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    Plenarprotokoll 13/190 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 190. Sitzung Bonn, Freitag, den 12. September 1997 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 17225 A Zusätzliche Überweisung und Rücküberweisung an Ausschüsse 17225 B Tagesordnungspunkt 1: a) Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1998 (Haushaltsgesetz 1998) (Drucksache 13/8200) . . 17225 B b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Finanzplan des Bundes 1997 bis 2001 (Drucksache 13/8201) 17225 B Karl Diller SPD 17225 C Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 17230B, C, 17234 A Dr. Erich Riedl (München) CDU/CSU . 17230 D Peter Jacoby CDU/CSU 17232 D Otto Schily SPD 17233 D Kristin Heyne BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17235 D Bartholomäus Kalb CDU/CSU . . . . 17236 C Dr. Guido Westerwelle F.D.P. 17238 D, 17243 B, 17256 B Ingrid Matthäus-Maier SPD 17239 D Dr. Uwe Jens SPD 17240 B Jürgen Koppelin F.D.P 17240 C Margareta Wolf (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17241 A Joachim Poß SPD 17243 A Dr. Christa Luft PDS 17244 A Friedrich Merz CDU/CSU . . . 17246 A, 17248 D Ingrid Mattäus-Maier SPD . . . 17248 B, 17254 A Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 17249 B Dr. Guido Westerwelle F.D.P. . . . . 17254 C, D Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/ CSU 17255 B Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17255 D Präsidentin Dr. Rita Süssmuth 17242 B Zusatztagesordnungspunkt 4: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Pflanzenschutzgesetzes (Drucksache 13/8443) 17257 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Michaele Hustedt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Umweltorientierte Neuausrichtung des Pflanzenschutzgesetzes (Drucksache 13/8505) 17257 A Wolfgang Gröbl, Parl. Staatssekretär BML 17257 B Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17258 A Helmut Lamp CDU/CSU 17258 C Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17259 A Dr. Gerald Thalheim SPD 17259 D Ulrich Heinrich F D P. 17260 C Eva Bulling-Schröter PDS 17261 C Susanne Kastner SPD 17262 A Nächste Sitzung 17262 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 17263* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 17263* C Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. September 1997 17225 190. Sitzung Bonn, Freitag, den 12. September 1997 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Augustin, Anneliese CDU/CSU 12. 9. 97 * * Blank, Renate CDU/CSU 12. 9. 97 Dr. Blens, Heribert CDU/CSU 12. 9. 97 Conradi, Peter SPD 12. 9. 97 Deichmann, Christel SPD 12. 9. 97 Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 12. 9. 97 * * 90/DIE GRÜNEN Erler, Gernot SPD 12. 9. 97 Eßmann, Heinz Dieter CDU/CSU 12. 9. 97 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 12. 9. 97 * * Formanski, Norbert SPD 12. 9. 97 Friedhoff, Paul K. F.D.P. 12. 9. 97 Dr. Hoyer, Werner F.D.P. 12. 9. 97 Irmer, Ulrich F.D.P. 12. 9. 97 * * Janssen, Jann-Peter SPD 12. 9. 97 Kunick, Konrad SPD 12. 9. 97 Lange, Brigitte SPD 12. 9. 97 Leidinger, Robert SPD 12. 9. 97 Marx, Dorle SPD 12. 9. 97 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 12. 9. 97 Müller (Düsseldorf) SPD 12. 9. 97 Michael. Müller (Völklingen), Jutta SPD 12. 9. 97 Neumann (Bramsche), SPD 12. 9. 97 Volker Reschke, Otto SPD 12. 9. 97 Dr. Rochlitz, Jürgen BÜNDNIS 12. 9. 97 90/DIE GRÜNEN Roth (Gießen), Adolf CDU/CSU 12. 9. 97 Schaich-Walch, Gudrun SPD 12. 9. 97 Scheelen, Bernd SPD 12. 9. 97 Schindler, Norbert CDU/CSU 12. 9. 97 Schloten, Dieter SPD 12. 9. 97 * * Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 12. 9. 97 Schmidt (Aachen), Ulla SPD 12. 9. 97 * * Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 12. 9. 97 * * Schmidt (Salzgitter), SPD 12. 9. 97 * * Wilhelm Schoppe, Waltraud BÜNDNIS 12. 9. 97 90/DIE GRÜNEN Schumann, Ilse SPD 12. 9. 97 Sebastian, Wilhelm Josef CDU/CSU 12. 9. 97 Dr. Struck, Peter SPD 12. 9. 97 Dr. Thomae, Dieter F.D.P. 12. 9. 97 Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Tröger, Gottfried CDU/CDU 12. 9. 97 Vergin, Siegfried SPD 12. 9. 97 Vosen, Josef SPD 12. 9. 97 Wieczorek-Zeul, SPD 12.9.97 Heidemarie Dr. Wittmann, Fritz CDU/CSU 12. 9. 97 Würzbach, Peter Kurt CDU/CSU 12. 9. 97 Zierer, Benno CDU/CSU 12. 9. 97 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates für die Teilnahme an der 98. Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 714. Sitzung am 4. Juli 1997 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: - Gesetz zur Änderung ausländer- und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften - Gesetz zur Absicherung der Wohnraummodernisierung und einiger Fälle der Restitution (Wohnraummodernisierungssicherungsgesetz - WoModSiG) - Drittes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" - Achtes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder" - Gesetz zur Umsetzung von EG-Richtlinien zur Harmonisierung bank- und wertpapieraufsichtsrechtlicher Vorschriften - Begleitgesetz zum Gesetz zur Umsetzung von EG-Richtlinien zur Harmonisierung bank- und wertpapieraufsichtsrechtlicher Vorschriften - Drittes Gesetz zur Änderung des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes - Gesetz über die Errichtung einer Otto-von-Bismarck-Stiftung - Gesetz zur Regelung der Rahmenbedingungen für Informations- und Kommunikationsdienste (Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz - IuKDG) - Gesetz zur Änderung fahrpersonalrechtlicher Vorschriften - Gesetz zu dem Rahmenübereinkommen des Europarats vom 1. Februar 1995 zum Schutz nationaler Minderheiten - Gesetz zu dem Ergänzenden Protokoll vom 22. August 1996 zum Ems-Dollart-Vertrag zur Regelung der Zusammenarbeit zum Gewässer- und Naturschutz in der Emsmündung (Ems-Dollart-Umweltprotokoll) - Gesetz zu dem Vertrag vom 11. April 1996 über die Internationale Kommission zum Schutz der Oder gegen Verunreinigung (Vertrag über die Oderschutzkommission) - Gesetz zu dem Abkommen vom 15. März 1996 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Kasachstan über den Luftverkehr - Gesetz zu dem Abkommen vom 4. November 1995 zur Änderung des Vierten AKP-EG-Abkommens von Lomé sowie zu den mit diesem Abkommen in Zusammenhang stehenden weiteren Übereinkünften - Gesetz zur Änderung des Baugesetzbuchs und zur Neuregelung des Rechts der Raumordnung (Bau- und Raumordnungsgesetz 1998 - BauROG) - Gesetz zur Fortsetzung der wirtschaftlichen Förderung in den neuen Ländern - Gesetz zur Bekämpfung der Korruption - Dreizehntes Gesetz zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften (Zweites Nebentätigkeitsbegrenzungsgesetz) Der Bundesrat hat in seiner 715. Sitzung am 5. September 1997 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: - Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 2. Juli 1997 ihren Entschließungsantrag zur Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung zum Europäischen Rat in Amsterdam sowie zum Weltwirtschaftsgipfel in Denver und zur Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen - Drucksache 13/8050 zurückgezogen. Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 5. September 1997 mitgeteilt, daß sie sowohl ihren Antrag - Drucksache 13/8328 - sowie den gemeinsamen Antrag mit der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 13/8338 -, jeweils den Hilfsfonds für die Oder-Region betreffend, zurückgezogen hat. Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuß - Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Nordatlantischen Versammlung über die 42. Jahrestagung der Nordatlantischen Versammlung vom 17. bis 21. November 1996 in Paris - Drucksachen 13/7023, 13/7460 Nr. 1 - Finanzausschuß - Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Entwicklung der Konvergenz in der Europäischen Union im Jahre 1996 - Drucksachen 13/7238, 13/7460 Nr. 7 - Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung - Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die gesetzliche Rentenversicherung, insbesondere über die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben, der Schwankungsreserve sowie des jeweils erforderlichen Beitragssatzes in den künftigen 15 Kalenderjahrengemäß § 154 SGB VI (Rentenversicherungsbericht 1996) Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversicherungsbericht 1996 - Drucksache 13/5370 - Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend - Unterrichtung durch die Delegation der Interparlamentarischen Gruppe der Bundesrepublik Deutschland über die Interparlamentarische Sonderkonferenz ,.Auf dem Weg zur Partnerschaft zwischen Männern und Frauen in der Politik" vom 14. bis 18. Februar 1997 in Neu Delhi - Drucksachen 13/7369, 13/7700 Nr. 1.1 -Ausschuß für Verkehr - Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Vorsorge und Be- kämpfung von Ölunfällen vor den deutschen Küsten - Drucksachen 12/8359, 13/725 Nr. 159 - Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung - Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die EU-Bildungsprogramme LEONARDO da VINCI und SOKRATES im ersten Jahr ihrer Durchführung 1995/96 - Drucksachen 13/3866, 13/4401 Nr. 2 - Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU-Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat: Ausschuß für Wirtschaft Drucksàche 13/7706 Nr. 2.13 Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Drucksache 13/4137 Nr. 2.49 Drucksache 13/7456 Nr. 1.4 Drucksache 13/7456 Nr. 2.14 Drucksache 13/7541 Nr. 1.1 Drucksache 13/7541 Nr. 2.6 Drucksache 13/7541 Nr. 2.19 Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 13/7706 Nr. 2.14 Drucksache 13/7706 Nr. 2.18 In der Anlage 3 zum Stenographischen Bericht der 179. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 6. Juni 1997 ist folgendes zu streichen: Meldung des Vorsitzenden des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung über die Kenntnisnahme zur EU-Vorlage: Drucksache 13/6129 Nr. 1.29
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    Rede von Karl Diller


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Kommentare in den Zeitungen über die Haushaltsdebatte dieser Woche sind eindeutig: Die ganze Regierung einschließlich des Kanzlers wirke nur noch grau und von gestern. Eine bleierne Rede des Bundesfinanzministers, ein fahriger, rückwärtsgewandter Kanzler blieben ohne Überzeugungskraft, selbst in den Reihen der Koalition. Meine Damen und Herren, bei Ihnen herrscht zu Recht Endzeitstimmung.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS Zuruf von der CDU/CSU: Wo waren Sie denn?)

    Alles, was Sie in der Finanzpolitik mit Ihren Bocksprüngen bei der Steuer- und der Rentenpolitik zur Zeit aufführen, dient nicht dem Wohl des Volkes, sondern ausschließlich der Machtsicherung, koste es, was es wolle, mögen die Staatsfinanzen dabei auch vor die Hunde gehen! Was Sie betreiben, ist Konkursverschleppung bis zum Wahltag.

    (Beifall bei der SPD und der PDS)

    Weil die Regierung Kohl die Staatsfinanzen gründlich ruiniert hat, wird das vorgelegte Flickwerk, von dem Sie behaupten, es sei eine Haushalts- und Finanzplanung, von drei Fragen beherrscht: Wieviel neue Schulden kann die Kohl-Regierung noch aufnehmen? Welche Lasten kann die Kohl-Regierung noch in die Zukunft verschieben? Welches Volksvermögen kann die Kohl-Regierung noch verscherbeln?
    Dieser Kanzler und sein Finanzminister haben die Staatsfinanzen in die Verschuldungs- und Zinsfalle getrieben. Unter Ihrer Verantwortung, Herr Waigel, ist der Schuldenberg des Bundes um nahezu 1 000 Milliarden DM auf 1 500 Milliarden DM gestiegen. Das heißt, Theo Waigel hat in seiner achtjährigen Amtszeit fast doppelt soviel Schulden gemacht wie alle 14 Bundesfinanzminister vor ihm seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland zusammen.

    (Zurufe von der SPD: Hoi!)


    Karl Diller
    Herr Waigel, jeder Tag, den Sie noch im Amt verbleiben, ist deshalb ein Tag zuviel.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Nur für die Zinsen des Bundes - ich wiederhole: nur für die Zinsen - werden die Bürgerinnen und Bürger nächstes Jahr 89 000 Millionen DM an Steuern aufbringen müssen,

    (Dr. Uwe Küster [SPD]: Wieviel sind das?)

    während es im Jahr der deutschen Einheit 34 Milliarden DM waren. Mit dem dramatischen Anstieg um 55 Milliarden DM in acht Jahren, Theo Waigel, haben Sie den Bundeshaushalt in die Zinsfalle geführt. Nun versuchen Sie, Herr Waigel, Ihrer deprimierenden Bilanz mit einer Lebenslüge auszuweichen. Sie behaupten, Sie stünden vor aller Welt als der erfolgreichste deutsche Finanzminister da, wenn Ihnen nicht die deutsche Einheit einen Strich durch sämtliche Rechnungen gemacht hätte.

    (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Das habe ich nie gesagt!)

    Merken Sie denn nicht, daß Sie damit den Glücksfall der deutschen Einheit zum Sündenbock Ihrer Politik machen?

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Die ehrwürdige „Frankfurter Allgemeine Zeitung" höhnte darüber: Für die Charakterisierung einer beruflichen Leistung ist der Konditionalsatz nicht die geeignete grammatikalische Form. Das ist der Punkt.
    Es wäre doch gerade Ihre - zweifellos herausfordernde - Aufgabe als Bundesfinanzminister gewesen, die Finanzen unseres hochleistungsfähigen, aber nach der deutschen Einheit aus zwei ungleichen Teilen bestehenden Staates zu ordnen.
    Die Regierung Kohl und Sie als Finanzminister hatten nach der Einheit die einmalige Chance, die Zukunft unseres Landes mit einer schöpferischen Politik zu gestalten, die Einsicht und Opferbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger zu nutzen, um unserem Land mit einer auf Erneuerung und Konsolidierung angelegten Finanzpolitik eine gemeinsame Zukunft zu eröffnen.

    (Beifall bei der SPD)

    Aber Sie, Herr Waigel, und auch Ihr Kanzler gingen im Jahre 1990 diese Aufgabe vom ersten Tag mit einer Steuerlüge an. Sie haben seither nie mehr Tritt gefaßt. Das ist der Fluch Ihrer bösen Tat.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie haben bei dieser Herausforderung kläglich versagt und Ihre Glaubwürdigkeit als Finanzminister verspielt. In den Augen der Menschen stehen Sie als ein reiner Geldeintreiber da, vor dessen Zugriff noch nicht einmal mehr das Gold der Bundesbank sicher scheint.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Goldfinger!)

    Sie sind ein gescheiterter und - wie Sie selbst eingestehen - amtsmüder Finanzminister, dessen öffentliches Ansehen so weit gesunken ist, daß Ihnen keine Familie in diesem Land mehr ihre Haushaltskasse anvertrauen würde.
    Absolut nichts reimt sich in Ihrer Politik, Herr Waigel, mehr zusammen, es sei denn auf die Vokabeln Lug, Trug und Täuschung. Erstes Beispiel: Sie loben Ihre Wachstumspolitik über den grünen Klee, stellen aber im gleichen Atemzug angesichts der 4,4 Millionen arbeitslosen Menschen die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts fest.
    Zweites Beispiel: Der Kanzler erklärt die Halbierung der Zahl der Arbeitslosen auf 2 Millionen bis zum Jahr 2000 zum Regierungsziel, aber in Ihrer Kabinettsvorlage läßt er zur gleichen Zeit beschließen, daß man im Jahre 2000 noch von 3,9 Millionen Arbeitslosen auszugehen hat.

    (Zuruf von der SPD: Nach Theo ist das halbiert! Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: So rechnen die immer!)

    Drittes Beispiel: Sie kündigen an, die Belastung der Bürgerinnen und Bürger mit Steuern und Abgaben auf den Stand von 1989 zurückzuführen, und gleichzeitig kündigt der Bundesarbeitsminister an, daß der Rentenbeitragssatz im nächsten Jahr auf 20,6 Prozent, möglicherweise sogar auf 20,8 Prozent, steigen wird.
    Viertes Beispiel: Sie kündigen seit Jahr und Tag den Rückgang der Staatsverschuldung an, überschreiten jetzt aber mit einer neuen Rekordverschuldung von weit über 70 Milliarden DM sogar die Grenze, die Ihnen die Verfassung für die Kreditaufnahme gezogen hat.

    (Dr. Uwe Küster [SPD]: Eben!)

    Fünftes Beispiel: Der Kanzler versprach den Menschen in den neuen Ländern blühende Landschaften, tatsächlich aber dümpelt der Aufbau Ost vor sich hin, und - was besonders tragisch ist - der Abstand zur wirtschaftlichen Entwicklung im Westen vergrößert sich.
    Deshalb fasse ich zusammen: In Ihrer Politik reimt sich absolut nichts mehr zusammen, es sei denn, auf Lug, auf Trug, auf Täuschung.

    (Beifall bei der SPD und der PDS)

    Es ist schon erstaunlich, mit welcher Geduld unser Volk diese unglaublichen Zumutungen, Verdrehungen und Schönfärbereien der Regierung Kohl bisher hingenommen hat.

    (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Ertragen mußte!)

    Doch in zwölf Monaten, meine Damen und Herren, wird das Volk das System Kohl mit seiner elenden Politik des Aussitzens beenden.

    (Beifall bei der SPD) Vor einem Jahr hat Herr Waigel


    (Zuruf von der CDU/CSU: „Herr Minister" heißt das!)


    Karl Diller
    hier im Deutschen Bundestag behauptet - ich zitiere -: Die Finanzpolitik 1997 steht auf sicherem Fundament. Ich wiederhole: auf sicherem Fundament. „Falsch!" , haben wir damals gesagt. Wir hatten es Ihnen vorgerechnet. Am Dienstag dieser Woche kommen Sie nun hierher und jammern, daß der Bundeshaushalt 1997 zwischen die Mühlsteine der wegbrechenden Steuereinnahmen und der überbordenden Mehrausgaben für die Arbeitslosigkeit geraten ist. Natürlich behaupten Sie wieder - Sie sollten einmal zum Augenarzt gehen -, alles sei unvorhersehbar gewesen - wie immer bei Ihnen -, und deshalb müßten Sie in diesem Jahr, wie leider auch im letzten Jahr, wiederum die Schulden um 20 Milliarden DM auf 71 oder 75 oder noch mehr Milliarden DM erhöhen; Genaues wüßten Sie wie immer auch diesmal nicht. Ihre Finanzpolitik, Herr Waigel, steht nicht auf sicherem Fundament, sondern auf Treibsand.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Auswirkungen Ihrer Politik sagen wir Ihnen doch seit Jahren vorher. Beispiel: wegbrechende Steuereinnahmen. Wie war das noch bei dem Standortsicherungsgesetz 1994, als Sie den Körperschaftsteuersatz, den Spitzensteuersatz für gewerbliche Einkommen, um 5 bzw. um 6 Prozent senkten? Damals hatten Sie die zu erwartenden Steuermindereinnahmen auf 4 Milliarden DM geschätzt. Der Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, Herr Schleußer, meinte, das werden mindestens 9 Milliarden DM. Tatsächlich fehlten am Schluß 13 Milliarden DM. Das hat 1995 zu dem kuriosen Ergebnis geführt, daß die Raucherinnen und Raucher in Deutschland mehr an Tabaksteuer zahlten als die Wirtschaftsunternehmen insgesamt an Körperschaftsteuer. Das ist das Ergebnis des von Ihnen selbst herbeigeführten Wegbrechens der Steuerbasis.

    (Dr. Uwe Küster [SPD]: Dann wird es aber Zeit, daß gehandelt wird! Gegenruf des Abg. Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Müssen wir jetzt die Tabaksteuer senken?)

    Beispiel Arbeitsmarkt: Wo sind denn die arbeitsmarktpolitischen Erfolge, die Sie den Bürgern mit Ihren gesetzlichen Kürzungen der Sozialleistungen, mit der Aufweichung des Kündigungsschutzes, mit den gesetzlichen Eingriffen in die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, mit dem Ladenschlußgesetz und mit dem Dienstmädchenprivileg versprochen haben?

    (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: In Deutschland wird zuviel geraucht!)

    Wo sind denn die Arbeitsplätze, die ihr sogenanntes Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz von 1996 bringen sollte? Es hat tiefe Einschnitte in Sozialleistungen und die skandalöse Streichung der privaten Vermögensteuer gebracht; ansonsten hat es 470 000 Arbeitslose mehr als noch vor einem Jahr gebracht. Seit 1995 sind deshalb die Gesamtkosten der Arbeitslosigkeit, also die Summe aus Arbeitslosenunterstützung, aus Arbeitslosenhilfe, aus der ergänzenden Sozialhilfe der Gemeinden, aus Steuermindereinnahmen und aus Fehlbeträgen bei den Beiträgen für die Bundesanstalt für Arbeit, auf heute 180 Milliarden DM, also in nur zwei Jahren um
    40 Milliarden DM gestiegen. Deshalb hat die Waigelsche Finanzpolitik jede Perspektive eingebüßt.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Die Haushaltslöcher, die Sie immer wieder als unabänderlich und, blind wie Sie sind, als unvorhersehbar darstellen, sind in Wahrheit das vorhersehbare Ergebnis Ihrer in bezug auf Wirtschaft und Finanzen unsinnigen Politik gewesen, die die Arbeitslosigkeit erst erzeugt, um sie dann nachträglich zu finanzieren, statt sie von vornherein entschieden zu bekämpfen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Bereits im Januar dieses Jahres, als auch Ihnen nach der Vorlage Ihres eigenen Jahreswirtschaftsberichtes klar sein mußte, daß sinkende Steuereinnahmen und steigende Arbeitslosigkeit in diesem Haushalt ein Loch von 20 Milliarden DM reißen würden, haben wir Sie aufgefordert, unverzüglich einen Nachtragshaushalt 1997 einzubringen, um bei über 4 Millionen Arbeitslosen erstens die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes festzustellen, zweitens die Finanzlage des Staates ungeschminkt zu erfassen und drittens dann die richtigen Maßnahmen für eine Politik zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu ergreifen. Diesen Antrag haben Sie hier im Deutschen Bundestag und in seinen Ausschüssen über Monate schroff abgelehnt.

    (Zuruf von der SPD: Skandalös!)

    Den Nachtragshaushalt 1997 haben Sie nicht freiwillig vorgelegt, sondern weil Ihnen jetzt das Wasser bis zur Oberkante der Unterlippe reicht. Sie würden in diesem Herbst zahlungsunfähig werden, könnten keine Rechnungen mehr bezahlen, wenn Sie jetzt nicht weitere Schulden aufnähmen. Mit der Anhebung der Neuverschuldung auf weit über 70 Milliarden DM würden Sie aber gegen Art. 115 der Verfassung verstoßen, wonach die Höhe der Neuverschuldung die Investitionsausgaben nicht überschreiten darf. Davon gibt es nach dem Grundgesetz nur eine einzige Ausnahme: daß eine Überschreitung dieser von der Verfassung gezogenen Grenze „zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" erforderlich ist. Das ist der springende Punkt.
    Herr Waigel, die Verfassung verlangt von Ihnen nicht nur, daß Sie durch den Deutschen Bundestag die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts feststellen lassen, sondern auch, daß Sie mit den damit verbundenen zusätzlichen Schulden eine Politik finanzieren, die geeignet ist, die gesamtwirtschaftliche Störung, also die millionenfache Arbeitslosigkeit in diesem Lande, zu beseitigen.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie aber sind gar nicht bereit, Ihre Politik zu ändern. Sie wollen nur Ihre erbärmlichen Haushaltslöcher stopfen.

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Sie blockieren die Spargesetze im Bundesrat!)


    Karl Diller
    Deshalb hält der Sachverständigenrat Ihren Haushalt 1997 weiterhin für verfassungswidrig, und da hat er völlig recht.

    (Beifall bei der SPD Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Die SPD blockiert weiterhin die Spargesetze!)

    Jeden Arbeitslosen, jeden Bürger muß doch die kalte Wut packen, wenn Sie sich zu Jahresbeginn weigern, Geld auszugeben, um die Beschäftigungsprobleme in diesem Land zu beseitigen, aber jetzt am Jahresende 20 Milliarden DM Schulden machen, nur um die Löcher, die die Arbeitslosigkeit inzwischen in Ihren Haushalt gerissen hat, zu stopfen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Eine zündende Rede!)

    Es wäre Ihre Pflicht gewesen, meine Damen und Herren von der Koalition, im Frühjahr unser Angebot einer gemeinsamen aktiven Arbeitsmarktpolitik anzunehmen.

    (Dr. Uwe Küster [SPD]: Sehr richtig! Zuruf von der CDU/CSU: Wo denn? Sie blockieren doch alles!)

    Das hätte nur einen Bruchteil gekostet, aber einigen hunderttausend Menschen wieder Lohn und Brot gebracht.

    (Beifall bei der SPD Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Das glaubt doch keiner!)

    Da Ihr Gedächtnis das Gedächtnis eines Spatzen ist,

    (Zuruf von der SPD: Einer Ameise! Zurufe von der CDU/CSU: Nicht so arrogant! Die Arroganz der nicht vorhandenen Macht! Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Jetzt gibt er es uns! Jetzt macht er uns fertig!)

    will ich Ihnen zur Erinnerung sagen, was wir Ihnen damals angeboten hatten. Wir bieten es Ihnen erneut an: ein Bündel von Maßnahmen zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit und damit auch zur Reduzierung der Staatsverschuldung. Ich nenne - nur als Beispiele - fünf Maßnahmen:
    Erstens. Greifen Sie unseren Gesetzentwurf für ein modernes Arbeitszeitgesetz auf und tun Sie endlich etwas gegen die hohe Überstundenzahl in Deutschland. Das würde zusätzliche Arbeitsplätze bringen.

    (Beifall bei der SPD und der PDS)

    Zweitens. Greifen Sie unsere Teilzeitinitiative auf und beseitigen Sie endlich mit uns den Mißbrauch bei der Geringfügigkeitsgrenze in der Sozialversicherung.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Drittens. Schieben Sie endlich mit uns der Scheinselbständigkeit einen Riegel vor, mit der sich viele, viele Firmen in unserem Lande ihrer Verpflichtung entziehen, Sozialbeiträge für Menschen zu zahlen, die ausschließlich für sie arbeiten.
    Viertens. Ermöglichen Sie der Bundesanstalt für Arbeit durch korrekte Mittelzuweisung wieder eine aktive Arbeitsmarktpolitik, für Umschulungen, für Fortbildungen, für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, damit die Menschen wieder in Arbeit kommen.

    (Beifall bei der SPD und der PDS)

    Fünftens. Schaffen Sie endlich mit uns wirksame Maßnahmen gegen die Jugendarbeitslosigkeit. Inzwischen sind es 150000, die keine Lehrstelle gefunden haben. Deshalb brauchen wir eine solidarische Finanzierung der Ausbildung. Die Betriebe, die nicht ausbilden, sollen wenigstens zahlen, damit die, die ausbilden, dadurch eine Entlastung bekommen können.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ganz einfach! Dr. Uwe Küster [SPD]: Eine ganz einfache Sache! Die Bauwirtschaft macht das seit Jahren! Gegenruf von der CDU/ CSU: Reiner Sozialismus! Dr. Uwe Küster [SPD]: Die Bauwirtschaft macht wohl auch Sozialismus, wenn sie das so macht?)

    Herr Bundesfinanzminister, bei Ihrer Politik ist die Überschreitung der Schuldengrenze kein einmaliger Ausrutscher, wie Sie am Dienstag sagten. Sie ist inzwischen vielmehr System. Das war 1996 so, als wir Ihnen vorrechneten, daß in Ihrem Entwurf ein 20-
    Milliarden-DM-Loch klafft. Erst haben Sie dessen Existenz bestritten, dann auf die letzte Minute mit dem denkwürdigen, erbärmlichen Waigel-Wisch auf einem DIN-A-4-Blatt vorgegeben, Einnahmen in der Größenordnung von 20 Milliarden DM aus dem Hut zaubern zu können. Alles Luftbuchungen! Als die Wirklichkeit sie einholte, haben Sie den Haushalt 1996 mit einer verfassungswidrigen Erhöhung der Neuverschuldung auf 78 Milliarden DM ausgeglichen. In diesem Jahr überschreiten Sie die in der Verfassung angegebene Schuldengrenze erneut. Das wird nach unserer Einschätzung auch 1998 so kommen.
    Trotz aller Notoperationen, aller Notverkäufe von Bundesvermögen, aller Buchungstricks und des Verschiebens von finanziellen Verpflichtungen auf künftige Haushalte ist dieses Flickwerk für nächstes Jahr so knapp genäht, daß die Neuverschuldung gerade mal 500 Millionen DM unter der Höhe der Investitionen liegt.

    (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Können Sie diese langweilige Vorlesung nicht beenden?)

    Bereits jetzt wissen Sie aber, daß im nächsten Jahr die Steuereinnahmen für den Bund um etwa 4 Milliarden DM geringer ausfallen werden. Außerdem haben Sie bisher für die von der F.D.P. abgepreßte Senkung des Solidaritätszuschlags keine Finanzierung. Das macht ein weiteres Haushaltsloch von 6,5 Milliarden DM netto, zusammen also über 10 Milliarden DM, die Ihnen jetzt schon für 1998 fehlen. Dazu sagte Herr Schäuble kürzlich im „Spiegel"-Interview: „Die Senkung des Solidarzuschlags ist beschlossen. Das Wie diskutieren wir später."

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)


    Karl Diller
    Nein, nicht später, sondern in dieser Woche wäre der Zeitpunkt gewesen, zu dem die Koalition dem Bürger reinen Wein einschenken müßte,

    (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [PDS])

    damit er weiß, was er an zusätzlichen Schulden oder an Mineralölsteuererhöhungen oder an Kürzungen von Sozialleistungen durch Sie zu erwarten hat.
    Im gleichen Atemzug erklärte Herr Schäuble, die Koalition wolle im nächsten Jahr unter keinen Umständen wieder eine Debatte über die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts haben. Mir ist völlig unverständlich, wieso in diesem Jahr das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht bei über vier Millionen Arbeitslosen gestört ist und im nächsten Jahr, in dem die Zahl der Arbeitslosen - wie Sie selber sagen - ebenfalls über vier Millionen liegt, die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes nicht gegeben sein soll. Das paßt doch nicht zusammen. Daß Sie die Debatte im Wahljahr nicht wollen, ist leicht verständlich. Wenn ich Sie aber beim Wort nehme, dann stelle ich fest, daß Sie eine Senkung des Soli-Zuschlages auf Pump ausschließen wollen. Eine Erhöhung der Steuern oder eine Kürzung von Sozialleistungen würden die Wählerinnen und Wähler Ihnen übelnehmen. Fazit: Die Koalition hat sich in der von Theo Waigel gestellten Soli-Falle völlig verfangen.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ja, genau!)

    Jetzt müssen Sie Zeit schinden, weil Sie nämlich nicht wissen, wie die versprochene Absenkung des Soli zu finanzieren ist. Das ist der wahre Grund, weshalb Sie in dieser Woche die Fortsetzung des Vermittlungsverfahrens beschlossen haben. Sie wollen sich um eine klare Antwort herumdrücken und halten deshalb das Verfahren in Gang. Sie wissen aber doch ganz genau: Ihre dort erhobene Forderung, sich die Soli-Senkung aus den Länderkassen bezahlen zu lassen, hat in der Sache mit der Steuerreform nichts zu tun und trifft selbst bei den CDU- und CSU-Ministerpräsidenten auf eisige Ablehnung.

    (Beifall bei der SPD Zurufe von der CDU/ CSU: Oh!)

    Der Herr Finanzminister, der nicht mehr ein und aus weiß, will nun der Öffentlichkeit den Verkauf von Bundesvermögen als einen - ich zitiere ihn wieder - „legitimen und gesamtwirtschaftlich richtigen Brückenschlag im finanziellen Gesundungsprozeß" verkaufen. Starker Tobak! Denn dieser angebliche Brückenschlag führt nicht ans rettende Ufer. Er endet freischwebend über dem finanzpolitischen Abgrund.
    In Wahrheit betreiben Sie eine hemmungslose Ausplünderung des Bundesvermögens. Denn in diesem und im nächsten Jahr wollen Sie Vermögenswerte und Unternehmensbeteiligungen in einem Gesamtwert von 40 Milliarden DM verkaufen, verramschen und verpfänden, nur um Haushaltslöcher zu stopfen.
    Mit diesem Bundesvermögen, dessen heutiger Wert eine Gemeinschaftsleistung der Nachkriegszeit ist, sind 14 Finanzminister vor Ihnen sorgsam und
    verantwortlich umgegangen. Sie dagegen verfahren damit wie der typische Bankrotteur.

    (Beifall bei der SPD)

    Da versteigt sich der Generalsekretär der F.D.P. zu der Aussage - ich zitiere Sie, Herr Westerwelle, einmal -:
    Die Privatisierung ist nicht das Loswerden von Tafelsilber, sondern das Loswerden von Blei, das uns runterzieht, das uns Geld kostet und das den Staat immer mehr ausweitet.
    Soweit Herr Westerwelle.

    (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) - Jetzt klatscht er auch noch.


    (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Ja, das war ein guter Satz!)

    Meine Damen und Herren, für wie dumm will Herr Westerwelle bzw. die F.D.P. die Menschen in diesem Land eigentlich verkaufen? Die Anteile an der Lufthansa mit einem Wert von 4 Milliarden DM sowie an der Postbank mit einem Wert von 3 Milliarden DM und das Aktienpaket der von Ihnen so hoch gerühmten Telekom in einem Wert von 33 Milliarden DM - das alles soll in Ihren Augen Blei sein?

    (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Richtig!)

    Das ist kein Blei; das ist für Sie der prallgefüllte Rettungsring, mit dem Sie Ihren leckgeschlagenen Bundeshaushalt zwei Jahre lang vor dem Absaufen retten wollen.

    (Beifall bei der SPD und der PDS Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Das war jetzt aber eine Spitze!)

    Was Sie hier machen, ist unverantwortlich. Eine Haushaltspolitik der gesamtwirtschaftlichen Verantwortung hätte darin bestanden, die mit der Auflösung dieses angesammelten Vermögens erzielten Einnahmen nicht zu verpulvern, sondern in die Zukunft zu investieren. Dieses Geld hätte zweckgebunden für die Förderung von Innovationen, Forschung und Entwicklung, für eine ökologische Modernisierung der Wirtschaft und damit zur Schaffung neuer Arbeitsplätze eingesetzt werden müssen. In Bayern ist die CSU nach diesem Konzept vorgegangen. In Bonn dagegen verramscht der CSU-Vorsitzende das über Jahrzehnte angesammelte Vermögen.
    Weil Rekordverschuldung und Ausplünderung des Bundesvermögens noch immer nicht reichen, verschieben Sie finanzielle Belastungen systematisch in die Zukunft - ohne Rücksicht auf die Handlungsfähigkeit künftiger Bundesregierungen. Das ist eine Politik des Nach-mir-die-Sintflut. Offensichtlich rechnen Sie selber nicht mehr damit, nach der Wahl noch zu regieren.
    Zwei Beispiele für die Nach-mir-die-Sintflut-Politik:
    Erstens. Sie haben bei der Postreform mit beschlossen: Das Aktienpaket des Bundes an der Telekom soll dazu dienen, das Defizit bei den Pensions-

    Karl Diller
    kassen des dann privatisierten Unternehmens zu finanzieren. Ab dem Jahre 2000 sind das jedes Jahr 7 Milliarden DM. Wenn Sie jetzt ein Aktienpaket im Börsenwert von 33 Milliarden DM verpfänden - wegen des Abschlags müssen Sie an die Kreditanstalt für Wiederaufbau 33 Milliarden DM abtreten, um einen Erlös in Höhe von 25 Milliarden DM zu erzielen - und dieser Bank außerdem das Recht einräumen, diese Aktien ab dem Jahre 2000 vorrangig an der Börse zu verkaufen, führt das voraussichtlich zu einer Verkaufsblockade für die restlichen dem Bund dann noch gehörenden Anteile.
    Im Klartext heißt das für das nächste Jahrzehnt: Die Defizite der Postpensionskassen von 7 Milliarden DM müssen bereits in zweieinhalb Jahren aus dem Bundeshaushalt finanziert werden. Dafür haben Sie keine einzige D-Mark vorgesehen.
    Es kann noch schlimmer kommen. Denn im Vertrag mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau haben Sie den Bund verpflichtet, unter bestimmten Bedingungen das Aktienpaket von der Kreditanstalt wieder zurückzukaufen. Das ist doch ein absolut unverantwortlicher Vertrag. Denn wie anders als über neue Schulden könnte dieser zweistellige Milliardenbetrag ab dem Jahre 2000 finanziert werden?


Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Kollege Diller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weng?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Karl Diller


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Bitte sehr.