Rede von
Dr.
Ruth
Fuchs
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister Seehofer, es bleibt immer eine Frage, von welcher Interessenseite man eine Sache betrachtet oder bewertet. Aus meiner Sicht hat der bisherige Verlauf der Haushaltsdebatte einmal mehr unterstrichen, die Lösung der drängenden Probleme des Landes ist von dieser Regierung nicht mehr zu erwarten.
Das gilt - ganz im Gegensatz zu Ihren Ausführungen - besonders auch für das Gesundheitswesen. So hat die gerade in Kraft gesetzte Reform die finanziellen Belastungen der Patienten und Versicherten in einem bisher unvorstellbaren Ausmaß erhöht. Mit Kostenerstattungen, Selbstbehalten oder Beitragsrückgewähr wurden ohne jede Not Regelungen in die gesetzliche Krankenversicherung eingebaut, die früher oder später zur Aushöhlung und Zerstörung des Solidarausgleichs führen müssen, egal, was von anderer Seite behauptet wird.
Wieder wurde kein einziger der wirklichen Treibsätze für die Kosten im Gesundheitswesen entschärft. Minister Seehofer aber tritt die Flucht nach vorn an und erklärte vor wenigen Tagen, ohne die erhöhten Selbstbeteiligungen wäre die Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung bereits im Herbst und Winter diesen Jahres in Frage gestellt. Das ist nichts anderes als ein beschämendes öffentliches Eingeständnis des Scheiterns der Regierung auf dem Feld der Gesundheitspolitik.
Hinzu kommt, daß es bereits ab nächstem Jahr schon deshalb zu erneuten Kostensteigerungen kommen wird, weil die Koalition die bestehenden Ausgabenbegrenzungen bei Arzneimitteln und Arzthonoraren deutlich gelockert hat. Das ist um so schlimmer, weil die seit langem bekannten relativen Einnahmeausfälle der Kassen wegen steigender Arbeitslosigkeit und niedrigeren Lohn- und Rentenzuwächsen erstmals zur Stagnation der Einnahmen im Westen und zu ihrem absoluten Rückgang im Osten geführt haben.
Viele Fachexperten und alle Oppositionsparteien haben immer wieder auf diese bedrohliche Entwicklung hingewiesen. Von der Koalition wurde sie jedoch bis in die jüngste Zeit hinein hartnäckig geleugnet. Wer erinnert sich nicht: Für den Minister war die Sache immer ziemlich eindimensional. Mal waren es allein die Krankenhäuser oder Kureinrichtungen, mal die Versicherten in ihrem Anspruchsdenken und dann wiederum die Krankenkassen, die als Sündenböcke für die Defizite herhalten mußten.
Aber noch gibt es Zeichen und Wunder. Vor wenigen Tagen wurde dem staunenden Publikum eine völlig neue Variante der Monokausalität angeboten. Nun sind es plötzlich nur noch die zurückbleibenden Einnahmen, denen allein die Schuld an der fortgesetzten Finanzmisere der gesetzlichen Krankenversicherung zuzuschreiben ist. Wahrlich, ein neuer Salto mortale des Ministers.
Aber in Ihrer Einseitigkeit leider auch eine neue Fehldiagnose. Denn die großen Wirtschaftlichkeitsreserven im Gesundheitswesen und das damit verbun-
Dr. Ruth Fuchs
dene Ausgabenproblem gibt es nach wie vor. Daran konnten weder die Leistungskürzungen des Beitragsentlastungsgesetzes noch die Zuzahlungserhöhungen der dritten Reformstufe etwas Substantielles ändern.
Deshalb bleibt es dabei: Es ist gerade die zunehmende Überlagerung beider Problemseiten, auf die die Defizite der gesetzlichen Krankenversicherung schon in den vergangenen Jahren zurückzuführen waren und heute noch sind. Bekanntlich erklärt sich auch so die besonders dramatische Situation, in die die Kassen in den neuen Bundesländern gekommen sind.
Dabei zeigt sich erneut, wie kurzsichtig es war, sämtliche kostentreibenden Strukturen des bundesdeutschen Gesundheitswesens blindlings und völlig kritiklos auf die neuen Länder zu übertragen.
Wie hilfreich wäre es jetzt, könnte man beispielsweise auf die dort früher einmal gewachsenen Formen ärztlicher und berufsübergreifender Kooperation zurückgreifen. Ich glaube, die Polikliniken waren keine schlechte Einrichtung und hätten sehr viele Kosten gespart.
Nun aber ist guter Rat teuer; denn im Osten drohen Beitragserhöhungen auf über 15 Prozent, die tatsächlich - darin sind wir uns, glaube ich, alle einig - weder sozial- noch wirtschaftspolitisch zu verantworten sind. Zweifellos wäre eine vernünftige Lösung, die bisherige Trennung des Risikostrukturausgleichs nach Ost und West vorzeitig aufzuheben. Mindestens aber sind entsprechende Übergangslösungen dringend notwendig.
Herr Minister, Sie haben heute die Notwendigkeit solcher Lösungen selbst eingefordert. Hoffentlich bleibt es nicht bei dem allerorts bekannten Ausspruch eines berühmten Fußballstars aus Ihrem Bundesland, nach dem Motto: Schau'n wir mal, mal sehen, was dann kommt.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.