Rede von
Friedrich
Merz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn noch einmal auf die Debatte vom vergangenen Mittwoch und hier insbesondere auf die Rede des saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine zurückkommen. Herr Lafontaine hat von dieser Stelle aus einzelne Kollegen von uns im Laufe seiner Rede als „Schnösel" bezeichnet.
Dies reiht sich ein in eine Vielzahl von abwertenden und persönlich herabsetzenden Reden, die der Ministerpräsident des Saarlandes, der hier im Hause leider nicht der Ordnungsgewalt des amtierenden Präsidenten unterliegt, in den letzten Wochen - wir erinnern uns - innerhalb und außerhalb des Bundestages gehalten hat.
Ich will Ihnen, meine Damen und Herren, ganz offen und ehrlich sagen, was ich von solchen Bemerkungen und solchen Reden von diesem Pult aus halte.
Diese herabwürdigenden Reden über das Parlament und seine Abgeordneten haben in Deutschland schon einmal eine Demokratie zerstört.
Ich will auf eine Bemerkung zurückkommen, die Frau Matthäus-Maier am letzten Dienstag, auch von dieser Stelle aus, gemacht hat, die sie in letzter Zeit häufig wiederholt und die sich - wie ich das selber, auch in Versammlungen in meinem Wahlkreis, erfahren habe - bei den Menschen festsetzt. Frau Matthäus-Maier, Sie haben wiederholt die Behauptung aufgestellt, daß es unter dieser Regierung nach wie
vor möglich sei, Schmiergelder steuerlich abzusetzen.
Ich will an dieser Stelle folgendes feststellen: Seit dem 1. Januar 1996 sind durch Änderungen im Jahressteuergesetz 1996 in Anknüpfung an das Strafrecht in der Bundesrepublik Deutschland Betriebsausgaben, die als Schmiergelder gezahlt werden, nicht mehr steuerlich abzugsfähig.
Innerhalb der Europäischen Union gilt seit dem 26. Mai 1997, also seit wenigen Wochen, ein sogenanntes Bestechungsübereinkommen, das alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union unterzeichnet und in Kraft gesetzt haben.
Auch innerhalb der Europäischen Union sind Bestechungsgelder nicht mehr steuerlich abzugsfähig.
Innerhalb der OECD, innerhalb der G 7 und innerhalb der UNO wird auf Betreiben der Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland an Konventionen gearbeitet, um auch im internationalen Bereich solche Vorgänge in Zukunft zu unterbinden.
. Frau Matthäus-Maier, ich habe die herzliche Bitte, daß Sie solche wahrheitswidrigen Behauptungen, die einen Kern an Unzufriedenheit und einen Sozialneid in die Bundesrepublik Deutschland hineintragen, von dieser Stelle aus nicht wiederholen.
Es gibt einen weiteren bemerkenswerten Vorgang dieser Haushaltswoche, der wahrscheinlich in der SPD länger in Erinnerung bleiben wird als in der deutschen Öffentlichkeit. Ich will trotzdem darauf zurückkommen: Ebenfalls vor zwei Tagen hat ein weiterer bedeutender Ministerpräsident der SPD ein Thesenpapier vorgestellt.
- Es scheint Sie hochgradig nervös zu machen,
daß der Ministerpräsident von Niedersachsen ein Thesenpapier zur wirtschaftlichen Erneuerung in Deutschland veröffentlicht hat. Diese Reaktion ist interessant.
Ich habe das nicht nur in den Zeitungen nachgelesen, sondern ich habe den Text selbst gelesen. Er ist überschrieben mit „Thesenpapier des wirtschaftspolitischen Diskussionskreises von Ministerpräsident Gerhard Schröder"; die SPD kommt darin überhaupt nicht vor. Die erstaunte Öffentlichkeit stellt fest: Dieses Thesenpapier wird nicht etwa in Hannover, wo Herr Schröder seinem Amt nachzugehen hätte, oder in Bonn, wo die Haushaltsdebatte und die General-
Friedrich Merz
abrechnung der Opposition mit der Regierung stattfinden, vorgetragen. Nein, es wird an einem Ort vorgetragen, wo es die SPD der Bundesrepublik Deutschland fast gar nicht mehr gibt: nämlich in Sachsen, in Dresden. Ich empfehle, der nächste Ort sollte München sein. Da sind die Verhältnisse für die SPD ähnlich.
Dieses Programm ist deswegen so interessant, weil es nicht nur vom Ort der Vorstellung, sondern auch von seinem Inhalt her Aufmerksamkeit verdient, und zwar deshalb, weil es sich in einen offenen Widerspruch zu dem setzt, was der Parteivorsitzende der SPD am selben Tag, fast zur selben Stunde, von diesem Pult aus behauptet.
Ich will Ihnen zwei Beispiele vortragen. Der Ministerpräsident des Saarlands, SPD-Parteivorsitzende und Mitkanzlerkandidat der Opposition spricht von dieser Stelle:
Die Reichen in Deutschland werden immer reicher und die Armen immer ärmer.
An dieser Stelle kommt Beifall von Ihnen; das dürfen Sie nicht vergessen.
Am selben Tag schreibt der niedersächsische Ministerpräsident und Mitkanzlerkandidat Schröder in Dresden:
Auf der anderen Seite sind wir bei uns mit der auf Ludwig Erhard zurückgehenden und von Karl Schiller weiterentwickelten Sozialen Marktwirtschaft jahrzehntelang nicht schlecht gefahren, die soziale Sicherung ist relativ intakt.
Was stimmt denn nun eigentlich? Welche Beschreibung dieses Landes hätten Sie denn gerne?
Der Ministerpräsident des Saarlandes spricht von dieser Stelle aus zum wiederholten Mal von der Stärkung der Massenkaufkraft, die in Deutschland notwendig sei. In dem Papier von Schröder kommt über das Thema Massenkaufkraft überhaupt nichts vor. Er schreibt statt dessen:
Der Wirtschaftsstandort Deutschland braucht dringend Kapital zur Produktivitätssteigerung.
„Kapital" ist ein Ausdruck, der in Ihren Reihen mittlerweile mit einem hohen Tabu belegt ist. Schröder fährt fort:
Privates Kapital aber meidet seit Jahren Deutschland als Investitionsstandort, weil hier die nominalen Steuersätze im europäischen Vergleich nicht wettbewerbsfähig sind.
Die ausländischen Investitionen in Deutschland sind inzwischen auf einen historischen Tiefstand gesunken. Diese Hindernisse müssen wir beseitigen.
Meine Damen und Herren, wir fordern den Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen auf, an der Politik nicht nur in Dresden beschreibend teilzunehmen, sondern in Bonn aktiv mitzuwirken und die Steuerreform und andere Reformvorhaben mit uns zu verabschieden.
Ich frage mich manchmal, Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Bundestagsfraktion, ob Sie eigentlich diese Doppelstrategie bewußt nach draußen tragen, ob Sie das bewußt als eine Mißachtung der Parteilinie hinnehmen oder ob Sie selbst Opfer dieser Strategie sind, die in Ihrer eigenen Partei offensichtlich gefahren wird.
Allerdings werden Sie eines Tages, wenn Sie wieder Regierungsverantwortung in Bonn übernehmen wollen, schon Fragen beantworten müssen. Ich frage Sie: Glauben Sie eigentlich, daß die Menschen in unserem Land aus einer doch ganz verständlichen Veränderungsangst heraus denen vertrauen, die ihnen wahrheitswidrig einreden, in Deutschland könne alles so bleiben, wie es ist?
Wenn Ihnen das dann gelingen sollte, wie wollen Sie im nächsten Jahr eigentlich regieren, wenn Sie nach der Wahl das Gegenteil von dem erklären müßten, was Sie heute noch sagen?
Meine Damen und Herren, ich möchte auf einen letzten Aspekt zu sprechen kommen, der eine grundlegende politische Entscheidung in Deutschland und in Europa betrifft, die im nächsten Jahr ansteht, nämlich die Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion und die Einführung des Euro. Auch die SPD- Bundestagsfraktion hat dem Vertrag von Maastricht fast einstimmig zugestimmt. Auffallend ist, daß alle Ihre Spitzenredner in der Debatte, die über den Haushalt 1998 stattfindet, zu diesem Thema praktisch nichts zu sagen gehabt haben.
Wenn diese Entscheidung im Mai 1998 getroffen wird, dürfen wir doch damit nicht verbinden, daß dies automatisch in Deutschland mit einer Verbesserung der Investitionsbedingungen und mit einer Zunahme an Arbeitsplätzen verbunden ist. Die Wirtschafts- und Währungsunion ist ein Modernisierungsprogramm für Europa. Die Frage ist nur, ob die Arbeitsplätze, die wir uns davon versprechen, auch in Deutschland entstehen können. Wenn wir diese Wirtschafts- und Währungsunion am 1. Januar 1999 eingehen, dann wird dies bedeuten, daß die realwirtschaftlichen Herausforderungen für die teilnehmenden Volkswirtschaften viel schärfer werden, als sie es gegenwärtig in unterschiedlichen Währungsgebieten noch sind. Deswegen müssen wir die Entscheidung über den Euro in einen Gesamtzusammenhang
Friedrich Merz
mit den notwendigen Reformen stellen, die in Deutschland gemacht werden müssen.
Herr Poß, weil Sie noch einmal die Steuerbasis angesprochen haben, möchte ich Ihnen sagen: Die wegbrechende Steuerbasis macht auch uns Sorgen. Deswegen gibt es den Vorschlag, die Bemessungsgrundlage im Rahmen der Steuerreform zu verbreitern, um die Stetigkeit der Steuereinnahmen wiederherzustellen. Ich will Ihnen aber auch sagen, damit kein falscher Eindruck in der Öffentlichkeit entsteht: Wir sind bereit, Kompromisse zu machen, und zwischen Bundestag und Bundesrat muß es auch Kompromißfähigkeit geben. Nur sind wir nicht bereit, eine Art Minireform zu machen, die nichts bewirkt,
die in der Öffentlichkeit den falschen Eindruck erweckt, man könne dieses Problem mit Trippelschritten lösen.
Wir sagen ja zu einer grundlegenden Steuerreform, wie wir sie in der Koalition im letzten Jahr entwickelt haben.
Wenn wir uns schrittweise dem richtigen Ziel nähern, sind wir zu Kompromissen bereit.
Wenn wir aber mit Ihnen Schritte in die falsche Richtung machen sollen, meine Damen und Herren, dann sind wir zu einer solchen Steuerreform nicht bereit. Dann werden wir im Wahljahr 1998 über dieses Thema öffentlich streiten müssen.
Vielen Dank.