Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Kommentare in den Zeitungen über die Haushaltsdebatte dieser Woche sind eindeutig: Die ganze Regierung einschließlich des Kanzlers wirke nur noch grau und von gestern. Eine bleierne Rede des Bundesfinanzministers, ein fahriger, rückwärtsgewandter Kanzler blieben ohne Überzeugungskraft, selbst in den Reihen der Koalition. Meine Damen und Herren, bei Ihnen herrscht zu Recht Endzeitstimmung.
Alles, was Sie in der Finanzpolitik mit Ihren Bocksprüngen bei der Steuer- und der Rentenpolitik zur Zeit aufführen, dient nicht dem Wohl des Volkes, sondern ausschließlich der Machtsicherung, koste es, was es wolle, mögen die Staatsfinanzen dabei auch vor die Hunde gehen! Was Sie betreiben, ist Konkursverschleppung bis zum Wahltag.
Weil die Regierung Kohl die Staatsfinanzen gründlich ruiniert hat, wird das vorgelegte Flickwerk, von dem Sie behaupten, es sei eine Haushalts- und Finanzplanung, von drei Fragen beherrscht: Wieviel neue Schulden kann die Kohl-Regierung noch aufnehmen? Welche Lasten kann die Kohl-Regierung noch in die Zukunft verschieben? Welches Volksvermögen kann die Kohl-Regierung noch verscherbeln?
Dieser Kanzler und sein Finanzminister haben die Staatsfinanzen in die Verschuldungs- und Zinsfalle getrieben. Unter Ihrer Verantwortung, Herr Waigel, ist der Schuldenberg des Bundes um nahezu 1 000 Milliarden DM auf 1 500 Milliarden DM gestiegen. Das heißt, Theo Waigel hat in seiner achtjährigen Amtszeit fast doppelt soviel Schulden gemacht wie alle 14 Bundesfinanzminister vor ihm seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland zusammen.
Karl Diller
Herr Waigel, jeder Tag, den Sie noch im Amt verbleiben, ist deshalb ein Tag zuviel.
Nur für die Zinsen des Bundes - ich wiederhole: nur für die Zinsen - werden die Bürgerinnen und Bürger nächstes Jahr 89 000 Millionen DM an Steuern aufbringen müssen,
während es im Jahr der deutschen Einheit 34 Milliarden DM waren. Mit dem dramatischen Anstieg um 55 Milliarden DM in acht Jahren, Theo Waigel, haben Sie den Bundeshaushalt in die Zinsfalle geführt. Nun versuchen Sie, Herr Waigel, Ihrer deprimierenden Bilanz mit einer Lebenslüge auszuweichen. Sie behaupten, Sie stünden vor aller Welt als der erfolgreichste deutsche Finanzminister da, wenn Ihnen nicht die deutsche Einheit einen Strich durch sämtliche Rechnungen gemacht hätte.
Merken Sie denn nicht, daß Sie damit den Glücksfall der deutschen Einheit zum Sündenbock Ihrer Politik machen?
Die ehrwürdige „Frankfurter Allgemeine Zeitung" höhnte darüber: Für die Charakterisierung einer beruflichen Leistung ist der Konditionalsatz nicht die geeignete grammatikalische Form. Das ist der Punkt.
Es wäre doch gerade Ihre - zweifellos herausfordernde - Aufgabe als Bundesfinanzminister gewesen, die Finanzen unseres hochleistungsfähigen, aber nach der deutschen Einheit aus zwei ungleichen Teilen bestehenden Staates zu ordnen.
Die Regierung Kohl und Sie als Finanzminister hatten nach der Einheit die einmalige Chance, die Zukunft unseres Landes mit einer schöpferischen Politik zu gestalten, die Einsicht und Opferbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger zu nutzen, um unserem Land mit einer auf Erneuerung und Konsolidierung angelegten Finanzpolitik eine gemeinsame Zukunft zu eröffnen.
Aber Sie, Herr Waigel, und auch Ihr Kanzler gingen im Jahre 1990 diese Aufgabe vom ersten Tag mit einer Steuerlüge an. Sie haben seither nie mehr Tritt gefaßt. Das ist der Fluch Ihrer bösen Tat.
Sie haben bei dieser Herausforderung kläglich versagt und Ihre Glaubwürdigkeit als Finanzminister verspielt. In den Augen der Menschen stehen Sie als ein reiner Geldeintreiber da, vor dessen Zugriff noch nicht einmal mehr das Gold der Bundesbank sicher scheint.
Sie sind ein gescheiterter und - wie Sie selbst eingestehen - amtsmüder Finanzminister, dessen öffentliches Ansehen so weit gesunken ist, daß Ihnen keine Familie in diesem Land mehr ihre Haushaltskasse anvertrauen würde.
Absolut nichts reimt sich in Ihrer Politik, Herr Waigel, mehr zusammen, es sei denn auf die Vokabeln Lug, Trug und Täuschung. Erstes Beispiel: Sie loben Ihre Wachstumspolitik über den grünen Klee, stellen aber im gleichen Atemzug angesichts der 4,4 Millionen arbeitslosen Menschen die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts fest.
Zweites Beispiel: Der Kanzler erklärt die Halbierung der Zahl der Arbeitslosen auf 2 Millionen bis zum Jahr 2000 zum Regierungsziel, aber in Ihrer Kabinettsvorlage läßt er zur gleichen Zeit beschließen, daß man im Jahre 2000 noch von 3,9 Millionen Arbeitslosen auszugehen hat.
Drittes Beispiel: Sie kündigen an, die Belastung der Bürgerinnen und Bürger mit Steuern und Abgaben auf den Stand von 1989 zurückzuführen, und gleichzeitig kündigt der Bundesarbeitsminister an, daß der Rentenbeitragssatz im nächsten Jahr auf 20,6 Prozent, möglicherweise sogar auf 20,8 Prozent, steigen wird.
Viertes Beispiel: Sie kündigen seit Jahr und Tag den Rückgang der Staatsverschuldung an, überschreiten jetzt aber mit einer neuen Rekordverschuldung von weit über 70 Milliarden DM sogar die Grenze, die Ihnen die Verfassung für die Kreditaufnahme gezogen hat.
Fünftes Beispiel: Der Kanzler versprach den Menschen in den neuen Ländern blühende Landschaften, tatsächlich aber dümpelt der Aufbau Ost vor sich hin, und - was besonders tragisch ist - der Abstand zur wirtschaftlichen Entwicklung im Westen vergrößert sich.
Deshalb fasse ich zusammen: In Ihrer Politik reimt sich absolut nichts mehr zusammen, es sei denn, auf Lug, auf Trug, auf Täuschung.
Es ist schon erstaunlich, mit welcher Geduld unser Volk diese unglaublichen Zumutungen, Verdrehungen und Schönfärbereien der Regierung Kohl bisher hingenommen hat.
Doch in zwölf Monaten, meine Damen und Herren, wird das Volk das System Kohl mit seiner elenden Politik des Aussitzens beenden.
Vor einem Jahr hat Herr Waigel
Karl Diller
hier im Deutschen Bundestag behauptet - ich zitiere -: Die Finanzpolitik 1997 steht auf sicherem Fundament. Ich wiederhole: auf sicherem Fundament. „Falsch!" , haben wir damals gesagt. Wir hatten es Ihnen vorgerechnet. Am Dienstag dieser Woche kommen Sie nun hierher und jammern, daß der Bundeshaushalt 1997 zwischen die Mühlsteine der wegbrechenden Steuereinnahmen und der überbordenden Mehrausgaben für die Arbeitslosigkeit geraten ist. Natürlich behaupten Sie wieder - Sie sollten einmal zum Augenarzt gehen -, alles sei unvorhersehbar gewesen - wie immer bei Ihnen -, und deshalb müßten Sie in diesem Jahr, wie leider auch im letzten Jahr, wiederum die Schulden um 20 Milliarden DM auf 71 oder 75 oder noch mehr Milliarden DM erhöhen; Genaues wüßten Sie wie immer auch diesmal nicht. Ihre Finanzpolitik, Herr Waigel, steht nicht auf sicherem Fundament, sondern auf Treibsand.
Die Auswirkungen Ihrer Politik sagen wir Ihnen doch seit Jahren vorher. Beispiel: wegbrechende Steuereinnahmen. Wie war das noch bei dem Standortsicherungsgesetz 1994, als Sie den Körperschaftsteuersatz, den Spitzensteuersatz für gewerbliche Einkommen, um 5 bzw. um 6 Prozent senkten? Damals hatten Sie die zu erwartenden Steuermindereinnahmen auf 4 Milliarden DM geschätzt. Der Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, Herr Schleußer, meinte, das werden mindestens 9 Milliarden DM. Tatsächlich fehlten am Schluß 13 Milliarden DM. Das hat 1995 zu dem kuriosen Ergebnis geführt, daß die Raucherinnen und Raucher in Deutschland mehr an Tabaksteuer zahlten als die Wirtschaftsunternehmen insgesamt an Körperschaftsteuer. Das ist das Ergebnis des von Ihnen selbst herbeigeführten Wegbrechens der Steuerbasis.
Beispiel Arbeitsmarkt: Wo sind denn die arbeitsmarktpolitischen Erfolge, die Sie den Bürgern mit Ihren gesetzlichen Kürzungen der Sozialleistungen, mit der Aufweichung des Kündigungsschutzes, mit den gesetzlichen Eingriffen in die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, mit dem Ladenschlußgesetz und mit dem Dienstmädchenprivileg versprochen haben?
Wo sind denn die Arbeitsplätze, die ihr sogenanntes Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz von 1996 bringen sollte? Es hat tiefe Einschnitte in Sozialleistungen und die skandalöse Streichung der privaten Vermögensteuer gebracht; ansonsten hat es 470 000 Arbeitslose mehr als noch vor einem Jahr gebracht. Seit 1995 sind deshalb die Gesamtkosten der Arbeitslosigkeit, also die Summe aus Arbeitslosenunterstützung, aus Arbeitslosenhilfe, aus der ergänzenden Sozialhilfe der Gemeinden, aus Steuermindereinnahmen und aus Fehlbeträgen bei den Beiträgen für die Bundesanstalt für Arbeit, auf heute 180 Milliarden DM, also in nur zwei Jahren um
40 Milliarden DM gestiegen. Deshalb hat die Waigelsche Finanzpolitik jede Perspektive eingebüßt.
Die Haushaltslöcher, die Sie immer wieder als unabänderlich und, blind wie Sie sind, als unvorhersehbar darstellen, sind in Wahrheit das vorhersehbare Ergebnis Ihrer in bezug auf Wirtschaft und Finanzen unsinnigen Politik gewesen, die die Arbeitslosigkeit erst erzeugt, um sie dann nachträglich zu finanzieren, statt sie von vornherein entschieden zu bekämpfen.
Bereits im Januar dieses Jahres, als auch Ihnen nach der Vorlage Ihres eigenen Jahreswirtschaftsberichtes klar sein mußte, daß sinkende Steuereinnahmen und steigende Arbeitslosigkeit in diesem Haushalt ein Loch von 20 Milliarden DM reißen würden, haben wir Sie aufgefordert, unverzüglich einen Nachtragshaushalt 1997 einzubringen, um bei über 4 Millionen Arbeitslosen erstens die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes festzustellen, zweitens die Finanzlage des Staates ungeschminkt zu erfassen und drittens dann die richtigen Maßnahmen für eine Politik zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu ergreifen. Diesen Antrag haben Sie hier im Deutschen Bundestag und in seinen Ausschüssen über Monate schroff abgelehnt.
Den Nachtragshaushalt 1997 haben Sie nicht freiwillig vorgelegt, sondern weil Ihnen jetzt das Wasser bis zur Oberkante der Unterlippe reicht. Sie würden in diesem Herbst zahlungsunfähig werden, könnten keine Rechnungen mehr bezahlen, wenn Sie jetzt nicht weitere Schulden aufnähmen. Mit der Anhebung der Neuverschuldung auf weit über 70 Milliarden DM würden Sie aber gegen Art. 115 der Verfassung verstoßen, wonach die Höhe der Neuverschuldung die Investitionsausgaben nicht überschreiten darf. Davon gibt es nach dem Grundgesetz nur eine einzige Ausnahme: daß eine Überschreitung dieser von der Verfassung gezogenen Grenze „zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" erforderlich ist. Das ist der springende Punkt.
Herr Waigel, die Verfassung verlangt von Ihnen nicht nur, daß Sie durch den Deutschen Bundestag die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts feststellen lassen, sondern auch, daß Sie mit den damit verbundenen zusätzlichen Schulden eine Politik finanzieren, die geeignet ist, die gesamtwirtschaftliche Störung, also die millionenfache Arbeitslosigkeit in diesem Lande, zu beseitigen.
Sie aber sind gar nicht bereit, Ihre Politik zu ändern. Sie wollen nur Ihre erbärmlichen Haushaltslöcher stopfen.
Karl Diller
Deshalb hält der Sachverständigenrat Ihren Haushalt 1997 weiterhin für verfassungswidrig, und da hat er völlig recht.
Jeden Arbeitslosen, jeden Bürger muß doch die kalte Wut packen, wenn Sie sich zu Jahresbeginn weigern, Geld auszugeben, um die Beschäftigungsprobleme in diesem Land zu beseitigen, aber jetzt am Jahresende 20 Milliarden DM Schulden machen, nur um die Löcher, die die Arbeitslosigkeit inzwischen in Ihren Haushalt gerissen hat, zu stopfen.
Es wäre Ihre Pflicht gewesen, meine Damen und Herren von der Koalition, im Frühjahr unser Angebot einer gemeinsamen aktiven Arbeitsmarktpolitik anzunehmen.
Das hätte nur einen Bruchteil gekostet, aber einigen hunderttausend Menschen wieder Lohn und Brot gebracht.
Da Ihr Gedächtnis das Gedächtnis eines Spatzen ist,
will ich Ihnen zur Erinnerung sagen, was wir Ihnen damals angeboten hatten. Wir bieten es Ihnen erneut an: ein Bündel von Maßnahmen zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit und damit auch zur Reduzierung der Staatsverschuldung. Ich nenne - nur als Beispiele - fünf Maßnahmen:
Erstens. Greifen Sie unseren Gesetzentwurf für ein modernes Arbeitszeitgesetz auf und tun Sie endlich etwas gegen die hohe Überstundenzahl in Deutschland. Das würde zusätzliche Arbeitsplätze bringen.
Zweitens. Greifen Sie unsere Teilzeitinitiative auf und beseitigen Sie endlich mit uns den Mißbrauch bei der Geringfügigkeitsgrenze in der Sozialversicherung.
Drittens. Schieben Sie endlich mit uns der Scheinselbständigkeit einen Riegel vor, mit der sich viele, viele Firmen in unserem Lande ihrer Verpflichtung entziehen, Sozialbeiträge für Menschen zu zahlen, die ausschließlich für sie arbeiten.
Viertens. Ermöglichen Sie der Bundesanstalt für Arbeit durch korrekte Mittelzuweisung wieder eine aktive Arbeitsmarktpolitik, für Umschulungen, für Fortbildungen, für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, damit die Menschen wieder in Arbeit kommen.
Fünftens. Schaffen Sie endlich mit uns wirksame Maßnahmen gegen die Jugendarbeitslosigkeit. Inzwischen sind es 150000, die keine Lehrstelle gefunden haben. Deshalb brauchen wir eine solidarische Finanzierung der Ausbildung. Die Betriebe, die nicht ausbilden, sollen wenigstens zahlen, damit die, die ausbilden, dadurch eine Entlastung bekommen können.
Herr Bundesfinanzminister, bei Ihrer Politik ist die Überschreitung der Schuldengrenze kein einmaliger Ausrutscher, wie Sie am Dienstag sagten. Sie ist inzwischen vielmehr System. Das war 1996 so, als wir Ihnen vorrechneten, daß in Ihrem Entwurf ein 20-
Milliarden-DM-Loch klafft. Erst haben Sie dessen Existenz bestritten, dann auf die letzte Minute mit dem denkwürdigen, erbärmlichen Waigel-Wisch auf einem DIN-A-4-Blatt vorgegeben, Einnahmen in der Größenordnung von 20 Milliarden DM aus dem Hut zaubern zu können. Alles Luftbuchungen! Als die Wirklichkeit sie einholte, haben Sie den Haushalt 1996 mit einer verfassungswidrigen Erhöhung der Neuverschuldung auf 78 Milliarden DM ausgeglichen. In diesem Jahr überschreiten Sie die in der Verfassung angegebene Schuldengrenze erneut. Das wird nach unserer Einschätzung auch 1998 so kommen.
Trotz aller Notoperationen, aller Notverkäufe von Bundesvermögen, aller Buchungstricks und des Verschiebens von finanziellen Verpflichtungen auf künftige Haushalte ist dieses Flickwerk für nächstes Jahr so knapp genäht, daß die Neuverschuldung gerade mal 500 Millionen DM unter der Höhe der Investitionen liegt.
Bereits jetzt wissen Sie aber, daß im nächsten Jahr die Steuereinnahmen für den Bund um etwa 4 Milliarden DM geringer ausfallen werden. Außerdem haben Sie bisher für die von der F.D.P. abgepreßte Senkung des Solidaritätszuschlags keine Finanzierung. Das macht ein weiteres Haushaltsloch von 6,5 Milliarden DM netto, zusammen also über 10 Milliarden DM, die Ihnen jetzt schon für 1998 fehlen. Dazu sagte Herr Schäuble kürzlich im „Spiegel"-Interview: „Die Senkung des Solidarzuschlags ist beschlossen. Das Wie diskutieren wir später."
Karl Diller
Nein, nicht später, sondern in dieser Woche wäre der Zeitpunkt gewesen, zu dem die Koalition dem Bürger reinen Wein einschenken müßte,
damit er weiß, was er an zusätzlichen Schulden oder an Mineralölsteuererhöhungen oder an Kürzungen von Sozialleistungen durch Sie zu erwarten hat.
Im gleichen Atemzug erklärte Herr Schäuble, die Koalition wolle im nächsten Jahr unter keinen Umständen wieder eine Debatte über die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts haben. Mir ist völlig unverständlich, wieso in diesem Jahr das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht bei über vier Millionen Arbeitslosen gestört ist und im nächsten Jahr, in dem die Zahl der Arbeitslosen - wie Sie selber sagen - ebenfalls über vier Millionen liegt, die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes nicht gegeben sein soll. Das paßt doch nicht zusammen. Daß Sie die Debatte im Wahljahr nicht wollen, ist leicht verständlich. Wenn ich Sie aber beim Wort nehme, dann stelle ich fest, daß Sie eine Senkung des Soli-Zuschlages auf Pump ausschließen wollen. Eine Erhöhung der Steuern oder eine Kürzung von Sozialleistungen würden die Wählerinnen und Wähler Ihnen übelnehmen. Fazit: Die Koalition hat sich in der von Theo Waigel gestellten Soli-Falle völlig verfangen.
Jetzt müssen Sie Zeit schinden, weil Sie nämlich nicht wissen, wie die versprochene Absenkung des Soli zu finanzieren ist. Das ist der wahre Grund, weshalb Sie in dieser Woche die Fortsetzung des Vermittlungsverfahrens beschlossen haben. Sie wollen sich um eine klare Antwort herumdrücken und halten deshalb das Verfahren in Gang. Sie wissen aber doch ganz genau: Ihre dort erhobene Forderung, sich die Soli-Senkung aus den Länderkassen bezahlen zu lassen, hat in der Sache mit der Steuerreform nichts zu tun und trifft selbst bei den CDU- und CSU-Ministerpräsidenten auf eisige Ablehnung.
Der Herr Finanzminister, der nicht mehr ein und aus weiß, will nun der Öffentlichkeit den Verkauf von Bundesvermögen als einen - ich zitiere ihn wieder - „legitimen und gesamtwirtschaftlich richtigen Brückenschlag im finanziellen Gesundungsprozeß" verkaufen. Starker Tobak! Denn dieser angebliche Brückenschlag führt nicht ans rettende Ufer. Er endet freischwebend über dem finanzpolitischen Abgrund.
In Wahrheit betreiben Sie eine hemmungslose Ausplünderung des Bundesvermögens. Denn in diesem und im nächsten Jahr wollen Sie Vermögenswerte und Unternehmensbeteiligungen in einem Gesamtwert von 40 Milliarden DM verkaufen, verramschen und verpfänden, nur um Haushaltslöcher zu stopfen.
Mit diesem Bundesvermögen, dessen heutiger Wert eine Gemeinschaftsleistung der Nachkriegszeit ist, sind 14 Finanzminister vor Ihnen sorgsam und
verantwortlich umgegangen. Sie dagegen verfahren damit wie der typische Bankrotteur.
Da versteigt sich der Generalsekretär der F.D.P. zu der Aussage - ich zitiere Sie, Herr Westerwelle, einmal -:
Die Privatisierung ist nicht das Loswerden von Tafelsilber, sondern das Loswerden von Blei, das uns runterzieht, das uns Geld kostet und das den Staat immer mehr ausweitet.
Soweit Herr Westerwelle.
- Jetzt klatscht er auch noch.
Meine Damen und Herren, für wie dumm will Herr Westerwelle bzw. die F.D.P. die Menschen in diesem Land eigentlich verkaufen? Die Anteile an der Lufthansa mit einem Wert von 4 Milliarden DM sowie an der Postbank mit einem Wert von 3 Milliarden DM und das Aktienpaket der von Ihnen so hoch gerühmten Telekom in einem Wert von 33 Milliarden DM - das alles soll in Ihren Augen Blei sein?
Das ist kein Blei; das ist für Sie der prallgefüllte Rettungsring, mit dem Sie Ihren leckgeschlagenen Bundeshaushalt zwei Jahre lang vor dem Absaufen retten wollen.
Was Sie hier machen, ist unverantwortlich. Eine Haushaltspolitik der gesamtwirtschaftlichen Verantwortung hätte darin bestanden, die mit der Auflösung dieses angesammelten Vermögens erzielten Einnahmen nicht zu verpulvern, sondern in die Zukunft zu investieren. Dieses Geld hätte zweckgebunden für die Förderung von Innovationen, Forschung und Entwicklung, für eine ökologische Modernisierung der Wirtschaft und damit zur Schaffung neuer Arbeitsplätze eingesetzt werden müssen. In Bayern ist die CSU nach diesem Konzept vorgegangen. In Bonn dagegen verramscht der CSU-Vorsitzende das über Jahrzehnte angesammelte Vermögen.
Weil Rekordverschuldung und Ausplünderung des Bundesvermögens noch immer nicht reichen, verschieben Sie finanzielle Belastungen systematisch in die Zukunft - ohne Rücksicht auf die Handlungsfähigkeit künftiger Bundesregierungen. Das ist eine Politik des Nach-mir-die-Sintflut. Offensichtlich rechnen Sie selber nicht mehr damit, nach der Wahl noch zu regieren.
Zwei Beispiele für die Nach-mir-die-Sintflut-Politik:
Erstens. Sie haben bei der Postreform mit beschlossen: Das Aktienpaket des Bundes an der Telekom soll dazu dienen, das Defizit bei den Pensions-
Karl Diller
kassen des dann privatisierten Unternehmens zu finanzieren. Ab dem Jahre 2000 sind das jedes Jahr 7 Milliarden DM. Wenn Sie jetzt ein Aktienpaket im Börsenwert von 33 Milliarden DM verpfänden - wegen des Abschlags müssen Sie an die Kreditanstalt für Wiederaufbau 33 Milliarden DM abtreten, um einen Erlös in Höhe von 25 Milliarden DM zu erzielen - und dieser Bank außerdem das Recht einräumen, diese Aktien ab dem Jahre 2000 vorrangig an der Börse zu verkaufen, führt das voraussichtlich zu einer Verkaufsblockade für die restlichen dem Bund dann noch gehörenden Anteile.
Im Klartext heißt das für das nächste Jahrzehnt: Die Defizite der Postpensionskassen von 7 Milliarden DM müssen bereits in zweieinhalb Jahren aus dem Bundeshaushalt finanziert werden. Dafür haben Sie keine einzige D-Mark vorgesehen.
Es kann noch schlimmer kommen. Denn im Vertrag mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau haben Sie den Bund verpflichtet, unter bestimmten Bedingungen das Aktienpaket von der Kreditanstalt wieder zurückzukaufen. Das ist doch ein absolut unverantwortlicher Vertrag. Denn wie anders als über neue Schulden könnte dieser zweistellige Milliardenbetrag ab dem Jahre 2000 finanziert werden?