Rede von
Kristin
Heyne
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Jacoby, es ist bezeichnend, wenn Sie als Haushälter in der Haushaltswoche reden und zu dem konkret vorliegenden Haushaltsplan nicht ein Wort verlieren.
Ich kann verstehen, daß es eine unangenehme Situation ist, dieses Machwerk hier verteidigen zu müssen. Ich glaube, daß das den Stolz jedes Haushäiters ein bißchen ankratzt.
Dieser Haushalt ist ein Dokument der Kurzatmigkeit, nicht nur der Kurzatmigkeit des amtsmüden Finanzministers, sondern auch der Kurzatmigkeit dieser Regierung. Mit kaum noch zu überbietender Akribie werden die letzten Ecken ausgekehrt. Kollege Jacoby, da geht es nicht nur um Privatisierungen, sondern in vielen Fällen auch darum, Verschuldung zu verstecken.
Nehmen wir zum Beispiel die Selbstbewirtschaftungsmittel der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung. Dies ist ein Fonds, der dazu dient, die Zuschüsse an die Landwirtschaft vorzufinanzieren. Dieser Fonds wird im Jahr 1998 aufgelöst werden. Das heißt, daß in den 98er Haushalt einmalig ein Betrag von 1,138 Milliarden DM fließt, was aber
Kristin Heyne
zur Folge hat, daß in den nächsten Jahren in jedem Jahr Kredite aufgenommen werden müssen, um diese EU-Gelder zwischenzufinanzieren. Bei einem Zinssatz von 5 Prozent werden das jedes Jahr ungefähr 57 Millionen DM sein.
Zum Vergleich eine Zahl: Für den gesamten Bereich der Aidsbekämpfung sind in diesem Jahr 18 Millionen DM vorgesehen, also rund ein Drittel des Betrages, der in Zukunft allein für diese eine haushaltskosmetische Operation anfallen wird.
Dieser Haushalt ist gespickt mit kurzfristigen Einsparungen zu Lasten späterer Haushalte. Eine besondere Dreistigkeit möchte ich hier noch mal benennen. Sie gehört wieder einmal in den Bereich des Verkehrsministers. Der Finanzbericht 1998 vermerkt dazu:
Mit einem Verzicht auf die Rückführung des Schuldenstandes beim Bundeseisenbahnvermögen in den Jahren 1998 bis 2000
- man höre jetzt gut zu -
leistet der Verkehrsbereich einen Beitrag zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes, ohne daß die Investitionsplafonds berührt werden.
Hier wird von Konsolidierung gesprochen. Ich finde, es ist eine ziemliche Frechheit, von Konsolidierung zu sprechen, wenn man die Tilgung einstellt.
Stellen Sie sich doch mal einen kleinen Unternehmer vor, der zu seiner Bank geht und sagt: So, ich werde mein Unternehmen jetzt konsolidieren, indem ich die Schulden ab sofort nicht mehr tilge.
Wenn der nicht mindestens mit 1000 Arbeitslosen drohen kann, dann geht er still und leise in Konkurs.
Ein Konkursverfahren für Staaten gibt es bekanntermaßen nicht. Hier können die Regierungen nur abgewählt werden. Spätestens im nächsten Jahr wird es wohl soweit sein. Aber die Konkursmasse bleibt. Die muß von der nachfolgenden Regierung bewältigt werden.
Die Schuldenverschiebungsaktivitäten in diesem Haushalt sind natürlich im Zusammenhang mit den Neuverschuldungskriterien für die Europäische Währungsunion zu sehen. Mit der ausgesetzten Tilgung der Bahnschulden und dem Auflösen des Selbstbewirtschaftungsfonds wird es diesem Finanzminister gelingen, das Neuverschuldungskriterium um etwa ein Zehntel Prozentpunkt zu senken, also möglicherweise den magischen Schritt von 3,1 Prozent zu 3,0 Prozent zu schaffen.
Dafür werden wir aber in den Folgejahren Jahr für Jahr fast 200 Millionen DM Zinsen zahlen. 200 Millionen DM - Herr Jacoby, Sie müßten es aus Ihrer Haushältertätigkeit noch wissen - sind mehr als das gesamte Budget des Kinder- und Jugendhilfeplans. Wir alle haben sehr bedauert, daß es im letzten Jahr noch einmal gesenkt wurde. Nur für den Übergang von 3,1 Prozent zu 3,0 Prozent werden wir jetzt jedes Jahr Zinsen in Höhe des gesamten Budgets des Jugendhilfeplans zahlen.
Diese unsinnige Finanzakrobatik ist eben nicht gemeint, wenn im Maastricht-Vertrag von nachhaltiger Haushaltskonsolidierung die Rede ist. Die Erfolge, die diese Regierung unbestreitbar mit dem Maastricht-Vertrag errungen hat, nämlich eine gemeinsame europäische Konsolidierungspolitik, werden jetzt dadurch gefährdet, daß sie sich bei den Finanzen unsolide gebärdet. Diese Finanzpolitik ist das Gegenteil von nachhaltiger Politik, sie ist kurzatmig und zukunftsschädigend.