Lieber Kollege, Sie wissen doch, daß im Frühjahr 1998 über die Teilnahme an der Währungsunion entschieden wird. Selbstverständlich wird man bei der Gesamteinschätzung dann auch auf die 1998er Haushalte sehen. Sie basteln jetzt einen schönen Haushalt, weil Sie im Frühjahr 1998 noch nicht nachweisen müssen, ob Sie das wirklich einhalten können, was Sie hier an „Schönheiten" hineingeschrieben haben.
Ihre Kurzatmigkeit kommt nicht von ungefähr. Sie ist Folge der chronischen Verspätung dieser Regierung. Zu spät denkt Herr Rüttgers über eine Bevorzugung ausbildender Betriebe nach. Zu spät wird Herrn Kohl klar, daß Überstunden Arbeitsplätze kosten, aber die Konsequenzen hat er bis heute nicht gezogen. Zu spät gibt Herr Blüm zu, daß die Renten nicht mehr sicher sind, und zu spät holt Herr Waigel das Bareis-Gutachten aus der Tiefe seines Papierkorbs hervor.
Ja, Herr Finanzminister, Ihre Finanzpolitik hat eine gewisse Symmetrie, das muß ich zugeben, allerdings nicht in dem Sinne, wie Sie es hier vorbeten. Ihre Finanzpolitik sorgt dafür, daß die Einnahmen sinken und die Verschuldung steigt. Das aber ist genau das,
Kristin Heyne
was eintritt, wenn eine Regierung zu lange nicht handelt.
Diese Regierung hat die nötigen Reformen verschleppt. Die Steuerreform muß endlich kommen, und zwar noch in diesem Jahr.
Das Gerede über und das Gefeilsche um die Nettoentlastung - Herr Westerwelle, hören Sie mir jetzt zu - müssen endlich aufhören. Herr Schäuble hat eine gewisse Beweglichkeit signalisiert. Ich bin gespannt, ob Sie ihm in Ihrer Rede zustimmen werden oder ob Sie, wie das in der Koalition üblich ist, doch wieder einmal in die andere Richtung ziehen werden.
Das Steueraufkommen ist im übrigen nicht das Problem; es liegt ziemlich gut im europäischen Mittel. Nur, Sie werden nicht mit weniger Steuern auskommen; das beweist dieser Haushalt dramatisch. Was Sie bei den Steuern einsparen, werden Sie sich an anderer Stelle zurückholen. Das bedeutet weitere Sozialkürzungen und eine erhöhte Mehrwertsteuer. In beiden Fällen treffen Sie überwiegend die Falschen, nämlich diejenigen, die eigentlich nichts mehr herzugeben haben. Ich weiß, daß das der F.D.P. mit ihrer Politik des neuen Egoismus egal ist, aber die Union muß sich endlich einmal fragen, was das C in ihrem Namen zu bedeuten hat.
Wir haben eine Situation, in der selbst die Wirtschaft bereit ist, auf die Nettoentlastung zu verzichten, wenn Sie denn nur endlich mit Ihrer Reform zu Potte kämen. Alfons Kühn, Leiter der Abteilung Steuern beim DIHT, Herr Solms, hat die Nettoentlastung ein Trostpflaster für die Lohnempfänger genannt -ein Trostpflaster soll meistens nur etwas kaschieren -, um die Streichung bei den Steuervergünstigungen auszugleichen. Wenn nicht einmal mehr der DIHT die Nettoentlastung fordert, Herr Westerwelle, für wen stehen Sie dann eigentlich noch?
- Sie stehen nicht für die Bürger und nicht für die Wirtschaft. Sie stehen für eine Partei, die nur noch um den Macht- und Selbsterhalt kämpft.
Die in dem Festhalten an einer Nettoentlastung begründete selbstgezimmerte Blockade müssen Sie endlich aufgeben. Lassen Sie uns das Problem der Steuergerechtigkeit angehen! Das Problem liegt in der ungleichen Steuerbelastung, nicht in dem Steueraufkommen an sich.
Herr Kühn vom DIHT verbindet mit einer Absenkung der Steuersätze - explizit auch ohne Nettoentlastung - die Erwartung, daß mehr Investitionen und Arbeitsplätze geschaffen werden. Zugleich bringe die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage Steuervereinfachung und Steuergerechtigkeit. - Beenden Sie den Tanz um die Nettoentlastung, fangen Sie an, konstruktiv zu verhandeln - und bitte nicht nur über ein Reförmchen!
Gestern ging über den Ticker - heute war es in der Presse zu lesen -, daß es um eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage im Volumen von 25 Milliarden DM gehen soll. Mit diesem Reförmchen wird man Arbeitsplätze und Neuinvestitionen nicht schaffen. Meine Fraktion hat in Anlehnung an die Bareis-Vorschläge ein durchgerechnetes Steuermodell vorgelegt. Nach diesem Modell würde sich das Aufkommen durch die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage um 100 Milliarden DM erhöhen. Im gleichen Umfang könnten die Steuersätze gesenkt werden.
Die haarsträubende Mauschelei, die man in diesem Haushalt findet, macht überdeutlich, daß eine Steuerentlastung zur Zeit nicht zu finanzieren ist. Bezeichnenderweise haben Sie in Ihrer mittelfristigen Finanzplanung weder die Rentenreform noch die Steuerreform noch die Senkung des Soli-Zuschlages vorgesehen. Offenbar trauen auch Sie Ihren Vorschlägen nicht.
Ich fordere Sie auf, meine Damen und Herren von der Koalition - und zwar alle drei Flügel -, bringen Sie wenigstens diese eine dringend benötigte Reform auf den Weg, stopfen Sie Steuerlöcher, senken Sie die Tarife!
Noch eine kleine Anmerkung zu den Steuerideen der SPD.
Angesichts der fahrlässig unterfinanzierten Reformvorschläge der Koalition kann man - das sehe auch ich so - von Blockadehaltung der SPD nicht sprechen.
- Moment! - Allerdings: Von Zögerlichkeit - oder um ein bißchen deutlicher zu werden: von Feigheit - kann man schon sprechen angesichts der Tatsache, daß die SPD eine sehr umfängliche und vor allem umweltschädliche Subvention, die Kilometerpauschale, überhaupt nicht antasten will.
Hier bleibt die SPD hinter der Koalition zurück, die immerhin bereit ist, die Kilometerpauschale in eine Entfernungspauschale umzuwandeln, die nicht mehr einseitig das Auto begünstigt.
Kristin Heyne
Auch das Ehegattensplitting, das für Besserverdienende eine Begünstigung in Höhe von Zigtausenden Mark bietet - egal, ob sie Kinder haben oder nicht -, wird von der SPD nicht angetastet.
- In Ihren Steuervorschlägen kommt das nicht vor. Sie haben ein bezeichnendes Fallbeispiel vorgestellt, das einer alleinerziehenden Person, einer Bankangestellten, die jährlich 93 000 DM verdient - wahrlich die klassische Situation der Alleinerziehenden!
Entschlossene Zukunftsgestaltung kann ich in der SPD-Steuerpolitik nicht erkennen, übrigens ebensowenig bei dem Landesfürsten, der diese Politik im Bundesrat vertritt. Der hat im gediegenen Rathaus zwischen Gobelin und Kronleuchtern offensichtlich soviel Patina angesetzt, daß er die Wirklichkeit des Jahres 1997 überhaupt nicht mehr zu spüren bekommt.
Die Wirklichkeit von sich selbst überlassenen Kindern und Jugendlichen, deren Eltern eben nicht 93 000 DM im Jahr verdienen, würde verbessert durch einen Hortplatz oder durch ein Jugendzentrum im Neubaugebiet, aber ganz sicherlich nicht durch geschlossene Heime.
Aber zurück zur Koalition der chronischen Verspätung: Die dramatischen Einbrüche bei den Steuereinnahmen dieses Jahres sind nicht nur Folge des Steuerdschungels, sie sind wesentlich auch Folge verschleppter Steuerharmonisierung in Europa. Schon seit Jahren fordert die EU-Kommission die Harmonisierung der Unternehmenssteuern in der Gemeinschaft. Viel zu spät und inkonsequent reagiert der Finanzminister. Angeblich verteidigen Sie, Herr Waigel, nationale Steuerhoheit. Tatsächlich aber verbuchen wir einen enormen Steuerausfall durch die Verlagerung von Finanzbeständen, Firmensitzen oder Firmenteilen in andere EU-Länder. Der EU- Steuerkommissar Monti hat auch in dieser Woche wieder davor gewarnt, daß die Steuerkonkurrenz den Abbau der Haushaltsdefizite in der EU bedrohe und Schattenwirtschaft, Steuerflucht und Steuerbetrug begünstige.
Mit dem jetzt von Ihnen geforderten Verhaltenskodex gegen unfairen Steuerwettbewerb werden Sie die Steuerausfälle - die gehen in die zig Milliarden - nicht verhindern können. Sie planen ein Gentleman's Agreement ohne rechtsverbindlichen Biß. Einen objektiven Maßstab dafür, wann die nationale Steuerpolitik zum Dumping wird, gibt es aber nicht. Ein bißchen Wettbewerb wird sich nicht realisieren lassen. Wir brauchen deshalb auf EU-Ebene einen effektiven Mindeststeuersatz - dieser ist übrigens nicht mit Lafontaines Mindeststeuer zu verwechseln - für die Kapitalerträge wie auch für die Unternehmensbesteuerung.
Im Haushalt bündelt sich die Politik einer Regierung. Es ist daher nicht verwunderlich, daß es der Finanzminister ist, dem als erstem in dieser Regierung
die Puste ausgeht. Die - wenn auch unfreiwillige - Ehrlichkeit, mit der dieser Finanzminister zugegeben hat, daß er nicht mehr mag, macht ihn fast schon wieder sympathisch. Ehrlichkeit ist selten in diesem Geschäft. Aber jetzt, Herr Waigel, wo die Wahrheit auf dem Tisch liegt, sollten Sie sich auch danach richten. In der Psychologie nennt man das Phänomen der Amtsmüdigkeit Burnout. Dieser Finanzminister - und mit ihm diese Regierung - ist ausgebrannt. Sie haben kein Feuer mehr, Sie haben keinen Atem mehr.
In der Debatte dieser Woche konnte man die typischen Verhaltensweisen einer Regierung, die ans Ende gelangt ist, erleben: Man versicherte sich gegenseitig der erbrachten Leistung. Das klang teilweise wie ein Nachruf. Kollege Riedl hat das gegenüber dem Kollegen Weng eben noch einmal vorgeführt. Die Schuld für unübersehbare Mißstände wurde bei anderen gesucht: bei der - angeblich - blockierenden Opposition oder - schlimmer noch - bei denen, die unter den Versäumnissen dieser Regierung am meisten zu leiden haben.
So fiel in der Debatte dieser Woche das böse Wort von Sozialschnorrern. Ihre Regierung hat es zugelassen, daß wir über 7 Millionen Arbeitslose haben. Da wagen Sie es, sich hier hinzustellen und von Sozialschnorrern zu reden!
Übrigens hat das keinen Ordnungsruf vom Präsidenten eingebracht. Wenn hier jemand „Scheiße", da wo es angebracht ist, sagt, dann gibt es einen Ordnungsruf. „Sozialschnorrer" darf man in diesem Hause sagen; das wird dann hinterher dezent aus dem Protokoll gestrichen.
Diese Regierung ist nicht mehr willens und nicht mehr in der Lage, die Folgen ihrer Politik zu verantworten. Sie ist ausgebrannt, atemlos und chronisch verspätet. Den Erfordernissen einer Bundesrepublik und einer Europäischen Union im Jahr 2000 kann diese Regierung nicht mehr gerecht werden.
Der Haushalt 1998 ist ein Abbild dieser Regierung. Er verschiebt Lasten in die Zukunft, er ist unseriös, er ist unfähig, Zukunft zu gestalten. Ziehen Sie diesen Haushalt zurück und geben Sie den Weg frei für eine andere Regierung!