister der Länder haben große Sorgen, daß die Kosten, die durch die Wahrnehmung dieses Rechts entstehen können, alles bisherige sprengen werden. Ich denke, Herr Pofalla, wir sind uns darüber einig, daß wir gerade durch die Herausnahme der richterlichen Anhörung des Kindes dort, wo es nicht hingehört, deutlich machen wollten, daß es nicht dem Wohl des Kindes dient, in dem Prozeß seiner Eltern eine Parteirolle übernehmen zu müssen.
Es gibt aber Einzelfälle, in denen niemand die Interessen der Kinder verfolgt. Das Kind ist aber kein Gegenstand, sondern ein Mensch mit eigenen Rechten. Das muß im Gesetz zum Ausdruck kommen. Ich denke, wir haben mit diesem Gesetz keine Menschen verändert. Aber wenn es uns gelingt, in einigen Fällen Tränen zu trocknen, ist es gut.
Mein Dank geht an die Koalition, daß Sie in vielen Fällen so weit über Ihren Schatten gesprungen sind!
Danke.