Rede von
Dr.
Jürgen
Rüttgers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 1998 beträgt der Haushalt des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie 14,95 Milliarden DM. Er steigt also um 132 Millionen DM und ist damit der einzige Haushalt, der de facto über mehr Geld für neue Projekte verfügt.
Sie können sich vorstellen, daß meine Einschätzung deshalb nicht nur bei dieser Debatte, sondern den gesamten Sommer über sehr positiv war. Das ist nicht nur so, weil wir bei diesem Haushalt heute einen Erfolg vorweisen können, sondern auch deshalb so, weil sich inzwischen herausstellt, daß sich die Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung in Deutschland in den letzten drei Jahren entscheidend verbessert haben.
Ich habe natürlich einmal darüber nachgedacht, was die verehrte Opposition heute vortragen wird. Wenn man sich an die Debatten in den letzten Jahren erinnert, dann war klar, daß im Rahmen der allgemeinen Sparmaßnahmen auch im Einzelplan 30 gespart werden mußte. Aber während die SPD in der Vergangenheit immer nur über das Budget geklagt hat, immer nur gesagt hat, es sei zuwenig Geld da, hat die Bundesregierung die Zeit genutzt, um eine moderne Innovationspolitik zu konzipieren und umzusetzen. Die Erfolge können sich sehen lassen.
Wir haben bei den Patenten inzwischen einen Rekordzuwachs, ein Plus von 22,6 Prozent im ersten Halbjahr 1997. Wir haben im deutschen Risikokapitalmarkt einen Gründerboom. Allein im Programm meines Hauses wurden 1996 300 Millionen DM für Kapitalvermittlung im Bereich des Risikokapitals ein-
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Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
gesetzt. Wir haben 565 Millionen DM privates Risikokapital für Biotechnologie und für Firmen im Zusammenhang mit dem „BioRegionen"-Wettbewerb eingesammelt.
Forscher, die ins Ausland gegangen sind, kommen inzwischen zurück. Ausländische Firmen investieren wieder in Deutschland in Forschung und in Technologie.
Für die neuen Bundesländer stehen auch weiterhin 3 Milliarden DM zur Verfügung. Wir haben inzwischen in den neuen Bundesländern eine Forschungslandschaft, die international wettbewerbsfähig ist.
Für kleine und mittlere Unternehmen wird 1998 erstmals die Schallmauer von 600 Millionen DM durchbrochen werden, damit viele kleine innovative Firmen unterstützt werden.
Im Bereich des wissenschaftlichen Nachwuchses stehen inzwischen 1,2 Milliarden DM zur Verfügung. Allein im Bereich der Helmholtz-Zentren werden wir 500 neue Stellen für Nachwuchswissenschaftler schaffen.
Im Zusammenhang mit den Leitprojekten ist uns etwas gelungen, was viele überhaupt nicht für möglich gehalten haben: Durch bessere Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft werden wir den Innovationszyklus, der früher in Deutschland traditionellerweise 30 Jahre betragen hat, wahrscheinlich bis auf zehn Jahre verkürzen können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, all das schafft Arbeit. All das sichert Zukunft. Während die SPD und auch die Grünen in den vergangenen Jahren immer nur über angeblich fehlendes Geld geklagt haben, haben wir Kräfte freigesetzt, haben Chancen eröffnet und haben Neues möglich gemacht. Das ist, glaube ich, ein Beweis für die Richtigkeit dieser Politik.
Wer es nicht geglaubt hat, der konnte spätestens den Beweis in einem Manifest lesen, das die SPD im Mai dieses Jahres vorgelegt hat. In diesem Manifest der SPD stand viel Gutes und viel Neues. Nur, leider war das Gute nicht neu, und das Neue war nicht gut. Denn alles, was daran richtig war - dies kann ich Ihnen hier belegen -, hat die SPD aus Projekten des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie abgeschrieben.
Ein offeneres Kompliment, eine bessere Beschreibung der Richtigkeit dieser Politik kann man eigentlich gar nicht bekommen.
Aber trotz dieser Erfolgsbilanz werden wir jetzt die Hände nicht in den Schoß legen. Jetzt fangen wir erst richtig an.
Ich sehe für die Zukunft vier große nationale Herausforderungen: Erstens. Deutschland muß High-TechLand werden. Zweitens. Wir brauchen 500 000 neue Existenzgründer. Drittens. Wir brauchen das beste Bildungssystem der Welt für unser Land. Viertens. Jedem jungen Menschen muß auch in Zukunft, wenn er kann und will, eine Lehrstelle angeboten werden.
Deutschland wird High-Tech-Land werden, wenn wir konsequent auf Innovation setzen.
Wir diskutieren in diesen Tagen - gestern in der großen Debatte und am Dienstag - über die Frage, wie wir mit dem Problem Arbeitslosigkeit fertig werden, ein Problem, das uns alle bedrängt und für das wir nach Lösungen suchen.
Wir wissen: Deutschland ist ein Land mit hohen Kosten. Aber wir werden gar nicht so viel sparen können, um über die Kosten den internationalen Wettbewerb mit unseren Konkurrenten in Asien oder Lateinamerika gewinnen zu können. Die meisten neuen Arbeitsplätze werden im innovativen Bereich entstehen. Sie werden nicht da entstehen, wo die alten verlorengehen. Deshalb ist es sehr wichtig, konsequent auf Forschung und Technologie, auf High-Tech zu setzen. Ich will das an zwei Beispielen ganz kurz deutlich machen.
Nehmen wir den Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik. Früher, als ich hier noch mit dem Kollegen Glotz von der SPD diskutiert habe, hat er gesagt, das sei ein Bereich, wo wir ganz weit hinter den anderen seien, wo die anderen viel weiter seien, wo wir eigentlich den Anschluß verpaßt hätten.
Die Wahrheit ist inzwischen eine völlig andere. Bei der Infrastruktur für die Wissensgesellschaft stehen wir im weltweiten Vergleich hervorragend da. Man kann das alles belegen. Was mir sehr wichtig ist, sind die 100 000 Kilometer Glasfaserkabel, die 17 Millionen Anschlüsse für das Fernsehkabelnetz. Noch wichtiger ist eine andere Zahl: Wir haben 1996 bei den Internet-Anschlüssen, also da, wo das Internet praktisch genutzt wird, in Deutschland eine Zuwachsrate von 72 Prozent gehabt. Das heißt, die Menschen steigen jetzt in die Informationsgesellschaft ein.
Wir haben mit dem deutschen Forschungsnetz inzwischen das weltweit leistungsfähigste Netz für Forschung und Technologie, das es überhaupt gibt. In Amerika wird über Internet II geredet, in Deutschland gibt es das bereits. Wir haben mit dem Multimediagesetz vorbildlich klare, offene, liberale Rahmenbedingungen geschaffen. Mit unseren Projekten
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„Senioren ans Netz" und „Schulen ans Netz", mit Teleservice und all den anderen sorgen wir dafür, daß dieser Trend weitergeht.
Was dort passiert - das ist das Gravierende für neue Arbeitsplätze -, ist: Wir bauen damit die Infrastruktur für das nächste Jahrhundert, so wie im vergangenen Jahrhundert mit Straßen, Kanälen und Eisenbahnen die Infrastruktur für die Industriegesellschaft geschaffen worden ist.
Nehmen Sie ein zweites Beispiel: Biotechnologie und Gentechnik.
Das ist nun wirklich eine Erfolgsgeschichte, die weltweit ihresgleichen sucht.
Vor zwei Jahren hieß es, wenn man irgend jemanden fragte: Gentechnik geht in Deutschland nicht. Inzwischen ist Deutschland das Land mit der größten Dynamik in Europa. Die Anzahl der Bio-Tech-Firmen in Deutschland hat sich von 1995 auf 1996 verdoppelt. Wir werden es wahrscheinlich schaffen, von 1996 auf 1997 die Anzahl noch einmal zu verdoppeln, trotz des höheren Niveaus.
Ich bin sicher, daß wir das Ziel, Deutschland im Jahre 2000 zur Nummer eins in Europa im Bereich der Biotechnologie zu machen, erreichen.
- Ich weiß, Herr Kiper, Sie haben immer gesagt: Das geht nicht, das klappt nicht, das ist alles nicht möglich. Ich weiß auch, wie schwer Sie es haben. Sie sind ja eigentlich dafür. Das Problem ist nur Ihre Politkommissarin, die immer mitkommt und Sie aus Gründen der Political correctness daran hindert, Ihre eigene Meinung zu sagen.
All das schafft Arbeitsplätze. Multimedia sichert in Deutschland 1,2 Millionen Arbeitsplätze und schafft 210 000 neue Arbeitsplätze in den nächsten Jahren.
In der Biotechnologie arbeiten heute in Deutschland 40 000 Menschen. Nach seriösen Schätzungen werden es bis zum Jahr 2000 110 000 Menschen sein. Die Zahl der Arbeitsplätze in der Umwelttechnik kann bis zum Jahr 2000 um 150 000 steigen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb haben wir in diesen drei Bereichen - Multimedia, Biotechnologie und Umwelt - die Mittel auch im Haushalt 1998 auf fast 1 Milliarde DM pro Bereich erhöht.
Diese Technologiefelder haben natürlich etwas mit der zweiten großen Herausforderung zu tun, nämlich der Erhöhung der Zahl der Selbständigen. Nach jüngsten Erhebungen der Europäischen Kommission sind nur 9,4 Prozent der rund 36 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland selbständig. In Frankreich und Großbritannien liegt diese Zahl bei 16 Prozent. Wenn wir nur den OECD-Durchschnitt erreichen wollen, müssen wir 500 000 neue selbständige Betriebe schaffen. Ich glaube, daß das auch geht.
Ich habe vor einigen Wochen eine Studie über das MIT gelesen. Um das MIT herum haben die Absolventen dieser Universität bislang 4000 Unternehmen mit mehr als 1,1 Millionen Beschäftigten gegründet. Das Umsatzvolumen dieser Unternehmen beträgt zusammen 232 Milliarden US-Dollar pro Jahr.
Jährlich kommen 150 neue Unternehmen hinzu. Wären nur diese Unternehmen eine Volkswirtschaft, würde diese bei der Auflistung der Volkswirtschaften der Welt an 24. Stelle stehen.
Natürlich weiß ich, daß man so schnell kein MIT aufbauen kann. Aber sehen Sie sich die Universitäten in Aachen, Dortmund, Kaiserslautern oder München an, und stellen Sie sich vor, daß sich jede deutsche Universität um Unternehmensgründungen etwas mehr bemüht, als es heute üblich ist. Das könnte Tausende und aber Tausende neue Firmen mit vielen Arbeitsplätzen schaffen, nicht nur im High-Tech-Bereich, sondern auch darunter. Insofern ist es ein realistisches Ziel, das wir jetzt angehen.
Damit bin ich auch schon bei der dritten nationalen Herausforderung: Wir brauchen das beste Bildungssystem der Welt. Es ist ein großer Erfolg, daß es uns gelungen ist, eine Einigung zwischen Bund und Ländern über das neue Hochschulrahmengesetz zu erreichen. Ich gebe zu, daß ich persönlich darauf auch ein wenig stolz bin.
Mit diesem neuen Hochschulrahmengesetz wird der Grundstein für die Universität des 21. Jahrhunderts gelegt. Der eine oder andere von Ihnen war dabei, als ich bei der Hochschulrektorenkonferenz gesagt habe: „Nach meiner Einschätzung ist Humboldts Universität tot." Natürlich habe ich damit nicht gemeint, daß wir von Humboldts Idee der Einheit von Forschung und Lehre Abstand nehmen sollen. Natürlich habe ich damit nicht gemeint, daß wir gute alte deutsche Traditionen über Bord werfen sollen.
Ich habe damit gemeint, daß es nicht richtig sein kann, im nächsten Jahrhundert eine Hochschullandschaft aufzubauen, in der alle Hochschulen, politisch vorgegeben, gleich sein müssen. Eine Massenuniversität mit 60 000 Studenten ist nun einmal etwas anderes als eine Universität mit 3000, 4000 oder 5000 Studenten. Beide sind notwendig. Beide können einen unverwechselbaren Dienst für die Studenten und unser Land leisten. Aber beide müssen auch die Chance haben, ein unverwechselbares Profil zu entwickeln. Ich glaube, daß das neue Hochschulrahmengesetz dies mit seinen Leitlinien „Differenzie-
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rung, Leistung, Wettbewerb, Deregulierung und internationale Wettbewerbsfähigkeit" möglich macht.
Ich möchte heute hinzufügen: Ich bin davon überzeugt, daß diese Reform durch eine BAföG-Reform ergänzt werden muß. In der nächsten Woche gehen die Gespräche mit den Ländern weiter. Ich will hier ganz deutlich sagen: Ich bin für eine BAföG-Reform und werde alles tun, um diese Gespräche zu einem positiven Ergebnis zu bringen.
Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu einer aktuellen Debatte machen. Deutschlands Universitäten müssen sich dem internationalen Wettbewerb stellen. Es kann eben nicht sein, daß unsere Universitäten zu Regionalhochschulen verkommen.
Dazu brauchen wir viele ausländische Studenten in Deutschland. Es macht mir große Sorge, daß immer weniger Studenten aus Asien und Amerika nach Deutschland kommen. Deshalb müssen wir alles tun, um Studieren in Deutschland interessant zu machen.
Das ist, wie wir wissen, weniger eine Frage des Geldes - weil inzwischen auch viele ausländische Studenten sogar bereit wären, für ihr Studium zu bezahlen - als eine Frage des Klimas an unseren Hochschulen. Es ist eine Frage von bürokratischen Hemmnissen. Deshalb müssen wir für ausländische Studierende alle bürokratischen Hemmnisse abbauen.
Wir flankieren diesen Weg mit der Einführung des Programms „Internationale Studiengänge", die jetzt im Wintersemester an 13 Hochschulen anfangen. 30 Millionen DM stehen dafür zur Verfügung. Weil dort ausländische und deutsche Studierende zusammen in einem Studiengang arbeiten und sich kennenlernen werden, wird damit eine positive Signalwirkung nicht nur für die Internationalität unserer Hochschulen, sondern auch für den Standort Deutschland gegeben werden. Daß dieses durch die 2,5 Milliarden DM, die wir für den Hochschulbau im Wege des Optionsleasings freigesetzt haben, erleichtert wird, ist, glaube ich, evident.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht nicht nur um die Hochschulen, sondern um das ganze Bildungssystem. Ich bin fest davon überzeugt, daß wir in Deutschland eine Bildungsreform brauchen. Es kann nicht so bleiben, wie es jetzt ist. Das beginnt bei den Schulen. Obwohl jeder von uns hier im Saal und jeder in Deutschland weiß, daß die Lehrerkollegien immer älter werden und die Zahl der Schüler steigt, geschieht zu wenig, um wenigstens quantitativ - von Qualität ist noch gar nicht zu reden, obwohl die Bildungsreform eine qualitative sein muß - die Unterrichtsversorgung zu sichern.
Im vergangenen Schuljahr ist die Zahl der Schüler in Deutschland um rund 190 000 gestiegen. Eine positive Meldung: Es gibt junge Leute, es gibt Kinder in Deutschland. Aber es wurden insgesamt nur 1300 neue Lehrer eingestellt. Das bedeutet einen Lehrer auf 150 neue Schüler. Jetzt könnte ich Ihnen hier einmal an Hand von ein paar Zahlen darstellen, was SPD-Politiker, die in den Medien von Chancengerechtigkeit, Innovation und ähnlichem reden, unternehmen, wenn sie selber Verantwortung tragen.